Urteil des BVerwG vom 13.02.2014

Soldat, Sexuelle Belästigung, Ärztliche Behandlung, Mildernder Umstand

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 4.13
TDG N 4 VL 27/12
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
Herrn Obermaat der Reserve …,
…,
…,
zul.: Marinefliegergeschwader…,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 13. Februar 2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Burmeister,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
ehrenamtlicher Richter Fregattenkapitän Dieke und
ehrenamtliche Richterin Obermaat Rabitz,
Leitender Regierungsdirektor …
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt …, Stralsund,
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin …
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Berufung des früheren Soldaten gegen das Urteil der
4. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 20. No-
vember 2012 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass
das verhängte Beförderungsverbot aufgehoben wird und
die verhängte Kürzung der Dienstbezüge als Kürzung des
Ruhegehalts gilt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der
ihm darin erwachsenen notwendigen Auslagen werden
dem früheren Soldaten auferlegt.
G r ü n d e :
I
Der dreißig Jahre alte frühere Soldat absolvierte nach dem Realschulabschluss
eine Ausbildung zum Konstruktionsmechaniker Metall- und Schiffbautechnik. Im
September 2004 bewarb er sich für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr
und wurde nach einer wegen mangelhafter Leistungen um drei Monate verlän-
gerten Eignungsübung ab Oktober 2005 unter Berufung in das Dienstverhältnis
eines Soldaten auf Zeit zum Obermaat ernannt. Seine auf acht Jahre verlänger-
te Dienstzeit endete mit dem Februar 2013.
Seinen Dienst trat der frühere Soldat bei der … an. Im Mai 2005 wurde er zur
Technischen Staffel des Marinefliegergeschwaders … in … versetzt. Von dort
aus war er vom 26. Juli 2010 bis zum 6. Februar 2011 zur … in … komman-
diert. Bei der Technischen Staffel des Marinefliegergeschwaders … war der
zum Fluggerätemechaniker ausgebildete Soldat seit Juni 2008 im Technischen
Büro zur Bearbeitung des Schriftverkehrs und als Bodendienstgerätebeauftrag-
ter im Bereich des Hallenmeisters eingesetzt. Seit Dezember 2011 wurde er
unterstützend zur Abwicklung von administrativen Tätigkeiten im Geschäfts-
zimmer der Technischen Staffel und seit September 2012 im in … verbliebenen
Nachkommando verwendet.
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Die planmäßige Beurteilung vom 13. Februar 2009 bewertete die Aufgabener-
füllung auf dem Dienstposten im Schnitt mit „3,57“. Die Erläuterung mahnte
mehr Eigeninitiative und Selbstständigkeit bei der Aufgabenerledigung an und
verwies auf das Erfordernis unterstützender Dienstaufsicht durch die Teilein-
heitsführer. Obermaat … besitze Potential zur Leistungsverbesserung, wenn er
sich mit seinem Aufgabenbereich mehr identifiziere und Aufträge eigeninitiativ
und mit Tatkraft umsetze. Der frühere Soldat wurde durch Kapitänleutnant S.
als junger, anständiger, vielfältig interessierter Unteroffizier mit korrektem militä-
rischen Auftreten gegenüber Vorgesetzten beschrieben, der im Kameradenkreis
akzeptiert sei. Auch der nächsthöhere Vorgesetzte merkte an, dass der frühere
Soldat sein Potential nur begrenzt nutze, mangels Identifikation mit seiner Tä-
tigkeit und wegen fehlender Motivation den täglichen Dienst als belastend erle-
be. Dennoch sei die Arbeitsqualität hoch. Im Auftreten gegenüber Vorgesetzten
sei Obermaat … stets korrekt.
Die Sonderbeurteilung vom 28. Februar 2013 bewertete die Aufgabenerfüllung
auf dem Dienstposten im Schnitt mit „5,43“. Die Begründung verwies auf Eigen-
initiative und Selbstständigkeit des früheren Soldaten und seine Bereitwilligkeit,
mit Mehrbelastungen verbundene Zusatzaufgaben zu übernehmen. Er berück-
sichtige Hinweise seiner Vorgesetzten, sei um persönliche Weiterentwicklung
bemüht und stelle sich neuen Herausforderungen. Im Nachkommando habe er
im „Aufräumkommando“ des Staffelfeldwebels einen guten Job gemacht. Fre-
gattenkapitän E. hob die tadellose Einstellung des früheren Soldaten zu seinem
Beruf und sein korrektes militärisches Auftreten hervor. Im Kameradenkreis sei
er anerkannt. Mit freundlichem Auftreten und Hilfsbereitschaft trage er zum Zu-
sammenhalt innerhalb des Unteroffizierkorps bei. Obermaat … besitze noch
weiteres Potenzial, das er mit der erforderlichen Hilfestellung hätte ausschöpfen
können. Der nächsthöhere Vorgesetzte schloss sich den Ausführungen an.
Nach seiner in der Berufungshauptverhandlung verlesenen Aussage in der
Hauptverhandlung vor dem Truppendienstgericht hat der Disziplinarvorgesetzte
des früheren Soldaten zur Tatzeit, Kapitänleutnant K., ausgeführt, dieser sei
ihm als sehr militärisch auftretend beschrieben worden. lm persönlichen Ge-
spräch sei ihm das ausgeprägte soldatische Verständnis des früheren Soldaten
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aufgefallen. Dieser habe nur wenig detailliertes Wissen über die Ausbildung der
Rekruten gehabt und sei nur als Hilfsausbilder einsetzbar gewesen. Obwohl der
frühere Soldat in der Kaserne gewohnt habe, habe er öfter Probleme mit der
Pünktlichkeit gehabt. Wie er zu den Rekruten gesprochen habe, habe nicht der
Auffassung des Zeugen entsprochen. Der frühere Soldat habe vor den Rekru-
ten „gepost“ und angegeben. Er habe zu jedem Thema Bescheid gewusst, aber
nur sehr oberflächliches Wissen gehabt. Nach dem Vorfall des Alarmauslösens
sei die Ablösung des früheren Soldaten erfolgt. Mit den Leistungen des früheren
Soldaten sei sein Zugführer sehr unzufrieden gewesen.
Der Disziplinarvorgesetzte des früheren Soldaten zwischen Februar 2011 und
Ende Oktober 2012, Kapitänleutnant S., hat in seiner in der Berufungshaupt-
verhandlung ebenfalls verlesenen Aussage in der Hauptverhandlung beim
Truppendienstgericht ausgeführt, schon während seiner Tätigkeit als Leitender
Technischer Offizier vom 1. Juli 2007 bis 30. Juni 2010 habe er versucht, den
früheren Soldaten durch mehrfache Kommandierungen dienstliche Zufrieden-
heit finden zu lassen. Er sei gut zu führen, führe Befehle aus, man sei zufrieden
mit ihm gewesen. Sei etwas nicht in Ordnung gewesen, habe er die Hand ge-
hoben. Nach der Rückkehr aus P. habe es einen Knick in seiner Dienstausfüh-
rung gegeben. Er sei nicht mit Feuer bei der Sache und öfter krank gewesen,
weshalb er ihn überwiegend im Geschäftszimmer eingesetzt habe. Nachdem er
wegen sexueller Belästigung angeschuldigt worden sei, habe er über
Konzentrationsschwierigkeiten geklagt und sich in ärztliche Behandlung bege-
ben. Eine „Schippe drauf gelegt“ habe er in seinen Leistungen nicht.
