Urteil des BVerwG vom 12.07.2012

Soldat, Rechtskräftiges Urteil, Polizei, Dienstverhältnis

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 31.11
TDG N 8 VL 19/10
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
Herrn Obermaat …,
…,
…,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 12. Juli 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Burmeister,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
ehrenamtlicher Richter Kapitän zur See Ackermann und
ehrenamtlicher Richter Obermaat Moritz,
Leitender Regierungsdirektor …
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt …,
als Pflichtverteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin …
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:
- 2 -
Auf die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft wird das
Urteil der 8. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom
26. September 2011 im Ausspruch über die Rechtsfolge
geändert.
Der Soldat wird wegen eines Dienstvergehens aus dem
Dienstverhältnis entfernt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens sowie die dem Sol-
daten hierin erwachsenen notwendigen Auslagen werden
ihm auferlegt.
G r ü n d e:
I
Der 1982 geborene und über den Realschulabschluss verfügende Soldat trat
Anfang 2005 erneut in die Bundeswehr als Unteroffizieranwärter ein, nachdem
er zuvor erfolgreich zum Teilezurichter ausgebildet worden war und 2003
Grundwehrdienst geleistet hatte. Am 6. Januar 2005 erfolgte die Berufung in
das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit. Die Dienstzeit des zuletzt im Fe-
bruar 2007 zum Obermaat beförderten Soldaten würde regulär am 31. März
2013 enden.
Der der Verwendungsreihe „Unterwasseroperationsdienst“ angehörende Soldat
bestand den allgemeinmilitärischen Teil des Unteroffizierlehrganges sowie den
fachspezifischen Maatenlehrgang jeweils mit „befriedigend“. Nachdem er zum
31. Oktober 2005 auf eine Fregatte versetzt worden war, wechselte er im Janu-
ar 2007 zur AußensteIle des Ausbildungszentrums für Uboote. Seit Dezember
2009 wurde er in der Personalergänzung … in W. verwendet. Er strebt an, im
Rahmen der seit Januar 2012 in Anspruch genommenen berufsfördernden
Maßnahmen an der Bundeswehrfachschule das Abitur nachzuholen.
In der einzigen planmäßigen Beurteilung vom 14. Dezember 2006 erhielt der
Soldat sechsmal die Wertungsstufe „3“, viermal die Wertungsstufe „4“ und ein-
mal die Wertungsstufe „5“, woraus sich ein Durchschnitt von „3,55“ ergibt. Er-
gänzend ist ausgeführt, der Soldat habe aufgrund seiner sehr kurzen Verwen-
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dung an Bord zwar kein ausgeprägtes Leistungsbild zeigen können, gleichwohl
seien gute Anlagen, insbesondere bei der Einsatzbereitschaft, Eigenständigkeit
und Auffassungsgabe, erkennbar. Er besitze ein gutes geistiges Potential sowie
eine gute Auffassungsgabe, was ihm den Einstieg in den neuen Dienstposten
erleichtert habe. An seinem beruflichen Selbstverständnis müsse er jedoch
noch arbeiten. Der nächsthöhere Vorgesetzte stimmte dem zu.
Der in der Hauptverhandlung vor dem Truppendienstgericht als Leumundszeu-
ge vernommene frühere nächste Disziplinarvorgesetzte, Kapitänleutnant K., er-
klärte, er wisse nichts Näheres vom Soldaten. Er habe ihn aufgrund der in der
Personalergänzung herrschenden Zustände selten persönlich erlebt. Der Soldat
habe unauffällig seinen Dienst versehen, Klagen über ihn habe es nicht gege-
ben. Eine nachhaltige und sinnvolle Beschäftigung des Soldaten sei unmöglich
gewesen, weil sich eine Verwendung als Sonarmaat wegen der aberkannten
Sicherheitsstufe verboten habe. Diese Aussage wurde in der Berufungshaupt-
verhandlung verlesen.
In der Sonderbeurteilung vom 11. November 2011 erhielt der Soldat (unter Zu-
grundelegung der Höchstnote „9“) im Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung
„2,86“. Für die Einzelmerkmale wurde zweimal die Wertungsstufe „2“, fünfmal
die Wertungsstufe „3“ und einmal die Wertungsstufe „4“ vergeben. Im Übrigen
ist ausgeführt, anlässlich der Tätigkeit auf der Fregatte … habe sich der Soldat
im täglichen Dienstbetrieb eher zurückhaltend gezeigt. Er sei stets freundlich
und höflich gewesen, sein militärisches Auftreten habe zu Beanstandungen kei-
nen Anlass gegeben, ansonsten habe er sich bis auf die versuchten Täuschun-
gen neutral verhalten, sodass über ihn weder etwas herausgehoben Positives
noch Negatives zu berichten sei. Der Soldat schwimme mit der Masse und sei
in die Dienstgruppe der Unteroffiziere ohne Portepee voll integriert. Das fachli-
che Leistungsvermögen des Soldaten könne nicht verlässlich bewertet werden,
weil er nicht sicherheitsempfindlich einsetzbar gewesen sei.
