Urteil des BVerwG vom 20.02.2014

Soldat, Vertrauensperson, Kapitän, Medikament

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 35.11
TDG N 8 VL 13/10
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
Herrn Fregattenkapitän a.D. …,
…,
…,
…,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 20. Februar 2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Burmeister,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
ehrenamtlicher Richter Kapitän z.S. Reineke und
ehrenamtlicher Richter Fregattenkapitän Arnold,
Leitender Regierungsdirektor …
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt …
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin …
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Berufungen des früheren Soldaten und der Wehrdiszi-
plinaranwaltschaft gegen das Urteil der 8. Kammer des
Truppendienstgerichts Nord vom 19. September 2011
werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden je zur Hälfte
dem früheren Soldaten und dem Bund auferlegt, der auch
die Hälfte der dem früheren Soldaten darin erwachsenen
notwendigen Auslagen zu tragen hat.
G r ü n d e :
I
1. Der 1957 geborene frühere Soldat erlangte 1977 die allgemeine Hochschul-
reife. Im Juli 1977 wurde er zum Grundwehrdienst eingezogen, am 2. Juli 1986
zum Berufssoldaten ernannt und nach Ablauf einer mit einer früheren Dienst-
gradherabsetzung verbundenen Beförderungssperre zuletzt im Oktober 2006
zum Fregattenkapitän befördert. Seit dem 23. Oktober 2008 hat er krankheits-
bedingt keinen Dienst mehr geleistet. Seine Dienstzeit endete zum 1. Novem-
ber 2013 durch seine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstun-
fähigkeit.
Nach zahlreichen Verwendungen und dem Grundlehrgang Fortbildungsstufe C
wurde der Soldat ab April 1993 als Kommandant eines Minensuchbootes ver-
wendet. Wegen disziplinarer Ermittlungen wurde er zum April 1995 in den Stab
des …amtes nach W. versetzt. 1998 folgte seine Versetzung zum Stab des
…amtes in R., wo er auf unterschiedlichen Dienstposten eingesetzt war. Ab Juli
2007 war der frühere Soldat in der Abteilung Weiterentwicklung … und
…ausbildung des …amtes als Ausbildungs- und Marineführungsdienststabsoffi-
zier tätig. Zuletzt wurde er auf einem z.b.V.-Dienstposten eines Dezernenten
beim …amt (Abteilung Weiterentwicklung … und …ausbildung) in B. geführt.
Der Soldat bekleidete bis zur Niederlegung seines Mandats im November 2008
das Amt des Vorsitzenden des örtlichen Personalrates des …amtes (Teileinheit
B.).
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2. Die Leistungen des früheren Soldaten stellen sich im Wesentlichen wie folgt
dar:
In der planmäßigen Beurteilung vom 13. August 2007 erhielt er den Durch-
schnittswert „4,86“. Der frühere Soldat wird als aus Überzeugung sozial han-
delnder Stabsoffizier beschrieben, der sich für die persönlichen Belange der
Soldaten und des zivilen Personals der Dienststelle gern engagiere. Sein beruf-
liches Selbstverständnis sei geprägt durch soldatisches Pflichtbewusstsein,
dem er häufiger auch persönliche oder familiäre Bedürfnisse hinten anstelle.
Der nächsthöhere Vorgesetzte stimmte dieser Beurteilung zu und ergänzte, der
frühere Soldat habe immer dann herausragende Ergebnisse erzielt, wenn gro-
ßes Planungs- oder Organisationsvermögen gefordert gewesen sei. Er habe
teilweise sehr erstaunliche Ergebnisse zustande gebracht.
In der planmäßigen Beurteilung vom 5. Dezember 2011 wurde der frühere Sol-
dat erneut mit der Durchschnittsnote „4,86“ bewertet, wobei der Beurteilende
anmerkte, dass der frühere Soldat seit dem 23. Oktober 2008 keinen Dienst
mehr geleistet habe. Der frühere Soldat wird als gestandener Stabsoffizier be-
schrieben, der seinen Platz gefunden habe, wobei er ein gesichertes Umfeld
und klar umrissene Arbeitsbeziehungen brauche. Pflichtbewusstsein und eine
positive vorurteilsfreie Grundhaltung seien seine prägenden Leitbilder. Wenn er
gefragt werde, helfe er mit allen Mitteln. Der nächsthöhere Disziplinarvorgesetz-
te erklärte, der frühere Soldat sei ihm zwar persönlich nicht bekannt, er trage
die Beurteilung jedoch mit.
In der in der Berufungshauptverhandlung verlesenen Aussage vor dem Trup-
pendienstgericht hat sein ehemaliger nächsthöherer Disziplinarvorgesetzter
Kapitän z.S. a.D. B. erläutert, der frühere Soldat habe sich in der Abteilung mit
dem größten Arbeitsaufkommen und dem größten Zeitdruck befunden. Sie hät-
ten viele Überstunden gemacht. Dennoch habe der frühere Soldat bereitwillig
zusätzliche Aufgaben übernommen, beispielsweise im Personalrat, auch wenn
er zu Personalratssitzungen nach R. habe reisen müssen. Er habe den früheren
Soldaten unter Druck gesetzt, seinen Schwerpunkt mehr auf die dienstlichen
Aufgaben zu konzentrieren. In seiner gesamten Bundeswehrzeit habe er nie so
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gut geplante politische Weiterbildungen erlebt, wie die vom früheren Soldaten
organisierten. Von den ihm unterstellten 24 Soldaten würde er den früheren
Soldaten insgesamt „leistungsmäßig in der Mitte als Guter unter Guten einstu-
fen“.
In der Berufungshauptverhandlung hat der ehemalige Fachvorgesetzte des frü-
heren Soldaten, Kapitän z.S. W., ausgesagt, er sei gut fünf Monate dessen
Fachvorgesetzter gewesen. Dieser habe seine Projekte sauber bearbeitet. Er
schätze ihn im Mittelfeld ohne Höhen und Tiefen ein. Es möge sein, dass der
frühere Soldat ihm von einer Arbeitsüberlastung berichtet habe. Der Dezernats-
leiter habe jedenfalls Aufgaben verlagert, um den früheren Soldaten für die Per-
sonalratsarbeit zu entlasten. Er sei mit dem früheren Soldaten in einer Fahrge-
meinschaft gewesen, habe aber nicht von dessen Erkrankung gewusst.
Fregattenkapitän a.D. T. hat in der Berufungshauptverhandlung ausgeführt, er
kenne den früheren Soldaten seit 2002. Seit etwa 2006 sei ihm dieser unter-
stellt gewesen. Er habe ihn als pflichtbewussten Soldaten mit viel Sachverstand
und Erfahrung erlebt. Der frühere Soldat sei sehr sozial eingestellt gewesen. In
der Dienststelle habe er die Kaffeekasse verwaltet und die politische Bildung
organisiert; er habe sich die ganze Zeit in irgendeiner Form für Kameraden ein-
gesetzt. Als die Dienststelle personalratsfähig geworden sei, sei er auch dort
tätig geworden. Der frühere Soldat sei nicht überlastet gewesen, habe es aber
immer allen recht machen wollen. Es könne sein, dass er dadurch unter Span-
nung gestanden habe. Er sei zwar nicht regelmäßig mit dem früheren Soldaten
in Fahrgemeinschaft gefahren, aber mindestens zweimal pro Woche. In der
Dienststelle, in der der frühere Soldat tätig gewesen sei, habe es keine Dieb-
stähle gegeben. Die regelmäßig geprüfte Kaffeekasse sei vom früheren Sol-
daten sehr penibel geführt worden. Zwar habe er gewusst, dass der frühere
Soldat ein nervöses Leiden am Bein habe; über Beschwerden habe dieser ihm
aber nichts berichtet.
3. Der frühere Soldat ist berechtigt, das Abzeichen für Leistungen im Truppen-
dienst in Bronze, das Abzeichen für seefahrendes Personal in Gold sowie das
Ehrenkreuz der Bundeswehr in Silber zu tragen.
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4. Der letzte Stand des Disziplinarbuchs weist neben vier förmlichen Anerken-
nungen wegen vorbildlicher Pflichterfüllung aus den Jahren 1988, 1991, 1995
und 2005 eine durch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Juni 1997
(BVerwG 2 WD 51.96) verhängte Dienstgradherabsetzung zum Kapitänleutnant
wegen eines außerdienstlichen Diebstahls aus. Nach den gerichtlichen Fest-
stellungen entwendete der Soldat am 13. Dezember 1994 im Gemeinschafts-
umkleideraum der Sauna „A.“ in H. aus zwei fremden Spinden 1 600 DM, nach-
dem er aus den Bademänteln anderer Gäste die entsprechenden Spindschlüs-
sel entnommen hatte.
Die aktuelle Auskunft aus dem Bundeszentralregister enthält keine Eintragung.
Das mit dem vorliegenden Verfahren sachgleiche Strafverfahren wegen Dieb-
stahls hat die Staatsanwaltschaft B. im Januar 2009 gegen Zahlung einer Geld-
auflage in Höhe von 600 € gemäß § 153a StPO endgültig eingestellt.
5. Der frühere Soldat ist geschieden und hat drei volljährige Kinder. Er bezieht
ein Ruhegehalt von 3 276,13 € brutto und - unter Einbeziehung des Versor-
gungsausgleichs in Höhe von 1 385,42 € - 1 959,76 € netto. Für seine Miet-
wohnung fallen monatliche Warmmietkosten in Höhe von 480 - 500 € an. Der
frühere Soldat ist schuldenlos. Er leistet einer studierenden Tochter Unterhalt.
6. Der frühere Soldat leidet seit 2005/2006 an dem Restless-Legs-Syndrom und
erhält dagegen Medikamente, bis zum Zeitpunkt der angeschuldigten Pflichtver-
letzung das Medikament „Sifrol“. Seit der Tat und nach einem sich daran an-
schließenden Suizid-Versuch befindet er sich in psychiatrischer Behandlung.
Stationär wurde er zuletzt von Februar bis 20. September 2013 im …-Kranken-
haus, W., durch Herrn Prof. Dr. F. behandelt, welcher den früheren Soldaten
seit Ende 2008 kennt. Dieser hat als sachverständiger Zeuge ausgeführt, der
frühere Soldat sei zwei Monate nach dem Vorfall in seine Klinik verlegt worden.
