Urteil des BVerwG vom 25.10.2012

Soldat, Ausbildung, Kompetenz, Schule

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 32.11
TDG N 5 VL 21/11
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
Herrn Oberfähnrich …,
…,
…,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 25. Oktober 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
ehrenamtliche Richterin Oberstabsarzt Dr. Schlaupitz und
ehrenamtlicher Richter Oberfeldwebel Zwing,
Leitender Regierungsdirektor …
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt …,
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin …
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft wird das
Urteil der 5. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom
31. August 2011 im Ausspruch über die Disziplinarmaßnahme
geändert.
Gegen den Soldaten wird wegen eines Dienstvergehens ein
Beförderungsverbot für die Dauer von 40 Monaten verhängt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens und die dem Soldaten
darin entstandenen notwendigen Auslagen werden dem Bund
auferlegt.
G r ü n d e :
I
Der 25 Jahre alte Soldat wurde nach dem Abitur zum Grundwehrdienst einberu-
fen und bewarb sich im Januar 2007 für den freiwilligen Dienst in der Bundes-
wehr in der Laufbahn der Offiziere. Im Frühjahr 2008 wurde ihm eine Ernen-
nungsurkunde mit dem folgenden Wortlaut ausgehändigt:
„Im Namen der Bundesrepublik Deutschland ernenne ich den Hauptge-
freiten … - der auf Grund der Wehrpflicht Wehrdienst leistet - in das
Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit.“
Seine Dienstzeit wurde im August 2011 auf 15 Jahre verlängert. Im Januar
2011 erfolgte die Beförderung zum Oberfähnrich. Eine unter dem 12. April 2011
ausgestellte Urkunde über die Ernennung zum Leutnant wurde wegen der dis-
ziplinaren Vorermittlungen nicht übergeben.
Der Soldat wurde auf verschiedenen Dienstposten bei der 7./…bataillon … in
Bu., der 2./…bataillon … und der 2./…-Bataillon in M. eingesetzt. Zum Januar
2010 erfolgte die Versetzung zur … Inspektion der …schule der Bundeswehr in
O. . Im Januar 2011 wurde der Soldat zur 5./…bataillon … in T. versetzt.
Die planmäßige Beurteilung des Soldaten vom 13. März 2009 bewertete die
Aufgabenerfüllung auf dem Dienstposten im Durchschnitt mit „4,29“.
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Der Soldat sei ein offener, aber ruhiger und in sich gereifter Offizieranwärter,
der sich sowohl durch korrektes Verhalten und straffes militärisches Auftreten,
als auch durch gründliche Ausbildungsvor- und -nachbereitung auszeichne. Er
verfüge über ein ansprechendes militärisches Grundwissen, welches ihn ohne
Probleme befähige, dem während des Lehrgangs vermittelten Stoff zu folgen.
Seine Beiträge seien meist präzise und folgerichtig gewesen. Sein Interesse an
der Ausbildung sei ihm deutlich anzumerken. Er habe notenmäßig im Mittelfeld
abgeschlossen, aber durchweg solide und stabile Leistungen erbracht, die im-
mer das Gefühl vermittelt hätten, man könne sich auf ihn verlassen. Körperlich
sei er voll belastbar. Insgesamt sei er ein tüchtiger Offizieranwärter, der eine
blitzsaubere Berufsauffassung vorweisen könne und dementsprechend auch
seinen Weg als Offizier seiner Truppengattung machen werde. Die Eignung
zum Offizier sei vorhanden.
Der nächsthöhere Vorgesetzte merkte an, der Soldat sei ein Offizieranwärter
mit insgesamt ausreichenden Ergebnissen in der bisherigen lehrgangsgebun-
denen Ausbildung. Mit seinen durchaus vorhandenen Führungseigenschaften
werde er sein Eignungs- und Leistungsbild in der Truppe stabilisieren können.
Er werde sicher ein tüchtiger Offizier werden.
Die Sonderbeurteilung vom 20. Januar 2012 bewertete die Aufgabenerfüllung
auf dem Dienstposten im Durchschnitt mit „6,30“.
Oberfähnrich … sei ein dynamisch auftretender Offizieranwärter, der stets
freundlich und offen im Umgang sei. Im Auftreten sei er jederzeit militärisch kor-
rekt. Freundlichkeit, Loyalität und Ehrlichkeit zeichneten ihn aus. Er leiste als
Kompanieeinsatzführer solide Arbeit im Bereich der Ausbildungsplanung. Seine
Leistungen seien regelmäßig auf hohem Niveau und zur vollen Zufriedenheit
seiner Vorgesetzten. Der seit Oktober 2011 verantwortlich übernommenen Auf-
gabe der Leitung des Lagezentrums des …bataillons begegne er sehr selbst-
ständig. Die erfolgreiche Einsatzvorbereitung sei auch seinem Handeln zu ver-
danken. In Situationen erhöhter Stressintensität agiere er zumeist souverän und
überlegt. Marginal würden Unsicherheiten im Handeln auftreten, die dann nach
außen transparent erschienen. Gelinge es ihm, künftig gelassener an entspre-
chende Situationen heranzugehen, werde er seine sonst umfassend wirkende
Souveränität stringent ausspielen können. Er sei überaus freundlich und zuvor-
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kommend, verfügte über adäquate Umgangsformen und besitze die Fähigkeit,
auf verschiedenste Menschentypen zu- und eingehen zu können. Er wirke stets
authentisch, sei ein angenehmer Gesprächspartner, der sich der Sympathie
seiner Kameraden sicher sein könne. Geistig flexibel denke und handle er auf
ansprechendem Niveau, müsse sich aber teilweise noch deutlicher seiner Wir-
kung, verbunden mit seinem Dienstgrad bewusst werden. Physisch sei er voll
belastbar und erfülle die sportlichen Anforderungen problemlos. Er habe deutli-
ches Entwicklungspotential. Weitere Leistungssteigerungen seien zu erwarten,
wenn es ihm gelinge, seine Verbesserungspotenziale zu nutzen.
