Urteil des BVerwG vom 27.06.2013

Soldat, Mitfahrer, Wahrheitspflicht, Einheit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 5.12
TDG S 1 VL 3/11
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
Herrn Stabsunteroffizier …,
…,
…,
…,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 27. Juni 2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Burmeister,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
ehrenamtlicher Richter Oberstleutnant i.G. Petrasch und
ehrenamtlicher Richter Stabsunteroffizier Laermans,
Leitender Regierungsdirektor …
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt …, …,
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin …
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:
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Die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft gegen das
Urteil der 1. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom
10. November 2011 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der
dem Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen
werden dem Bund auferlegt.
G r ü n d e :
I
Der 26 Jahre alte Soldat absolvierte nach dem erweiterten Realschulabschluss
eine Ausbildung zum Hotelfachmann. Er leistete ab Oktober 2006 bis Ende Au-
gust 2008 Grundwehrdienst und freiwilligen zusätzlichen Wehrdienst. Vom
13. bis 23. August 2007 war er zum Deutschen Einsatzkontingent EUFOR nach
Rajlovac und vom 13. November bis 18. Dezember 2007 zum Deutschen Ein-
satzkontingent KFOR nach Prizren kommandiert. Mit Wirkung vom 1. August
2009 wurde er unter Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit
zum Stabsunteroffizier ernannt. Seine Dienstzeit wurde bis auf acht Jahre ver-
längert und endet mit dem April 2015. Von einer vorzeitigen Entlassung wegen
des disziplinarischen Vorfalles war abgesehen, dem Soldaten aber ein aus-
drücklicher Hinweis hierauf im Falle einer erneuten Dienstpflichtverletzung er-
teilt worden.
Seinen Dienst trat der Soldat nach seiner Wiedereinstellung bei der … des … in
… an. Dort wurde er als Personalunteroffizier Streitkräfte verwendet. Neben
dem Fachlehrgang an der Schule … der Bundeswehr in … hat er bei der … in
… den Unteroffizierlehrgang - diesen als Hörsaalbester mit „gut“ - und ein Vor-
gesetztentraining bei der … in … erfolgreich absolviert. Zum 1. Oktober 2012
wurde er zur … in … versetzt, wo er ebenfalls als Personalunteroffizier Streit-
kräfte eingesetzt ist.
Der Soldat wurde noch nicht planmäßig beurteilt. Der für die Teilnahme am Un-
teroffizierlehrgang gefertigte Beurteilungsvermerk vom 30. September 2009
bewertete die Leistungsmerkmale „Einsatzbereitschaft/Motivation“ und „Belast-
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barkeit“ mit „6“, das Merkmal „mündliches und schriftliches Ausdrucksvermö-
gen“ mit „5“ und das Merkmal „Planung und Organisation“ mit „4“. Seine Eig-
nung zum militärischen Führer sei „gut". Im zusammenfassenden Leistungsver-
gleich wird er dem oberen Drittel seines überdurchschnittlich leistungsstarken
Hörsaals zugerechnet. Er habe im Fach Innere Führung gute, in den Fächern
Wachdienst und Sport sehr gute Leistungen gezeigt und wäre unter Prüfungs-
pflicht Hörsaalbester geworden.
Die Sonderbeurteilung vom 22. Februar 2012 bewertete die Aufgabenerfüllung
auf dem Dienstposten im Durchschnitt mit „8,14“.
Der beurteilende Vorgesetzte beschrieb ihn als besonders eigenständigen und
höchst zuverlässigen Unteroffizier und hob sein weit überdurchschnittliches
Planungs- und Organisationsvermögen und ein breit gefächertes und tiefes
Fachwissen hervor, das dem Soldaten hochqualitative Ergebnisse jederzeit weit
über den Erwartungen ermögliche. Selbstständig bilde der Soldat sich stets
fachlich und allgemein weiter. Eine Steigerung sei regelmäßig deutlich erkenn-
bar und kennzeichne sein Leistungsbild. Der Beurteiler sah den Soldaten psy-
chisch und physisch uneingeschränkt belastbar und stellte auch seine kommu-
nikativen Fähigkeiten und seine hohe Gewandtheit im Umgang mit Kameraden
und in der Kooperation mit Vorgesetzten heraus. In der Beschreibung der Ge-
samtpersönlichkeit und der wesentlichen Charaktermerkmale wurden Engage-
ment und Motivation des Soldaten, seine positive Grundeinstellung zu seinem
Beruf, seine Kameradschaftlichkeit, Authentizität und Aufrichtigkeit hervorgeho-
ben. Der beurteilende Vorgesetzte empfahl einen Laufbahnwechsel in die Lauf-
bahn der Feldwebel des allgemeinen Fachdienstes.
Der nächst höhere Vorgesetzte schloss sich dieser Bewertung an. Der Soldat
leiste auf seinem exponierten Dienstposten hervorragende Arbeit. Auch dieser
Vorgesetzte beschrieb ihn als engagierten, sehr leistungsfähigen Stabsunterof-
fizier, der in einer sensiblen Funktion als Personalunteroffizier durch Pflichtbe-
wusstsein und Eigenständigkeit überzeuge und auch unter hoher Belastung
keine Leistungseinbrüche zeige. Es sei für jeden beurteilenden Vorgesetzten
ein absolut beruhigendes Gefühl, im Personalbereich einen gleichermaßen
kompetenten Mitarbeiter wie wertvollen Berater wie ihn zu wissen. Er hob das
höfliche, aber bestimmte Auftreten, die intellektuellen Fähigkeiten, die Fach-
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kenntnisse, die Flexibilität und die hohe Einsatzbereitschaft des Soldaten auch
über sein originäres Einsatzgebiet hinaus lobend hervor und sah den Soldaten
als die ideale Wahl für die Übernahme in die Laufbahn der Feldwebel. Auch
während des schwebenden Verfahrens sei es nie zu Leistungseinbußen ge-
kommen. Der Soldat genieße weiterhin das uneingeschränkte Vertrauen seiner
Vorgesetzten.
