Urteil des BVerwG vom 23.09.2010
Soldat, Mildernde Umstände, Besitz, Disziplinarverfahren
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 41.09
TDG S 1 VL 19/08
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
gegen
geboren am ... in ...,
...,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts aufgrund der
nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 23. September 2010, an der
teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Burmeister,
ehrenamtlicher Richter Major Kaminski und
ehrenamtliche Richterin Oberfeldwebel Mrosk,
Leitender Regierungsdirektor ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ...,
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Berufung des Soldaten wird das Urteil der 1.
Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 5.
November 2009 im Ausspruch über die
Disziplinarmaßnahme geändert.
Gegen den Soldaten wird ein Beförderungsverbot von
drei Jahren verhängt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem
Bund auferlegt.
G r ü n d e :
I
Der ledige, im April 1982 geborene, kinderlose Soldat durchlief nach dem
Realschulabschluss erfolgreich eine Lehre zum Energieelektroniker in einem
Ausbildungsbetrieb, in dem er bis zu seiner Einberufung zur Bundeswehr im
Januar 2004 als Netzbetriebsmonteur tätig war. Zum 1. Oktober 2004 wurde er
in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen und zugleich als
Unteroffizieranwärter zugelassen; zum 1. Juli 2006 wurde er als Anwärter für
die Laufbahn der Feldwebel zugelassen und im Januar 2007 in diesen
Dienstgrad befördert. Seine Dienstzeit wird voraussichtlich zum 31. Dezember
2015 enden.
Nach seiner Grundausbildung wurde er zum 1. April 2004 als Stabsdienstsoldat
in die damalige Technische Kompanie ... versetzt, die aufgrund von
Organisationsänderungen wenig später in den Abgesetzten Technischen Zug ...
umgegliedert wurde. Ihm gehört der Soldat sei dem 1. Oktober 2004 an, wobei
er seit dem disziplinarisch bedeutsamen Vorfall im Innendienst eingesetzt wird.
Die Vorgesetztenausbildung Luftwaffe im Jahr 2004 bestand er mit
„befriedigend“, den Sonderlehrgang „BMR/BMF II
Führungsdienstgeräteelektronik“ im März 2005 als Lehrgangsbester mit „sehr
gut“, wofür ihm wegen vorbildlicher Pflichterfüllung eine Förmliche Anerkennung
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verliehen wurde. Mit „befriedigend“ beendete er den Fachlehrgang
„Radarelektronikunteroffizier MPR“, mit „gut“ die Führerausbildung der
Luftwaffe, Teil I. Den Laufbahnsonderlehrgang „Radarelektronikfeldwebel MPR“
schloss er mit „befriedigend“ ab.
In einem Beurteilungsvermerk vom 18. Oktober 2006 zum Lehrgang
„Führerausbildung der Luftwaffe Teil I“ wird der Soldat als ruhig und
zurückhaltend beschrieben. Er habe gute geistige Anlagen, die er auf dem
Lehrgang dazu genutzt habe, um zuverlässig und sicher in der
Wissensanwendung zu überzeugen. Eine Befähigung zur Menschenführung
habe er jedoch noch nicht nachweisen können, weiteres forderndes Üben sei
erforderlich. Die Sonderbeurteilung des Soldaten vom 3. Februar 2010 weist
beim Beurteilungsmerkmal „Aufgabenerfüllung“ bei den Einzelmerkmalen
jeweils dreimal die Wertung „4“, „5“ und „6“ und den Durchschnittswert „5.0“
aus. Ergänzend ist ausgeführt, der Soldat sei verlässlich und gewissenhaft bei
der Erledigung seiner Aufträge, neige jedoch dazu, bei Routinearbeiten die
notwendige Sorgfalt schnell zu vernachlässigen und Fehler zu übersehen.