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- 4 -
In der Berufungshauptverhandlung hat der jetzige Disziplinarvorgesetzte des
Soldaten, Hauptmann H., ausgeführt, der Soldat versehe im Rahmen der be-
rufsfördernden Maßnahme seinen Dienst unauffällig; er könne über ihn weder
Negatives noch Positives berichten. Der Soldat nehme täglich am Unterricht
teil, weise keine Fehlzeiten auf und bewege sich leistungsmäßig im mittleren
Bereich. Der eigentliche Kurs beginne allerdings noch, wobei er keine Zweifel
daran habe, dass der Soldat das Ziel der Maßnahme auch erreichen werde.
Den Vorkurs habe der Soldat bestanden; ansonsten lägen ihm für eine Leis-
tungsbeurteilung keine weiteren Grundlagen vor. Er, der Disziplinarvorgesetzte,
beaufsichtige bis zu 500 Soldaten und kontrolliere sie engmaschig; eine unent-
schuldigte Abwesenheit würde ihm fünf Minuten später gemeldet werden. Von
den disziplinarischen Verfehlungen seien ihm bislang nur die Fälschungen der
Krankenmeldescheine bekannt gewesen; von den weiteren Verfehlungen habe
er auch in einem mit dem Soldaten im März 2012 geführten Gespräch nichts er-
fahren.
Der Disziplinarbuchauszug des Soldaten vom 2. April 2012 weist aus:
1. Strenger Verweis vom 17. März 2005 wegen Missach-
tung eines Vorgesetzten;
2. Disziplinarbuße in Höhe von 750 € vom 20. Juni 2006
wegen unerlaubter Abwesenheit;
3. Disziplinarbuße in Höhe von 1.500 € vom 2. August
2007 wegen „Taufe“ eines Soldaten;
4. Strenger Verweis vom 4. Juli 2008 wegen verspäteten
Dienstantritts;
5. Rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts O. vom 10. Au-
gust 2009 wegen gefährlicher Körperverletzung. Ver-
hängt wurde eine zur Bewährung ausgesetzte Frei-
heitsstrafe von acht Monaten;
6. Rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts B. vom 8. De-
zember 2010 wegen gemeinschaftlicher Beleidigung.
Verhängt wurde eine Geldstrafe von siebzig Tagessät-
zen zu je 30 €;
7. Rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts W. vom 16. Mai
2011 wegen dreifacher Urkundenfälschung und zweifa-
cher eigenmächtiger Abwesenheit. Verhängt wurde ei-
ne - nachträglich - zur Bewährung ausgesetzte Frei-
heitsstrafe von sieben Monaten.
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Die letztgenannten drei strafgerichtlichen Verurteilungen weist auch die Aus-
kunft aus dem Zentralregister vom 27. März 2012 aus.
Die Personalakte des Soldaten enthält unter dem 3. August 2006 den ausdrück-
lichen Hinweis der Stammdienststelle der Marine (SDM), bei einem weiteren
Dienstvergehen habe der Soldat mit der fristlosen Entlassung zu rechnen; die
Disziplinarbuße vom 2. August 2007 wurde später darin einbezogen.
Das zunächst - unter Ziffer 2 der Anschuldigungsschrift - sachgleich angeschul-
digte staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körper-
verletzung wurde vom Amtsgerichts O. im März 2010 gemäß § 154 Abs. 2
StPO eingestellt.
Der ledige Soldat erhält Nettodienstbezüge in Höhe von 1721,08 €. Davon hat
er 420 € für Warmmiete, 200 € für einen noch drei Monate laufenden Anschaf-
fungskredit und etwa 280 € für sonstige Ausgaben (Versicherungen, Telefon
etc.) zu begleichen.
II
1. In dem durch Verfügung des Befehlshabers der Flotte vom 14. Juni 2010
eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren und auf der Grundlage der An-
schuldigungsschrift vom 15. Juli 2010 sowie der Nachtragsanschuldigungs-
schriften vom 20. Juli 2011 und 26. September 2011 sowie unter Ausklamme-
rung der unter Ziffer 2 der Anschuldigungsschrift behaupteten Pflichtverletzung
hat das Truppendienstgericht Nord mit Urteil vom 26. September 2011 den in
der Hauptverhandlung anwaltlich vertretenen Soldaten in den Dienstgrad eines
Obergefreiten herabgesetzt. In der Hauptverhandlung hatte der Soldat zur An-
schuldigung, sich ein Fernbleiben vom Dienst erschlichen zu haben, unter an-
derem ausgeführt, ihm sei langweilig gewesen, er habe „keinen Bock auf diesen
ganzen Mist“ gehabt.