In der Hauptverhandlung vor dem Truppendienstgericht hat der damalige
Stabszugführer des Soldaten, Oberleutnant …, ausgeführt, er kenne den Sol-
daten seit Oktober 2010. Mit den dienstlichen Leistungen des überaus verlässli-
chen Soldaten, auf den er in der Personalbearbeitung große Stücke halte, sei er
sehr zufrieden. In der Technischen Gruppe habe der Soldat den Personalfeld-
webel und auch den S 1 - Feldwebel mit großem Eifer vertreten. Auch nach
dem Vorfall arbeite der Soldat mit diesem Eifer weiter. Der Soldat habe sein
Leistungsbild kontinuierlich steigern wollen. Er steche in der Leistungsbereit-
schaft deutlich über alle Unteroffiziere mit Portepee heraus. Im Vergleich der
Unteroffiziere mit Portepee einschließlich der Feldwebelanwärter im Stab liege
der Soldat leistungsmäßig auf Platz eins. Von seiner Leistung her könne er in
die Besoldungsgruppe A 7 eingewiesen werden. Der Vorfall sei im Kameraden-
kreis bekannt geworden, es sei aber schwer zu bewerten, wie groß der infor-
mierte Personenkreis sei. Das Fehlverhalten habe er dem Soldaten nicht zuge-
traut.
In der Berufungshauptverhandlung hat der gegenwärtige Disziplinarvorgesetzte
des Soldaten, Hauptmann …, ausgeführt, er könne der Sonderbeurteilung un-
eingeschränkt zustimmen. Der Soldat erbringe auch in der Nachschub- und
Transportstaffel als Personalunteroffizier herausragende Leistungen. Hierhin sei
er versetzt worden, nachdem der Soldat nach dem Urteil der Truppendienst-
kammer die Sicherheitsstufe verloren habe. Der Stab der Technischen Gruppe
sei am Flugplatz angesiedelt, der als Sicherheitsbereich ohne Sicherheitsstufe
nicht ohne Weiteres betreten werden dürfe. Diese Beschränkung gebe es für
eine Tätigkeit in der Nachschub- und Transportstaffel nicht und der Dienstpos-
ten, auf dem der Soldat tätig sei, sei ohnehin zu besetzen gewesen. Der Soldat
arbeite überaus selbständig und ersetze seit einigen Monaten mit großem Er-
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folg auch den Personalfeldwebel. Gleichwohl habe es in der Personalbearbei-
tung keinen Qualitätseinschnitt gegeben. Der Soldat werde diese Vertretung
auch weiterhin wahrnehmen. Aufträge erfülle er zu 100 % richtig und terminge-
recht. Es müsse nirgends nachgesteuert werden. Der Soldat leiste, wo nötig,
auch weit über die tägliche Dienstzeit hinaus Dienst. Er kümmere sich überaus
fürsorglich um die Kameraden und leiste etwa bei Antragstellungen Hilfestel-
lung. Er sei in die Einheit gut integriert und unter den 35 Unteroffizieren deutlich
die Leistungsspitze. Die Leistungsvoraussetzung für eine Einweisung in die hö-
here Besoldungsgruppe erfülle der Soldat. Er würde dies als Disziplinarvorge-
setzter jederzeit unterstützen. Er unterstütze auch die Anträge des Soldaten auf
eine Verlängerung seiner Dienstzeit und die Übernahme in die Feldwebellauf-
bahn.
Der Soldat ist Träger der Einsatzmedaille der Bundeswehr für die Teilnahme
am KFOR-Einsatz im Kosovo in Bronze, der Schützenschnur Stufe III (Gold),
des Leistungsabzeichens für Leistungen im Truppendienst Stufe III (Gold) und
des Tätigkeitsabzeichens für Personal im Stabsdienst. Er hat 2010 eine Leis-
tungsprämie in Höhe von 1.000 € und 2009 eine Förmliche Anerkennung we-
gen vorbildlicher Pflichterfüllung erhalten. Eine weitere Leistungsprämie in Höhe
von 900 € erhielt er im Oktober 2012.
Der Auszug aus dem Disziplinarbuch vom 23. Mai 2013 weist die förmliche An-
erkennung wegen vorbildlicher Pflichterfüllung vom 5. Oktober 2009 aus. Die
Auskunft aus dem Zentralregister vom 24. Mai 2013 enthält keine Eintragung.
Das mit diesem Verfahren sachgleiche Strafverfahren wegen versuchten Betru-
ges war von der Staatsanwaltschaft … nach Zahlung einer Geldauflage in Höhe
von 250 € eingestellt worden.
Der Soldat ist ledig und kinderlos. Nach der Auskunft der Wehrbereichsverwal-
tung Süd vom 23. Mai 2013 erhält er Bezüge in Höhe von 2 180,33 € brutto.
Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Abzüge und vermögenswirksamer
Leistungen werden ihm tatsächlich 1 780,74 € ausgezahlt.
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In der Berufungshauptverhandlung hat der Soldat ergänzend ausgeführt, den in
der Hauptverhandlung beim Truppendienstgericht noch angeführten Kredit für
einen PKW habe er mittlerweile beglichen. Er sei schuldenfrei. Auch derzeit
verdiene er durch eine genehmigte Nebentätigkeit als Kellner hinzu. Er habe
eine Verlängerung seiner Dienstzeit beantragt. Der Antrag werde aber wegen
des laufenden Verfahrens nicht weiter bearbeitet. Er strebe außerdem eine
Übernahme in die Feldwebellaufbahn an.
II
1. Das Verfahren ist nach Anhörung des Soldaten mit Verfügung des Komman-
deurs der … vom 21. Dezember 2010 eingeleitet worden. Die Vertrauensperson
ist zuvor angehört, ihre Stellungnahme dem Soldaten vor seiner Anhörung be-
kannt gegeben worden. Nach Gewährung des Schlussgehörs hat die Wehrdis-
ziplinaranwaltschaft dem Soldaten mit Anschuldigungsschrift vom 17. Februar
2011 folgenden Sachverhalt als Dienstvergehen zur Last gelegt:
„Am 30. August sowie am 29. September 2010 fuhr der
Soldat als Mitfahrer des Stabsunteroffizier … O. auf einen
Lehrgang nach H. In seiner von ihm unterschriebenen
Reisekostenabrechnung vom 23. September 2010 gab er
wahrheitswidrig an, diese Fahrten mit seinem privaten
KFZ durchgeführt zu haben, um die ihm nicht zustehende
Reisekostenvergütung zu erlangen. Für diese Fahrten wä-
ren 260,00 Euro Reisekostenvergütung ausgezahlt wor-
den und der Bundesrepublik Deutschland mithin ein
Schaden in dieser Höhe entstanden, wenn die falschen
Angaben nicht vorher bemerkt worden wären.“
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- 7 -
Mit Schreiben vom 14. März 2011 korrigierte sie das Datum der Rückreise als
2. Auf dieser Grundlage hat die 1. Kammer des Truppendienstgerichts Süd mit
Urteil vom 10. November 2011 gegen den Soldaten wegen eines Dienstverge-
hens ein Beförderungsverbot für die Dauer von vier Jahren verbunden mit einer
Kürzung der Dienstbezüge um 1/20 für die Dauer eines Jahres verhängt.