Er habe an einer schweren Depression gelitten und auch vor dem Hintergrund
des laufenden Disziplinarverfahrens Suizidgedanken geäußert. Er sei daher
wiederholt länger vollstationär in Behandlung gewesen. Es gehe ihm seit der
letzten Behandlung besser, er werde aber noch ambulant weiter betreut. Über
den Vorfall sei gesprochen worden. Der frühere Soldat habe von der Einnahme
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des Medikaments in überhöhter Dosis berichtet. Dass der frühere Soldat vor
2008 bereits depressive Phasen gehabt habe, sei nicht beschrieben. Die dama-
lige Ehefrau des früheren Soldaten habe ihm berichtet, dieser sei vor dem Vor-
fall unruhig gewesen und er habe sich einmal auf dem Weg zur Tochter verfah-
ren. Diese Einschätzung bestätigte auch der frühere Soldat in der Berufungs-
hauptverhandlung.
II
1. Das gerichtliche Disziplinarverfahren ist nach am 23. Februar 2009 durchge-
führter Anhörung des früheren Soldaten und der Vertrauensperson, deren An-
hörung er nicht widersprochen hatte, durch den Amtschef des Marineamtes mit
dem früheren Soldaten am 12. März 2009 zugestellter Verfügung vom 3. März
2009 eingeleitet worden. Mit der Einleitungsverfügung wurde der frühere Soldat
unter anderem vorläufig des Dienstes enthoben und ein Uniformtrageverbot
ausgesprochen. Auf die Nachholung der Erörterung der Stellungnahme der Ver-
trauensperson hatte er unter dem 19. Oktober 2010 verzichtet; ebenso durch
anwaltliches Schreiben vom 26. April 2010 auf die Gewährung des Schlussge-
hörs.
Der Einleitungsverfügung lag der Vorwurf zugrunde, am 8. April, 30. Septem-
ber, 2. Oktober und 21. Oktober 2008 Diebstähle begangen zu haben. Der erste
Tatvorwurf betraf den Diebstahl von vier 50 € Geldscheinen aus einem ver-
schlossenen Spind im Umkleideraum der Sauna eines Hotels. Die übrigen drei
bezogen sich auf Gelddiebstähle aus der Jacke des Zeugen Regierungsober-
sekretär … Wa. in der Garderobe des Speisesaals der …schule in B.
2. Nachdem sich der frühere Soldat unter Vorlage eines Schreibens des ihn
behandelnden Arztes dahingehend eingelassen hatte, bei ihm habe am 21. Ok-
tober 2008 unter Berücksichtigung der Diagnose „suizidale Krise, mittelgradige
depressive Episode, zwanghafte Persönlichkeitsanteile, Restless-Legs-
Syndrom in Verbindung mit Medikamentenmissbrauch“ eine erhebliche Vermin-
derung der Steuerungsfähigkeit vorgelegen, hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft
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den Facharzt für Psychiatrie … L. mit der Erstellung eines Gutachtens zur
Schuldfähigkeit des früheren Soldaten beauftragt. In dem schriftlichen Gutach-
ten vom 17. März 2010 gelangte der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass
eine affektive Bewusstseinsstörung unwahrscheinlich erscheine. Der vom frühe-
ren Soldaten behauptete Erinnerungsblock sei psychiatrisch nicht erklärbar.
Eine Steuerungsminderung habe vor allem auch unter Berücksichtigung des auf
dem Überwachungsvideo ersichtlichen Verhaltens mit Sicherheit nicht vorgele-
gen. Im Rahmen der affektiven Bewusstseinsstörung sei allenfalls eine einge-
schränkte Einsichtsfähigkeit aufgrund einer zentralnervösen Störung zu disku-
tieren, dafür gebe es aber nur vage Anhaltspunkte.
3. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich des …amtes hat dem frühe-
ren Soldaten mit diesem am 21. Juni 2010 zugestellter Anschuldigungsschrift
vom 8. Juni 2010 folgenden Sachverhalt zur Last gelegt:
„Der Soldat tastete am 21. Oktober 2008 zwischen 11:30
Uhr und 12:00 Uhr über einen Zeitraum von etwa dreizehn
Minuten in der Garderobe des Speisesaals der …schule,
… B., die dort befindlichen Uniformjacken seiner Kamera-
den und die vorhandenen zivilen Jacken in der Absicht ab,
darin stehlenswertes Gut zu finden, um dieses sodann für
sich zu behalten. Aus dem in dessen Jacke befindlichen
Portmonee des bundeswehrangehörigen Zeugen, Regie-
rungsobersekretärs …Wa., entnahm er in diesem Verlauf
einen 10,00 € Geldschein, um diesen für sich zu behal-
ten.“
4. In der Hauptverhandlung des Truppendienstgerichts Nord am 27. Oktober
2010 hat der Sachverständige L. abweichend von seiner schriftlichen Stellung-
nahme erklärt, er halte Schuldunfähigkeit aufgrund einer affektiven Bewusst-
seinsstörung nach Rücksprache mit einem befreundeten Neurologen nunmehr
doch für möglich und schlage mangels eigener umfassender Kenntnisse zwei
aus seiner Sicht geeignete Gutachter vor.
5. Mit an den Verteidiger des früheren Soldaten gerichtetem Schreiben vom
29. November 2010 hat der Vorsitzende der 8. Kammer den Leiter des Zen-
trums für Psychiatrie und Psychotherapie des A.-Krankenhauses in H. Prof. Dr.
… B. als neuen Gutachter vorgeschlagen, wobei dessen Assistent Dr. … M.
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ihm assistieren solle. Nachdem der Verteidiger dagegen keine Bedenken an-
gemeldet hatte, wurde Prof. Dr. B. mit Beschluss vom 8. Dezember 2010 zum
Sachverständigen bestellt.
In dem von Prof. Dr. B. vorgelegten schriftlichen Gutachten vom 10. April 2011
heißt es zusammenfassend, angesichts des planvollen Vorgehens während der
Tat und demselben Tatmuster wie bei einer vorangegangenen Tat erscheine
nur eine verminderte Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB gegeben. Das
Gutachten haben Dr. M. sowie „Nach Kenntnisnahme und eigener Urteilsfin-
dung“ Prof. Dr. B. unterschrieben. In der Hauptverhandlung vor dem Truppen-
dienstgericht am 19. September 2011 bestätigten beide übereinstimmend, dass
beim früheren Soldaten eine verminderte Schuldfähigkeit nach § 21 StGB zur
Tatzeit nicht ausgeschlossen werden könne.
6. Mit Urteil vom 19. September 2011 hat das Truppendienstgericht den damals
noch im aktiven Dienst befindlichen Soldaten wegen eines Dienstvergehens in
den Dienstgrad eines Leutnants z.S. herabgesetzt. Zur Begründung führt es im
Wesentlichen aus, aufgrund der insoweit geständigen Einlassung des früheren
Soldaten, der in Augenschein genommenen Videodatei sowie der Zeugenaus-
sage des Regierungsobersekretärs … Wa. stehe fest, dass der frühere Soldat
die Pflichtverletzung wie angeschuldigt begangen habe. Indem er die Jacken
auf Wertsachen durchsucht und aus dem der (zivilen) Jacke des bundeswehr-
angehörigen Beamten … Wa. entnommenen Portemonnaie einen 10 €-
Geldschein entwendet habe, habe er die Pflichten zu treuem Dienen und zu
achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten im Dienst verletzt. Durch das
„Filzen“ der Uniformjacken habe er zudem gegen die Pflicht zur Kameradschaft
verstoßen. Er habe somit ein Dienstvergehen begangen und als Vorgesetzter in
Haltung und Pflichterfüllung ein schlechtes Beispiel gegeben. Das Dienstverge-
hen sei von außerordentlichem Gewicht. Die Wegnahme des 10 €-Scheines
sowie das „Filzen“ der Jacken stellten einen vollendeten bzw. versuchte Dieb-
stähle und somit kriminelles Unrecht dar. Der Soldat habe die wichtigen Pflich-
ten aus §§ 7, 12 und 17 SG verletzt. Die Entwendung des Geldscheins zum
Nachteil eines bundeswehrangehörigen Verwaltungsbeamten könne jedoch
nicht wie eine gleichgelagerte Tat zum Nachteil eines Kameraden gewertet
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werden, weil es insoweit an dem dazu notwendigen persönlichen Vertrauens-
verhältnis zwischen dem früheren Soldaten und dem Geschädigten fehle.
Der Zugriff auf Eigentum und Vermögen von Kameraden stelle ein so schwer-
wiegendes Dienstvergehen dar, dass die Dienstgradherabsetzung den Aus-
gangspunkt der Zumessungserwägungen bilde. Komme wie vorliegend das Ab-
tasten und Durchsuchen ziviler Jacken und die Wegnahme eines Geldscheins
zum Nachteil eines verbeamteten Bundeswehrangehörigen hinzu, könne auch
die Höchstmaßnahme geboten sein. Dies gelte umso mehr, als der frühere Sol-
dat wegen eines ähnlichen außerdienstlichen Fehlverhaltens bereits disziplinar-
rechtlich vorbelastet sei. Es bedürfe deshalb besonderer Milderungsgründe, um
von der disziplinaren Höchstmaßnahme absehen zu können. Zulasten des frü-
heren Soldaten falle dessen Vorgesetzteneigenschaft erheblich ins Gewicht.
Erschwerend trete hinzu, dass der frühere Soldat nicht nur wiederholt Jacken
gefilzt, sondern mit dem in einer militärischen Anlage gelegenen Garderoben-
raum einen Tatort gewählt habe, bei dem die Nutzer das Diebstahlrisiko als ge-
ring einschätzten. Die Auswirkungen des Dienstvergehens bestünden zum ei-
nen in dem Vermögensschaden in Höhe von 10 €, zum anderen darin, dass
dem früheren Soldaten verboten worden sei, den Dienst auszuüben und Uni-
form zu tragen.
Das Maß der Schuld des früheren Soldaten werde vor allem dadurch bestimmt,
dass er vorsätzlich gehandelt habe. Daran bestünden angesichts seines zielge-
richteten Vorgehens keinerlei Zweifel. Klassische Milderungsgründe lägen nicht
vor. Insbesondere die Verurteilung des früheren Soldaten wegen außerdienstli-
chen Diebstahls im Jahre 1997 schließe es aus, von einem einmaligen persön-
lichkeitsfremden Versagen eines ansonsten tadelfreien und im Dienst bewähr-
ten Soldaten zu sprechen. Dem früheren Soldaten könne auch nicht der Tatmil-
derungsgrund des Handelns in einer psychischen Ausnahmesituation zugebilligt
werden. Bei den von ihm geschilderten Umständen (Stress, Arbeitsüberlastung)
handele es sich nicht um psychisch so belastende Situationen, dass ein an
normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr habe erwartet werden
können.