2. Zur Begründung hat das Truppendienstgericht im Wesentlichen ausgeführt:
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a) Durch den - gemäß Ziffer 1 der Anschuldigungsschrift - angeschuldigten
Faustschlag des Soldaten in das Gesicht des Geschädigten … habe der Soldat
vorsätzlich die ihm obliegende Pflicht verletzt, sich gem. § 17 Abs. 2 Satz 2 SG
außer Dienst und außerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen so zu
verhalten, dass die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung
erforderten, nicht ernsthaft beeinträchtigt würden. Der Sachverhalt stehe auf-
grund folgender Feststellungen im rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts O.
vom 10. August 2009, von denen sich zu lösen kein Anlass bestehe, fest:
„Am 07. Januar 2009 begab sich der Angeklagte mit sei-
nem Bruder, dem gesondert verfolgten S. von W. aus
nach O., um sich dort ein Hallenfußballturnier anzuschau-
en. Er trug ein T-Shirt mit dem deutlich sichtbaren Auf-
druck „Kat-C“. Dies ist die Abkürzung für „Kategorie C“ in
der von der Polizei gewaltsuchende Fans erfasst werden,
die weniger an Fußballspielen als an Auseinandersetzun-
gen mit gegnerischen Fans und der Polizei interessiert
sind, während in der Kategorie B die gewaltbereiten Fans
und in der Kategorie A die friedlichen Fans erfasst wer-
den. Die Bezeichnung steht zugleich für eine deutsche
Hooligan-Rockband, die früher als rechtsextrem einge-
schätzt wurde, während sich die Nachfolgeband „Katego-
rie C - Hungrige Wölfe“ auf ihrer Internetseite von jeglicher
politischen Ausrichtung klar distanziert.
Da die von dem Angeklagten und seinem Bruder favori-
sierten Mannschaften SV Wilhelmshaven und Hansa Ros-
tock auf dem Turnier nicht vertreten waren, suchten beide
Anschluss bei unterschiedlichen Fangruppen, u.a. des VfI
Osnabrück, wo sie aber wegen des von dem Angeklagten
getragenen T-Shirts zurückgewiesen wurden. Schließlich
kam es zu einer Auseinandersetzung mit den Fans des
VfL Wolfsburg, worauf beide der Halle verwiesen wurden.
Gegenüber der hinzu gerufenen Polizei zeigte sich der
Angeklagte äußerst aggressiv und provokant. U.a. wies er
den Einsatzleiter der Polizei unter Hinweis auf seinen Sta-
tus als Bundeswehrsoldat unter Vorhalten des Dienstaus-
weises lautstark an, ihn als „Bürger in Uniform“ gefälligst
in Ruhe zu lassen. Vor der Halle kam es zu einem zufälli-
gen Zusammentreffen des Angeklagten und seines Bru-
ders mit einer fünfköpfigen Gruppe von Fans des Vereins
Kickers Emden, die in den Vereinsfarben gekleidet waren.
Als diese Gruppe in Gestalt der Zeugen …, …, …, … und
… neutrale Fangesänge anstimmte, entschieden sich der
Angeklagte und sein Bruder, eine körperliche Auseinan-
dersetzung mit der Gruppe anzufangen. Entweder der An-
geklagte oder sein Bruder warf einen harten handballgro-
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ßen Ball in Richtung der Gruppe, der deren Köpfe knapp
verfehlte, worauf der Zeuge … fragte, was das denn solle.
Während der Bruder des Angeklagten den Ball holte, ging
der Angeklagte in aggressiver Haltung auf den Zeugen zu.
Mitglieder des Security-Dienstes gingen aber dazwischen.
Am … Bahnhof wollte die Fünfergruppe aus E. zum Zug
gehen, als ihr der Angeklagte und sein Bruder entgegen-
kamen, welche nach wie vor die Gruppe gemeinsam an-
greifen und verletzen wollten.
Weil die Zeugen eine solche Auseinandersetzung fürchte-
ten und meiden wollten, beschleunigten sie ihren Schritt
und begaben sich auf die Aufgangstreppe zum Bahnsteig.
Dort wurden sie von dem Angeklagten und seinem Bruder
eingeholt, die erkannten, dass die Zeugen ihnen mangels
jeden Aggressionspotentials unterlegen und willkommene
Opfer sein würden, an denen sie ihre Gewaltbedürfnisse
ausleben konnten. Der Angeklagte baute sich auf dem
halben Treppenansatz vor dem Zeugen … auf, während
sein Bruder sich vor den Zeugen … stellte. Der Angeklag-
te erklärte dem Zeugen …, er solle nicht so frech sein. Als
dieser erwiderte, er habe doch gar nichts gesagt, schlug
ihm der Angeklagte mit der rechten Faust gegen die linke
Gesichtshälfte, wodurch der Zeuge … Schmerzen erlitt.
Als der Zeuge … rief „Ey, was soll das?“, bekam er von
dem gesondert verfolgten … einen Faustschlag in die lin-
ke Gesichtshälfte. Bevor er noch wusste, was ihm ge-
schah, schlug … ein zweites Mal zu, wodurch … zu Boden
ging und das Bewusstsein verlor. Der Angeklagte und sein
Bruder liefen schnell zum Hauptausgang Richtung
K.straße, wo sie jedoch von der Polizei gestellt werden
konnten.