Ihrer Entscheidung legt die Kammer folgende Sachverhaltsfeststellungen zu-
grunde:
„Mit Personalverfügung der Stammdienststelle der Bun-
deswehr vom 27. Juli 2010 war der Soldat für den Zeit-
raum 31. August bis 23. September 2010 auf den Sonder-
lehrgang ,Vorgesetztentraining’ zur … nach H. komman-
diert worden. Denselben Lehrgang - allerdings bei einem
anderen Hörsaal - musste auch der Zeuge Stabsunteroffi-
zier O., Angehöriger der …, besuchen. Dieser setzte sich
mit dem Soldaten in Verbindung und fragte ihn, ob er Inte-
resse an einer Fahrgemeinschaft zum Lehrgang habe. Der
Soldat sagte zu, da er mit seinem Leasing-Fahrzeug im
Kilometerumfange begrenzt war.
Die gemeinsame Anreise erfolgte am Montag, dem
30. August 2010. Stabsunteroffizier O. startete um 08:00
Uhr mit seinem privaten Personkraftwagen in seinem
Wohnorte K. und fuhr zunächst zur … in N. Dort holte er
vereinbarungsgemäß den Soldaten ab. Gemeinsam fuh-
ren sie dann nach H., wo sie gegen 16:30 Uhr ankamen.
Der Soldat war Mitfahrer im Wagen seines Kameraden O.
Rückreisetag war Donnerstag, der 23. September 2010.
Vor diesem Tage nahmen beide Soldaten Kontakt auf und
beluden am Vorabend das Fahrzeug des Stabsunteroffi-
ziers O. mit ihrem Gepäck. Dabei fragte der Soldat den
Zeugen O., ob es möglich sei, dass er ihn bei der Abrech-
nung am Heimatstandort nicht als Mitfahrer angebe, damit
er selbst abrechnen könne. Weil er die Abrechnungsmo-
dalitäten nicht genau kannte, gab Stabsunteroffizier O.
dem Soldaten keine richtige Antwort. Insoweit wollte er
nach Rückkehr an den Standort N. erst Erkundigungen
beim Rechnungsführer einholen.
Am 23. September 2010 fuhr der Soldat als Mitfahrer im
Wagen des Stabsunteroffiziers O. gegen 08:00 Uhr in H.
ab. Während der Rückfahrt fragte er Stabsunteroffizier O.,
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wie viel Geld er ihm für die Mitnahme bezahlen solle. Die-
ser nannte 50 Euro. Der Soldat war damit einverstanden
und überreichte Stabsunteroffizier O. das Geld. Gegen
18:00 Uhr erreichten beide Soldaten N. Stabsunteroffizier
O. fuhr weiter nach K., nachdem er den Soldaten an sei-
ner damaligen Wohnung in A. abgesetzt hatte, weil er am
24. September 2010 frei hatte.
Der Soldat füllte noch am Abend des 23. September 2010
den Vordruck ,Reisekostenrechnung mit Forderungs-
nachweis für Kommandierungen/Abordnungen bis zu
1 Monat’ aus.
kannte das Formblatt bereits von frühe-
ren Dienstreisen. Dabei gab er bewusst der Wahrheit zu-
wider an, die Hin- und Rückreise zum Lehrgang mit sei-
nem eigenen Kraftfahrzeug durchgeführt und dabei jeweils
,ca. 780 km’ zurückgelegt zu haben. Nach Eintrag aller
notwendigen Daten unterschrieb er das Formblatt eigen-
händig an der dafür vorgesehenen Stelle, wo es vorge-
druckt ausdrücklich heißt: ,Ich versichere, dass die vorste-
henden Angaben richtig und vollständig sind’.
Am nächsten Morgen (Freitag, 24. September 2010) reich-
te er den ausgefüllten und unterschriebenen Vordruck bei
der für ihn zuständigen Rechnungsführerin, der Zeugin
Oberfeldwebel (w) S., zur Vorabprüfung ein. Nachdem
diese keine Unstimmigkeiten feststellen konnte, nahm er
das Formblatt wieder mit, um die Eintragungen in seiner
Einheit ,sachlich richtig’ zeichnen zu lassen. Seine Absicht
war es, ihm nicht zustehende Reisekostenvergütung zu
erlangen.
Am Montag, dem 27. September 2010, nahm auch Stabs-
unteroffizier O. seinen Dienst wieder auf. Er begab sich
am Vormittag zur Rechnungsführerin, Frau Oberfeldwebel
(w) S., und stellte ihr Fragen im Hinblick auf den von ihm
beabsichtigten Reisekostenantrag. Im Einzelnen fragte er,
ob er Mitfahrer angeben müsse und welche Folgerungen
eine solche Angabe nach sich ziehe. Die Zeugin S. erklär-
te ihm, dass er richtige Angaben machen müsse, nichts
weglassen und auch nichts hinzufügen dürfe, was nicht
den Tatsachen entspreche. Daraufhin machte Stabsunter-
offizier O. in seiner Reisekostenrechnung mit Forderungs-
nachweis nur Angaben, die der Wahrheit entsprachen.
Insbesondere trug er in Anwesenheit der Zeugin S. den
Soldaten als Mitfahrer ein. Nach Durchsicht durch die
Rechnungsführerin nahm auch er den Antrag mit, um ihn
in seiner Einheit ,sachlich richtig’ zeichnen zu lassen.
Die Nachfrage des Stabsunteroffiziers O., der auf demsel-
ben Lehrgang war wie der Soldat, und die Eintragung des
Soldaten als Mitfahrer machten die Zeugin S. misstrau-
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isch. Sie sprach mit Frau Oberfeldwebel St., die wie sie
als Rechnungsführerin eingesetzt war, und vereinbarte mit
ihr, die Anträge des Stabsunteroffiziers O. und des Sol-
daten nach Eingang genau zu vergleichen.