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In Übereinstimmung mit den Ausführungen der Sachverständigen sei jedoch
davon auszugehen, dass bei dem früheren Soldaten zum Zeitpunkt der Tat eine
erheblich verminderte Schuldfähigkeit und somit ein gewichtiger Milderungs-
grund vorgelegen habe. Die Sachverständigen hätten nachvollziehbar und
überzeugend dargelegt, dass bei dem früheren Soldaten durch die nicht zu wi-
derlegende Einnahme von täglich sechs bis acht Tabletten „Sifrol“ gegen sein
Restless-Legs-Syndrom vor der Tat wegen der damit aufgenommenen Menge
des Wirkstoffes Pramipexol (1,08 bis 1,42 mg) bei einer zulässigen Höchstdo-
sierung von 0,54 mg abends und einer Halbwertzeit von acht Stunden von einer
medikamentös induzierten Impulskontrollstörung und damit von einer Ein-
schränkung der Steuerungsfähigkeit ausgegangen werden müsse.
Mildernd wirke auch, dass sich der Wert des entwendeten Geldes unterhalb von
50 € bewege. Milderungsgründe in der Person des früheren Soldaten würden
zudem seine guten dienstlichen Leistungen sowie die förmlichen Anerkennun-
gen darstellen. Dem entsprächen die positiven Aussagen des Kapitäns z.S.
d.R. B. Auch wenn der frühere Soldat das Geständnis erst nach Aufdeckung
der Tat in aussichtsloser Beweislage abgegeben habe, könne es nicht völlig
vernachlässigt werden. Angesichts dessen dürfe es mit einer Degradierung in
den untersten Offizierdienstgrad sein Bewenden finden.
7. a) Gegen das dem früheren Soldaten am 13. Oktober 2011 zugestellte Urteil
hat er am 2. November 2011 unbeschränkt Berufung einlegen lassen und bean-
tragt, ihn unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils vom Vorwurf eines
Dienstvergehens freizustellen, hilfsweise, das Verfahren wegen eines schwe-
ren, unheilbaren Verfahrensfehlers einzustellen.
Das Verfahren leide an Mängeln, weil die Vertrauensperson seinerzeit nicht die
Gelegenheit erhalten habe, in die Disziplinarakte Einsicht zu nehmen, der frühe-
re Soldat auch nicht auf dieses Recht der Vertrauensperson hingewiesen wor-
den und die Anhörung der Vertrauensperson durch die unzuständige Person
erfolgt sei. Zudem stehe nach der Stellungnahme des Sachverständigen L.
nicht nur seine erheblich eingeschränkte, sondern seine vollständige Schuldun-
fähigkeit fest. Dem stehe auch nicht das von Prof. Dr. B. erstellte Gutachten
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entgegen. Es dürfe bereits deshalb nicht verwertet werden, weil es nicht von
diesem, sondern von Dr. M. erstellt worden sei, der dazu aber vom Gericht nicht
beauftragt gewesen sei. Ungeachtet dessen sei nicht nachvollziehbar, warum
Prof. Dr. B. von einer nur erheblich eingeschränkten Schuldfähigkeit ausgehe.
Darüber hinaus habe er, der frühere Soldat, sich in einer psychischen Ausnah-
mesituation befunden; die disziplinare Vorbelastung liege zudem länger als
17 Jahre zurück.
b) Die Wehrdisziplinaranwaltschaft hat gegen das ihr am 10. Oktober 2011 zu-
gestellte Urteil am 7. November 2011 unbeschränkt zu Ungunsten des früheren
Soldaten Berufung eingelegt und beantragt, ihm das Ruhegehalt abzuerkennen.
Das Gutachten des Sachverständigen L. sei mangels fachlicher Expertise nicht,
das Gutachten des Prof. Dr. B. hingegen sei verwertbar, zumal die Verteidigung
die Verwertbarkeit dieses Gutachtens erstinstanzlich auch nicht moniert habe.
Selbst wenn von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit des früheren
Soldaten auszugehen sei, würde dieser Milderungsgrund nicht das Gewicht
erlangen, von der Aberkennung des Ruhegehalts abzusehen. Dafür sprächen
insbesondere die disziplinare Vorbelastung des früheren Soldaten sowie der
Umstand, dass er kein Geständnis abgelegt habe. Zudem enthalte das erstin-
stanzliche Urteil keine Feststellungen zum Dienstgrad der Soldaten, die der frü-
here Soldat habe bestehlen wollen; es sei aber davon auszugehen, dass auch
ihm Untergebene darunter gewesen seien.
c) Auf Aufforderung des Senats folgten im Berufungsverfahren durch den Sach-
verständigen Prof. Dr. B. ergänzende schriftliche Ausführungen unter dem
16. April 2013.
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III
I. Beide Berufungen sind zulässig. Sie sind statthaft, ihre Förmlichkeiten sind
jeweils gewahrt (§ 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 und 2 WDO).
II. An der Verhandlungsfähigkeit des früheren Soldaten bestehen keine Zweifel
mehr, sodass weder wegen dauernder Verhandlungsunfähigkeit ein Verfah-
rensbetreuer bestellt zu werden brauchte (§ 85 Abs. 2 Nr. 1 WDO) noch eine
vorübergehende Verhandlungsunfähigkeit der Durchführung der Berufungs-
hauptverhandlung weiter entgegen stand (§ 104 Abs. 3 Satz 2 WDO).
Der anwaltlich vertretene frühere Soldat hat erklärt, er sehe sich in der Lage, an
der Berufungshauptverhandlung teilzunehmen und ihr zu folgen. Diese Erklä-
rung stimmt mit dem Eindruck des Senats vom Zustand des früheren Soldaten
überein, der sich ausführlich zur Sache erklärt, an Rechtsgesprächen und Tat-
sachendiskussionen aktiv teilgenommen und sich nach einer langen Verhand-
lung noch im Rahmen seines letzten Wortes reflektiert geäußert und damit den
bereits während der Berufungshauptverhandlung bestehenden Eindruck unter-
strichen hat, die Bedeutung der Verfahrensvorgänge erkennen und sich sach-
gemäß verteidigen zu können. Die Kommunikation zwischen dem früheren Sol-
daten und seinem Verteidiger gestaltete sich in der Berufungshauptverhandlung
zudem problemlos (vgl. Urteil vom 24. September 2009 - BVerwG 2 C 80.08 -
BVerwGE 135, 24 <27, dort m.w.N.>; Beschlüsse vom 12. Mai 2005 - BVerwG
2 WD 34.04 - Buchholz 235.01 § 85 WDO 2002 Nr. 1 = NZWehrr 2005, 214
<215> sowie vom 31. Oktober 2012 - BVerwG 2 B 33.12 - NVwZ-RR 2013, 115;
Dau, WDO, 6. Aufl. 2013, § 85 Rn. 2).
Die Einschätzung des früheren Soldaten von seinem Zustand entspricht zudem
der unter dem 6. Januar 2014 abgegebenen Bewertung des ihn behandelnden
Arztes, Professor Dr. F. Auf die sachverständige Unterstützung des zur Beru-
fungshauptverhandlung geladenen Sachverständigen Oberstabsarzt Privatdo-
zent Dr. Z. brauchte nicht zurückgegriffen zu werden.
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III. Die Berufungen sind unbegründet.
Da sie unbeschränkt eingelegt worden sind, hat der Senat auf der Grundlage
eines fehlerfrei durchgeführten Verfahrens (1.) eigene Tat- und Schuldfeststel-
lungen zu treffen (2.), diese rechtlich zu würdigen (3.) und die angemessene
Disziplinarmaßnahme zu bestimmen (4.), wobei er nicht an das Verschlechte-
rungsverbot gebunden ist, weil die Wehrdisziplinaranwaltschaft zu Ungunsten
des Soldaten Berufung eingelegt hat (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331
Abs. 1 StPO).
1. Verfahrensmängel stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen.
a) Die Anhörung des früheren Soldaten am 23. Februar 2009 durfte durch Kapi-
tän z.S. Le., dem letzten Disziplinarvorgesetzten des früheren Soldaten, durch-
geführt werden, weil sich die Wehrdisziplinaranwaltschaft auch bei der Vornah-
me einzelner Ermittlungshandlungen der Unterstützung des Disziplinarvorge-
setzten bedienen darf (vgl. Beschlüsse vom 31. August 1998 - BVerwG 2 WDB
1.98 - BVerwGE 113, 259 <262> = Buchholz 235.0 § 86 WDO Nr. 2 S. 4, sowie
vom 17. Juli 1986 - BVerwG 2 WDB 9.86 - BVerwGE 83, 213 <215>).
b) Die Beteiligung der Vertrauensperson war nicht deshalb unzureichend, weil
diese mangels Einholung einer Einwilligung des früheren Soldaten keine Mög-
lichkeit gehabt hätte, in die Ermittlungsakte Einsicht zu nehmen. Denn die Ver-
trauensperson hat sich vorliegend nach der Bekanntgabe des Gegenstandes
ihrer Anhörung zur Person und zur beabsichtigten Einleitung eines gerichtlichen
Disziplinarverfahrens inhaltlich geäußert und darauf hingewiesen, dass sie den
früheren Soldaten seit langem kennt und während dessen Krankenhausaufent-
halts auch ein persönliches Gespräch mit ihm geführt hat. Sie hat nicht erklärt,
dass sie zu einer Stellungnahme mangels Akteneinsicht nicht in der Lage wäre
oder Akteneinsicht verlangt. Das Gesetz verlangt nicht, eine Vertrauensperson
im Rahmen ihrer Beteiligung nach § 4 Satz 1 WDO, § 27 SBG über ihre Rechte
erst zu belehren. § 27 Abs. 3 Satz 2 SBG gibt der Vertrauensperson ein an die
Einwilligung des Soldaten gebundenes Akteneinsichtsrecht, dem Soldaten aber
kein Recht, eine Akteneinsicht der Vertrauensperson zu verlangen. Wenn die
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Vertrauensperson für ihre Stellungnahme keine Akteneinsicht verlangt, muss
auch ein Soldat nicht gefragt werden, ob er mit einer Akteneinsicht durch die
Vertrauensperson einverstanden ist.
c) Ein schwerer Verfahrensfehler liegt auch nicht darin, dass die Vertrauensper-
son durch Kapitän z.S. W. angehört worden ist.
