Urteil des BVerwG vom 19.08.2009

Mangel des Verfahrens, Soldat, Hong Kong, Dolus Eventualis

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 WD 31.08
TDG S 5 VL 12/08
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
Herrn Major a.D. …,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
am 19. August 2009 beschlossen:
Auf die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft für den
Bereich des Personalamtes der Bundeswehr wird das Ur-
teil der 5. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom
9. September 2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur nochmaligen Verhandlung und Ent-
scheidung an eine andere Kammer des Truppendienstge-
richts Süd zurückverwiesen.
- 2 -
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfah-
rens und die Erstattung der dem früheren Soldaten er-
wachsenen notwendigen Auslagen bleibt der Schlussent-
scheidung vorbehalten.
G r ü n d e :
I
Der 45 Jahre alte frühere Soldat trat am 2. Juli 1984 als Anwärter für die Lauf-
bahn der Offiziere des Truppendienstes in die Bundeswehr ein und wurde zu-
nächst in das Dienstverhältnis eines Soldaten mit einer Dienstzeit von vier Jah-
ren berufen. Mit Urkunde vom 9. Juni 1988 wurde ihm die Eigenschaft eines
Berufssoldaten mit der besonderen Altersgrenze der Vollendung des 41. Le-
bensjahres (BO 41) verliehen.
Der frühere Soldat wurde regelmäßig befördert, zuletzt am 19. Juni 2002 zum
Major. Nach erfolgreicher Ausbildung zum Jagdbomberoffizier TORNADO wur-
de er mit Versetzungsverfügung vom 20. Mai 1988 zum …geschwader … nach
K. versetzt. Auf seinen Antrag vom 2. Februar 2004 hin wurde ihm durch Be-
scheid des Kreiswehrersatzamtes K. vom 2. Juli 2004 im Rahmen der Berufs-
förderung eine Fachausbildung zum „Magister für …“ bei der Universität M. in
der Zeit vom 1. Oktober 2004 bis zum 31. Juli 2005 (DZE) bewilligt. Durch Be-
scheid des Personalamtes der Bundeswehr vom 19. April 2004 wurde er für
diesen Zeitraum vom militärischen Dienst für die Fachausbildung „Studium Ma-
gister“ an der Universität M. freigestellt. Mit Urkunde vom 3. März 2005, ausge-
händigt am 16. März 2005, wurde er nach Überschreiten der besonderen Al-
tersgrenze des 41. Lebensjahres mit Ablauf des 31. Juli 2005 in den Ruhestand
versetzt. Seit dem 9. August 2004 ist der frühere Soldat bei der Fluggesellschaft
„V.“, Hongkong, als Flugzeugführer, Erster Offizier, angestellt. Seinen ständigen
Wohnsitz hat er in Italien.
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II
Das Amtsgericht … verurteilte den früheren Soldaten am 2. April 2007 (Az.: 3
Ls 40 Js 30974/06) wegen Dienstentziehung durch Täuschung in Tateinheit mit
eigenmächtiger Abwesenheit in Tateinheit mit Betrug gemäß § 18 Abs. 1, § 15
Abs. 1 WStG und § 263 Abs. 1, § 52 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr
und 3 Monaten. Auf die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des früheren
Soldaten stellte das Landgericht … im Urteil vom 28. November 2007, rechts-
kräftig seit 6. Dezember 2007, fest, der frühere Soldat habe sich allein der ei-
genmächtigen Abwesenheit (§ 15 Abs. 1 WStG) und des Betruges (§ 263 Abs.
1 StGB) schuldig gemacht. Es änderte das erstinstanzliche Urteil im Rechtsfol-
genausspruch dahingehend ab, dass der frühere Soldat zu einer Freiheitsstrafe
von 11 Monaten verurteilt wurde, deren Vollstreckung für die Dauer von drei
Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde.
In dem mit Verfügung des Amtschefs Personalamt der Bundeswehr vom
25. November 2005 ordnungsgemäß eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarver-
fahren legte die Wehrdisziplinaranwaltschaft mit Anschuldigungsschrift vom
7. Mai 2008 dem früheren Soldaten folgenden Sachverhalt als Dienstvergehen
zur Last:
„Der frühere Soldat wurde auf seinen Antrag vom
02.02.2004 mit Bescheid des Personalamtes der Bundes-
wehr … vom 19.04.2004 für die Zeit vom 01.10.2004 bis
zum 31.07.2005 zur Fachausbildung ‚Studium Magister’
vom militärischen Dienst freigestellt. Mit Bescheid des
Kreiswehrersatzamtes K. vom 02.07.2004, Berufsförde-
rungsdienst …, wurde ihm für den Zeitraum vom
01.10.2004 bis 30.09.2007 die Fachausbildung ‚Magister
für …’ bewilligt.
Der frühere Soldat wurde sowohl im Freistellungsbescheid
vom 19.04.2004 als auch im Fachausbildungsbewilli-
gungsbescheid vom 02.07.2004 dahingehend belehrt,
dass er militärischen Dienst zu leisten habe, soweit er die
Fachausbildung nicht oder verspätet antreten oder ihr oh-
ne berechtigten Grund, insbesondere ohne ausdrückliche
Entschuldigung durch die Arbeitsstätte, fernbleiben oder
sie vorzeitig beenden würde. Er habe sich in einem sol-
chen Fall persönlich zur Aufnahme des Dienstes zu mel-
den.
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Der frühere Soldat war seit dem 01.10.2004 als ordentli-
cher Studierender an der Universität M. immatrikuliert, üb-
te jedoch bereits seit dem 09.08.2004 in Vollzeit die Tätig-
keit eines ‚First Officer’ für die Firma V., Hong Kong, ein
hundertprozentiges Tochterunternehmen der Fluggesell-
schaft …, aus. Somit hat er bereits vor Beginn seines Stu-
diums, ohne Genehmigung des Dienstherrn, eine Vollzeit-
tätigkeit ausgeübt, neben der ein Vollzeitstudium zum Ma-
gister von vornherein unmöglich und auch nicht zulässig
war.