Am Nachmittage des 27. September 2010 gingen sowohl
der Reisekostenantrag mit Forderungsnachweis des Sol-
daten als auch der des Zeugen O. bei den Rechnungsfüh-
rern ein. Beim Vergleich stellte sich heraus, dass Stabs-
unteroffizier O. sich als Selbstfahrer und den Soldaten als
Mitfahrer angegeben hatte, während der Soldat die Reise-
kosten als Selbstfahrer beantragt hatte. Noch am selben
Tage rief die Zeugin S. den Soldaten an, um einen Termin
zu einem Gespräch zu vereinbaren. Dieses kam am
01. Oktober 2010 zustande. Nach intensiver Befragung
durch Frau Oberfeldwebel S. gab der Soldat zu, bei seiner
AntragsteIlung falsche Angaben gemacht zu haben. Die
Zeugin S. meldete den Sachverhalt daraufhin ihrem Fach-
vorgesetzten und den Vorgesetzten des Soldaten.
Am 11. November 2010 ließ der Soldat seinem Diszipli-
narvorgesetzten durch seinen Verteidiger schriftlich mittei-
len, dass er in seiner Reisekostenrechnung vom 23. Sep-
tember 2010 falsche Angaben gemacht habe. Er habe die
angegebenen Strecken nicht mit dem eigenen Wagen zu-
rückgelegt, sondern sei bei Stabsunteroffizier O. mitgefah-
ren. Er hat auch in der Hauptverhandlung ein entspre-
chendes Geständnis abgelegt.“
Der Soldat habe damit vorsätzlich die Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG), die
Wahrheitspflicht (§ 13 Abs. 1 SG) und die Pflicht zur Wahrung der Achtungs-
und Vertrauenswürdigkeit im dienstlichen Bereich (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG)
verletzt.
Es handele sich um ein schwerwiegendes Dienstvergehen, das regelmäßig zur
Herabsetzung um einen Dienstgrad führe. Hiervon habe die Kammer absehen
können, weil die Tat nur versucht und der Soldat nicht vorbelastet sei, weil er
Unrechtseinsicht gezeigt habe und weil die Auswirkungen der Pflichtverletzung
gering gewesen seien. Eine Herabsetzung in der Besoldungsgruppe scheide
aus, weil der Soldat sich in der niedrigsten Besoldungsgruppe seines Dienst-
grades befinde. Das Beförderungsverbot als nächst niedrigere Maßnahme sei
mit der Höchstdauer zu bemessen. Da der Soldat in nächster Zeit in eine höhe-
re Besoldungsgruppe eingewiesen werden könne und sich das Beförderungs-
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verbot damit auswirke, sei eine zusätzliche Bezügekürzung um ein Zwanzigstel
für ein Jahr ausreichend. Gefährde ein Soldat durch einen Betrugsversuch das
Vermögen des Dienstherrn und beeinträchtige er das Vertrauen des Dienst-
herrn in ihn damit schwer, gebiete dies eine empfindliche Maßnahme. Erschwe-
rend wirke die Wahrheitspflichtverletzung. Auch der Verletzung der Wohlverhal-
tenspflicht komme hohes Gewicht zu. Den Soldaten belaste sein eigennütziges,
gezieltes Vorgehen. Seine Vorgesetztenstellung erfordere beispielhafte Pflicht-
erfüllung. Milderungsgründe in den Umständen der Tat seien nicht erkennbar.
Bei einem Reisekostenbetrug durch einen Soldaten in Vorgesetztenstellung sei
Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Dienstgradherabsetzung.
Nach den Umständen des Einzelfalles sei hier aber geboten, hiervon abzuse-
hen. Zwar sei die Bagatellgrenze deutlich überschritten. Jedoch sei der gefähr-
dete Vermögenswert dem Soldaten nicht anvertraut gewesen. Eine Vermö-
gensschädigung des Dienstherrn sei nicht erfolgt. Das Maß der Schuld eines
Versuches sei geringer als bei vollendeter Tat. Zu berücksichtigen sei die Ein-
stellung des sachgleichen Strafverfahrens nach § 153a Abs. 1 StPO. Für den
Soldaten sprächen die fehlende Vorbelastung und sein Geständnis. Die Aus-
wirkungen der Pflichtverletzung seien relativ gering. Zwar sei sie im Kamera-
denkreis bekannt geworden. Der Soldat habe von seinem Dienstposten aber
nicht abgelöst werden müssen. Milderungsgründe in seiner Person seien seine
überdurchschnittlichen Leistungen. Weder general- noch spezialpräventive Ge-
sichtspunkte würden eine Dienstgradherabsetzung verlangen.
3. Gegen das ihr am 23. November 2011 zugestellte Urteil hat die Wehrdiszipli-
naranwaltschaft am 13. Dezember 2011 beschränkt auf die Rechtsfolge Beru-
fung eingelegt. Das Truppendienstgericht habe bei der Bemessung fehlerhaft
berücksichtigt, dass der Reisekostenbetrug strafrechtlich nicht über das Ver-
suchsstadium hinausgelangt sei. Disziplinarrechtlich handele es sich um eine
vollendete Treuepflichtverletzung. Das Gewicht des Fehlverhaltens werde da-
durch mitbestimmt, dass der Soldat versucht habe, einen Kameraden in seine
rechtswidrigen Pläne hineinzuziehen. Er habe trotz dessen Bedenken an der
Verwirklichung der Pflichtverletzung festgehalten, seine unwahren Angaben zur
Vorabprüfung gegeben, sie sachlich richtig zeichnen lassen und den Antrag
gestellt. Damit habe er „unverfroren dreimal alle Hemmungen beiseite gescho-
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ben“. Das Geständnis sei nicht mildernd zu berücksichtigen, weil der Soldat
schon überführt gewesen sei. Die bisherige Unbescholtenheit bilde das Fehlen
eines Erschwerungs-, aber keinen Milderungsgrund.
III
Die gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 WDO form-
und fristgerecht eingelegte Berufung ist unbegründet.
Das Rechtsmittel ist auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkt
eingelegt worden. Der Senat hat daher gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO in Ver-
bindung mit § 327 StPO die Tat- und Schuldfeststellungen sowie die disziplinar-
rechtliche Würdigung des Truppendienstgerichts seiner Entscheidung zugrunde
zu legen.
1. Das Truppendienstgericht hat festgestellt, dass der Soldat bewusst wahr-
heitswidrige Angaben in einem Antrag auf Erstattung von Reisekosten gemacht,
ihre Richtigkeit versichert, eine Zeichnung als „sachlich richtig“ im Rahmen ei-
ner Vorabprüfung eingeholt und den Antrag eingereicht habe. Dadurch habe er
vorsätzlich §§ 7, 13 Abs. 1 und § 17 Abs. 2 Satz 1 SG verletzt.