Darüber hinaus sei er vom Wesen her eher naiv, was sich auch bei der
Auftragsbearbeitung niederschlage. Er solle mit mehr Misstrauen und kritischer
an Aufträge herangehen, um Fehler zu vermeiden. Deutliche
Leistungsschwankungen seien spürbar; der Soldat bleibe unter seinen
Möglichkeiten. Von der Art her eher zurückhaltend und unauffällig solle er
eloquenter auftreten, um die Führungsrolle als Feldwebel deutlicher
auszufüllen. Dazu gehöre auch ein stringenteres Verhalten, um als Vorbild für
die jungen Soldaten in Erscheinung zu treten. Zum Persönlichkeitsprofil ist
ausgeführt, der Soldat sei ein überzeugter und überzeugender Techniker mit
stets spürbarem Interesse an diesem Bereich. Er verfüge über eine
überdurchschnittliche Auffassungsgabe, die es ihm ermögliche, Verfahren und
Zusammenhänge schnell zu erfassen und anzuwenden. Er sei nach kürzester
Einarbeitungszeit oder selbständiger Einarbeitung in der Lage, Aufträge
erfolgreich zu bearbeiten. Diese Fähigkeit sei insbesondere in einer technischen
Verwendung deutlich geworden und verspreche großes Potenzial. Auch im
Bereich Innendienst habe er sich zügig in seinem neuen Aufgabenbereich
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zurechtgefunden. Zusätzliche Aufträge nehme er bereitwillig an; er sei jederzeit
bereit, dafür auch seine Freizeit zu opfern. Ihm zeitweise unterstellte Soldaten
vermöge er anzuleiten und zu führen. Dabei sei besonders hervorzuheben,
dass er sein Wissen bereitwillig und erfolgreich vermitteln könne. Wegen seiner
hilfsbereiten Art und Fachkompetenz sei er im Kameradenkreis anerkannt.
Vom sachgleichen Strafverfahren abgesehen, ist der Soldat bislang weder straf-
noch disziplinarrechtlich in Erscheinung getreten Er wohnt in einer
truppendienstlichen Unterkunft, wofür er monatlich 15,20 € von den
Dienstbezügen zahlt, die er nach der Besoldungsgruppe A 7 BBesG erhält und
die monatlich etwa 1 800 € netto betragen. Die Vermögensverhältnisse des
Soldaten sind geordnet.
II
1. Aufgrund der Anschuldigungsschrift der Wehrdisziplinaranwaltschaft hat das
Truppendienstgericht Süd den Soldaten durch Urteil vom 5. November 2009 in
den Dienstgrad eines Stabsunteroffiziers der Besoldungsgruppe A 7 BBesG
herabgesetzt und die Wiederbeförderungssperre auf zwei Jahre beschränkt.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe insbesondere aufgrund des
Geständnisses des Soldaten fest, dass er am 17. Oktober 2007 in seiner
Wohnung in R... einen Personalcomputer in Kenntnis dessen aufbewahrt habe,
dass auf diesem im nicht zugeordneten Speicherbereich 49 Bilder
kinderpornografischen Inhalts vorhanden seien. Auf den Bildern seien Mädchen
und Jungen unter 14 Jahren bei verschiedenen Praktiken des Sexualverkehrs
zu sehen. Alle Darstellungen würden ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes
Geschehen wiedergeben. Der Soldat habe die 49 Bilder auf der Festplatte des
Rechners vor einigen Jahren über eine Tauschbörse aus dem Internet
heruntergeladen und auf seinem Rechner gespeichert. Da der Soldat kein
Interesse an kinderpornografischen Darstellungen habe, sich diese vielmehr nur
„aus Neugierde“ heruntergeladen habe, habe er sie nach etwa zwei bis drei
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Monaten wieder gelöscht. Auf einer externen Festplatte seien etwa 43 000
Bilder erwachsenenpornografischen Inhalts festgestellt worden. Zu keinem
Zeitpunkt habe der Soldat kinderpornografische Darstellungen an Dritte
weitergegeben; dies hätten die kriminaltechnischen und forensischen
Auswertungen der sichergestellten Datenträger bestätigt.
