Urteil des BVerwG vom 14.05.2003

Soldat, Wochenende, Wohnung, Nacht

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
Im Namen des Volkes
Urteil
BVerwG 2 WD 43.02
TDG N …VL …/02
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
gegen
den Hauptfeldwebel … …,
geboren am … in …,
…, …,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts aufgrund der
nichtöffentlichen Hauptverhandlung vom 7. und 14. Mai 2003, an der teilge-
nommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Pietzner,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Oberstleutnant Weißenbach,
Hauptfeldwebel Bader
als ehrenamtliche Richter,
Leitender Regierungsdirektor Sandbaumhüter,
Leitender Regierungsdirektor Söllner
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwältin Berghausen, Düsseldorf,
als Verteidigerin,
Justizangestellte Kairies
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
am 14. Mai 2003 für Recht erkannt:
- 2 -
- 3 -
Auf die Berufung des Soldaten wird das Urteil der ... Kammer
des Truppendienstgerichts … vom 11. April 2002 aufgehoben.
Der Soldat wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens und die dem Soldaten darin er-
wachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund aufer-
legt.
G r ü n d e :
I
Der 42 Jahre alte Soldat absolvierte nach dem Hauptschulabschluss im Jahre
1975 eine Lehre als Kraftfahrzeugmechaniker, die er am 23. Juni 1978 mit der
Gesellenprüfung abschloss.
Aufgrund seiner Bewerbung und Verpflichtung für den freiwilligen Dienst in der
Bundeswehr wurde er zum 1. Oktober 1979 als Eignungsübender zur Instandset-
zungsausbildungskompanie (InstAusbKp) … in D. einberufen und am 1. Februar
1980 als Obergefreiter UA zum Soldaten auf Zeit ernannt. Seine Dienstzeit wurde
zunächst auf 4, sodann auf 8 und schließlich 12 Jahre festgesetzt. Am 17. Juli
1986 wurde ihm als Oberfeldwebel die Eigenschaft eines Berufssoldaten verlie-
hen.
Nach regelmäßigen Zwischenbeförderungen wurde der Soldat mit Wirkung vom 1.
Oktober 1991 zum Hauptfeldwebel befördert.
Zum 1. Oktober 1980 wurde er zur .../Panzergrenadierbataillon … in M. als
Kraftfahrzeugpanzerinstandsetzungsunteroffizier versetzt. In der Zeit vom
4. November bis 11. Dezember 1980 nahm er am Unteroffiziergrundlehr-
- 4 -
gang - Allgemeinmilitärischer Teil (AllgMilTeil) - bei der Schule …/Fachschule …
in A., und vom 7. Januar bis 24. Februar 1981 am Unteroffiziergrundlehrgang
- Militärfachlicher Teil (MilFachTeil) - bei der …/… mit der Abschlussnote „be-
friedigend” teil. Vom 15. April bis 23. Juni 1982 absolvierte er den Unteroffizier-
aufbaulehrgang – MilFachTeil - an der …/… und besuchte dort vom 4. November
bis 22. Dezember 1982 den Unteroffizieraufbaulehrgang - AllgMilTeil - mit der
Abschlussnote „befriedigend”. Zum 1. Februar 1983 wurde er zur InstAusbKp … in
D. als Kraftfahrzeugpanzerinstandsetzungsfeldwebel und Gruppenführer ver-
setzt, und vom 22. November 1983 bis 21. November 1984 nahm er erfolgreich
an der Fachfortbildung A (Meisterprüfung im Kraftfahrzeugmechanikerhandwerk)
an der FSHT teil. Am 1. Oktober 1986 wechselte er auf den Dienstposten des
Instandsetzungsfeldwebels (InstFw) und ABC-Abwehr/Selbstschutz-Feldwebels
und zum 1. April 1991 auf den des InstFw und Kompaniefeldwebels (KpFw). Zum
1. Oktober 1996 wurde er zur .../Instandsetzungsbataillon (InstBtl) … in D. als
InstFw und KpFw, zum 1. April 2000 zur .../InstBtl … in D. mit gleicher Verwen-
dung und zum 1. Oktober 2002 zum … in K. als InstFw und Betriebsschutzmeister
versetzt.
In seiner letzten dienstlichen Beurteilung vom 4. Juli 2000 erhielt der Soldat als
Hauptfeldwebel nach dem neuen Beurteilungssystem fünfmal die Wertung „7”
und ansonsten die Wertung „6”. Der nächsthöhere Disziplinarvorgesetzte des
Soldaten setzte die Wertung der Einzelmerkmale „Belastbarkeit” von „6” auf
„5”, „Durchsetzungsverhalten” von „7” auf „4” und „Fürsorgeverhalten” von „6”
auf „4” herab. In der Eignungs- und Befähigungsbeschreibung bewertete der Be-
urteilende die Beurteilungspunkte „Verantwortungsbewusstsein” und „Befähi-
gung zur Einsatz- und Betriebsführung” mit „E” („Eignung und Befähigung sind
sehr stark ausgeprägt”) und die Beurteilungspunkte „Geistige Befähigung” und
„Eignung zur Menschenführung/Teambefähigung” mit „D” („Eignung und Befähi-
gung sind besonders vorhanden”). Der nächsthöhere Disziplinarvorgesetzte des
Soldaten setzte die Wertung im Beurteilungspunkt „Eignung zur Menschenfüh-
- 5 -
rung/Teambefähigung” von „D” auf „C” („Eignung und Befähigung sind deutlich
vorhanden”) herab.
Unter „Herausragende charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches
Selbstverständnis, Bewährung im Einsatz und ergänzende Aussagen” führte der
Beurteilende folgendes aus:
„Selbstbewusst, diszipliniert und stets leistungsbereit ist ... den
Anforderungen und Belastungen des Soldatenberufes voll ge-
wachsen. Seine herausragende Einsatzbereitschaft und Kamerad-
schaft kennzeichnen ihn besonders. ... ist uneingeschränkt be-
reit, seinen Beitrag zu leisten, den Auftrag der Bundeswehr mit
Leben zu füllen! Im Interesse des Auftrages, aber auch im Inte-
resse von Kameraden (Vorgesetzten wie Untergebenen), nimmt
er persönliche Nachteile oder Belastungen zusätzlich in Kauf.
Er ist durch und durch Soldat und geht in der herausgehobenen
Dienststellung des KpFw nach wie vor voll auf!
Mit seinen umfangreichen Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertig-
keiten ist er eine Bereicherung für jedes Führungsteam.”
Der Beurteilende hielt den Soldaten für „Stabsverwendungen” „besonders geeig-
net” und „gut geeignet” für alle übrigen Verwendungsmöglichkeiten. Der nächst-
höhere Disziplinarvorgesetzte des Soldaten setzte die Eignungsstufe im Punkt
„Führungsverwendungen in der Truppe” von „gut geeignet” auf „geeignet” her-
ab.
