Urteil des BVerwG vom 20.03.2014

Soldat, Kennzeichen, Änderung der Rechtsprechung, Fahrzeug

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 5.13
TDG S 4 VL 38/12
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
Herrn Hauptfeldwebel …,
…,
…,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 20. März 2014, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Burmeister als Vorsitzender,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
ehrenamtlicher Richter Oberstleutnant Harte und
ehrenamtlicher Richter Hauptfeldwebel Herr,
Bundeswehrdisziplinaranwalt Zetzsche,
Rechtsanwalt …,
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin …
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Berufung des Soldaten gegen das Urteil der 4. Kam-
mer des Truppendienstgerichts Süd vom 10. Januar 2013
wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens und die dem Sol-
daten darin erwachsenen notwendigen Auslagen werden
dem Soldaten auferlegt.
G r ü n d e :
I
Der 19… geborene Soldat wurde nach dem Erwerb des Hauptschulabschlusses
und der Ausbildung zum Call-Center-Agenten im Jahr 2000 zur Ableistung des
Grundwehrdienstes einberufen und nach einer Bewerbung für den freiwilligen
Dienst in der Bundeswehr zunächst zum Soldaten auf Zeit berufen. Mit Wirkung
vom 1. Juli 20… wurde ihm die Eigenschaft eines Berufssoldaten verliehen.
Seine Dienstzeit endet voraussichtlich mit Ablauf des 30. November 20... Der
Soldat wurde zuletzt im Dezember 20… zum Hauptfeldwebel befördert.
Nach zahlreichen Verwendungen wurde er zum 1. Oktober 2009 zur 2. Kom-
mandokompanie … versetzt. Zum 1. Oktober 2010 wurde er zum Ausbildungs-
zentrum … versetzt, wo er bei der …kompanie … als Fallschirmjägerfeldwebel
und Gruppenführer eingesetzt wurde. In zeitlichem Zusammenhang mit den
streitgegenständlichen Vorkommnissen wurde der Soldat aus seiner Verwen-
dung herausgelöst. Derzeit wird er im Stab der Lehrgruppe z.b.V. eingesetzt; er
zeichnet dort für die Planung und Steuerung der Lehrgänge verantwortlich.
Der Soldat wurde regelmäßig, zuletzt am 20. April 2011 beurteilt. Im Bereich
„Aufgabenerfüllung auf dem Dienstposten“ erhielt er im Durchschnitt die Bewer-
tung „5,13“. In der Beschreibung seiner Persönlichkeit heißt es, er sei ein intelli-
genter und zielstrebiger Unteroffizier, der gerne und aus Überzeugung Soldat
sei. Er habe sein Ziel, Kommandosoldat und Berufssoldat zu werden, durch viel
Ehrgeiz und Engagement erreicht. Er wisse genau, was er wolle und schöpfe
die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten vollumfänglich aus, um seine
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Ziele zu erreichen. Sein Auftreten gegenüber Vorgesetzten, Kameraden und
Dienstgradniedrigeren sei stets korrekt und höflich. Für die Verwendung in
Stabsverwendungen erscheine er aufgrund seiner Intelligenz, seiner guten Auf-
fassungsgabe und seiner PC-Fertigkeiten prädestiniert.
Der nächsthöhere Vorgesetzte hat ergänzt, der Soldat sei ein gestandener Un-
teroffizier mit Portepee, der seine Ausbildung zum Kommandofeldwebel erfolg-
reich beendet habe, um im Anschluss schwerpunktmäßig im Bereich S 2 … ein-
gesetzt zu werden. Hier habe er sich schnell positionieren und entwickeln kön-
nen. Durch seine geistigen Fähigkeiten erfasse er Sachverhalte schnell, analy-
siere diese und setze sie stringent und zielführend um. Eher ein Mann der lei-
sen Töne, schaffe er es, sich neben dem allgemeinen Dienstbetrieb in diesem
Fachgebiet weiter zu entwickeln. Problemen gehe er nicht aus dem Weg, son-
dern packe sie an. Insgesamt empfehle sich der Soldat für Stabsverwendun-
gen. Er habe noch Potential und solle gezielt gefordert und gefördert werden.
Hierbei komme es insbesondere darauf an, dass er seinen Führungsanspruch
und seinen Führungswillen deutlich nach Außen kenntlich mache, um an Profil
zu gewinnen. Insgesamt besitze der Soldat zweifellos das Potential, - bei Be-
darf - mittelfristig bis in die höchsten Verwendungen seiner Laufbahn gefördert
werden zu können.
Die in der Hauptverhandlung vor dem Truppendienstgericht als Leumunds-
zeugen vernommenen Zeugen Hauptmann W. und Oberstleutnant B. haben
den Soldaten in ihren durch Verlesung in die Berufungshauptverhandlung ein-
geführten Aussagen als sehr intelligenten und motivierten Soldaten beschrie-
ben, zu dem das vorgeworfene Fehlverhalten nicht passe. Sie hätten weiterhin
Vertrauen zu ihm. Hauptmann W. hat den Soldaten leistungsmäßig zwischen
„5,5“ und „6“ eingeordnet.
Die Sonderbeurteilung vom 13. März 2013 weist als Durchschnittswert der Auf-
gabenerfüllung die Note „6,00“ aus. Erläuternd ist ausgeführt, der Soldat sei bis
Januar 2012 als Ausbildungsfeldwebel in der …kompanie … eingesetzt gewe-
sen. Aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen habe er in der Ausbildung der
Feldwebelanwärter nur noch bedingt eingesetzt werden können. Seine Aufga-
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ben habe er unter Berücksichtigung seiner körperlichen Einschränkung jedoch
zur vollsten Zufriedenheit der Vorgesetzten erfüllt. Der Soldat sei ab April 2012
in die Dienstgeschäfte des Bearbeiters Lehrgangsplanung und Steuerung ein-
gewiesen worden. Dabei sei er durch Motivation und Engagement positiv aufge-
fallen. Seit Oktober 2012 sei er als Bearbeiter in der Lehrgangsplanung und
Steuerung eingesetzt. Dabei sei es ihm gelungen, diese anspruchsvolle Tätig-
keit reibungslos und ohne Qualitätseinbußen fortzuführen. Fleiß, Übersichtsfä-
higkeit und Kommunikationsfähigkeit zeichneten den Soldaten besonders aus.
Er sei in den Bereichen Lehre und Ausbildung voll integriert und im Kamera-
denkreis geschätzt. Der Soldat habe Freude an seiner derzeitigen Tätigkeit und
trage durch einen hohen persönlichen Einsatz wesentlich zu Aufgabenerfüllung
bei. Er sei derzeit der richtige Mann am richtigen Platz.
Der nächsthöhere Disziplinarvorgesetzte führte ergänzend aus, der Soldat habe
sich überraschend schnell in die für ihn völlig neue Materie eingearbeitet und
dabei sehr gute Ergebnisse erzielt. Aufgrund noch ausstehender laufbahnrecht-
licher Entscheidungen könne zum jetzigen Zeitpunkt eine Entwicklungsprogno-
se lediglich bis zur allgemeinen Laufbahnperspektive gegeben werden. Grund-
sätzliches Entwicklungspotential oberhalb davon sei jedoch vorhanden.
In der Berufungshauptverhandlung hat der aktuelle Disziplinarvorgesetzte des
Soldaten, Oberstleutnant L., ausgeführt, der Soldat nehme einen Oberstabs-
feldwebel-Dienstposten erfolgreich wahr. Er habe sehr gute Arbeit geleistet, sei
sehr engagiert und sehr pflichtbewusst. Der Leumundszeuge hob anerkennend
hervor, dass der Soldat sich deutlich engagierter im Dienst zeige als andere
Soldaten mit anhängigem Disziplinarverfahren; er hätte ihm die Belastungen
durch das Verfahren nicht angemerkt und würde von dem Verfahren nichts wis-
sen, wenn der Soldat nicht selbst berichtet hätte. Der Soldat bringe sich aktiv in
das Dienstgeschehen ein. Auf seine Frage an den Soldaten, warum er nicht
umziehe, habe dieser geantwortet, er fühle sich seiner Dienststelle verpflichtet.
Er schätze den Soldaten, zu dem er volles Vertrauen habe, mit „6,5 - 6,7“ leis-
tungsmäßig wesentlich höher ein als durch die letzte Beurteilung ausgewiesen.
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Der aktuelle Disziplinarbuchauszug des Soldaten sowie der aktuelle Auszug
aus dem Zentralregister weisen jeweils die teilweise sachgleichen strafrechtli-
chen Verhängungen von Geldstrafen durch das Amtsgericht C. vom 11. April
2012 und durch das Amtsgericht G. vom 16. April 2012 aus; der Zentralregis-
terauszug zusätzlich die durch Beschluss vom 17. Januar 2013 des Amtsge-
richts G. vorgenommene Gesamtstrafenbildung.
Der Soldat ist berechtigt das Abzeichen für Leistungen im Truppendienst in
Gold zu tragen. Er ist geschieden, seit Ende 2012 erneut verheiratet und erhält
Dienstbezüge aus der Besoldungsgruppe A 8 Z in Höhe von 2 841,65 € brutto
und 2 316,71 € netto. Seiner früheren Ehefrau zahlt er bis Ende 2014 monatlich
428 € Unterhalt. Bis Ende des Jahres zahle er auch noch monatlich 200 € we-
gen der Verbindlichkeiten aus dem Strafverfahren ab. Für eine Kfz-Finanzie-
rung wendet er monatlich 475 € auf.
II
1. Nachdem der Soldat am 4. März 2012 gegen die Anhörung der Vertrauens-
person Widerspruch erklärt hatte, erfolgte seine Anhörung am 8. März 2012.
