Urteil des BVerwG vom 12.10.2010

Soldat, Reserve, Aktiven, Rechtskräftiges Urteil

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 44.09
TDG S 2 VL 19/09
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
gegen
Herrn Stabsunteroffizier der Reserve ...,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 12. Oktober 2010, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Burmeister,
ehrenamtlicher Richter Major Böning und
ehrenamtlicher Richter Stabsunteroffizier Oehmig,
sowie
Leitender Regierungsdirektor ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ...
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Berufung des früheren Soldaten gegen das Urteil
der 2. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom
24. November 2009 wird mit der Maßgabe zurückge-
wiesen, dass der frühere Soldat in den Dienstgrad
eines Hauptgefreiten der Reserve herabgesetzt wird.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem frü-
heren Soldaten auferlegt.
G r ü n d e :
I
Der jetzt 32 Jahre alte frühere Soldat mit Hauptschulabschluss hatte nach einer
erfolgreichen Lehre und kurzen Berufstätigkeit als Maler im Jahr 1998 Grund-
wehrdienst geleistet. Anschließend war er als Werksarbeiter sowie als Kraftfah-
rer tätig, bevor er am 1. August 2003 als Wiedereinsteller in den Dienst der
Bundeswehr trat. Sein Dienstverhältnis als Soldat auf Zeit, das zuletzt antrags-
gemäß auf acht Jahre festgesetzt worden war, endete mit Ablauf des 30. Sep-
tember 2010. Der regelmäßig beförderte frühere Soldat wurde zuletzt am 23.
Oktober 2006 zum Stabsunteroffizier (Besoldungsgruppe A 6 BBesG) ernannt.
Im Rahmen einer Maßnahme des Berufsförderungsdienstes befindet er sich
derzeit noch in der Ausbildung zum Fahrlehrer.
Nach mehreren Vorverwendungen und bestandener Abschlussprüfung im Aus-
bildungsberuf Berufskraftfahrer im Juni 2006 war der frühere Soldat als Trans-
portunteroffizier am 3. Juli 2006 zur 2./...bataillon ... in K. versetzt worden. Ab
dem 6. November 2006 leistete er versetzungsbedingt bei der 2./...bataillon ...
in V. Dienst. Wegen wiederholten Besitzes und Konsums von Betäubungsmit-
teln (Marihuana, Marihuana-Zigaretten) im Februar/März 2007 war der frühere
Soldat nach Aussage seines damaligen Disziplinarvorgesetzten, Hauptmann E.,
als Transportunteroffizier nicht mehr verwendbar und wurde im Materialkeller
eingesetzt. Dem früheren Soldaten wurde u.a. verboten, Waffen zu tragen und
Dienstfahrzeuge der Bundeswehr zu führen; sein Dienstführerschein wurde
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eingezogen. Mit Bescheid der Zentralen Militärkraftfahrtstelle der Bundeswehr
vom 10. Juli 2007 wurde dem früheren Soldaten die Dienstfahrerlaubnis entzo-
gen. Nachdem die Staatsanwaltschaft ..., Zweigstelle ..., gemäß § 31a Abs. 1
BtMG von einer strafrechtlichen Verfolgung des damals aktiven Soldaten abge-
sehen hatte, war gegen ihn wegen des sachgleichen Dienstvergehens durch
rechtskräftiges Urteil des Truppendienstgerichts Süd vom 6. November 2007
ein Beförderungsverbot für die Dauer von dreißig Monaten nebst einer Gehalts-
kürzung von einem Zwanzigstel für die Dauer von neun Monaten ausgespro-
chen worden.
Da der damals aktive Soldat im Frühjahr 2008 erneut durch Erwerb und Kon-
sum von Betäubungsmitteln am Standort V. aufgefallen war - dieses Fehlver-
halten ist Gegenstand des vorliegenden Disziplinarverfahrens -, wurde ihm im
Zeitraum vom 13. Mai bis zum 4. August 2008 die Dienstausübung verboten
und zugleich ein Uniformtrageverbot ausgesprochen. Anstelle einer vorläufigen
Dienstenthebung des Soldaten, wie von seinem damaligen Kompaniechef be-
antragt, wurde der Soldat mit Wirkung vom 11. August 2008 zur 3./...bataillon ...
in K. versetzt. Dort war er seit dem 10. November 2008 bis zum Übergang in
den Berufsförderungsdienst am 1. April 2010 zum Materialdepot E. komman-
diert.
Versetzungsanträge des früheren Soldaten vom 15. November 2006 und 20.
Februar 2008 mit dem Ziel einer heimatnäheren Verwendung blieben erfolglos.
Eine Regelbeurteilung des früheren Soldaten liegt nicht vor. In der Sonderbe-
urteilung vom 10. März 2010 wurden die Leistungen des früheren Soldaten im
Durchschnitt mit „5,00" („die Leistungserwartungen wurden erfüllt, überwiegend
übertroffen") bewertet. In der Berufungshauptverhandlung haben Hauptmann E.
und Hauptmann K., zuletzt Kompaniechef der 3./...bataillon ... in K., den frü-
heren Soldaten als unauffällig beschrieben. Er sei weder positiv noch negativ
besonders hervorgetreten und habe seine Arbeit gemacht. Entsprechende
Aussagen hatte bereits Oberstleutnant R., Leiter des Materialdepots E., als
Leumundszeuge vor dem Truppendienstgericht gemacht. Ergänzend hatte er
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ausgeführt, das Vertrauen zum damals aktiven Soldaten sei nach wie vor vor-
handen.
