Urteil des BVerwG vom 12.03.2015

Soldat, Wohnung, Gerichtshof für Menschenrechte, Wochenende

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 3.14
TDG S 2 VL 21/12
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
Herrn Oberleutnant …,
…,
…,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 12. März 2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Burmeister,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
ehrenamtlicher Richter Oberfeldarzt Flemming und
ehrenamtlicher Richter Oberleutnant Anschütz,
Regierungsdirektor Wentzek
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt …
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin …
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Berufung des Soldaten gegen das Urteil der 2. Kam-
mer des Truppendienstgerichts Süd vom 10. Januar 2014
wird zurückgewiesen.
Der Soldat trägt die Kosten des Berufungsverfahrens ein-
schließlich der ihm darin erwachsenen notwendigen Aus-
lagen.
G r ü n d e :
I
Der … geborene Soldat wurde im Dezember 2003 in das Dienstverhältnis eines
Soldaten auf Zeit berufen. Seine Dienstzeit wurde zuletzt bis zum 30. Juni 2015
festgesetzt. Er wurde regelmäßig befördert, zuletzt im Dezember 2008 zum
Oberleutnant. Seine Bewerbung um Übernahme in das Dienstverhältnis eines
Berufssoldaten blieb ohne Erfolg.
Nach der Grundausbildung durchlief der Soldat die für einen Offizieranwärter
des Heeres üblichen Lehrgänge, wobei er den Offizierlehrgang 2006 mit der
Abschlussnote "gut" bestand. Nach einer Verwendung im …bataillon … studier-
te er ab Oktober 2006 an der Universität der Bundeswehr in … Staats- und So-
zialwissenschaften. Das Studium schloss er mit der Note "gut" [1,90] ab. Zum
Dezember 2010 wurde er erneut zum …bataillon versetzt. Dort wird er wegen
des anhängigen Disziplinarverfahrens nicht wie geplant als Truppführer, son-
dern als Offizier im … des Bataillonsstabs verwandt. Bereits vor Beginn des
Studiums hatte er die ATN "Schießlehrer Handwaffen" erlangt.
Die Regelbeurteilung vom 8. Februar 2006 bescheinigt dem Soldaten gute Leis-
tungen sowie eine überdurchschnittliche physische wie psychische Belastbar-
keit und hebt dessen Zuverlässigkeit und Leistungswillen hervor. Ausweislich
des aus Anlass seiner Versetzung von der Universität der Bundeswehr erstell-
ten Beurteilungsvermerks vom 26. Januar 2011 hatte der Soldat während des
Studiums teilweise erhebliche familiäre und private Probleme. Neben seiner
Tätigkeit als Sportgruppenleiter sei er bei militärischen Ausbildungsvorhaben
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stets durch überragenden Einsatz hervorgetreten. Als reifer und gefestigter Of-
fizier habe er trotz privater Schicksalsschläge seinen Auftrag niemals aus den
Augen verloren. Innerhalb seines Jahrgangs gehöre er zur Leistungsspitze; be-
sonders im Bereich der Menschenführung sei er sehr gut einsetzbar. Der
nächsthöhere Disziplinarvorgesetzte ergänzte, der Soldat überzeuge insbeson-
dere durch Zielstrebigkeit, Willensstärke und eine weit überdurchschnittliche
psychische Belastbarkeit.
In der Sonderbeurteilung vom 17. Juni 2014 wurde die Aufgabenerfüllung des
Soldaten mit dem Durchschnittswert "6,50" beurteilt. Der Soldat sei der richtige
Mann für die Unterstützung des S 3-Stabsoffiziers. In die ständig wechselnden
Aufgaben habe er sich schnell eingearbeitet. Der Beurteilende hob die hohe
Motivation, Ruhe und Überblick, Intelligenz, das Engagement und die Dienst-
freude des Soldaten hervor. Die Arbeitsergebnisse des Soldaten überzeugten
durch Präzision, Termintreue und Qualität. Nebenamtlich fungiere er als Sport-
offizier des Bataillons. Betont wurden die erfolgreiche Arbeit im Nebenamt,
Fleiß, Kameradschaftlichkeit, Selbstironie und Lebensfreude des Soldaten. Er
solle bis zum Dienstzeitende auf dem Dienstposten verbleiben.