Diese Schuldfeststellungen sind eindeutig und widerspruchsfrei und für den Se-
nat damit bindend. Ob die Tat- und Schuldfeststellungen vom Truppendienstge-
richt rechtsfehlerfrei getroffen wurden, darf vom Senat nicht überprüft werden.
Denn bei einer auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkten Be-
rufung wird der Prozessstoff nicht mehr von der Anschuldigungsschrift, sondern
nur von den bindenden Tat- und Schuldfeststellungen des angefochtenen Ur-
teils bestimmt.
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wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen.
Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen
Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten („Wiederherstel-
lung und Sicherung der Integrität, des Ansehens und der Disziplin in der Bun-
deswehr“, vgl. dazu Urteil vom 11. Juni 2008 - BVerwG 2 WD 11.07 - Buchholz
450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26 Rn. 23 m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinar-
maßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwe-
re des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Per-
sönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu be-
rücksichtigen.
a) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Un-
rechtsgehalt der Verfehlungen, d.h. nach der Bedeutung der verletzten Dienst-
pflichten. Danach wiegt das Dienstvergehen schwer.
aa) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sind vor allem durch die Ver-
letzung der dienstlichen Wahrheitspflicht (§ 13 Abs. 1 SG) gekennzeichnet (vgl.
dazu insb. Urteil vom 31. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 4.10 - Buchholz 450.2 § 58
WDO 2002 Nr. 6 = juris Rn. 23). Ein Soldat, der gegenüber Vorgesetzten und
Dienststellen der Bundeswehr in dienstlichen Angelegenheiten unwahre Erklä-
rungen abgibt, büßt hierdurch allgemein seine Glaubwürdigkeit ein. Die Bedeu-
tung der Wahrheitspflicht (§ 13 Abs. 1 SG) kommt schon darin zum Ausdruck,
dass diese - anders als z.B. bei Beamten - für Soldaten gesetzlich ausdrücklich
geregelt ist. Eine militärische Einheit kann nicht ordnungsgemäß geführt wer-
den, wenn sich die Führung und die Vorgesetzten nicht auf die Richtigkeit ab-
gegebener Meldungen, Erklärungen und Aussagen Untergebener verlassen
können. Denn auf ihrer Grundlage müssen im Frieden und erst recht im Ein-
satzfall gegebenenfalls Entschlüsse von erheblicher Tragweite gefasst werden
(stRspr, vgl. u.a. Urteil vom 11. Juni 2008 - BVerwG 2 WD 11.07 - Rn. 27
m.w.N.
Nr. 26>). Wer als Soldat in dienstlichen Äußerungen und Erklärungen vorsätz-
lich unrichtige Angaben macht, lässt unmissverständlich erkennen, dass seine
Bereitschaft zur Erfüllung der Wahrheitspflicht nicht im gebotenen Umfang vor-
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handen ist. Eine solche Dienstpflichtverletzung und die daraus folgende Be-
schädigung seiner persönlichen Integrität haben damit erhebliche Bedeutung
für die militärische Verwendungsfähigkeit des Soldaten (vgl. dazu Urteil vom
25. Juni 2009 - BVerwG 2 WD 7.08 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 29
Rn. 35 m.w.N.>).
Gewicht verleiht dem Dienstvergehen nicht zuletzt die Verletzung der Pflicht
zum treuen Dienen (§ 7 SG). Sie gehört zu den zentralen Pflichten eines Sol-
daten. Ihre Verletzung ist in der Regel schon deshalb von erheblicher Bedeu-
tung. Der besondere Unrechtsgehalt des Dienstvergehens ergibt sich auch da-
raus, dass der frühere Soldat gegen seine Pflicht zur Loyalität gegenüber der
Rechtsordnung, vor allem der Beachtung der Strafgesetze, in erheblichem Um-
fang verstoßen und kriminelles Unrecht begangen hat. Dass das staatsanwalt-
schaftliche Ermittlungsverfahren gem. § 153a StPO eingestellt wurde, steht
dem nicht entgegen.
Aber auch die Verletzung der Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem
Verhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) wiegt schwer. Die Pflicht zur Wahrung von
Achtung und Vertrauen ist kein Selbstzweck, sondern hat funktionalen Bezug
zur Erfüllung des grundgesetzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und zur Ge-
währleistung des militärischen Dienstbetriebs. Ein Soldat, insbesondere - wie
hier - ein Vorgesetzter, bedarf der Achtung seiner Kameraden und Untergebe-
nen sowie des Vertrauens seiner Vorgesetzten, um seine Aufgaben so zu erfül-
len, dass der gesamte Ablauf des militärischen Dienstes gewährleistet ist. Da-
bei kommt es nicht darauf an, ob eine Beeinträchtigung der Achtungs- und Ver-
trauenswürdigkeit tatsächlich eingetreten ist, sondern nur darauf, ob das fest-
gestellte Verhalten dazu geeignet war (stRspr, z.B. Urteile vom 13. Januar 2011
- BVerwG 2 WD 20.09 - juris Rn. 27 m.w.N. und vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2
WD 2.10 - juris Rn. 29). Dies war hier der Fall.
bb) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens werden hier des Weiteren da-
durch bestimmt, dass der Soldat aufgrund seines Dienstgrades als Stabsunter-
offizier in einem Vorgesetztenverhältnis stand (§ 1 Abs. 3 Sätze 1 und 2 SG
i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 VorgV). Soldaten in Vorgesetztenstellung obliegt
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eine höhere Verantwortung für die Wahrung dienstlicher Interessen. Wegen
seiner herausgehobenen Stellung ist ein Vorgesetzter in besonderem Maße für
die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Dienstpflichten verantwortlich und unter-
liegt damit im Falle einer Pflichtverletzung einer verschärften Haftung, da Vor-
gesetzte in ihrer Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben sollen (§ 10
Abs. 1 SG). Dabei ist nicht erforderlich, dass es der Soldat bei seinem Fehlver-
halten innerhalb eines konkreten Vorgesetztenverhältnisses an Beispielhaftig-
keit hat fehlen lassen. Es reicht das Innehaben einer Vorgesetztenstellung auf-
grund des Dienstgrades aus (vgl. Urteile vom 25. Juni 2009 - BVerwG 2 WD
7.08 - Rn. 37 m.w.N. - vom 13. Januar 2011 - BVerwG 2 WD 20.09 - Rn. 28 und
vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - Rn. 30).
cc) Die Umstände der Tatbegehung erhöhen die Schwere der Tat darüber hi-
naus entgegen der Einschätzung der Berufungsführerin nicht:
aaa) Tatsächliche Umstände, die für sich genommen bereits eine Dienstpflicht-
verletzung begründen, aber nicht Teil des in der Anschuldigungsschrift vorge-
worfenen einheitlichen Dienstvergehens - und demzufolge hier auch nicht Ge-
genstand der den Senat bindenden Schuldfeststellungen der Vorinstanz - ge-
worden sind, sind bei der Bemessungsentscheidung nicht zu Lasten des Sol-
daten zu berücksichtigen.