Das mit dem vorliegenden Disziplinarverfahren im Anschuldigungspunkt 1 teil-
weise sachgleiche Strafverfahren wegen des Erwerbs von einem Gramm Am-
phetamin (vorsätzlicher Verstoß gegen § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 29 Abs. 1
Nr. 1 BtMG) wurde von der Staatsanwaltschaft ... gemäß § 153a Abs. 1 StPO
am 17. September 2008 endgültig eingestellt, nachdem der frühere Soldat die
ihm erteilte Auflage, Zahlung von 200 € an die Universitätskinderklinik in W.,
erfüllt hatte.
Disziplinarrechtlich ist der frühere Soldat, wie erwähnt, einschlägig vorbelastet.
Der frühere Soldat ist ledig, hat aber mit seiner Lebenspartnerin eine gemein-
same Tochter, geboren am ... 2006.
II
1. In dem durch Verfügung des Befehlshabers Wehrbereichskommando IV vom
30. Juni 2008 ordnungsgemäß eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren
hat die 2. Kammer des Truppendienstgerichts Süd auf der Grundlage der An-
schuldigungsschrift vom 13. Mai 2009 durch Urteil vom 24. November 2009
entschieden, dass der damals aktive Soldat in den Dienstgrad eines Hauptge-
freiten herabgesetzt wird. Das Gericht hat dabei folgende tatsächliche Feststel-
lungen getroffen:
„1. Der Soldat erhielt an einem Abend zu einem nicht ge-
nau feststellbaren Zeitpunkt zwischen Januar und April
2008 auf der Unterkunftsstube 105 im Gebäude 2.15 in
der M.-Kaserne in V. vom Unteroffizier Kü. eine nicht ge-
nau feststellbare Menge des Betäubungsmittels ‚Speed’
und konsumierte diese gemeinsam mit ihm, obwohl er
wusste, dass der unbefugte Besitz und Konsum von Be-
täubungsmitteln gemäß ZDv 10/5 Ziffer 404 für Soldaten
verboten ist. Gegen Ende dieses Abends erwarb der Sol-
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dat vom Unteroffizier Kü. gegen Zahlung von 20 Euro un-
gefähr ein Gramm ‚Speed’ und konsumierte dies später zu
Hause.
2. Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt zwischen
Januar und März 2008 kaufte der Soldat in der M.-
Kaserne in V. vom Unteroffizier Kü. drei nicht näher fest-
stellbare Teilmengen an Betäubungsmitteln, obwohl er
wusste, dass der unbefugte Besitz von Betäubungsmitteln
für Soldaten gemäß ZDv 10/5 Ziffer 404 verboten ist.
Der Soldat ist geständig.
Er ließ sich ein, dass der Grund für seinen Drogenkonsum
die Versetzung nach V. gewesen sei. Die doppelte finan-
zielle Belastung durch seine Wohnung in V., das Kind und
die Fahrtkosten hätten ihn zu sehr belastet. Drogenab-
hängig sei er jedenfalls nicht. Hilfe habe er sich auch beim
Sozialberater und dem Pfarrer geholt. Er bereue, was er
getan habe und möchte gern weiter bei der Bundeswehr
bleiben“.
Die Truppendienstkammer hat dieses festgestellte Verhalten des damals akti-
ven Soldaten als vorsätzliche Verstöße gegen seine Pflicht zum treuen Dienen
(§ 7 SG) - Pflicht zur gewissenhaften Diensterfüllung (dienstliche Einsatzbereit-
schaft) -, seine Gehorsamspflicht (§ 11 Abs. 1 SG) und seine Pflicht, sich
außerdienstlich achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten (§ 17 Abs. 2 Satz
2 SG), gewertet; sie stellten ein Dienstvergehen im Sinne des § 23 Abs. 1 SG
dar, für das der Soldat gem. § 10 Abs. 1 SG verschärft hafte.
Zur Bemessung der Disziplinarmaßnahme hat das Truppendienstgericht u.a.
ausgeführt, schon ein einmaliger inner- oder außerdienstlicher Betäubungsmit-
telkonsum stelle als Kernpflichtverletzung nach § 7 SG die Funktion eines Sol-
daten als Vorgesetzten in Frage. Erschwerend sei weiter zu berücksichtigen,
dass sich der Soldat die frühere Verurteilung durch das Truppendienstgericht
nicht habe zur Warnung dienen lassen und an einen anderen Standort habe
versetzt werden müssen. Auch wenn der Soldat immer gute dienstliche Leis-
tungen erbracht habe, sei seine Degradierung zum Hauptgefreiten unumgäng-
lich.
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2. Gegen das ihm am 1. Dezember 2009 zugestellte Urteil hat der frühere Sol-
dat durch seinen Verteidiger am 23. Dezember 2009 Berufung eingelegt und
diese ausdrücklich auf die Disziplinarmaßnahme beschränkt. Er beantragt, le-
diglich eine Herabsetzung in den Dienstgrad eines Unteroffiziers der Reserve
auszusprechen. Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend:
Der dem disziplinargerichtlichen Verfahren zugrunde liegende Sachverhalt sei
zwar unstreitig, die verhängte Disziplinarmaßnahme jedoch unangemessen
hart. Es handele sich um ein Dienstvergehen am untersten Rand der disziplina-
rischen Beachtlichkeit. Sein, des früheren Soldaten, Umgang mit Betäubungs-
mitteln sei so minimal gewesen, dass das sachgleiche Strafverfahren nach
Zahlung einer sehr geringen Geldauflage von 200 € endgültig eingestellt wor-
den sei. Eine sonstige straf- oder disziplinarrechtliche Ahndung liege nicht vor.