Der Soldat habe ein Dienstvergehen begangen, indem er vorsätzlich und
schuldhaft gegen die ihm nach § 17 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 SG obliegende
soldatische Dienstpflicht verstoßen habe, sich außer Dienst und außerhalb der
dienstlichen Unterkünfte und Anlagen so zu verhalten, dass er die Achtung und
das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erforderten, nicht ernsthaft
beeinträchtige. Dies erfordere nach höchstrichterlicher Rechtsprechung zwar
seine Herabsetzung in den Dienstgrad eines Stabsunteroffiziers, wobei
Milderungsgründe dazu veranlassten, ihn im Vorgesetztendienstgrad zu
belassen; seine Entfernung aus dem Dienstverhältnis sei hingegen nicht
geboten. Die Kammer habe zudem von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die
Sperrfrist für eine mögliche Wiederbeförderung von drei Jahren auf zwei Jahre
herabzusetzen, weil der Soldat in der Hauptverhandlung einen guten Eindruck
hinterlassen habe und eine günstige Prognose für die Zukunft ausgestellt
werden könne.
2. Im sachgleichen Strafverfahren war der Soldat durch rechtskräftigen
Strafbefehl des Amtsgerichts Freising vom 17. Juni 2008 - ... - wegen Besitzes
kinderpornografischer Schriften (§ 184b Abs. 1 und 4 StGB) zu einer Geldstrafe
in Höhe von 90 Tagessätzen zu je 40 € verurteilt worden.
3. Gegen das Urteil des Truppendienstgerichts hat der Soldat frist- und
formgerecht Berufung eingelegt, sie auf die Bemessung der Maßnahme
beschränkt und beantragt, gegen ihn allenfalls ein Beförderungsverbot,
verbunden mit einer Kürzung der Dienstbezüge, zu verhängen. Ergänzend zum
erstinstanzlichen Vortrag macht er zur Begründung im Wesentlichen geltend,
das Dienstvergehen habe nur deshalb aufgedeckt werden können, weil er der
Kriminalpolizei ohne Not den Hinweis gegeben habe, sich vor geraumer Zeit
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kinderpornografische Bilder herunter geladen zu haben. Er habe zudem von
Anfang an ein volles Geständnis abgelegt und nicht versucht, Sachverhalte zu
verschweigen oder zu beschönigen.
III
Die gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 WDO form-
und fristgerecht eingelegte Berufung des Soldaten hat Erfolg. Das
Truppendienstgericht hat bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme
mildernde Umstände nicht in der nach § 38 Abs. 1 WDO gebotenen Weise
gewichtet. Gegen den Soldaten ist ein Beförderungsverbot zu verhängen, §§ 58
Abs. 1 Nr. 2, 60 Abs. 1 WDO.
1. Das Rechtsmittel des Soldaten ist auf die Disziplinarmaßnahme beschränkt
worden. Der Senat hat daher die Tat- und Schuldfeststellungen sowie die
disziplinarrechtliche Würdigung des Truppendienstgerichts seiner Entscheidung
zugrunde zu legen und auf dieser Grundlage - unter Berücksichtigung des
Verschlechterungsverbots (§ 331 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 91 Abs. 1
Satz 1, § 123 Satz 3 WDO) - über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu
befinden. Ob die Tat- und Schuldfeststellungen vom Truppendienstgericht
rechtsfehlerfrei getroffen worden sind, darf vom Senat nicht überprüft werden
(Urteil vom 10. September 2009 - BVerwG 2 WD 28.08 - Rn. 14 m.w.N.). Denn
bei einer auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkten Berufung
wird der Prozessstoff nicht mehr von der Anschuldigungsschrift, sondern nur
von den bindend gewordenen Tat- und Schuldfeststellungen des angefochtenen
Urteils bestimmt. Der Senat ist allerdings nicht gehindert, Lücken in den
tatsächlichen Feststellungen des Truppendienstgerichts zu schließen und
zusätzlich eigene, für die Maßnahmebemessung erhebliche Feststellungen zum
Tathergang zu treffen, solange dies weder im Widerspruch zu den Tat- und
Schuldfeststellungen der Truppendienstkammer steht noch dadurch deren
rechtliche Würdigung in Frage gestellt wird (vgl. Urteil vom 10. September 2009
a.a.O.).