Im Persönlichkeitsprofil wurde die soziale Kompetenz als bestimmendes Merk-
mal und als stärker ausgeprägt beurteilt. Gleichfalls stärker ausgeprägt sei die
funktionale Kompetenz. Die geistige Kompetenz und die Kompetenz in Men-
schenführung seien ausgeprägt, während die konzeptionelle Kompetenz weni-
ger ausgeprägt sei.
Für Stabsverwendungen sei der Soldat besonders gut geeignet. Gut geeignet
sei er für Lehrverwendungen und geeignet für Führungsverwendungen.
Der nächsthöhere Vorgesetzte stimmte der Beurteilung des Kompaniechefs
uneingeschränkt zu. Er beschrieb den Soldaten als vielversprechenden Offi-
zieranwärter, der sowohl in seiner Verwendung als Kompanieeinsatzoffizier als
auch als Leiter Lagezentrum sein Potenzial angedeutet habe. Er sei überzeugt,
dass er sich weiterhin positiv entwickeln werde. Er solle in seiner folgenden
Verwendung Zugführer eines NVG/EVG Zuges werden, um so seine Fähigkei-
ten im Bereich der Menschenführung weiter auszubauen. Er prognostiziere dem
Soldaten die allgemeine Laufbahnperspektive.
In der Berufungshauptverhandlung hat der Disziplinarvorgesetzte zum Zeitpunkt
der vorgeworfenen Tat, Oberstleutnant St., ausgeführt, er habe den Soldaten
als Lehrgangsteilnehmer kennengelernt. Als junger Offizieranwärter habe der
Soldat manchmal unüberlegt agiert, sei aber im dienstlichen Bereich immer
bemüht gewesen zu tun, was von ihm verlangt worden sei. Der Soldat habe im
fraglichen Zeitraum ihn belastende Probleme im persönlichen Bereich mit der
Mutter seines Kindes gehabt. Zum Zeitpunkt der vorgeworfenen Tat sei für den
Soldaten kein Lehrgang angesetzt gewesen und er habe auch an keiner weite-
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ren Ausbildung teilnehmen sollen. Das Fernbleiben habe keinerlei Auswirkun-
gen auf den Dienstbetrieb gehabt. Der Soldat sei nur für sich selbst verantwort-
lich gewesen. Wäre er zum Dienst erschienen, hätte er ihn etwa mit der Vorbe-
reitung einer politischen Bildung beschäftigen können. Das Dienstvergehen sei
ihm und dem Inspektionsfeldwebel bekannt geworden. Im Kameradenkreis sei
es nicht diskutiert worden.
Der ehemalige Disziplinarvorgesetzte Hauptmann der Reserve K. beschrieb
den Soldaten als sehr offen, umgänglich, freundlich und liebenswert. In dienstli-
chen Belangen habe er jederzeit gute Arbeit geleistet. Nach seiner Einschät-
zung wahre er aber nicht den für angehende Offiziere gebotenen Abstand zu
den Mannschaftsdienstgraden, mit denen er zum Teil außerdienstlich in der
Freizeit Kontakte pflege. Darauf habe er den Soldaten auch in Personalgesprä-
chen hingewiesen. Von dem Dienstvergehen hätten er und sein Vertreter ge-
wusst. Er habe seine Kenntnis in der Kompanie aber nicht weitergetragen. Dass
der Soldat Probleme mit einer ehemaligen Lebensgefährtin gehabt habe, sei
ihm bekannt gewesen. Diese hätten den Soldaten sehr belastet, auf seine
dienstlichen Leistungen habe dies aber keine Auswirkungen gehabt. Der Soldat
habe die ihm übertragenen Aufgaben verlässlich erledigt, ihm habe lediglich
noch Truppenpraxis gefehlt.
Der Vertreter des aktuellen Disziplinarvorgesetzten des Soldaten, Oberstleut-
nant S., beschrieb die Leistungen des Soldaten als sehr gut. Ihm sei die Leitung
des Einsatzlagezentrums des Bataillons anvertraut. In dieser Funktion unter-
stünden ihm zwei Soldaten. Diese Aufgabe habe er sehr gut und selbstständig
wahrgenommen. Er habe seine Leistungen im Vergleich zu den in der Beru-
fungshauptverhandlung auszugsweise verlesenen Vorbeurteilungen wesentlich
steigern können. Von Schwierigkeiten des Soldaten im familiären Bereich habe
er nur im Gespräch erfahren. Auswirkungen auf den Dienstbetrieb hätten diese
oder die Belastungen durch das Verfahren nicht gehabt.
Der Soldat ist Träger des Leistungsabzeichens in Gold und der Schützenschnur
in Silber.
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Der Auszug aus dem Disziplinarbuch vom 8. August 2012 verweist auf eine am
26. November 2011 durch das Amtsgericht M. verhängte Geldstrafe in Höhe
von 4 000 €. Die Auskunft aus dem Zentralregister vom 8. August 2012 weist
zwei Eintragungen aus: Seit dem 26. November 2011 ist eine Verurteilung zu
einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 50 € durch das Amtsgericht M. vom
7. November 2011 wegen Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in
vier Fällen, Datum der letzten Tat: November 2010, rechtskräftig. Eingetragen
ist weiter ein Suchvermerk des Landkreises Finanzservice/VO P. vom 2. Febru-
ar 2012 „wegen Aufenthaltsermittlung“.