Er, der frühere Soldat, habe sich im Verfahren kooperativ verhalten und den
Vorwurf vollumfänglich eingeräumt. Im Übrigen habe sein Disziplinarvorgesetz-
ter noch vor dem Truppendienstgericht seine dienstlichen Leistungen gelobt
und zu erkennen gegeben, dass er ihn, den damals aktiven Soldaten, weiter als
Vorgesetzten einsetzen wolle.
III
Die gemäß § 115 Abs. 1, § 116 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 WDO form- und frist-
gerecht eingelegte Berufung des früheren Soldaten ist nicht begründet. Die
Truppendienstkammer hat ihn mit dem angefochtenen Urteil zurecht zum
Hauptgefreiten degradiert. Da das Dienstverhältnis des damals aktiven Sol-
daten auf Zeit inzwischen durch Zeitablauf beendet worden ist (§ 54 Abs. 1
Satz 1 SG), hat der Senat klargestellt, dass es sich nun um eine Herabsetzung
in den Dienstgrad eines Hauptgefreiten der Reserve handelt.
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1. Die Abwesenheit des früheren Soldaten in der Berufungshauptverhandlung
stand deren Durchführung sowie der Entscheidung des Senats über die Beru-
fung nicht entgegen. Gemäß § 124 WDO findet - außer in den Fällen des § 104
Abs. 1 WDO - die Berufungshauptverhandlung auch dann ohne den Soldaten
statt, wenn dieser ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf
hingewiesen worden ist, dass in seiner Abwesenheit verhandelt werden kann.
Diese Vorschrift gilt auch für Verfahren gegen frühere Soldaten (Urteil vom 28.
November 2007 - BVerwG 2 WD 28.06 - BVerwGE 130, 65 <68 ff.> = Buchholz
450.2 § 124 WDO 2002 Nr. 1). Ihre Voraussetzungen sind erfüllt. Der frühere
Soldat war am 1. Oktober 2010 zum Hauptverhandlungstermin am 12. Oktober
2010 gemäß § 123 Satz 3 in Verbindung mit § 103 WDO ordnungsgemäß ge-
laden und im Ladungsschreiben ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass
in seiner Abwesenheit verhandelt werden kann.
2. Das Rechtsmittel ist ausdrücklich und auch nach seinem Inhalt auf die Dis-
ziplinarmaßnahme beschränkt eingelegt worden. Der Senat hat daher die Tat-
und Schuldfeststellungen sowie die disziplinarrechtliche Würdigung des Trup-
pendienstgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen und auf dieser
Grundlage - unter Berücksichtigung des Verschlechterungsverbotes (§ 331
Abs. 1 StPO i.V.m. § 91 Abs. 1 Satz 1, § 123 Satz 3 WDO) - über die ange-
messene Disziplinarmaßnahme zu befinden.
Das Truppendienstgericht ist zu der für den Senat bindenden (Schuld-
)Feststellung gelangt, dass der damals aktive Soldat durch das festgestellte
Verhalten vorsätzlich gegen seine Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG) - Pflicht
zur gewissenhaften Diensterfüllung (dienstliche Einsatzbereitschaft) -, gegen
seine Gehorsamspflicht (§ 11 Abs. 1 SG) sowie gegen seine außerdienstliche
Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 2
SG) verstoßen und damit ein Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 SG begangen
hat. Diese Schuldfeststellungen sind eindeutig und widerspruchsfrei und damit
für den Senat bindend.
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Diese Bindungswirkung gilt auch für den festgestellten Gehorsamsverstoß. Das
Truppendienstgericht hat den der Gehorsamspflichtverletzung zugrunde lie-
genden Befehl, der den Erwerb, Besitz und Konsum solcher Betäubungsmittel
verbietet und über den sich der frühere Soldat hinweggesetzt hat (Urteilsab-
druck S. 7), allerdings nicht ausdrücklich bezeichnet. Sollte die Vorinstanz in-
soweit Ziffer 404 der Zentralen Dienstvorschrift 10/5 „Leben in der militärischen
Gemeinschaft" gemeint haben, kommt diese als Befehl nicht in Betracht. Die
ZDv 10/5 ist kein Befehl im Sinne des § 11 Abs. 1 SG, § 2 Nr. 2 WStG, weil sie
nicht von dem Bundesminister der Verteidigung oder seinem Vertreter, sondern
von einem Mitarbeiter des Ministeriums „im Auftrag" gezeichnet worden ist.
(Beschluss vom 30. November 2006 - BVerwG 1 WB 59.05 - BVerwGE 127,
203 <205 f.> = Buchholz 450.1 § 19 WBO Nr. 1). Ziffer 404 der ZDv 10/5 ist
daher (nur) als dienstliche Weisung zu qualifizieren, die nicht von einem militä-
rischen Vorgesetzten stammt, und deren Nichtbeachtung eine Verletzung der
Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG) darstellen kann. Gleichwohl bleibt der Se-
nat an die Feststellung eines Gehorsamsverstoßes gebunden. Denn er darf bei
einer auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkten Berufung
nach ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. Urteil vom 10. September 2009 -
BVerwG 2 WD 28.08 m.w.N.) nicht mehr überprüfen, ob die Tat- und Schuld-
feststellungen vom Truppendienstgericht rechtsfehlerfrei getroffen worden sind.
Der Senat ist allerdings nicht gehindert, Lücken in den tatsächlichen Feststel-
lungen des Truppendienstgerichts zu schließen und zusätzlich eigene, für die
Maßnahmebemessung erhebliche Feststellungen zum Tathergang zu treffen,
soweit dies weder im Widerspruch zu den Tat- und Schuldfeststellungen der
Truppendienstkammer steht, noch dadurch deren rechtliche Würdigung in Fra-
ge gestellt wird (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteil vom 10. September 2009
a.a.O.).
3. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs
wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen.
Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen
Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten ("Wiederherstel-
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lung und Sicherung der Integrität, des Ansehens und der Disziplin in der Bun-
deswehr", vgl. dazu Urteil vom 11. Juni 2008 - BVerwG 2 WD 11.07 - Buchholz
450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26 = DokBer 2009, 15 m.w.N.). Bei Art und Maß der
Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 in Verbindung mit § 38 Abs. 1
WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen,
das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweg-
gründe des Soldaten zu berücksichtigen.
a) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Un-
rechtsgehalt der Verfehlung, d.h. nach der Bedeutung der verletzten Dienst-
pflichten. Danach wiegt das Dienstvergehen des damals aktiven Soldaten
schwer.
Das Gewicht der Verfehlung liegt zunächst in der Verletzung der Pflicht zum
treuen Dienen (§ 7 SG). Sie gehört zu den zentralen Pflichten eines Soldaten.
Ihre Verletzung ist in der Regel schon deshalb von erheblicher Bedeutung.
Die Pflicht zum treuen Dienen nach § 7 SG fordert allgemein vom Soldaten, im
und außer Dienst zur Funktionsfähigkeit der Bundeswehr beizutragen und alles
zu unterlassen, was sie in ihrem durch das Grundgesetz festgelegten Auftrag
schwächen könnte. Zu dieser Pflicht zählt auch die gewissenhafte Diensterfül-
lung, hier in Form der Gewährleistung der jederzeitigen dienstlichen Einsatzbe-
reitschaft. Diese Einsatzfähigkeit wird erheblich beeinträchtigt, wenn der Soldat
Rauschmittel zu sich nimmt. Dabei beruht die Beeinträchtigung sowohl auf
einem akuten Rausch als auch auf den negativen gesundheitlichen Folgewir-
kungen. Nach § 17 Abs. 4 Sätze 1 und 2 SG hat der Soldat alles in seinen
Kräften Stehende zu tun, um seine Gesundheit zu erhalten oder wiederherzu-
stellen; er darf seine Gesundheit nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig beein-
trächtigen. Bei der bemessungsrechtlichen Bedeutung eines Verstoßes gegen
§ 7 SG kommt es nicht allein darauf an, dass der Drogenkonsum eines einzel-
nen Soldaten möglicherweise noch nicht die Einsatzfähigkeit der Truppe
schwächt. Vielmehr ist darauf abzustellen, dass die Einsatzbereitschaft insge-
samt gefährdet ist, wenn der Rauschmittelkonsum um sich greift (vgl. zu § 55
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Abs. 5 SG z.B. Urteil vom 24. September 1992 - BVerwG 2 C 17.91 - BVerwGE
91, 62 <64 f.> = Buchholz 236.1 § 55 SG Nr. 13; Beschluss vom 15. März 2000
- BVerwG 2 B 98.99 - Buchholz 310 § 114 VwGO Nr. 48). Dies gilt auch für den
inner- wie außerdienstlichen Umgang mit "Speed" als Amphetaminderivat (vgl.
z.B. Urteil vom 1. Juli 1997 - BVerwG 2 WD 11.97 - BVerwGE 113, 102 <103>
= Buchholz 235.0 § 34 WDO Nr. 32 und VG München, Urteil vom 25.
November 2003 - M 12 K 02.53252 - NZWehrr 2005, 84 ff., zu § 55 Abs. 5 SG).
Auch wiegt der angenommene Gehorsamsverstoß äußerst schwer. Die Pflicht
zum Gehorsam (§ 11 Abs. 1 SG) gehört zu den zentralen Dienstpflichten eines
jeden Soldaten. Alle Streitkräfte beruhen auf dem Prinzip von Befehl und Ge-
horsam. Vorsätzlicher Ungehorsam stellt daher stets ein sehr ernstzunehmen-
des Dienstvergehen dar (Urteil vom 16. Dezember 2004 - BVerwG 2 WD 15.04
m.w.N.). Fehlt die Bereitschaft zum Gehorsam, kann die Funktionsfähigkeit der
Bundeswehr in Frage gestellt sein.
Ferner ist die durch den außerdienstlichen Betäubungsmittelkonsum (Anschul-
digungspunkt 1) festgestellte Verletzung der in § 17 Abs. 2 Satz 2 SG normier-
ten Pflicht eines jeden Soldaten, sich außer Dienst außerhalb der dienstlichen
Unterkünfte und Anlagen so zu verhalten, dass er die Achtung und das Ver-
trauen, die seine dienstliche Stellung erfordert, nicht ernsthaft beeinträchtigt,
von erheblicher Bedeutung. Es geht dabei nicht bloß um eine soldatische
Nebenpflicht. Wegen ihres funktionalen Bezugs zur Erfüllung des grundge-
setzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und zur Gewährleistung des militäri-
schen Dienstbetriebs kommt der Pflichtenregelung des § 17 Abs. 2 Satz 2 SG
vielmehr ein hoher Stellenwert zu. Ein Soldat, insbesondere ein Vorgesetzter,
bedarf der uneingeschränkten Achtung seiner Kameraden und Untergebenen
sowie des uneingeschränkten Vertrauens seiner militärischen Vorgesetzten,
um seine Aufgaben so zu erfüllen, dass der ordnungsgemäße Ablauf des mili-
tärischen Dienstes gewährleistet ist. Dies setzt nicht nur innerdienstlich, son-
dern auch außerdienstlich ein untadeliges Verhalten voraus; denn der Charak-
ter eines Menschen und die Wertung seiner Festigkeit und Lauterkeit sind un-
teilbar.