Infolge dessen wurden ihm Dienstbezüge in Höhe von
46.091.68 € (Brutto) für den Zeitraum vom 01.10.2004 bis
zum 31.07.2005 zu Unrecht ausgezahlt.
Durch sein Verhalten hat der frühere Soldat die ihm oblie-
genden Dienstpflichten verletzt:
- der Bundesrepublik treu zu dienen,
- in dienstlichen Angelegenheiten die Wahrheit zu sagen,
- eine Genehmigung vor Aufnahme einer Nebentätigkeit
zu erwirken und
- sein Verhalten so einzurichten, dass er der Achtung und
dem Vertrauen gerecht wird, die sein Dienst als Soldat
erfordert,
wobei er als Vorgesetzter in Haltung und Pflichterfüllung
ein schlechtes Beispiel gegeben hat.
Dienstvergehen nach § 23 Soldatengesetz (SG) in Ver-
bindung mit §§ 7, 13, 17 Abs. 2 S. 1, 20 Abs. 1 S. 1 SG
unter den erschwerenden Voraussetzungen des § 10
Abs. 1 SG.“
Ergänzend führte die Wehrdisziplinaranwaltschaft in der Nachtragsanschuldi-
gung vom 24. Juni 2008 aus:
„Der am 31.07.2005 aus dem Dienst ausgeschiedene frü-
here Soldat übte während seines Erholungsurlaubs in der
Zeit vom 09.08.2004 bis zum 30.09.2004 in Vollzeit und
entsprechend dem geschlossenen Arbeitsvertrag mit der
Fluggesellschaft V., Hong Kong, den Beruf eines ‚First Of-
ficer’ entgegen seiner Verpflichtung aus, gegebenenfalls
jederzeit militärischen Dienst zu leisten.
In der Folge blieb er seinem Dienst in der Zeit vom
01.10.2004 bis zum 31.07.2005 fern, indem er diese Tä-
tigkeit nach dem 01.10.2004 weiter ausübte, obwohl er auf
seinen Antrag vom 02.02.2004 mit Bescheid des Perso-
nalamtes der Bundeswehr - … - vom 19.04.2004 für die
Zeit vom 01.10.2004 bis zum 31.07.2005 ausschließlich
zur Durchführung des Studiums der … mit dem Abschluss
‚Magister’ vom militärischen Dienst freigestellt worden war.
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Die Ausbildung war ihm mit Bescheid des Kreiswehrer-
satzamts Köln, Berufsförderungsdienst
…, vom
02.07.2004 für die Zeit vom 01.10.2004 bis 30.09.2007
bewilligt worden, wozu er sich auch ab 01.10.2004 als or-
dentlich Studierender an der …-Universität zu M. einge-
schrieben hatte, was er durch fortlaufende Vorlage einer
Immatrikulationsbescheinigung nachzuweisen beabsich-
tigte.
In den genannten Bescheiden vom 19.04. und 02.07.2004
war er jeweils ausdrücklich darüber belehrt worden, dass
er militärischen Dienst zu leisten habe, wenn er die Fach-
ausbildung nicht oder verspätet antreten oder ihr ohne be-
rechtigten Grund, insbesondere ohne ausdrückliche Ent-
schuldigung durch die Arbeitsstätte, fernbleiben oder sie
vorzeitig beenden würde, so dass er diese Bestimmungen
kannte, zumindest jedoch hätte kennen können und müs-
sen.
Infolgedessen hat er die für den Zeitraum 01.10.2004 bis
zum 31.07.2005 gezahlten Dienstbezüge in Höhe von
46.091,58 EURO ohne rechtlichen Grund erhalten und
sich folglich am Vermögen des Dienstherrn bereichert.“
Mit Urteil vom 9. September 2008 setzte die 5. Kammer des Truppendienstge-
richts Süd den früheren Soldaten in den Dienstgrad eines Hauptmanns a.D.,
Besoldungsgruppe A 11, herab.
Dem Schuldspruch legte die Truppendienstgerichtskammer gemäß § 84 Abs. 1
Satz 1 WDO folgende tatsächliche Feststellungen im Urteil des Schöffenge-
richts … in der durch das Landgericht … modifizierten Fassung zu Grunde,
wonach der Soldat sich nicht der „Dienstentziehung durch Täuschung“ strafbar
gemacht habe:
„Der Angeklagte gehörte als Berufsoffizier der Bundes-
wehr im Range eines Majors der Bundeswehr an und war
im Jahre 2004 als Kampffliegerpilot dem Kommando der
…division im Fliegerhorst F. dienstlich unterstellt.
Im Hinblick auf den zum 01.08.05 nahenden Ruhestand
wurde der Angeklagte auf seinen Antrag hin vom
02.02.2004 mit Bescheid des Personalamtes der Bundes-
wehr am 19.04.04 für die Zeit vom 01.10.04 bis 31.07.05
ausschließlich zum Zwecke einer Fachausbildung zum
‚Magister für …’ an der ... vom Truppendienst freigestellt.
Diese Freistellung berechtigte den Angeklagten, worüber
er ausdrücklich belehrt wurde, ausschließlich zur Durch-
führung der Fachausbildung. Sofern er dieser Ausbildung
fern blieb oder diese tatsächlich nicht antrat, war er ver-
pflichtet, sich unverzüglich beim nächsten Disziplinarvor-
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gesetzten zu melden, um den militärischen Dienst aufzu-
nehmen. Auch darüber wurde der Angeklagte eingehend
schriftlich belehrt. Ungeachtet dessen nahm er am
09.08.04 eine entgeltliche Festanstellung im Vollzeitbe-
trieb als Berufspilot für Passagierflugzeuge bei einer Toch-
tergesellschaft der Fluglinie … auf und führte diese weiter,
bis sein Verhalten aufgedeckt und am 23.09.05 ein Diszip-
linarverfahren eingeleitet wurde.
