Urteil des BVerwG vom 13.01.2009

Soldat, Mangel des Verfahrens, Begründung des Urteils, Kaserne

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 WD 5.08
TDG S 6 VL 6/07
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
Herrn Stabsunteroffizier …,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
am 13. Januar 2009 beschlossen:
Auf die Berufung des Soldaten wird das Urteil der
6. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 4. De-
zember 2007 aufgehoben.
Die Sache wird zur nochmaligen Verhandlung und Ent-
scheidung an eine andere Kammer des Truppendienstge-
richts Süd zurückverwiesen.
- 2 -
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfah-
rens und die Erstattung der dem Soldaten erwachsenen
notwendigen Auslagen bleibt der Schlussentscheidung
vorbehalten.
G r ü n d e :
I
Der 29 Jahre alte Soldat trat am 1. Juli 2002 in die Bundeswehr ein. Mit Wir-
kung vom 1. Dezember 2002 wurde er in das Dienstverhältnis eines Soldaten
auf Zeit berufen. Seine Dienstzeit wurde zunächst auf vier und später auf acht
Jahre festgesetzt. Sie wird voraussichtlich mit Ablauf des 30. Juni 2010 enden.
Der Soldat wurde zuletzt mit Wirkung vom 1. März 2003 zum Stabsunteroffizier
mit gleichzeitigem Wechsel in die Laufbahn Allgemeiner Fachdienst befördert.
Als Angehöriger der 1./…bataillon … in D. ist er als Personalunteroffizier in der
S 1-Abteilung des Bataillonsstabes eingesetzt.
II
In dem ordnungsgemäß eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren wird
dem Soldaten mit der ihm am 29. März 2007 zugestellten Anschuldigungsschrift
der Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich des Heeresführungskomman-
dos vom 16. März 2007 folgender Sachverhalt als Dienstvergehen zur Last ge-
legt:
„1. Der Soldat fasste in einer nicht näher bestimmbaren
Nacht im November 2004 in der von ihm genutzten
Stube in der F.-Kaserne in D. den damaligen Gefrei-
ten … D., der zu dieser Zeit ebenfalls der
1./…bataillon … angehörte, an dessen Penis und
legte auch dessen Hand auf seinen Penis, wobei er
zumindest hätte erkennen können und müssen, dass
der damalige Gefreite D. hiermit nicht einverstanden
war.
2.
Der Soldat berührte an mehreren, nicht mehr näher
feststellbaren Abenden im Januar 2005 in der F.-
1
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- 3 -
Kaserne in D. ohne dienstlichen Anlass den damali-
gen Gefreiten … D., kitzelte ihn und kraulte ihm den
Nacken, wobei er zumindest hätte erkennen können
und müssen, dass der damalige Gefreite D. mit die-
sen körperlichen Berührungen nicht einverstanden
war.
3.
Der Soldat kitzelte an nicht mehr näher feststellbaren
Tagen Ende Januar 2005 in der F.-Kaserne in D.
wiederholt den damaligen Obergefreiten … B., der zu
dieser Zeit ebenfalls der 1./…bataillon … angehörte,
und fasste diesen mehrfach ohne dienstlichen Grund
im Hüftbereich an, wobei er zumindest hätte erken-
nen können und müssen, dass dieser mit diesen kör-
perlichen Berührungen nicht einverstanden war.
4.
Der Soldat fasste an nicht mehr näher feststellbaren
Tagen Ende Januar und im Februar 2005 in der F.-
Kaserne in D. den damaligen Gefreiten … K., der zu
dieser Zeit ebenfalls der 1./…bataillon … angehörte,
mehrfach unter dem Vorwand einer Rasurkontrolle
ins Gesicht, kitzelte ihn darüber hinaus und öffnete
mehrfach die Knöpfe seiner Uniformjacke mit der
Bemerkung: ‚Was ist denn das für ein Anzug?’, wo-
bei ein dienstlicher Grund hierfür tatsächlich nicht
vorlag und er zumindest hätte erkennen können und
müssen, dass der damalige Gefreite K. mit diesen
Berührungen nicht einverstanden war.
5.
Der Soldat forderte am 13.02.2005 gegen 01.00 Uhr
in seiner Wohnung, …ring …, … D., den damaligen
Gefreiten … K., mehrfach auf, mit ihm zusammen in
seinem Bett zu schlafen, wobei er zumindest hätte
wissen können und müssen, dass dies nicht dem
Willen des damaligen Gefreiten K. entsprach und
dies bei ihm den Anschein eines sexuell motivierten
Annäherungsversuches erwecken konnte, was es
auch tat.
6.
Der Soldat fasste am 20.02.2005 im Munitionslager I.
während des Wachdienstes als Wachhabender den
damaligen Gefreiten … K. mit den Worten: ‚Soll ich
Sie ärgern?’ im Brust- und Hüftbereich an, während
dieser als Wachsoldat mit einem Gewehr im An-
schlag die Überprüfung eines aus der Kaserne fah-
renden Fahrzeuges sicherte, wobei er zumindest hät-
te erkennen können und müssen, dass dies gegen
den Willen des damaligen Gefreiten K. geschah.