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Der besondere Unrechtsgehalt des Dienstvergehens ergibt sich auch daraus,
dass der frühere Soldat kriminelles Unrecht begangen hat. Zwar wurde das im
Anschuldigungspunkt 1 teilweise sachgleiche Strafverfahren gemäß § 153a
Abs. 1 StPO endgültig eingestellt, jedoch nur gegen Zahlung eines Betrages in
Höhe von 200 €.
Eigenart und Schwere des Dienstvergehens werden hier schließlich auch da-
durch bestimmt, dass der frühere Soldat aufgrund seines Dienstgrades als
Stabsunteroffizier in einem Vorgesetztenverhältnis stand (§ 1 Abs. 3 SG i.V.m.
§ 4 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 VorgV). Wegen seiner herausgehobenen Stellung
ist ein Vorgesetzter in besonderem Maße für die ordnungsgemäße Erfüllung
seiner Dienstpflichten verantwortlich und unterliegt damit im Falle einer Pflicht-
verletzung einer verschärften Haftung, da Vorgesetzte in ihrer Haltung und
Pflichterfüllung ein Beispiel geben sollen (§ 10 Abs. 1 SG). Dabei ist nicht er-
forderlich, dass es der Soldat bei seinem Fehlverhalten innerhalb eines konkre-
ten Vorgesetztenverhältnisses an Beispielhaftigkeit hat fehlen lassen. Es reicht
das Innehaben einer Vorgesetztenstellung aufgrund des Dienstgrades aus (vgl.
dazu Urteil vom 14. Oktober 2009 - BVerwG 2 WD 16.08 - Buchholz 449 § 17
SG Nr. 43 m.w.N.).
b) Das Dienstvergehen hatte für die Personalplanung und -führung ebenfalls
erhebliche negative Auswirkungen. Mitte Mai 2008 wurde dem damals aktiven
Soldaten vorübergehend - bis August 2008 - die Ausübung des Dienstes unter-
sagt und ihm gegenüber zugleich ein Uniformtrageverbot ausgesprochen. An-
stelle der von seinem damaligen Disziplinarvorgesetzten beantragten vorläufi-
gen Dienstenthebung wurde der Soldat Mitte August 2008 zum Standort K.
"strafversetzt" und von dort bis zum Übergang in den Berufsförderungsdienst
zum Materialdepot E. kommandiert.
Durch den Betäubungsmittelkonsum war der Soldat nach Aussage des Leu-
mundszeugen Hauptmann E. auf seinem eigentlichen Dienstposten als Trans-
portunteroffizier nicht mehr einsetzbar. Bereits im Anschluss an das erste
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Dienstvergehen war der Dienstführerschein des früheren Soldaten eingezogen
und ihm die Dienstfahrerlaubnis entzogen worden; der Umgang mit Waffen
wurde ihm verboten. Er war nur noch als Beifahrer einsetzbar.
Der Zeuge E. hat vor dem Truppendienstgericht und dem Senat auch ausge-
sagt, die "Geschichte" habe sich natürlich in der Kompanie herumgesprochen.
Unteroffizier Kü. sei damals als Dealer entlarvt worden. Der Soldat sei einer der
Konsumenten gewesen. Die Sache habe immer noch Auswirkungen auf die
Kompanie. Noch heute werde darüber gesprochen.
c) Als Beweggründe seines Betäubungsmittelkonsums wurden vom früheren
Soldaten, bestätigt durch seine Disziplinarvorgesetzten, wiederholt persönliche
Probleme angegeben, die durch die räumliche Trennung von seinem privaten
Umfeld (Wochenendbeziehung) entstanden seien. Schon im ersten Diszipli-
narverfahren hatte der frühere Soldat die durch die Versetzung nach V. ent-
standene „Problemsituation“ als ursächlich für den Betäubungsmittelerwerb und
-konsum bezeichnet.
Diese Tatmotive sind nicht geeignet, den früheren Soldaten zu entlasten. Die
jederzeitige Versetzbarkeit gehört zu den von den Berufs- und Zeitsoldaten
übernommenen Pflichten und zum Inhalt ihres Wehrdienstverhältnisses. Ein
Soldat hat grundsätzlich keinen Anspruch auf eine bestimmte örtliche Verwen-
dung. Ein solcher Anspruch lässt sich auch nicht aus der Fürsorgepflicht ablei-
ten (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschluss vom 25. März 2010 - BVerwG 1
WB 37.09 - Rn. 21, juris m.w.N.). Dementsprechend war der frühere Soldat
z.B. am 24. Juli 2006 darüber belehrt worden, dass er spätestens nach Ablauf
des ZbV-Dienstpostens mit seiner Versetzung auf den nächsten freien Dienst-
posten „bundesweit" rechnen müsse. Seine späteren Versetzungsanträge blie-
ben deshalb auch ohne Erfolg.
Ungeachtet dessen beruht der Betäubungsmittelkonsum offensichtlich auf einer
gewissen Labilität im Hinblick auf Drogen, ohne dass es aber damals oder
heute Anhaltspunkte für eine Drogenabhängigkeit gab oder gibt. Bereits im
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ersten Disziplinarverfahren hatte sich der frühere Soldat am 8. März 2007 nach
Belehrung durch den Zeugen Hauptmann E. im Rahmen der Vorermittlungen
u.a. dahin eingelassen:
„Etwa 1998/99 habe ich schon mal Haschisch konsumiert.
Es handelte sich um gelegentlichen Konsum. Dann habe
ich meine jetzige Freundin kennengelernt, die von Drogen
überhaupt nichts hält. Sie hat mich vor die Wahl gestellt,
mit den Drogen aufzuhören, oder sie würde mich verlas-
sen. Daraufhin habe ich aufgehört.