Der Amtschef Heeresamt hat gegen den Soldaten mit diesem am 1. Juni 2012
ausgehändigter Verfügung vom 24. Mai 2012 das gerichtliche Disziplinarverfah-
ren wegen vier Pflichtverletzungen eingeleitet. Die Einleitungsverfügung enthielt
- als Punkt 1 - auch den Vorwurf, den Audi A 3 der von ihm getrennt lebenden
(seinerzeitigen) Ehefrau „entwendet“ zu haben.
Die Schlussanhörung des Soldaten erfolgte am 28. August 2012. Im Anschluss
daran übersandte der Soldat Unterlagen, um den Nachweis zu erbringen, an
dem Audi A 3 keinen Diebstahl begangen zu haben. Darüber hinaus forderte
die Wehrdisziplinaranwaltschaft unter dem 29. August 2012 vom Amtsgericht G.
die Bestätigung an, dass das Strafverfahren wegen des Diebstahls dieses
Fahrzeugs endgültig eingestellt worden war. Die Akte wurde der Wehrdiszipli-
naranwaltschaft zwar übersandt, enthielt jedoch keine abschließende Entschei-
dung zu diesem Tatkomplex. Von der Staatsanwaltschaft T. forderte die Wehr-
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disziplinaranwaltschaft ebenfalls unter dem 29. August 2012 die Strafakte an;
dies jedoch erfolglos.
2. Mit Zustimmung der Einleitungsbehörde hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft
dem Soldaten mit ihm am 8. November 2012 zugestellter Anschuldigungsschrift
vom 29. Oktober 2012 als Dienstvergehen zur Last gelegt:
„1. Der Soldat entwendete zu einem nicht mehr genauer
feststellbaren Zeitpunkt im Zeitraum April bis September
2010, in dem er als Gehilfe des Sicherheitsbeauftragten
des Kommando …, …, mit dem Nachweis (Ausgabe und
Rücknahme) von Wechselkennzeichen betraut war, das
Wechselkennzeichen … aus dem Bestand des Komman-
dos, um es für seine Zwecke zu behalten.
2. Der Soldat montierte zu einem nicht mehr genau fest-
stellbaren Zeitpunkt im Sommer 2010 an einem nicht nä-
her feststellbaren Ort die Wechselkennzeichen der Bun-
deswehr, …, ohne entsprechende Berechtigung an seinen
PKW VW … und legte bis zur Entdeckung durch die Poli-
zei am 05.09.2011 mit diesen Kennzeichen eine Strecke
von ca. 2 000 km zurück.
3. Der Soldat fuhr am 05.09.2011 gegen 01.15 Uhr mit
dem Audi …, amtliches Kennzeichen …, auf der …straße
in … B. und hatte zuvor das zwischenzeitlich durch die
Zeugin S. bereits abgemeldete und vom Soldaten weder
neu angemeldete noch haftpflichtversicherte Fahrzeug mit
den amtlichen Kennzeichen … versehen, welche auf ei-
nen dem Soldaten gehörenden PKW VW … ausgegeben
worden waren, um den Eindruck einer ordnungsgemäßen
Anmeldung des Fahrzeugs zu erwecken. Mit dieser Kom-
bination von Fahrzeug und Kennzeichen legte der Soldat
ca. 30 000 km zurück.
Der Soldat hatte das Fahrzeug, welches zumindest im
Miteigentum der früheren Ehefrau S. und seit der Tren-
nung im September 2009 in ihrem alleinigen Gewahrsam
stand, spätestens im Frühjahr 2010 in … W. mittels eines
Ersatzschlüssels an sich genommen, obwohl er wusste,
dass diese das Fahrzeug bereits im Dezember 2009 bei
der Polizei als gestohlen gemeldet hatte und nach dem
Fahrzeug gefahndet wurde."
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Im Ermittlungsergebnis der Anschuldigungsschrift heißt es zum Anschuldi-
gungspunkt 3 unter anderem:
„Ungeachtet nicht abschließend zu klärender Fragen der
Eigentumsverhältnisse an dem in Rede stehenden Audi …
im Hinblick auf die Erfüllung der Tatbestandsmerkmale
des § 242 StGB (die frühere Ehefrau hat sich im Strafver-
fahren auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen) stellt
zumindest das Verbringen des Fahrzeugs nach B. und die
anschließende Aufbewahrung des Fahrzeugs in Kenntnis
der Fahndungsausschreibung des Fahrzeugs und des
Umstandes, dass er selbst im Dezember 2009 durch die
Polizei zum Verbleib des Fahrzeugs befragt wurde, eine
schuldhafte soldatische Pflichtverletzung nach § 17 Abs. 2
Satz 2 SG dar, deren Gewichtung hinsichtlich Art und Hö-
he einer zu erwartenden Disziplinarmaßnahme gesondert
unter Betrachtung der Gesamtumstände der Trennungs-
auseinandersetzung zu bewerten sein wird.“
3. In dem zu Anschuldigungspunkt 1 sachgleichen Strafverfahren war der Sol-
dat durch das Amtsgericht C. mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 9. Dezember
2011 (…) wegen Diebstahls des Wechselkennzeichens zu einer Geldstrafe von
40 Tagessätzen zu 60 € verurteilt worden. Mit gleichzeitig rechtskräftig gewor-
denem Beschluss des Amtsgerichts C. vom 10. Mai 2012 wurde die Tagessatz-
höhe auf 35 € reduziert.
ln dem zu den Anschuldigungspunkten 2 und 3 sachgleichen Strafverfahren war
der Soldat durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts G. vom 16. April 2012
wegen Urkundenfälschung in zwei Fällen, in einem Fall tateinheitlich mit einem
Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz, zu einer Gesamtgeldstrafe in
Höhe von 70 Tagessätzen zu je 50 € verurteilt worden. Das Verfahren wegen
des Diebstahls des Audi war nach § 153a StPO gegen eine Zahlung von 500 €
eingestellt worden.
Durch Beschluss des Amtsgerichts G. vom 17. Januar 2013 erfolgte eine Ge-
samtstrafenbildung zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 35 €.
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4. Das Truppendienstgericht hat den Soldaten durch Urteil vom 10. Januar
2013 in den Dienstgrad eines Feldwebels herabgesetzt und die Frist zur Wie-
derbeförderung auf zwei Jahre verkürzt.
In tatsächlicher Hinsicht stellte es zum Anschuldigungspunkt 1 fest, der Soldat
habe eingeräumt, zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im Zeit-
raum April bis September 2010 das Wechselkennzeichen mit dem amtlichen
Kennzeichen … aus dem Bestand des Kommandos … entnommen, es mit nach
Hause genommen und an seinen VW-… mit dem Kennzeichen … montiert zu
haben. Vom 1. April 2010 bis 30. September 2010 sei der Soldat neben seinen
originären Aufgaben zusätzlich als Gehilfe des Sicherheitsbeauftragten … mit
der Verwaltung und dem Nachweis von Wechselkennzeichen (eingeschlossen
Aus- und Rückgabe) beauftragt gewesen. Er habe zu diesem Zeitpunkt ohne
Beteiligung weiterer Personen Zugang zu den Wechselkennzeichen des … ge-
habt. Auf eine förmliche Bestellung des Soldaten als Sicherheitsverantwortlicher
sei jedoch wegen dessen fehlender Ausbildung verzichtet worden.
Hinsichtlich des Anschuldigungspunktes 2 stehe aufgrund der folgenden bin-
denden Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts G. vom 16. April 2012 fest:
„Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im
Sommer 2010 montierte der Angeklagte die amtlichen
Kennzeichen … an seinen VW .... Bei diesem Kennzei-
chen handelte es sich um Tarnkennzeichen der Bundes-
wehr, für deren Verwendung er keine Berechtigung hatte.
Der Angeklagte legte mit diesem Kennzeichen am Fahr-
zeug eine Strecke von ca. 2 000 km zurück.“
Ebenso stehe zum Anschuldigungspunkt 3 aufgrund der folgenden bindenden
Feststellungen des Amtsgerichts G. in seinem Urteil vom 16. April 2012 fest:
„Der Angeklagte nahm zu einem nicht mehr genau fest-
stellbaren Zeitpunkt im Frühjahr 2010 den schwarzen Audi
…, amtliches Kennzeichen …, mittels eines Ersatzschlüs-
sels an sich und fuhr sodann nach B. Das Auto war jeden-
falls im Besitz seiner damals getrennt lebenden, heute ge-
schiedenen Ehefrau.
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Danach hat der Angeklagte das Fahrzeug mit dem amtli-
chen Kennzeichen … versehen, welche für einen, auf ihn
zugelassenen VW … ausgegeben waren. Er nutzte diese
Kennzeichen, um den Eindruck einer ordnungsgemäßen
Anmeldung des Fahrzeugs zu erwecken. Der Angeklagte
hat das von der Zeugin S. bereits abgemeldete Fahrzeug
weder neu angemeldet noch haftpflichtversichert. Er legte
mit dieser Kombination von Fahrzeug und Kennzeichen
ca. 30 000 km zurück. Unter anderem fuhr der Angeklagte
am 05.09.2011 gegen 01.15 Uhr mit diesem Audi … auf
der …straße in … B.“
Der Soldat habe diese Sachverhalte vollumfänglich eingeräumt, sein Verhalten
zu allen Anschuldigungspunkten jedoch damit zu erklären versucht, sich in ei-
ner Notlage befunden zu haben. Das Wechselkennzeichen habe er auf seinen
VW … montiert, weil ihm das Hin- und Hermontieren des Kennzeichens vom
Audi auf den VW … zu lästig geworden sei. Im Übrigen sei er davon ausgegan-
gen, dass der Audi durch ihn im Straßenverkehr habe geführt werden dürfen,
da er mit einem ordnungsgemäßen Kennzeichen versehen gewesen sei.