Dem Angeklagten war dabei klar, dass er sich dabei nicht
nur durch Täuschung seiner Dienstpflicht als Berufssoldat
entzog, sondern dass ihm auch seine Dienstbezüge nicht
zugestanden hätten. Hätten die Mitarbeiter der Anord-
nungsstelle für Dienstbezüge den wahren Sachverhalt er-
kannt, wären entsprechende Dienstbezüge nicht ausge-
zahlt worden. Der dem Dienstherrn erwachsene Schaden
und die hierdurch entstandene Bereicherung des Ange-
klagten beläuft sich mindestens auf 46.470.93 €.“
Die Truppendienstkammer hat im Hinblick auf ein vorliegendes Geständnis des
früheren Soldaten keinen Anlass dafür gesehen, aufgrund eines nach § 84
Abs. 1 Satz 2 WDO gefassten Lösungsbeschlusses diese tatsächlichen Fest-
stellungen nochmals zu prüfen.
Unter Punkt IV. des Urteils hat die Truppendienstkammer das Verhalten des
früheren Soldaten disziplinarrechtlich wie folgt gewürdigt:
„Der frühere Soldat hat ein Dienstvergehen begangen
(§ 23 Abs. 1 SG). Mit seinem strafrechtlich als eigenmäch-
tige Abwesenheit und Betrug zu wertenden Verhalten hat
er vorsätzlich gegen die Pflicht zum treuen Dienen (§ 7
SG) und zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten
gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 SG verstoßen. Die wahrheits-
widrig gemachten Angaben hinsichtlich der Ausübung ei-
ner hauptberuflichen oder Nebentätigkeit stellen sich als
vorsätzlicher Verstoß gegen die Wahrheitspflicht gemäß
§ 13 Abs. 1 SG dar. Als Soldat mit Vorgesetztendienst-
grad unterliegt er der verschärften Haftung des § 10
Abs. 1 SG. Gemäß § 18 Abs. 2 WDO sind mehrere
Pflichtverletzungen als ein Dienstvergehen zu ahnden.“
Gegen das der Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich des Personalamtes
der Bundeswehr am 10. Oktober 2008 zugestellte Urteil hat diese fristgemäß
mit Schriftsatz vom 4. November 2008 beim Truppendienstgericht Süd,
5. Kammer, am 5. November 2008 eingegangen, eine auf die Bemessung des
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Disziplinarmaßes beschränkte Berufung eingelegt, mit dem Ziel, gegen den frü-
heren Soldaten auf eine weitergehende Dienstgradherabsetzung zu erkennen.
Zur Begründung hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft im Wesentlichen ausge-
führt:
Das Dienstvergehen sei durch das Truppendienstgericht zwar rechtlich zutref-
fend gewürdigt worden. Die lange Dauer der unerlaubten eigenmächtigen Ab-
wesenheit und die Art und Weise der Durchführung und Vorbereitung des
Dienstvergehens machten aber eine weitergehende Dienstgradherabsetzung
unausweichlich. Dass das Fehlverhalten des früheren Soldaten in den Zeitraum
seiner Freistellung vom militärischen Dienst gefallen sei, entlaste diesen nicht.
Das Bundesverwaltungsgericht habe in seiner Entscheidung BVerwG 2 WD
8.98 nämlich festgestellt, dass derjenige Soldat, der sich von vornherein der
militärischen Dienstleistung entziehe und - statt die beantragte Berufsausbil-
dung zu absolvieren - auf Grund eines „privaten“ Dienstvertrages arbeite, seine
Dienstpflichten in gleicher Weise verletze wie ein aktiver Soldat im Falle der
Fahnenflucht oder der eigenmächtigen Abwesenheit. Auch wenn dem früheren
Soldaten hier nicht zu beweisen sei, dass er die Freistellung vom militärischen
Dienst mit der Absicht beantragt habe, in diesem Zeitraum einer anderen Tätig-
keit nachzugehen, so habe er die erfolgte Freistellung zu seinem persönlichen
Vorteil ausgenutzt.
III
Die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft führt zur Aufhebung des ange-
fochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Kammer
des Truppendienstgerichts Süd zur nochmaligen Verhandlung und Entschei-
dung. Die Entscheidung ergeht durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung
in der Besetzung mit drei Richtern (§ 80 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 WDO).
Das nach § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 WDO zulässige, zu-
ungunsten des früheren Soldaten eingelegte Rechtsmittel ist ausdrücklich und
nach dem maßgeblichen Inhalt seiner Begründung auf die Maßnahmebemes-
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sung beschränkt worden; denn mit der Berufungsschrift werden weder die im
Urteil des Truppendienstgerichts zum Tatverhalten getroffenen tatsächlichen
Feststellungen noch deren rechtliche Würdigung in Frage gestellt. Der Senat
hat daher von den Tat- und Schuldfeststellungen sowie der rechtlichen Würdi-
gung der Truppendienstkammer auszugehen (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m.
§ 327 StPO). Das gerichtliche Disziplinarverfahren leidet jedoch an einem
schweren Mangel des Verfahrens und zugleich an einem erheblichen Aufklä-
rungsmangel im Sinne des § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO, so dass sich der Senat
gehindert sieht, auf dieser Grundlage eine Entscheidung über die Maßnahme-
bemessung zu treffen.
Weitere Aufklärungen sind im Sinne des § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO erforderlich,
wenn es in dem angefochtenen Urteil des Truppendienstgerichts ganz oder
teilweise an hinreichenden tatsächlichen Feststellungen fehlt. Ein schwerer
Mangel des Verfahrens im Sinne der genannten Bestimmung liegt vor, wenn
gegen eine Verfahrensvorschrift verstoßen worden ist, deren Verletzung
schwerwiegend und für den Ausgang des Verfahrens (noch) von Bedeutung ist.