Im November 2006 wurde ich zur 2./...Btl ... nach V. ver-
setzt. Vorher war ich in K. stationiert und konnte jeden
Abend nach Hause zu meiner Freundin. Aber knapp zwei
Monate nach der Geburt unserer Tochter wurde ich eben
versetzt. Das getrennt sein von der Familie belastet mich
stärker, als ich je gedacht hätte. Ich weiß, dass das keine
Entschuldigung für den Drogenkonsum ist, aber ich glaube,
dass das der Grund ist, warum ich wieder angefangen ha-
be. ...
Ich verspreche, dass ich nie wieder Drogen konsumieren
werde."
Hauptmann E. hat in der Berufungshauptverhandlung die richtige Wiedergabe
dieser Einlassungen des früheren Soldaten in der Niederschrift bestätigt.
d) Das Maß der Schuld des früheren Soldaten wird vor allem dadurch bestimmt,
dass er vorsätzlich gehandelt hat. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass er zur
Tatzeit im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähig gewesen sein
könnte, sind nicht ersichtlich und werden auch nicht geltend gemacht. Dies gilt
insbesondere im Hinblick auf eine mögliche Suchtmittelabhängigkeit.
Milderungsgründe in den Umständen der Tat, die die Schuld des früheren Sol-
daten mindern könnten, sind ebenfalls nicht erkennbar. Sie wären nach der
ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. Urteil vom 23. September 2008
- BVerwG 2 WD 18.07 m.w.N.) nur dann gegeben, wenn die Situation, in der der
Soldat versagt hat, von so außergewöhnlichen Besonderheiten gekennzeichnet
war, dass ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet
und daher auch nicht vorausgesetzt werden konnte. Ausreichende Anhaltspunk-
te dafür, dass die Voraussetzungen eines solchen Milderungsgrundes zur Tat-
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zeit vorgelegen haben, sind nicht ersichtlich und werden vom früheren Soldaten
auch nicht substanziiert geltend gemacht. Seine damalige, versetzungsbedingt
entstandene private Problemsituation ist nicht geeignet, tatmildernd berücksich-
tigt zu werden.
e) Im Hinblick auf die Zumessungskriterien "Persönlichkeit" und "bisherige Füh-
rung" sind zunächst die dem früheren Soldaten in der Sonderbeurteilung vom
10. März 2010 (Durchschnittsbewertung „5,00") attestierten Leistungen als be-
messungsneutral einzustufen. Der frühere Soldat wurde durchgehend als leis-
tungsfähig und -willig charakterisiert, als ganz normaler Unteroffizier, der leis-
tungsmäßig im Mittelfeld einzuordnen sei. Bis zuletzt hat er im Materialdepot E.
unauffällig, solide und zuverlässig Dienst geleistet.
Den früheren Soldaten belastet allerdings erheblich, dass er sich das mit rechts-
kräftigem Truppendienstgerichtsurteil vom 6. November 2007 ausgesprochene
30-monatige Beförderungsverbot nebst 9-monatiger Gehaltskürzung wegen des
ersten Drogendelikts nicht hat zur Warnung dienen lassen. Noch in der Haupt-
verhandlung vor dem Truppendienstgericht am 6. November 2007 hatte er auf
Fragen des Wehrdisziplinaranwalts erklärt:
„Die Belehrung über den Besitz bzw. Konsum von Betäu-
bungsmitteln und die daraus resultierenden Konsequen-
zen war und ist mir bekannt".
Gleichwohl hat der frühere Soldat bereits zwei Monate später (ab Januar 2008)
mit dem hier zu beurteilenden Fehlverhalten begonnen. Unter diesen Umstän-
den kann man seinen wiederholten verbalen Bekundungen von Einsicht und
Reue sowie seinem Versprechen künftig drogenfreien Verhaltens nur wenig
Glauben schenken. Sein damaliger Kompaniechef, Hauptmann E., und sein
damals zuständiger Vertrauensmann haben den früheren Soldaten deshalb auch
als nicht lernfähig und nicht vertrauenswürdig eingestuft.
f) Bei der Gesamtwürdigung aller vorgenannter be- und entlastender Umstände
ist insbesondere im Hinblick auf Eigenart und Schwere des Dienstvergehens,
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seine Auswirkungen sowie die Persönlichkeit und bisherige Führung des frühe-
ren Soldaten, der gemäß § 1 Abs. 3 WDO disziplinarrechtlich als Soldat im Ru-
hestand gilt, der Ausspruch einer - gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 in Verbin-
dung mit § 62 Abs. 1 Satz 4 und 3 WDO zulässigen - Degradierung zum
Hauptgefreiten der Reserve erforderlich und angemessen; die Verhängung
einer milderen Disziplinarmaßnahme, wie mit der Berufung beantragt, kommt
nicht in Betracht.
Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in sei-
ner gefestigten Rechtsprechung (vgl. z.B. Urteil vom 10. Februar 2010 - BVerwG
2 WD 9.09) von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:
aa) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbe-
handlung (Art. 3 Abs. 1 GG) vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechts-
staatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaß-
nahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als „Aus-
gangspunkt der Zumessungserwägungen".
Für Fälle des strafbaren Erwerbs, Besitzes, Konsums sowie der strafbaren Wei-
tergabe von Betäubungsmitteln im oder außer Dienst ist nach der Rechtspre-
chung des Senats bei aktiven Soldaten Ausgangspunkt der Zumessungserwä-
gungen grundsätzlich ein Beförderungsverbot, in schweren Fällen eine Dienst-
gradherabsetzung (vgl. zuletzt Urteile vom 1. Juli 1997 - BVerwG 2 WD 11.97
a.a.O., vom 16. Juni 1999 - BVerwG 2 WD 37.98 - Buchholz 236.1 § 7 SG Nr.