In der Berufungshauptverhandlung hat der Verfasser der Sonderbeurteilung,
Fregattenkapitän E., ausgeführt, nach seinem Eindruck sei der frühere Soldat
mit seiner Verwendung im Bereich der Marinefliegerei unzufrieden gewesen,
weil ihm diese nicht militärisch genug gewesen sei. Für ihn sei ein sehr militäri-
sches Auftreten charakteristisch gewesen. Eine Verwendung in der „kämpfen-
den Truppe“ hätte dem früheren Soldaten wohl eher gelegen. Dieser sei aber
ehrlich und sehr dienstbeflissen gewesen. Im Nachkommando, in dem man die
Liegenschaft beräumt habe, habe er selbst mit dem früheren Soldaten enger
zusammengearbeitet. Auf diesen sei stets Verlass gewesen. Er habe auch un-
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angenehme Arbeiten jenseits seiner technischen und militärischen Ausbildung
zuverlässig erledigt. Er sei mit den Leistungen zufrieden gewesen. Der frühere
Soldat habe sich die Belastung durch das Verfahren nicht anmerken lassen.
Von Problemen des früheren Soldaten mit anderen Mitarbeiterinnen oder Sol-
datinnen habe er nichts gehört.
Der Auszug aus dem Disziplinarbuch vom 27. Februar 2013 und die Auskunft
aus dem Zentralregister vom 16. Dezember 2013 enthalten keinen Eintrag.
Der frühere Soldat ist ledig und kinderlos. Nach der Auskunft des Bundesver-
waltungsamtes, Außenstelle Kiel, vom 6. Januar 2014 erhält er bis zum 30. No-
vember 2014 Übergangsgebührnisse in Höhe von monatlich brutto 1 769,27 €.
Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Abzüge werden ihm monatlich netto
1 573,75 € ausgezahlt. Die mit 14 126,22 € errechnete Übergangsbeihilfe wird
einbehalten. In der Berufungshauptverhandlung hat der frühere Soldat ergän-
zend zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen erläutert, er nehme seit Januar
2014 an einer Schulung zum Industriemeister Metall teil, die er in drei Monaten
abschließen werde. Dann werde er in seinem erlernten Beruf eine Beschäfti-
gung suchen. Derzeit teile er sich mit seiner Freundin die Miete für die gemein-
same Wohnung. Auf ihn entfielen etwa 200 € monatlich. Hinzu käme die Abzah-
lung für einen noch mit ca. 9 000 € offenen Kredit und die Kosten für Handy,
Internet und Versicherungen.
II
1. Das Verfahren ist nach Anhörung des früheren Soldaten mit Verfügung des
Befehlshabers der Flotte vom 24. Januar 2011, dem früheren Soldaten ausge-
händigt am 27. Januar 2011, eingeleitet worden.
Die Vertrauensperson der Unteroffiziere der … ist am 6. Dezember 2010 ange-
hört worden. Ihre Stellungnahme ist dem früheren Soldaten am 7. Dezember
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Nach Gewährung des Schlussgehörs hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft dem
Soldaten mit Anschuldigungsschrift vom 15. März 2011, zugestellt am 29. März
2011, folgenden Sachverhalt zur Last gelegt:
„1. Der Soldat fasste am Sonntag, den 10.10.2010 in der
UvD-Stube der … … zwischen 22:00 Uhr und 23:00 Uhr
die Zeugin Gefreite (w) Sch. tätschelnd auf die Schulter
und bot ihr für den Fall an, dass die Zeugin Gefreite (w) J.
von der Soldatin verlangen würde, ihr einen großen Dildo
in den Arsch zu schieben und sie damit ein Problem hätte,
dass sie jederzeit zu ihm kommen könne; er werde ihr so-
dann helfen, wobei der Soldat die Größe des Dildos mit
den weit auseinander gehaltenen Handflächen beschrieb,
woraufhin die Soldatin, der der Verlauf des Gespräches
unangenehm war, das Gespräch beendete und das UvD-
Zimmer verließ.
2. Der sich nicht im Dienst befindliche Soldat rief zu einem
nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt am Samstag,
den 22.01.2011 zwischen 17:30 Uhr und 21:00 Uhr im
1. Deck der … P. unberechtigt, zumindest zweimal und so
laut ‚Alarm’ ohne den Zusatz ‚zur Übung’, so dass mehre-
re Soldaten alarmmäßig versuchten, aus dem 2. bzw. 1.
Deck kommend, das Gebäude zu verlassen.“
2. Die 4. Kammer des Truppendienstgerichts Nord hat mit Urteil vom 20. No-
vember 2012 gegen den damals noch im aktiven Dienst befindlichen Soldaten
wegen eines Dienstvergehens ein Beförderungsverbot für die Dauer von
24 Monaten verbunden mit einer Kürzung der Dienstbezüge um 1/20 für die
Dauer von 14 Monaten verhängt.
Zum Anschuldigungspunkt 1 hat die Kammer festgestellt, der frühere Soldat sei
am 10. Oktober 2010 als Unteroffizier vom Dienst in einem Gebäude eingesetzt
gewesen, in dem unter anderem fünf weibliche Rekruten untergebracht gewe-
sen seien. Zwischen 22.00 und 23.00 Uhr habe der frühere Soldat die Rekrutin-
nen in das UvD-Zimmer einrücken lassen. Er habe zwei mit Nachtwäsche be-
kleideten Rekrutinnen geraten, so nicht vor die Stube zu treten, da dies für die
männlichen Rekruten zu aufreizend sei. Nachdem die Rekrutinnen das UvD-
Zimmer verlassen hätten, sei die Zeugin Sch. dorthin zurückgekehrt, weil sie
den früheren Soldaten auf eine abwertende Äußerung über ihre sportlichen
Leistungen habe ansprechen wollen. Bei diesem Gespräch habe der frühere
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Soldat mit einer Hand mehrmals tätschelnd die Schulter der Zeugin berührt und
ihr angeboten, bei Problemen behilflich zu sein, wenn z.B. die Rekrutin J. von
ihr verlangen würde, ihr einen großen Dildo in den Arsch zu schieben, wobei er
die Größe des Dildos mit seinen Händen angedeutet habe. Die Zeugin Sch.
habe sich dann in ihre Unterkunft begeben und den Vorfall den Zeuginnen M.
und J. berichtet. Von einem Kameraden hierzu gedrängt, meldete die Zeugin J.
später dem Zeugen Kapitänleutnant K. den Vorfall.
Der Soldat habe den Vorwurf bestritten, sei aber durch die glaubhafte Aussage
der glaubwürdigen Zeugin Sch. widerlegt. Diese habe den Vorfall in verschie-
denen Vernehmungen gleichbleibend geschildert und keinen Belastungseifer
gezeigt. Sie habe keine Motive für eine Falschaussage und die Ermittlungen
nicht selbst initiiert. Ein Komplott der Zeuginnen sei nicht feststellbar.
Zum Anschuldigungspunkt 2 ist entsprechend dem Geständnis des früheren
Soldaten festgestellt worden, dieser sei am 22. Januar 2011 „Krank-auf-Stube“
geschrieben gewesen, habe sich aber in einem anderen Gebäude aufgehalten,
um mit Kameraden am Computer zu spielen. Die in der Kaserne verbliebenen
Rekruten hätten größtenteils eine Fußballübertragung im Fernsehraum verfolgt.