Diese Einlassungen würden das Handeln des Soldaten weder rechtfertigen
noch erklären. Die Auffassung, er habe sich in einer Notlage befunden, entbeh-
re jeder Grundlage. Der Soldat habe vielmehr aus purem Eigennutz und Be-
quemlichkeit das Wechselkennzeichen aus den Beständen der Bundeswehr
entwendet und auf seinen Pkw montiert. Gleiches gelte für das Ummontieren
des Kennzeichens seines VW-… auf den Audi. Auch die Einlassung hinsichtlich
der bestehenden Pflichtversicherung für den Audi entbehre jeder Grundlage. Es
handele sich um reine Schutzbehauptungen.
Der Soldat habe durch sein Fehlverhalten nicht nur Strafgesetze verletzt, son-
dern darüber hinaus jeweils vorsätzlich auch die Pflicht zu treuem Dienen ge-
mäß § 7 SG (Anschuldigungspunkte 1 und 2), die Pflicht zu achtungsvollem
Verhalten innerhalb des Dienstes gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG (An-
schuldigungspunkt 1) sowie außerhalb des Dienstes gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2
Alt. 2 SG (Anschuldigungspunkte 2 und 3).
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Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme sei zu beachten, dass das
Dienstvergehen äußerst schwerwiegend sei. Dabei falle auch ins Gewicht, dass
der Soldat nicht nur in Bezug auf die entwendeten Wechselkennzeichen, son-
dern auch durch die Montage dieser Wechselkennzeichen auf seinen VW-…
und die Ummontierung des Kennzeichens seines VW … auf den nicht zugelas-
senen Audi Strafgesetze verletzt habe. Der Soldat habe damit ein hohes Maß
an Bedenkenlosigkeit im Hinblick auf die Rechtsordnung gezeigt. Ein solches
Verhalten sei Beleg für mangelnde Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit
des Soldaten und stelle dessen persönliche Integrität und Aufrichtigkeit in Fra-
ge. Dazu trete erschwerend, dass es sich um zwei Fälle der Urkundenfälschung
und er als Vorgesetzter gehandelt habe.
Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bilde eine Dienstgradherabset-
zung. An der Höhe des Schadens anzuknüpfen sei vorliegend nicht sachge-
recht. Die Schwere des Dienstvergehens ergebe sich daraus, dass es sich bei
den Wechselkennzeichen um ein besonders hohes Gut gehandelt habe. Auch
wenn im Hinblick auf das Anvertrautsein die disziplinare Höchstmaßnahme in
Betracht zu ziehen sei, sei sie deshalb nicht auszusprechen, weil keine förmli-
che Bestellung des Soldaten als Gehilfe des Sicherheitsbeauftragten erfolgt sei.
Zu Gunsten des Soldaten sei zu berücksichtigen, dass dieser in seiner Dienst-
zeit sehr ordentliche dienstliche Leistungen gezeigt habe. Auch dass beide
Leumundszeugen ihr fortstehendes Vertrauen zu dem Soldaten bekundet hät-
ten, falle positiv ins Gewicht. Jedoch sei zu Lasten des Soldaten zu berücksich-
tigen, dass er wegen des Vorkommnisses von seinem originären Dienstposten
als Ausbilder habe abgelöst werden müssen und die auszubildenden Soldaten
von den Vorkommnissen Kenntnis erhalten hätten. Im Hinblick auf die verschie-
denen strafrechtlich relevanten Rechtsverstöße und die lange Dauer des straf-
bewehrten Handelns sei eine Dienstgradherabsetzung in den Dienstgrad eines
Oberfeldwebels nicht ausreichend, vielmehr eine Herabsetzung in den Dienst-
grad eines Feldwebels erforderlich. Angesichts der Aussagen der Leumunds-
zeugen und der bisher gezeigten dienstlichen Leistungen sei es allerdings ver-
tretbar ist, die Frist für die Wiederbeförderung auf zwei Jahre zu verkürzen.
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5. Gegen das dem Soldaten am 21. Januar 2003 zugestellte Urteil hat dieser
am 18. Februar 2013 in vollem Umfang Berufung einlegen lassen und bean-
tragt, ihn zu einer milderen Disziplinarmaßnahme zu verurteilen.
Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, vom äußeren Ablauf her würden
die Anschuldigungen zwar zutreffen; das Truppendienstgericht habe jedoch zu
seinen Lasten unzutreffende maßnahmeverschärfende Feststellungen getrof-
fen. Darüber hinaus seien maßnahmemildernde Umstände nicht angemessen
berücksichtigt worden.
Die angeschuldigten Vorgänge seien im Zusammenhang zu betrachten: Im
Spätsommer des Jahres 2009 habe seine frühere Ehefrau im Rahmen der ehe-
lichen Trennungsauseinandersetzungen auch den Audi an sich genommen, als
dessen Eigentümer er sich angesehen habe. Im Frühjahr 2010 habe er den Au-
di zufällig in W. entdeckt. Er sei etwa eine Woche später nochmals dorthin ge-
fahren und habe den Audi mit einem Zweitschlüssel nach B. verbracht. Das
Fahrzeug habe dort mehrere Monate ungenutzt gestanden. Der von ihm ge-
nutzte VW … sei wiederholt defekt gewesen und habe in die Werkstatt gebracht
werden müssen. In dieser Situation sei er auf den Gedanken gekommen, den
Audi zu nutzen. Ohne sich nähere Gedanken über die rechtliche Situation zu
machen, habe er die Kennzeichen des Passat an den Audi montiert. In der Fol-
gezeit habe er den Audi, wenn der Passat wieder einmal defekt gewesen sei,
genutzt.
Im Laufe des Jahres 2010 sei er ferner auf die Idee gekommen, dass er dienst-
liche Wechselkennzeichen dazu nutzen könne, um das ständige, umständliche
Umtauschen der Kennzeichen am Passat und am Audi zu vermeiden. Er habe
daher die Wechselkennzeichen … in der Absicht an sich genommen, sie zu-
rückzuführen, sobald der technische Mangel am Passat endgültig beseitigt und
der Wagen wieder nutzbar sei. In der Berufungshauptverhandlung hat der Sol-
dat zusätzlich ausgeführt, er habe beabsichtigt, die Kennzeichen anlässlich ei-
ner für Oktober 2010 anberaumten Besprechung wieder zurückzugeben.
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Zu den Wechselkennzeichen hätten vier Kameraden selbstständig Zugang ge-
habt. Er sei Gehilfe des Sicherheitsbeauftragten gewesen, dazu allerdings nicht
förmlich bestellt worden. Die Herabsetzung in den Dienstgrad sei unangemes-
sen, zumal die Straftaten ausweislich des Strafausspruchs nicht schwer wögen.
Zudem sei er sich nicht bewusst gewesen, durch die Verwendung der Kennzei-
chen eine Urkundenfälschung zu begehen. Die Ausgabe der Wechselkennzei-
chen sei nicht an besonders strenge Voraussetzungen geknüpft gewesen. Er
habe im Gegenteil eine äußerst laxe und durch das Fehlen jeglicher Dienstauf-
sicht gekennzeichnete Praxis angetroffen. Der Materialwert der Kennzeichen
bewege sich im Bagatellbereich. Anders als im truppendienstgerichtlichen Urteil
vertreten, sei auf deren Sachwert abzustellen. Im Übrigen habe er immer beab-
sichtigt, die Kennzeichen zurückzugeben. Letztlich habe ein furtum usus vorge-
legen. Das Truppendienstgericht habe zu Unrecht festgestellt, dass er von sei-
nem originären Dienstposten als Ausbilder abgelöst worden sei, weil aufgrund
seiner Vorführung durch die Feldjäger die auszubildenden Soldaten von den
Vorkommnissen Kenntnis erlangt hätten. Zudem hätte er ohne diese Ablösung
seine Ausbildertätigkeit nicht mehr wahrnehmen können, weil er zwei Wochen
später wegen einer Knieoperation ohnehin ausgefallen wäre. Die Leumunds-
zeugen hätten seine Persönlichkeit zutreffend gewürdigt und eine hervorragen-
de Nachbewährung liege vor. Hinzu trete sein ehrenamtliches Engagement in
der Jugendarbeit. Es sei ihm nicht darauf angekommen, sich zu Lasten des
Dienstherrn zu bereichern. Er habe in der Verwendung der Wechselkennzei-
chen lediglich eine Möglichkeit der einfacheren Handhabung gesehen.
III
1. Die von dem Soldaten gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und
Abs. 2 WDO eingelegte Berufung ist form- und fristgerecht erfolgt. Da die Beru-
fung ausschließlich vom Soldaten eingelegt wurde, ist der Senat an das Ver-
schlechterungsverbot gebunden (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 StPO).
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2. Das Rechtsmittel ist von dem Soldaten in vollem Umfang eingelegt worden.
Der Senat hat daher im Rahmen der Anschuldigung (a) auf der Grundlage ei-
nes ohne schwere Fehler durchgeführten Verfahrens (b) eigene Tat- und
Schuldfeststellungen zu treffen (c), diese rechtlich zu würdigen (d) sowie über
die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden (e).
a) Die Anschuldigungsschrift bedarf im Hinblick auf Anschuldigungspunkt 3
(2. Absatz) der Auslegung, da sich die Formulierung, der Soldat habe den Audi
„an sich genommen“, von dem in Ziffer 1 der Einleitungsverfügung angeschul-
digten Verhalten unterscheidet. In ihr wird dem Soldaten vorgehalten, das Fahr-
zeug „entwendet(e)“ zu haben, wodurch der Vorwurf eines Diebstahls in den
Raum gestellt wird.