Selbst wenn eine Vertrauensperson durch eine hierfür nicht zuständige Person
angehört worden sein sollte, mag hierdurch ein Recht der Vertrauensperson
verletzt sein, jedoch nicht ein eigenes Recht des früheren Soldaten. Dass die
Beteiligung der Vertrauensperson überhaupt erfolgt, gewährleistet auch in sei-
nem Interesse eine umfassende Information der Einleitungsbehörde zur Vorbe-
reitung der Entscheidung über die Einleitung des gerichtlichen Disziplinarver-
fahrens. Da die Möglichkeit der Vertrauensperson, alles aus ihrer Sicht Erfor-
derliche zum Verfahren beizutragen aber nicht davon abhängig ist, wer ihre
Stellungnahme entgegen nimmt, ist - solange die Vertrauensperson bereit ist,
die Stellungnahme gegenüber dem ihre Anhörung Durchführenden abzugeben -
kein Recht des Soldaten verletzt.
Zudem war Kapitän z.S. W. auch für die Anhörung der Vertrauensperson zu-
ständig. Bei personalratsfähigen Dienststellen ist nach § 52 Abs. 1 Satz 2 SBG
i.V.m. § 7 Satz 1 BPersVG die Vertrauensperson durch den Dienststellenleiter
anzuhören (vgl. Beschluss vom 31. Januar 2007 - BVerwG 1 WB 16.06 - Buch-
holz 449.7 § 52 SBG Nr. 3 Rn. 49 = NZWehrr 2007, 162 <163 f.>). Nach dem
ständigen Stabsbefehl Nr. 13 vom 24. September 2009 waren die jeweils in
personalvertretungsrechtlicher Hinsicht verselbständigten Teile des …amtes mit
den Dienstorten W. und B. Gruppenleitern als Leitern unterstellt. Hiernach war
Leiter der Dienststelle in B. Kapitän z.S. W. Als Dienststellenleiter hatte er da-
her auch die Aufgabe, die Vertrauensperson anzuhören. Diese Aufgabe war an
seine Stellung als Leiter der in personalvertretungsrechtlicher Hinsicht verselb-
ständigten (Teil-)Dienststelle gebunden und unabhängig davon, dass nach dem
ständigen Stabsbefehl Nr. 13 die Amtsleitung für Personalangelegenheiten der
Beamten und Tarifbeschäftigten zuständig ist.
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d) Ein Verfahrenshindernis ergibt sich entgegen der Rüge der Verteidigung
nicht aus einer überlangen Verfahrensdauer. Unabhängig davon, dass der frü-
here Soldat durch die Hinauszögerung seiner für die Höhe seines Ruhegehalts
relevanten Dienstgradherabsetzung einen erheblichen wirtschaftlichen Vorteil
hatte, sind mehrfache Versuche, die Berufungshauptverhandlung früher zu ter-
minieren, an seiner von dem behandelnden Arzt jeweils bescheinigten vorüber-
gehenden Verhandlungsunfähigkeit sowie einer Verhinderung seines Verteidi-
gers gescheitert.
2. In tatsächlicher Hinsicht steht fest:
a) Der frühere Soldat nahm wegen eines Restless-Legs-Syndroms das ärztlich
verordnete Medikament „Sifrol“ spätestens seit Anfang 2008 bis kurz nach dem
Dienstvergehen ein. Er erhöhte die Dosierung wegen massiver Schmerzen ei-
genmächtig auf bis zu 6 bis 8 Tabletten täglich, ohne dass damit bis zum Zeit-
punkt des Dienstvergehens Impulskontrollstörungen verbunden gewesen wa-
ren. Vor der Medikation mit „Sifrol“ war ihm im Rahmen einer sich über ein bis
eineinhalb Jahre erstreckenden Medikamentenstudie ein anderes Medikament
verabreicht worden. Der frühere Soldat nahm neben seiner regulären Tätigkeit
auf dem Dienstposten noch Tätigkeiten im Bereich der Personalvertretung und
der politischen Fortbildung wahr, die zusätzliche Dienstreisen erforderlich
machten. Die Arbeitsbelastung des früheren Soldaten führte insbesondere im
Oktober 2008 dazu, dass er in der Dienststelle ein- bis zweimal wöchentlich
übernachtete.
Am 21. Oktober 2008 und nachdem er zuvor im Gebäude seiner Dienststelle
übernachtet hatte, fuhr er in die …schule, … B., um das von ihm bestellte Medi-
kament „Sifrol“ abzuholen, welches aber noch nicht erhältlich war. Zwischen
11:30 Uhr und 12:00 Uhr tastete er über einen Zeitraum von etwa dreizehn Mi-
nuten in der Garderobe des Speisesaals mehrere dort aufgehängte Uniformja-
cken anderer Soldaten, darunter zumindest eine eines Kapitänleutnants, und
Jacken ziviler Mitarbeiter der Bundeswehr wissentlich und willentlich in der Ab-
sicht ab, darin Wertgegenstände zu finden, um sie für sich zu behalten. Aus
dem in der Jacke des bundeswehrangehörigen Zeugen, Regierungsobersekre-
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tär … Wa., befindlichen Portemonnaie entnahm er dabei willentlich und wissent-
lich einen 10 € Geldschein und behielt ihn für sich. Danach verließ er die Gar-
derobe, ging in den Speisesaal, um sich ein paar Kleinigkeiten zum Essen wie
einen MarsRiegel zu kaufen, und fuhr anschließend wieder zu seiner Dienststel-
le zurück. Dort wurde er später von zwei Polizisten aufgesucht, denen gegen-
über er den Diebstahl zugab.
b) Der objektive und der subjektive Tatbestand der Pflichtverletzung steht auf-
grund der insoweit geständigen Einlassungen des früheren Soldaten in der Be-
rufungshauptverhandlung, welche mit seinen bereits erstinstanzlich geständi-
gen Einlassungen übereinstimmen, und der Inaugenscheinnahme der Video-
aufzeichnung fest. Die Aufzeichnung zeigt den früheren Soldaten bei dem an-
geschuldigten Verhalten.
Der Senat geht davon aus, dass der frühere Soldat mit 6 bis 8 Tabletten täglich
das Medikament „Sifrol“ deutlich überdosiert eingenommen hatte. Von einer
entsprechenden Überdosierung geht das erstinstanzlich erstellte schriftliche
Gutachten vom 10. April 2011 auf der Grundlage der Angaben des früheren
Soldaten aus. Diese Überdosierung hatte auf der Grundlage der entsprechen-
den Angaben des früheren Soldaten ebenso das schriftliche Gutachten des
Sachverständigen L. vom 17. März 2010 zugrundegelegt. Soweit der frühere
Soldat in der Berufungshauptverhandlung eine Überdosierung von bis zu 9 Ta-
bletten täglich angegeben hat, glaubt ihm der Senat nicht, weil es sich um eine
Steigerung des bisherigen Vortrages des früheren Soldaten gegenüber den ihn
explorierenden Gutachtern handelt. Daran ändert auch nichts, dass der frühere
Soldat in der Hauptverhandlung vor dem Truppendienstgericht eine Steigerung
von anfänglich 1 bis 3 Tabletten auf eine Dosis von bis zu 8 bis 9 Tabletten täg-
lich angegeben hatte. Denn auch damals handelte es sich insofern um eine
Steigerung der Dosierungsangaben, nachdem die Gutachter, denen gegenüber
von bis zu 6 bis 8 Tabletten die Rede gewesen war, zu für den früheren Sol-
daten ungünstigen Ergebnissen gekommen waren.
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Der Senat geht auch davon aus, dass mit der Einnahme von „Sifrol“ bereits
mehrere Monate vor dem Vorfall begonnen worden war, sodass das unbekann-
te Medikament, das der frühere Soldat im Rahmen einer Studie erhalten hatte,
keine Auswirkungen mehr auf seine Physis zum Tatzeitpunkt hatte. Auch dies
entspricht den eigenen Angaben des früheren Soldaten, der dem ersten in der
Sache tätigen Gutachter L. gegenüber angegeben hatte, „Sifrol“ sei etwa ein
Jahr vor dem Vorfall angesetzt worden.
3. Der frühere Soldat hat damit ein schweres Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1
SG begangen.
a) aa) Durch den Versuch, bewegliche Sachen seiner Kameraden oder Zivilbe-
diensteter in der Absicht wegzunehmen, sie sich rechtswidrig zuzueignen
(§ 242 StGB), hat er vorsätzlich gegen § 7 SG verstoßen. § 7 SG verpflichtet
auch zur Loyalität gegenüber der Rechtsordnung, insbesondere zur Beachtung
der Strafgesetze, sofern ein dienstlicher Bezug besteht, an dem schon ange-
sichts der Begehung innerhalb dienstlicher Anlagen hier kein Zweifel besteht.
Dass es sich nahezu durchgehend um Diebstahlsversuche handelte, nimmt den
Handlungen nicht ihre disziplinare Relevanz, weil die Pflicht zur Loyalität zur
Rechtsordnung der Begehung von Straftaten - dienstlichen Bezugs - jeder Art
und nicht nur der Begehung vollendeter Straftaten entgegensteht (vgl. Urteil
vom 13. Dezember 2012 - BVerwG 2 WD 29.11 - BVerwGE 145, 269 = Buch-
holz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 42, jeweils Rn. 49).
Angesichts dieser grundsätzlichen disziplinarischen Gleichbehandlung versuch-
ter und vollendeter Straftaten braucht der Senat auch nicht abschließend darü-
ber zu befinden, ob die erfolgreiche Entnahme des 10 €-Scheines aus dem
Portemonnaie des Zivilbediensteten … Wa. einen vollendeten Diebstahl dar-
stellte. Zweifel an einem Gewahrsamsbruch bestehen deshalb, weil der ent-
sprechende Geldschein zuvor von der Polizei erfasst worden war und der Erfolg
der Überwachungsmaßnahme wesentlich davon abhing, dass der erfasste
Geldschein in den Gewahrsam des früheren Soldaten gelangte; damit steht
aber ein Einverständnis des Berechtigten im Raum, der gegen die Annahme
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eines Gewahrsamsbruchs spricht (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2012 a.a.O.