Der Soldat ist ledig und Vater einer 2009 geborenen Tochter.
Nach der Auskunft der Wehrbereichsverwaltung Ost vom 8. August 2012 erhielt
er im September 2012 Bezüge in Höhe von 2 457,39 € brutto. Unter Berück-
sichtigung der gesetzlichen Abzüge und von Pfändungen in Höhe von 306,95 €
wurden ihm tatsächlich 1 753,80 € netto ausgezahlt. Er hat zu seinen wirtschaft-
lichen Verhältnissen in der Berufungshauptverhandlung keine weiteren Anga-
ben gemacht.
II
1. In dem nach Anhörung des Soldaten mit Verfügung des Amtschefs des
Streitkräfteamtes vom 8. Februar 2011 eingeleiteten gerichtlichen Disziplinar-
verfahren hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft dem Soldaten nach Gewährung
des Schlussgehörs mit Anschuldigungsschrift vom 17. Mai 2011 ein Dienstver-
gehen nach § 23 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 7, 17 Abs. 2 Satz 1 2. Alt SG un-
ter den erschwerenden Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 SG zur Last gelegt.
Der Anhörung der Vertrauensperson hatte der Soldat zuvor widersprochen.
Die 5. Kammer des Truppendienstgerichts Nord hat mit Urteil vom 31. August
2011 den Soldaten wegen eines Dienstvergehens in den Dienstgrad eines
Oberfeldwebels (OA) herabgesetzt.
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Ihrer Entscheidung legt die Kammer auf der Grundlage der geständigen Einlas-
sungen des Soldaten und der Angaben des Zeugen Sch. folgende Sachver-
haltsfeststellungen zugrunde:
„Der Soldat war als Offizieranwärter ohne Studium seit dem 01.10.2010
zur …. Inspektion der …schule der Bundeswehr versetzt, wo er auf ei-
nem Schülerdienstposten geführt wurde. Von dort aus erfolgten zahlrei-
che Kommandierungen im Rahmen seiner Offizierausbildung, was zur
Folge hatte, dass sich der Soldat nur selten in seiner ‚Stammeinheit’
... Inspektion aufhielt, da er vorwiegend als Lehrgangsteilnehmer Dienst
leistete. Im November 2010 erlitt der Soldat einen Leistenbruch, der im
Bundeswehrkrankenhaus B. operiert wurde. Im Vorfeld hatte der Soldat
am 19. November 2010 ein Gespräch mit dem Inspektionsfeldwebel der
... Inspektion, dem Zeugen Hauptfeldwebel Sch. . Dabei wurde bespro-
chen, wie die Zeit zwischen Krankschreibung und Jahresende 2010 ge-
staltet werden sollte. Da zu diesem Zeitpunkt noch nicht feststand, wie
lange der Soldat nach der Operation krankgeschrieben würde, wurde
vereinbart, dass sich der Soldat bei der ... Inspektion melden sollte, so-
bald das Ende der Krankschreibung bekannt war. Für den Fall, dass die
Krankschreibung nicht bis zum Jahresende andauern würde, wurde mit
dem Inspektionsfeldwebel vereinbart, dass der Soldat die ihm noch ver-
bleibenden sechs Tage Erholungsurlaub nehmen würde. Der Soldat
unterfertigte einen ‚Blanko’ - Urlaubsantrag, in dem die Tage der konkre-
ten Urlaubsgewährung freigelassen wurden und hinterließ ihn beim In-
spektionsfeldwebel. Dieser sagte ihm ausdrücklich die Gewährung von
sechs Tagen Urlaub zu. Der Inspektionschef, der Zeuge St., billigte im
Nachgang die Urlaubszusage. In dem am 19. November 2010 mit dem
Inspektionsfeldwebel geführten Gespräch war der Soldat ausdrücklich
darauf hingewiesen worden, dass die ihm noch zustehenden sechs Tage
Erholungsurlaub für das Jahr 2010 möglicherweise nicht ausreichen
würden, um die Zeit bis zum Jahresende abzudecken. Nachdem der
Soldat im Bundeswehrkrankenhaus operiert worden war, wurde er zu-
nächst bis zum 10. Dezember 2010 krank geschrieben. Es folgte eine
Wiedervorstellung beim Sanitätszentrum O. und eine anschließende
Krankschreibung bis zum 14. Dezember 2010. Damit hätte der Soldat
spätestens ab 15. Dezember 2010 Dienst in der … Inspektion der
…schule der Bundeswehr in O. leisten oder sich versichern müssen,
dass die folgenden Tage durch die Urlaubsgewährung abgedeckt waren.
Dies tat er jedoch nicht und meldete sich auch sonst nicht beim Inspek-
tionsfeldwebel oder dem Inspektionschef der … Inspektion. Dabei war
dem Soldaten klar, dass ihm nur noch sechs Tage Erholungsurlaub zu-
standen und diese nicht ausreichten, um die Zeit bis zum Jahresende zu
überbrücken. Unter Berücksichtigung dessen, dass dem Soldaten durch
Urlaubsgewährung das Fernbleiben für 6 Tage genehmigt war, unterließ
er es in der Zeit vom 15. Dezember 2010 bis 30. Dezember 2010 an ins-
gesamt 5 Tagen seinen Dienst in der ... Inspektion der …schule der Bun-
deswehr in O. zu versehen. Der Soldat entschied sich in Kenntnis seiner
Dienstleistungspflicht bewusst dafür, sich nicht in seiner Einheit zu mel-
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den oder mit seinen Vorgesetzten Kontakt aufzunehmen. Damit wollte er
ein Pendeln zwischen M. und seiner Dienststelle vermeiden."