Gemäß § 123 Satz 3 WDO i.V.m. § 107 Abs. 1 WDO dürfen zum Gegenstand
der Urteilsfindung nur solche Pflichtverletzungen gemacht werden, die in der
Anschuldigungsschrift dem Soldaten als Dienstvergehen zur Last gelegt worden
sind. Die Anschuldigungsschrift muss dabei gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 WDO
die Tatsachen, in denen ein schuldhaftes Dienstvergehen erblickt wird, und die
Beweismittel geordnet darstellen. Der dem Soldaten gegenüber erhobene Vor-
wurf muss in der Anschuldigungsschrift so deutlich und klar sein, dass dieser
sich mit seiner Verteidigung darauf einstellen kann. Bei Zweifeln über Gegen-
stand und Umfang des in der Anschuldigungsschrift zur Last gelegten Fehlver-
haltens ist die Anschuldigungsschrift aus der Sicht des Empfängers, wie sie bei
objektiver Betrachtungsweise zu verstehen ist, auszulegen. Verbleiben insoweit
Zweifel, fehlt es an einer Anschuldigung im Sinne des § 99 Abs. 1 WDO (vgl.
Urteil vom 16. Mai 2013 - BVerwG 2 WD 1.12 - juris Rn. 30 m.w.N.).
Aus der Sicht des Empfängers ist die Anschuldigungsschrift in Ziffer 3 (2. Ab-
satz) bei objektiver Betrachtungsweise dahingehend zu verstehen ist, dass der
Soldat nicht angeschuldigt worden ist, das Fahrzeug gestohlen, sondern es in
strafrechtlich irrelevanter Weise an sich gebracht zu haben. Dies folgt daraus,
dass die Wehrdisziplinaranwaltschaft in der Anschuldigungsschrift den Vorwurf
nicht mehr wie in der Einleitungsverfügung dahingehend fasst, der Soldat habe
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das Fahrzeug „entwendet“, womit nach allgemeinem Sprachgebrauch ein Dieb-
stahl bezeichnet wird. Dass sie mit der Abkehr von dieser Formulierung und
dem Übergang zur Formulierung, der Soldat habe das Fahrzeug „an sich ge-
nommen“, die Anschuldigung reduziert hat, wird auch an den Ausführungen im
wesentlichen Ermittlungsergebnis (der Anschuldigungsschrift) deutlich, das bei
der Auslegung mit heranzuziehen ist (vgl. Urteil vom 18. September 2003
- BVerwG 2 WD 3.03 - BVerwGE 119, 76 <80> = NZWehrr 2005, 122 m.w.N.).
Dort ist ausgeführt, „Ungeachtet nicht abschließend zu klärender Fragen der Ei-
gentumsverhältnisse an dem in Rede stehenden Audi … im Hinblick auf die
Erfüllung der Tatbestandsmerkmale des § 242 StGB … (stelle) zumindest das
Verbringen des Fahrzeugs nach B. und die anschließende Aufbewahrung des
Fahrzeugs … eine schuldhafte soldatische Pflichtverletzung ... dar“.
Dass die Wehrdisziplinaranwaltschaft mit dem Wechsel der Formulierung in
Anschuldigungspunkt 3 vom Vorwurf eines Diebstahls abrücken wollte, wird zu-
dem aus einem Vergleich mit Ziffer 1 der Anschuldigungsschrift deutlich. Dort
ist übereinstimmend mit Ziffer 3 der Einleitungsverfügung und unverändert da-
von die Rede, der Soldat habe Wechselkennzeichen „entwendet“.
b) Das disziplinargerichtliche Verfahren leidet auch an keinem wesentlichen
Verfahrensmangel, obgleich der Soldat nach der Schlussanhörung am 28. Au-
gust 2012 noch Unterlagen übermittelt hat, die den Nachweis über die wahren
Eigentumsverhältnisse am Audi … erbringen sollten, und die Wehrdisziplinar-
anwaltschaft sowohl vom Amtsgericht G. als auch von der Staatsanwaltschaft
T. Informationen angefordert hat. Nimmt der Wehrdisziplinaranwalt nach einer
als Schlussanhörung im Sinne des § 97 Abs. 3 Satz 1 WDO vorgesehenen
Vernehmung erneut Ermittlungen auf, hat er den Soldaten nach dem (endgülti-
gen) Abschluss dieser Ermittlungen erneut - nunmehr abschließend - zu hören
(so Beschlüsse vom 12. April 2006 - BVerwG 2 WDB 3.05 - Buchholz 450.2
§ 97 WDO 2002 Nr. 1 und vom 29. Dezember 2012 - BVerwG 2 WD 8.12 - juris
Rn. 19). Dass dies hier unterblieb, musste den Vorsitzenden der Truppen-
dienstkammer aber nicht nach § 99 Abs. 3 Satz 1 WDO veranlassen, auf eine
Nachholung hinzuwirken. Da die Strafverfolgungsbehörden nicht reagiert ha-
ben, erbrachten die Anfragen keine neuen Erkenntnisse. Dies gilt auch für die
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vom Soldat der Wehrdisziplinaranwaltschaft selbst übermittelten und ihm somit
bekannten Unterlagen. Soweit die Wehrdisziplinaranwaltschaft aus ihnen recht-
liche Folgerungen zog, folgt auch daraus nicht das Erfordernis einer erneuten
Schlussanhörung, weil die rechtlichen Folgerungen für den Soldaten aus-
schließlich vorteilhaft waren. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft rückte nach Aus-
wertung der Unterlagen von dem Vorwurf ab, der Soldat habe das Fahrzeug ge-
stohlen (vgl. 2. a).
c) In tatsächlicher Hinsicht steht zur Überzeugung des Senats fest:
aa) Der Soldat nahm im Zeitraum April bis September 2010, in dem er als Ge-
hilfe des Sicherheitsbeauftragten des Kommandos …, …, tätig war, wissentlich
und willentlich das Wechselkennzeichen … aus dem Bestand des Kommandos
in der Absicht an sich, es sich rechtswidrig zuzueignen. Zu diesem Zeitpunkt
umfasste der Aufgabenbereich des Soldaten auch die Ausgabe und die Rück-
nahme von Wechselkennzeichen. Eine förmliche Bestellung als Gehilfe des Si-
cherheitsbeauftragten war nicht erfolgt.
Die Feststellung beruht auf der weitgehend geständigen Einlassung des Sol-
daten, an deren Wahrheitsgehalt kein Zweifel besteht. Soweit es die Feststel-
lung des Aufgabenbereichs des Soldaten betraf, beruht die Feststellung zusätz-
lich auf der durch Verlesen in die Berufungshauptverhandlung eingeführten
Stellungnahme des Hauptmanns G. vom 28. November 2011.
Soweit der Soldat im Berufungsverfahren seine Zueignungsabsicht in Abrede
und in der Berufungshauptverhandlung zudem einen konkreten Besprechungs-
termin als Rückgabetermin für die Wechselkennzeichen in den Raum gestellt
hat, liegt zum einen ein gesteigerter Vortrag vor, der ihn insoweit unglaubhaft
werden lässt; dies gilt umso mehr, als der Soldat in der Verhandlung vor dem
Truppendienstgericht erst auf gerichtliche Nachfrage erklärt hatte, er hätte die
Kennzeichen „einfach (wieder) abgegeben“. Zum anderen ist die - im Rahmen
des Berufungsverfahrens - erklärte Absicht, die Wechselkennzeichen dann zu-
rückbringen zu wollen, wenn der VW wieder problemlos nutzbar sei, vage und
deshalb schon aus Rechtsgründen nicht geeignet, die Zueignungsabsicht aus-
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zuschließen. Ein furtum usus, auf den sich der Soldat nunmehr stützt, liegt le-
diglich bei einer nur vorübergehenden Gebrauchsabsicht vor (Fischer, StGB,
61. Aufl. 2014, § 242 Rn. 38). Dabei ist auf den Willen des Täters zur alsbaldi-
gen Rückführung abzustellen. An einem Willen zur alsbaldigen Rückführung
fehlte es zur Überzeugung des Senats jedoch bei dem Soldaten, weil er die im
September 2010 aus dem Bestand des Kommandos entfernten Wechselkenn-
zeichen erst nach der Aufdeckung der Tat durch die Polizei im September 2011
wieder zurückgegeben hat. Angesichts eines Rückgabezeitraums von mindes-
tens einem Jahr, der sich zudem nur wegen der Aufdeckung der Tat auf diesen
Umfang beschränkte, ist der Vortrag nicht nur unglaubhaft, sondern auch unge-
eignet, die Zueignungsabsicht entfallen zu lassen.
bb) Nach den gem. § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO für den Senat bindenden Feststel-
lungen des Amtsgerichts G. vom 16. April 2012, an deren Richtigkeit keine
Zweifel bestehen, sowie aufgrund der geständigen Einlassung des Soldaten
steht zum Anschuldigungspunkt 2 fest, dass dieser zu einem nicht mehr genau
feststellbaren Zeitpunkt im Sommer 2010 die amtlichen Wechselkennzeichen …
wissentlich und willentlich an seinen VW … mit dem amtlichen Kennzeichen …
in dem Wissen um die fehlende Berechtigung dazu anmontiert und mit diesen
Kennzeichen am Fahrzeug eine Strecke von ca. 2 000 km zurückgelegt hat.
cc) Nach den gem. § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO für den Senat bindenden Feststel-
lungen des Amtsgerichts G. vom 16. April 2012, an deren Richtigkeit keine
Zweifel bestehen, sowie aufgrund der geständigen Einlassung des Soldaten
steht zum Anschuldigungspunkt 3 (1. Absatz) ferner fest, dass der Soldat den
Audi …, amtliches Kennzeichen …, welcher weder angemeldet noch haftpflicht-
versichert war, wissentlich und willentlich mit den amtlichen, für den auf ihn zu-
gelassenen VW … ausgegebenen Kennzeichen … versehen und damit ca.