Durch sein Verhalten hat der Soldat die ihm obliegenden
Dienstpflichten verletzt,
- 4 -
• der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen (An-
schuldigungspunkt 6.),
• für seine Untergebenen zu sorgen (Anschuldigungs-
punkte 1. - 6.),
• die Rechte seiner Kameraden zu achten (Anschuldi-
gungspunkte 1. - 6.),
• dem Ansehen der Bundeswehr und der Achtung und
dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst als
Soldat erfordert (Anschuldigungspunkte 1. - 4. und 6.)
• sowie sich außer Dienst außerhalb der dienstlichen
Unterkünfte und Anlagen so zu verhalten, dass er das
Ansehen der Bundeswehr und die Achtung und das
Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordert,
nicht ernsthaft beeinträchtigt (Anschuldigungspunkt 5.),
wobei er jeweils als Vorgesetzter in Haltung und Pflichter-
füllung ein schlechtes Beispiel gegeben hat.
Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 Soldatengesetzt (SG) in
Verbindung mit § 7, § 10 Abs. 3, § 12 Satz 2, § 17 Abs. 2
Satz 1, Alternative 1 und 2, § 17 Abs. 2 Satz 2, Alternative
1 und 2 SG unter den erschwerenden Voraussetzungen
des § 10 Abs. 1 SG.“
Mit dem angefochtenen Urteil vom 4. Dezember 2007 hat die 6. Kammer des
Truppendienstgerichts Süd den Soldaten wegen eines Dienstvergehens in den
Dienstgrad eines Hauptgefreiten herabgesetzt. In tatsächlicher Hinsicht hat sie
den dem Soldaten im verfügenden Teil der Anschuldigungsschrift vorgeworfe-
nen Sachverhalt festgestellt und ergänzend folgende tatsächlichen Feststellun-
gen getroffen:
„Von Oktober 2004 bis zu seinem Dienstzeitende am
31.12.2005 versah der HG d.R. D. Dienst in der
1./…bataillon … in I. Er lernte den Soldaten an einem
Abend im November 2004 in der Diskothek ‚...’ in D. ken-
nen, wo er sich mit zwei weiteren Soldaten aus der
Grundausbildung aufhielt. Zwischen 02.00 Uhr und 03.00
Uhr hielt sich nur noch D. und der Soldat in der Diskothek
auf, während D.’s Kameraden bereits in die Kaserne zu-
rückgekehrt waren. Der Soldat forderte D., der sich noch
mit der jungen Frau abgab, auf, mit ihm zusammen in die
Kaserne zurückzukehren. Dort angekommen überredete
er den Zeugen D., er solle doch mit auf die Stube des Sol-
daten kommen in der sich zwei Betten befänden, um dort
zu übernachten, weil die Stube des Zeugen D. zu weit ent-
fernt sei. Aus Fürsorgegründen müsse er sogar befehlen,
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- 5 -
dass der Zeuge D. nicht alleine zu seinem Unterkunftsge-
bäude gehe, sondern mit auf seine Stube komme. Die
Stube des Soldaten befand sich einige hundert Meter nä-
her zum Eingang der Kaserne. Nachdem D. dem Soldaten
gefolgt war, legte er sich zunächst in das unüberzogene
Bett, worauf der Soldat ihn aufforderte, er solle sich doch
in das überzogene Bett legen. Der lediglich mit Boxer-
shorts bekleidete Zeuge D. wunderte sich zwar, legte sich
jedoch daraufhin in das überzogene Bett und döste ein.
Kurze Zeit später bemerkte er, wie sich der Soldat, eben-
falls nur mit Boxershorts bekleidet, zu ihm in das überzo-
gene Bett legte. Der Zeuge wachte davon auf, als der Sol-
dat den Penis des Zeugen innerhalb der Boxershort in die
Hand nahm. Der Zeuge war geschockt, ließ es jedoch zu,
dass der Soldat seine Hand ergriff und sie in die eigene
Hose steckte. Der Zeuge drehte sich wenig später weg
und stellte sich schlafend, wobei beide Hände nicht mehr
in den jeweiligen Hosen waren. Er konnte nicht einschla-
fen und wollte den Soldaten im Glauben lassen, er habe
die Zudringlichkeiten nicht gemerkt. Am Morgen verließ er
die Stube und begab sich in seine Einheit. Innerhalb der
ersten zwei Tage musste er erst zu sich selbst finden und
erzählte niemandem von dem Vorfall. Der Soldat war ir-
gendwie netter zu ihm. In der Folgezeit fühlte er sich durch
das Verhalten des Soldaten jedoch nur noch genervt. Die-
ser kam öfter zu ihm auf die Mannschaftsstube, setzte
sich neben ihn auf das Sofa, auch wenn es andere leere
Sitzgelegenheiten gab, betatschte ihn am Nacken, kraulte
und kitzelte ihn. Der Zeuge haute ihm auf den Schenkel,
weil es ihm einfach zu viel wurde. Danach ließ er den Sol-
daten in Form einer SMS auf seinem Handy wissen, dass
er noch alles vom Verlauf dieser Nacht wisse, worauf der
Soldat ihn in der Folgezeit in Ruhe ließ und ihn nun auch
wieder siezte. Als er am Sonntagabend in die Kaserne zu-
rückkam, hatte der Soldat UvD. Er befahl dem Zeugen,
seine Haare unverzüglich schneiden zu lassen. Dieser
schnitt sich die Haare und ging danach duschen. Der Sol-
dat kam in den Duschraum nach und machte das Licht
mehrfach aus und wieder an. Dann nahm er die Kleidung
des Zeugen weg, der jedoch einfach weiterduschte. Nach
geraumer Zeit brachte der Soldat die Kleider wieder zu-
rück. Nach dem Vorfall in der Nacht machte er dem Zeu-
gen Geschenke, u.a. Süßigkeiten, Feuerzeug, Wecker
und ein Computerspiel. Außer den Süßigkeiten lehnte der
Zeuge alles ab, was der Soldat jedoch ignorierte, so dass
aus Sicht des Zeugen ihm nichts anderes übrig blieb, als
die Gegenstände zu behalten. Auch seinen Kameraden
auf der Stube sei das Verhalten des Soldaten aufgefallen.