Für den Ausgang des Berufungsverfahrens sind Mängel des truppendienstge-
richtlichen Verfahrens (noch) von Bedeutung, wenn die Entscheidung über das
eingelegte Rechtsmittel im Falle einer Behebung des Verfahrensfehlers anders
als im Vergleich zu dessen Nichtbehebung ausfallen kann. Ein schwerwiegen-
der Mangel des Verfahrens ist regelmäßig dann gegeben, wenn die Rechte ei-
nes Verfahrensbeteiligten wesentlich beeinträchtigt worden sind oder wenn der
Verfahrensverstoß den Zweck einer Formvorschrift wesentlich vereitelt. Dazu
gehört u.a. das Fehlen von ausreichenden und widerspruchsfreien Feststellun-
gen zur Tat- und Schuldfrage (vgl. u.a. Beschlüsse vom 24. Februar 1966
- BDH 3 D 53/65 - BDHE 7, 37 und vom 11. Mai 1978 - BVerwG 2 WD 36.78 -
BVerwGE 63, 72 <74> = NZWehrr 1979, 32; Urteil vom 1. Juli 2003 - BVerwG
2 WD 34.02 - BVerwGE 118, 262 <268> = Buchholz 235.01 § 108 WDO 2002
Nr. 2 = NZWehrr 2004, 36; Dau, WDO, 5. Aufl. 2009, § 121 Rn. 5 i.V.m. § 120
Rn. 7). Im gerichtlichen Disziplinarverfahren muss der Tatrichter den entschei-
dungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen erforschen und feststellen so-
wie diesen und die daraus gezogenen rechtlichen Schlussfolgerungen in den
Urteilsgründen darlegen (§ 91 Abs. 1 WDO i.V.m. § 267 Abs. 1 StPO). Grund-
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sätzlich muss jedes Strafurteil und damit auch jedes Urteil in einem gerichtli-
chen Disziplinarverfahren aus sich selbst, d.h. aus den Urteilsgründen heraus
verständlich sein (vgl. Urteil vom 10. Dezember 2008 - BVerwG 2 WD 8.08 - ju-
ris Rn. 12; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, § 267 Rn. 1 ff. m.w.N. zur
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs). Erfüllt ein Urteil nach seinen Ent-
scheidungsgründen diese Anforderungen nicht, liegt ein schwerwiegender
Mangel des Verfahrens im Sinne des § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO bzw. § 121 Abs.
2 WDO vor. Denn Voraussetzung für die im Berufungsverfahren zu treffende
Entscheidung über die gebotene und angemessene Disziplinarmaßnahme ist,
dass die durch die Beschränkung der Berufung unangreifbar gewordenen tat-
sächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils, wie sie sich aus den Ur-
teilsgründen ergeben, sowie die auf dieser Grundlage getroffenen Feststellun-
gen zu den schuldhaften Pflichtverletzungen (= Schuldfeststellungen) des An-
geschuldigten nachvollziehbar, in sich schlüssig und widerspruchsfrei sind. Un-
klare, widersprüchliche oder lückenhafte Feststellungen können keine ausrei-
chende Grundlage für das festzusetzende Disziplinarmaß abgeben (vgl. Be-
schlüsse vom 24. Februar 1966 a.a.O. m.w.N., vom 29. März 1967 - BVerwG
1 WD 5.67 -, vom 26. März 1969 - BVerwG 1 WD 60.68 - NZWehrr 1970, 68
m.w.N.; Urteile vom 1. Juli 2003 a.a.O. m.w.N. und vom 10. Dezember 2008
a.a.O. Rn. 12). Hinreichende Tat- und Schuldfeststellungen sind gerade bei ei-
ner auf die Maßnahmebemessung beschränkten Berufung unverzichtbar, weil
der Prozessstoff des Berufungsverfahrens hier durch die nach § 91 Abs. 1
WDO i.V.m. § 327 StPO unnachprüfbar gewordenen Tat- und Schuldfeststel-
lungen des Urteils des Truppendienstgerichts festgelegt wird und vom Beru-
fungsgericht nicht mehr geändert werden kann (stRspr, vgl. u.a. Urteile vom
27. Juli 1960 - BDH WD 42/60 - NZWehrr 1961, 122 <124>, vom 9. Juli 1969
- BVerwG 2 WD 17.69 - und vom 10. Dezember 2008 a.a.O. Rn. 11 m.w.N.).
Ein solch schwerwiegender Verfahrensmangel liegt hier vor.
Die Truppendienstkammer hat im angefochtenen Urteil die gesetzliche Begrün-
dungspflicht in schwerwiegender Weise verletzt. Im Urteil wird ausgeführt, der
frühere Soldat habe „mit seinem strafrechtlich als eigenmächtige Abwesenheit
und Betrug zu wertenden Verhalten … vorsätzlich gegen die Pflicht zum treuen
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Dienen (§ 7 SG) und zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten gemäß
§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG verstoßen“ (S. 7, vierter Absatz); ferner stellten sich sei-
ne wahrheitswidrig gemachten Angaben als vorsätzlicher Verstoß gegen die
Wahrheitspflicht gem. § 13 Abs. 1 SG dar. Begründet werden diese Schuldfest-
stellungen jedoch nicht. Sie sind auch nicht evident. Bereits darin liegt ein
schwerwiegender Verstoß gegen die in § 91 Abs. 1 WDO i.V.m. § 267 Abs. 1
StPO normierte und als Verfahrensvorschrift zu wertende Begründungspflicht.
Bei fehlender Begründung können die Verfahrensbeteiligten nicht feststellen,
aufgrund welcher rechtlichen Erwägungen das erstinstanzliche Gericht seine
nur im Ergebnis mitgeteilten Schuldfeststellungen getroffen hat. Eine verant-
wortliche Prüfung und Entscheidung, ob ein Rechtsmittel eingelegt werden soll,
wird ihnen damit dem Gesetz zuwider in unzumutbarer Weise erschwert.