Nach den in die Berufungshauptverhandlung durch auszugsweise Wiedergabe
eingeführten Angaben des früheren Disziplinarvorgesetzten Oberstleutnant B.
beim Truppendienstgericht war der Soldat wegen des laufenden Verfahrens
nicht wie ursprünglich vorgesehen als Zugführer, sondern im S 3-Bereich mit
einem für einen Oberleutnant sehr großen Aufgabenbereich eingesetzt und
nach seinen Leistungen dem vorderen Drittel zuzuordnen. Der Soldat sei auch
zum Kompaniechef und Berufssoldaten geeignet. Der streitgegenständliche
Vorfall belaste den Soldaten sehr, nach Einschätzung des Zeugen sei der Ver-
lust des Vaters für die Probleme ausschlaggebend.
In der Berufungshauptverhandlung hat der Disziplinarvorgesetzte des Soldaten,
Oberstleutnant D., als Leumundszeuge ausgeführt, die dienstlichen Leistungen
des Soldaten beurteile er mit "7,5". Aufgrund des Leistungsbildes wäre der Sol-
dat als Kompaniechef geeignet. Die mit "1,9" bewertete Diplomarbeit sei weit
überdurchschnittlich, zumal der Soldat nur die Mindeststudienzeit beansprucht
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habe. Aus seiner, des Zeugen, Sicht habe es sich bei den Vorfällen um eine
Verkettung unglücklicher Umstände gehandelt. Im Dienst habe der Soldat
selbstlose Akzente gesetzt. Ein impulsives oder gar aggressives Verhalten ha-
be der Zeuge im dienstlichen Kontext nicht festgestellt.
Der Auszug aus dem Disziplinarbuch vom 17.
Februar
2015 und die Auskunft
aus dem Zentralregister vom 13.
Januar
2015 verweisen auf die rechtskräftige
Verhängung einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe wegen der
streitgegenständlichen Vorfälle.
In dem sachgleichen Strafverfahren hatte das Amtsgericht M. den Soldaten mit
Urteil vom 24. März 2010 zweier tatmehrheitlicher Fälle der Nötigung in Tat-
mehrheit mit Beleidigung in Tatmehrheit mit vorsätzlicher Körperverletzung in
Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Beleidigung in Tatmehrheit mit falscher
Verdächtigung schuldig gesprochen und eine zur Bewährung ausgesetzte Ge-
samtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verhängt. Die Berufung des Soldaten hat-
te das Landgericht M. mit Urteil vom 15. April 2011 verworfen. Auch seine Revi-
sion blieb erfolglos. Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde
nicht zur Entscheidung angenommen; eine Individualbeschwerde zum Europäi-
schen Gerichtshof für Menschenrechte ist noch anhängig.
Der Soldat ist ledig und kinderlos; mit seiner gegenwärtigen Lebensgefährtin
unterhält er keinen gemeinsamen Hausstand. Er erhält monatliche Bezüge in
Höhe von 2 418,92 € netto. Seine wirtschaftliche Lage ist angespannt, weil er
vor allem wegen der Kosten des Straf- und Disziplinarverfahrens Kreditverbind-
lichkeiten in Höhe von gut 65 000 € mit monatlich etwa 1 500 € zu bedienen
hat; hinzu kommen Kosten für Warmmiete in Höhe von 720 €.
Der Soldat befindet sich nach eigenen Angaben unter anderem wegen der mit
den gerichtlichen Verfahren verbundenen Belastungen bei der sachverständi-
gen Zeugin Diplom-Psychologin R. seit August 2014 in psychotherapeutischer
Behandlung.
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II
1. Das disziplinargerichtliche Verfahren ist nach Anhörung des Soldaten mit
Verfügung des Amtschefs … vom 26. März 2010 eingeleitet worden. Zuvor war
die Vertrauensperson angehört und ihre Stellungnahme dem Soldaten bekannt
gegeben worden.