Der Soldat habe es auch wohl bei dem Kameraden B.
probiert, was er, der Zeuge, jedoch nur am Rande mitbe-
kam.
- 6 -
Der Zeuge, OG d.R. B., leistete vom 01.07.2004 bis
31.03.2004 Grundwehrdienst, nach der allgemeinen
Grundausbildung in der 1./…bataillon ... Als an einem
Sonntagnachmittag im Jahr 2004 ein Kamerad nicht zu ei-
nem eingeteilten Dienst erschien, rief der Soldat den Zeu-
gen an, damit er den Vertretungsfall übernehme. Es ergab
sich zunächst ein freundlicher Kontakt zwischen den bei-
den. Es folgte der Austausch von SMS per Handy. Nach
und nach wurde der Soldat dem Mannschaftsdienstgrad
zu intim. Er fragte den Zeugen, was er auf der US-Wache
in Da. machen würde. Der Soldat machte anzügliche Be-
merkungen wegen des Kontakts zu den Frauen der im
Auslandseinsatz befindlichen US-Soldaten. Als der Zeuge
zur Übernahme des Vertretungsdienstes am Sonntag-
abend in die Kaserne kam, trug er den Flecktarnanzug
und meldete sich bei dem Soldaten, der im UvD-Zimmer
saß. Während sich der Zeuge mit anderen Mannschafts-
dienstgraden unterhielt, reihte sich der Soldat in das Ge-
spräch ein und fing an, Knöpfe und Taschen an der Feld-
bluse und Feldhose des Zeugen zu öffnen. Er fragte ihn,
was das sei. Der Zeuge fühlte sich zwar nicht gedemütigt,
fand es aber nicht nett. Es hatte sich wohl herumgespro-
chen, dass er kitzelig war. Er empfand die Art des Solda-
ten, in dem er einen Vorgesetzten sah, als belästigend
und problematisch. Zu einer energischen Gegenwehr oder
Klarstellung kam es nicht.
Der Zeuge, StUffz K., wurde am 01.04.2004 in P. einberu-
fen. Er suchte eine Stelle in D., weil dieses näher an sei-
nem Heimatort im Schwarzwald lag und er sehr unter der
Trennung von seiner Freundin litt, zu der er eine innige
Beziehung hatte. Er erkundigte sich telefonisch bei dem
Soldaten, der als Sachbearbeiter in der S 1-Abteilung sei-
nes Verbandes tatsächlich die Versetzung nach D. mög-
lich machte. Es ergaben sich, vom Soldaten initiiert, SMS-
Kontakte per Handy. Die Handynummer stellte der Soldat
fest, indem er die Liste der Erreichbarkeit der Kompanie-
angehörigen einsah. Es kam dazu, dass der Soldat dem
Zeugen Taschen am Anzug öffnete und ihm befahl, diese
wieder zuzumachen. Er kontrollierte die Rasur des Zeu-
gen, indem er sich dem Zeugen auf eine sehr geringe Ent-
fernung näherte. Auf eine Anfrage des Soldaten, wie es
dem Zeugen ginge, teilte dieser ihm mit, dass sein Auto
kaputt sei und er zum Dienstbeginn mit dem Zug nach D.
kommen werde. Der Soldat kündigte an, er werde den
Zeugen selbst mit seinem Auto abholen. Als der Zeuge
darauf verwies, dass er doch mit dem Zug kommen kön-
ne, beharrte der Soldat mit der Formulierung, das könne
‚auch befohlen werden’ auf der persönlichen Abholung. Er
holte ihn in seinem Heimatort M. ab, nachdem er ihm zu-
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vor seine Ankunftszeit mitgeteilt hatte sowie ihm eröffnet
hatte, er solle mehr Kleidung mitnehmen, weil er am
nächsten Wochenende nicht nach Hause fahren dürfe.
Gegen 24.00 Uhr erreichten beide schließlich D.. Der Sol-
dat sagte, der Zeuge solle mit ihm in seine Wohnung
kommen, um seine bereits in der Kaserne schlafenden
Kameraden nicht zu stören. In der aus zwei Zimmern be-
stehenden Wohnung angekommen, wies er auf sein Bett
und sagte, der Obergefreite solle darin schlafen. Dieser
wusste nicht, wie er reagieren solle. Er war extrem be-
fremdet und ängstlich, verließ jedoch den Raum und ging
in das andere Zimmer, wo er sich einschloss. Am Mon-
tagmorgen tat er so, als ob nichts gewesen wäre.