Hinzu kommt, dass das angefochtene Urteil auf einem schweren Verfahrens-
fehler und zugleich einem erheblichen Aufklärungsmangel im Sinne von § 120
Abs. 1 Nr. 2 WDO beruht, weil die Truppendienstkammer zu Unrecht entgegen
§ 84 Abs. 1 Satz 2 WDO nicht zumindest eine teilweise Lösung von den tat-
sächlichen Feststellungen im rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts … vom
2. April 2007 (Az. 3 Ls 40 Js 30974/06) in der Fassung des Berufungsurteils
des Landgerichts … vom 28. November 2007 in Betracht gezogen und vorge-
nommen hat, um für eine rechtsfehlerfreie Entscheidung hinreichende tatsächli-
che Feststellungen treffen zu können. Solche Feststellungen waren insbeson-
dere zu der dem früheren Soldaten zurechenbaren Täuschungshandlung (für
die vom Strafgericht und auf dieser Basis von der Truppendienstkammer ange-
nommene Straftat nach § 263 Abs. 1 StGB) erforderlich. Im sachgleichen Straf-
urteil des Amtsgerichts … vom 2. April 2007 in Verbindung mit dem Urteil des
Landgerichts … vom 28. November 2007, durch das das Strafverfahren abge-
schlossen wurde, wird lediglich festgestellt, dass der frühere Soldat die im Au-
gust 2004 erfolgte Aufnahme seiner Vollzeitbeschäftigung bei der Fluggesell-
schaft ... nicht gemeldet habe und wegen dieser Tätigkeit seinem Dienst im
Zeitraum vom 1. Oktober 2004 bis 31. Juli 2005 eigenmächtig ferngeblieben
sei. Die Mitarbeiter der Anordnungsstelle für Dienstbezüge hätten, sofern sie
diesen Sachverhalt erkannt hätten, die entsprechenden Dienstbezüge nicht
ausgezahlt, so dass dem Dienstherrn dann kein Schaden in Höhe von
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46 470,93 € entstanden wäre, was dem früheren Soldaten bewusst gewesen
sei. Diese Ausführungen können nur dahin verstanden werden, dass nach den
von der Truppendienstkammer zugrunde gelegten Feststellungen im rechtskräf-
tigen strafgerichtlichen Urteil der bei den (für die an den früheren Soldaten er-
folgte weitere Auszahlung der Dienstbezüge) zuständigen Bediensteten des
Dienstherrn entstandene Irrtum über die (neue) Tätigkeit des früheren Soldaten
durch eine Täuschungshandlung des früheren Soldaten verursacht worden sein
soll, die letztlich in einer Unterlassung bestand. Zurechenbar ist ein „Handeln
durch Unterlassen“ einem Täter jedoch nur dann, wenn ihn eine Garantenpflicht
im Sinne des § 13 StGB zur Aufklärung des Irrtums trifft (vgl. Fischer, StGB,
56. Auflage, § 263 Rn. 22). Voraussetzung für eine Garantenpflicht nach § 13
StGB ist auch bei einem Betrug, dass der Täter in Bezug auf vermögensrele-
vante Tatsachen rechtlich verpflichtet ist, falschen oder fehlenden Vorstellungen
des Opfers durch aktive Aufklärung entgegenzuwirken (vgl. Fischer, a.a.O.,
§ 263 Rn. 22 m.w.N.). Diese (unterlassene) Handlung, die den tatbestandsmä-
ßigen Erfolg verhindern würde, muss vom Garanten rechtlich gefordert werden
können und im konkreten Fall zumutbar sein. Für die Beurteilung der Zumut-
barkeit kommt es auf die Situation und die Fähigkeit des Garanten einerseits
sowie auf die Nähe, die Schwere der Gefahr und die Bedeutung des Rechts-
guts andererseits an (vgl. dazu: Fischer, a.a.O., § 13 Rn. 44). Hierzu fehlt es an
jeglichen Feststellungen sowohl im rechtskräftigen Strafurteil als auch im Urteil
der Truppendienstkammer.
Angesichts dieser gravierenden Verfahrens- und Aufklärungsmängel macht der
Senat nach erfolgter Anhörung der Beteiligten, die dagegen keine Einwände
erhoben haben, von seinem ihm in § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO eingeräumten Er-
messen einer Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und einer Zurückverwei-
sung Gebrauch, schon weil er angesichts der erfolgten Beschränkung der Beru-
fung hinreichende Tat- und Schuldfeststellungen nicht mehr treffen kann.
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Für eine Zurückverweisung an ein anderes Truppendienstgericht sieht der Se-
nat keine Veranlassung.
Im Rahmen einer erneuten Verhandlung wird die dann zuständige Kammer des
Truppendienstgerichts Süd unter anderem zu beachten haben:
Im vorliegenden Urteil der Truppendienstkammer sind die Schuldfeststellungen
bezüglich der für einen Betrug erforderlichen subjektiven Tatbestandsvoraus-
setzung der Bereicherungsabsicht unklar und widersprüchlich. Denn einerseits
ist festgestellt worden, dass der Soldat einen Betrug begangen habe, was u.a.
das Vorliegen einer Bereicherungsabsicht voraussetzt. Der täuschende Täter
muss also mit der Absicht gehandelt haben, aus der Tat für sich oder einen Drit-
ten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu erlangen. Hierauf muss es ihm
angekommen sein. An einer solchen Absicht fehlt es, wenn der Täter den Ver-
mögenszuwachs nur als notwendige Folge eines anderen erstrebten Zwecks in
Kauf nimmt (vgl. Fischer, a.a.O., § 263 Rn. 110). Zugleich wird im angefochte-
nen Urteil jedoch ausgeführt, die Kammer habe aus der Motivation des früheren
Soldaten „abgeleitet, dass der frühere Soldat hinsichtlich des Betrugs in der
Schuldform des ‚dolus eventualis’ gehandelt hat, indem er die voraussehbare
Folge, nämlich die Entreicherung des Dienstherrn und seine eigene ungerecht-
fertigte Bereicherung billigend in Kauf genommen hat“ (S. 10, erster Absatz),
was sich schuldmildernd auswirke, auch wenn es ihn „nicht von dem Vorwurf
eines strafrechtlich relevanten Betruges“ entlaste.