Im Übrigen nahm er zu der Beurteilung des Soldaten wie folgt Stellung:
„Die AusbKp wurde mir als Kdr im Rahmen der Umgliederung zum
01.04.2000 unterstellt.
HFw ... ist ein langjährig erfahrener und in seinem Aufgabenbe-
reich sehr eigenständig agierender, verantwortungsbewußter
KpFw. Aufgrund seiner Erfahrung auf dem Dienstposten (ca. 10
Jahre) und vor allem durch seine Gewissenhaftigkeit beherrscht
er sein administratives Aufgabengebiet überzeugend. Die Spit-
zenleistungen des KpChefs in F.I.01, 02 und 09 werden von mir
mitgetragen. In den Merkmalen der Belastbarkeit sowie im
Durchsetzungsverhalten ist die Beurteilung in der vergleichenden
Betrachtung sehr wohlwollend. Durch seine dauerhafte gesund-
heitliche Einschränkung in der körperlichen Leistungsfähigkeit
und die gelegentlich aufbrausende Art bewerte ich hier seine Be-
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lastbarkeit in F.I.03 in der ganzheitlichen Betrachtung mit ‚5’. In
der Führung des ihm anvertrauten Stammpersonals läßt er gele-
gentlich den angemessenen Stil der zeitgemäßen Menschenfüh-
rung vermissen. Sein Durchsetzungsverhalten in F.I.04 ist unter
Berücksichtigung der Angemessenheit und Zweckmäßigkeit gele-
gentlich von überzogener Strenge und Amtsautorität geprägt.
Hier zeigt er im Gegensatz zum übrigen Beurteilungsbild Schwä-
chen. Daher bewerte ich ihn insbesondere auf der Grundlage
meiner Erfahrung und in der vergleichenden Betrachtung im
Merkmal F.I.04 mit ‚4’. Die Lagebeurteilung und das Abwägen des
möglichen Verhaltens sollten künftig mehr die Basis für angemes-
sene Befehle darstellen. HFw ... läßt seinen unterstellten Solda-
ten die nötige Fürsorge zukommen, soweit sie berechtigt ist und
an ihn herangetragen wird. Durch sein gelegentliches sehr stren-
ges und autoritäres Verhalten verhindert er jedoch das Wachsen
einer vertrauensvollen Beziehung gerade junger Soldaten in einer
AusbKp zu ihrem Vorgesetzten. Daher werte ich seine Fürsorge in
F.I.16 mit ‚4’ und erwarte hier eine Änderung seines Verhaltens.
Die vom KpChef vorgenommene freie Beschreibung ist in Teilen
sehr wohlwollend und zeigt die erkennbaren Schwächen nicht
auf. Den herausragenden Merkmalen des Verantwortungsbewußt-
seins und der administrativen Einsatz- und Betriebsführung steht
ein Defizit in zeitgemäßer Menschenführung gegenüber. Die Eig-
nung und Befähigung zur Menschenführung in G.03 ändere ich
aufgrund eigener Feststellungen und Gespräche mit HFw ... auf
‚C’.
Insgesamt sehe ich in HFw ... nach wie vor einen besonders för-
derungswürdigen Berufssoldaten, der jedoch einerseits durch
seine 10-jährige Verwendung als KpFw Flexibilität verloren hat
und andererseits aufgrund seiner Fähigkeit in anderen Verwen-
dungen außerordentliche Leistungen erbringen kann.
Den Verwendungsvorschlägen des KpChefs schließe ich mich mit
Einschränkungen an. HFw ... ist im laufenden Beurteilungszeit-
raum aus seiner Verwendung herauszulösen, um ihm so die Mög-
lichkeit einer weiteren positiven Entwicklung auf einem tech-
nisch/administrativen Dienstposten zu geben. In den Verwen-
dungshinweisen ändere ich die Stufe der Eignung bei I.01.c ‚Füh-
rungsverwendungen in der Truppe’ von ‚gut geeignet’ in ‚geeig-
net’.”
Die Förderungswürdigkeit des Soldaten wurde mit „D” bewertet („Eignung und
Leistungen des Beurteilten liegen erheblich über den Anforderungen. Eine Förde-
rung wird mit besonderem Nachdruck empfohlen”).
- 7 -
In der Sonderbeurteilung vom 27. März 2003 erhielt der Soldat in den Einzel-
merkmalen viermal die Wertung „7”, neunmal die Wertung „6” und dreimal die
Wertung „5”. Bei „Eignung und Befähigung” wurde ihm für „Verantwortungsbe-
wusstsein” die Wertung „E” sowie für „Geistige Befähigung”, „Eignung zur Men-
schenführung/Teambefähigung” und „Befähigung zur Einsatz- und Betriebsfüh-
rung” jeweils die Wertung „D” zuerkannt. Unter „Herausragende charakterliche
Merkmale, Kameradschaft, berufliches Selbstverständnis, Bewährung im Einsatz
und ergänzende Aussagen” wurde über ihn ausgeführt:
„HptFw ... ist ein bescheidener, verantwortungsbewußter Porte-
peeunteroffizier mit charakterlicher Festigkeit. Ihn leiten klare
Zielvorstellungen, Integrationsbereitschaft und der deutliche Wil-
le zur Leistung.
... beherrscht die Anforderungen, die sein Dienstposten an ihn
stellt. Ruhig und ausgeglichen stellt er sich täglich den Anforde-
rungen des Berufes. Große Einsatzbereitschaft, viel Verantwor-
tungsbewußtsein und ein überdurchschnittliches Engagement
zeichnen ihn aus.
Grundsolides Berufsverständnis, wohltuende Kameradschaft,
Gradlinigkeit und Loyalität bestimmen sein Tagewerk.
Zu seinen Stärken gehört der Umgang mit Kameraden. Er nimmt
sich berechtigten Belangen von jüngeren Kameraden an, gibt vie-
le Hilfestellungen und unterstützt sie mit seiner ganzen Erfah-
rung. Älteren Kameraden und Vorgesetzten tritt er aufrecht und
ohne Hintergedanken gegenüber.
Mit gesundem Ehrgeiz verfolgt er seine Ziele, ohne jedoch auf-
dringlich zu wirken; er hat die richtige Einstellung zum Beruf.
Auf Grund seiner Persönlichkeit und seinem Leistungsvermögen
gehört er ohne Zweifel zur Spitze seiner Dienstgradgruppe.”
In den Verwendungshinweisen hielt ihn der beurteilende Vorgesetzte für „Fach-
verwendungen” und „Stabsverwendungen” „besonders geeignet” und für „Ver-
wendungen mit besonderer Außenwirkung” für „gut geeignet”.