Nachdem der Soldat auf die abschließende Anhörung verzichtet hatte, hat die
Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich des …amts dem Soldaten mit ihm
am 11. Juli 2012 ausgehändigter Anschuldigungsschrift vom 29. Juni 2012 fol-
genden Sachverhalt als vorsätzlich begangenes Dienstvergehen zur Last ge-
legt:
"1. An einem nicht näher bestimmbaren Tag des Wochen-
endes vom 6. bis 8. Februar 2009 geriet der Soldat mit der
Zeugin … P. in Streit, weil diese die gemeinsame Woh-
nung in der …straße …, … H., für das Wochenende ver-
lassen wollte und bezeichnete diese, als sie in ihr Auto
stieg um loszufahren, als 'Schlampe‘ und 'schlechter
Mensch‘.
2. Nachdem man sich anschließend wieder in die Woh-
nung begeben hatte, nahm der Soldat im Schlafzimmer
aus einer sich unter dem Bett befindlichen Waffenkiste ei-
ne scharfe und geladene Schusswaffe der Marke Brünner
Modell 75 Kaliber 9mm Para in die rechte Hand und sagte
zu der Zeugin, ohne die Waffe direkt auf diese zu richten:
'Wenn Du das willst, können wir es auch gleich beenden‘,
um diese dazu zu zwingen, das Wochenende in der ge-
meinsamen Wohnung zusammen mit ihm zu verbringen,
was dazu führte, dass die Zeugin aus Angst, der Soldat
könnte sie mit der Waffe erschießen, über das Wochen-
ende in der Wohnung verblieb.
3. Zu einem nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkt an
dem Wochenende 28. Februar bis 1. März 2009 kam es in
der Küche der vorbenannten gemeinsamen Wohnung zu
einem erneuten Streit zwischen dem Soldaten und der
Zeugin, als diese ihm ihre Absicht mitteilte, sich von ihm
trennen zu wollen, wobei der Soldat ein Küchenmesser in
die Hand nahm und es mit der geschliffenen Klingenseite
an die Vorderseite ihres Halses drückte, ohne hierbei eine
Schnittwunde zu verursachen, und dabei sinngemäß zu
ihr sagte: 'Wenn Du es so willst‘, um sie hierdurch zu
zwingen, die Beziehung fortzuführen. Aus erneuter Furcht,
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der Soldat könne sie mit dem Messer töten, nahm die
Zeugin von ihrem Vorhaben, sich von ihm zu trennen, vo-
rübergehend Abstand.
4. Da sich die Zeugin von dem Soldaten nunmehr endgül-
tig trennen wollte, klingelten am 21. März 2009 gegen
10:30 Uhr die Mutter der Zeugin, Frau C., und deren Le-
bensgefährte an der unter Nummer 1) näher bezeichneten
Wohnung, um der Geschädigten bei ihrem Auszug aus
der Wohnung zu helfen, wobei der Soldat, als er mit dem
Umzugsvorhaben der Geschädigten konfrontiert wurde,
die Polizei verständigte, um einen vermeintlichen Haus-
friedensbruch durch Frau C. und deren Lebensgefährten
zu melden. Er schob sodann die Frau C. und deren Le-
bensabschnittsgefährten, ohne dass diese Widerstand
leisteten, aus der Wohnung, während er mit der anderen
Hand die Zeugin, die die Wohnung zusammen mit ihrer
Mutter verlassen wollte, festhielt, sperrte die Wohnungstür
von innen ab und nahm sämtliche Wohnungsschlüssel an
sich, damit die Zeugin die Wohnung nicht mehr verlassen
konnte. Dadurch war diese bis zum Eintreffen der Polizei
für die Dauer von mindestens 30 Minuten entgegen ihrem
Willen gehindert, die Wohnung zu verlassen.