In der Folgezeit legte der Soldat dem Obergefreiten ohne
weitere Anfrage drei Tauschzettel zum Unterschreiben
vor, wodurch er die Wache von drei anderen Kameraden
am nächsten Wochenende übernahm. Während der Wa-
che am nächsten Wochenende belästigte der Soldat den
Zeugen, indem er permanent seine Nähe suchte. Bei der
zweiten Wache fragte der Soldat, der Wachhabender war,
während eines Sicherungsvorgangs bei der Ausfahrt eines
Fahrzeuges aus der Kaserne: ‚Soll ich Sie ärgern?’ und
fasste den Zeugen, der wegen der Beengtheit der Schutz-
wehr nicht zurücktreten konnte, am Oberkörper an. Der
Zeuge machte daraufhin eine kleine abwehrende Bewe-
gung.
Weil er den Kompaniechef noch nicht kannte und als Neu-
zugang in der Einheit noch zu keinem Vorgesetzten Ver-
trauen gefasst hatte, sah er sich nicht in der Lage, sich
jemandem zu eröffnen. Nach seinem Eindruck deckte je-
der jeden. Der Soldat, der in den Bataillonsstab und die
Einheit integriert war und mit den Stabsfeldwebeln Karten
spielte, schüchterte den Zeugen ein und drohte ihm, im
Hinblick auf seine Aussage sogar damit, für seine Entlas-
sung zu sorgen. Bei dem Zeugen entwickelten sich psy-
chische Probleme, die schließlich dazu führten, dass er
das Verhältnis zu seiner Freundin aufgab und sich in psy-
chiatrische Behandlung begab. Er meldete die Vorfälle
weiterhin nicht, reichte jedoch am 03.08.2005 eine Einga-
be an den Wehrbeauftragten ein.
Die Einlassungen des Soldaten, die die Darstellungen der
Zeugen definitiv bestreiten, sind von der Kammer als reine
Schutzbehauptungen gewertet worden. Die Aussage der
Zeugen erschienen der Kammer auch deswegen glaub-
würdig, weil sie von keinerlei Belastungseifer gekenn-
zeichnet waren.“
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Gegen das ihm am 17. Dezember 2007 zugestellte Urteil hat der Soldat am
14. Januar 2008 Berufung eingelegt und beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und ihn freizuspre-
chen,
hilfsweise
die Sache gemäß § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO zur nochmali-
gen Verhandlung und Entscheidung an eine andere
Kammer des Truppendienstgerichts zurückzuverweisen.
Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen:
Der ihm vorgeworfene Sachverhalt treffe nicht zu. Er habe die Vorwürfe detail-
liert und substanziiert bestritten. Diese Einlassung hätte für die Kammer Anlass
sein müssen, sich mit den Aussagen der Zeugen einerseits und andererseits
mit seinem, des Soldaten, Vorbringen im Einzelnen auseinanderzusetzen. Dies
sei im angefochtenen Urteil nicht geschehen. Stattdessen werde lapidar festge-
stellt, seine, des Soldaten, Einlassungen seien „von der Kammer als reine
Schutzbehauptung gewertet worden“. Zu den Aussagen der Zeugen werde le-
diglich mitgeteilt, dass sie der Kammer deshalb glaubwürdig erschienen seien,
weil sie nicht von Belastungseifer gekennzeichnet gewesen seien. Dies sei kei-
ne ordnungsgemäße Beweiswürdigung.
Zu den Einzelvorwürfen hat sich der Soldat wie folgt eingelassen:
Zu Anschuldigungspunkt 1:
Er habe den Zeugen D. nicht an dessen Penis gefasst und auch nicht dessen
Hand auf seinen - des Soldaten - Penis gelegt. Eine derartige Situation habe
nicht stattgefunden. Der Zeuge D. sei nicht auf der Stube des Soldaten gewe-
sen. Die Hauptverhandlung vor der Truppendienstkammer habe zudem zahlrei-
che Fragen aufgeworfen, mit denen sich das angefochtene Urteil ausweislich
der Entscheidungsgründe nicht einmal ansatzweise auseinandergesetzt habe.
Es sei unklar, welchen Anlass der Zeuge D. überhaupt gehabt haben solle, mit
auf seine Stube zu kommen. Außerdem sei unerklärlich, warum sich der Zeuge
D. nicht spätestens zu dem Zeitpunkt entfernt habe, als es zu dem angeblichen
Vorfall gekommen sei. Ferner sei nicht nachvollziehbar, warum der Zeuge D.,
ein sprachgewandter Abiturient, das vermeintliche Ereignis nicht gemeldet ha-
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be. Unklar sei ferner, in welchem Umfang der Zeuge D. alkoholisiert gewesen
sei. Dieser habe hierzu unterschiedliche Angaben gemacht. Auch die Darstel-
lungen des Zeugen D. zum angeblichen Geschehensablauf seien widersprüch-
lich.
Zu Anschuldigungspunkt 2:
Er, der Soldat, bestreite weiterhin, dass er ohne dienstlichen Anlass den Zeu-
gen D. gekitzelt und ihm den Nacken gekrault habe. Richtig sei vielmehr, dass
es auf der Stube zu einer freundschaftlichen Rauferei gekommen sei. Eine se-
xuelle Intention habe nicht vorgelegen.
Zu Anschuldigungspunkt 3:
Er, der Soldat, bestreite auch die Richtigkeit des Vorwurfs, er habe den Zeugen
B. ohne dienstlichen Grund im Hüftbereich angefasst. Der Zeuge B. habe in der
Vernehmung vom 6. November 2006 selbst erklärt, er, der Soldat, habe ihn
mehrfach in die Hüfte gestoßen. Eine Belästigung, zudem mit sexuellem Hin-
tergrund, sei hierin nicht zu erkennen.