Hauptmann K., früherer Disziplinarvorgesetzter des Soldaten, hat als Leumunds-
zeuge über ihn ausgesagt, seine Leistungen im administrativen Bereich seien sehr
gut. Hier habe er sich auf den Soldaten hundertprozentig verlassen können, der
- 8 -
Soldat habe sich in seinem Geschäft ausgekannt. Er, der Zeuge, habe sich darauf
verlassen können, dass Aufgaben oder Aufträge von ihm erfüllt würden. Proble-
me habe der Soldat im Bereich der Menschenführung gehabt, ab und zu sei er
über das Ziel hinausgeschossen. Menschenführung stelle er, der Zeuge, sich an-
ders vor. Als Kompaniefeldwebel wolle er den Soldaten nicht zurück haben.
Der Soldat ist berechtigt, seit 8. November 1990 das Leistungsabzeichen in Gold
und seit 18. Februar 1993 das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Silber zu tragen.
Der Auszug aus dem Zentralregister des Generalbundesanwalts vom 2. April 2003
und der Auszug aus dem Disziplinarbuch vom 27. März 2003 enthalten keine Ein-
tragungen über eine Bestrafung oder disziplinare Maßregelung des Soldaten.
Am 29. März 1988 erteilte der Chef der InstAusbKp …/… in D. dem damaligen
Oberfeldwebel eine förmliche Anerkennung, verbunden mit zwei Tagen Sonder-
urlaub.
Der Tenor lautet:
„Er hat seit 01.10.86 als Kompanietruppführer ständig weit über
dem Durchschnitt liegende Arbeitsergebnisse erzielt und dabei in
erheblichem Maße zum Ausbildungserfolg beigetragen.
Als ständiger Vertreter des Kompaniefeldwebels erbrachte ...
ebenfalls vorbildliche Leistungen.”
Am 3. November 1997 erhielt er als Hauptfeldwebel eine weitere förmliche An-
erkennung, wiederum verbunden mit zwei Tagen Sonderurlaub, durch den Chef
.../InstBtl … in D.
Der Tenor lautet:
„Er zeigt während der Dienstzeit ständig überdurchschnittliche
Leistungen und größte Einsatzbereitschaft.
Besonders hervorzuheben ist sein Engagement im Zusammenhang
mit der Vorbereitung und Durchführung des Einsatzes der Kom-
panie unter Kommando des Einsatz-Verbandes 214 beim Hoch-
- 9 -
wassereinsatz ODER 1997 sowie seine Leistungen in Vorbereitung,
Durchführung und Nachbereitung der 35-Jahr-Feier der Kompa-
nie.
Durch ein Höchstmaß an persönlichem Engagement wurde hier
eine vorbildliche Öffentlichkeits-, Traditions- und auch Reservis-
tenarbeit geleistet.
Auf Dauer beispielhaft ist auch sein ständiges Ringen um einen
möglichst reibungslosen Ablauf der AGA- und DPA-Durchgänge. In
den bisher 5 Sextalen des Jahres 97 hat er ständig vorbildliche
Arbeit als KpFw geleistet und sich auch in schwierigen Situatio-
nen nicht unterkriegen lassen.”
Der Soldat ist ledig. Er erhält Dienstbezüge nach der Besoldungsgruppe A 8 in der
9. Dienstaltersstufe in Höhe von 2.270,87 € brutto, 1.816,57 € netto. Für seinen
Wohnsitz in B.N. hat er 260 € Warmmiete zu zahlen, die Schulden aus seinem
Haus in Dorsten trägt er monatlich mit 750 € ab.
Seine finanziellen Verhältnisse haben sich nach seinen Angaben zwischenzeitlich
leicht entspannt.
II
In dem mit Verfügung des Kommandeurs der ... Panzerdivision vom 3. September
2001 ordnungsgemäß eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren legte der
Wehrdisziplinaranwalt dem Soldaten mit der Anschuldigungsschrift vom
12. Februar 2002 als schuldhafte Verletzung seiner Dienstpflichten zur Last:
„1. In einer Nacht von Freitag auf Samstag, an einem nicht
mehr zu ermittelnden Wochenende im Zeitraum von August
bis September 1998, berührte der Soldat in seiner Wohnung,
… in … D.-L., die Genitalien des ihm als Kompaniefeldwebel
unterstellten Schützen Michael M., der mit einer Unterhose
bekleidet neben ihm im Doppelbett schlief.
2. In der darauffolgenden Nacht berührte er den mit einer Un-
terhose bekleideten schlafenden Schützen Michael M. mit
dem Mund an den Genitalien, indem er seinen Kopf unter
die Bettdecke des Schützen steckte.
- 10 -
3. Am 20.07.2001 ‚tippte’ der Soldat gegen 06.00 Uhr morgens
dem schlafenden Oberfeldwebel Martin D., einem Soldaten
seiner Kompanie, mit dem er im Rahmen einer Unteroffi-
zierweiterbildung im Ausbildungsstützpunkt W., … in … auf
einer Zweimann-Stube übernachtete, mit einem Finger
durch die Bettdecke hindurch auf die Genitalien.”
Zu Beginn der Hauptverhandlung vor dem Truppendienstgericht legte der Wehr-
disziplinaranwalt dem Soldaten in einer Nachtragsanschuldigungsschrift vom
10. April 2002 zu Punkt 2 der Anschuldigungsschrift folgenden Sachverhalt als
schuldhafte Verletzung seiner Dienstpflichten zur Last:
„In einer Nacht von Samstag auf Sonntag, an einem nicht mehr zu
ermittelnden Wochenende im Zeitraum August bis September
1998, berührte der Soldat in seiner Wohnung, … in … D., den mit
einer Unterhose bekleideten schlafenden Schützen Michael M.
mit dem Mund an den Genitalien, indem er seinen Kopf unter die
Bettdecke des ihm als Kompaniefeldwebel unterstellten Schützen
steckte.”
Mit einer zweiten Nachtragsanschuldigungsschrift vom 11. April 2002 zu den
Punkten 1 und 2 der Anschuldigungsschrift legte der Wehrdisziplinaranwalt in der
Hauptverhandlung schließlich dem Soldaten folgenden Sachverhalt als schuldhaf-
te Verletzung seiner Dienstpflichten zur Last:
„1. In einer Nacht von Freitag auf Samstag, an einem nicht
mehr zu ermittelnden Wochenende im Zeitraum von Okto-
ber bis November 1998, berührte der Soldat in seiner Woh-
nung, … in … D.-L., die Genitalien des ihm als Kompanie-
feldwebel unterstellten Schützen Michael M., der mit einer
Unterhose bekleidet neben ihm im Doppelbett schlief.
2. In einer Nacht von Samstag auf Sonntag, an einem nicht
mehr zu ermittelnden Wochenende im Zeitraum von Okto-
ber bis November 1998, berührte der Soldat in seiner Woh-
nung, … in … D.-L., den mit einer Unterhose bekleideten
schlafenden Schützen Michael M. mit dem Mund an den Ge-
nitalien, indem er seinen Kopf unter die Bettdecke des ihm
als Kompaniefeldwebel unterstellten Schützen steckte.”