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2. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs
wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen.
Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen
Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten (Urteil vom 11.
Juni 2008 - BVerwG 2 WD 11.07 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26 =
DokBer 2009, 15 m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach
§ 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des
Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die
Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu
berücksichtigen.
a) Eigenart und Schwere des vom Truppendienstgericht festgestellten
Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Unrechtsgehalt der Verfehlung,
d.h. nach der Bedeutung der verletzten Dienstpflichten. Danach wiegt der vom
Truppendienstgericht festgestellte Verstoß des Soldaten gegen die Pflicht, sich
außerhalb des Dienstes und außerhalb dienstlicher Unterkünfte und Anlagen so
zu verhalten, dass er die Achtung und das Vertrauen, das seine dienstliche
Stellung erfordert (§ 17 Abs. 2 Satz 2 SG), nicht ernsthaft beeinträchtigt,
außerordentlich schwer, zumal der Soldat mit seinem Fehlverhalten zugleich
kriminelles Unrecht beging.
Der Gesetzgeber hat die Besitzverschaffung und den Besitz
kinderpornografischer Darstellungen in § 184b Abs. 2 und 4 StGB unter Strafe
gestellt, um das Schaffen und Aufrechterhalten eines „Marktes“ mit
kinderpornografischen Darstellungen schon im Ansatz zu verhindern. Er hat
den „Konsumenten“ von Kinderpornografie damit den Kampf angesagt und sein
Unwerturteil über den Besitz kinderpornografischer Darstellungen ausgedrückt.
Kinderpornografische Darstellungen machen die kindlichen „Darsteller“ zum
bloßen Objekt geschlechtlicher Begierde oder Erregung und verstoßen gegen
die unantastbare Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG. Der darin
liegende sexuelle Missbrauch eines Kindes oder Jugendlichen ist - wie der
Senat in gefestigter Rechtsprechung immer wieder festgestellt hat - in hohem
Maße persönlichkeits- und sozialschädlich, greift in die sittliche Entwicklung
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eines jungen Menschen ein und gefährdet die harmonische Entwicklung seiner
Gesamtpersönlichkeit sowie seine Einordnung in die Gemeinschaft, da das Kind
wegen seiner fehlenden bzw. noch nicht hinreichenden Reife intellektuell und
gefühlsmäßig das Erlebte in der Regel gar nicht oder nur schwer verarbeiten
kann (Urteil vom 25. September 2007 - BVerwG 2 WD 19.06 - Rn. 43).
Als weiterer Erschwerungsgrund fällt die Stellung des Soldaten als
Portepeeunteroffizier ins Gewicht. Vor diesem Hintergrund hat er erheblich
versagt. Von ihm als Feldwebel konnte und musste erwartet werden, dass er
bei der Wahrung der Grundrechte, zumal der von Kindern, in erster Linie selbst
mit gutem Beispiel voranging. Die Stellung des Soldaten erforderte es, dass er
als Vorgesetzter in Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel hätte geben
müssen (§ 10 Abs. 1 SG). Denn nur, wenn er dieses Beispiel gibt, kann er von
seinen Untergebenen erwarten, dass sie sich am Vorbild ihres Vorgesetzten
orientieren und ihre Pflichten nach besten Kräften und aus innerer
Überzeugung erfüllen. Durch sein Fehlverhalten, das geeignet war, zur
erheblichen Minderung seiner Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit und des
Ansehens der Bundeswehr beizutragen, hat der Soldat ein schlechtes Beispiel
gegeben.
b) Das Dienstvergehen hatte erhebliche Auswirkungen. Es führte nicht nur zu
schwerwiegenden Verletzungen der Menschenwürde und des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts der in den Bildern dargestellten Kinder, sondern auch zu
einer anderen dienstlichen Verwendung des Soldaten.