Der frühere Soldat habe, von zwei Rekrutinnen animiert, und in Anwesenheit
des UvD in Kenntnis der fehlenden Notwendigkeit und Befugnis Alarm ausge-
löst. Der UvD habe die Sicherung für Flure und Lichthöfe im Gebäude heraus-
gedreht und der frühere Soldat habe mindestens zweimal laut „Alarm“ ohne den
Zusatz „zur Übung“ gerufen. Daraufhin hätten mehrere Rekruten „alarmmäßig“
die Stube verlassen. Mit einer Ausnahme habe der frühere Soldat die Rekruten
zurückrufen können.
Der Soldat habe damit vorsätzlich ein Dienstvergehen begangen. Er habe durch
die Vorfälle nach beiden Anschuldigungspunkten jeweils die Pflichten zum treu-
en Dienen (§ 7 SG), zur Fürsorge für Untergebene (§ 10 Abs. 3 SG), die Kame-
radschaftspflicht (§ 12 SG) und die Pflicht, der Achtung und dem Vertrauen ge-
recht zu werden, die sein Dienst als Soldat erfordere (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG)
verletzt, wobei er in Haltung und Pflichterfüllung ein schlechtes Beispiel gege-
ben habe (§ 10 Abs. 1 SG).
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Eine sexuell geprägte ehrverletzende Behandlung Untergebener sei ein sehr
ernstes Fehlverhalten. Der Soldat habe durch das Tätscheln der Zeugin Sch.
und das Angebot bei der Verwendung des Dildos zu helfen, eine sexuelle Be-
lästigung begangen und damit § 7 Abs. 2 SoldGG zuwidergehandelt. Damit ha-
be er das Vertrauen in seine moralische Integrität in Frage gestellt und das Zu-
sammenleben in der Truppe und deren inneres Gefüge empfindlich gestört. Be-
sonders junge Zeitsoldatinnen und -soldaten müssten vor sexuellen Belästigun-
gen durch Vorgesetzte bewahrt werden. Der Soldat habe eine der vornehmsten
Pflichten eines Vorgesetzten verletzt, die im militärischen Bereich wegen der
besonderen Schutzbedürftigkeit Untergebener besondere Bedeutung habe. Die
Verletzung der Kameradschaftspflicht unterminiere den dienstlichen Zusam-
menhalt, störe den Dienstbetrieb und gefährde die Autorität des Vorgesetzten.
Auch die Pflicht zu innerdienstlichem Wohlverhalten habe funktionalen Bezug
auf den Dienstbetrieb und sei keine bloße Nebenpflicht. Die Schwere des
Dienstvergehens werde durch die Betroffenheit einer besonders schutzbedürfti-
gen Zielgruppe bestimmt. Der Soldat habe nicht den Anforderungen des § 10
Abs. 1 SG entsprochen. Bedeutsam sei der Verstoß gegen den Grundsatz, Un-
tergebene nicht anzufassen, wenn dies nicht zur Durchsetzung eines Befehls
erforderlich sei. Die unnötige Alarmauslösung zeuge von Unreife und der Lust
am Schikanieren von Untergebenen. Der Soldat habe daher auch aus seiner
Ausbilderfunktion herausgelöst werden müssen. Das Maß der Schuld werde
durch den Vorsatz des voll schuldfähigen Soldaten bestimmt. Milderungsgründe
in den Umständen der Tat lägen nicht vor. Der Soldat habe in der Vergangen-
heit allenfalls genügende Leistungen erbracht. Eine Nachbewährung habe nicht
stattgefunden. Unter Berücksichtigung seiner teilweise geständigen Einlassung
und seiner bisher tadelfreien Führung sei ein im mittleren Bereich der gesetzlich
zulässigen Dauer angesiedeltes Beförderungsverbot schuld- und tatangemes-
sen. Dieses habe auch aus generalpräventiven Gründen mit einer spürbaren
Kürzung der Dienstbezüge verbunden werden müssen.
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3. Gegen das ihm am 16. Januar 2013 zugestellte Urteil hat der frühere Soldat
am 4. Januar 2012 unbeschränkt Berufung eingelegt.
Er habe die ihm unter dem Anschuldigungspunkt 1 vorgeworfene Handlung
nicht begangen. Die Äußerung gegenüber der Zeugin Sch. betreffend den Dildo
habe er nicht getätigt. Die Beweiswürdigung der Truppendienstkammer sei feh-
lerhaft. Die Zeugin Sch. habe widersprüchliche Aussagen dazu gemacht, wa-
rum sie allein in den Raum zurückgekehrt sei. Das Truppendienstgericht habe
auch nicht gewürdigt, dass die Zeuginnen gemeinsam mit einem PKW zu ihren
Vernehmungen bei der Wehrdisziplinaranwaltschaft und zur Hauptverhandlung
gefahren worden seien und dabei über den Sachverhalt gesprochen hätten. Die
Zeugin J. habe zudem den Vorfall anders dargestellt als die Zeugin Sch. Über-
einstimmung hätten die belastenden Aussagen der Zeuginnen nur hinsichtlich
des Kerngeschehens gezeigt, ansonsten gebe es viele Widersprüche. Das Ge-
richt hätte im Zweifel ein Glaubwürdigkeitsgutachten einholen müssen.
III
Die gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und Absatz 2 WDO form-
und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Insbesondere kann die Beru-
fung auch schon vor der Zustellung des verkündeten Urteils eingelegt werden
(Beschluss vom 26. September 2003 - BVerwG 2 WDB 3.03). Die Berufung ist
aber unbegründet.
1. Die Maßgaben zum Tenor resultieren allein aus dem Umstand, dass der frü-
here Soldat nach dem Urteil der Vorinstanz sein Dienstzeitende erreicht hat.
Das vom Truppendienstgericht verhängte Beförderungsverbot kann keinen Be-
stand haben, weil es nach § 58 Abs. 2 WDO gegen einen früheren Soldaten,
der als Soldat im Ruhestand gilt, nicht mehr verhängt werden darf (vgl. Urteil
vom 19. Juli 2006 - BVerwG 2 WD 13.05 - Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002
Nr. 2 Rn. 74). Die Kürzung der Dienstbezüge gilt dagegen in der Form der Kür-
zung des Ruhegehaltes fort (§ 58 Abs. 2 Nr. 1, § 135 Abs. 2 Sätze 2 bis 5
WDO).
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Maßgeblich ist die zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung geltende
Rechts- und Sachlage (vgl. Urteil vom 27. Januar 2011 - BVerwG 2 WD 39.09 -
Buchholz 450.2 § 108 WDO 2002 Nr. 1 Rn. 10 f.). Der frühere Soldat erhält
noch bis Ende November 2014 Übergangsgebührnisse und hat auch noch An-
spruch auf Auszahlung der Übergangsbeihilfe. Damit fällt er in den Anwen-
dungsbereich des § 1 Abs. 3 WDO, weil er noch Anspruch auf Dienstzeitver-
sorgung hat. Zur Dienstzeitversorgung eines Soldaten auf Zeit gehören nach
§ 3 Abs. 4 SVG unter anderem die Übergangsgebührnisse (§ 11 SVG) und die
Übergangsbeihilfe (§§ 12, 13 SVG).