Der Angeklagte und sein Bruder hatten bereits seit mor-
gens zahlreiche Biere getrunken. Das Blut des Angeklag-
ten wies um 23.21 Uhr, also 1 Stunde und 10 Minuten
nach dem Vorfall einen Alkoholwert von 1,58 Promille auf.“
b) Zusätzlich habe der Soldat, wie in Ziffern 1 - 3 der die Nachtragsanschuldi-
gungsschrift vom 20. Juli 2011 konkretisierenden Nachtragsanschuldigungs-
schrift vom 26. September 2011 angeschuldigt, mittels von ihm gefälschter
Krankenmeldescheine den Disziplinarvorgesetzten dreimal veranlasst, ihn je-
weils vom militärischen Dienst freizustellen. Dadurch habe er jeweils vorsätzlich
gegen die Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG), in dienstlichen Angelegenheiten
die Wahrheit zu sagen (§ 13 Abs. 1 SG) und der Achtung und dem Vertrauen
gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat erfordere (§ 17 Abs. 2 Satz 2
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SG), verstoßen. In tatsächlicher Hinsicht stehe aufgrund der geständigen Ein-
lassungen des Soldaten, der Aussage des Zeugen Kapitänleutnants K. sowie
der zum Gegenstand der Verhandlung gemachten Urkunden fest:
„…. Aufgrund der rechtskräftigen strafrechtlichen Verurtei-
lung wegen seines Verhaltens zu Ziffer 1 der Anschuldi-
gung war der Soldat als Angehöriger der Personalergän-
zung … des ... Fregattengeschwaders wegen Entzuges
der notwendigen Sicherheitsstufe nicht mehr an Bord von
Fregatten einsetzbar. Dieser Umstand hatte zur Folge,
dass der tägliche Dienstablauf des Soldaten äußerst ein-
tönig war. Abgesehen von der Teilnahme an den im Rou-
tinedienstplan festgelegten Zeiten für Sport und Unterricht
wurde der Soldat mit keinerlei Tätigkeiten betraut, mithin
verbrachte er seine Tage in der Personalergänzung über-
wiegend beschäftigungslos, was der einvernommene
Zeuge KptLt K. bestätigte. Dieser Befund sei systembe-
dingt, so der Zeuge weiter, seine Bemühungen, den Sol-
daten einer sinnvollen und nachhaltigen Beschäftigung
zuzuführen, seien letztlich erfolglos geblieben. Am 12. Ok-
tober 2010, am 01. November 2010 sowie am 17. Novem-
ber 2010 ließ sich der Soldat jeweils im Geschäftszimmer
der Wachtmeisterei den aktuellen Krankenmeldeschein
aushändigen. Anschließend nahm er auf seinem Dienst-
zimmer, in welchem er alleine untergebracht war, darin ei-
genhändig die in Ziffern 1. - 3. der Nachtragsanschuldi-
gung vom 26. September 2011 beschriebenen wahrheits-
widrigen Eintragungen vor. Den auf diese Weise gefälsch-
ten Krankenmeldeschein übergab er jeweils noch am sel-
ben Tage seinem Disziplinarvorgesetzten in dessen
Dienstzimmer. Im Vertrauen darauf, dass die Angaben im
Krankenmeldeschein der Wahrheit entsprechen, geneh-
migte der Disziplinarvorgesetzte dem Soldaten die Frei-
stellung vom Dienst für die im jeweiligen Krankenmelde-
schein eingetragenen Zeiten der Krankschreibung. Am
Montag, den 22. November 2010, entnahm KptLt K. einem
Artikel im Lokalteil der Wilhelmshavener Zeitung vom glei-
chen Tage, dass der Soldat am Wochenende als Mitwir-
kender an einem Fußballspiel teilgenommen hatte (‚ ...
und anschließend konnte der wachsame … die prekäre
Situation klären. ...’). Die von KptLt K… daraufhin umge-
hend unter Einschaltung des Sanitätsbereichs veranlasste
Überprüfung der Krankenmeldescheine ergab, dass die
angeschuldigten Eintragungen incl. der Unterschriften der
behandelnden Ärzte sämtlich gefälscht waren. Die von
KptLt K. um Amtshilfe ersuchten Feldjäger überstellten
den Soldaten der Einheit noch am selben Tage gegen
15:15 Uhr.“
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c) Der Soldat habe dadurch ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen,
welches seinen Schwerpunkt in den erschlichenen Freistellungen vom Dienst
finde. Damit habe er im Kernbereich seiner Dienstpflichten versagt. Verstoße
ein Soldat in Vorgesetztenstellung gegen seine Dienstleistungspflicht, büße er
in erheblichem Umfang an Achtung und Vertrauen bei seinen Vorgesetzten ein
und beeinträchtige nicht minder sein dienstliches Ansehen sowie seine Autorität
bei Untergebenen. Dies gelte verstärkt, wenn der Soldat sich die Vorzüge durch
Dokumentenfälschungen erschleiche. Bei der zusätzlich begangenen Körper-
verletzung handele es sich ebenfalls um ein nicht zu tolerierendes Verhalten.
Auch wenn es im außerdienstlichen Bereich gezeigt worden sei, habe es auf
den dienstlichen Bereich Rückwirkungen. Das strafrechtlich geahndete Handeln
des Soldaten beeinträchtige dessen dienstliches Ansehen. Es sei geeignet,
ernsthafte Zweifel an der charakterlichen Integrität und damit auch an der
dienstlichen Zuverlässigkeit des Soldaten aufkommen zu lassen.
Der Soldat habe jeweils vorsätzlich gehandelt. Anhaltspunkte für eine zum Zeit-
punkt der Dienstpflichtverletzungen eingeschränkte oder fehlende Schuldfähig-
keit lägen nicht vor; entsprechendes gelte auch für Milderungsgründe in der Tat.