Der Angeschuldigte habe trotz des nicht dem § 41 Abs. 1 SG entsprechenden
Wortlautes seiner Ernennungsurkunde mit Inkrafttreten des § 41 Abs. 5 SG in
der Fassung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes den Soldatenstatus inne
gehabt.
Der Soldat habe durch sein Fernbleiben vom Dienst vorsätzlich ein Dienstver-
gehen begangen, indem er seine Pflichten zum treuen Dienen (§ 7 SG) und zu
achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten im dienstlichen Bereich (§ 17
Abs. 2 Satz 1 2. Alt SG) verletzt habe.
Das Dienstvergehen wiege schwer, da zentrale Pflichten eines Soldaten verletzt
seien, die hohe Bedeutung für die Erfüllung der Aufgaben der Bundeswehr und
die Einsatzbereitschaft der Truppe hätten. Dass der Soldat der Inspektion nicht
zur Verfügung gestanden habe, habe wegen des dort ruhenden Dienstbetriebes
aber keine nennenswerten Auswirkungen gehabt. Das Maß der Schuld sei
durch den Vorsatz gekennzeichnet. Die Folgen der Trennung des Soldaten von
seiner Freundin begründeten keine Milderungsgründe in den Umständen der
Tat. Maßnahmemildernd könnten aber Defizite bei der Dienstaufsicht berück-
sichtigt werden. Hier sei die tägliche Kontrolle der Anwesenheit des Personals
versäumt und nicht Rücksprache mit dem länger als abgesprochen abwesen-
den Soldaten genommen worden, sodass das Dienstvergehen unentdeckt
blieb. Der Soldat sei disziplinar- und strafrechtlich nicht vorgeahndet. Er habe
zumindest durchschnittliche Leistungen erbracht. Von einer Nachbewährung sei
nicht zu sprechen. Er habe sich geständig eingelassen und Unrechtsbewusst-
sein gezeigt. Beweggrund seines Fehlverhaltens sei Bequemlichkeit gewesen.
2. Gegen das ihr am 12. September 2011 zugestellte Urteil hat die Wehrdiszi-
plinaranwaltschaft am 10. Oktober 2011 beschränkt auf die Bemessung der
Disziplinarmaßnahme Berufung eingelegt.
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Zwar verstoße die ausgesprochene Degradierung nicht gegen ein direktes ge-
setzliches Verbot. Sie durchbreche aber die Grundregel, in der Laufbahn zu
degradieren. Nach § 24 SLV müsse der Soldat als Offizieranwärter des Trup-
pendienstes den Dienstgrad, in den er degradiert worden sei, nicht durchlaufen.
Dieser Dienstgrad werde nach § 29 oder § 40 SLV nur Soldaten aus der Feld-
webellaufbahn zuerkannt, die zur Laufbahn der Offiziere des Truppendienstes
oder des militärfachlichen Dienstes zugelassen worden seien. Der durch die
ausgesprochene Degradierung erweckte irrige Eindruck über den dienstlichen
Werdegang des Soldaten konterkariere das Erziehungsziel des Disziplinarver-
fahrens. Eine Degradierung zum Fähnrich sei nach den finanziellen Auswirkun-
gen nicht unangemessen.
III
Die gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 WDO form-
und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und zugunsten des Soldaten
auch begründet.
Das von der Wehrdisziplinaranwaltschaft eingelegte Rechtsmittel ist auf die
Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkt eingelegt worden. Der Senat
hat daher gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO in Verbindung mit § 327 StPO die
Tat- und Schuldfeststellungen sowie die disziplinarrechtliche Würdigung des
Truppendienstgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Dass die Wehr-
disziplinaranwaltschaft zu ungunsten des Soldaten Berufung mit dem Ziel der
Verschärfung der Maßnahme eingelegt hat, steht einer Milderung der Maßnah-
me zu seinen Gunsten nicht entgegen, da nach § 91 Abs. 1 WDO in Verbin-
dung mit § 301 StPO das Rechtsmittel auch als zu seinen Gunsten eingelegt
gilt (Urteile vom 25. Juli 1990 - BVerwG 2 WD 16.89 - BVerwGE 86, 309 <310>
und vom 13. September 2011 - BVerwG 2 WD 15.10 - Buchholz 450.2 § 38
WDO 2002 Nr. 33 Rn. 21).
1. Das Truppendienstgericht hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, dass der
Soldat nach dem Ende seiner Krankschreibung am 14. Dezember 2010 bis zum
30. Dezember 2010 nicht in der … Inspektion der …schule der Bundeswehr
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Dienst tat, obwohl er - was er wusste - für diesen Zeitraum nur noch sechs Ta-
ge Urlaub genehmigt bekommen hatte, sodass er an fünf Tagen hätte Dienst
leisten müssen. In rechtlicher Hinsicht hat es diesen Sachverhalt als vorsätzli-
che Verletzung der Dienstpflichten aus §§ 7, 17 Abs. 2 Satz 1 2. Alt SG gewer-
tet.
Diese Schuldfeststellungen sind eindeutig und widerspruchsfrei und für den Se-
nat damit bindend. Ob die Tat- und Schuldfeststellungen vom Truppendienstge-
richt rechtsfehlerfrei getroffen wurden, darf vom Senat nicht überprüft werden.