2. Das Rechtsmittel ist in vollem Umfang eingelegt worden. Der Senat hat daher
im Rahmen der Anschuldigung eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen,
diese rechtlich zu würdigen und unter Berücksichtigung des Verschlechterungs-
verbotes (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 StPO) über die angemessene
Disziplinarmaßnahme zu befinden.
a) Zur Überzeugung des Senats steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme
in der Berufungshauptverhandlung folgender Sachverhalt fest:
aa) Der frühere Soldat war am späteren Abend des 10. Oktober 2010 während
seines Dienstes als UvD im Anschluss an eine Besprechung mit weiteren weib-
lichen Rekruten allein mit der damaligen Gefreiten (w) Sch. in der UvD-Stube
der … ... . Die Zeugin hatte ihn auf ein Gerücht angesprochen, dass er sich ab-
fällig über ihre Sportleistung geäußert habe. Anlässlich dieses Gesprächs wies
der frühere Soldat die Zeugin darauf hin, dass sie sich bei Fragen und Proble-
men jederzeit an einen Vorgesetzten wenden könne. Dabei tätschelte er ihre
Schulter. Zur Illustration des Hilfsangebotes bot er ihr für den Fall Hilfe an, dass
die damalige Gefreite (w) J. von ihr verlangen würde, ihr einen großen Dildo in
den Arsch zu schieben, wobei er die Größe des Dildos mit den Händen andeu-
tete. Die Zeugin Sch., der dies unangenehm war, verließ daraufhin den Raum.
Dieser Sachverhalt steht zum Teil bereits aus der geständigen Einlassung des
früheren Soldaten in der Berufungshauptverhandlung fest. Er hatte eingeräumt,
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sich nach dem Ende eines Gespräches mit mehreren weiblichen Rekruten al-
lein mit der Zeugin Sch. im UvD-Zimmer befunden und ein Gespräch mit ihr
geführt zu haben. Im Rahmen dieses Gespräches habe er sie auf die Möglich-
keit, sich Rat und Hilfe suchend an einen Vorgesetzten zu wenden, hingewie-
sen. Er habe sie auch wissentlich und willentlich an der Schulter getätschelt.
Nach der Vernehmung der Zeuginnen hat der frühere Soldat durch seinen Ver-
teidiger auch einräumen lassen, er habe sein Hilfsangebot durch ein unpassen-
des Beispiel mit einer sexuellen Anspielung illustriert. Den Gebrauch des kon-
kreten Beispiels über die Nutzung eines Dildos hat er aber bestritten.
Sein Bestreiten ist durch die glaubhafte Aussage der glaubwürdigen Zeugin
Obermaat Sch. widerlegt. Die Zeugin hat nach Verlesung ihrer Aussage beim
Truppendienstgericht gemäß § 123 Satz 1 WDO und auf diesen Vorhalt hin be-
stätigt, dass das fragliche Beispiel genutzt worden war. Sie hat sich auf Nach-
frage des Vertreters des Bundeswehrdisziplinaranwaltes ausdrücklich so einge-
lassen, dass sie sich nach Verlesung ihrer damaligen Aussage nunmehr auch
an genau dieses Beispiel erinnere. Der Glaubhaftigkeit dieser Aussage steht
nicht entgegen, dass die Zeugin sich nicht spontan an Einzelheiten des damali-
gen Geschehensablaufes erinnern konnte. Denn das Erlebnis liegt mehr als
drei Jahre zurück und es hatte, wie die Zeugin mehrfach betont hat, für sie kei-
ne besondere Bedeutung. Sie habe während ihrer Tätigkeit bei der Bundeswehr
inzwischen unangenehmere Situationen erlebt. Über diese konkrete Äußerung
habe sie sich am selben Abend aufgeregt, am nächsten Tag sei die Angele-
genheit für sie aber an sich erledigt gewesen. Die Zeugin hat auf Nachfragen in
der Berufungshauptverhandlung spontan und in einer Weise antworten können,
die ihr ehrliches Bemühen um eine wahrheitsgemäße Antwort deutlich machte.
Insbesondere hat sie die angesichts des Zeitablaufes zu erwartenden Erinne-
rungslücken deutlich gemacht. Ihre Schilderung des fraglichen Abends, insbe-
sondere in der durch Verlesung in die Berufungshauptverhandlung eingeführten
Aussage beim Truppendienstgericht, war plastisch und detailreich. Die Zeugin
hat ihre Reaktion auf das Verhalten des früheren Soldaten differenziert geschil-
dert und die Person des früheren Soldaten abgewogen bewertet. Sie hat hierbei
auch in der Berufungshauptverhandlung keinen Belastungseifer an den Tag
gelegt, vielmehr mehrfach die aus ihrer Sicht geringe Bedeutung des Vorfalles
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und ihr grundsätzlich positives Bild von dem früheren Soldaten als Ausbilder
deutlich gemacht. Zudem ist die Meldung des Vorfalles nicht von ihr ausgegan-
gen. Sie hat sich in ihren verschiedenen Vernehmungen bezüglich des Kernge-
schehens gleichbleibend geäußert. Einzelne Ungenauigkeiten und Abweichun-
gen betreffen allein Randdetails und geben keinen Anlass, den Kern ihrer Aus-
sage in Zweifel zu ziehen. Die Zeugin hat keinen Grund für eine Falschbelas-
tung des früheren Soldaten. Dieser war nach eigenen Angaben in der Beru-
fungshauptverhandlung in erster Linie mit der Ausbildung der später im techni-
schen Bereich einzusetzenden Rekruten befasst, zu denen die Zeuginnen nicht
gehörten. Dienstliche Kontakte beschränkten sich daher auf das gelegentliche
Führen des Zuges zum Essen und die unterstützende Teilnahme des früheren
Soldaten bei der Sportausbildung, sodass es bereits wenig Gelegenheit zu Kon-
flikten gegeben hatte, zumal der Vorfall in den ersten Tagen nach dem Dienst-
antritt der Zeuginnen geschehen und noch in den ersten Wochen nach Dienst-
antritt bekannt geworden war. Selbst wenn es bei den vereinzelten dienstlichen
Kontakten, wie der frühere Soldat ausgeführt hat, zu Zurechtweisungen der Re-
krutinnen wegen unzulässigen Schmucks und Mahnungen zu mehr Ruhe auf
dem Marsch gekommen ist, liegt es fern, dass die Zeugin Sch. sich von diesen
geringfügigen Zurechtweisungen, deren Berechtigung sie in der Berufungs-
hauptverhandlung ausdrücklich anerkannt hat, persönlich so getroffen gefühlt
haben könnte, dass sie durch eine Falschaussage zulasten des früheren Sol-
daten Vergeltung nehmen sollte.
Die Aussage der Zeugin Sch. wird durch die Aussagen der Zeuginnen J. und M.
gestützt. Die Zeuginnen bestätigten, dass die Zeugin Sch. ihnen schon vor der
Meldung des Vorfalles durch die Zeugin J. am selben Abend bzw. am Folgetag
von der Äußerung berichtet habe. Beide haben in der Berufungshauptverhand-
lung nachvollziehbar und detailreich und daher glaubhaft die Reaktion der Zeu-
gin Sch. auf den Vorfall beschrieben. Dass die Zeugin Sch. unmittelbar nach
dem Vorfall diesen Kameradinnen davon berichtet hat, bestätigt indiziell ihre
Glaubwürdigkeit.
Gründe dafür, ein Glaubwürdigkeitsgutachten einzuholen, gab es weder für das
Truppendienstgericht noch für den Senat:
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Grundsätzlich gehört die Würdigung von Zeugenaussagen zum Wesen richterli-
cher Rechtsfindung und ist dem Tatrichter anvertraut. Die hierfür ausreichende
Sachkunde ergibt sich in aller Regel schon aus seiner Berufserfahrung (vgl.