Der Besitz kinderpornografischer Bilder durch den Soldaten trug nicht nur
mittelbar dazu bei, dass Kinder durch die Existenz eines entsprechenden
Marktes sexuell missbraucht werden. Damit wurde auch in das
Persönlichkeitsrecht der betroffenen abgebildeten Kinder nach Art. 1 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG eingegriffen, ohne dass sich diese dagegen
wirksam wehren konnten. Das Grundrecht des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts schützt gerade die Intimsphäre und die engere
persönliche Lebenssphäre (BVerfG, Beschlüsse vom 3. Juni 1980 - 1 BvR
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185/77 - BVerfGE 54, 148 <153> und vom 13. Mai 1986 - 1 BvR 1542/84 -
BVerfGE 72, 155 <170>). Es schützt ferner die Befugnis des Einzelnen,
grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen
seine personenbezogenen Daten und persönlichen Lebenssachverhalte
offenbart werden sollen (BVerfG, Beschluss vom 14. September 1989 - 2 BvR
1062/87 - BVerfGE 80, 367 <373>). Durch sein Verhalten hat der Soldat zu
dieser schwerwiegenden Rechtsverletzung aktiv beigetragen.
Hinzu treten schließlich die vom Truppendienstgericht für den Senat verbindlich
festgestellten Auswirkungen im dienstlichen Bereich wie der Entzug des
Zugangs zu Geheimsachen und der Zutrittsberechtigung, die Notwendigkeit
einer erneuten Sicherheitsüberprüfung und die Versetzung in den Innendienst.
Letzteres führt dazu, dass die Investitionen des Dienstherrn in die Ausbildung
des Soldaten zum Radarelektroniker nutzlos wurden. Darüber hinaus wurde
das Dienstvergehen im Kameradenkreis bekannt.
c) Die Beweggründe des Soldaten waren rein sexueller Natur, woran auch der
Umstand nichts ändert, dass der Soldat angab, vor allem aus Neugier
gehandelt zu haben.
d) Das Maß der Schuld als Richtlinie für die Bemessung der
Disziplinarmaßnahme bestimmt sich auf der Grundlage einer vorsätzlichen
Verhaltensweise des Soldaten. Da dies vom Truppendienstgericht unanfechtbar
festgestellt worden ist, brauchte der Senat nicht der Frage nachzugehen, ob der
Soldat zum konkret angeschuldigten Zeitpunkt - dem 17. Oktober 2007 -
tatsächlich noch wusste, Dateien kinderpornografischen Inhalts auf seinem PC
gespeichert zu haben, obwohl er - so seine Einlassung in der
Berufungshauptverhandlung - annahm, er habe sie unwiderruflich gelöscht.
Nicht nachzugehen brauchte der Senat deshalb ebenso der Frage, ob der
Soldat zum angeschuldigten und festgestellten Zeitpunkt überhaupt objektiv im
Besitz kinderpornografischer Dateien war. Zweifel an seiner Sachherrschaft
bestehen deshalb, weil der Soldat wohl nicht über eine Spezialsoftware verfügt
haben dürfte, mittels derer die gelöschten Dateien wiederherstellbar gewesen
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wären.
Anhaltspunkte dafür, dass der Soldat zum Zeitpunkt des Dienstvergehens in
seiner Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB eingeschränkt war, bestanden
nicht; ebenso wenig waren sonstige Schuldmilderungs- und
Schuldausschließungsgründe ersichtlich.
Milderungsgründe in den Umständen der Tat lagen ebenfalls nicht vor. Sie sind
nur dann gegeben, wenn die Situation, in der der Soldat versagt hat, von so
außergewöhnlichen Besonderheiten gekennzeichnet war, dass ein an normalen
Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher auch nicht
vorausgesetzt werden konnte. Soweit der Soldat entlastend geltend macht, er
selbst habe durch seine freiwilligen Aussagen im Rahmen von Ermittlungen
anderer Zielrichtung auf Verfehlungen in einem anderen Kontext hingewiesen,
vermag der Senat darin keinen Milderungsgrund zu erkennen.