Soweit die Truppendienstkammer das Handeln des früheren Soldaten im ange-
fochtenen Urteil als Verstoß gegen die Pflicht zur Wahrheit gemäß § 13 Abs. 1
SG gewürdigt hat, weil er falsche Angaben hinsichtlich der Ausübung einer
hauptberuflichen Tätigkeit oder einer Nebentätigkeit gemacht habe, fehlt es bis-
her ebenfalls an hinreichenden Schuldfeststellungen.
Zum Gegenstand der Urteilsfindung dürfen gemäß § 123 Satz 3 i.V.m. § 107
Abs. 1 WDO nur diejenigen Pflichtverletzungen gemacht werden, die in der An-
schuldigungsschrift und ihren Nachträgen dem Soldaten als Dienstvergehen zur
Last gelegt worden sind. Damit darf ein Verstoß gegen die Wahrheitspflicht ge-
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mäß § 13 Abs. 1 SG im gerichtlichen Disziplinarverfahren nur dann geahndet
werden, wenn die entsprechende Handlung in der Anschuldigungsschrift be-
zeichnet worden ist. Eine solche durch § 107 Abs. 1 WDO gebotene Konkreti-
sierung eines Vorwurfs ist aus rechtsstaatlichen Gründen unerlässlich, weil sich
ein Soldat anders gegen ihn nicht hinreichend verteidigen kann (stRspr, vgl.
u.a. Urteile vom 6. Mai 2003 - BVerwG 2 WD 29.02 - BVerwGE 118, 161 =
Buchholz 235.01 § 107 WDO 2002 Nr. 1 = NZWehrr 2004, 31, vom
18. September 2003 - BVerwG 2 WD 3.03 - BVerwGE 119, 76 = Buchholz
235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 11 = NZWehrr 2005, 122 und vom 21. Juni 2005
- BVerwG 2 WD 12.04 - BVerwGE 127, 302 = Buchholz 236.1 § 11 SG Nr. 1 =
NZWehrr 2005, 254).
In der Anschuldigungsschrift und in der Nachtragsanschuldigungsschrift wird
dem früheren Soldaten, soweit ersichtlich, ausschließlich vorgeworfen, er habe
seine Meldepflichten gekannt, aber ungeachtet dessen den Nichtantritt der Be-
rufsförderungsmaßnahme nicht angegeben. Gegenstand der Anschuldigung ist
demnach „nur“ das Unterlassen einer zu fordernden Meldung, nicht aber die
Abgabe einer falschen. Ein Verstoß gegen die Wahrheitspflicht im Sinne des
§ 13 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 SG dürfte nur dann in Betracht zu ziehen sein, wenn
die geforderte Meldung abgegeben wird, nicht aber, wenn sie
unterlassen wird. In letzterem Fall dürfte der Soldat nicht gegen die Wahrheits-
pflicht, sondern möglicherweise gegen § 11 SG (im Falle eines Befehls zur
Meldung) oder gegen seine Pflicht zum treuen Dienen nach § 7 SG (im Falle
eines Weisungsverstoßes) verstoßen haben (vgl. dazu Sche-
rer/Alff/Poretschkin, SG, 8. Aufl., § 13 Rn. 12; Urteil vom 16. Juli 1981
- BVerwG 2 WD 9.81 - BVerwGE 73, 222). Hinreichende Feststellungen dazu,
aus welchem Grund der frühere Soldat sich dennoch eines Verstoßes gegen
§ 13 Abs. 1 SG schuldig gemacht haben sollte, lassen sich dem angefochtenen
Urteil nicht entnehmen.
Im angefochtenen Urteil sind zudem bisher nicht alle angeschuldigten Vorwürfe
disziplinarrechtlich gewürdigt worden. Obwohl die Wehrdisziplinaranwaltschaft
im verfügenden Teil der Nachtragsanschuldigung vom 24. Juni 2008 u.a. aus-
führte,
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„der am 31.07.2005 aus dem Dienst ausgeschiedene frü-
here Soldat übte während seines Erholungsurlaubs in der
Zeit vom 09.08.2004 bis zum 30.09.2004 in Vollzeit und
entsprechend dem geschlossenen Arbeitsvertrag mit der
Fluggesellschaft V., Hong Kong, den Beruf eines ‚First Of-
ficer’ entgegen seiner Verpflichtung aus, gegebenenfalls
jederzeit militärischen Dienst zu leisten“,
hat es die Kammer unterlassen, hierzu die erforderlichen tatsächlichen Feststel-
lungen zu treffen und hieraus die gebotenen disziplinarrechtlichen Schlussfolge-
rungen zu ziehen. Die Frage, ob und inwieweit der frühere Soldat bereits wäh-
rend seines Erholungsurlaubs vom 9. August 2004 bis 30. September 2004
durch die Aufnahme einer entgeltlichen zivilberuflichen Tätigkeit schuldhaft ge-
gen Dienstpflichten verstieß, bedarf der Aufklärung. Dem steht das im Wesent-
lichen sachgleiche Strafurteil nicht entgegen, da dieser Anschuldigungspunkt
nicht zum Gegenstand des strafrechtlichen Verfahrens gemacht worden war
und es schon aus diesem Grunde an diesbezüglichen, das Truppendienstge-
richt bindenden tatsächlichen Feststellungen im rechtskräftigen strafgerichtli-
chen Urteil fehlt.