Meyer-Goßner, § 244 StPO Rn. 74 m.N. zur Rspr). Besondere Umstände des
Sachverhaltes können zwar besondere Sachkunde erfordern. So kann die Ein-
holung sachverständigen Rates geboten sein, wenn starke psychische Auffäl-
ligkeiten in der Person eines Belastungszeugen die Einholung sachverständi-
gen - in aller Regel psychologischen - Rates erzwingen (vgl. BGH, Beschluss
vom 29. Oktober 1996 - 4 StR 508/96 - juris). Hinweise auf psychische Auffäl-
ligkeiten einer der Zeuginnen, insbesondere der einzigen unmittelbaren Zeugin
Sch., lagen jedoch nicht vor.
bb) Am Abend des 22. Januar 2011 rief der frühere Soldat, der zu diesem Zeit-
punkt „Krank-auf-Stube“ geschrieben war, sich aber im Gebäude aufhielt, um
mit einem Kameraden Computer zu spielen, zweimal unberechtigt und ohne
den Zusatz „zur Übung“ so laut „Alarm“, dass mehrere anwesende Rekruten
versuchten, aus dem 1. bzw. 2. Deck kommend das Gebäude zu verlassen. Mit
einer Ausnahme konnte der frühere Soldat diese noch vor dem Verlassen des
Gebäudes informieren, dass es sich um einen Scherz gehandelt habe.
Dieser Sachverhalt ergibt sich bereits aus der detaillierten, geständigen Einlas-
sung des früheren Soldaten in der Berufungshauptverhandlung. Er hat, wie
schon beim Truppendienstgericht, den Ablauf des fraglichen Abends lebhaft
und nachvollziehbar geschildert. Seine Schilderung entsprach seinen ebenso
ausführlichen Angaben in der Hauptverhandlung vor dem Truppendienstgericht
und gab daher keinen Anlass, am Wahrheitsgehalt der die Anschuldigung be-
stätigenden Einlassung zu zweifeln.
b) Damit hat der Soldat vorsätzlich ein Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 SG be-
gangen.
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aa) aaa) In dem wissentlichen und willentlichen Angebot, bei der Anwendung
eines Dildos Hilfe zu leisten, liegt eine vorsätzliche sexuelle Belästigung im Sin-
ne von § 7 Abs. 2, § 3 Abs. 4 SoldGG und damit bereits nach der gesetzlichen
Definition eine Dienstpflichtverletzung. Ein Angebot zu einer Hilfeleistung bei
der Ausübung von Sexualpraktiken stellt eine Bemerkung sexuellen Inhalts dar.
Dass diese hier unerwünscht war, ergibt sich bereits daraus, dass die Zeugin
unmittelbar im Anschluss den Raum verlassen hatte, weil die Situation ihr un-
angenehm war. Dass der frühere Soldat der Zeugin seine sexuellen Fantasien
aufdrängt und sie darin einbezieht, verletzt sie in ihrer Würde. Denn dieses
Verhalten dokumentiert die fehlende Achtung vor der Intimsphäre der Geschä-
digten.
bbb) Durch das fragliche Verhalten hat der frühere Soldat zugleich vorsätzlich
die Pflicht zum treuen Dienen aus § 7 SG verletzt.
Zu der in § 7 SG normierten Pflicht zum treuen Dienen gehört insbesondere die
Verpflichtung zur Loyalität gegenüber der geltenden Rechtsordnung (stRspr,
vgl. z.B. Urteil vom 25. Juni 2009 - BVerwG 2 WD 7.08 - Buchholz 450.2 § 38
WDO 2002 Nr. 29 Rn. 33 m.w.N.). Allerdings muss es sich um einen Rechts-
verstoß von Gewicht handeln, der zudem in einem Zusammenhang mit dem
Dienstverhältnis steht.
Zur Rechtsordnung gehört auch die Pflicht aus § 7 Abs. 2 SoldGG. Der dienstli-
che Zusammenhang folgt daraus, dass die Pflichtverletzung zum einen wäh-
rend der Dienstausübung einer Untergebenen gegenüber erfolgte. Das für eine
disziplinarische Relevanz hinreichende Gewicht, folgt zum anderen daraus,
dass der Gesetzgeber dem Verstoß gegen das Unterlassungsgebot ausdrück-
lich die Qualität einer Pflichtverletzung und damit disziplinarische Relevanz zu-
weist.
ccc) Vorsätzlich verletzt ist auch § 10 Abs. 3 SG:
Die Fürsorgepflicht beinhaltet die Pflicht eines jeden militärischen Vorgesetzten,
Untergebene nach Recht und Gesetz zu behandeln. Der Untergebene muss
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unter anderem das - berechtigte - Gefühl haben, dass er vom Vorgesetzten
nicht nur als Befehlsempfänger betrachtet wird, sondern dass dieser sich bei
allen Handlungen und Maßnahmen vom Wohlwollen gegenüber dem jeweiligen
Soldaten leiten lässt und dass er stets bemüht ist, ihn vor Schäden und unzu-
mutbaren Nachteilen zu bewahren (stRspr, z.B. Urteil vom 22. April 2009
- BVerwG 2 WD 12.08 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 28 Rn. 31 m.w.N.,
Urteil vom 16. März 2011 - BVerwG 2 WD 40.09 -). Eine - wie hier - beleidigen-
de oder entwürdigende Behandlung eines Untergebenen verstößt gegen die
Pflicht aus § 10 Abs. 3 SG, für Untergebene zu sorgen (vgl. Scherer/Alff/
Poretschkin, § 10 SG Rn. 23 m.w.N.).
ddd) Vorsätzlich verletzt ist des Weiteren die Zurückhaltungspflicht bei Äuße-
rungen aus § 10 Abs. 6 SG. Dass die Norm in der Anschuldigungsschrift nicht
genannt ist, ist unerheblich, weil die rechtliche Würdigung der Wehrdisziplinar-
anwaltschaft den Prüfungsrahmen der Wehrdienstgerichte nicht beschränkt.
§ 10 Abs. 6 SG erfasst nach seinem eindeutigen Wortlaut alle „Äußerungen“ die
geeignet sind, das Vertrauen in Vorgesetzte zu erschüttern. Auch ehrverletzen-
de und diffamierende Äußerungen sind jedenfalls „Äußerungen“, die gegen die
Pflicht zur Zurückhaltung verstoßen (vgl. Urteil vom 13. März 2008 - BVerwG
2 WD 6.07 - Buchholz 449 § 10 SG Nr. 59 Rn. 86 m.w.N.). Er verpflichtet Un-
teroffiziere als Vorgesetzte, ihre Meinung unter Achtung der Rechte anderer
besonnen, tolerant und sachlich zu vertreten (vgl. Urteil vom 13. März 2008 -
a.a.O. Rn. 87 m.w.N.).
Ein aufgedrängtes Angebot zur Hilfeleistung bei der Ausübung ungewöhnlicher
Sexualpraktiken dokumentiert die mangelnde Bereitschaft, die Intimsphäre der
Untergebenen zu achten. Hier ist für das Angebot, sich bei Unterstützungsbe-
darf jederzeit an den Vorgesetzten zu wenden, ein das Schamgefühl verletzen-
des und das kameradschaftliche Angebot in sein Gegenteil verkehrendes und
damit entwertendes Beispiel gewählt worden. In dieser Form darf sich ein Vor-
gesetzter nicht über das Verhältnis von Vorgesetzten und Untergebenen äu-
ßern.