Zu Anschuldigungspunkt 4:
Auch der Vorwurf treffe nicht zu, er, der Soldat, habe den Zeugen K. ins Gesicht
gefasst, ihn gekitzelt und die Knöpfe der Uniformjacke des Zeuge geöffnet. Be-
lästigungen, insbesondere solche mit sexuellem Hintergrund, hätten nicht statt-
gefunden.
Zu Anschuldigungspunkt 5:
Unrichtig sei auch der Vorwurf, er, der Soldat, habe den Zeugen K. mehrfach
aufgefordert, mit ihm zusammen in einem Bett zu schlafen, wodurch der An-
schein eines sexuell motivierten Annäherungsversuches erweckt worden sei.
Vielmehr habe der Zeuge K. an jenem Abend Verbindung mit ihm, dem Solda-
ten, aufgenommen und ihn, den Soldaten, seiner Mutter vorgestellt und den
elterlichen Betrieb gezeigt. Er, der Soldat, habe dem Zeugen K. vorgeschlagen,
im Zimmer des abwesenden Wohngemeinschaftskameraden Kl. zu nächtigen,
was dann auch geschehen sei. Zu keiner Zeit habe er dem Zeugen K. angebo-
ten, dieser solle in seinem, des Soldaten, Bett schlafen. Die Darstellung des
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- 10 -
Zeugen K., alles sei mehr oder weniger gegen seinen Willen abgelaufen, sei
nicht nachvollziehbar. Im Übrigen stelle sich hier die Frage, weshalb der Zeuge
K. nicht aus seiner Sicht klare Verhältnisse geschaffen habe, indem er sich ent-
fernt habe.
Zu Anschuldigungspunkt 6:
Unzutreffend sei auch der Vorwurf, er, der Soldat, habe den Zeugen K. wäh-
rend des Wachdienstes mit den Worten „Soll ich Sie ärgern?“ im Brust- und
Hüftbereich angefasst. Vielmehr sei es so gewesen, dass der Zeuge K. behaup-
tet habe, durch nichts ablenkbar zu sein. Daraufhin habe er, der Soldat, gefragt,
ob er dies ausprobieren könne. Er habe dann dem Zeugen mit den Fingern Sti-
che in die Körperseite in Hüft- und Rückenhöhe verpasst. Auch hier habe jegli-
che sexuelle Motivation gefehlt.
Das angefochtene Urteil habe sich mit allen diesen Gesichtspunkten nicht aus-
einandergesetzt. Dazu habe aber in besonderem Maße Veranlassung bestan-
den. Denn er, der Soldat, habe selbst die Ermittlungen durch seine Meldung
vom 4. März 2005 ins Rollen gebracht. Hätte er sich tatsächlich etwas vorzu-
werfen gehabt, hätte er diese Meldung unterlassen. Zu keiner Zeit habe es zu-
dem Beschwerden gegen ihn, den Soldaten, gegeben. Insbesondere die an-
geblich Betroffenen hätten keine Meldung erstattet. Die gegen ihn erhobenen
Vorwürfe passten auch nicht zu seinem Persönlichkeitsbild, das die in der
Hauptverhandlung vernommenen Leumundszeugen von ihm gezeichnet hätten
und das sich zudem aus den schriftlichen Beurteilungen ergebe.
III
Das vom Soldaten eingelegte, nach § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1,
Abs. 2 WDO zulässige Rechtsmittel der vollen Berufung führt zur Zurückverwei-
sung der Sache an eine andere Kammer des Truppendienstgerichts Süd zur
nochmaligen Verhandlung und Entscheidung, weil ein schwerer Mangel des
Verfahrens vorliegt und weil weitere Aufklärungen erforderlich sind (§ 120
Abs. 1 Nr. 2 WDO). Die Entscheidung ergeht durch Beschluss ohne mündliche
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Verhandlung und in der Besetzung mit drei Richtern (§ 80 Abs. 3 Satz 1
Halbs. 2 WDO).
Weitere Aufklärungen sind im Sinne des § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO erforderlich,
wenn es in dem angefochtenen Urteil des Truppendienstgerichts ganz oder
teilweise an hinreichenden tatsächlichen Feststellungen fehlt. Dies kann auch
dann der Fall sein, wenn volle Berufung eingelegt worden ist und der Wehr-
dienstsenat damit an sich die notwendigen Sachverhaltsfeststellungen seiner-
seits noch treffen könnte (vgl. dazu Dau, WDO, 4. Aufl. 2002, § 120 Rn. 5
m.w.N.). Ein schwerer Mangel des Verfahrens im Sinne des § 120 Abs. 1 Nr. 2
WDO liegt vor, wenn gegen eine Verfahrensvorschrift verstoßen worden ist,
deren Verletzung schwerwiegend und für den Ausgang des Verfahrens (noch)
von Bedeutung ist. Ein schwerwiegender Verstoß gegen eine Verfahrensvor-
schrift ist regelmäßig dann gegeben, wenn die Rechte eines Verfahrensbeteilig-
ten wesentlich beeinträchtigt worden sind oder wenn der Verfahrensverstoß den
Zweck einer Formvorschrift wesentlich vereitelt. Als schwerwiegender Mangel
des Verfahrens im dargelegten Sinne ist in der Rechtsprechung u.a. das Fehlen
von ausreichenden und widerspruchsfreien Feststellungen zur Tat- und Schuld-
frage anerkannt (vgl. u.a. Beschlüsse vom 24. Februar 1966 - BDH 3 D 53/65 -
BDHE 7, 37, vom 11. Mai 1978 - BVerwG 2 WD 36.78 - BVerwGE 63, 72 <74>
= NZWehrr 1979, 32 und vom 7. November 2007 - BVerwG 2 WD 1.07 -
BVerwGE 130, 12 <19> = Buchholz 450.2 § 120 WDO 2002 Nr. 2; Dau, a.a.O.