Denn bei einer auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkten Be-
rufung wird der Prozessstoff nicht mehr von der Anschuldigungsschrift, sondern
nur von den bindenden Tat- und Schuldfeststellungen des angefochtenen Ur-
teils bestimmt.
2. Von der Beschränkung der Berufung unberührt bleibt die Prüfung der Pro-
zessvoraussetzungen und möglicher Verfahrenshindernisse (Dau, WDO, 5.
Auflage, § 116 Rn. 20). Das Truppendienstgericht geht zutreffend davon aus,
dass dem Verfahren nicht das Hindernis einer unwirksamen Begründung des
Soldatenverhältnisses entgegensteht.
Zwar entspricht der Text der Ernennungsurkunde nicht dem durch § 41 Abs. 1
Satz 2 Nr. 1 bzw. Satz 3 SG vorgegebenen Wortlaut. Allerdings greift hier die
Heilungsvorschrift des § 41 Abs. 5 SG ein, die durch das Dienstrechtsneuord-
nungsgesetz vom 5. Februar 2009 in das Soldatengesetz eingefügt wurde. Die-
ses trat mit Wirkung vom 12. Februar 2009 in Kraft. Hiernach soll die Ernen-
nung „als von Anfang an in der beabsichtigten Form wirksam“ gelten, wenn sich
aus der Urkunde oder dem Akteninhalt eindeutig ergibt, dass die zuständige
Stelle in Übereinstimmung mit den hierfür bestehenden Voraussetzungen das
Verhältnis eines Soldaten auf Zeit begründen wollte. An einem entsprechenden
Willen der zuständigen Stelle und dem Vorliegen der sonstigen Voraussetzun-
gen bestehen keine Zweifel. Da vorliegend die vorgeworfene Dienstpflichtver-
letzung nach dem Inkrafttreten des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes liegt,
stellt sich auch nicht die Frage, ob der Soldat verfassungsrechtlich zulässig
rückwirkend einem Pflichtenregime unterstellt werden darf, das er in einem ab-
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geschlossenen Zeitraum der Vergangenheit nicht beachtet hat und dessen Be-
achtung er unmöglich nachholen kann.
wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen.
Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen
Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten („Wiederherstel-
lung und Sicherung der Integrität, des Ansehens und der Disziplin in der Bun-
deswehr“, vgl. dazu Urteil vom 11. Juni 2008 - BVerwG 2 WD 11.07 - Buchholz
450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26 m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinarmaß-
nahme sind nach § 58 Abs. 7 in Verbindung mit § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und
Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld,
die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten
zu berücksichtigen.
a) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Un-
rechtsgehalt der Verfehlungen, d.h. nach der Bedeutung der verletzten Dienst-
pflichten. Danach wiegt das Dienstvergehen schwer.
Das Schwergewicht der Verfehlung liegt in der Verletzung der Pflicht zum treu-
en Dienen (§ 7 SG). Sie gehört zu den zentralen Pflichten eines Soldaten. Ihre
Verletzung ist in der Regel schon deshalb von erheblicher Bedeutung. Ein Sol-
dat, der der Truppe unerlaubt fernbleibt, versagt im Kernbereich seiner Dienst-
pflichten. Gerade bei einem aufgrund freiwilliger Verpflichtung berufenen Sol-
daten gehören Anwesenheit und Dienstleistung zu den zentralen Dienstpflich-
ten. Die Bundeswehr kann die ihr obliegenden Aufgaben nur dann hinreichend
erfüllen, wenn nicht nur das innere Gefüge der Streitkräfte so gestaltet ist, dass
sie ihren militärischen Aufgaben gewachsen ist, sondern auch ihre Angehörigen
im erforderlichen Maße jederzeit präsent und einsatzbereit sind. Der Dienstherr
muss sich darauf verlassen können, dass jeder Soldat seinen Pflichten zur
Verwirklichung des Verfassungsauftrages der Bundeswehr nachkommt und al-
les unterlässt, was dessen konkreter Wahrnehmung zuwiderläuft. Dazu gehö-
ren insbesondere die Pflichten zur Anwesenheit und gewissenhaften Dienstleis-
tung (vgl. z.B. Urteile vom 26. Januar 2006 - BVerwG 2 WD 2.05 - Buchholz
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449 § 7 SG Nr. 50 - und vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - Buchholz
450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 5).
Aber auch die Verletzung der Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem
Verhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) wiegt schwer. Die Pflicht zur Wahrung von
Achtung und Vertrauen ist kein Selbstzweck, sondern hat funktionalen Bezug
zur Erfüllung des grundgesetzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und zur Ge-
währleistung des militärischen Dienstbetriebs. Ein Soldat, insbesondere - wie
hier - ein Vorgesetzter, bedarf der Achtung seiner Kameraden und Untergebe-
nen sowie des Vertrauens seiner Vorgesetzten, um seine Aufgaben so zu erfül-
len, dass der gesamte Ablauf des militärischen Dienstes gewährleistet ist. Da-
bei kommt es nicht darauf an, ob eine Beeinträchtigung der Achtungs- und Ver-
trauenswürdigkeit tatsächlich eingetreten ist, sondern nur darauf, ob das fest-
gestellte Verhalten dazu geeignet war (stRspr, z.B. Urteile vom 13. Januar 2011
- BVerwG 2 WD 20.09 - juris Rn. 27 m.w.N. und vom 4. Mai 2011 - BVerwG
2 WD 2.10 - juris Rn. 29
WDO 2002 Nr. 5>). Dies war hier der Fall.