Rn. 50).
bb) Er hat ebenfalls vorsätzlich die Kameradschaftspflicht nach § 12 Satz 2 SG
dadurch verletzt, dass er versuchte, aus den Jacken anderer Soldaten Wert-
gegenstände zu entwenden. Da der zivile Bundeswehrbedienstete Regierungs-
obersekretär … Wa. kein Soldat war und mangels persönlicher Bekanntschaft
keine Nähebeziehung bestand, stellt der Zugriff auf dessen Geldschein keine
dem § 12 Satz 2 SG vergleichbare Dienstpflichtverletzung dar (vgl. dazu Urteil
vom 25. Januar 1996 - BVerwG 2 WD 24.95 - BVerwGE 103, 295 <297> =
Buchholz 236.1 § 12 SG Nr. 3 S. 13). Hinsichtlich der versuchten Diebstähle
aus den Jacken weiterer Zivilbeschäftigter ist nicht feststellbar, dass wegen
entsprechender Nähebeziehungen ein der Kameradschaftspflichtverletzung
vergleichbares Fehlverhalten vorliegt.
cc) Einher ging mit dem Verstoß gegen die Kameradschaftspflicht jedenfalls in
einem Fall auch ein vorsätzlicher Verstoß gegen die Plicht zur Fürsorge Unter-
gebenen gegenüber nach § 10 Abs. 3 SG, weil ausweislich der Videoaufzeich-
nung eine der durchsuchten Jacken im Gewahrsam eines Kapitänleutnants
stand.
dd) Durch das Begehen einer Straftat im Dienst und in dienstlichen Räumen hat
der frühere Soldat schließlich sowohl anderen Kameraden als auch den Zivilbe-
diensteten gegenüber vorsätzlich seine Pflicht aus § 17 Abs. 2 Satz 1 SG ver-
letzt.
b) Der frühere Soldat hat diese Pflichten uneingeschränkt schuldfähig verletzt.
Dies steht auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen Prof.
Dr. B. zur Überzeugung des Senats fest.
aa) Das von Prof. Dr. B. erstattete Sachverständigengutachten unterlag keinem
Verwertungsverbot (1); auch bestand kein Anlass, das Gutachten des erstin-
stanzlich als Sachverständigen bestellten Facharztes für Psychiatrie L. als wei-
teres Beweismittel in die Beweisaufnahme einzubeziehen (2).
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(1) Anders als von der Verteidigung behauptet, bestand nicht deshalb ein Be-
weisverwertungsverbot bezüglich des von Prof. Dr. B. erstatteten Gutachtens,
weil dieser nicht der Verpflichtung zur eigenverantwortlichen Erstattung des
Gutachtens nachgekommen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 2011 - 2
StR 585/10 - NStZ 2012, 103 f.).
Gutachten zu für den Schuld- oder Strafausspruch wesentlichen Fragen sind
stets mündlich in der Hauptverhandlung zu erstatten. Aus den Grundsätzen der
Unmittelbarkeit und Mündlichkeit und der Notwendigkeit, gegebenenfalls auch
erst in der Hauptverhandlung angefallene Erkenntnisse in das Gutachten ein-
zubeziehen, folgt, dass allein der Inhalt des in der Hauptverhandlung erstatteten
Gutachtens maßgebend ist (BGH, Beschluss vom 12. Februar 2008 - 1 StR
649/07 - NStZ 2008, 418 f.; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, § 250 Rn. 11),
nicht aber der Inhalt zuvor eingereichter vorläufiger Stellungnahmen (wie vorlie-
gend vom 10. April 2011 sowie vom 16. April 2013). Das Gutachten wurde in
der Berufungshauptverhandlung von Prof. Dr. B. nachvollziehbar und ohne
dass die Mithilfe des Dr. M. notwendig gewesen wäre, erstattet. Dabei durfte
Prof. Dr. B. sich zur Vorbereitung des Gutachtens der Mithilfe des Dr. M. bedie-
nen, da dies seine Verantwortlichkeit für das Gutachten nicht in Frage gestellt
hat (Urteil vom 28. Februar 1992 - BVerwG 8 C 48.90 - Buchholz 310 § 86
Abs. 1 VwGO Nr. 239 S. 69 - juris Rn. 9). Prof. Dr. B. hat dazu - sachlich über-
einstimmend mit seiner schriftlichen Stellungnahme vom 6. Februar 2013 - er-
klärt, er habe den früheren Soldaten am 16. Februar 2011 persönlich unter-
sucht. Dr. M. habe das Gutachten vorbereitet, dann habe eine Vorbesprechung
stattgefunden, der eine etwa einstündige persönliche Exploration des früheren
Soldaten gefolgt sei. Der frühere Soldat hat die persönliche Exploration durch
Prof. Dr. B. auch nicht bestritten, sondern lediglich den Zeitraum. Da zudem
weder vorgetragen wurde noch ersichtlich ist, dass Dr. M. etwas Falsches auf-
genommen noch etwas exploriert hätte, was Prof. Dr. B. zur Erlangung eines
verlässlichen Eindrucks vom psychischen Zustand des früheren Soldaten per-
sönlich hätte wahrnehmen müssen, vermag der Senat eine fehlende eigenver-
antwortliche Gutachtenerstellung insbesondere auch nicht daraus abzuleiten,
dass die Rechnung für die (erste) schriftliche Stellungnahme von Dr. M. ausge-
stellt wurde.
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(2) Der Einbeziehung des Facharztes für Psychiatrie L. und seines schriftlich
unter dem 17. März 2010 vorbereiteten und am 27. Oktober 2010 beim Trup-
pendienstgericht erstatteten Gutachtens in die Berufungshauptverhandlung be-
durfte es nicht.
Bereits das Truppendienstgericht ist ausweislich seines in der Hauptverhand-
lung gefassten Beschlusses vom 27. Oktober 2010 zu dem Ergebnis gelangt,
dass die Einholung eines weiteren Gutachtens notwendig war, weil der Gutach-
ter L. auf der Grundlage einer Rücksprache mit einem Arztkollegen von seiner
schriftlichen Stellungnahme abgewichen war. Dabei folgt aus der - zweiten -
erstinstanzlichen Hauptverhandlung vom 19. September 2011, dass das Trup-
pendienstgericht von der Ungeeignetheit des Facharztes für Psychiatrie L. aus-
gegangen ist, weil dieser - von der Verteidigung seinerzeit ebenso unbeanstan-
det wie die Vernehmung des Sachverständigen Prof. Dr. B. - nicht mehr zur
erneuten Hauptverhandlung geladen wurde. Aus alledem wird hinreichend deut-
lich, dass die Bestellung des Prof. Dr. B. erfolgte, weil sich die Sachkunde des
Facharztes für Psychiatrie L. angesichts seiner Äußerung, aufgrund einer in-
formellen Rücksprache mit einem Arztkollegen von seinem schriftlich angekün-
digten Gutachten abzuweichen, als (im Sinne des § 244 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2
StPO) zweifelhaft herausgestellt hatte. Da der Senat diese Einschätzung teilt
und auch die Verteidigung die grundsätzliche Qualifikation des Prof. Dr. B. zur
Erstellung des Gutachtens nicht infrage gestellt hat, bestand für ihn kein Anlass,
den Facharzt für Psychiatrie L. für die Berufungshauptverhandlung als weiteren
Sachverständigen heranzuziehen (Beschluss vom 25. Februar 2013 - BVerwG
2 B 57.12 - juris Rn. 5).
bb) Auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. B. steht
zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der frühere Soldat zum Zeitpunkt des
Dienstvergehens weder schuldunfähig im Sinne des § 20 StGB noch im Sinne
des § 21 StGB in seiner Schuldfähigkeit erheblich eingeschränkt gewesen ist.
(1) Zur Feststellung eines Dienstvergehens dürfen nur solche belastenden Tat-
sachen berücksichtigt werden, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen.
Entlastende Umstände sind hingegen nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“
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schon dann beachtlich, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr
Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich
ist (Urteil vom 29. Mai 2008 - BVerwG 2 C 59.07 - Buchholz 235.1 § 70 BDG
Nr. 3 Rn. 27 = juris Rn. 17, 27). Für die Berücksichtigung von Milderungsgrün-
den genügt, wenn für sie hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte bestehen,
sodass sich ihr Vorliegen nicht ausschließen lässt (vgl. Urteile vom 30. Sep-
tember 1992 - BVerwG 1 D 32.91 - BVerwGE 93, 294 <297> sowie vom
23. Februar 2012 - BVerwG 2 C 38.10 - NVwZ-RR 2012, 479 ff.; BGH, Be-
schluss vom 25. Juli 2006 - 4 StR 141/06 - NStZ-RR 2006, 335 = juris Rn. 11).
Lässt sich deshalb nach erschöpfender Sachaufklärung nicht ohne vernünftigen
Zweifel ein Sachverhalt ausschließen, der eine erheblich verminderte oder aus-
geschlossene Schuldfähigkeit ergibt, ist dieser Gesichtspunkt in die Gesamt-
würdigung einzustellen (Urteil vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 - NVwZ-RR
2007, 695 = juris Rn. 30).
(2) Die richterliche Entscheidung, ob die Fähigkeit des angeschuldigten frühe-
ren Soldaten, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu
handeln, aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe - krankhafte seeli-
sche Störung, tiefgreifende Bewusstseinsstörung, Schwachsinn oder andere
schwere seelische Abartigkeit - zum Zeitpunkt des Dienstvergehens aufgeho-
ben oder jedenfalls erheblich vermindert war, vollzieht sich in einem aus mehre-
ren Schritten bestehenden Verfahren (BGH, Urteil vom 17. April 2012 - 1 StR
15/12 - NStZ 2013, 53 ff. = juris Rn. 24), wobei es sich sowohl bei der Bejahung
der Eingangsmerkmale des § 20 StGB als auch bei der Annahme einer rechts-
erheblichen Einschränkung der Schuldfähigkeit um Rechtsfragen handelt, für
die der Zweifelsatz nicht gilt (BGH, Beschluss vom 7. März 2006 - 3 StR 52/06 -
NStZ-RR 2007, 74 ff. = juris Rn. 4, vgl. Fischer, StGB, 61. Aufl. 2014, § 20
Rn. 44).
Danach ist zunächst die Feststellung erforderlich, dass bei dem früheren Sol-
daten eine psychische Störung vorlag, die unter eines der psychopathologi-
schen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Dem zu folgen
hat die Feststellung des Ausprägungsgrades der Störung, also deren Schwere,
wobei maßgeblich ist, ob es im Alltag außerhalb des angeklagten Delikts zu
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Einschränkungen des beruflichen und sozialen Handlungsvermögens gekom-
men ist (BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03 - NJW 2004, 1810 ff.