Eine persönlichkeitsfremde Augenblickstat könne schon deshalb nicht vorlie-
gen, weil der Soldat disziplinar vorbelastet sei. Die Beweggründe für das Fehl-
verhalten beruhten auf eigennützigen Motiven, wobei dem Soldaten seine zahl-
reichen disziplinaren Vorbelastungen und der darauf gestützte ausdrückliche
Hinweis der Stammdienststelle der Marine vom August 2006 zum Nachteil ge-
reichten. Für ihn würden sein - allerdings spätes - Geständnis und der Umstand
sprechen, dass der Dienstherr außerstande gewesen sei, ihn während seiner
Verwendung in der Personalergänzung nachhaltig zu beschäftigen.
3. Gegen das Urteil hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft eine auf die Anfechtung
der Maßnahme beschränkte Berufung eingelegt und sie im Wesentlichen damit
begründet, die verhängte Disziplinarmaßnahme stehe zur Schwere des Dienst-
vergehens in keinem angemessenen Verhältnis. Ein Soldat, der derart eklatante
Mängel in der Disziplin zeige, könne nicht im Dienstverhältnis verbleiben.
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III
Die von der Wehrdisziplinaranwaltschaft gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116
Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 WDO form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist
begründet.
1. Da das Rechtsmittel ausdrücklich auf die Bemessung der Disziplinarmaß-
nahme beschränkt eingelegt worden ist, hat der Senat gemäß § 91 Abs. 1
Satz 1 WDO in Verbindung mit § 327 StPO die Tat- und Schuldfeststellungen
sowie die disziplinarrechtliche Würdigung des Truppendienstgerichts seiner
Entscheidung zugrunde zu legen und hiernach über die angemessene Diszipli-
narmaßnahme zu befinden.
a) Das Truppendienstgericht ist zu der (Schuld-)Feststellung gelangt, dass der
Soldat durch die festgestellten Pflichtverletzungen vorsätzlich gegen seine
Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG), die Pflicht, in dienstlichen Angelegenheiten
die Wahrheit zu sagen (§ 13 Abs. 1 SG), und in zweifacher Hinsicht gegen die
Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 2
SG) verstoßen und deshalb gem. § 23 Abs. 1 SG ein Dienstvergehen begangen
hat, für welches er als Vorgesetzter nach § 10 Abs. 1 SG verschärft haftet.
b) Die vom Truppendienstgericht zu den unter den Ziffern 1. - 3. der Nachtrags-
anschuldigungsschrift beschriebenen Pflichtverletzungen getroffenen Tatsa-
chenfeststellungen sind eindeutig und widerspruchsfrei. Soweit es die zu Zif-
fer 1 der Anschuldigungsschrift übernommenen strafgerichtlichen Tatsachen-
feststellungen im Urteil des Amtsgerichts O. vom 10. August 2009 betrifft, be-
stand bereits gem. § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO eine Bindung des Truppendienst-
gerichts, die lediglich unter den weder vom Soldaten noch von der Wehrdiszi-
plinaranwaltschaft geltend gemachten und auch für den Senat nicht ersichtli-
chen Voraussetzungen des § 84 Abs. 1 Satz 2 WDO entfallen wäre (vgl. Urteile
vom 28. September 2011 - BVerwG 2 WD 18.10 - Rn. 11 ff. und vom 27. März
2012 - BVerwG 2 WD 16.11 - Rn. 19 ff.). Ob die Tat- und Schuldfeststellungen
rechtsfehlerfrei getroffen wurden, darf vom Senat grundsätzlich nicht überprüft
werden (Urteil vom 16. Februar 2012 - BVerwG 2 WD 7.11 - Rn. 26). Denn bei
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einer auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkten Berufung
wird der Prozessstoff nicht mehr von der Anschuldigungsschrift, sondern nur
von den bindenden Tat- und Schuldfeststellungen des angefochtenen Urteils
bestimmt.
c) Verfahrensmängel werden bei einer beschränkten Berufung regelmäßig ge-
genstandslos, soweit sie nicht das gesamte disziplinargerichtliche Verfahren
oder den gerichtlichen Verfahrensabschnitt unzulässig machen (Urteil vom
4. Mai 1988 - BVerwG 2 WD 64.87 - S. 10 des Urteilsabdrucks). Ob vorliegend
Aufklärungs- und Verfahrensmängel, die die erstinstanzlichen Tat- und Schuld-
feststellungen erschüttern (Beschlüsse vom 19. August 2009 - BVerwG 2 WD
31.08 - Buchholz 450.2 § 121 WDO 2002 Nr. 1 = juris Rn. 13, 15 und vom
24. März 2010 - BVerwG 2 WD 10.09 - juris Rn. 15 ff.), deshalb anzunehmen
sind, weil geständige Einlassungen in der Hauptverhandlung durch das Fortwir-
ken von Belehrungsfehlern im Ermittlungsverfahren veranlasst wurden, kann
dahingestellt bleiben; etwaige Verfahrensfehler dieser Art wären nicht - mehr -
beachtlich. Zum einen hat der anwaltlich vertretene Soldat einer Verwertung
seiner Aussagen erstinstanzlich nicht widersprochen; zum anderen hat das
Truppendienstgericht die Ahndung der Körperverletzung nicht auf geständige
Einlassungen des Soldaten, sondern allein auf bindende strafgerichtliche Fest-
stellungen gestützt, und der Soldat sich beim Tatkomplex unerlaubtes Fernblei-
ben vom Dienst nach ordnungsgemäßer Belehrung geständig eingelassen,
nachdem er zuvor nicht ausgesagt hatte (vgl. Urteile vom 28. Juni 2012
- BVerwG 2 WD 34.10 -, vom 26. April 2012 - BVerwG 2 WD 6.11 - Rn. 16, vom
16. Mai 2012 - BVerwG 2 WD 8.11 - und vom 24. Mai 2012 - BVerwG 2 WD
19.11 - Rn. 24).