§ 121 Rn. 5 i.V.m. § 120 Rn. 7).
Im gerichtlichen Disziplinarverfahren muss der Tatrichter den entscheidungser-
heblichen Sachverhalt von Amts wegen erforschen (§ 106 Abs. 1 WDO) und
nach Maßgabe der prozessrechtlichen Vorschriften feststellen sowie diesen und
die daraus gezogenen rechtlichen Schlussfolgerungen in den Urteilsgründen
darlegen. Nach der im Wehrdisziplinarrecht gem.entspre-
chend anwendbaren Vorschrift dessetzt die freie, aus dem Inbegriff
der Verhandlung geschöpfte Überzeugung des Tatrichters in subjektiver Hin-
sicht die für die Überführung des Angeschuldigten erforderliche volle persönli-
che Gewissheit des Tatrichters voraus. Dies schließt die Möglichkeit eines an-
deren, auch gegenteiligen Geschehensablaufes nicht aus; denn im Bereich der
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vom Tatrichter zu würdigenden tatsächlichen Umstände ist der menschlichen
Erkenntnis ein absolut sicheres Wissen über den Tathergang, demgegenüber
andere Möglichkeiten seines Ablaufs unter allen Umständen ausscheiden
müssten, verschlossen. Nach der gesetzlichen Regelung ist es allein Aufgabe
des Tatrichters, ohne Bindung an feste gesetzliche Beweisregeln und nur nach
seinem Gewissen verantwortlich zu prüfen und zu entscheiden, ob er die an
sich möglichen Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt
überzeugen kann oder nicht. Die für die Überführung eines Angeschuldigten
erforderliche (volle) persönliche Gewissheit des Tatrichters erfordert ein nach
der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige und
nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten gestützte Zweifel nicht mehr auf-
kommen lässt (vgl. Urteile vom 12. Februar 2003 --
BVerwGE 117, 371 = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 48 = NZWehrr 2003, 214 und
vom 3. Juli 2003 -- Buchholz 235.01 § 91 WDO Nr. 1 =
-
<237>; Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl. 2008, § 261 Rn. 2 m.w.N.).
Zur Überführung eines Angeschuldigten ist dabei keine „mathematische“ Ge-
wissheit erforderlich. Die subjektive Überzeugung des Tatsachenge-
richts/Tatrichters muss aber auf einer objektiv tragfähigen Tatsachenbasis be-
ruhen. Der Beweis muss mit lückenlosen, nachvollziehbaren logischen Argu-
menten geführt sein. Allein damit wird die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2
EMRK) widerlegt (vgl. Urteile vom 12. Februar 2003 a.a.O. und vom 3. Juli
2003 a.a.O.).
Die Beweiswürdigung muss auf eine verstandesmäßig einsichtige Tatsachen-
grundlage gestützt und muss erschöpfend sein. § 91 Abs. 1 WDO i.V.m. § 261
StPO verpflichtet, alle in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise zu würdi-
gen und dem Urteil zugrunde zu legen, sofern nicht im Einzelfall ein Beweis-
verwertungsverbot entgegensteht. Der Tatrichter ist gehalten, sich mit den von
ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Ge-
sichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergeb-
nis zugunsten oder zuungunsten des Angeschuldigten zu beeinflussen. Auch
die Äußerungen des Angeschuldigten sind zu würdigen. Steht Aussage gegen
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Aussage und hängt die Entscheidung allein davon ab, welchen Angaben das
Gericht folgt, sind besonders strenge Anforderung an die Beweiswürdigung zu
stellen (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O. § 261 Rn. 11a m.w.N.). In einem solchen Fall
müssen, damit es nicht zu einer Verurteilung aufgrund einer subjektiven Fehl-
beurteilung der Zeugenaussagen kommt, alle Umstände, denen eine indizielle
Bedeutung für die Schuld oder Unschuld des Angeschuldigten zukommen kann,
in die Beweiswürdigung eingestellt und in den Urteilsgründen dargelegt werden
(vgl. dazu u.a. BGH, Urteil vom 3. Februar 1993 - 2 StR 531/92 - StV 1994, 526
m.w.N. und Beschluss vom 6. März 2002 - 5 StR 501/01 - NStZ-RR 2002, 174 f.
m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 3. Juli 2003 a.a.O.). Selbst wenn einzelne Indizien
jeweils für sich genommen noch keine vernünftigen Zweifel an der Richtigkeit
einer den Angeschuldigten belastenden Aussage aufkommen lassen, so kann
jedoch eine Häufung solcher Indizien bei einer Gesamtbetrachtung zu solchen
Zweifeln führen (vgl. Urteil vom 3. Juli 2003 a.a.O. m.w.N.).