29 und vom 13. Juli 1999 - BVerwG 2 WD 4.99 - BVerwGE 113, 367 <370> =
Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 30 = NZWehrr 2000, 162, jeweils m.w.N.).
Nach diesen Grundsätzen liegt hier schon im Ansatz ein schwerer Fall vor, der
sowohl bei einem aktiven als auch bei einem früheren Soldaten eine gemäß §
58 Abs. 1 Nr. 4, § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WDO zulässige Dienstgradherabset-
zung indiziert. Denn der frühere Soldat hat nicht nur in strafbarer Weise Betäu-
bungsmittel erworben und konsumiert, sondern ist wegen dieses Fehlverhaltens
bereits einschlägig vorbelastet. Dies wiegt von vornherein wesentlich schwerer.
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bb) Auf der zweiten Stufe ist dann zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im Hin-
blick auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien Umstände
vorliegen, die die Möglichkeit einer Verschärfung oder Milderung gegenüber der
auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme eröffnen. Dabei ist
vor allem hinsichtlich der „Eigenart und Schwere" sowie der „Auswirkungen" des
Dienstvergehens zu klären, ob es sich um einen schweren, mittleren oder leich-
ten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer („durch-
schnittlicher Fall"), sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist
gegenüber der Regeleinstufung („Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen")
die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach „oben" bzw. nach „unten" zu
modifizieren. Für die „Eigenart und Schwere des Dienstvergehens" kann z.B.
von Bedeutung sein, ob der Soldat eine herausgehobene Dienststellung hatte,
einmalig oder wiederholt versagt hat, etwa in einem besonders wichtigen Pflich-
tenbereich. Bei den „Auswirkungen" des Fehlverhaltens sind die konkreten Fol-
gen für den Dienstbetrieb (insbesondere die weitere Verwendbarkeit des Sol-
daten, Rückwirkungen auf Vorgesetzte oder Untergebene, negative personal-
wirtschaftliche Konsequenzen) sowie schädliche Weiterungen für das Außenbild
der Bundeswehr in der Öffentlichkeit zu berücksichtigen. Hinsichtlich des Zu-
messungskriteriums „Maß der Schuld" hat der Senat neben der Schuldform
(Vorsatz, Fahrlässigkeit) und der Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB analog) das
Vorliegen von Erschwerungs- und Milderungsgründen in den Tatumständen bei
der endgültigen Bestimmung der Disziplinarmaßnahme in Betracht zu ziehen
(vgl. dazu insgesamt Urteil vom 10. Februar 2010 a.a.O.).
Nach diesen Kriterien ist hier insgesamt von einem Fall auszugehen, der keine
hinreichenden Anhaltspunkte für eine Modifizierung der zu verhängenden Diszi-
plinarmaßnahme nach „oben" oder „unten" bietet, sodass es bei der Regelein-
stufung „Dienstgradherabsetzung" bleibt. Der Senat hält dabei im Ergebnis auch
die vom Truppendienstgericht ausgesprochene Degradierung zum Hauptgefrei-
ten - jetzt der Reserve - für erforderlich und angemessen.
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Den früheren Soldaten belasten als militärischen Vorgesetzten nicht nur die drei
aktuellen Drogenfälle, sondern vor allem seine "Drogenkarriere". Nach eigenen
Angaben hatte er bereits 1998/99 "gelegentlich", d.h. wiederholt Haschisch ge-
nommen. Auf Veranlassung seiner Freundin habe er dann "mit den Drogen auf-
gehört". Im Februar/März 2007 - bereits als Stabsunteroffizier - wurde er erst-
mals mit Marihuana und Marihuana-Zigaretten rückfällig. Das daraufhin durch-
geführte Straf- und Disziplinarverfahren hat den früheren Soldaten - entgegen
seinen damaligen verbalen Bekundungen - offensichtlich wenig beeindruckt. Er
ist bereits zwei Monate später erneut - diesmal mit "Speed" - rückfällig gewor-
den, sodass wegen des erneuten Dienstvergehens nun zu einer schwereren
Disziplinarmaßnahme überzugehen war (vgl. § 38 Abs. 2 WDO). Durchgreifende
Milderungsgründe stehen ihm nicht zur Seite. Sein vorsätzliches Fehlverhalten
hatte gravierende dienstliche Auswirkungen; der Soldat war seiner Ausbildung
entsprechend nicht mehr einsetzbar und wurde schließlich in einem Materialde-
pot beschäftigt.
Eine mildere Beurteilung des Dienstvergehens ist auch nicht deshalb geboten,
weil das gegen den früheren Soldaten geführte - teilweise - sachgleiche Straf-
verfahren nach § 153a Abs. 1 StPO gegen Zahlung von 200 € eingestellt wor-
den ist. Zum einen setzt § 153a Abs. 1 StPO, auch wenn es sich um ein Been-
digungsverfahren mit Selbstunterwerfungscharakter handelt (vgl. Meyer-
Goßner, StPO, 53. Auflage 2010, § 153a Rn. 12), gerade voraus, dass der je-
weilige Straftatbestand erfüllt und der Täter schuldig ist, wobei die Schwere der
Schuld - anders als bei § 153 StPO - nicht einmal gering zu sein braucht (vgl.