Die Anschuldigungsschrift bestimmt den Prozessstoff, d.h. den Sachverhalt, der
allein zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden darf, abschließend
(Beschluss vom 11. Februar 2009 - BVerwG 2 WD 4.08 - BVerwGE 133, 129
<131 Rn. 12>). Die Anschuldigungsschrift muss so deutlich und klar sein, dass
der Soldat sich mit seiner Verteidigung darauf einstellen kann (Beschluss vom
11. Februar 2009 a.a.O.), und ist daher von einem objektiven Empfängerhori-
zont aus eng auszulegen (Beschluss vom 11. Februar 2009 a.a.O. Rn. 14
m.w.N.). Dieses Erfordernis würde unterlaufen, wären nicht oder nicht hinrei-
chend bestimmt angeschuldigte Pflichtverletzungen zwar nicht Gegenstand der
Schuldfeststellungen, gleichwohl aber erschwerend im Rahmen der Maßnah-
mebemessung zu berücksichtigen. Da für ein Dienstvergehen, auch wenn es
aus mehreren Dienstpflichtverletzungen besteht, eine Sanktion festzusetzen ist,
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wirkt die Feststellung eines das Gewicht des Dienstvergehens erhöhenden Um-
standes der Tatbegehung ebenso zulasten des Soldaten wie die Feststellung
einer weiteren Pflichtverletzung als Teil des einheitlichen Dienstvergehens.
Könnte eine selbstständige Pflichtverletzung trotz unzureichender Anschuldi-
gung im Rahmen der Bemessungserwägungen maßnahmeverschärfend be-
rücksichtigt werden, würden die der Gewährleistung einer effektiven Verteidi-
gung des Soldaten dienenden Anforderungen an die Bestimmtheit der Anschul-
digung weitgehend leer laufen.
Daher bleibt die Frage des Soldaten nach der Bereitschaft des Stabsunteroffi-
ziers O., in dessen Reisekostenerstattungsantrag den Soldaten nicht als Mitfah-
rer anzugeben, außer Betracht. Hierin liegt nämlich eine weitere Pflichtverlet-
zung, weil die damit verbundene Aufforderung zur Teilnahme an der Pflichtver-
letzung des Soldaten jenen in die Gefahr gegen ihn gerichteter straf- und diszi-
plinarrechtlicher Ermittlungen bringen kann. Die darin liegende Verletzung der
Kameradschaftspflicht ist nicht in der Form angeschuldigt, dass die entspre-
chenden tatsächlichen Elemente im Anschuldigungssatz genannt sind. Zudem
ist vom Truppendienstgericht auch kein besonders intensives Einwirken auf den
Stabsunteroffizier O. festgestellt worden. Insbesondere hat der Soldat nach den
bindenden Feststellungen der Vorinstanz keinen Versuch unternommen, diesen
zur Teilnahme zu überreden oder seinen Widerstand gegen das Vorhaben zu
überwinden.
bbb) Das Gewicht der Pflichtverletzung erhöhende Umstände der Tatbegehung
folgen auch nicht daraus, dass der Soldat nicht nur einen Antrag auf Reisekos-
tenerstattung eingereicht, sondern diesen zuvor zur Einholung der Bestätigung
als sachlich richtig und zur Vorabprüfung vorgelegt hat.
Dieser Tatablauf resultiert daraus, dass die Pflichtverletzung nach der vom
Dienstherrn gewählten Ausgestaltung des Verfahrens einer Reisekostenerstat-
tung in mehreren Teilakten umgesetzt werden musste. Dass der Soldat die
hiernach erforderlichen Verfahrensschritte durchlaufen hat, führt dazu, dass er
alles getan hat, was seinerseits erforderlich war, um zu einem Taterfolg zu kom-
men. Dies bedingte das Erreichen des Versuchsstadiums im strafrechtlichen
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Sinne und vollendete die Dienstpflichtverletzung, erhöht aber nicht die Schwere
der Tat über den versuchten Reisekostenbetrug hinaus und erfordert daher
auch nicht eine nachhaltiger einwirkende Maßnahme als die hierfür im Regelfall
veranlasste Dienstgradherabsetzung.
b) Das Dienstvergehen hatte nachteilige Auswirkungen für den Dienstherrn in-
sofern, als sein Vermögen (in Höhe von 260 €) gefährdet wurde. Das Dienst-
vergehen hatte auch Auswirkungen auf die Personalführung, weil der Soldat
nach dem Entzug seiner Sicherheitsstufe wegversetzt werden musste. Aller-
dings sind diese Auswirkungen nicht gravierend, weil ein Vermögensschaden
nicht eingetreten ist und der Soldat auch nach dem Entzug der Sicherheitsstufe
auf einem freien Dienstposten seinen Fähigkeiten entsprechend und den Inte-
ressen des Dienstherrn dienend sinnvoll eingesetzt werden konnte.
Den Soldaten belastet darüber hinaus, dass das Dienstvergehen entsprechend
der in der Berufungshauptverhandlung durch Verlesen eingeführten, glaubhaf-
ten Aussage des Leumundszeugen Oberleutnant … im Kameradenkreis be-
kannt geworden ist.
c) Die Beweggründe des Soldaten sprechen gegen ihn. Er hat aus finanziellem
Eigennutz gehandelt.
d) Das Maß der Schuld wird durch den Vorsatz des uneingeschränkt schuldfä-
higen Soldaten bestimmt. Milderungsgründe in den Umständen der Tat, die die
Schuld des Soldaten mindern könnten (vgl. z.B. Urteil vom 23. September 2008
- BVerwG 2 WD 18.07 Rn. 59 m.w. N.), liegen nicht vor. Insbesondere handelt
es sich nicht um eine persönlichkeitsfremde Augenblickstat eines ansonsten
tadelfreien und im Dienst bewährten Soldaten, weil angesichts der Mehraktig-
keit des Geschehens von einem von Spontaneität und Kopflosigkeit geprägten
Augenblicksversagen nicht die Rede sein kann.
Die Berufung weist zutreffend darauf hin, dass die „Bagatellgrenze“ in Höhe von
ca. 50 € (Urteil vom 16. März 2011 - BVerwG 2 WD 40.09 - juris Rn. 30 m.w.N.)