5. Während der unter Nummer 4) beschriebenen ca. 30
minütigen Geschehnisse kam es im Wohnzimmer zu ei-
nem Streit zwischen dem Soldaten und der Zeugin, in
dessen Verlauf der Soldat die Zeugin abermals als
'Schlampe‘ und 'Schlechter Mensch‘ bezeichnete. Sodann
packte er die Zeugin, und warf sie mit einem Kampfsport-
griff zu Boden, wodurch sie Abschürfungen am rechten
Unterarm und nicht unerhebliche Schmerzen erlitt. Als die
Zeugin wieder aufstand und sich in einen Schreibtisch-
Wippsessel setzte, trat der Soldat ihr unvermittelt mit un-
beschuhtem Fuß mit voller Wucht in die Brust, wodurch
sie in den Stuhl zurückfiel. Hierdurch erlitt die Geschädigte
eine Prellung des Oberbauchs, und erhebliche Schmer-
zen. Als diese sich dann aus dem Sessel erhob, hielt der
Soldat sie fest, und warf sie, nachdem sie sich losgerissen
hatte, erneut mit einem Kampfsportgriff zu Boden,
wodurch sie wiederum nicht unerhebliche Schmerzen er-
litt.
6. Nachdem die Polizei aufgrund der unter den Nummern
4) bis 5) genannten Vorfälle am 21. März 2009 um 11:52
Uhr in der Wohnung eintraf, beschloss der Soldat, die
Zeugin mit einer Tätlichkeit gegen ihn zu Unrecht zu be-
lasten. Hierzu fügte er sich in der Küche selbst mit einem
Küchenmesser eine ca. 3 cm lange Schnittwunde am
rechten Unterbauch zu, zeigte diese dem Polizeibeamten
R. und gab diesem gegenüber bewusst wahrheitswidrig
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an, dass ihm die Schnittverletzung vor Eintreffen der Poli-
zeibeamten von der Zeugin mit einem Messer zugefügt
worden sei, und er die Zeugin deshalb habe abwehren
und zu Boden bringen müssen. Hiermit wollte er sich
selbst entlasten und dafür sorgen, dass die Zeugin straf-
rechtlich verfolgt wird."
2. Das Truppendienstgericht Süd hat den Soldaten mit ihm am 10. Februar
2014 zugestellten Urteil vom 10. Januar 2014 aus dem Dienstverhältnis entfernt
und den gesetzlichen Unterhaltsbeitrag auf die Dauer eines Jahres verlängert.
a) Der Verurteilung zugrunde gelegt hat es folgende Tatsachenfeststellungen
aus dem Urteil des Landgerichts M. vom 15. April 2011:
"1. Am Wochenende vom 06. bis 08.02.2009 war die Mut-
ter des Angeklagten, die Zeugin M., zu Besuch beim An-
geklagten und der Nebenklägerin in deren gemeinsamer
Wohnung in der …straße … in H. … P. wollte an diesem
Wochenende ihre Mutter in D. besuchen. Der Angeklagte
war damit nicht einverstanden, weil er mit seiner Mutter
das Wochenende über nicht alleine sein wollte. Es kam
deswegen zu einem Streit, der sich mit Unterbrechungen
über viele Stunden hinzog. Der Angeklagte warf der Ne-
benklägerin vor, dass ihre Familie sie beständig in Be-
schlag nehmen wolle, begann u.a. zu weinen und warf der
Nebenklägerin vor, dass sie ihn alleine in diesem Zustand
in der Wohnung zurücklassen wolle. Im Streit belegte er
die Nebenklägerin u.a. mit dem Wort 'Schlampe', um sie in
ihrer Ehre herabzuwürdigen. Während des Streites be-
wegte sich das Paar vom Pkw, der vor dem Haus abge-
stellt war, über das Wohnzimmer ins Schlafzimmer. Die
Mutter des Angeklagten hatte wiederholt ergebnislos ver-
mittelt. Als sich der Streit um die Reise nach D. ins Schlaf-
zimmer verlagert hatte, holte der Angeklagte aus der Waf-
fenkiste, die er ohne Wissen der Nebenklägerin unter dem
Bette aufbewahrt hatte, eine Schusswaffe der Marke
Brünner Modell 75 Kaliber 9 mm Para hervor. Im Waffen-
kasten lagerte die dazu gehörende Munition. Der Ange-
klagte hatte die Waffe von seinem verstorbenen Vater ge-
erbt und an einem nicht mehr genau feststellbaren Zeit-
punkt, im November 2008, aus der Wohnung seines Va-
ters in B. nach M. verbracht. Er nahm die Waffe in die
Hand, zeigte sie der Nebenklägerin mit fuchtelnden Be-
wegungen vor, ohne den Lauf auf ihren Körper zu richten