- 11 -
Die ... Kammer des Truppendienstgerichts … fand den Soldaten durch Urteil vom
11. April 2002 eines Dienstvergehens schuldig und setzte ihn in den Dienstgrad
eines Oberfeldwebels herab.
Sie sah den angeschuldigten Sachverhalt aufgrund der von ihr getroffenen tat-
sächlichen Feststellungen in den Anschuldigungspunkten 1 und 2 im Sinne der
zweiten Nachtragsanschuldigung und hinsichtlich des Anschuldigungspunktes 3 im
Sinne der Anschuldigungsschrift vom 12. Februar 2002 als erwiesen an.
Sie würdigte das Verhalten des Soldaten als jeweils vorsätzlichen Verstoß gegen
seine Fürsorgepflicht (§ 10 Abs. 3 SG), Kameradschaftspflicht (§ 12 Satz 2 SG)
sowie die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten im außer-
dienstlichen Bereich (§ 17 Abs. 2 Satz 2 SG), mithin als Dienstvergehen nach § 23
Abs. 1 SG.
Zur Maßnahmebemessung führte die Kammer im Wesentlichen aus:
Das festgestellte Dienstvergehen sei außerordentlich schwerwiegend. Zu Lasten
des Soldaten habe sich dabei auswirken müssen, dass er als Folge seiner Dienst-
pflichtverletzungen von seinem Dienstposten als Kompaniefeldwebel habe abge-
löst und darüber hinaus zu einer anderen Einheit in einem weiter entfernten
Standort habe kommandiert werden müssen. In der Tat selbst habe die Kammer
keine Milderungsgründe feststellen können. Der Soldat habe weder aus einer fi-
nanziellen Notlage heraus gehandelt, noch sei sein Fehlverhalten von so außer-
gewöhnlichen Besonderheiten geprägt, dass unter diesen Umständen von ihm
pflichtgemäßes Verhalten schlechterdings nicht habe erwartet werden dürfen. Er
habe im Gegenteil ihm für seine Vorhaben günstig erscheinende Gelegenheiten
geschaffen und dann ausgenutzt. Um eine einmalige und persönlichkeitsfremde
Augenblickstat habe es sich danach ganz offensichtlich auch nicht gehandelt. Die
Kammer habe hier allerdings zugunsten des Soldaten einen minderschweren Fall
angenommen. In allen drei Teilakten sei der Soldat eher zaghaft zu Werke ge-
gangen und habe sein Fehlverhalten sofort eingestellt, als ihm Widerstand ent-
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gegengebracht worden sei. Wäre auch nur die geringste Gewaltanwendung fest-
zustellen gewesen, wäre die Bewertung wesentlich schärfer ausgefallen. Die
Kammer habe ansonsten in der Person des Soldaten etliche positive Merkmale
feststellen können, die es erlaubt hätten, von der an sich verwirkten Maßnahme
der Entfernung aus dem Dienstverhältnis ausnahmsweise abzusehen. Der Soldat
sei weder vorbestraft noch disziplinar negativ in Erscheinung getreten. Er habe
sich im Gegenteil fast zwanzig Jahre lang in und außer Dienst ordentlich geführt,
was nicht zuletzt durch die beiden ihm erteilten förmlichen Anerkennungen zum
Ausdruck gekommen sei. Er sei auch in seinen Beurteilungen stets überaus positiv
bewertet worden mit steigender Tendenz. Der nächste Disziplinarvorgesetzte des
Soldaten zur Tatzeit, der Zeuge Hauptmann K., habe in seiner Aussage zur Per-
son des Soldaten den positiven Gesamteindruck grundsätzlich bestätigt und be-
kundet, dass der Soldat sich in seinem Geschäft ausgekannt habe und man sich
hundertprozentig auf ihn habe verlassen können. Probleme habe der Soldat im
Bereich der Menschenführung gehabt. Da sei er manchmal „über das Ziel hinaus-
geschossen”. Der Zeuge habe allerdings keinen Zweifel daran gelassen, dass er
den Soldaten nicht wieder in seiner Einheit als Kompaniefeldwebel zurück haben
möchte, selbst wenn das möglich wäre. Zugunsten des Soldaten habe die Kam-
mer gewertet, dass er in seiner jahrzehntelangen Dienstzeit zahlreiche Aus-
zeichnungen - darunter das Bundeswehrehrenkreuz in Silber - erhalten habe. Un-
ter Abwägung aller für und gegen den Soldaten sprechenden Gesichtspunkte sei
die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass es unbeschadet der festgestellten
gravierenden Verstöße gegen Vorgesetztenpflichten verantwortet werden könne,
den Soldaten in der herausgehobenen Dienstgradgruppe der Portepeeunteroffi-
ziere zu belassen.
Gegen dieses dem Soldaten am 10. Juni 2002 zugestellte Urteil hat seine Vertei-
digerin mit Schriftsatz vom 8. Juli 2002, der am selben Tage bei der Truppen-
dienstkammer eingegangen ist, Berufung in vollem Umfang eingelegt mit dem
Antrag, das Urteil der Truppendienstkammer aufzuheben und den Soldaten frei-
zusprechen.
- 13 -
Zur Begründung hat die Verteidigerin im Wesentlichen vorgetragen, die Truppen-
dienstkammer habe zu Unrecht die Bekundungen der Zeugen M. und D. für
glaubhaft und plausibel gehalten. Beide Zeugen sowie die Zeugin M. hätten in
mehreren Punkten die Unwahrheit gesagt. Insbesondere habe die Truppendienst-
kammer die gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugen vorgetragenen Einwände
nicht zutreffend gewürdigt. Davon losgelöst hätten sich nach der Urteilsverkün-
dung weitere Tatumstände herausgestellt, die es erforderten, eine völlig neue
Bewertung der Aussage des Zeugen M. vorzunehmen. So könnten die im gleichen
Hause wohnenden Geschwister des Soldaten bezeugen, dass der Zeuge M. nach
dem hier interessierenden Wochenende im Oktober 1998 beim Soldaten mehr-
fach erneut alleine übernachtet habe. Weiterhin könnten mehrere damalige Ka-
meraden des Soldaten, die Zeugen V. und P., bekunden, der Zeuge M. habe in
der Kantine Äußerungen anderer Soldaten, die das Gerücht, der Spieß sei schwul,
kolportierten, vehement widersprochen und darauf hingewiesen, dies hätte ihm
auffallen müssen, so oft wie er beim Soldaten übernachtet habe. Wegen der Ein-
zelheiten der Begründung, insbesondere zu den gegen die Glaubwürdigkeit der
Zeugen M. und D. und der Zeugin M. sowie gegen die Aussagen dieser Zeugen
sprechenden Vorbringens, wird auf die Schriftsätze der Verteidigerin vom 8. Juli
2002 und vom 24. März 2003 Bezug genommen.