30 000 km zurückgelegt hat.
dd) Aufgrund der geständigen Einlassung des Soldaten steht ferner fest, dass
der Soldat zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im Frühjahr 2010
den schwarzen Audi …, amtliches Kennzeichen …, mittels eines Ersatzschlüs-
sels wissentlich und willentlich an sich gebracht und nach B. gefahren hat, ob-
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wohl das Auto sich jedenfalls nach der Trennung zunächst im Besitz seiner von
ihm damals getrennt lebenden (früheren) Ehefrau befand. Eine Bindung des
Senats an die diesbezüglichen Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts G.
vom 16. April 2012 bestand gem. § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO nicht, weil das Ver-
fahren bezüglich dieses Vorwurfs zuvor durch Beschluss des Amtsgerichts vom
16. April 2012 nach § 153a StPO vorläufig eingestellt worden war und das Urteil
insoweit nicht auf diese Feststellungen beruht.
d) Der Soldat hat durch sein Verhalten ein Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 SG
begangen.
aa) Er hat durch das zu Anschuldigungspunkt 1 festgestellte Verhalten wissent-
lich und willentlich, mithin vorsätzlich, gegen § 7 SG verstoßen. Er verpflichtet
auch zur Loyalität gegenüber der Rechtsordnung, insbesondere zur Wahrung
der Strafgesetze (Urteil vom 13. Dezember 2012 - BVerwG 2 WD 29.11 -
BVerwGE 145, 269 = Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 42, jeweils Rn. 49).
Dabei muss es sich um einen Rechtsverstoß von Gewicht handeln, der zudem
in einem Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis steht (Urteile vom 24. April
2007 - BVerwG 2 WD 9.06 - BVerwGE 128, 319 = Buchholz 449 § 10 SG
Nr. 57, jeweils Rn. 41, vom 25. September 2008 - BVerwG 2 WD 19.07 - Buch-
holz 449 § 17 SG Nr. 42 Rn. 32 = NZWehrr 2009, 73 und vom 13. Februar 2014
- BVerwG 2 WD 4.13 - Rn. 34). Ein solcher Verstoß liegt vor, da der Soldat den
Straftatbestand des § 242 Abs. 1 StGB verwirklicht und sich das Fehlverhalten
unmittelbar gegen den Dienstherrn gerichtet hat.
Darüber hinaus hat der Soldat gegen § 17 Abs. 2 Satz 1 SG verstoßen.
bb) Er hat ferner durch das zu Anschuldigungspunkt 2 festgestellte Verhalten
wissentlich und willentlich, mithin vorsätzlich, gegen § 17 Abs. 2 Satz 2 SG ver-
stoßen.
(1) Ein außerdienstliches Dienstvergehen liegt vor, da der Soldat das Verhalten
sowohl außer Dienst als auch außerhalb dienstlicher Unterkünfte und Anlagen
zeitigte (zum kumulativen Erfordernis: Urteil vom 14. Oktober 2009 - BVerwG
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2 WD 16.08 - Buchholz 449 § 17 SG Nr. 43 Rn. 39). Dass er dabei die im Ei-
gentum des Bundes stehenden Wechselkennzeichen einsetzte, lässt die
Pflichtverletzung nicht zu einer innerdienstlichen im Sinne des § 17 Abs. 2
Satz 1 SG werden. Dies widerspräche nicht nur dem Gesetzeswortlaut, der
ausschließlich an das originär dienstliche Verhalten des Soldaten sowie an
dessen dienstlich geprägten Aufenthaltsbereich anknüpft, sondern auch der im
Zusammenhang mit dem Anschuldigungspunkt 3 dargelegten gesetzgeberi-
schen Intention. Beides verbietet, aus dem Einsatz dienstlichen Materials einen
dienstlichen Bezug im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 SG abzuleiten. Dazu sind
ebenfalls nicht die Rückwirkungen des Fehlverhaltens auf den Dienstherrn ge-
eignet (vgl. Urteil vom 25. September 2008 a.a.O. Rn. 33 m.w.N.).
Die Verwendung der Wechselkennzeichen stellt jedoch einen Bezug zum
Dienst her und verleiht dem außerdienstlichen Verhalten damit disziplinarische
Relevanz.
Dabei kommt es bei dem Verstoß gegen § 17 Abs. 2 Satz 2 SG nicht darauf an,
ob eine Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr oder der Achtungs-
und Vertrauenswürdigkeit im konkreten Fall tatsächlich eingetreten ist. Es reicht
vielmehr aus, dass das Verhalten geeignet war, eine solche Wirkung auszulö-
sen. Denn die Vorschrift stellt allein auf das Verhalten des betreffenden Sol-
daten ab, ohne dass es für das Vorliegen einer Dienstpflichtverletzung auf den
konkreten Eintritt einer solchen Beeinträchtigung ankommt. Die Achtungs- und
Vertrauenswürdigkeit eines Soldaten kann durch sein Verhalten schon dann
Schaden nehmen, wenn dieses Zweifel an seiner Redlichkeit und Zuverlässig-
keit weckt oder seine Eignung für die jeweilige Verwendung in Frage stellt (vgl.
Urteil vom 25. September 2008 a.a.O. Rn. 28 m.w.N.). Dies ist der Fall.
(2) Ein Verstoß auch gegen § 7 SG in Gestalt eines Verstoßes gegen die Loya-
lität zur Rechtsordnung liegt hingegen nicht vor. § 17 Abs. 2 Satz 2 SG bildet
eine abschließende Regelung für Verfehlungen strafrechtlichen Gehalts außer-
halb des Dienstes und außerhalb dienstlicher Unterkünfte und Anlagen. Der
Gesetzgeber bezweckte mit dem Begriff der „ernsthaften“ Beeinträchtigung in
§ 17 Abs. 2 Satz 2 SG - wie nachfolgend im Zusammenhang mit Anschuldi-
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gungspunkt 3 dargelegt - eine disziplinarisch restriktive Erfassung außerdienst-
lichen Fehlverhaltens und nimmt strafrechtlich relevantes Verhalten davon nicht
aus.
cc) Sofern es das wissentliche und willentliche Anbringen des für den VW …
vorgesehenen Kennzeichens an den Audi betrifft, hat der Soldat ebenfalls vor-
sätzlich gegen § 17 Abs. 2 Satz 2 SG verstoßen. Ein außerdienstliches Verhal-
ten liegt vor, da der Soldat das Verhalten sowohl außer Dienst als auch außer-
halb dienstlicher Unterkünfte und Anlagen zeitigte.
Das Verhalten war auch geeignet, die Achtung und das Vertrauen, die die
dienstliche Stellung des Soldaten erfordert, i.S.d. § 17 Abs. 2 Satz 2 SG ernst-
haft zu beeinträchtigen und damit disziplinarwürdig.
(1) Die Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit eines Soldaten können durch ein
Verhalten schon dann Schaden nehmen, wenn dieses Zweifel an seiner Red-
lichkeit und Zuverlässigkeit weckt oder dessen Eignung für die jeweilige Ver-
wendung in Frage stellt. Dies ist bei strafrechtlich relevantem Verhalten eines
Soldaten auch außerhalb des Dienstes in Betracht zu ziehen (Urteile vom
25. September 2007 - BVerwG 2 WD 19.06 - juris Rn. 36 m.w.N. und vom
21. Juni 2011 - BVerwG 2 WD 10.10 - Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 8
Rn. 23 m.w.N.; vgl. auch Beschluss vom 23. Januar 2014 - BVerwG 2 B 52.13 -
juris Rn. 7).
(2) Der Begriff der „ernsthaften“ Beeinträchtigung im Sinne des § 17 Abs. 2
Satz 2 SG verlangt indes, nicht jeden Verstoß gegen mit Freiheits- oder Geld-
strafe bewehrte Strafgesetze als ernsthafte Beeinträchtigung der Achtungs- und
Vertrauenswürdigkeit eines Soldaten anzusehen (Urteile vom 30. August 2000
- BVerwG 1 D 37.99 - BVerwGE 112, 19 <24 f.> sowie vom 24. April 2007
- BVerwG 2 WD 9.06 - BVerwGE 128, 319 = Buchholz 449 § 10 SG Nr. 57, je-
weils Rn. 41). Soweit der Senat in der Vergangenheit dem § 17 Abs. 2 Satz 2
SG die Dienstpflicht entnommen hatte, „außerhalb des Dienstes keine mit Frei-
heits- oder Geldstrafe bedrohten Straftaten zu begehen“ (vgl. etwa Urteil vom
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25. September 2008 - 2 WD 19.07 - Buchholz 449 § 17 SG Nr. 42 Rn. 32 =
NZWehrr 2009, 73 zu § 7 SG), hält er daran nicht fest.
Auslegungsleitend ist dabei die Erwägung, dass Satz 2 des § 17 Abs. 2 SG
durch Art. IV Nr. 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Wehrdisziplinarrechts
vom 21. August 1972 (BGBl. I S. 1481) eingefügt wurde. Ausweislich der Ge-
setzesbegründung entspricht die Vorschrift inhaltlich dem durch Art. II § 2
Nr. 3 a) des Gesetzes zur Neuordnung des Bundesdisziplinarrechts vom
20. Juli 1967 (BGBl. I S. 725) eingefügten § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG, demzufolge
ein außerdienstliches Fehlverhalten nur noch unter den seinerzeit verschärften
Anforderungen tatbestandlich ein Dienstvergehen bilden soll (zum Beamtendis-
ziplinarrecht: BTDrucks V/1693 S. 10 i.V.m. BTDrucks V/313, dort Nr. 2, sowie
Urteil vom 30. August 2000 a.a.O. <24 ff.>). Die frühere Auffassung von der
sehr weitgehenden Wohlverhaltenspflicht auch außer Dienst sollte danach ähn-
lich wie im Beamtenrecht mit der Gesetzesänderung auch für das Soldatenrecht
als nicht mehr zeitgemäß aufgegeben werden. Dass die Frage des außerdienst-
lichen Fehlverhaltens nicht wie für das Beamtenrecht in den Bestimmungen
zum allgemeinen Tatbestand des Dienstvergehens (§ 77 BBG) in § 23 SG,
sondern in § 17 Abs. 2 SG geregelt wurde, ist nach der Gesetzesbegründung
zwar darauf zurückzuführen, dass der Soldat im Gegensatz zu Beamten in Ge-
meinschaftsunterkünften wohnt und in den militärischen Unterkünften und Anla-
gen auch außer Dienst die Aufrechterhaltung von Disziplin und Ordnung, insbe-
sondere die Befolgung von Befehlen und die Achtung der Kameradschafts-
pflicht, gewährleistet sein muss. Im Übrigen sollte aber durch die Einbeziehung
des Satzes 2 in § 17 Abs. 2 SG der Grundsatz unberührt bleiben, dass der Sol-
dat nicht mehr wegen jedes Fehlverhaltens im privaten Bereich disziplinarisch
zur Verantwortung gezogen werden soll (vgl. BTDrucks VI/1834 S. 71; vgl. auch
Jahresbericht des Wehrbeauftragten 1967, BTDrucks V/2948).