und äußerte: 'Wenn Du das willst', um die Geschädigte,
die zu diesem Zeitpunkt noch vor hatte, mit dem Auto
nach D. zu ihrer Mutter zu fahren, zu zwingen, das Wo-
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chenende in der gemeinsamen Wohnung mit ihm zu ver-
bringen. Die Nebenklägerin nahm die Drohung ernst. Sie
hatte Angst, dass der Angeklagte die Waffe einsetzen
würde. Sie beugte sich unter dem Eindruck der Schuss-
waffe seinem Willen, lenkte ein und nahm von ihrem Vor-
haben, noch an diesem Wochenende nach D. zu fahren,
Abstand. Der Angeklagte hatte sein Ziel somit erreicht. Sie
verbrachte das Wochenende, wie vom Angeklagten ge-
wollt, in der gemeinsamen Wohnung mit ihm und seiner
Mutter. In der Folgezeit nahm die Geschädigte die gela-
dene Waffe und das Zubehör aus der Waffenkiste heraus
und versteckte sie in einem Schlafsack auf dem Schlaf-
zimmerschrank. … P. stellte gegen den Angeklagten we-
gen des Vorfalls am 21.03.2009 schriftlich Strafantrag.
2. Die Nebenklägerin war bereits im Februar 2009 dazu
entschlossen, die Beziehung mit dem Angeklagten zu be-
enden und sich vom Angeklagten zu trennen. Während
eines Streits, der an einem nicht mehr näher feststellbaren
Zeitpunkt, im Zeitraum 28.02. bis 01.03.2009 in der Küche
der gemeinsamen Wohnung in der …straße … in H. aus-
getragen wurde, teilte sie dem Angeklagten ihre ernsthafte
Trennungsabsicht mit. Sie gab ihm zu verstehen, dass sie
in der Beziehung keine Zukunft mehr sehe. Der Angeklag-
te war mit einer Trennung gegen seinen Willen nicht ein-
verstanden und wollte keine Gespräche darüber führen. Er
nahm ein ca. 20 cm langes Küchenmesser zur Hand, trat
von hinten, seitlich links an die Nebenklägerin heran und
hielt ihr das Messer mit der geschliffenen Klingenseite für
wenige Sekunden an die Vorderseite des Halses, ohne sie
dabei zu verletzen. Dabei äußerte er sinngemäß 'Wenn
Du es so willst', um sie, unter Androhung von Tötungsab-
sicht, zu zwingen, ihre Meinung zu ändern. Die Nebenklä-
gerin nahm die Drohung des Angeklagten ernst. Sie hatte
Angst, dass der Angeklagte das Messer in einer das Le-
ben gefährdenden Art und Weise gegen sie einsetzen
würde, lenkte deswegen ein, beruhigte den Angeklagten
und nahm davon Abstand, den Angeklagten weiterhin mit
ihren Trennungsabsichten zu konfrontieren. Der Angeklag-
te hatte somit das von ihm angestrebte Ziel erreicht.
3. Unter dem Eindruck der beiden Vorfälle hatte die Ge-
schädigte den Entschluss gefasst, die Trennung unver-
züglich herbeizuführen und durch einen unangekündigten
Auszug aus der Wohnung zu vollziehen. Sie hatte ihre
Mutter, die Zeugin C. in dieses Vorhaben eingebunden
und beauftragt, den Auszug für Samstag, den 21.03.2009,
gegen Mittag, vorzubereiten. Dem Angeklagten hatte sie,
aus Angst vor unüberlegten Reaktionen seinerseits, von
dem bevorstehenden Auszug nichts erzählt. Sie wollte je-
doch nicht heimlich, sondern in Anwesenheit des Ange-
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klagten ausziehen, um mit ihm die Modalitäten der Haus-
ratsaufteilung zu regeln. Die Mutter der Nebenklägerin, die
Zeugin C., die von den Bedrohungen ihrer Tochter mit der
Pistole und dem Messer durch Gespräche mit ihrer Toch-
ter bereits Kenntnis hatte, rechnete mit unbedachten Re-
aktionen des Angeklagten und hatte deswegen am Vortag,
am Freitag, 20.03.2009 die zuständige Polizeidienststelle
von dem geplanten Auszug und den erwarteten Proble-
men seitens des Angeklagten informiert. Am 21.03.2009,
gegen 11.30 Uhr, traf die Mutter der Nebenklägerin zu-
sammen mit ihrem Lebensgefährten, den Brüdern der Ne-
benklägerin und einem weiteren Bekannten an der Woh-
nungstüre in der …straße … in H. mit Umzugsfahrzeugen
ein und klingelte an der Wohnungstüre.