Meyer-Goßner, a.a.O., Rn. 7). Zum anderen besagt der - durch die Erfüllung
von Weisungen und Auflagen bewirkte - Fortfall des öffentlichen Interesses an
der Strafverfolgung nichts darüber aus, ob das öffentliche Interesse daneben
noch eine disziplinarische Ahndung gebietet. Steht im Einzelfall - wie hier - § 16
WDO (Verhältnis der Disziplinarmaßnahmen zu Strafen und Ordnungsmaß-
nahmen) der Zulässigkeit des Ausspruchs einer Disziplinarmaßnahme nicht
entgegen, ist die Art oder Höhe einer Kriminalstrafe oder sonstigen Strafsank-
tion für die Gewichtung der Schwere des sachgleichen Dienstvergehens regel-
mäßig nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Strafverfahren und Diszipli-
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narverfahren verfolgen unterschiedliche Zwecke. Die Kriminalstrafe unterschei-
det sich nach Wesen und Zweck grundlegend von der Disziplinarmaßnahme.
Während erstere neben Abschreckung und Besserung der Vergeltung und
Sühne für begangenes Unrecht gegen den allgemeinen Rechtsfrieden dient, ist
die disziplinarische Ahndung darauf ausgerichtet, einen geordneten und integ-
ren Dienstbetrieb aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen, indem sie denje-
nigen, der die ihm obliegenden Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat, entweder
durch eine erzieherische Maßnahme zu künftig pflichtgemäßem Verhalten
mahnt oder ihn aus dem Dienstverhältnis entfernt (vgl. Urteile vom 2. Juli 1997 -
BVerwG 2 WD 12.97 - BVerwGE 113, 108 <111> = Buchholz 235.0 § 34 WDO
Nr. 33 und vom 14. November 2007 - BVerwG 2 WD 29.06, Buchholz 450.2 §
84 WDO 2002 Nr. 4, jeweils m.w.N.).
Im Hinblick auf die Schwere des Dienstvergehens und den Zweck des Wehrdis-
ziplinarrechts, aus spezial- und generalpräventiven Gründen durch die im Ge-
setz vorgesehene Disziplinarmaßnahme einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb
wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten, ist es daher erforderlich, die Degra-
dierung zum Hauptgefreiten - jetzt der Reserve - zu bestätigen. Neben spezial-
präventiven Erwägungen, insbesondere im Hinblick auf die einschlägige Vorbe-
lastung des früheren Soldaten und die Regelung des § 38 Abs. 2 WDO (Grund-
satz der Verhältnismäßigkeit und der stufenweise Steigerung der Disziplinar-
maßnahme), ist eine Degradierung bis in einen Mannschaftsdienstgrad auch
deshalb geboten, weil diese Maßnahme über ihren (engeren) Zweck hinaus be-
kanntermaßen auch pflichtenmahnende Wirkung auf die Angehörigen der Bun-
deswehr im Allgemeinen hat (Generalprävention). Der frühere Soldat hat nicht
nur als Vorgesetzter seinen Untergebenen wiederholt ein schlechtes Beispiel
gegeben, sondern hat auch im letzten Drittel seines auf insgesamt acht Jahre
angelegten Dienstverhältnisses schwer versagt; innerhalb der ersten vier Jahre
hätte ein einziger Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz bereits gemäß §
55 Abs. 5 SG zur fristlosen Entlassung geführt (vgl. dazu z.B. Beschluss vom
15. März 2000 - BVerwG 2 B 98.99 a.a.O.). Zudem erfordert ein solches Versa-
gen gerade wegen der hohen Gefährdung junger Menschen durch Drogenmiss-
brauch und angesichts vielfältiger Bemühungen um Verharmlosung des Dro-
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genkonsums eine nachhaltige Maßregelung (vgl. Urteil vom 1. Juli 1997 -
BVerwG 2 WD 11.97 a.a.O.).
Nach alledem hat sich der frühere Soldat durch das erneute Dienstvergehen als
Vorgesetzter disqualifiziert mit der Folge, dass die vom Truppendienstgericht
ausgesprochene Herabsetzung in den Dienstgrad eines Hauptgefreiten (der Re-
serve), auch unter Berücksichtigung seines im Wesentlichen durchschnittlichen
Leistungsbildes und kooperativen Verhaltens im Verfahren, nicht zu beanstan-
den ist. Auf die Äußerung des Leumundszeugen R., er habe nach wie vor Ver-
trauen zu dem früheren Soldaten, kommt es - entgegen der Auffassung der Be-
rufung - in diesem Zusammenhang nicht an. Ob das Vertrauen in die Zuverläs-
sigkeit und persönliche Integrität des früheren Soldaten beeinträchtigt ist, ist al-
lein nach einem objektiven Maßstab, also aus der Perspektive eines objektiv
und vorurteilsfrei den Sachverhalt betrachtenden Dritten - hier des Senats - ,
nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zu
beurteilen (stRspr., z.B. Urteil vom 25. Juni 2009 - BVerwG 2 WD 7.08 - Buch-
holz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 29 m.w.N.).
Eine Beschränkung der Degradierung auf den Dienstgrad eines Oberstabsge-
freiten oder Stabsgefreiten der Reserve kommt nicht in Betracht, da diese
Dienstgrade nur solchen Soldaten zuerkannt werden können, die sich nach ihren
dienstlichen Leistungen sowie einer tadelfreien Führung in und außer Dienst
deutlich unter den Angehörigen des Mannschaftsdienstes herausheben,
hingegen nicht denjenigen, die - wie hier - ein schweres Dienstvergehen began-
gen haben (vgl. z.B. Urteil vom 13. März 2003 - BVerwG 1 WD 2.03 - Buchholz
235.01 § 84 WDO 2002 Nr. 2 = NZWehrr 2003, 170 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 139 Abs. 2 WDO.
Golze Dr. Müller Dr. Burmeister
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