III
1. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, ihre Förmlichkeiten sind gewahrt
(§ 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 WDO).
2. Da das Rechtsmittel des Soldaten ausdrücklich und nach dem wesentlichen
Inhalt seiner Begründung in vollem Umfang eingelegt worden ist, hat der Senat
im Rahmen der Anschuldigung (§ 123 Satz 3 i.V.m. § 107 Abs. 1 WDO) eigene Tat-
und Schuldfeststellungen zu treffen, diese rechtlich zu würdigen und die sich
daraus ergebenden Folgerungen zu ziehen, ggf. unter Beachtung des Verschlech-
- 14 -
terungsverbots (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 Abs. 1 StPO) über die ange-
messene Disziplinarmaßnahme zu befinden.
3. Die Berufung des Soldaten hatte Erfolg.
Aufgrund der Einlassung des Soldaten, soweit ihr gefolgt werden konnte, der ge-
mäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 StPO zum Gegenstand der
Berufungshauptverhandlung gemachten Urkunden und Schriftstücke sowie der in
der Berufungshauptverhandlung vernommenen Zeugen Hauptmann K., Haupt-
mann H., Hauptfeldwebel D., Hauptgefreiter der Reserve P., Hauptgefreiter der
Reserve V., Hauptgefreiter der Reserve M., Hauptfeldwebel der Reserve H. und
der Zeuginnen Anita T. und Eleni M. hat der Senat folgenden Sachverhalt festge-
stellt:
Zu den Punkten 1 und 2 der zweiten Nachtragsanschuldigungsschrift:
Nach seiner militärischen Grundausbildung wurde der Zeuge M. seit dem 1. Juli
1998 im Geschäftszimmer der .../InstBtl … in D. eingesetzt, in der der Soldat den
Dienstposten des KpFw besetzte. Ende September 1998 erhielt der Soldat den
Auftrag, Personalakten aufzuarbeiten. Während der gemeinsamen Auftragserle-
digung kamen der Soldat und der Zeuge M. auch über private Dinge ins Gespräch.
Im Laufe der Zeit entwickelte sich eine freundschaftliche Beziehung, die sich
auch auf den privaten Bereich ausdehnte. So kamen beide überein, gelegentlich
zusammen essen zu gehen oder einen Kinobesuch zu machen. An dem Wochen-
ende vom 30. Oktober bis 1. November 1998 hat der Zeuge M. in der Wohnung
des Soldaten übernachtet. Den beiden Übernachtungen ging voraus, dass der Sol-
dat den Zeugen M. nach Dienst mit in das ihm und seinem Bruder gehörende
Haus in D.-L. nahm, das er mit seinen Geschwistern bewohnte. Ursprünglich
wollte der Zeuge M. am Abend des 30. Oktober 1998 noch nach Hause fahren. Da
er aber einige Biere getrunken hatte, bot ihm der Soldat an, bei ihm zu über-
nachten. Nach anfänglichem Zögern nahm der Zeuge M. das Angebot an, wobei
- 15 -
er davon ausging, dass er auf dem Sofa nächtigen werde. Obwohl es im Hause
des Soldaten genügend anderweitige Schlafmöglichkeiten gab, wies der Soldat
dem Zeugen den Platz in seinem Doppelbett im Schlafzimmer zu, weil es nach
Meinung des Soldaten zuviel Mühe machte, das Sofa auszuziehen und zu bezie-
hen. Der nur mit einer Unterhose bekleidete Zeuge M. und der Soldat schliefen
daraufhin im Doppelbett.
Der Soldat hat die beiden angeschuldigten Vorfälle in der Beweisaufnahme be-
stritten und darüber hinaus erklärt, der Zeuge M. habe auch nach dem Wochen-
ende vom 30. Oktober bis 1. November 1998 noch einige Male in seiner Wohnung
übernachtet. Der Zeuge M. habe dann auf dem Schlafsofa geschlafen. Wenn die
Ehefrau des Zeugen M. bei ihm mit übernachtet habe, hätten der Zeuge M. und
seine Ehefrau im Doppelbett geschlafen. Der Soldat hat sich weiterhin wie folgt
eingelassen: Im März 1999 habe er zusammen mit dem Zeugen M. eine Veranstal-
tung in O. besucht, bei der der Zeuge M. seine spätere Ehefrau, die Zeugin M.,
kennen gelernt habe. Danach habe es sich ergeben, dass er bei der am 7. März
2000 erfolgten Hochzeit der Eheleute M. Trauzeuge geworden sei. Er habe so-
wohl dem Zeugen M. als auch seiner Ehefrau mehrfach Geld geliehen, das bis
heute nicht zurückbezahlt worden sei. Die Freundschaft zu dem Zeugen M. habe
bis etwa August 2000 bestanden. Einige Zeit später habe sich der persönliche
Kontakt abgekühlt. Er habe den Zeugen M. nicht mehr telefonisch erreichen kön-
nen, weil dieser ständig seine Telefonnummern gewechselt habe und während
des Dienstes habe er nur noch wenig persönlichen Kontakt zu dem Zeugen ge-
habt, was auch daran gelegen habe, dass er dem Zeugen einige Male zu verste-
hen gegeben habe, dass er mit seinen dienstlichen Leistungen nicht zufrieden
sei. In der Beziehung zu dem Zeugen M. und seiner Ehefrau sei eine weitere Ent-
fremdung dadurch eingetreten, dass er nicht Taufpate des am 25. Oktober 2000
geborenen Sohnes der Eheleute M. geworden sei, obwohl dies ursprünglich fest
vorgesehen gewesen sei. Nachdem er sich im Zeitraum November/Dezember
2000 u.a. wegen gegen ihn gerichteter Mobbing-Vorwürfe, die über Jahre hinweg
gegangen seien und aus seiner Sicht zu seiner Erkrankung und zu seinen psychi-
- 16 -
schen Problemen geführt hätten, eines Krankenhausaufenthalts habe unterzie-
hen müssen, und der Zeuge M. ihn im Krankenhaus nicht einmal angerufen habe,
sei er so enttäuscht gewesen, dass er die persönliche Beziehung zu ihm abgebro-
chen und die Freundschaft endgültig aufgekündigt habe. Was seinerzeitige Ge-
rüchte in der Kompanie über seine angeblichen homosexuellen oder bisexuellen
Neigungen betreffe, so entbehrten sie jeglicher Grundlage. Auch treffe nicht zu,
dass er zu dem Zeugen M. an jenem Schützenfestabend gesagt habe, er sei bise-
xuell, ferner habe er im Verlaufe der Nacht später der Zeugin M. gegenüber
nicht eingestanden, dass es Tage gäbe, an denen ihn Männer ansprechen und an
anderen Tagen eben Frauen.