Der Angeklagte erwartete ein Pärchen, welches die Katze,
die seine Freundin eine Woche zuvor von D. nach M. mit-
genommen hatte, abholen sollte und war überrascht, als
die Mutter seiner Freundin und ihr Lebensgefährte die
Wohnung betraten und ihm eröffneten, dass sie nunmehr
P. und die Katze abholen würden. Der Angeklagte fühlte
sich überrumpelt und war nicht bereit, die Umzugshelfer in
die Wohnung zu lassen. Er forderte C. und ihren Begleiter
auf, seine Wohnung zu verlassen und schob C. mit einer
Hand zur Türe hinaus; die Nebenklägerin - die mit dem
Angeklagten nicht alleine in der Wohnung bleiben wollte -
schob er mit der anderen Hand in Richtung Küche, um sie
am Verlassen der Wohnung zu hindern. Sodann rief er
über Handy die Polizei und meldete einen Hausfriedens-
bruch, sperrte die Wohnungstüre von innen ab und nahm
auch den zweiten Wohnungsschlüssel an sich, um die
Nebenklägerin am Verlassen der Wohnung zu hindern.
Unmittelbar danach kam es im Wohnzimmer zu einem
heftigen lautenstarken Streit zwischen dem Angeklagten
und der Nebenklägerin. Er beschimpfte sie u.a. als
'Schlampe' und 'schlechter Mensch', um sie in ihrer Ehre
herabzuwürdigen. … P., die die Wohnung verlassen woll-
te, schubste den Angeklagten im Zuge des Streits gegen
die Brust; erbost darüber und dass sie unangekündigt
ausziehen wollte, warf er sie unter Einsatz eines Kampf-
sportgriffes zu Boden, wobei sie sich, mutmaßlich durch
eine Reibung am Teppichboden, eine leicht schmerzhafte
Abschürfung am rechten Unterarm zuzog. Im Laufe des
heftigen Wortwechsels setzte sich die Geschädigte in ei-
nen Schreibtisch-Wippsessel; der Angeklagte trat ihr un-
vermittelt mit dem unbeschuhten Fuß wuchtig gegen die
Brust, wodurch sie in den Stuhl zurückfiel. Hierdurch erlitt
die Nebenklägerin eine Prellung des Oberbauches und
Schmerzen; später bildete sich ein Hämatom. Die Schreie
der Nebenklägerin waren im Hausgang vernehmbar. Als
sich die Geschädigte aus dem Sessel erhob, ging der An-
geklagte wieder auf sie zu und warf sie erneut auf den
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Boden. In den folgenden Minuten machte der Angeklagte
der Geschädigten Vorwürfe wegen noch nicht ausgegli-
chener finanzieller Forderungen. Der Angeklagte wollte,
dass die Geschädigte einen Schuldschein unterschreibe,
weil er das Auto, das von ihr gefahren wurde, alleine be-
zahlt hatte; des Weiteren schuldete sie ihm noch einen
kleineren Geldbetrag aus gemeinsamen Einkäufen. Ge-
gen 11.40 Uhr rief er bei seinem Freund, dem Zeugen S.
an und bat ihn, eilig zu ihm in die Wohnung zu kommen.