2. Bei der somit allein zu überprüfenden Bemessung der Disziplinarmaßnahme
ist von der von Verfassung wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehr-
disziplinarrechts auszugehen. Diese besteht darin, dazu beizutragen, einen
ordnungsgemäßen Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhal-
ten (Urteil vom 11. Juni 2008 - BVerwG 2 WD 11.07 - Buchholz 450.2 § 38
WDO 2002 Nr. 26 Rn. 23). Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind
nach § 58 Abs. 7 in Verbindung mit § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere
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des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Per-
sönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu be-
rücksichtigen.
a) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Un-
rechtsgehalt der Verfehlung. Danach wiegt das Dienstvergehen des Soldaten
ausgesprochen schwer. Sowohl die innerhalb des Kanons soldatischer Pflichten
besonders betonte Wahrheitspflicht (§ 13 Abs. 1 SG) als auch die Pflicht, über-
haupt zur Dienstleistung präsent zu sein (§ 7 SG), bilden soldatische Kernpflich-
ten. Demzufolge wiegt das nicht nur einmal, sondern mehrfach erschlichene
Fernbleiben vom Dienst außerordentlich schwer. Die vom Soldaten zudem be-
gangene Körperverletzung verstärkt die Schwere des Dienstvergehens ebenso
wie die Vorgesetzteneigenschaft des Soldaten und der Umstand, dass der Sol-
dat in beiden Fällen zugleich kriminelles Unrecht beging. Dass er im Rahmen
des unter Ziffer 1 der Anschuldigungsschrift beschriebenen Tatgeschehens ge-
genüber der Polizei noch ausdrücklich auf seinen Soldatenstatus hinwies und
diesen zu instrumentalisieren versuchte, verleiht dem Dienstvergehen eine zu-
sätzliche Schwere. Sie wird geradezu erdrückend dadurch, dass der Soldat sich
mit dem Tragen eines T-Shirts mit der Aufschrift „Kat-C“ zusätzlich anderen
Staatsbediensteten gegenüber durch Verwendung eines Spezialausdrucks der
Polizei als gewaltsuchender Amtsträger zu erkennen gegeben hat, der deren
Dienstleistung gezielt erschweren will. Dass sich die Abwesenheitszeit des Sol-
daten noch um eine Woche erhöht hätte, wenn die Fälschung der Krankschrei-
bungen nicht aufgedeckt worden wäre, rundet das Bild eines kapitalen Dienst-
vergehens ab.
b) Das Dienstvergehen hatte massive Auswirkungen. Zu den Verletzungen des
vom Soldaten geschlagenen Opfers traten folgenreiche Auswirkungen im Be-
reich der Personalplanung hinzu. Die erste Pflichtverletzung war Anlass für den
Dienstherrn, den Soldaten aus seiner bisherigen Verwendung zu nehmen, wo-
bei eine weitere für den Dienstherrn sinnvolle Beschäftigung des Soldaten da-
ran scheiterte, dass er als Folge des Dienstvergehens die Sicherheitsstufe nicht
mehr behielt. Soweit es die erschlichenen Freistellungen vom Dienst betrifft,
schädigte der Soldat den Dienstherrn dadurch, dass er Bezüge erhielt ohne
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eine dienstliche Gegenleistung zu erbringen. Dieser Folge misst der Senat in-
des eine geringere Bedeutung bei, weil der Soldat voraussichtlich auch wäh-
rend dieses Zeitraums nicht hätte dienstlich beansprucht werden können.
c) Das Maß der Schuld wird dadurch bestimmt, dass der Soldat vorsätzlich ge-
handelt hat. Milderungsgründe sowohl in der Person als auch in den Umstän-
den der Tat liegen nicht vor. Soweit eine unter Umständen alkoholbedingte Ent-
hemmung des Soldaten anlässlich seiner Gewalttätigkeit im Raum steht, be-
steht kein Zweifel daran, dass er sich selbstverschuldet in diesen Zustand ver-
setzt hat; bereits dies steht der Annahme eines schuldmildernden Umstandes
entgegen (Urteil vom 27. Juli 2010 - BVerwG 2 WD 5.09 - Buchholz 450.2 § 38
WDO Nr. 30).