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eee) Zutreffend geht das Truppendienstgericht auch von einer vorsätzlichen
Verletzung des § 12 SG aus.
Inhalt und bestimmende Faktoren der Pflicht zur Kameradschaft sind das ge-
genseitige Vertrauen der Soldaten der Bundeswehr, das Bewusstsein, sich je-
derzeit, vor allem in Krisen- und Notzeiten, aufeinander verlassen zu können,
sowie die Verpflichtung zu gegenseitiger Achtung, Fairness und Toleranz. Ein
Vorgesetzter, der die Rechte, die Ehre oder die Würde seiner Kameraden ver-
letzt (§ 12 Satz 2 SG), stört den Dienstbetrieb und beeinträchtigt damit letztlich
auch die Einsatzbereitschaft der Truppe. Dies ist bei einer sexuellen Belästi-
gung durch einen Vorgesetzten der Fall.
Jeder Verstoß eines Soldaten gegen eine gesetzliche Dienstpflicht, die dem
vorangestellt ist, enthält (zugleich) einen Verst
wenn dem festgestellten Verhalten unabhängig von anderen Pflicht-
verstößen die Eignung zur Ansehensminderung innewohnt. Die Achtungs- und
die Vertrauenswürdigkeit eines Soldaten können durch sein Verhalten schon
dann Schaden nehmen, wenn dieses Zweifel an seiner Zuverlässigkeit weckt
oder seine Eignung für die jeweilige Verwendung in Frage stellt. Für die Fest-
stellung eines Verstoßes gegen diese Vorschrift kommt es nicht darauf an, ob
eine Ansehensschädigung im konkreten Fall tatsächlich eingetreten ist. Es
reicht vielmehr aus, dass das Verhalten des Soldaten geeignet war, eine an-
sehensschädigende Wirkung auszulösen (vgl. Urteile vom 22. Januar 1997
- BVerwG 2 WD 24.96 - BVerwGE 113, 48 <54> = Buchholz 236.1 § 7 SG
Nr. 12, S. 46 = NZWehrr 1997, 259; vom 13. Januar 2011 - BVerwG 2 WD
20.09 - juris Rn. 27 m.w.N. - und vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - juris
Rn. 29). Diese Voraussetzungen sind hier durch die sexuelle Belästigung einer
Untergebenen erfüllt.
bb) aaa) Die grundlose, wissentliche und willentliche Auslösung von Alarm ver-
letzt vorsätzlich § 7 SG. Dieser verpflichtet auch dazu, alles zu unterlassen, was
die Streitkräfte bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben in unzulässiger Weise
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schwächen könnte (Scherer/Alff/Poretschkin, § 7 SG Rn. 5). Einen Alarmruf als
Scherz zu missbrauchen, kann die Bereitschaft der Kameraden, auf einen sol-
chen zukünftig sofort zu reagieren, beeinträchtigen und verletzt daher diese Un-
terlassenspflicht.
bbb) Auch die Fürsorgepflicht für Untergebene aus § 10 Abs. 3 SG ist vorsätz-
lich verletzt. Untergebene zur Belustigung eines Vorgesetzten ohne dienstlichen
Grund in Bewegung zu setzen, ist keine von Wohlwollen und Achtung ihrer
Rechte geprägte Handlung.
ccc) Vorsätzlich verletzt ist auch die Pflicht aus § 10 Abs. 4 SG, Befehle nur zu
dienstlichen Zwecken einzusetzen. Aus der Warte eines objektiven Beobach-
ters war der Alarmruf als Befehl zu entsprechendem Verhalten zu verstehen
(Urteil vom 17. Januar 2013 - BVerwG 2 WD 25.11 - Rn. 45) und ist auch so
verstanden worden. Der Wunsch, Untergebene zur Belustigung von Vorgesetz-
ten in Bewegung zu setzen, stellt keinen dienstlichen Zweck dar.
ddd) Aus dem gleichen Grund ist auch die Kameradschaftspflicht des § 12 SG
eee) Da ein Vorgesetzter durch Scherze auf Kosten von Untergebenen seine
Autorität gravierend beeinträchtigt, ist auch § 17 Abs. 2 Satz 1 SG vorsätzlich
verletzt.
c) Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs
wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen.
Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen
Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten („Wiederherstel-
lung und Sicherung der Integrität, des Ansehens und der Disziplin in der Bun-
deswehr“, vgl. dazu Urteil vom 11. Juni 2008 - BVerwG 2 WD 11.07 - Buchholz
450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26 m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinarmaß-
nahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere
des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Per-
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sönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des früheren Soldaten
zu berücksichtigen.
aa) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Un-
rechtsgehalt der Verfehlungen, d.h. nach der Bedeutung der verletzten Dienst-
pflichten. Danach wiegt das Dienstvergehen nicht leicht.
aaa) Gewicht verleiht dem Dienstvergehen zunächst die Verletzung von Kern-
pflichten jedes Soldaten und insbesondere des Vorgesetzten:
Die Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG) gehört zu den zentralen Pflichten eines
Soldaten. Ihre Verletzung ist in der Regel schon deshalb von erheblicher Be-
deutung.
Auch die Verletzung der Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhal-
ten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) belastet den früheren Soldaten erheblich. Die
Pflicht zur Wahrung von Achtung und Vertrauen ist kein Selbstzweck, sondern
hat funktionalen Bezug zur Erfüllung des grundgesetzmäßigen Auftrages der
Streitkräfte und zur Gewährleistung des militärischen Dienstbetriebs. Ein Sol-
dat, insbesondere - wie hier - ein Vorgesetzter, bedarf der Achtung seiner Ka-
meraden und Untergebenen sowie des Vertrauens seiner Vorgesetzten, um
seine Aufgaben so zu erfüllen, dass der gesamte Ablauf des militärischen
Dienstes gewährleistet ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine Beeinträch-
tigung der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit tatsächlich eingetreten ist, son-
dern nur darauf, ob das festgestellte Verhalten dazu geeignet war (stRspr, z.B.
Urteile vom 13. Januar 2011 - BVerwG 2 WD 20.09 - juris Rn. 27 m.w.N. und
vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - juris Rn. 29). Dies war hier der Fall.
Die Kameradschaftspflicht in den Streitkräften ist nicht minder bedeutsam.
Denn der Zusammenhalt der Bundeswehr beruht gemäß § 12 Satz 1 SG we-
sentlich auf Kameradschaft. Die Erfüllung der dienstlichen Aufgaben erfordert
im Frieden und in noch höherem Maße im Einsatzfalle gegenseitiges Vertrauen
sowie das Bewusstsein, sich jederzeit aufeinander verlassen zu können. Ein
Vorgesetzter, der die Rechte seines Kameraden verletzt, untergräbt den dienst-
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lichen Zusammenhalt, stört den Dienstbetrieb und kann damit letztlich auch die
Einsatzbereitschaft der Truppe beeinträchtigen (vgl. Urteil vom 1. März 2007
- BVerwG 2 WD 4.06 - Rn. 46 m.w.N.
449 § 10 SG Nr. 56 m.w.N.>).
Der frühere Soldat stand aufgrund seines Dienstgrades als Obermaat in einem
Vorgesetztenverhältnis (§ 1 Abs. 3 Sätze 1 und 2 SG i.V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 2,
Abs. 3 VorgV) und war als UvD auch seiner Funktion nach Vorgesetzter der im
Dienstgebäude am 10. Oktober 2010 anwesenden Rekrutinnen (§ 3 VorgV).