(3) Die auf eine disziplinarisch restriktive Erfassung außerdienstlichen Verhal-
tens abzielende Gesetzesänderung strahlt darauf aus, in welchem Umfang au-
ßerdienstliches, strafrechtlich relevantes Verhalten, das keinen (sonstigen) Be-
zug zur Dienstausübung aufweist, eine ernsthafte Beeinträchtigung i.S.d. § 17
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Abs. 2 Satz 2 SG erwarten lässt (vgl. bereits Urteil vom 4. Juni 1980 - BVerwG
2 WD 55.79 - BVerwGE 73, 15 <18> = NZWehrr 1981, 28).
Die aus einem Verstoß gegen die Strafrechtsordnung resultierenden Zweifel an
der Rechtstreue eines Soldaten und damit seiner Achtungs- und Vertrauens-
würdigkeit sind umso größer, je höher die Sanktionsdrohung ist, über die sich
das vorgeworfene Verhalten hinwegsetzt. Daher bietet der Strafrahmen der ver-
letzten Norm des Strafgesetzbuches einen Anhalt für die Bestimmung der Dis-
ziplinarwürdigkeit der außerdienstlichen Straftat. Das gesetzgeberische Ziel ei-
ner restriktiven Erfassung außerdienstlichen Fehlverhaltens wäre aber nicht zu
erreichen, wenn ein Strafrahmen, der Freiheitsstrafen auch in geringer Höhe
erlaubt, bereits für sich genommen die Disziplinarwürdigkeit des Verhaltens be-
gründen könnte. Andernfalls könnte nämlich schon jede Beleidigung gemäß
§ 185 StGB im privaten Bereich das Erfordernis disziplinarer Ermittlungen nach
sich ziehen. Lässt der Sanktionsrahmen der Strafnorm dagegen eine Freiheits-
strafe im mittleren Bereich zu, kommt hierin die Einschätzung des Gesetzge-
bers zum Ausdruck, dass die Tat einen auch im Vergleich mit anderen Strafta-
ten erhöhten Unrechtsgehalt hat. Wer eine derart schwerwiegende Straftat be-
geht, beeinträchtigt schon damit seine Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit
ernsthaft. Erlaubt der Strafrahmen eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren, kann
hieraus bereits die Disziplinarwürdigkeit des außerdienstlichen Fehlverhaltens
folgen (vgl. für das Beamtendisziplinarrecht: Urteil vom 28. Juli 2011 - BVerwG
2 C 16.10 - BVerwGE 140, 185 = Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 18, jeweils
Rn. 24).
Erlaubt die Sanktionsdrohung der Strafrechtsnorm noch keine Freiheitsstrafe im
mittleren Bereich, bedarf es zur Begründung einer allein aus Zweifeln an der
Rechtstreue des Soldaten resultierenden Disziplinarwürdigkeit außerdienstli-
chen Fehlverhaltens zusätzlicher Umstände. Negative Rückschlüsse auf die
Integrität, die dienstliche Zuverlässigkeit und die Verwendbarkeit eines Soldaten
können sich auch aus den Umständen der Begehung des Dienstvergehens er-
geben. Insbesondere kann der Wiederholung eines mit einer geringeren Sank-
tionsdrohung bewehrten strafbaren Verhaltens oder einer einschlägigen Vorbe-
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lastung Rechnung zu tragen sein (vgl. für das Beamtendisziplinarrecht: Be-
schluss vom 11. Februar 2014 - BVerwG 2 B 37.12 - juris Rn. 29).
(4) Das Verhalten des Soldaten ist folglich disziplinarwürdig.
Der Soldat hat den Straftatbestand einer Urkundenfälschung nach § 267 Abs. 1
StGB verwirklicht, die mit einer Geld- oder aber einer Freiheitsstrafe bis zu fünf
Jahren geahndet werden kann, womit er sich im Bereich der (mittel)schweren
Strafandrohung bewegt (vgl. Urteil vom 19. August 2010 - BVerwG 2 C 13.10 -
Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 12 Rn. 17). Soweit der Soldat gegen die vom Se-
nat geteilte strafrechtliche Würdigung seines Verhaltens durch das Amtsgericht
G. einwendet, er sei sich nicht bewusst gewesen, mit seinem Verhalten diesen
Straftatbestand zu verwirklichen, überzeugt dies nicht. Da der Soldat die den
Tatbestand konstituierenden Elemente kannte, läge insoweit ein unbeachtlicher
Subsumtionsirrtum vor (vgl. Fischer, StGB, 61. Aufl. 2014, § 16 Rn. 13), der
selbst bei der Annahme eines Rechtsirrtums für den intelligenten Soldaten nach
§ 17 Satz 2 StGB vermeidbar gewesen wäre. Entsprechendes gilt für den Ein-
wand des Soldaten, er sei sich keines Verstoßes gegen §§ 1, 6 des Pflichtver-
sicherungsgesetzes bewusst gewesen. Darüber hinaus geht der Senat - wie
das Truppendienstgericht - von einer Schutzbehauptung aus, da allgemein be-
kannt ist, dass sich der Versicherungsschutz nur auf das konkret zugelassene
Kraftfahrzeug bezieht.
Da der am Strafrahmen gemessene Unrechtsgehalt der Tat schon wegen der
mit dem Fahrzeug zurückgelegten 30 000 km nicht gering wiegt, war die Beein-
trächtigung der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2
Satz 2 SG erheblich.
(5) Dass es nicht zusätzlich darauf ankommt, ob eine Beeinträchtigung des An-
sehens der Bundeswehr oder der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit im kon-
kreten Fall tatsächlich eingetreten ist, wurde bereits dargelegt. Entsprechendes
gilt für den untersagten Rückgriff auf § 7 SG.
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dd) Soweit die Wehrdisziplinaranwaltschaft den Soldaten des unter Anschuldi-
gungspunkt 3 (2. Absatz) beschriebenen Verhaltens angeschuldigt hat, ist die-
ses Verhalten nicht disziplinarwürdig. Der Soldat ist von diesem Vorwurf freizu-
stellen.
(1) Dem Verhalten fehlt es an jeglichem Bezug zum Dienst oder zu dienstlichen
Unterkünften oder dienstlichen Anlagen, so dass es sich als außerdienstliche
Verhaltensweise darstellt. Sie begründet nach dem Angeschuldigten jedoch
weder eine Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr noch - wie vorlie-
gend in Betracht zu ziehen - eine Beeinträchtigung der Achtung und des Ver-
trauens in die dienstliche Stellung des Soldaten, die i.S.d. § 17 Abs. 2 Satz 2
SG ernsthaft wäre.
Zwar ist das gegen den Soldaten geführte Strafverfahren wegen des Diebstahls
des Audis nach § 153a StPO eingestellt worden, was gerade die schuldhafte
Begehung des Straftatbestandes voraussetzt (vgl. Urteil vom 6. Oktober 2010
- BVerwG 2 WD 35.09 - Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 5 Rn. 33 =
NZWehrr 2011, 72). Gleichwohl folgt daraus nicht die Disziplinarwürdigkeit des
Verhaltens unter dem Gesichtspunkt, dass der Soldat damit einen Straftatbe-
stand verwirklicht hat, der einen mittleren Strafrahmen aufweist (vgl. 2 d) cc)
(3)). Diesen Umstand zu berücksichtigen, steht bereits die Beschränkung der
Anschuldigungsschrift auf ein strafrechtlich irrelevantes Verhalten entgegen
(vgl. 2 a)).
(2) Darüber hinaus liegen auch keine sonstigen qualifizierenden Umstände vor,
aus denen sich verlässlich Rückschlüsse auf mangelnde Gesetzestreue oder
auf mangelndes Verantwortungsbewusstsein bei der Erfüllung dienstlicher
Pflichten ableiten ließen. Das angeschuldigte Verhalten des Soldaten betrifft
vielmehr ausschließlich den Bereich zivilrechtlicher Besitzansprüche und ist zu-
dem auch nicht wiederholt erfolgt (vgl. Urteil vom 30. August 2000 - BVerwG
1 D 37.99 - BVerwGE 112, 19 <27> und Beschluss vom 11. Februar 2014
- BVerwG 2 B 37.12 - juris Rn. 29).
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e) Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs
wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen.
Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen
Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten. Bei Art und Maß
der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Ei-
genart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß
der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des
Soldaten zu berücksichtigen.
aa) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Un-
rechtsgehalt der Verfehlungen, d.h. nach der Bedeutung der verletzten Dienst-
pflichten. Danach wiegt die Verfehlung schwer.
Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sind durch die zu Anschuldigungs-
punkt 1 festgestellte Verletzungen der Pflicht zum achtungs- und vertrauensvol-
len Verhalten im Dienst (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) und der Pflicht zum treuen
Dienen gekennzeichnet (§ 7 SG). Die Pflicht zum treuen Dienen gehört zu den
zentralen Pflichten eines Soldaten. Ihre Verletzung ist in der Regel schon des-
halb von erheblicher Bedeutung. Der besondere Unrechtsgehalt des Dienstver-
gehens ergibt sich auch daraus, dass der Soldat gegen seine Pflicht zur Beach-
tung der Strafgesetze verstoßen und kriminelles Unrecht begangen hat; er ist
auch entsprechend rechtskräftig verurteilt worden. Aber auch die Verletzungen
der Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten außerhalb des
Dienstes (§ 17 Abs. 2 Satz 2 SG) wiegen schwer. Die Pflicht zur Wahrung von
Achtung und Vertrauen ist kein Selbstzweck, sondern hat funktionalen Bezug
zur Erfüllung des grundgesetzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und zur Ge-
währleistung des militärischen Dienstbetriebs. Ein Soldat, insbesondere - wie
hier - ein Vorgesetzter, bedarf der Achtung seiner Kameraden und Untergebe-
nen sowie des Vertrauens seiner Vorgesetzten, um seine Aufgaben so zu erfül-
len, dass der gesamte Ablauf des militärischen Dienstes gewährleistet ist.
Eigenart und Schwere des Dienstvergehens werden des Weiteren dadurch be-
stimmt, dass der Soldat aufgrund seines Dienstgrades als Hauptfeldwebel in
einem Vorgesetztenverhältnis stand (§ 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 SG i.V.m. § 4
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Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 VorgV). Soldaten in Vorgesetztenstellung obliegt eine hö-
here Verantwortung für die Wahrung dienstlicher Interessen. Wegen seiner he-
rausgehobenen Stellung ist ein Vorgesetzter in besonderem Maße für die ord-
nungsgemäße Erfüllung seiner Dienstpflichten verantwortlich und unterliegt
damit im Falle einer Pflichtverletzung einer verschärften Haftung, da Vorgesetz-
te in ihrer Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben sollen (§ 10 Abs. 1
SG). Dabei ist nicht erforderlich, dass es der Soldat bei seinem Fehlverhalten
innerhalb eines konkreten Vorgesetztenverhältnisses an Beispielhaftigkeit hat
fehlen lassen. Es reicht das Innehaben einer Vorgesetztenstellung aufgrund
des Dienstgrades aus (vgl. Urteil vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - juris
Rn. 30).
Zu Lasten des Soldaten wirkt auch, dass ihm die Wechselkennzeichen anver-
traut waren. Anvertraut ist eine Sache einem Soldaten, wenn diesem dafür eine
besondere dienstliche Schutz- und Verwendungspflicht und damit auch eine
Garantenstellung übertragen worden ist. Denn Anvertrauen ist - im Wehrdiszi-
plinarrecht nicht anders als im Strafrecht - die Hingabe oder das Belassen einer
Sache durch den Berechtigten zum Verwalten und Verwenden in dem Vertrau-
en, der Besitzer werde mit der ihm überlassenen Sache ausschließlich im Sinne
des Anvertrauenden verfahren, sie also nur in seinem Sinne aufbewahren, ver-
wenden und sie schützen. Allein die Möglichkeit des Zugriffs auf diese Gegens-
tände reicht für eine Feststellung des Anvertrautseins nicht aus. Von einem
Zugriff auf einen einem Soldaten anvertrauten Gegenstand ist nur dann auszu-
gehen, wenn er sich bei gewöhnlichem Ablauf regulär im Arbeitsbereich des
Soldaten befindet und dieser sich auch faktisch gewöhnlich mit der Verwahrung
und Verwaltung von derartigen Gegenständen befasst. Dass eine Befassung
mit dem fraglichen Objekt aufgrund von Einzelweisungen im Bedarfsfall nicht
auszuschließen ist, rechtfertigt dagegen die mit der Feststellung des Anver-
trautseins regelmäßig verbundene höhere Sanktionsdrohung nicht (vgl. Urteil
vom 18. April 2013 - BVerwG 2 WD 16.12 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002
Nr. 43 Rn. 38 m.w.N.). Auf der Grundlage der durch Verlesen eingeführten
Aussage des Hauptmanns G. vom 28. November 2011, aber auch der Aussa-
gen des Soldaten selbst waren ihm die Wechselkennzeichen anvertraut. Sie
befanden sich regulär im Arbeitsbereich des Soldaten und er war auch faktisch
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gewöhnlich und nicht nur situativ und auf Einzelweisung mit deren Verwaltung
befasst. Dass im Rahmen dessen nicht nur er, sondern vier Personen Zugriff
auf sie hatten, nimmt dem Soldaten nicht seine Vertrauensstellung. Ebenso
wenig der Umstand, dass er nicht gem. Ziffer 112 der ZDv 2/30 förmlich zum
Gehilfen des Sicherheitsbeauftragten bestellt worden war. Zum einen ist nicht
ersichtlich, dass mit dieser Funktion zwingend die Verwaltung gerade auch von
Wechselkennzeichen verbunden ist; zum anderen bestand auf Seiten des Sol-
daten kein Zweifel daran, dass ihm die Wechselkennzeichen anvertraut waren.
Die Warnfunktion, die man - wie von der Verteidigung vorgetragen - der förmli-
chen Bestellung beimessen mag, kommt bei dem Soldaten zudem deshalb
nicht zum Tragen, weil er auf die von ihm selbst eingeführten Kontrollmaßnah-
men hingewiesen hat, mit denen er der äußerst laxen Ausgabepraxis begegnen
wollte. Dieser Umstand belegt eindeutig, dass er sich hinsichtlich der Verwal-
tung der Wechselkennzeichen in besonderer Weise in die Pflicht genommen
gesehen hat und insoweit auch keine Unklarheiten bestanden. Dies gilt umso
mehr, als sich der Soldat nach eigener Aussage selbst nicht in die von ihm ein-
geführte Ausgabeliste eingetragen hat.
Erschwerend tritt hinzu, dass die Wechselkennzeichen von ihrer Zielsetzung
her nur in Fällen eingesetzt werden dürfen, in denen dies aus Gründen der Si-
cherheit geboten ist. Daran ändert die - ausweislich der durch Verlesen in die
Berufungshauptverhandlung eingeführte Stellungnahme des ...-Sicherheits-
beauftragten vom 28. November 2011 - tatsächlich eher laxe Ausgabepraxis
nichts.
Soweit es um den Diebstahl des Wechselkennzeichens geht, bewegt sich die
Schadenssumme allerdings unterhalb des „Bagatellbetrags“ von 50 €. Weitere
wirtschaftliche Schäden traten beim Dienstherrn durch die Nutzung der Wech-
selkennzeichen durch den Soldaten nicht ein.
bb) Das Dienstvergehen schädigte den Dienstherrn durch den Diebstahl, hatte
jedoch keine weiteren feststellbaren Auswirkungen auf das Vermögen des
Dienstherrn. Im Übrigen geht der Senat zugunsten des Soldaten davon aus,
dass die Ablösung des Soldaten von seinem Dienstposten nicht durch das
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Dienstvergehen, sondern krankheitsbedingt erfolgt ist und sich die Umstände
seiner Festnahme nicht mehr aufklären lassen, so dass ihr auch keine beson-
dere Außenwirkung beigemessen werden kann.
cc) Die Beweggründe des Soldaten sind durch Eigennutz charakterisiert. Daran
ändert auch der Einwand nichts, er habe die Wechselkennzeichen nicht an sich
genommen, um sich an ihnen zu bereichern, sondern „nur“, um sich eine einfa-
chere Handhabung zu ermöglichen.
dd) Das Maß der Schuld wird durch das vorsätzliche Handeln des voll schuldfä-
higen Soldaten bestimmt.
Auf Milderungsgründe in den Umständen der Tat (vgl. z.B. Urteil vom 23. Sep-
tember 2008 - BVerwG 2 WD 18.07 - juris Rn. 59 m.w.N.) kann sich der Soldat
nicht berufen. In Betracht zu ziehen ist auch nicht eine einmalige persönlich-
keitsfremde Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und im Dienst bewähr-
ten Soldaten. Eine Augenblickstat liegt vor, wenn der Entschluss zum Tun oder
Unterlassen nicht geplant oder wohl überlegt, sondern spontan und aus den
Umständen eines Augenblickszustandes zustande gekommen ist. Von Sponta-
neität, Kopflosigkeit oder Unüberlegtheit ist nicht mehr zu sprechen, wenn das
Dienstvergehen sich - wie vorliegend - über einen längeren Zeitraum erstreckt.
Der Milderungsgrund eines Mitverschuldens von Vorgesetzten in der Form ei-
ner mangelhaften Dienstaufsicht greift schon mangels einer Überforderungssi-
tuation nicht ein. Es bedurfte auch bei einer laxen Ausgabepraxis keines hilfrei-
chen Eingreifens der Dienstaufsicht, damit der Soldat erkennen konnte, sich
nicht „in Selbstbedienung“ das Wechselkennzeichen verschaffen zu dürfen (vgl.
Urteil vom 18. April 2013 - BVerwG 2 WD 16.12 - juris Rn. 58 m.w.N.). Dies gilt
umso mehr, als es gerade die Aufgabe des Soldaten war, die Wechselkennzei-
chen vor unbefugtem Zugriff zu schützen.