In der Begründung des Urteils müssen die für erwiesen erachteten äußeren und
inneren Tatsachen als das Ergebnis der Beweiswürdigung nachvollziehbar dar-
gelegt werden (§ 91 Abs. 1 WDO i.V.m. § 267 Abs. 1 StPO). Die Einlassung
des Angeschuldigten muss mitgeteilt und unter Berücksichtigung der erhobenen
Beweise eingehend gewürdigt werden. Die bloße Wiedergabe der Aussagen
des Angeschuldigten und der Zeugen genügt dabei nicht. Eine bestreitende
Einlassung des Angeschuldigten und ihre Widerlegung bestimmen Umfang und
Inhalt der Darlegung im Urteil (vgl. dazu u.a. Meyer-Goßner, a.a.O. § 267 Rn.
12 m.w.N.). Um die Beweiswürdigung nachvollziehbar zu machen, muss darge-
legt werden, in welchem Umfang und aus welchem Grund nach der Überzeu-
gung des Gerichts die Aussage des Zeugen und nicht die Einlassung der Ange-
schuldigten glaubhaft ist und warum das Gericht die Glaubwürdigkeit des Zeu-
gen bejaht, diejenige des Angeschuldigten aber verneint. Hat der Angeschuldig-
te mit Tatsachen belegte, nicht eindeutig unerhebliche Bedenken gegen einen
Beweis oder den Wert eines Beweismittelns vorgebracht, so muss sich das Ge-
richt auch damit auseinandersetzen.
Erfüllt ein Urteil nach seinen Entscheidungsgründen diese Anforderungen nicht
(vgl. Urteil vom 1. Juli 2003 - BVerwG 2 WD 34.02 - BVerwGE 118, 262 =
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Buchholz 235.01 § 108 WDO 2002 Nr. 2 = NZWehrr 2004, 36), liegt ein Aufklä-
rungsmangel und zugleich ein schwerwiegender Mangel des Verfahrens vor.
Die Verteidigung hat mit dem Berufungsschriftsatz gerügt, dass das Truppen-
dienstgericht im angefochtenen Urteil - obwohl der Soldat die gegen ihn erho-
benen Vorwürfe substanziiert bestritten habe - keine Veranlassung gesehen
habe, „sich mit den Aussagen der Zeugen einerseits, andererseits mit der
Schilderung des Soldaten im Einzelnen auseinanderzusetzen.“ Lapidar werde
im Urteil lediglich festgestellt, die Einlassungen des Soldaten seien „von der
Kammer als reine Schutzbehauptung gewertet worden“; zu den Aussagen der
Zeugen werde „lediglich mitgeteilt, dass sie der Kammer deshalb unglaubwür-
dig erschienen seien, weil sie nicht von Belastungseifer gekennzeichnet gewe-
sen seien“.
Dieser Vorwurf der Verteidigung ist begründet. Denn die tatsächlichen Feststel-
lungen im angefochtenen Urteil erschöpfen sich in der Tat im Wesentlichen in
der Mitteilung, die Truppendienstkammer habe „den im verfügenden Teil der
Anschuldigungsschrift vorgeworfenen Sachverhalt festgestellt“ und sei „zusätz-
lich … zu folgenden Feststellungen“ gelangt, die dann auf den Seiten 4 (letzter
Absatz) bis 8 (erster Absatz) mitgeteilt werden, ohne dass dargelegt oder sonst
hinreichend erkennbar wird, worauf diese beruhen. Am Ende dieses Abschnitts
des angefochtenen Urteils wird lediglich angegeben, die Kammer habe „die Ein-
lassungen des Soldaten, die die Darstellungen der Zeugen definitiv bestreiten“,
als „reine Schutzbehauptung“ gewertet. Worauf diese Schlussfolgerung gestützt
ist, wird im Unklaren gelassen. Dies gilt auch für die zweite in diesem Absatz
angeführte Erwägung, wonach der Truppendienstkammer „die Aussage (?) der
Zeugen“ „auch deswegen glaubwürdig“ erschien(en), „weil sie (?) von keinerlei
Belastungseifer gekennzeichnet waren“. Es bleibt nicht nur unklar, ob damit das
Ergebnis der Prüfung der Glaubhaftigkeit der Aussagen einzelner oder aller
Zeugen gemeint ist oder ob auf deren persönliche Glaubwürdigkeit („keinerlei
Belastungseifer“) abgestellt wird. Vor allem aber fehlt es erkennbar an einer
hinreichenden Auseinandersetzung mit den auf die einzelnen Anschuldigungs-
punkte bezogenen Einlassungen des Angeschuldigten einerseits und den Aus-
sagen der hierzu vernommenen Zeugen sowie den sonstigen Beweismitteln
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andererseits. Die bloße formelhafte Mitteilung, das Gericht werte die Einlassun-
gen des Angeschuldigten als „Schutzbehauptung“, lässt nicht erkennen, auf-
grund welcher Umstände und wie das Gericht zu dieser Schlussfolgerung ge-
langt ist. Zudem fehlt es an jeder Zuordnung der Einzelaussagen der von der
Truppendienstkammer vernommenen Zeugen zu den für die einzelnen An-
schuldigungspunkte relevanten Beweisthemen und an einer näheren Würdi-
gung der Umstände, die aus der Sicht des Gerichts für die inhaltliche Richtigkeit
dieser Zeugenbekundungen und gegen die Einlassungen des Angeschuldigten
sprechen. Die Sachverhaltsfeststellungen sind damit grob fehlerhaft und unzu-
reichend. In einem solchen Fall ist davon auszugehen, dass der Verfahrens-
und Aufklärungsmangel das Ergebnis der Beweiswürdigung und die Sachver-
haltsfeststellung beeinflusst haben kann und damit auch entscheidungserheb-
lich war.