Ferner wird das Truppendienstgericht im Rahmen der Maßnahmebemessung
zu bedenken haben, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungs-
gerichts bei unerlaubtem Fernbleiben von einerseits bewilligten berufsfördern-
den und andererseits berufsbildenden Maßnahmen unterschiedliche gerichtli-
che Disziplinarmaßnahmen in Betracht kommen können.
Nach der Rechtsprechung des Senats ist dabei grundsätzlich zwischen drei
Fallgruppen zu unterscheiden. Ein pflichtwidriges Handeln eines Soldaten kann
(1.) in einem Fernbleiben von einer Ausbildung im Rahmen der Berufsförderung
am Ende der Dienstzeit (BFD), (2.) in einem Fernbleiben von einer Maßnahme
der „Zivilberuflichen Aus- und Weiterbildung“ (ZAW) oder einem Studium an
einer Universität der Bundeswehr und (3.) in einem Fernbleiben vom Studium
an einer zivilen Universität begründet liegen.
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(1.) Nach der Rechtsprechung des Senats ist der Abbruch einer Fachausbil-
dung im Rahmen der Berufsförderung grundsätzlich milder zu beurteilen als die
eigenmächtige Abwesenheit eines aktiven Soldaten (vgl. Urteile vom 14. No-
vember 2007 - BVerwG 2 WD 29.06 - Buchholz 450.2 § 84 WDO 2002 Nr. 4,
vom 26. Januar 2006 - BVerwG 2 WD 2.05 - Buchholz 449 § 7 SG Nr. 50, vom
10. Juli 1990 - BVerwG 2 WD 42.89 - BVerwGE 86, 300, vom 6. März 1990
- BVerwG 2 WD 36.89 - BVerwGE 86, 258 = NZWehrr 1991, 76, vom
29. Januar 1988 - BVerwG 2 WD 61.87 -, vom 16. Mai 1984 - BVerwG 2 WD
51.83 -, vom 11. Mai 1983 - BVerwG 2 WD 14.83 - und vom 24. Juli 1974
- BVerwG 2 WD 31.74 -). Ein Soldat, der sich schon längere Zeit in der Fach-
ausbildung befindet, ist nicht mehr im gleichen Maße in die militärische Organi-
sation eingegliedert wie ein „aktiver“ Soldat. Bei dem Entschluss, nach Abbruch
der Fachausbildung der Truppe fernzubleiben, besteht daher in der Regel eine
weit geringere Hemmschwelle als bei einem Soldaten, der sich aus dem Dienst
in der militärischen Gemeinschaft löst. Auch die dienstlichen Folgen der Abwe-
senheit sind in beiden Fällen nicht gleich. Das eigenmächtige Fernbleiben eines
Soldaten, der seinen Dienst in der militärischen Einheit verrichtet, bringt in aller
Regel Unruhe in die Truppe, gefährdet die militärische Disziplin und schafft un-
ter Umständen sogar Anreiz zur Nachahmung, während ein Unterlassen der
Rückkehr im Rahmen der Fachausbildung bei der Mehrzahl der Angehörigen
der Einheit vielfach zunächst unbemerkt bleibt und den Dienstbetrieb nicht un-
mittelbar belastet. Der Dienstposten eines zur Fachausbildung vom Dienst frei-
gestellten Soldaten ist zudem in der Zwischenzeit in der Regel anderweitig be-
setzt worden; selbst wenn dies im Einzelfall anders sein sollte, kann der zu-
rückgekehrte Soldat nicht in gleicher Weise wie ein anderer Soldat wieder für
den regulären Dienst eingeplant werden, weil er zumeist die weitere Bewilligung
von berufsfördernden Maßnahmen beanspruchen wird. Dienstliche Nachteile,
die der Truppe dadurch entstehen, dass ein Soldat im Rahmen oder nach sei-
ner Fachausbildung nicht zur Truppe zurückkehrt, sind mithin in der Regel ge-
ringer als diejenigen, die für die Truppe durch das eigenmächtige Fernbleiben
eines in der aktiven Dienstleistung in der militärischen Einheit stehenden Solda-
ten ausgelöst werden können. Aus diesen Gründen lässt es der Senat im Hin-
blick auf das in § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO zu berücksichtigende Zu-
messungskriterium der „Auswirkungen“ des Dienstvergehens grundsätzlich in
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solchen Fällen - gegenüber dem Fernbleiben aktiver Soldaten - bei der nächst-
niedrigeren gerichtlichen Disziplinarmaßnahme bewenden.
Anders bewertet der Senat allerdings die Fälle, in denen ein Soldat bewusst
von Anfang an an einer Maßnahme der Berufsförderung nicht teilnimmt (Urteil
vom 5. August 2008 - BVerwG 2 WD 14.07 -). Wer sich als Soldat von vornher-
ein sowohl der möglichen Teilnahme an einer Maßnahme des Berufsförde-
rungsdienstes als auch der militärischen Dienstleistung entzieht und stattdes-
sen bei fortwährender Inanspruchnahme seiner Dienstbezüge zu Hause priva-
ten oder anderen Interessen nachgeht, verletzt nach der Rechtsprechung des
Senats seine Dienstleistungspflicht in ähnlicher Weise wie ein aktiver Soldat im
Falle der Fahnenflucht oder der unerlaubten eigenmächtigen Abwesenheit vom
Dienst. Dies gilt auch dann, wenn sich ein Soldat die Bewilligung einer Fach-
ausbildung zwecks Freistellung vom Dienst „beschafft“, diese jedoch nicht in
Anspruch nimmt, sondern stattdessen allein einer zivilberuflichen Erwerbstätig-
keit nachgeht (Urteil vom 3. September 1998 - BVerwG 2 WD 8.98 - BVerwGE
113, 263 = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 23 = NZWehrr 1999, 77). In diesen Fäl-
len kann insbesondere nicht davon gesprochen werden, der Soldat habe nur
eine geringe Hemmschwelle zu überwinden, um dem Dienst fernzubleiben.