Soldaten in Vorgesetztenstellung obliegt eine höhere Verantwortung für die
Wahrung dienstlicher Interessen. Wegen seiner herausgehobenen Stellung ist
ein Vorgesetzter in besonderem Maße für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner
Dienstpflichten verantwortlich und unterliegt damit im Falle einer Pflichtverlet-
zung einer verschärften Haftung, da Vorgesetzte in ihrer Haltung und Pflicht-
erfüllung ein Beispiel geben sollen (§ 10 Abs. 1 SG) (vgl. Urteile vom 25. Juni
2009 - BVerwG 2 WD 7.08 - m.w.N., vom 13. Januar 2011 - BVerwG 2 WD
20.09 - Rn. 28 und vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - Rn. 30).
Die Fürsorgepflicht (§ 10 Abs. 3 SG) gehört nach der ständigen Rechtspre-
chung des Senats zu den vornehmlichsten Pflichten eines Vorgesetzten gegen-
über seinen Untergebenen, die das berechtigte Gefühl haben müssen, dass sie
von diesem nicht nur als Befehlsempfänger betrachtet werden, sondern dass
dieser von den ihm eingeräumten Befehls- und sonstigen Befugnissen nur unter
angemessener Berücksichtigung ihrer persönlichen Belange Gebrauch macht,
dass er sich bei allen Handlungen und Maßnahmen von Wohlwollen gegenüber
dem jeweiligen Untergebenen leiten lässt und dass er stets bemüht ist, ihn vor
Schäden und unzumutbaren Nachteilen zu bewahren (stRspr, vgl. u.a. Urteil
vom 1. März 2007 - BVerwG 2 WD 4.06 - Buchholz 449 § 10 SG Nr. 56
m.w.N.). Insbesondere muss er die körperliche Integrität sowie die Rechte und
Würde des Untergebenen strikt achten. Diese Verpflichtung hat im militärischen
Bereich besondere Bedeutung. Denn im militärischen Über- und Unterord-
nungsverhältnis sind Untergebene besonders schutzbedürftig.
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Auch die Erteilung eines Befehls zu nichtdienstlichen Zwecken ist nach der
ständigen Rechtsprechung des Senats regelmäßig ein besonders schwerwie-
gender Verstoß gegen eine zentrale Dienstpflicht eines Vorgesetzten (Urteile
vom 20. Mai 2010 - BVerwG 2 WD 12.09 - Rn. 26 und vom 17. Januar 2013
- BVerwG 2 WD 25.11 - Rn. 68).
Ins Gewicht fällt auch die Verletzung der Pflicht aus § 10 Abs. 6 SG. Eine der-
artige Pflichtverletzung stellt die Eignung als Vorgesetzter in Frage. Es handelt
sich auch hier nicht um eine bloße Nebenpflicht, vielmehr um eine Pflicht mit
funktionellem Bezug zur Erfüllung des grundgesetzmäßigen Auftrages der
Streitkräfte und zur Gewährleistung des militärischen Dienstbetriebes (Urteil
vom 22. Oktober 2008 - BVerwG 2 WD 1.08 - juris Rn. 105). Die in § 10 Abs. 6
SG von jedem Offizier und Unteroffizier bei dienstlichen und außerdienstlichen
Äußerungen verlangten Beschränkungen (Achtung der Rechte anderer; Beson-
nenheit, Toleranz und Sachlichkeit) sind für einen Vorgesetzten nach der vom
Gesetzgeber getroffenen Regelung unerlässlich, um seine dienstlichen Aufga-
ben erfüllen und seinen Untergebenen im Sinne von § 10 Abs. 1 SG in Haltung
und Pflichterfüllung Vorbild sein zu können (Urteil vom 22. Oktober 2008 a.a.O.
Rn. 33).
bbb) Das Truppendienstgericht hat auch zutreffend als erschwerenden Um-
stand der Tatbegehung berücksichtigt, dass der frühere Soldat sich als Opfer
seiner Übergriffe besonders schutzbedürftige Rekruten ausgewählt hat, die
noch keine Erfahrung mit den Schutzmechanismen gegen derartige Übergriffe
gesammelt haben und denen es auch an hinreichendem Selbstbewusstsein zur
Durchsetzung ihrer Rechte häufig fehlt.
Zugunsten des früheren Soldaten einzustellen ist aber auch, dass sich die se-
xuelle Belästigung nach dem Anschuldigungspunkt 1 als ein minderschwerer
Fall darstellt, weil die Belästigung im Wesentlichen durch eine einmalige Äuße-
rung erfolgte und die Berührung nur von untergeordneter Bedeutung war. Die
Zeugin Sch. selbst hat die Berührung als eher „väterliche“ Zuwendung bezeich-
net.
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bb) Das Dienstvergehen hatte nachteilige Auswirkungen für den Dienstbetrieb
insofern als der frühere Soldat zeitweise von der Tätigkeit als Hilfsausbilder
entbunden werden musste und ihm auch der Kontakt mit Rekrutinnen untersagt
wurde.
Die Auswirkungen auf die Geschädigten sind gering: Die Zeugin Sch. hat nach
eigenen Angaben keine über eine kurzzeitige Verärgerung hinausgehenden
psychischen Beeinträchtigungen erlitten. Die unberechtigte Alarmauslösung hat
weder den Ablauf des Dienstbetriebes gestört noch betroffenen Rekruten grö-
ßere Unannehmlichkeiten bereitet als die kurzzeitige Unterbrechung einer Fuß-
ballübertragung.
cc) Dass der frühere Soldat die Zeugin Sch. durch die im Anschuldigungspunkt
1 vorgeworfene Äußerung nicht gezielt demütigen wollte, glaubt ihm der Senat.
Die Beweggründe des früheren Soldaten sprechen aber für eine nicht altersan-
gemessene Unreife. Ausdruck dieser Unreife ist die fehlende Bereitschaft des
früheren Soldaten, die Grenzen zu respektieren, die kameradschaftliche Rück-
sichtnahme weiblichen Soldaten gegenüber in der Wortwahl setzt.
Das im Hinblick auf den zweiten Vorfall dominierende Motiv, einen „Spaß“ zu
machen, spricht ebenfalls nicht für den früheren Soldaten, auch wenn ihm der
Senat insofern glaubt, dass es ihm nicht um eine Schikane der betroffenen Re-
kruten ging. Der Missbrauch von Alarmrufen beeinträchtigt die Bereitschaft, auf
einen Alarm sofort zu reagieren. Es spricht gegen den früheren Soldaten, dass
er die Notwendigkeiten eines reibungslosen Dienstbetriebes hinter dem
Wunsch nach Unterhaltung zurückgestellt hat.
dd) Das Maß der Schuld des voll schuldfähigen früheren Soldaten wird durch
den Vorsatz bestimmt.