= juris Rn. 31). In die Beurteilung der Erheblichkeit der Verminderung der Steu-
erungsfähigkeit fließen normative Gesichtspunkte ein. Entscheidend sind die
Anforderungen, die die Rechtsordnung an jedermann stellt. Diese Anforderun-
gen sind umso höher, je schwerwiegender das in Rede stehende Delikt ist. Da-
bei ist in einer Gesamtbetrachtung die Persönlichkeit des Angeklagten und des-
sen Entwicklung zu bewerten, wobei auch Vorgeschichte, unmittelbarer Anlass
und Ausführung der Tat sowie das Verhalten danach von Bedeutung sind
(BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 a.a.O. Rn. 36; BVerwG, Urteile vom 29. Mai
2008 a.a.O. juris Rn. 30
BDG Nr. 3> sowie vom 11. Januar 2012 - BVerwG 2 B 78.11 - juris Rn. 6). Im
Rahmen der Gesamtwürdigung ist darauf einzugehen, ob der Täter motivatori-
schen und situativen Tatanreizen wesentlich weniger Widerstand entgegenset-
zen konnte als ein Durchschnittsbürger (BGH, Urteil vom 19. Oktober 2011
- 2 StR 172/11 - juris Rn. 4). Schließlich ist der Einfluss der Störung auf die so-
ziale Anpassungsfähigkeit des Angeklagten festzustellen. Es geht um die Stö-
rung und deren innere Beziehung zur Tat (BGH, Urteil vom 17. April 2012
a.a.O. Rn. 24), sodass geprüft werden muss, ob sich das nach § 20 StGB fest-
gestellte Merkmal auf die abzuurteilende Tat auch tatsächlich ausgewirkt hat
(BGH, Urteil vom 19. Oktober 2011 a.a.O.). Dabei spricht gegen einen solchen
symptomatischen Zusammenhang tendenziell, wenn der Betroffene schon er-
hebliche Zeit vor der angenommenen Entstehung der Psychose ein einschlägi-
ges Verhalten gezeigt hat (BGH, Beschluss vom 7. März 2006 a.a.O. Rn. 6).
(3) Nach Maßgabe dieser Grundsätze lässt sich ausschließen, dass die Schuld-
fähigkeit des früheren Soldaten zum Zeitpunkt des Dienstvergehens aufgeho-
ben oder erheblich vermindert war. Die von der Verteidigung insoweit geäußer-
ten Zweifel bewegen sich angesichts der Feststellungen des Sachverständigen
im Bereich des nur Theoretischen und begründen daher keine vernünftigen
Zweifel.
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aa) Der Sachverständige hat in der Berufungshauptverhandlung unter Bezug-
nahme auf seine schriftlichen Ausführungen erläutert, dass eine Beeinflussung
der Impulskontrolle durch die Zuführung des Wirkstoffes in dem Medikament
„Sifrol“ im Diagnosenkatalog ICD-10-GM den psychischen Störungen nach den
Ziffern F 06 zuzuordnen ist, auch soweit die Störung zu einer Kleptomanie ver-
gleichbaren Verhaltensweisen führe. Die Einnahme des Medikamentes begrün-
de eine exogene Psychose, wenn Störungen der Impulskontrolle in Form von
Kleptomanie als Nebenwirkung aufträten. Diese konkrete Form sei am ehesten
der Ziffer F 06.9 zuzuordnen. Eine Kleptomanie im Sinne der Ziffer F 63.2 des
ICD-10-GM Kataloges liege aber mangels gewohnheitsmäßigen Verhaltens
nicht vor, wenn wie hier nur ein Einzelfall und ein weiterer lange zurückliegen-
der Vorfall in Rede stehe.
Das Medikament „Sifrol“ werde nicht nur gegen das „Restless-Legs-Syndrom“
verschrieben, sondern auch bei Morbus Parkinson, dann in deutlich höherer
Dosierung. Nebenwirkungen, zu denen auch Störungen der Impulskontrolle ge-
hörten, würden bei Morbus Parkinson Patienten häufiger beschrieben als bei
Patienten, die das Medikament gegen das Restless-Legs-Syndrom nehmen.
Das Auftreten von Nebenwirkungen hänge von der Dosierung ab. In der von
ihm ausgewerteten Literatur würden Einzelfälle von Störungen der Impulskon-
trolle auch in der Form kleptomanischen Verhaltens als Nebenwirkung des
Wirkstoffes in „Sifrol“ beschrieben. Er habe über die in seinen schriftlichen Stel-
lungnahmen angeführten Studien beim Hersteller weiter zur Beschreibung von
Nebenwirkungen des Medikaments in Studien recherchiert, aber keine zusätzli-
chen Informationen in Erfahrung bringen können. Eine Auswirkung des Medi-
kaments auf die Steuerungsfähigkeit sei nach bisherigem Stand der Forschung
als möglich zu bezeichnen.
Der Gutachter hat nach Inaugenscheinnahme der Videoaufzeichnung vom Tat-
hergang in der Berufungshauptverhandlung ausgeführt, der frühere Soldat gehe
dort über einen längeren Zeitraum planvoll, wiederholt in ähnlicher Weise, sich
gegen Entdeckung absichernd, ohne Anspannung oder Erregung vor. Typi-
sches kleptomanes Verhalten sei das nicht. Sollte es infolge der Medikamen-
teneinnahme in Überdosierung zu einer Störung der Impulskontrolle gekommen
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sein, spreche die Art des Vorgehens jedenfalls dagegen, dass die Steuerungs-
fähigkeit völlig aufgehoben gewesen sei. Das planvolle Element spreche gegen
eine starke Ausprägung einer jedenfalls möglichen Beeinträchtigung. Der Sach-
verständige hat an seiner Einschätzung des Vorgehens des früheren Soldaten
auch festgehalten, nachdem er im Hinblick auf den Einwand des Verteidigers,
der frühere Soldat wirke im Video etwa im Zeitraum 11:39 Uhr bis 11:43 Uhr
orientierungslos und verwirrt, Teile des Videos in der Berufungshauptverhand-
lung ein zweites Mal angesehen hatte.
Dass es bereits vor ca. 20 Jahren in einer ähnlichen Situation zu einem Dieb-
stahl gekommen sei, sei nicht irrelevant. Es sei nicht ausgeschlossen, dass
durch erneute Frustration in einer vergleichbaren Verfassung mitbedingt durch
das Medikament ein alter Mechanismus wieder ausgelöst werde. Das Medika-
ment, das der frühere Soldat im Rahmen einer Studie vor der Verschreibung
von „Sifrol“ gegen das Restless-Legs-Syndrom eingenommen habe, sei in kei-
ner Weise relevant, weil es Monate vor dem Vorfall abgesetzt gewesen sei.
(bb) Auf der Grundlage der sachverständigen Aussage geht der Senat mangels
weiterer Aufklärungsmöglichkeiten nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ da-
von aus, dass der frühere Soldat im Zeitpunkt der Pflichtverletzungen an einer
krankhaften seelischen Störung entsprechend § 20 StGB in der Form einer
exogenen Psychose litt. Diese schloss zur Überzeugung des Senats die Ein-
sichts- und Steuerungsfähigkeit des früheren Soldaten aber weder vollständig
aus, noch hat sie sie entsprechend § 21 StGB erheblich beeinträchtigt.
Dass eine exogene Psychose infolge der Medikamentenüberdosierung vorge-
legen hatte, legt der Senat deshalb zugrunde, weil er dem früheren Soldaten
glaubt, dass er „Sifrol“ mit bis zu 6 - 8 Tabletten pro Tag überdosiert einen län-
geren Zeitraum vor der Tat und am Vortag der Tat eingenommen hatte. Der
Sachverständige hat den Stand der Forschung zu den möglichen Nebenwir-
kungen des in „Sifrol“ enthaltenen Wirkstoffes nachvollziehbar dargestellt. Plau-
sibel sind seine Darlegungen vor allem deshalb, weil er auf ergänzende Fragen
des Senats zum Aussagewert der in seinem ersten schriftlichen Gutachten an-
geführten Studie, diese auf Einzelfragen genauer erläutert und durch Hinweise
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auf weitere publizierte Forschungsergebnisse ergänzt hat. Er hat auch deutlich
gemacht, dass Bemühungen um die Erschließung weiterer Quellen an Grenzen
gestoßen sind. Damit ist für den Senat nachvollziehbar, dass und warum nach
gegenwärtigem Stand der Forschung genauere Aussagen zur Häufigkeit und
Wahrscheinlichkeit von Impulskontrollstörungen als Folge der Medikamenten-
einnahme nicht möglich sind. Mithin geht der Senat davon aus, dass die Über-
dosierung des Medikaments im vorliegenden Fall zwar nicht die Einsichtsfähig-
keit des früheren Soldaten, wohl aber seine Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt
hat.
Auf der Basis der Einschätzung des Tatherganges durch den Sachverständigen
und seiner eigenen Würdigung der Gesamtumstände der Tat ist der Senat aber
davon überzeugt, dass der Ausprägungsgrad dieser Störung zum Tatzeitpunkt
gering war. Gegen einen hohen Ausprägungsgrad der Störung spricht das Ver-
halten des früheren Soldaten, der sich durch Rückzug in den Toilettenraum, das
An- und Ausziehen seiner eigenen Jacke und seines Schiffchens bei Eintritt der
wechselnden Personen in den Garderobenraum den Anschein gab, selbst ge-
rade erst gekommen zu sein und sich dort nur zum Ablegen der Garderobe und
Aufsuchen der Toilette aufzuhalten, um keinen Verdacht zu erregen. Zudem hat
er seine Jacke mehrfach über dann von ihm durchsuchte Jacken anderer ge-
hängt, sodass die Durchsuchungshandlung nicht auf den ersten Blick auffallen
konnte. Mit dem Garderobenvorraum, in dem sich in kurzer Folge eine hohe
Zahl wechselnder Personen kurzzeitig aufhielt, hat er sich einen Tatort ausge-
wählt, an dem seine Anwesenheit keinen Argwohn auslöste, sodass die Gefahr,
jemand könne einen Diebstahl vermuten und ihn dabei entdecken, eher gering
war. Die Tat- und Verdeckungshandlungen ziehen sich zudem kontinuierlich
über mehr als zehn Minuten hin. All dies lässt sein Verhalten in den Tathand-
lungen und in der Absicherung planvoll und zielgerichtet, die Umgebung be-
obachtend und auf Veränderungen sinnvoll reagierend erscheinen. Dieses Ver-
halten wird nicht nur kurzfristig, spontan, „impulsartig“, sondern wiederholt und
kontinuierlich über mehr als zehn Minuten hinweg gezeigt. Der Senat teilt die
Einschätzung des Verteidigers nicht, der frühere Soldat erscheine während der
Videosequenz phasenweise orientierungslos und verwirrt. Im Gesamtzusam-
menhang des Tatablaufes wird deutlich, dass die in der fraglichen Sequenz ab-
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laufenden Handlungen - Schiffchen mehrfach an- und absetzen, regloses Ste-
henbleiben, Jacke mehrfach an- und ausziehen - der visuellen und akustischen
Beobachtung der Umgebung und der Sicherung der eigenen Person vor Entde-
ckung dienen.