Da sich das Eintreffen der Polizei hinzog, riefen sowohl
der Angeklagte als auch die Nebenklägerin bei der Polizei
an und baten um ein baldiges Kommen. Gegen 11.45 Uhr
traf S. vor der Wohnung ein. Er verständigte über sein
Mobiltelefon den Angeklagten. Der Angeklagte öffnete ihm
die Türe; die Mutter des Angeklagten und ihre Begleiter
ließen S. jedoch nicht in die Wohnung. Er sollte ebenfalls
das Eintreffen der Polizei abwarten. Der Angeklagte ver-
sperrte daraufhin die Wohnungstüre wieder. Um 11.52 Uhr
traten die uniformierten Streifenbeamten PK R. und POM
St. in der …straße … ein; der Angeklagte ließ die Beam-
ten in die Wohnung ein. Der Nebenklägerin war es jetzt
wieder möglich, die Wohnung zu verlassen, sie lief aus
der Wohnung hinaus, zu ihrer Mutter, die im Hausgang
wartete. … P. stellte gegen den Angeklagten wegen des
Vorfalls am 21.03.2009 schriftlich Strafantrag.
4. Die Beamten befragten nach dem Betreten der Woh-
nung den Angeklagten und die Nebenklägerin, was vorge-
fallen sei. Zunächst machten beide keine brauchbaren
Angaben und gaben an, dass alles in Ordnung sei. Da-
raufhin wurden sie getrennt befragt. PK R. befragte den
Angeklagten im Wohnzimmer, POM St. die Nebenklägerin
im Schlafzimmer/Gang. Nach eindringlicher Befragung
und Vorhalt der Bekundungen der Mutter gab die Neben-
klägerin an, dass sie vom Angeklagten in der Wohnung
eingesperrt und zu Boden geworfen worden sei. Der An-
geklagte vernahm, dass seine Freundin Angaben zu den
zuvor erfolgten Tätlichkeiten gemacht hatte; mit diesem
Vorwurf wurde er vom Beamten R. konfrontiert. Daraufhin
entgegnete er, dass er von der Nebenklägerin geschlagen
worden sei. Gleich danach, in einem unbeaufsichtigten
Moment, begab er sich in die Küche und fügte sich mit ei-
nem Messer eine ca. 3 cm lange, leicht klaffende und
leicht blutende Wunde am Übergang vom linken Mittel-
zum Unterbauch zu. Die Wunde ragte ca. 0,5 cm in den
Bauchraum hinein. Zu inneren Verletzungen kam es
dadurch nicht. Sodann ging er ins Wohnzimmer, zog sein
T-Shirt hoch, trat vor den Polizeibeamten R. und äußerte,
'wenn das so ist, habe ich auch etwas zu sagen und vor-
zuzeigen' und zeigte ihm die mit einem Zewa-Tuch zuge-
deckte Schnittverletzung. Polizeikommissar R. hatte den
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Angeklagten bereits gegen 12.05 Uhr als Beschuldigten
einer Körperverletzung zum Nachteil von … P. belehrt und
bis 12.40 Uhr vernommen. Im Rahmen der Beschul-
digtenvernehmung, die in der Wohnung stattfand, sagte
der Angeklagte u.a. aus, dass er die Mutter der Zeugin P.
und den unbekannten Mann aus der Wohnung verwiesen
und die Polizei gerufen habe. Seine Freundin sei darauf-
hin aggressiv geworden. Er habe wissen wollen, wieso sie
ihm das mit dem Ausziehen nicht vorher gesagt habe. Es
sei zu einem Streit gekommen während dessen sie sich
gegenseitig angeschrien hätten. Es sei dann um die Fi-
nanzen gegangen. Er habe ihr gesagt, dass er die Schul-
den schriftlich festgehalten haben wolle. Seine Freundin
habe die Wohnung verlassen wollen, woraufhin er die
Wohnung verschlossen habe. Sie sei auf den Flur ge-
rannt, wieder zurückgekommen und er habe mitbekom-
men, dass er angegriffen worden sei. Er habe dann das
Messer, mit dem er angegriffen worden sei in der Hand
gehabt. Der Angeklagte konnte dem Zeugen PK R. das
Messer, mit dem er behauptete, verletzt worden zu sein,
nicht zeigen. Die Frage, warum die von ihm getragene
Kleidung keine durch den Stich verursachte Beschädigung
aufweise, konnte er nicht beantworten. Den auf ihn erfolg-
ten tätlichen Angriff hatte er nicht näher beschrieben. Er
behielt sich am Ende der Vernehmung als Verletzter die
Stellung eines Strafantrages gegen P. … vor.