Der Zeuge M. hat ausgesagt, am Morgen des 31. Oktober 1998 habe er das Gefühl
gehabt, dass ihm der Soldat an sein Geschlechtsteil gefasst habe. Da er sich zu
der Zeit in einem Dämmerzustand befunden habe, sei er sich zunächst nicht ganz
sicher gewesen, was passiert sei. Er habe sich deshalb nur in seine Decke einge-
dreht und auf die Seite gelegt. Nach dem Aufstehen sei ihm aufgefallen, dass der
Soldat ihn ungewöhnlich oft gefragt habe, ob er gut geschlafen und ob er gut
geträumt habe. Um sich insoweit Gewissheit zu verschaffen, sei er auch noch
den nächsten Tag und die folgende Nacht im Hause des Soldaten geblieben und
habe wiederum im Doppelbett geschlafen. Gegen Morgen habe er bemerkt, dass
der Soldat seinen Kopf unter seine - des Zeugen - Bettdecke gesteckt habe, und
sich nunmehr mit dem Mund an seinem Geschlechtsteil zu schaffen gemacht ha-
be. Er sei sich nun ganz sicher gewesen, dass sich der Soldat am Morgen zuvor
ähnlich verhalten habe. Er habe die Berührungen alles andere als angenehm
empfunden, habe den Soldaten von sich gestoßen, sei „total schockiert” gewe-
sen, habe nicht gewusst, wie er hierauf reagieren solle und habe versucht, die
Vorfälle zu verdrängen. Den Soldaten habe er auf die Vorfälle zu keiner Zeit an-
gesprochen, auch seinem Disziplinarvorgesetzten habe er keine Meldung ge-
macht, weil er befürchtet habe, dass ihm niemand glauben und er am Ende al-
lein und als Außenseiter dastehen werde. Der Zeuge K. hat bestätigt, dass sich
der Zeuge M. ihm gegenüber in Bezug auf eine eventuelle Außenseiterrolle ähn-
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lich geäußert habe. Der Zeuge M. sagte weiter aus, er wolle nicht gänzlich aus-
schließen, den Soldaten im Jahre 1999 im Kameradenkreis gegen Gerüchte, er
- der Soldat - sei schwul, in Schutz genommen zu haben. Dies habe er dann aus
Gründen des „Selbstschutzes” getan, weil ihm solche „Sticheleien peinlich” sei-
en, und er über das Thema nicht gern rede. Seiner Frau, der Zeugin M., habe er
seinerzeit nichts von den Vorfällen im Oktober/November 1998 erzählt. Als im
Mai 1999 das Schützenfest in L. stattgefunden habe, das er mit dem Soldaten
und der Zeugin M. besucht habe, habe ihm der Soldat in einem
Vier-Augen-Gespräch gestanden, bisexuell zu sein. Als er dies später seiner Frau
erzählt habe, habe sie ihm gesagt, dass es sie nicht überrasche, weil sie den Ein-
druck habe, dass der Soldat eifersüchtig auf sie gewesen sei. Die Zeugin M. hat in
diesem Zusammenhang ausgesagt, vom Schützenfest in L. sei sie früher zur Woh-
nung des Soldaten gegangen und habe dort noch einige Zeit vor dem Fernseher
gesessen, bis der Soldat und ihr Mann gekommen seien. Auf der Terrasse habe ihr
Mann zu ihr gesagt, dass der Soldat ihm gegenüber zugegeben habe, bisexuell zu
sein. Daraufhin habe sie den Soldaten gefragt, ob es stimmen würde. Der Soldat
habe dies bejaht.
Dem Soldaten konnte seine Einlassung, er habe an dem Wochenende vom
30. Oktober bis 1. November 1998, als der Zeuge M. bei ihm übernachtet habe,
weder dessen Genitalien mit der Hand noch mit dem Mund berührt (Tatvorwürfe
1 und 2), nicht mit der für eine Verurteilung notwendigen Sicherheit widerlegt
werden. Der Zeuge M. hat zwar in sich schlüssig und wiederholt vor dem Senat
bekundet, er sei sich sicher, dass der Soldat sich so, wie angeschuldigt, ihm ge-
genüber verhalten habe. Andererseits hat jedoch der Zeuge H. ausgesagt, der
Soldat sei ihm weder homosexuell noch bisexuell aufgefallen und habe sich stets
korrekt verhalten. Auch der Zeuge P. hat erklärt, als er im November 1999 im
großen Bett des Soldaten mit übernachtet habe, weil die Arbeiten am PC des
Soldaten bis kurz vor Mitternacht dauerten, sei er in dieser Nacht in keinster
Weise behelligt worden. Für den Senat war aber insbesondere nicht nachvoll-
ziehbar, dass der Zeuge M. nach dem Vorfall der ersten Übernachtung keine Kon-
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sequenzen gezogen und gegenüber dem Soldaten nicht darauf bestanden hat,
entweder kein zweites Mal bei ihm zu übernachten oder bei der zweiten Über-
nachtung auf dem Sofa zu schlafen. Da dem Zeugen die Berührungen unange-
nehm waren, hätte es ohnehin nahe gelegen, den Soldaten darauf anzusprechen,
zumal der Zeuge, wie er vor dem Senat ausgesagt hat, „sich zu wehren versucht,
wenn ihm etwas nicht passt”. Auch ist nicht nachvollziehbar, dass der Zeuge M.
nach den angeschuldigten Vorfällen vom Oktober/November 1998 noch weiterhin
im Hause des Soldaten übernachtet hat. Die Zeugin T. hat in diesem Zusammen-
hang ausgesagt, sie habe im vierten Quartal 1998 bis in das Jahr 1999 hinein häu-
fig, nahezu jedes Wochenende, einen dunklen VW-Golf mit B.er Kennzeichen
- den PKW des Zeugen M. - vor dem Hause des Soldaten stehen sehen und zwar
morgens zu einer Zeit, dass sie davon ausgehen konnte, dass der Zeuge M. dort
übernachtet haben musste. Ob er allein in der Wohnung ihres Bruders übernach-
tet habe, könne sie naturgemäß nicht sagen. Außerdem hat der Zeuge M. den
Soldaten im Jahre 1999 auf einer gemeinsamen Fahrt nach Berlin begleitet und
mit ihm zusammen in einem Doppelzimmer in der Kaserne übernachtet. Der Zeu-
ge M. nutzte den Aufenthalt in B. zu einem Besuch bei seinem Onkel, verzichtete
jedoch darauf, bei diesem zu übernachten, was aber nahe gelegen hätte, wenn
der Zeuge, wie er aussagte, darauf geachtet habe, nicht mehr alleine mit dem
Soldaten zu übernachten. Ferner ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Zeuge
M., wenn die angeschuldigten Sachverhalte sich tatsächlich ereignet haben und
er von dem Soldaten sexuell belästigt worden ist, dem in der Kompanie umge-
henden Gerücht, der Kompaniefeldwebel sei schwul, heftig widersprochen hat.