Der Senat bewertet nach den oben dargestellten Grundsätzen die Beeinträchti-
gung der Steuerungsfähigkeit des früheren Soldaten bei den Taten nicht als er-
heblich, weil der Ausprägungsgrad aus den genannten Gründen nur gering war.
Zudem sind sonstige Beeinträchtigungen des Alltagslebens durch das Medika-
ment nicht aufgetreten, insbesondere haben Kameraden, mit denen er eine
Fahrgemeinschaft gebildet hatte, keine Verhaltensauffälligkeiten des früheren
Soldaten berichtet. Dass er sich vor dem Vorfall auf dem Weg zu seiner Tochter
verfahren hat, belegt schon wegen der Einmaligkeit dieses Vorfalles keine dau-
erhaften Verwirrtheitszustände. Ein solches Missgeschick erklärt sich vielmehr
ohne weiteres mit mangelnder Konzentration infolge von Stress und Überlas-
tung. Hinzu kommt weiter, dass es bereits in der Vergangenheit ohne den Ein-
fluss von „Sifrol“ in einer Stresssituation zu einem Diebstahl gekommen war,
der frühere Soldat also bereits gezeigt hat, dass er in belastenden Situationen
in Diebstahlshandlungen ein „Stressventil“ findet.
4. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs
wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen.
Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen
Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten (vgl. Urteil vom
11. Juni 2008 - BVerwG 2 WD 11.07 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26
Rn. 23 m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58
Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens
und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige
Führung und die Beweggründe des früheren Soldaten zu berücksichtigen.
a) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Un-
rechtsgehalt der Verfehlung, d.h. nach der Bedeutung der verletzten Dienst-
pflichten. Danach wiegen die Pflichtverletzungen schwer.
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Der dienstliche wie außerdienstliche Zugriff auf Eigentum und Vermögen von
Kameraden stellt ein schwerwiegendes Dienstvergehen dar. Ein Eigentums-
oder Vermögensdelikt zum Nachteil von Kameraden lässt nicht nur negative
Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Soldaten zu und berührt die Möglich-
keit seiner dienstlichen Verwendungen, sondern ist auch stets geeignet, das
gegenseitige Vertrauen und die Bereitschaft, füreinander einzustehen, zu ge-
fährden, sowie die Kameradschaft und den militärischen Zusammenhalt, auf
dem die Bundeswehr nach § 12 Satz 1 SG beruht, zu untergraben. Ein solches
Verhalten löst häufig, wie hier, neben Ermittlungen des Disziplinarvorgesetzten
auch solche der Strafverfolgungsorgane aus. All dies führt regelmäßig zu ge-
genseitigen Verdächtigungen und Anschuldigungen und kann damit ein Klima
der Unruhe und des Misstrauens schaffen, das dem Dienstbetrieb höchst ab-
träglich ist. Der Zusammenhalt der Bundeswehr beruht gemäß § 12 Satz 1 SG
wesentlich auf Kameradschaft. Die Erfüllung der dienstlichen Aufgaben erfor-
dert im Frieden und in noch höherem Maße im Einsatzfalle gegenseitiges Ver-
trauen sowie das Bewusstsein, sich jederzeit aufeinander verlassen zu können.
Ein Vorgesetzter, der die Rechte seiner Kameraden verletzt, untergräbt den
dienstlichen Zusammenhalt, stört den Dienstbetrieb und kann damit letztlich
auch die Einsatzbereitschaft der Truppe beeinträchtigen. Ist der Diebstahl nur
versucht, gilt nichts anderes (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2012 - BVerwG
2 WD 29.11 - BVerwGE 145, 269 <272 f.> m.w.N.).
Gewicht verleiht dem Dienstvergehen nicht zuletzt die Verletzung der Fürsorge-
pflicht nach § 10 Abs. 3 SG und der Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG). Letzte-
re gehört zu den zentralen Pflichten eines Soldaten. Ihre Verletzung ist in der
Regel schon deshalb von erheblicher Bedeutung. Der besondere Unrechtsge-
halt des Dienstvergehens ergibt sich auch daraus, dass der frühere Soldat ge-
gen seine Pflicht zur Loyalität gegenüber der Rechtsordnung, vor allem der Be-
achtung der Strafgesetze, verstoßen und kriminelles Unrecht begangen hat.
Dass es vorliegend nicht zu einer strafgerichtlichen Verurteilung gekommen ist,
ändert daran nichts.
Auch die Verletzung der Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhal-
ten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) wiegt schwer. Die Pflicht zur Wahrung von Achtung
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und Vertrauen ist kein Selbstzweck, sondern hat funktionalen Bezug zur Erfül-
lung des grundgesetzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und zur Gewährleis-
tung des militärischen Dienstbetriebs. Ein Soldat, insbesondere - wie hier - ein
Vorgesetzter, bedarf der Achtung seiner Kameraden und Untergebenen sowie
des Vertrauens seiner Vorgesetzten, um seine Aufgaben so zu erfüllen, dass
der gesamte Ablauf des militärischen Dienstes gewährleistet ist. Dabei kommt
es nicht darauf an, ob eine Beeinträchtigung der Achtungs- und Vertrauenswür-
digkeit tatsächlich eingetreten ist, sondern nur darauf, ob das festgestellte Ver-
halten dazu geeignet war (stRspr, z.B. Urteile vom 13. Januar 2011 - BVerwG
2 WD 20.09 - juris Rn. 27 m.w.N. und vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 -
juris Rn. 29). Dies war hier der Fall.
Erschwerend tritt hinzu, dass der frühere Soldat auch auf das Eigentum von
Zivilbediensteten der Bundeswehr Zugriff zu nehmen versucht hat. Denn zur
Funktionsfähigkeit der Bundeswehr trägt nicht nur die Wahrung der Kamerad-
schaft unter Soldaten, sondern ebenso maßgeblich auch die reibungslose und
vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Soldaten und Angehörigen der
Truppenverwaltung bei (Urteile vom 25. Januar 1996 - BVerwG 2 WD 24.95 -
BVerwGE 103, 295 <296> = Buchholz 236.1 § 12 SG Nr. 3 S. 12 und vom
10. Dezember 1997 - BVerwG 2 WD 1.97 - BVerwGE 113, 169 <171> = Buch-
holz 250.0 § 34 WDO Nr. 39 S. 85).
Eigenart und Schwere des Dienstvergehens werden des Weiteren dadurch be-
stimmt, dass der frühere Soldat durch seine versuchten Zugriffe auf das Eigen-
tum von Kameraden oder Zivilbediensteten der Bundeswehr zugleich kriminel-
les Unrecht verwirklicht hat. Dass dieser Zugriff nur in einem Fall erfolgreich war
und dort nur zu einem Vermögensschaden in Höhe von 10 Euro führte, nimmt
dem Dienstvergehen angesichts der zahlreichen (gescheiterten) Versuche nicht
seine Schwere.
Hinzu tritt, dass der frühere Soldat aufgrund seines Dienstgrades als Fregatten-
kapitän in einem herausgehobenen Vorgesetztenverhältnis stand (§ 1 Abs. 3
Satz 1 und 2 SG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 VorgV). Soldaten in Vorgesetz-
tenstellung obliegt eine höhere Verantwortung für die Wahrung dienstlicher Inte-
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ressen. Wegen seiner herausgehobenen Stellung ist ein Vorgesetzter in beson-
derem Maße für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Dienstpflichten verant-
wortlich und unterliegt damit im Falle einer Pflichtverletzung einer verschärften
Haftung, da Vorgesetzte in ihrer Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben
sollen (§ 10 Abs. 1 SG). Dabei ist nicht erforderlich, dass es der Soldat bei sei-
nem Fehlverhalten innerhalb eines konkreten Vorgesetztenverhältnisses an
Beispielhaftigkeit hat fehlen lassen. Es reicht das Innehaben einer Vorgesetz-
tenstellung aufgrund des Dienstgrades aus (vgl. Urteile vom 25. Juni 2009
- BVerwG 2 WD 7.08 - juris Rn. 53 m.w.N., vom 13. Januar 2011 - BVerwG
2 WD 20.09 - juris Rn. 28 und vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - juris
Rn. 30).
b) Die Auswirkungen des Dienstvergehens waren erheblich, da der Dienstherr
darauf mit dem Verbot der vorläufigen Dienstausübung und einem Uniformtra-
geverbot reagiert hat. Daneben wurde das Dienstvergehen in der Einheit da-
durch bekannt, dass zur Identifizierung durch die Polizei der Kasernenfeldwe-
bel, Stabsbootsmann P., der Sicherheitsoffizier, Oberleutnant z.S. Wi., Kapitän
z.S. R. als Lehrgangsleiter der …schule und der Leiter des …amtes, Kapitän
z.S. Sch., hinzugezogen wurden.
c) Die Beweggründe des früheren Soldaten sprechen gegen ihn, weil er aus fi-
nanziellem Eigennutz gehandelt hat.
d) Das Maß der Schuld des früheren Soldaten wird dadurch bestimmt, dass er
vorsätzlich gehandelt hat, wobei er aus den bereits dargelegten Gründen in der
Schuldfähigkeit zwar nicht erheblich, unterhalb dieser Schwelle jedoch durch-
aus vermindert war.
e) Im Hinblick auf die Zumessungskriterien „Persönlichkeit“ und „bisherige Füh-
rung“ sprechen neben den vier förmlichen Anerkennungen die durchschnittlich
guten dienstlichen Leistungen des früheren Soldaten für ihn. Angesichts der
Aussage seines früheren Fachvorgesetzten, Fregattenkapitän a.D. T., stellen
sie sich zudem tendenziell besser dar, weil der frühere Soldat von ihm als in
jeder Hinsicht vorbildlich und mit sehr viel Sachverstand und Erfahrung ausge-
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stattet beschrieben worden ist. Hinzu tritt das überobligatorische Engagement
des früheren Soldaten im Personalrat und bei der Gestaltung der politischen
Bildung wie insbesondere Kapitän z.S. a.D. B. anlässlich seiner durch Verlesen
in die Berufungshauptverhandlung eingeführten Aussage vor dem Truppen-
dienstgericht am 27. Oktober 2010 ausgeführt hat.