Von einer durch die familiären Bedingungen herbeigeführten psychischen Aus-
nahmesituation (Urteil vom 13. September 2011 - BVerwG 2 WD 15.10 - juris
Rn. 53) kann angesichts des langen Zeitraums, über den sich die Nutzung der
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Wechselkennzeichen und der Kennzeichenmissbrauch hinzog, nicht gespro-
chen werden. In einer akuten Stresssituation befand sich der Soldat nach der
Trennung von seiner ersten Frau im September 2009 zum Zeitpunkt der Pflicht-
verletzungen nicht mehr. Der Soldat hat zudem eingeräumt, dass er sich nicht
in einer Notsituation gesehen hat, sondern er des Wechselns der Schilder
schlicht leid war.
ee) Im Hinblick auf die Zumessungskriterien „Persönlichkeit“ und „bisherige
Führung“ sprechen die förmlichen Beurteilungen zwar für eher durchschnittliche
Leistungen. Eine Nachbewährung liegt jedoch angesichts der Leistungssteige-
rung des Soldaten von „5,13“ auf zunächst „6,00“ und aktuell auf „6,5 - 6,7“ vor.
Für den Soldaten spricht zudem, dass er - abgesehen von den hier gegen-
ständlichen Vorfällen - strafrechtlich und disziplinarrechtlich nicht vorbelastet ist,
auch wenn diesem Umstand kein hohes Gewicht zukommt, da er hiermit nur die
Mindesterwartungen des Dienstherrn pflichtgemäß erfüllt und keine besondere,
ihn aus dem Kameradenkreis heraushebende Leistung erbracht hat.
Soweit der Soldat sich, nachdem er gefasst wurde, geständig eingelassen hat,
spricht auch dies für ihn.
Nach einer Gesamtwürdigung aller vorgenannten be- und entlastenden Um-
stände ist im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und
die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts die erstinstanzlich ausgesproche-
ne Herabsetzung um zwei Dienstgrade nicht unverhältnismäßig.
f) Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in
seiner gefestigten Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 10. Februar 2010 - BVerwG
2 WD 9.09 - juris Rn. 35 ff.) von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:
aa) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbe-
handlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen
Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regel-
maßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als „Ausgangspunkt der Zu-
messungserwägungen“.
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Vergreift sich ein Soldat in Vorgesetztenstellung vorsätzlich an Eigentum oder
Vermögen seines Dienstherrn, so indiziert ein solches schweres Fehlverhalten
nach der Senatsrechtsprechung regelmäßig eine Dienstgradherabsetzung. Er-
folgt der vorsätzliche Zugriff im Bereich der dienstlichen Kernpflichten des Sol-
daten (z.B. Entwendung „anvertrauten“ dienstlichen Geldes oder Gutes oder
Ausnutzung einer vergleichbaren Vertrauensstellung etwa als Materialnach-
weisfeldwebel), so ist in der Regel die Entfernung aus dem Dienstverhältnis
Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen (vgl. z.B. Urteile vom 25. Juni
2009 - BVerwG 2 WD 7.08 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 29 Rn. 53
m.w.N. und vom 13. Januar 2011 - BVerwG 2 WD 20.09 - juris Rn. 44). Vorlie-
gend bildet die Entfernung aus dem Dienst den Ausgangspunkt der Zumes-
senserwägungen, da die streitbefangenen Wechselkennzeichen dem Soldaten -
wie bereits dargelegt - anvertraut waren.
bb) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im Hinblick
auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die Zweckset-
zung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die die Möglichkeit einer
Milderung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaß-
nahme eröffnen. Dabei ist vor allem angesichts der Eigenart und Schwere des
Dienstvergehens sowie dessen Auswirkungen zu klären, ob es sich angesichts
der be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten
Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein
höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt
der Zumessungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach
„oben“ bzw. nach „unten“ zu modifizieren. Zusätzlich sind die gesetzlich nor-
mierten Bemessungskriterien für die Bestimmung der konkreten Sanktion zu
gewichten, wenn die Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungs-
erwägungen bildet, dem Wehrdienstgericht einen Spielraum eröffnet (vgl. Urteil
vom 13. Februar 2014 - BVerwG 2 WD 4.13 - Rn. 73).
Ob in dem relativ geringen Schaden, der sich mit weniger als 50 € unterhalb der
vom Senat entwickelten „Bagatellgrenze“ bewegt (vgl. Urteil vom 16. März 2011
- BVerwG 2 WD 40.09 - juris Rn. 30 m.w.N.), ein Umstand zu sehen ist, der re-
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gelmäßig den Übergang zu einer milderen Maßnahme gebietet (vgl. Urteil vom
13. Dezember 2012 - BVerwG 2 WD 29.11 - BVerwGE 145, 269 = Buchholz
450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 42, jeweils Rn. 82 m.w.N.), kann dahingestellt blei-
ben; denn angesichts des zu Gunsten des Soldaten wirkenden Verschlechte-
rungsverbots steht rechtlich ohnehin nur eine Herabsetzung im Dienstgrad zur
Prüfung an. Jedenfalls ist selbst dann, wenn dies bejaht würde, die vom Trup-
pendienstgericht ausgesprochene Degradierung um zwei Stufen nicht zu bean-
standen. Die wegen ihres unmittelbaren Dienstbezugs den Schwerpunkt des
Dienstvergehens bildende Pflichtverletzung gemäß Anschuldigungspunkt 1 war
strafrechtlich relevant war und ist zudem auch strafgerichtlich geahndet worden.
Hinzu tritt, dass der Soldat zwei weitere (außerdienstliche) Pflichtverletzungen
begangen hat, die ebenfalls nicht nur strafrechtlich geahndet, sondern auch
beharrlich begangen wurden.
Dass der Soldat wegen dieser Pflichtverletzungen bereits strafrechtlich und vom
Strafmaß her moderat belangt wurde, begründet keinen mildernden Umstand.
Weder § 16 Abs. 1 noch § 17 Abs. 2 bis 4 WDO stehen dem entgegen. Steht im
Einzelfall - wie hier - § 16 WDO der Zulässigkeit des Ausspruchs einer Diszipli-
narmaßnahme nicht entgegen, ist die Art oder Höhe einer Kriminalstrafe oder
sonstigen Strafsanktion für die Gewichtung der Schwere des sachgleichen
Dienstvergehens regelmäßig nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Straf-
verfahren und Disziplinarverfahren verfolgen unterschiedliche Zwecke. Die Kri-
minalstrafe unterscheidet sich nach Wesen und Zweck grundlegend von der
Disziplinarmaßnahme. Während erstere neben Abschreckung und Besserung
der Vergeltung und Sühne für begangenes Unrecht gegen den allgemeinen
Rechtsfrieden dient, ist die disziplinarische Ahndung darauf ausgerichtet, unter
Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes einen geordneten und integren
Dienstbetrieb aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen (vgl. Urteile vom
13. Januar 2011 - BVerwG 2 WD 20.09 - juris Rn. 49 m.w.N. und vom 4. Mai
2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - juris Rn. 51).
g) Der positive Eindruck, den der Soldat beim Senat hinterlassen hat, sowie
seine kontinuierliche Leistungssteigerung bildet einen besonderen Grund im
Sinne des § 62 Abs. 3 Satz 3 WDO, die Wiederbeförderungsfrist auf zwei Jahre
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zu verkürzen. Die Entscheidung des Truppendienstgerichts begegnete auch
insoweit keinen rechtlichen Bedenken.
3. Da die Berufung des Soldaten erfolglos war, waren ihm gemäß § 139 Abs. 2
WDO die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen. Gemäß § 140 Abs. 5
Satz 2 WDO trägt der Soldat damit auch die ihm im Berufungsverfahren er-
wachsenen notwendigen Auslagen.
Dr. Burmeister
Dr. Langer
Dr. Eppelt
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Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Wehrdisziplinarrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
WDO
§ 16 Abs. 1, § 17 Abs. 2 - 4, § 38 Abs. 1, § 58 Abs. 7, § 62 Abs. 3
Satz 3, § 84 Abs. 1 Satz 1, § 91 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 3 Satz 1,
§ 99 Abs. 1 Satz 2, § 99 Abs. 3 Satz 1, § 107 Abs. 1, § 115 Abs. 1
Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 123 Satz 3, § 139 Abs. 2,
§ 140 Abs. 5 Satz 2
SG
§ 1 Abs. 3 Satz 1 und 2, § 7, § 17 Abs. 2 Satz 1, § 17 Abs. 2
Satz 2, § 23
StGB
§ 17 Satz 2, § 242 Abs. 1, 267 Abs. 1
PflVersG
§ 1, § 6
StPO
§ 153a, § 331
BBG
§ 77 Abs. 1 Satz 2
Stichworte:
ernsthafte Beeinträchtigung im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 2 SG; außerdienstli-
ches Dienstvergehen; strafbares außerdienstliches Verhalten; Verfahrensman-
gel; Schlussanhörung; Bestimmtheit der Anschuldigungsschrift; neue Ermittlun-
gen der Wehrdisziplinaranwaltschaft; Loyalität zur Rechtsordnung; Diebstahl;
Rückführungswille; Urkundenfälschung; Anvertrautsein dienstlicher Gegenstän-
de; Ausgangspunkt der Zumessungserwägung; Verhältnis von § 7 SG zu § 17
Abs. 2 Satz 2 SG.
Leitsätze:
1. Außerdienstliches Fehlverhalten verletzt § 17 Abs. 2 Satz 2 SG auch ohne
zusätzlichen Bezug zur Dienstausübung regelmäßig dann, wenn das Strafrecht
dafür eine mittelschwere Strafe (Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren) androht
(Änderung der Rechtsprechung).
2. § 17 Abs. 2 Satz 2 SG erfasst außerdienstliches, strafrechtlich relevantes
Verhalten abschließend und verbietet den Rückgriff auf § 7 SG unter dem Ge-
sichtspunkt eines Verstoßes gegen die Loyalität zur Rechtsordnung (Änderung
der Rechtsprechung).
Urteil des 2. Wehrdienstsenats vom 20. März 2014 - BVerwG 2 WD 5.13 -
I. TDG Süd vom 10. Januar 2013 - Az.: TDG S 4 VL 38/12