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hier deutlich überschritten wurde. Das Fehlen dieses Milderungsgrundes be-
gründet allerdings auch keinen sanktionserschwerenden Umstand.
e) Im Hinblick auf die Zumessungskriterien „Persönlichkeit“ und „bisherige Füh-
rung“ sprechen die insbesondere durch die vorliegende Sonderbeurteilung, die
förmliche Anerkennung und die Leistungsprämien, aber auch durch die Anga-
ben der Leumundszeugen beim Truppendienstgericht und in der Berufungs-
hauptverhandlung ausgewiesenen herausragenden Leistungen für den Sol-
daten.
Der Senat geht auch von einer Nachbewährung des Soldaten aus. Eine Nach-
bewährung ist festzustellen, wenn durch das Gesamtverhalten eines Soldaten
im Laufe des gerichtlichen Disziplinarverfahrens deutlich wird, dass das Verfah-
ren selbst nachhaltig pflichtenmahnend auf ihn wirkt und er durch seine dienstli-
che Führung in jeder Hinsicht dokumentiert, dass er die durch die Pflichtverlet-
zungen begründeten Zweifel an seiner charakterlichen Integrität und fachlichen
Eignung durch besonders korrekte Pflichterfüllung ausräumen will (Urteil vom
29. November 2012 - BVerwG 2 WD 10.12 - juris Rn. 48). Hier hat der Soldat
durch die übereinstimmenden Bekundungen der Leumundszeugen glaubhaft
belegt in seinem Bemühen um eine Steigerung seiner Leistungen auch unter
dem belastenden Eindruck des anhängigen Verfahrens nicht nachgelassen und
weiterhin weit überdurchschnittliche Leistungen erbracht. Außerdem hat er sich
im Rahmen der Vertretung eines Feldwebeldienstpostens auch auf einem hö-
herwertigen Dienstposten mit gleichbleibend herausragenden Leistungen be-
währt und damit auch eine deutliche Leistungssteigerung dokumentiert. In dis-
ziplinarischer Hinsicht ist sein Verhalten nach dem Vorfall ohne jeden Tadel
geblieben.
Unrechtseinsicht hat der Soldat in seinen Schlussworten beim Truppendienst-
gericht und beim Senat glaubhaft bekundet.
Als Ausdruck der Unrechtseinsicht und der Bereitschaft, für den Fehler einzu-
stehen, spricht auch das Geständnis für ihn. Zwar weist die Berufung zutreffend
darauf hin, dass das Geständnis zu einem Zeitpunkt abgegeben worden ist, als
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die Pflichtverletzung durch Urkunds- und Zeugenbeweis zu belegen war. Dieser
Umstand bedingt, dass der - deutlich gewichtigere - Milderungsgrund des frei-
willigen Offenbarens des Fehlverhaltens (Urteil vom 9. März 1995 - BVerwG
2 WD 1.95 - BVerwGE 103, 217 <218> m.w.N.) hier nicht eingreift. Er schließt
es aber nicht aus, dem Soldaten bei der Maßnahmebemessung jedenfalls -
wenn auch mit geringerem Gewicht - den für ihn sprechenden Charakterzug der
Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung für das eigene Fehlverhalten
zugute zu halten.
Der Senat hält ihm auch die Persönlichkeitsfremdheit des einmaligen Fehlver-
haltens zugute. In den in der Berufungshauptverhandlung verlesenen Beurtei-
lungen und den Bekundungen der Leumundszeugen werden die Zuverlässigkeit
und Verlässlichkeit des Soldaten und die Bereitschaft, private Interessen hinter
dienstlichen Belangen zurückzustellen, betont. Mit diesem Charakterzug ist ein
von finanziellem Eigennutz geprägtes Zugriffsdelikt nicht zu vereinbaren.
Für ihn spricht auch die fehlende disziplinäre und strafrechtliche Vorbelastung,
auch wenn diesem Umstand kein großes Gewicht zukommt, da der Soldat
hiermit nur die Mindesterwartungen seines Dienstherrn pflichtgemäß erfüllt,
aber keine Leistung erbringt, die ihn aus dem Kreis der Kameraden heraushebt.
f) Bei der Gesamtwürdigung aller vorgenannten be- und entlastenden Umstän-
de ist im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die
Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts die von der Vorinstanz verhängte
Sanktion eines Beförderungsverbotes verbunden mit einer Kürzung der Dienst-
bezüge noch eine tat- und schuldangemessene Sanktion.
Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in sei-
ner gefestigten Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 10. Februar 2010 - BVerwG
2 WD 9.09 - juris Rn. 35 ff.) von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:
handlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen
Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regel-
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maßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als „Ausgangspunkt der Zu-
messungserwägungen“.
Der Senat zieht in ständiger Rechtsprechung bei vorsätzlicher versuchter oder
vollendeter Schädigung des Dienstherrn bzw. Gefährdung des Vermögens des
Dienstherrn durch einen Reisekosten- bzw. Trennungsgeldbetrug als Aus-
gangspunkt der Zumessungserwägungen eine Dienstgradherabsetzung in Be-
tracht, sofern nicht eine Kernpflichtverletzung vorliegt (vgl. Urteile vom 27. Au-
gust 2003 - BVerwG 2 WD 5.03 - BVerwGE 119, 1 ff. = juris Rn. 6 bis 8, vom
11. Juni 2008 - BVerwG 2 WD 11.07 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26 =
juris Rn. 50, 55 sowie vom 25. Oktober 2012 - BVerwG 2 WD 33.11 - Rn. 67
jeweils m.w.N.). Hiervon ist auch vorliegend auszugehen.
bb) Auf der zweiten Stufe ist dann zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im Hin-
blick auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die
Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die die Möglich-
keit einer Milderung oder die Notwendigkeit einer Verschärfung gegenüber der
auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme eröffnen. Dabei ist
vor allem angesichts der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie
dessen Auswirkungen zu klären, ob es sich im Hinblick auf die be- und entlas-
tenden Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuld-
haften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw.
niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumes-
sungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach „oben“ bzw.
nach „unten“ zu modifizieren. Für die „Eigenart und Schwere des Dienstverge-
hens“ kann z.B. von Bedeutung sein, ob der Soldat eine herausgehobene
Dienststellung hatte, einmalig oder wiederholt oder in einem besonders wichti-
gen Pflichtbereich versagt hat. Bei den Auswirkungen des Fehlverhaltens sind
die konkreten Folgen für den Dienstbetrieb sowie schädliche Weiterungen für
das Außenbild der Bundeswehr in der Öffentlichkeit zu berücksichtigen. Hin-
sichtlich des Zumessungskriteriums „Maß der Schuld“ hat der Senat neben der
Schuldform und der Schuldfähigkeit das Vorliegen von Erschwerungs- und Mil-
derungsgründen in den Tatumständen in Betracht zu ziehen.