Von einem maßnahmemildernden Geständnis des früheren Soldaten ist jedoch
nicht zu seinen Gunsten auszugehen, weil die Beweislage angesichts der Vi-
deoaufzeichnung erdrückend war (vgl. Urteil vom 25. Januar 1996 a.a.O. S.
299 f. bzw. S. 15). Zum Ersatz des dem Zeugen … Wa. entstandenen Scha-
dens kam es zudem erst am 2. Mai 2010 nach dessen schriftlicher Aufforderung
vom 20. April 2010.
f) Bei der Gesamtwürdigung aller vorgenannten be- und entlastenden Umstän-
de ist im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die
Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts die verhängte Herabsetzung in den
Dienstgrad eines Leutnants z.S. erforderlich und angemessen. Bei der konkre-
ten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in seiner gefestigten
Rechtsprechung von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:
handlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen
Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regel-
maßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als „Ausgangspunkt der Zu-
messungserwägung“. Beim vorsätzlichen Zugriff auf Eigentum oder Vermögen
von Kameraden bildet Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen grundsätz-
lich - und so auch hier - eine Dienstgradherabsetzung (vgl. Urteil vom 13. De-
zember 2012 a.a.O. S. 272 m.w.N.).
auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die Zweckset-
zung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die die Möglichkeit einer
Milderung oder die Notwendigkeit einer Verschärfung gegenüber der auf der
ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme eröffnen. Dabei ist vor al-
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lem angesichts der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie dessen
Auswirkungen zu klären, ob es sich angesichts der be- und entlastenden Um-
stände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflicht-
verletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer
Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwä-
gungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach „oben“ bzw. nach „un-
ten“ zu modifizieren. Zusätzlich sind die gesetzlich normierten Bemessungskri-
terien für die Bestimmung der konkreten Sanktion zu gewichten, wenn die
Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet,
dem Wehrdienstgericht einen Spielraum eröffnet.
(1) Nach Maßgabe dessen bildet die durch Urteil des Bundesverwaltungsge-
richts vom 10. Juni 1997 bereits einmal ausgesprochene, gemäß § 8 Abs. 2
WDO nicht tilgungsfähige und somit in die Abwägung mit einzustellende Herab-
setzung im Dienstgrad wegen einer zudem auch einschlägigen Pflichtverletzung
einen erschwerenden Umstand, der für sich allein betrachtet und dem Leitge-
danken des § 38 Abs. 2 WDO entsprechend den Übergang zu einer schwere-
ren Maßnahmeart, mithin die Aberkennung des Ruhegehalts, verlangt hätte
(vgl. Urteile vom 13. September 2011 - BVerwG 2 WD 15.10 - Buchholz 450.2
§ 38 WDO 2002 Nr. 33 Rn. 59 und vom 12. Juli 2012 - BVerwG 2 WD 31.11 -
juris Rn. 38).
§ 38 Abs. 1 WDO gebietet indes eine umfassende Betrachtung sämtlicher Um-
stände und verlangt insbesondere die Würdigung auch solcher mildernder Um-
stände, die nach der Rechtsprechung des Senats zu den sogenannten an-
erkannten Milderungsgründen zählen; diese bilden jedoch keinen abschließen-
den Kanon beachtlicher Entlastungsgründe (Urteil vom 13. Juni 2006 - BVerwG
2 WD 1.06 - juris Rn. 57 ff.; zum Beamtendisziplinarrecht: Beschlüsse vom
23. Februar 2012 - BVerwG 2 B 143.11 - juris Rn. 13 und vom 20. Dezember
2013 - BVerwG 2 B 35.13 - juris Rn. 21). Mildernde Umstände dieser Art liegen
vor. In ihrer Gesamtheit kompensieren sie die durch die disziplinarische Vorbe-
lastung an sich gebotene Verhängung der Höchstmaßname und führen zur De-
gradierung als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen zurück (vgl. Urteil
vom 23. Februar 2012 - BVerwG 2 C 38.10 - NVwZ-RR 2012, 479 <480> - juris
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Rn. 14 f.). Die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft musste daher ohne
Erfolg bleiben.
(aa) Zu Gunsten des früheren Soldaten wirkt freilich nicht bereits der Umstand,
dass der Zugriff auf das Vermögen des Regierungsobersekretärs … Wa. ledig-
lich einen Sachwert von 10 € betraf, wodurch von der an sich verwirkten Re-
gelmaßnahme zugunsten des Soldaten regelmäßig abgesehen werden könnte
(Urteil vom 13. Dezember 2012 a.a.O. S. 274). Denn hinter diesem Milderungs-
grund steht die Erwägung, dass bei geringwertigen Dingen die Hemmschwelle
zum Zugriff herabgesetzt ist, sodass nur geringere kriminelle Energie aufge-
wandt werden muss und mit der Tat daher ein geringeres Unrechtsbewusstsein
einhergeht. Die Orientierung allein an diesem relativ geringen Sachwert würde
vorliegend indes nicht ansatzweise der Schwere des Dienstvergehens gerecht
werden, weil sie die zahlreichen gescheiterten Zugriffsversuche außen vor lie-
ße, durch die eine erhebliche kriminelle Energie manifest wurde.
Ebenso wenig wirkt zu Gunsten des früheren Soldaten, dass der Großteil der
Zugriffe zu keiner Vermögensschädigung geführt hat. Denn der Ausgangspunkt
der Zumessungserwägungen ist ausdrücklich auch für den Fall des Versuchs
mit der Dienstgradherabsetzung bestimmt worden. Der Fall des Versuchs ist
typischerweise mit dem fehlenden Eintritt des Schadens verbunden. Das Vor-
liegen eines gegenüber dem Regelfall minderschweren Falles kann folglich
nicht mit einem Umstand begründet werden, der auch bei einem Regelfall typi-
scherweise vorliegt. Dem entspricht, dass nach der Rechtsprechung des Se-
nats bei der Maßnahmebemessung nicht tatmildernd zu berücksichtigen ist,
wenn ein Verhalten eines Soldaten aus tatsächlichen Gründen nicht geeignet
ist, den von ihm gewünschten Erfolg herbeizuführen. Auch für das Beamtendis-
ziplinarrecht ist anerkannt, dass eine versuchte Straftat den Beamten diszipli-
narrechtlich genauso belastet wie eine vollendete und dass der fehlende Eintritt
eines Taterfolgs nur dann von Bedeutung ist, wenn er auf zurechenbarem Ver-
halten des Beamten beruht. Dies ergibt sich schon daraus, dass eine versuchte
Straftat eine vollendete Verletzung der Pflicht zur Loyalität zur Rechtsordnung
ist, da selbige - vgl. § 242 Abs. 2 StGB - auch den Versuch einer Straftat unter-
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sagt (vgl. Urteil vom 27. Juni 2013 - BVerwG 2 WD 5.12 - juris Rn. 51 m.w.N.
).
(bb) Zu Gunsten des früheren Soldaten wirkt demgegenüber zunächst sein au-
ßergewöhnliches berufliches Engagement im Bereich der Personalvertretung
sowie der politischen Fortbildung. Auch wenn der frühere Soldat seinem letzten
Disziplinarvorgesetzten, Kapitän z.S. Le., gegenüber keine Überlastung ange-
zeigt und der Fachvorgesetzte, Fregattenkapitän a.D. T., keine solche festge-
stellt hat, steht auf der Grundlage der vom Zeugen Kapitän z.S. a.D. B. bestä-
tigten Aussage des früheren Soldaten fest, dass dieser in einer Abteilung mit
dem ohnehin größten Arbeitsaufkommen und dem höchsten Zeitdruck tätig war.
Zusammen mit dem vom Zeugen Fregattenkapitän a.D. T. unterstrichenen Be-
mühen des früheren Soldaten, es allen recht machen zu wollen, führte dies bei
ihm zu einer arbeitsmäßigen Überbelastung, welche dazu führte, dass er re-
gelmäßig ein- bis zweimal in der Woche nicht nach Hause fuhr, sondern in der
Dienststelle übernachtete. Zu dieser Überlastungssituation traten die durch das
Restless-Legs-Syndrom verursachten Schmerzen hinzu, die eine permanente
und hoch dosierte Medikation erforderten. Zudem war mildernd zu berücksichti-
gen, dass die disziplinarische Vorbelastung - ungeachtet ihrer grundsätzlichen
Beachtlichkeit - aus einer bereits vor annähernd 15 Jahren begangenen Pflicht-
verletzung herrührte, wodurch sich deren Gewicht entsprechend verringerte. Zu
Gunsten des früheren Soldaten musste sich schließlich dessen zwar nicht er-
heblich eingeschränkte, aber zum Zeitpunkt des Dienstvergehens doch nicht
uneingeschränkt vorliegende Schuldfähigkeit niederschlagen.
(2) Soweit es den Umfang der Herabsetzung im Dienstgrad betrifft, sind die mil-
dernden Umstände in ihrer Gesamtheit nur geeignet, die einschlägige diszipli-
narische Vorbelastung zu kompensieren; sie erlangen nicht darüber hinaus das
Gewicht, von der nach § 62 Abs. 1 Satz 1 WDO zulässigen und gebotenen De-
gradierung in den niedrigsten Offizierdienstgrad abzusehen, weil das Gewicht
mildernder Umstände umso größer sein muss, je schwerer das Dienstvergehen
wiegt (Urteil vom 15. März 2013 - BVerwG 2 WD 15.11 - juris Rn. 43; vgl. auch
Beschluss vom 23. Februar 2012 a.a.O. - juris Rn. 15). Dazu hätte es zusätzli-
94
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cher Milderungsgründe bedurft. Da sie nicht vorlagen, war ebenso die Berufung
des früheren Soldaten zurückzuweisen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 139 Abs. 2 WDO. Gemäß § 140 Abs. 3
Satz 1 und Abs. 5 Satz 2 WDO war der frühere Soldat von der Hälfte der ihm im
Berufungsverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen zu entlasten.
Dr. von Heimburg
Dr. Burmeister
Dr. Eppelt
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