Der Soldat kann sich auch nicht erfolgreich auf ein schuldmilderndes Mitver-
schulden von Dienstvorgesetzten berufen. Dies gilt hinsichtlich des vorgerichtli-
chen Vortrags, der Disziplinarvorgesetzte habe die Fälschungen erkennen kön-
nen; nichts anderes gilt auch, soweit der Soldat sich auch dahingehend einge-
lassen hat, durch die fehlende Beschäftigung verleitet worden zu sein, sich
durch Täuschung dem Dienst zu entziehen. Der Milderungsgrund einer unzu-
reichenden Dienstaufsicht steht einem Soldaten nur dann zur Seite, wenn er
der Dienstaufsicht bedarf, z.B. in einer Überforderungssituation, die ein hilfrei-
ches Eingreifen des Vorgesetzten erforderlich macht (Urteile vom 13. März
2003 - BVerwG 1 WD 4.03 - Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 2, und vom
13. Januar 2011 - 2 WD 20.09 - Rn. 37). Ein solcher Fall lag aber nicht vor. Der
Soldat bedurfte keiner dienstaufsichtlichen Unterstützung, um zu wissen, dass
er sowohl mit dem Erstellen und dem Gebrauchmachen falscher Urkunden als
auch mit dem erschlichenen Fernbleiben vom Dienst gegen das Strafrecht und
soldatische Pflichten verstieß.
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Hinzu tritt, dass sich das Fernbleiben vom Dienst zur Überzeugung des Senats
nicht allein mit der unbefriedigenden Beschäftigungssituation erklärt. Für eine
jedenfalls nicht ausschließlich situations-, sondern auch persönlichkeitsbedingte
Pflichtverletzung spricht, dass der Soldat bereits Jahre vorher wegen - zum Teil
mehrtägigen - unerlaubten Fernbleibens vom Dienst disziplinar geahndet wer-
den musste ohne dass er sich seinerzeit in einer beschäftigungslosen Situation
befand. Darüber hinaus hätte es dem Soldaten freigestanden, die beschäfti-
gungslose Zeit sinnvoll etwa zur Vorbereitung auf den Fachschulbesuch zu nut-
zen.
d) Der Soldat handelte auch aus eigennützigen Beweggründen. Das Ausleben
von Gewaltbedürfnissen auf Kosten Dritter und die gezielte Suche von Konflik-
ten hierzu sind in hohem Maße sozialschädlich. Dass ihm in seiner neuen Ver-
wendung, in die er bereits wegen einer vorhergehenden Pflichtverletzung ver-
setzt worden war, „langweilig“ war und er „keinen Bock auf den ganzen Mist“
hatte, ändert daran nichts. Dies gilt umso mehr, als für ihn zum Zeitpunkt der
Pflichtverletzung (im Herbst 2010) angesichts der nahenden berufsfördernden
Maßnahmen (ab Januar 2012) bereits das Ende des Zustandes absehbar war.
e) Im Hinblick auf die Zumessungskriterien Persönlichkeit und bisherige Füh-
rung stechen die massiven disziplinarischen Vorbelastungen hervor. Sie bele-
gen eindringlich, dass Disziplinarmaßnahmen und selbst die Ankündigungen
des Dienstherrn vom 3. August 2006 und vom 22. August 2007, ihn bei erneu-
ten Dienstvergehen nach § 55 Abs. 5 SG zu entlassen, beim Soldaten nicht
fruchteten. Die Vorbelastungen sind darüber hinaus auch einschlägig, weil die
Disziplinarbußen wegen unerlaubten Fernbleibens sowie wegen Missachtung
der körperlichen Integrität eines anderen - seinerzeit eines Kameraden - ver-
hängt wurden. Die strafgerichtliche Verurteilung wegen gemeinschaftlicher Be-
leidigung eines Polizeibeamten bestätigt das negative Persönlichkeitsbild eines
Soldaten, dessen Leistungen zu seiner aktiven Dienstzeit zu keinem Zeitpunkt
auch nur durchschnittlich waren und auch gegenwärtig nur durchschnittlich
sind. Dass der Soldat im Rahmen der ihm gegenwärtig zuteil werdenden Be-
rufsförderungsmaßnahme nach Aussage des aktuellen Disziplinarvorgesetzten
weder positiv noch negativ in Erscheinung getreten, er insbesondere zum
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Dienst erschienen ist, vermag daran nichts zu ändern. Durchschnittliche Leis-
tungen bilden keinen Milderungsgrund.
Soweit das Truppendienstgericht dem Geständnis des Soldaten besonderes
Gewicht beigemessen hat, hat es nicht berücksichtigt, dass ein Bestreiten an-
gesichts der strafgerichtlichen Feststellungen ohnehin aussichtslos gewesen
wäre. Dem entspricht, dass der Soldat anlässlich seiner Anhörungen zum Er-
schleichen von dienstfreien Tagen zunächst die Aussage verweigert und sich
sodann auf Aussagen im Strafverfahren bezogen hat. Der nur in knapper Form
bekundeten Unrechtseinsicht misst der Senat kein hohes Gewicht bei.
g) Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in
seiner gefestigten Rechtsprechung von einem zweistufigen Prüfungsschema
aus:
aa) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbe-
handlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen
Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regel-
maßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als „Ausgangspunkt der Zu-
messungserwägungen“.