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aaa) Einen den Übergang zum Beförderungsverbot rechtfertigenden, leichten
Schweregrad kann man entgegen der Auffassung der Vorinstanz allerdings
nicht aus dem Umstand ableiten, dass die Tat nicht über das Versuchsstadium
hinausgelangt und kein Schaden eingetreten ist.
Denn der Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen ist ausdrücklich auch
für den Fall des Versuchs mit der Dienstgradherabsetzung bestimmt worden.
Der Fall des Versuchs ist typischerweise mit dem fehlenden Eintritt des Scha-
dens verbunden. Das Vorliegen eines gegenüber dem Regelfall minder schwe-
ren Falles kann nicht mit einem Umstand begründet werden, der auch bei ei-
nem Regelfall typischerweise vorliegt. Dem entspricht auch, dass es nach der
Rechtsprechung des Senats bei der Maßnahmebemessung nicht tatmildernd zu
berücksichtigen ist, dass ein Verhalten eines Soldaten aus tatsächlichen Grün-
den nicht geeignet ist, den von ihm gewünschten Erfolg herbeizuführen (Urteil
vom 21. Juni 2000 - BVerwG 2 WD 19.00 - Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 37).
Auch für das Beamtendisziplinarrecht ist anerkannt, dass eine versuchte Straf-
tat den Beamten disziplinarrechtlich genauso belastet wie eine vollendete und
dass der Umstand, dass ein Taterfolg nicht eingetreten ist, nur dann von Be-
deutung ist, wenn der Nichteintritt auf zurechenbarem Verhalten des Beamten
beruht (Beschluss vom 29. Januar 2009 - BVerwG 2 B 34.08 - Buchholz 235.1
§ 13 BDG Nr. 8). Dies ergibt sich schon daraus, dass eine versuchte Straftat
eine vollendete Verletzung der Pflicht zur Loyalität zur Rechtsordnung ist, da
selbige auch den Versuch einer Straftat untersagt (Urteil vom 13. Dezember
2012 - BVerwG 2 WD 29.11 - Rn. 49).
Dass keine Kernpflichtverletzung vorliegt, weil der Soldat nicht auf ihm anver-
traute Gelder zugegriffen hat, begründet das Fehlen eines erschwerenden und
nicht das Vorliegen eines mildernden Umstandes.
Unbeachtlich ist auch, dass das sachgleiche Strafverfahren gegen eine geringe
Geldauflage nach § 153a Abs. 1 StPO eingestellt wurde. Der durch die Erfül-
lung der Auflage bewirkte Fortfall des öffentlichen Interesses an der Strafverfol-
gung nach § 153a Abs. 1 StPO sagt nichts darüber aus, ob und in welchem
Umfang das öffentliche Interesse daneben noch eine disziplinarische Ahndung
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gebietet, weil sich die Kriminalstrafe nach Wesen und Zweck grundlegend von
der Disziplinarmaßnahme unterscheidet (Urteil vom 13. Januar 2011 - BVerwG
2 WD 20.09 - juris Rn. 49 m.w.N.).
bbb) Hier liegen aber dennoch gewichtige Milderungsgründe vor, die es erlau-
ben, anstelle der im Regelfall indizierten nach außen sichtbaren Maßnahme
eine laufbahnhemmende Maßnahme zu verhängen. Die Summe der oben an-
geführten mildernden Gesichtspunkte aus Persönlichkeit und Führung des Sol-
daten erreichen ein ausreichendes Gewicht, um in einem lang bemessenen
Beförderungsverbot verbunden mit einer nach Höhe und Dauer wirtschaftlich
fühlbaren Bezügekürzung eine angemessene Ahndung des Dienstvergehens zu
erkennen. Dies rechtfertigen hier kumulativ die sehr deutlich überdurchschnittli-
chen Leistungen und die Nachbewährung des Soldaten, Geständnis und Un-
rechtseinsicht, die Persönlichkeitsfremdheit der Tat sowie die pflichtenmahnen-
de Wirkung des Verfahrens, die sich - nicht zuletzt durch die Dauer des über-
durchschnittlich langen Berufungsverfahrens - in einer erheblichen faktischen
Verlängerung des Beförderungsverbotes und einer unterbliebenen Einweisung
in eine höhere Besoldungsgruppe konkretisiert hat. Dass letztere nach den
Leistungen des Soldaten veranlasst wäre, haben die Leumundszeugen Ober-
leutnant … und Hauptmann … übereinstimmend und schon deshalb glaubhaft
bekundet. Die vom Soldaten selbst mit vier Jahren bemessene Wartefrist wäre
jedenfalls binnen kurzer Zeit nach der Berufungshauptverhandlung abgelaufen,
sodass das Beförderungsverbot sich auch durch die entgehende Einweisung in
die höhere Besoldungsgruppe deutlich spürbar und damit nachhaltig pflichten-
mahnend auswirken wird.
3. Da die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft keinen Erfolg hatte, sind
dem Bund gemäß § 139 Abs. 2 WDO die Kosten des Berufungsverfahrens auf-
zuerlegen. Nach § 140 Abs. 3 Satz 1 WDO trägt er auch die dem Soldaten da-
rin erwachsenen notwendigen Auslagen.
Dr. von Heimburg
Dr. Burmeister
Dr. Eppelt
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Wehrdisziplinarrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
WDO
§ 38 Abs. 1, § 58 Abs. 7
Stichworte:
Bemessungsentscheidung; Anschuldigungsschrift; Umstände der Tatbegehung;
Dienstpflichtverletzung; Dienstvergehen.
Leitsatz:
Tatsächliche Umstände, die für sich genommen bereits eine Dienstpflichtverlet-
zung begründen, aber nicht Teil des in der Anschuldigungsschrift vorgeworfe-
nen einheitlichen Dienstvergehens geworden sind, sind bei der Bemessungs-
entscheidung nicht zu Lasten des Soldaten zu berücksichtigen.
Urteil des 2. Wehrdienstsenats vom 27. Juni 2013 - BVerwG 2 WD 5.12
I. TDG Süd vom 10.11.2011 - Az.: TDG S 1 VL 3/11 -