e) Soweit es die bisherige Führung und die Persönlichkeit des Soldaten betrifft,
streiten für ihn keine durchgehend überdurchschnittlichen dienstlichen
Leistungen. Die davon abweichende Würdigung des Truppendienstgerichts
kann jedenfalls angesichts der aktuellen Sonderbeurteilung des Soldaten vom
3. Februar 2010 keinen Bestand mehr haben. Ungeachtet dessen
berücksichtigte sie nicht, dass die überdurchschnittlichen Leistungen des
Soldaten sich auch zuvor auf den fachlich-technischen Bereich beschränkt
hatten.
f) Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat von
einem zweistufigen Prüfungsschema aus (Urteil vom 10. Februar 2010 -
BVerwG 2 WD 9.09 -). Es führt dazu, dass das Urteil des Truppendienstgerichts
im Ausspruch über die Disziplinarmaßnahme keinen Bestand haben kann. Bei
der Gesamtwürdigung aller vorgenannter be- und entlastender Umstände ist
insbesondere im Hinblick auf Eigenart und Schwere des Dienstvergehens, das
Maß der Schuld sowie die Persönlichkeit und bisherige Führung des Soldaten
der Ausspruch eines - gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 60 WDO zulässigen -
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Beförderungsverbots für die Dauer von drei Jahren erforderlich, aber auch
ausreichend.
aa) Auf der ersten Stufe ist im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung
vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen
Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme für die in
Rede stehende Fallgruppe als „Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen“
eine Regelmaßnahme zu bestimmen. Dabei entspricht es der Rechtsprechung
des Senats, dass im Hinblick auf die Schwere und die disziplinare Einstufung
von Fehlverhalten, das den Besitz kinderpornografischer Dateien zum
Gegenstand hat, Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen eine nach
außen sichtbare Disziplinarmaßnahme bildet. Sie besteht regelmäßig in einer
Herabsetzung im Dienstgrad. Tritt ein Verschaffen solcher Dateien/Schriften im
Sinne des § 184b Abs. 2 StGB hinzu, wird das Fehlverhalten so gravierend,
dass der Soldat im Allgemeinen für die Bundeswehr untragbar wird und er nur
in minderschweren Fällen oder bei Vorliegen besonderer Milderungsgründe in
seinem Dienstverhältnis verbleiben kann (vgl. Urteile vom 25. September 2007 -
BVerwG 2 WD 19.06 - Buchholz 450.2 38 WDO 2002 Nr. 23 - (Rn. 42 ff.), vom
28. April 2005 - BVerwG 2 WD 25.04 - NZWehrr 2007, 28 ff, vom 25.
September 2007 a.a.O. (Seite 21 ff. des Urteilsumdrucks) und vom 11. Februar
2003 - BVerwG 2 WD 35.02 - Buchholz 236.1 § 17 SG Nr. 39).
bb) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob die als Regelmaßnahme in den Blick
zu nehmende Dienstgradherabsetzung im Hinblick auf die Bemessungskriterien
des § 38 Abs. 1 WDO die Möglichkeit einer Verschärfung oder Milderung
gegenüber der Regelmaßnahme eröffnet. Dabei ist vor allem anhand der
Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie dessen Auswirkungen zu
klären, ob es sich angesichts der be- und entlastenden Umstände um einen
schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung
handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad
vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die zu
verhängende Disziplinarmaßnahme nach „oben“ bzw. nach „unten“ zu
modifizieren. Für die „Eigenart und Schwere des Dienstvergehens“ kann z.B.
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von Bedeutung sein, ob der Soldat eine herausgehobene Dienststellung hatte,
einmalig oder wiederholt versagt hat oder in einem besonders wichtigen
Pflichtenbereich. Bei den Auswirkungen des Fehlverhaltens sind die konkreten
Folgen für den Dienstbetrieb (insbesondere die weitere Verwendbarkeit des
Soldaten, Rückwirkungen auf Vorgesetzte und Untergebene, negative
personalwirtschaftliche Konsequenzen) sowie schädliche Weiterungen für das
Außenbild der Bundeswehr in der Öffentlichkeit zu berücksichtigen. Hinsichtlich
des Zumessungskriteriums „Maß der Schuld“ hat der Senat neben der
Schuldform und der Schuldfähigkeit das Vorliegen von Erschwerungs- und
Milderungsgründen in den Tatumständen in Betracht zu ziehen.