Eigenart und Schwere des Dienstvergehens werden hier des Weiteren dadurch
bestimmt, dass der Soldat aufgrund seines Dienstgrades als Oberfähnrich in
einem Vorgesetztenverhältnis stand (§ 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 SG i.V.m. § 4
Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 VorgV). Soldaten in Vorgesetztenstellung obliegt eine hö-
here Verantwortung für die Wahrung dienstlicher Interessen. Wegen seiner he-
rausgehobenen Stellung ist ein Vorgesetzter in besonderem Maße für die ord-
nungsgemäße Erfüllung seiner Dienstpflichten verantwortlich und unterliegt
damit im Falle einer Pflichtverletzung einer verschärften Haftung, da Vorgesetz-
te in ihrer Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben sollen (§ 10 Abs. 1
SG). Dabei ist nicht erforderlich, dass es der Soldat bei seinem Fehlverhalten
innerhalb eines konkreten Vorgesetztenverhältnisses an Beispielhaftigkeit hat
fehlen lassen. Es reicht das Innehaben einer Vorgesetztenstellung aufgrund
des Dienstgrades aus (vgl. Urteile vom 25. Juni 2009 - BVerwG 2 WD 7.08 -
m.w.N.
Nr. 29>, vom 13. Januar 2011 – BVerwG 2 WD 20.09 - juris Rn. 28 und vom
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4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - juris Rn. 30
Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 5>).
b) Das Dienstvergehen hatte keinerlei nachteilige Auswirkungen auf den
Dienstbetrieb, wie der Disziplinarvorgesetzte des Soldaten zum Zeitpunkt der
Verfehlung in der Berufungshauptverhandlung erläuterte. Dem Soldaten waren
in seiner Stammeinheit keine Aufgaben übertragen, die in seiner Abwesenheit
ein Kamerad als sein Vertreter erledigen musste. Er hat keinen Lehrgang ver-
säumt oder einen ansonsten für ihn vorgesehenen Teil seiner Ausbildung.
Vielmehr hätte sein damaliger Disziplinarvorgesetzter für ihn, wäre er zum
Dienst erschienen, erst nach einer sinnvollen Beschäftigung suchen müssen.
Das Dienstvergehen ist auch nicht einem größeren Kreis an Kameraden be-
kannt geworden, sondern nur den Personen, die mit Personalangelegenheiten
befasst oder mit den disziplinarischen Ermittlungen betraut waren.
c) Die Beweggründe des Soldaten sprechen gegen ihn. Er hat aus Bequemlich-
keit gehandelt, um sich die Fahrten von M. nach Br. zu ersparen und gemein-
same Tage mit seiner Freundin verbringen zu können.
d) Das Maß der Schuld wird durch das vorsätzliche Handeln des voll schuldfä-
higen Soldaten bestimmt.
Milderungsgründe in den Umständen der Tat (vgl. z.B. Urteil vom 23. Septem-
ber 2008 - BVerwG 2 WD 18.07 - m.w.N.) liegen nicht vor.
Insbesondere ist das Dienstvergehen nicht durch ein Mitverschulden des
Dienstherrn in der Form einer mangelhaften Dienstaufsicht verursacht worden.
Dieser Milderungsgrund steht einem Soldaten nur dann zur Seite, wenn er der
Dienstaufsicht bedarf, z.B. in einer Überforderungssituation, die ein hilfreiches
Eingreifen des Vorgesetzten erforderlich macht (vgl. z.B. Urteile vom 13. März
2003 -- Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 2 und vom
13. Januar 2011 - BVerwG 2 WD 20.09 - juris Rn. 37). Ein solcher Fall liegt hier
nicht vor, da der Soldat wusste, keine ausreichende Zahl von Urlaubstagen
mehr zu haben, um den Zeitraum zwischen seiner Krankschreibung und dem
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Jahresende vollständig abzudecken. Dass eine unterbliebene Kontrolle das
Dienstvergehen begünstigt oder erst ermöglicht hat, dass es in diesem Ausmaß
begangen worden ist, mindert für sich genommen die Eigenverantwortung des
Soldaten noch nicht (vgl. Urteile vom 10. September 2009 - BVerwG 2 WD
28.08 - Rn. 31 und vom 15. März 2012 - BVerwG 2 WD 9.11 - juris Rn. 23).
Der Soldat hat auch nicht in einer seelischen Ausnahmesituation (vgl. dazu z.B.
Urteil vom 16. Oktober 2002 - BVerwG 2 WD 23.01, 32.02 - BVerwGE 117, 117
<124> = Buchholz 236.1 § 13 SG Nr. 9 m.w.N.) gehandelt. Die in der Beru-
fungshauptverhandlung angehörten (ehemaligen) Disziplinarvorgesetzten be-
richteten zwar von privaten Problemen mit der ehemaligen Lebensgefährtin des
Soldaten. Der Soldat hat in der Berufungshauptverhandlung auf Nachfrage aber
selbst ausgeführt, in der fraglichen Zeit habe er keine Streitigkeiten mit der Mut-
ter seiner Tochter ausgetragen. Er habe mit seiner neuen Freundin „ein biss-
chen abschalten“ wollen.
e) Im Hinblick auf die Zumessungskriterien „Persönlichkeit“ und „bisherige Füh-
rung“ ist dem Soldaten zugute zu halten, dass er schon im Schlussgehör wie
auch in der truppendienstgerichtlichen Hauptverhandlung und der Berufungs-
hauptverhandlung seine Unrechtseinsicht deutlich gemacht hat und sich ge-
ständig eingelassen hat. Für ihn spricht auch, dass er seine Leistungen in sei-
ner aktuellen Verwendung wesentlich steigern konnte und sich trotz der Belas-
tungen des Verfahrens in einer verantwortungsvollen Position, die selbstständi-
ges Handeln verlangt und mit der Verantwortung für unterstellte Soldaten ver-
bunden ist, bewährt hat. Wegen der Erläuterungen des Zeugen Oberstleutnant
S. geht der Senat von einer Nachbewährung des Soldaten im Laufe des Beru-
fungsverfahrens aus.
f) Bei der Gesamtwürdigung aller vorgenannten be- und entlastenden Umstän-
de ist im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die
Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts die Verhängung eines längeren Be-
förderungsverbotes erforderlich und auch noch angemessen.