Diese schwerwiegenden Mängel der Beweiswürdigung und damit der Sachver-
haltsaufklärung durch die Truppendienstkammer werden auch nicht dadurch
geheilt, dass die Wehrdisziplinaranwaltschaft in ihrer dem Bundeswehrdiszipli-
naranwalt zur Berufungsschrift vorgelegten internen Stellungnahme vom
13. Februar 2008, die dem Senat durch den Bundeswehrdisziplinaranwalt mit
Schriftsatz vom 6. Januar 2009 zur Kenntnis gebracht worden ist, aus ihrer
Kenntnis des Ablaufs der erstinstanzlichen Beweisaufnahme die Zeugenaussa-
gen und die Beweislage näher gewürdigt hat. Denn diese Stellungnahme der
Wehrdisziplinaranwaltschaft vermag die erforderliche gerichtliche Beweiswürdi-
gung und die auf dieser Grundlage zu treffenden hinreichenden Tatsachenfest-
stellungen der Truppendienstkammer nicht zu ersetzen.
Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils der Truppendienstkammer
und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Kammer des Truppen-
dienstgerichts Süd.
Zwar steht die Entscheidung darüber, ob der Senat bei Vorliegen eines Aufklä-
rungsmangels oder eines schweren Verfahrensmangels ungeachtet dessen in
der Sache selbst entscheidet oder ob er das Urteil der Truppendienstkammer
aufhebt und die Sache an eine andere Kammer desselben Truppendienstge-
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richts oder eines anderen Truppendienstgerichts zur nochmaligen Verhandlung
und Entscheidung zurückverweist, nach § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO in seinem ge-
richtlichen Ermessen. Bei der pflichtgemäßen Ausübung dieses Ermessens
kommt dem Normzweck regelmäßig eine entscheidende Bedeutung zu.
Wurde eine Sachverhaltsaufklärung erstinstanzlich gar nicht erst begonnen (vgl.
dazu Beschlüsse vom 28. April 1993 - BVerwG 2 WD 68.91 - und vom
16. September 1996 - BVerwG 2 WD 30.96 -) oder war sie weitgehend unzu-
länglich (vgl. dazu u.a. Beschlüsse vom 14. September 1988 - BVerwG 2 WD
17.88 -, vom 15. April 1992 - BVerwG 2 WD 13.92 - und vom 25. März 1997
- BVerwG 2 WD 4.97 -), ist in aller Regel auch in Ansehung des Beschleuni-
gungsgebotes des § 17 Abs. 1 WDO jedenfalls wegen Vorliegens eines schwe-
ren Mangels des Verfahrens eine Zurückverweisung durch das Berufungsge-
richt geboten (vgl. auch Beschluss vom 31. Oktober 2007 - BVerwG 2 WD
22.06 -). Es ist nach den Regelungen der Wehrdisziplinarordnung nicht Aufgabe
des Berufungsgerichts, an Stelle der dazu berufenen Truppendienstkammer
notwendige gerichtliche Feststellungen zum entscheidungserheblichen Sach-
verhalt erstmals zu treffen. Ein angeschuldigter Soldat hat zudem Anspruch
darauf, dass bereits im ersten Rechtszug nach Maßgabe der prozessrechtli-
chen Vorschriften alle erforderlichen Maßnahmen zur hinreichenden Aufklärung
der Sach- und Rechtslage ordnungsgemäß getroffen werden und die erhobe-
nen Beweise nachvollziehbar gewürdigt werden und dass das Ergebnis der
Beweiswürdigung in den Urteilsgründen niedergelegt wird. Es reicht nicht aus,
wenn das erstinstanzliche Gericht lediglich den von ihm für festgestellt erachte-
ten historischen Geschehensablauf wiedergibt, ohne nachvollziehbar darzule-
gen, wie es in Ansehung der Einlassung des Angeschuldigten sowie der Zeu-
genaussagen und erhobenen weiteren Beweise zu diesem Ergebnis gekommen
ist.
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Nur bei einer nach Maßgabe der dargelegten Grundsätze ergehenden, die In-
stanz abschließenden Entscheidung der Truppendienstkammer wird der Ange-
schuldigte - ebenso wie die Wehrdisziplinaranwaltschaft - in die Lage versetzt,
eine verantwortliche Entscheidung darüber zu treffen, ob von dem Recht auf
Einlegung einer Berufung Gebrauch gemacht und ein Berufungsverfahren ein-
geleitet und durchgeführt werden soll.
Angesichts dessen macht der Senat von dem ihm durch § 120 Abs. 1 Nr. 2
WDO eingeräumten Ermessen in der im Tenor des vorliegenden Beschlusses
bestimmten Weise Gebrauch. Die nach § 120 Abs. 2 WDO erforderliche Gele-
genheit zur Äußerung ist dem Soldaten und dem Bundeswehrdisziplinaranwalt
durch gerichtliche Verfügung vom 15. Dezember 2008 gewährt worden.
Für eine Zurückverweisung an ein anderes Truppendienstgericht sieht der Se-
nat keine Veranlassung.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und die Erstattung der dem
Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen ist der Schlussentschei-
dung vorbehalten.
Golze Dr. Müller Dr. Deiseroth
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