Nach Maßgabe dessen ist eine Modifizierung der regelmäßig zu verhängenden
Disziplinarmaßnahme nach „unten“ geboten. Zwar hat das Dienstvergehen
auch im dienstlichen Bereich erhebliche Auswirkungen gezeitigt; gleichwohl hat
der Soldat eine Straftat begangen, bei der es sich in der Sache um einen
minderschweren Fall handelt. Die kriminelle Energie, die der Soldat zeigte, war
gering. Dem entspricht, dass das Amtsgericht gegen den Soldaten nur eine
Geldstrafe, nicht aber eine Freiheitsstrafe festgesetzt hat, obwohl es möglich
gewesen wäre, eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu verhängen (§ 184b
Abs. 4 StGB). Schon das Verhältnis der Anzahl der Dateien pornografischen
Inhalts, die strafrechtlich ohne Bedeutung waren, zur Anzahl der
kinderpornografischen Dateien (43.000:49) spricht dagegen, dass sich der
Soldat im pädophilen Täterkreis bewegte oder pädophile Neigungen auslebte.
Hinzu kommt, dass die kinderpornografischen Dateien von ihm nur zwei bis drei
Monate vorgehalten und sodann spätestens im Oktober 2007 - also bereits
deutlich vor Einleitung des Disziplinarverfahrens - so gelöscht worden waren,
dass sie sich auch nicht mehr im „Papierkorb“ des Rechners befanden. Dass
sie weiterhin im so genannten nichtzugeordneten Speicherbereich der
Festplatte vorhanden waren und sich mit einer speziellen Software wieder
hätten reaktivieren lassen, ändert nichts an dem dokumentierten
Bedeutungsgehalt der Löschungs-Handlung, zumal in der
Berufungshauptverhandlung deutlich wurde, dass der Soldat weder über die
entsprechende Software verfügte noch überhaupt von dieser Möglichkeit
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Kenntnis gehabt hat. Das Truppendienstgericht hat diesen Umstand zwar
gesehen und auch mildernd berücksichtigt, jedoch außer Acht gelassen, dass
das kriminelle Unrecht der Tat und folglich auch die Schwere des
Dienstvergehens dadurch erheblich reduziert wurden. Angesichts dessen war
es unverhältnismäßig, gegen den zuvor weder strafrechtlich noch disziplinarisch
in Erscheinung getretenen Soldaten eine nach außen sichtbare
Disziplinarmaßnahme zu verhängen.
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Das als nächstmildere Disziplinarmaßnahme zu verhängende
Beförderungsverbot nach § 60 Abs. 1 WDO musste mit drei Jahren allerdings
empfindlich ausfallen, weil der Soldat eine grundsätzlich schwerwiegende
Dienstpflichtverletzung begangen hat. Eine zusätzliche Kürzung der
Dienstbezüge war nach § 58 Abs. 4 S. 2 WDO jedoch nicht geboten, da sich
das Disziplinarverfahren auf den weiteren dienstlichen Werdegang des
Soldaten schon nachteilig ausgewirkt hat. Nach der Feststellung des
Truppendienstgerichts wäre er ohne das Disziplinarverfahren voraussichtlich
bereits zum 1. Mai 2008 befördert worden. Das Dienstvergehen hat damit
bereits finanzielle Nachteile gezeitigt, die zu der gezahlten Geldstrafe von 3 600
€ hinzutreten.
3. Da das Rechtsmittel des Soldaten Erfolg hatte, waren die Kosten des
Berufungsverfahrens - einschließlich der ihm darin erwachsenen notwendigen
Golze
Dr. Müller Dr. Burmeister
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