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Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in sei-
ner gefestigten Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 10. Februar 2010 - BVerwG
2 WD 9.09 - juris) von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:
aa) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbe-
handlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen
Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regel-
maßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als „Ausgangspunkt der Zu-
messungserwägung“.
Vorliegend ist auf dieser ersten Stufe für Fälle des (vorsätzlichen) eigenmächti-
gen Fernbleibens eines Soldaten von der Truppe aus spezial- und generalprä-
ventiven Gründen bei kürzerer unerlaubter Abwesenheit nach der Rechtspre-
chung des Senats Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen grundsätzlich
eine Dienstgradherabsetzung, gegebenenfalls bis in den Mannschaftsdienst-
grad; bei länger dauernder, wiederholter eigenmächtiger Abwesenheit oder
Fahnenflucht ist das Dienstvergehen so schwerwiegend, dass es regelmäßig
die Entfernung aus dem Dienstverhältnis oder den Ausspruch der sonst gebo-
tenen Höchstmaßnahme indiziert (vgl. Urteil vom 4. September 2009 - BVerwG
2 WD 17.08 - juris m.w.N.
und Buchholz 450.2 § 13 WDO 2002 Nr. 1>).
Hier liegt mit fünf Tagen noch eine kürzere eigenmächtige Abwesenheit auf der
Grundlage eines einzigen Tatentschlusses und ohne eine Fahnenflucht nach
§ 16 WStG begründende Absicht vor, sodass Ausgangspunkt der Zumes-
sungserwägungen die Dienstgradherabsetzung ist.
blick auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die
Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die die Möglich-
keit einer Milderung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten
Regelmaßnahme eröffnen. Dabei ist vor allem angesichts der Eigenart und
Schwere des Dienstvergehens sowie dessen Auswirkungen zu klären, ob es
sich angesichts der be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittle-
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ren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mitt-
lerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber
dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die zu verhängende Diszipli-
narmaßnahme nach „oben“ bzw. nach „unten“ zu modifizieren. Für die „Eigenart
und Schwere des Dienstvergehens“ kann z.B. von Bedeutung sein, ob der Sol-
dat eine herausgehobene Dienststellung hatte, einmalig oder wiederholt oder in
einem besonders wichtigen Pflichtenbereich versagt hat. Bei den Auswirkungen
des Fehlverhaltens sind die konkreten Folgen für den Dienstbetrieb sowie
schädliche Weiterungen für das Außenbild der Bundeswehr in der Öffentlichkeit
zu berücksichtigen. Hinsichtlich des Zumessungskriteriums „Maß der Schuld“
hat der Senat neben der Schuldform und der Schuldfähigkeit das Vorliegen von
Erschwerungs- und Milderungsgründen in den Tatumständen in Betracht zu
ziehen.
Der vorliegende Fall ist von Besonderheiten gekennzeichnet, die es erlauben,
von einem leichten Fall einer Dienstpflichtverletzung zu sprechen und zu der
gegenüber der Dienstgradherabsetzung geringeren Maßnahme des Beförde-
rungsverbotes nach § 58 Abs. 1 Nr. 2, § 60 WDO überzugehen.
Zunächst ist zugunsten des Soldaten davon auszugehen, dass die Vorausset-
zungen des § 15 WStG nicht vorliegen, sodass kriminelles Unrecht nicht ver-
wirklicht ist und die Dauer des Dienstvergehens nicht schon deshalb schwer
wiegt, weil sie eine Wehrstraftat begründen würde. Denn das Truppendienstge-
richt hat entsprechend der Anschuldigungsschrift ein Fernbleiben vom Dienst
an fünf konkret nicht bestimmbaren Werktagen festgestellt. § 15 Abs. 1 WStG
ist nur dann erfüllt, wenn eine Abwesenheit an drei ununterbrochen hinterei-
nander folgenden Tagen in Rede steht (vgl. Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz,
§ 15 Rn. 13). Dies kann nicht festgestellt werden, wenn - wie hier - unklar bleibt,
an welchen konkreten Tagen der Soldat eigenmächtig seinem Dienst fern blieb.
Hinzu kommt, dass die Dienstpflichtverletzung im konkreten Zeitraum und in der
besonderen Verwendung des Soldaten überhaupt keine Folgen für den Dienst-
betrieb oder den Fortgang seiner Ausbildung gehabt hatte. Es sind keine Auf-
gaben unerledigt geblieben, die dem Soldaten übertragen worden waren. Für
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ihn war zum fraglichen Zeitraum keine Ausbildung angesetzt. Er musste nicht
durch einen Kameraden vertreten werden. Wäre er erschienen, hätte sein Vor-
gesetzter erst nach einer sinnvollen Beschäftigung für ihn suchen müssen. Die-
se Besonderheiten unterscheiden den Fall erheblich vom durchschnittlichen Fall
einer unerlaubten Abwesenheit, in der die Abwesenheit eines Soldaten regel-
mäßig zumindest zu einer Mehrbelastung von Kameraden führt.