Der Zeuge P. hat in diesem Zusammenhang ausgesagt, Anfang 1999 sei er mit
den Zeugen H. und M. sowie dem Obergefreiten B. in der Kantine bei einem Bier
zusammen gesessen, um eine längere Übung „ausklingen” zu lassen. Dabei sei
eine etwas laute Diskussion zwischen dem Zeugen M. und dem Obergefreiten B.
über das Thema entstanden, ob der Kompaniefeldwebel schwul sei. B. habe dies
behauptet. Der Zeuge M. habe dem aufs Schärfste widersprochen. Der Zeuge V.
bestätigte die Aussage des Zeugen P. insoweit, als er bekundete, er habe im Ja-
nuar 1999 am Frühstückstisch zusammen mit dem Obergefreiten B. und dem
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Zeugen M. gesessen und hierbei habe B. die Behauptung in den Raum gestellt,
der Spieß sei schwul. Daraufhin sei der Zeuge M. sichtbar erregt gewesen und
habe massiv in einer Lautstärke widersprochen, sodass die ganze Kantine hellhö-
rig geworden sei. Sinngemäß habe der Zeuge M. folgende Worte geäußert: „So
oft ich im Haus des Kompaniefeldwebels übernachtet habe und mehrfach auch
im Doppelbett des Kompaniefeldwebels, ist es nie zu Annäherungsversuchen ge-
kommen. Dort war absolut gar nichts.” Weiterhin hat der Zeuge V. erklärt, 14
Tage später anlässlich eines Oldie-Abends in der Kantine habe Obergefreiter B.
den Zeugen M. wieder mit der Behauptung provoziert, der Spieß sei schwul. Er,
der Zeuge V., und der Zeuge H. hätten die beiden trennen müssen und den Zeu-
gen M. vor die Tür gebracht, wo er sich wieder in einem vergleichbaren Sinn wie
beim ersten Mal geäußert habe. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass diese klaren
und widerspruchsfreien Bekundungen der Zeugen P. und V. unglaubhaft sind, hat
der Senat nicht feststellen können.
Schließlich war es für den Senat nicht nachvollziehbar, dass der Zeuge M. den
Soldaten im Jahre 1999 - also nach den Vorfällen - zum Trauzeugen bei seiner
Hochzeit machte, obwohl ihn, den Zeugen, die Vorfälle während der Übernach-
tungen im Oktober/November 1998 in der Wohnung des Soldaten, wie er sich vor
dem Senat ausdrückte, „total schockiert” hatten. Auch der Umstand, dass der
Soldat von den Eheleuten M. zunächst als Taufpate ihres Sohnes ins Gespräch
bracht worden ist, erscheint dem Senat angesichts der den Zeugen M. zuvor sehr
berührenden Vorfälle vom Oktober/November 1998 nicht plausibel.
Demnach war nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Einlassung des Solda-
ten, keine sexuellen Übergriffe gegenüber dem Zeugen M. vorgenommen zu ha-
ben, nicht mit hinreichender Sicherheit zu widerlegen. Dem Grundsatz „in dubio
pro reo” folgend, war der Soldat deshalb von den Vorwürfen zu den Punkten 1
und 2 der zweiten Nachtragsangschuldigungsschrift freizustellen.
Zu Punkt 3 der Anschuldigungsschrift:
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Am 19. Juli 2001 fuhren der Soldat und der Zeuge D. zur Vorbereitung einer Un-
teroffizierweiterbildung nach W. Der Zeuge D. war zu der Zeit der Stellvertreter
des Soldaten als Kompaniefeldwebel. Beide bezogen eine abschließbare Zwei-
mannstube. Gegen 15.00 Uhr begann die Weiterbildung. Am Abend des 19. Juli
2001 fand ab 20.30 Uhr ein Unteroffiziersabend statt, bei dem reichlich Alkohol,
außer Bier auch Whisky, getrunken wurde, wie der Zeuge H. aussagte. Der Zeuge
H. sagte ferner aus, dass am Ende des gemütlichen Abends viele Kameraden aus
dem Raum „rausgewankt” seien. Der Soldat verließ die Veranstaltung bereits
gegen 23.00 Uhr und suchte seine Unterkunftsstube auf. Gegen 0.30 Uhr fühlte
er sich durch lauten Lärm gestört. Er stellte fest, dass der Zeuge D. und ein an-
derer Oberfeldwebel auf der Wiese am Unterkunftsgebäude einen Ringkampf
durchführten und untersagte die Fortführung des Ringkampfes. Gegen 1.00 Uhr
am Morgen des 20. Juli 2001 fuhr der Zeuge D. mit einigen Kameraden in die
Stadt, um dort noch weiterzufeiern und weiterzutrinken. Gegen 4.00 Uhr kehrte
er zurück und fand den Soldaten schlafend auf der gemeinsamen Stube vor. Der
Zeuge D. war zu der Zeit angetrunken, ob er auch betrunken war, konnte in der
Berufungshauptverhandlung nicht geklärt werden. Der Zeuge selbst sagte aus,
am Unteroffizierabend habe er drei oder vier Flaschen 0,33 Liter Bier und in der
Gastwirtschaft in W. nochmals drei große Gläser Bier getrunken; er schloss nicht
aus, am Unteroffiziersabend auch Whisky getrunken zu haben.
Der Soldat bestreitet den angeschuldigten Tatvorwurf und lässt sich dahin ein, er
habe den Unteroffiziersabend gegen 23.00 Uhr verlassen, sei auf seine
Unterkunftsstube gegangen, habe dort noch etwas gelesen und sich gegen 24.00
Uhr schlafen gelegt. Draußen habe er noch einige Kameraden lärmen gehört. An-
schließend habe er den Ringkampf, an dem der Zeuge D. beteiligt gewesen sei,
unterbunden. Der Ringkampf des Zeugen D. mit einem anderen Oberfeldwebel
sei sicherlich auch noch von anderen Kameraden beobachtet worden. Während
des Kampfes hätten die Soldaten sich gegenseitig in den Schritt gegriffen. Mögli-
cherweise habe der Zeuge D. bei seiner Meldung über den Tatvorwurf einer Mel-
dung durch ihn, den Soldaten, über den Ringkampf zuvorkommen wollen. Der
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Unteroffiziersabend sei zu einem „sinnlosen Besäufnis” ausgeartet, es seien etwa
50 bis 60 Liter Bier getrunken worden. Am nächsten Morgen sei er gegen 06.00
Uhr aufgestanden, habe seine Morgentoilette und Rückendehnübungen gemacht,
die ihm wegen seiner Muskelschmerzbeschwerden und zur Linderung seiner Rü-
ckenschmerzen verordnet worden seien, und die er auch während des Dienstbe-
triebs immer wieder einmal ausführe. Als der Zeuge D. aufgestanden sei, sei er
nach seiner - des Soldaten - Auffassung betrunken gewesen, der Zeuge habe
„gewackelt”, als er das Bett verlassen habe und habe „glasige” Augen gehabt.