Denn hier wird von Beginn an die rechtlich eingeräumte Möglichkeit der Frei-
stellung vom Dienst und der damit einhergehenden geringen Einbindung in die
militärische Organisation ausgenutzt, um z.B. monetären Privatinteressen
nachgehen zu können.
(2) Soweit ersichtlich, hat der Senat bisher nicht entschieden, ob das ungeneh-
migte Fernbleiben von einer Ausbildung im Rahmen der - während der Dienst-
zeit erfolgenden - „Zivilberuflichen Aus- und Weiterbildung" (ZAW) ebenso wie
das Fernbleiben von berufsfördernden Maßnahmen am Dienstzeitende milder
zu bewerten ist als ein Fernbleiben vom aktiven militärischen Dienst. Einer sol-
chen Analogie stehen jedoch erhebliche Bedenken entgegen. Zu berücksichti-
gen sind eine Reihe bedeutsamer Unterschiede zwischen ZAW-Maßnahmen
und Maßnahmen im Rahmen der Berufsförderung am Dienstzeitende.
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Wie der Senat im Verfahren BVerwG 2 WD 21.08 in der Berufungshauptver-
handlung zum Ausdruck gebracht hat (vgl. Protokoll der Hauptverhandlung vom
29. April 2009), ist die Zivilberufliche Aus- und Weiterbildung eine militärfachli-
che Maßnahme für eine nachfolgende militärische Verwendung, die allerdings
für den betreffenden Soldaten zugleich einen zivilberuflichen Vorteil mit sich
bringt. Sie unterscheidet sich darin von Berufsförderungsmaßnahmen am Ende
der Dienstzeit, die gerade darauf abzielen, einen geordneten Übergang in ein
ziviles Berufsleben zu ermöglichen. ZAW-Maßnahmen sind nicht selten „militä-
risch“ organisiert. Teilnehmer werden häufig zu einer Hörsaal-Gruppe zusam-
mengefasst. Lediglich die fachbezogene Ausbildungsdurchführung obliegt ei-
nem beauftragten zivilen Ausbildungsträger, die Durchführung der Ausbildung
im Übrigen hingegen dem dafür eingeteilten militärischen Vorgesetzten. Insge-
samt liegt damit hinsichtlich der fortbestehenden Eingliederung in den militäri-
schen Dienstbetrieb nur ein relativ geringer Unterschied gegenüber dem militä-
rischen Dienst vor.
Aber auch soweit Teilnehmer an einer ZAW-Maßnahme weniger stark militä-
risch eingebunden sind, bestehen zwischen dieser und einer BFD-Maßnahme
am Dienstzeitende wesentliche Unterschiede, die Veranlassung zu einer diffe-
renzierten Betrachtung geben. Teilnehmer an einer ZAW-Maßnahme werden
nach Beendigung der Ausbildung stets wieder in die Truppe eingegliedert. Der
Ausbildungserfolg des Teilnehmers an der ZAW-Maßnahme ist somit von un-
mittelbarer dienstlicher Bedeutung, weil nur so die bereits im Vorfeld ausgeplan-
ten Dienstposten bedarfsgerecht besetzt werden können. Während eine Berufs-
förderungsmaßnahme am Dienstzeitende den betreffenden Soldaten allein auf
seine zivile Weiterbeschäftigung vorbereitet, also auf seine „Ausgliederung“ aus
der Bundeswehr abzielt, werden mit der ZAW-Maßnahme hingegen die „kom-
petente Wiedereingliederung“ des Teilnehmers in ein militärisch geprägtes Um-
feld und eine verbesserte Einsatzfähigkeit bezweckt. Vergleichbar mit den an
einer Bundeswehruniversität studierenden Soldaten, die ebenfalls nach Been-
digung des Studiums wieder in den militärischen Bereich zurückkehren, oder
mit Soldaten, die in zivilen Organisationen der Bundeswehr tätig sind, gilt auch
für Maßnahmen der ZAW, dass auch der „zivilnahe“ Dienst stets auf militärische
Erfordernisse ausgerichtet ist. Anders als von den Teilnehmern an einer dienst-
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zeitbeendenden berufsfördernden Maßnahme, wird von den Teilnehmern einer
ZAW-Maßnahme eine dienstliche Leistung verlangt, die sie auf ihre weitere mili-
tärische Verwendung vorbereiten und hierfür qualifizieren soll, um künftig die
ihnen zu übertragenden Aufgaben auf möglichst hohem Niveau erfüllen zu kön-
nen. Unerlaubtes Fernbleiben von einer ZAW-Maßnahme ist daher im Regelfall
mit einem ungenehmigten Fernbleiben eines „aktiven Soldaten“ vom rein militä-
rischen Dienst vergleichbar.
(3) Davon zu unterscheiden ist die dritte Fallgruppe. Soldaten, vornehmlich Me-
dizinstudenten, die an einer Universität außerhalb der Bundeswehr im Rahmen
ihres Dienstverhältnisses studieren und die nach Beendigung des Studiums
wieder in die militärische Organisation eingliedert werden sollen, werden in der
Regel vom Dienst beurlaubt. Eine Beurlaubung schließt eine eigenmächtige
Abwesenheit im Sinne des § 15 WStG schon tatbestandsmäßig aus.
Die Truppendienstkammer wird auf der Grundlage entsprechender Tat- und
Schuldfeststellungen ggf. zu prüfen haben, welcher dieser Fallgruppen das Ver-
halten des früheren Soldaten vorliegend am ehesten zuzurechnen ist.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und die Erstattung der dem
früheren Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen ist der Schluss-
entscheidung vorbehalten.
Golze
Dr. Müller
Dr. Deiseroth
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