Milderungsgründe in den Umständen der Tat, die die Schuld des früheren Sol-
daten mindern könnten (vgl. z.B. Urteil vom 23. September 2008 - BVerwG
2 WD 18.07 - m.w.N.), hat das Truppendienstgericht zutreffend verneint. Insbe-
sondere handelt es sich nicht um eine einmalige persönlichkeitsfremde Augen-
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blickstat eines ansonsten tadelfreien und im Dienst bewährten Soldaten. Viel-
mehr wurzeln beide Pflichtverletzungen in der Unreife des früheren Soldaten
und der mangelnden Bereitschaft, die Grenzen zu respektieren, die dienstliche
Erfordernisse gerade dem Vorgesetzten im lockeren und scherzhaften Umgang
mit Kameraden und Kameradinnen in Wort und Tat setzen.
ee) Im Hinblick auf die Zumessungskriterien „Persönlichkeit“ und „bisherige
Führung“ sind dem früheren Soldaten seine jedenfalls tadelfreien und genügen-
den Leistungen vor den in Rede stehenden Vorfällen zugutezuhalten. Diese
sind allerdings nach der planmäßigen Beurteilung und der in der Berufungs-
hauptverhandlung verlesenen Aussage des früheren Disziplinarvorgesetzten
Kapitänleutnant K. unterdurchschnittlich gewesen.
Deutlicher für den Soldaten spricht die durch die Sonderbeurteilung ausgewie-
sene Leistungssteigerung. Der Senat hält dem früheren Soldaten zugute, dass
er sich nach den Angaben von Fregattenkapitän E. trotz des anhängigen Ver-
fahrens engagiert und motiviert bei der Bewältigung der dem Nachkommando
übertragenen Arbeiten zur Beräumung der Liegenschaft eingebracht hat. Die
nicht nur tadelfreien, sondern zur Zufriedenheit seines Vorgesetzten ausgeführ-
ten Arbeiten sprechen umso mehr für den früheren Soldaten als es sich zwar
um eine unterwertige Verwendung gehandelt, er aber trotz der Befassung mit
unangenehmen Aufgaben, dem anhängigen Verfahren und dem anstehenden
Dienstzeitende seinen Diensteifer noch gesteigert hat.
Für ihn spricht auch die fehlende disziplinäre und strafrechtliche Vorbelastung
auch wenn diesem Umstand kein großes Gewicht zukommt, da der Soldat
hiermit nur die Mindesterwartungen seines Dienstherrn pflichtgemäß erfüllt,
aber keine Leistung erbringt, die ihn aus dem Kreis der Kameraden heraushebt.
Für den früheren Soldaten spricht die Unrechtseinsicht, die in seiner zum gro-
ßen Teil nunmehr geständigen Einlassung zum Ausdruck kommt.
ff) Bei der Gesamtwürdigung aller vorgenannten be- und entlastenden Umstän-
de ist im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO die vom
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Truppendienstgericht verhängte Maßnahme zum damaligen Zeitpunkt tat- und
schuldangemessen gewesen und die Aufrechterhaltung der Bezügekürzung
nicht unverhältnismäßig.
Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in sei-
ner gefestigten Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 10. Februar 2010 - BVerwG
2 WD 9.09 - juris) von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:
handlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen
Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regel-
maßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als „Ausgangspunkt der Zu-
messungserwägungen“.
Bei sexuellen Belästigungen von Untergebenen durch Vorgesetzte im Dienst
hat der Senat regelmäßig entschieden, dass eine nach außen sichtbare (viel-
fach so genannte „reinigende“) Maßnahme, also eine Herabsetzung im Dienst-
grad, Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen ist (vgl. Urteil vom 21. Juni
2011 - BVerwG 2 WD 21.10 - Buchholz 449 § 7 SG Nr. 56 Rn. 49 m.w.N.).
bbb) Auf der zweiten Stufe ist dann zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im
Hinblick auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die
Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die die Möglich-
keit einer Milderung oder die Notwendigkeit einer Verschärfung gegenüber der
auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme eröffnen. Dabei ist
vor allem angesichts der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie
dessen Auswirkungen zu klären, ob es sich im Hinblick auf die be- und entlas-
tenden Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuld-
haften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw.
niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumes-
sungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach „oben“ bzw.
nach „unten“ zu modifizieren. Zusätzlich sind die gesetzlich normierten Bemes-
sungskriterien für die Bestimmung der konkreten Sanktion zu gewichten, wenn
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die Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet,
dem Wehrdienstgericht einen Spielraum eröffnet.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze war von einer Herabsetzung im Dienstgrad
als Ausgangspunkt der Zumessungserwägung abzuweichen und eine Kürzung
des Ruhegehalts auszusprechen.
Die den Schwerpunkt des Dienstvergehens bildende sexuelle Belästigung be-
wegt sich vom Spektrum möglicher Belästigungsformen her im unteren Bereich.
Bereits deshalb lag ein leichterer Fall vor, der eine Dienstgradherabsetzung
nach § 58 Abs. 2 Nr. 2 WDO als unverhältnismäßige Disziplinarmaßnahme ver-
bot. Eine Herabsetzung in der Besoldungsgruppe des in die Besoldungsgruppe
A 7 eingestuften früheren Soldaten schied zudem aus, weil er als Soldat im Ru-
hestand gilt und diese Disziplinarmaßnahme gemäß § 58 Abs. 2 WDO nicht
gegen ihn noch zulässigerweise hätte verhängt werden können. Entsprechen-
des gilt, wie bereits unter 1. dargelegt, für die Verhängung eines Beförderungs-
verbots.
Da die sexuelle Belästigung darüber hinaus auf die betroffene Untergebene
weder erhebliche noch dauerhafte Auswirkungen gezeitigt hat, liegt ein zusätz-
licher mildernder Umstand vor, der den Übergang zur Kürzung des Ruhegehalts
als nächstmildere und letztlich angemessene Disziplinarmaßnahmeart gemäß
§ 58 Abs. 2 Nr. 1 WDO verlangt.
Der Senat sieht auch keinen Anlass, die vom Truppendienstgericht verhängte
Bezügekürzung, die nunmehr als Kürzung des Ruhegehalts fortwirkt, nach Hö-
he und Dauer abzuändern. Da die Kürzung der Höhe nach am unteren Rand
und der Dauer nach in der unteren Hälfte des nach § 64 Satz 2, § 59 Satz 1
WDO gesetzlich Zulässigen angesetzt wurde, ist die Maßnahme nicht unange-
messen hart. Denn bei der Bemessung muss noch der Pflichtverletzung nach
dem Anschuldigungspunkt 2 zusätzlich Rechnung getragen werden. Zudem
sind die das Gewicht der Verfehlung nach dem Anschuldigungspunkt 1 mil-
dernden Umstände bereits bei der Wahl einer gegenüber dem Ausgangspunkt
der Zumessungserwägungen um zwei Stufen milderen Maßnahme berücksich-
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tigt. Den für den früheren Soldaten sprechenden Milderungsgründen in seiner
Person ist damit angemessen Rechnung getragen.
3. Da die Berufung des früheren Soldaten erfolglos ist, sind ihm gemäß § 139
Abs. 2 WDO die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen. Nach § 140
Abs. 5 Satz 2 WDO trägt der frühere Soldat damit auch die ihm im Berufungs-
verfahren erwachsenen notwendigen Auslagen.
Obwohl das von der Truppendienstkammer verhängte Beförderungsverbot we-
gen der zwischenzeitlich eingetretenen Beendigung seines Dienstverhältnisses
aufzuheben ist, entspricht es der Billigkeit, dem früheren Soldaten auch inso-
weit die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen (§ 139 Abs. 3 WDO),
weil sein insoweit teilweises Obsiegen nach seinem Ausscheiden aus dem
Dienst für ihn ohnehin keine praktische Bedeutung mehr hat. Die Abänderung
des erstinstanzlichen Urteils resultiert allein aus der durch das Dienstzeitende
bewirkten Veränderung im dienstlichen Status des früheren Soldaten.
Dr. von Heimburg
Dr. Burmeister
Dr. Eppelt
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