Bei einer außerdienstlich begangenen gefährlichen Körperverletzung bildet den
Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen eine Herabsetzung im Dienstgrad
(Urteil vom 24. Mai 2012 - BVerwG 2 WD 18.11 -). Soweit sich der Soldat darü-
ber hinaus das Fernbleiben vom Dienst erschlichen hat, bildet Ausgangspunkt
der Zumessungserwägung die Entfernung aus dem Dienstverhältnis deshalb,
weil der Soldat nicht nur wiederholt, sondern mit mehr als 11 Tagen auch für
einen längeren Zeitraum dem Dienst unerlaubt ferngeblieben ist (Urteil vom
26. April 2012 - BVerwG 2 WD 6.11 - Rn. 30). Dies gilt nicht nur bei einer Ge-
samtbetrachtung der Abwesenheitszeiträume, sondern auch, wenn isoliert der
Zeitraum 1. - 11. November 2010 in den Blick genommen wird. Da das Er-
schleichen der dienstfreien Arbeitstage mit der Begehung mehrerer Urkunden-
fälschungen einher ging, bedarf es ganz erheblicher Milderungsgründe auf der
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zweiten Prüfungsstufe, um von der Regelmaßnahme abzuweichen (Urteil vom
4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - Rn. 43 f.
).
bb) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im Hinblick auf die in § 38 Abs. 1
WDO normierten Bemessungskriterien und die Zwecksetzung des Wehrdiszi-
plinarrechts Umstände vorliegen, die im Fall des Soldaten eine Milderung ge-
genüber der in Ansatz gebrachten Höchstmaßnahme verlangen (Urteil vom
13. Februar 2008 - BVerwG 2 WD 5.07 - Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 3
m.w.N. sowie vom 14. April 2011 - BVerwG 2 WD 7.10 - Rn. 15).
Dabei ist vor allem hinsichtlich der „Eigenart und Schwere“ sowie der „Auswir-
kungen“ des Dienstvergehens zu klären, ob die zu verhängende Disziplinar-
maßnahme zu modifizieren ist. Für die „Eigenart und Schwere des Dienstver-
gehens“ kann z. B. von Bedeutung sein, ob der Soldat eine herausgehobene
Dienststellung hatte, einmalig oder wiederholt versagt hat, etwa in einem be-
sonders wichtigen Pflichtenbereich. Bei den „Auswirkungen“ des Fehlverhaltens
sind die konkreten Folgen für den Dienstbetrieb (insbesondere die weitere Ver-
wendbarkeit des Soldaten, Rückwirkungen auf Vorgesetzte oder Untergebene,
negative personalwirtschaftliche Konsequenzen) sowie schädliche Weiterungen
für das Außenbild der Bundeswehr in der Öffentlichkeit zu berücksichtigen. Hin-
sichtlich des Zumessungskriteriums „Maß der Schuld“ hat der Senat neben der
Schuldform (Vorsatz, Fahrlässigkeit) und der Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB
analog) das Vorliegen von Erschwerungs- und Milderungsgründen in den Tat-
umständen bei der endgültigen Bestimmung der Disziplinarmaßnahme in Be-
tracht zu ziehen.
Hiernach bestehen keine Milderungsgründe, die die Entfernung des Soldaten
aus dem Dienstverhältnis unverhältnismäßig werden ließen. Der massiven ein-
schlägigen disziplinaren Vorbelastung des Soldaten, die bei einem milderen
Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen zu einer schwereren Maßnahme-
art hätte führen müssen (Urteil vom 13. September 2011 - BVerwG 2 WD 15.10
- Rn. 59), stehen nicht ansatzweise Umstände gegenüber, die eine positive So-
zialprognose und die Annahme rechtfertigten, das Vertrauensverhältnis zwi-
schen Dienstherr und Soldat sei bei objektiver Betrachtung nicht zerstört. Ins-
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besondere die dienstrechtlich möglicherweise problematische Praxis, den Sol-
daten nicht auftragsgemäß beschäftigt zu haben, ist nicht annähernd von sol-
chem Gewicht. Sie war auf sein vorangegangenes Fehlverhalten zurückzufüh-
ren. Im Übrigen ist bei etwaigen Missständen, die den Soldaten in seinen Rech-
ten verletzen, der Rechtsweg zu beschreiten; deshalb eigenmächtig fernzublei-
ben, ist ihm verwehrt. Nichts anderes ergibt sich aus den partiell geständigen
Einlassungen, der verbal bekundeten Unrechtseinsicht und den zeitweise we-
nigstens durchschnittlichen Leistungen.
h) Die Voraussetzungen, unter denen die Gewährung des Unterhaltsbeitrags
gem. § 63 Abs. 3 Satz 1 WDO wegen Unwürdigkeit auszuschließen ist, lagen
noch nicht vor (Urteil vom 21. September 2004 - BVerwG 2 WD 11.04 -
NZWehrr 2005, 39 f. = juris Rn. 4 und Urteil vom 27. Oktober 2005 - BVerwG
2 WD 4.05 - Buchholz 235.01 § 63 WDO 2002 Nr. 1 = juris Rn. 4).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 139 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 WDO. Es
liegen keine Umstände vor, die es gerechtfertigt hätten, gemäß § 139 Abs. 1
Satz 2 Halbs. 2 WDO die Kosten oder gemäß § 140 Abs. 3 Satz 3 WDO die
dem Soldaten erwachsenen notwendigen Auslagen aus Billigkeitsgründen ganz
oder teilweise dem Bund aufzuerlegen.
Dr. von Heimburg
Dr. Burmeister
Dr. Eppelt
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