Aus seiner Sicht könne er nur betonen, dass er den Zeugen D. weder angefasst
noch angetippt habe.
Der Zeuge D. hat ausgesagt, er sei am 20. Juli 2001 gegen 04.00 Uhr morgens in
seine Stube zurückgekehrt. Zu dieser Zeit habe der Soldat bereits geschlafen.
Gegen 04.41 Uhr sei er aufgewacht, habe auf seine Armbanduhr geschaut und
bemerkt, dass der Soldat in Höhe seiner Füße, ca. 1 m von seinem Bett entfernt,
mit dem Rücken zu ihm gestanden sei und den Rücken gedehnt habe, indem er
den Oberkörper abwechselnd nach rechts und links gedreht habe. Er, der Zeuge,
habe sich dann geräuspert und im Bett gedreht, um dem Soldaten zu verstehen
zu geben, dass er sich im Schlaf gestört fühle. Daraufhin sei der Soldat in sein
Bett zurückgekehrt. Später sei er, der Zeuge, erneut aufgewacht und habe ge-
hört, wie der Soldat leise vor sich hinredete, hierbei habe er folgende Worte ver-
standen: „Machs noch mal, Du geile Sau!”, „Zeig's mir”. Der Zeuge D. hat weiter
bekundet: Irgendwann sei er erneut eingeschlafen und habe seinen auf 6.00 Uhr
gestellten Wecker überhört. Kurz nach 6.00 Uhr sei er dann aufgewacht, dabei
habe er gefühlt, wie der Soldat mit einem Finger kurz auf seine Genitalien ge-
tippt habe. Gesehen habe er diesen Vorgang nicht. Im Nachhinein habe er den
Eindruck, der Soldat habe ertasten wollen, ob er, der Zeuge, erregt gewesen sei.
Der Soldat sei dann zurückgewichen und habe sich ein paar Schritte vom Bett
entfernt. Mit dem Rücken zu dem Zeugen gedreht, habe er anschließend erneut
Rückendehnübungen gemacht und sei danach zum Waschbecken gegangen. Er,
der Zeuge, habe den Soldaten auf der Stelle zur Rede gestellt. Der habe jedoch
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bestritten, ihn unsittlich berührt zu haben. Er, der Zeuge, habe den Soldaten im
Laufe des Vormittags nochmals auf den Vorfall angesprochen, der Soldat habe
wiederum gesagt, nichts gemacht zu haben. Der Vorfall habe ihn so aufgewühlt,
dass er W. vorzeitig verlassen habe und nach D. zurückgekehrt sei. Da er sich
daran erinnert habe, von den Eheleuten M., mit denen er private Kontakte un-
terhalten habe, andeutungsweise gehört zu haben, dass der Soldat bisexuell sei,
habe er Kontakt mit dem Zeugen M. aufgenommen, der ihm seine eigenen Erfah-
rungen mit dem Soldaten in sexueller Hinsicht offenbart habe, ohne dabei je-
doch Einzelheiten zu schildern. Das Gerücht über angebliche homosexuelle Nei-
gungen des Soldaten sei ihm bekannt gewesen. Bei der Übergabe der Dienstge-
schäfte am 24. Juli 2001 aus Anlass des Urlaubs des Soldaten habe der Soldat
sinngemäß geäußert, sich keiner Schuld bewusst zu sein, aber auch nicht ganz
den angeschuldigten Tatvorwurf ausschließen zu können; er, der Soldat, habe
gesagt, möglicherweise habe er unter Medikamenteneinfluss gestanden und kön-
ne sich deshalb an die ihm vorgeworfene Tat nicht erinnern.
Der Zeuge K., früherer Disziplinarvorgesetzter des Soldaten, sagte aus, als er
beim Frühstück am 20. Juli 2001 gehört habe, dass der Zeuge D. nach Hause wol-
le, habe er ihn zu sich kommen lassen. Der Zeuge, der eine gefestigte und
selbstsichere Person sei, habe ihm von dem Vorfall berichtet, in dem Gespräch
habe er verstört und aufgewühlt gewirkt, seine Betroffenheit habe man gespürt.
Mit dem Soldaten habe er erst am Mittwoch oder Donnerstag in der darauf fol-
genden Woche gesprochen.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Senat nicht mit hinreichender
Sicherheit feststellen können, ob der angeschuldigte Tatvorwurf sich tatsächlich
ereignet hat. Zum einen hat der Zeuge D. nach eigenem Bekunden nicht unmit-
telbar gesehen, dass der Soldat durch die Bettdecke hindurch auf sein Ge-
schlechtsteil „getippt” hat. Der Zeuge war, wie er aussagte, noch nicht wach
und hat den Vorfall nur „gefühlt”, sodass nicht auszuschließen war, dass es sich
um eine Mutmaßung oder Schlussfolgerung des Zeugen handelte. Hierbei war
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auch zu berücksichtigen, dass der Zeuge D., als er gegen 04.00 Uhr morgens al-
koholisiert in seine Stube zurückgekehrt war, nicht einmal bis 6.00 Uhr durchge-
schlafen hatte und daher unter Schlafentzug litt. Wie er vor dem Senat ausgesagt
hat, war er gegen 4.41 Uhr wach geworden. Das „Gefühl” des Zeugen ist aber
keine sichere Tatsachengrundlage für eine Verurteilung des Soldaten. Zweifel
ergeben sich ferner daraus, wie der Bundeswehrdisziplinaranwalt in der Beru-
fungshauptverhandlung ausgeführt hat, ob ein „zielgerichtetes Antippen” durch
die Bettdecke des Zeugen hindurch überhaupt möglich war. Auch konnte in der
Berufungshauptverhandlung nicht geklärt werden, weshalb eine „gefestigte und
selbstsichere Person”, so die Aussage des Zeugen K. über den Zeugen D., durch
ein, wie es der Zeuge D. formulierte, „eher kurzes Antippen” und „zärtliches
Wachmachen” so verstört und aufgewühlt war, dass er W. vorzeitig verlassen
hat.
Nach dem Grundsatz „in dubio pro reo” war der Soldat daher auch von Punkt 3
der Anschuldigungsschrift freizustellen.
Insgesamt war der Soldat mithin von dem Vorwurf eines Dienstvergehens freizu-
sprechen, da ihm ein schuldhaftes Fehlverhalten gemäß § 23 Abs. 1 SG nicht
nachzuweisen war.
4. Da der Soldat freigesprochen wurde, waren gemäß § 138 Abs. 3 und 4 WDO die
Kosten des Verfahrens und gemäß § 140 Abs. 1 WDO die ihm darin erwachsenen
notwendigen Auslagen dem Bund aufzuerlegen.
Prof. Dr. Pietzner
Prof. Dr. Widmaier
Dr. Deiseroth