Zugunsten des Soldaten ist weiter die wesentliche Leistungssteigerung noch
während des laufenden Disziplinarverfahrens zu berücksichtigen. Diese Nach-
bewährung verleiht der im Verfahren kontinuierlich geäußerten Unrechtseinsicht
Überzeugungskraft, weil hiermit auch die Bereitschaft dokumentiert wird, künftig
Dienstpflichten - wie von § 10 Abs. 1 SG gefordert - beispielhaft zu erfüllen.
Damit ist eine Grundlage für eine positive Prognose zur weiteren Leistungsent-
wicklung gelegt und das Maß der für eine wirksame Einwirkung auf den Sol-
daten erforderlichen Pflichtenmahnung herabgesetzt.
Zugunsten des Soldaten zu berücksichtigen ist auch, dass das laufende gericht-
liche Disziplinarverfahren wegen seiner konkreten Folgen für den Soldaten be-
reits nachdrücklich pflichtenmahnende Wirkung hatte. Dem Soldaten ist wegen
der laufenden Vorermittlungen die bereits in seiner Personalakte befindliche
Urkunde über die Ernennung zum Leutnant nicht ausgehändigt worden. Außer-
dem unterlag er während des Verfahrens bereits einem faktischen Beförde-
rungsverbot. Er hat damit durch das Verfahren als solches erhebliche Nachteile
in seinem beruflichen Fortkommen erlitten, die geeignet sind, ihm die Pflichtwid-
rigkeit seines Handelns vor Augen zu führen, kommen sie in ihrer Wirkung doch
einer Dienstgradherabsetzung bereits sehr nahe.
Der Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwaltes hat zutreffend darauf hinge-
wiesen, dass der Soldat im Rahmen der Absprache mit dem Inspektionsfeldwe-
bel bzw. seinem Disziplinarvorgesetzten über die Gestaltung seiner Dienstzei-
ten zwischen dem Ende seiner Krankschreibung und dem Jahresende Vertrau-
en in Anspruch genommen und durch die Dienstpflichtverletzung enttäuscht
hat. Der Senat bewertet diesen Umstand aber nicht als zusätzlich erschweren-
den Gesichtspunkt. Denn das Dienstvergehen einer unerlaubten Abwesenheit
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ist typischerweise mit dem Missbrauch von Vertrauen des Disziplinarvorgesetz-
ten darauf verbunden, dass ein Soldat seiner Anwesenheitspflicht eigenverant-
wortlich nachkommt, ohne dass dies täglicher Anwesenheitskontrollen und
engmaschiger Überwachung der Berechtigung von Abwesenheitszeiten bedürf-
te. Das Dienstvergehen des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst erhält sein
Gewicht gerade durch den Missbrauch dieses Vertrauens in den eigenständi-
gen und verantwortlichen Umgang der einzelnen Soldaten mit ihrer Anwesen-
heitspflicht, auf die die Streitkräfte schon wegen der Notwendigkeit einer prakti-
kablen Handhabung der Dienstaufsicht in diesem Bereich angewiesen sind.
Gerade weil der Missbrauch von Vertrauen in einem nur mit hohem Verwal-
tungsaufwand engmaschig zu überwachenden Bereich leicht möglich ist, bedarf
es aus generalpräventiven Gründen vor dem Hintergrund der Zwecke des Dis-
ziplinarverfahrens der vergleichsweise harten Sanktion der Dienstgradherab-
setzung schon bei kurzzeitigen unerlaubten Abwesenheiten. Ein das Dienstver-
gehen typischerweise kennzeichnender und deshalb bei der Bestimmung des
Ausgangspunktes der Zumessungserwägungen bereits berücksichtigter Um-
stand kann aber nicht zugleich ein das Gewicht der Verfehlung zusätzlich er-
schwerender Aspekt sein.
Vor diesem Hintergrund hält der Senat ein längeres Beförderungsverbot am
oberen Rand des Rahmens des § 60 Abs. 2 Satz 1 WDO für noch ausreichend,
um dem Soldaten die hohe Bedeutung seiner Pflichtverletzung über einen län-
geren Zeitraum spürbar werden zu lassen und auf ihn erzieherisch einzuwirken.
Der Umstand, dass der Soldat damit im Ergebnis für seine Kameraden erkenn-
bar eine ungewöhnlich lange Zeit im Dienstgrad eines Oberfähnrichs verbringen
wird, verleiht der Maßnahme auch eine Sichtbarkeit nach außen. Damit ist auch
generalpräventiven Aspekten angemessen Rechnung getragen und dem Ein-
druck vorgebeugt, das Fernbleiben vom Dienst sei eine Pflichtverletzung von
geringerer Bedeutung. Um diesem Eindruck entgegenzuwirken, bemisst der
Senat die Dauer des Beförderungsverbotes zudem länger als für den Fall einer
Dienstgradherabsetzung durch § 62 Abs. 3 Satz 1 WDO vorgesehen.
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§ 17 Abs. 4 WDO steht der Verhängung eines Beförderungsverbotes schon we-
gen der Einleitung des Verfahrens im Februar 2011 (§ 17 Abs. 5 WDO) nicht
entgegen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 139 Abs. 1 Satz 2, § 140 Abs. 3 Satz 1
und 2 WDO.
Dr. von Heimburg
Dr. Langer
Dr. Eppelt
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