Am 24.03.2009 stellte er schriftlich Strafantrag gegen …
P. wegen des am 21.03.2009 angegebenen Sachverhalts.
… P. hatte den Angeklagten nicht mit einem Messer oder
einem anderen spitzen Gegenstand angegriffen und in
den Bauch gestochen. Der Angeklagte hatte sich vielmehr
die Stichwunde nach dem Eintreffen der Polizei in der Kü-
che selber zugefügt, um einen Angriff der Nebenklägerin
auf ihn vorzutäuschen und, um auf diese Weise, die von
ihm verübten Tätlichkeiten gegen … P. in der Zeit zwi-
schen ca. 11.30 Uhr und 11.50 Uhr zu rechtfertigen und
zu relativieren. Er wusste, dass die Einleitung eines Er-
mittlungsverfahrens gegen … P. wegen gefährlicher Kör-
perverletzung eine notwendige Folge der von ihm geäu-
ßerten Beschuldigung bei der Vernehmung am
21.03.2009 war. Dies wollte er auch, weil er über den nicht
angekündigten Auszug und die ihn belastende Aussage
der Nebenklägerin verärgert war. Durch eine Vorneweg-
Verteidigung wollte er sein weiteres Ziel, die Rechtferti-
gung der Körperverletzungshandlungen zum Nachteil der
Nebenklägerin erreichen.
Gegen … P. wurde aufgrund der Beschuldigung des An-
geklagten bei seiner Vernehmung vom 21.03.2009 ein
Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung
eingeleitet; es wird unter dem Az: 257 Js 221586/09 ge-
führt und ist gem. § 154e Abs. 1 StPO vorläufig eingestellt.
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… P. wurde noch am 21.03.2009 als Beschuldigte wegen
des Messerangriffs auf den Angeklagten vernommen und
die Mordkommission von dem Vorfall informiert. Zur Ab-
klärung, ob eine Straftat gegen das Leben durch die Ne-
benklägerin im Raume stand, wurde der Zeuge KHK Sü.
noch am 21.03.2009 ins Krankenhaus N. geschickt.
Die Nebenklägerin empfindet das gegen sie noch immer
schwebende Ermittlungsverfahren wegen des vom Ange-
klagten behaupteten Messerangriffes als belastend."
Den Antrag der Verteidigung, sich teilweise von den tatsächlichen Feststellun-
gen des Urteils des Landgerichts M. zu dem oben zitierten Punkt 4 des Strafur-
teils zu lösen, hat das Truppendienstgericht mit der Begründung abgelehnt, es
bestünden an der Richtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen keine Zweifel;
sie ergäben sich insbesondere nicht aus den Darlegungen in der Individualbe-
schwerde. Wegen des in der Hauptverhandlung verlesenen Gutachtens des
Sachverständigen Dr. S. gehe die Kammer nicht von einer erheblich verminder-
ten Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB aus. Sie habe
auch keine Veranlassung, ein weiteres Gutachten einzuholen.
b) Auf der Grundlage dieser Tatsachenfeststellungen sei der Soldat zwar vom
Tatvorwurf zu Anschuldigungspunkt 1 freizustellen, weil durch die Beleidigung
seine Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit noch nicht ernstlich beeinträchtigt
werde; in den sonstigen Anschuldigungspunkten sei eine vorsätzliche Verlet-
zung der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht (§ 17 Abs. 2 Satz 2, Alt. 2
SG) aber festgestellt.
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Das Dienstvergehen wiege außerordentlich schwer. Es sei in der Gesamtschau
im Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen mit der Entfernung aus dem
Dienstverhältnis zu ahnden. Für die Verwendung einer geladenen Pistole als
Druckmittel gegenüber der damaligen Lebensgefährtin sei die Höchstmaßnah-
me Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen, weil dieses Fehlverhalten
durch das Überwinden einer durch die Ausbildung des Soldaten besonders auf-
gebauten Hemmschwelle geprägt sei. Die Drohung mit einem an den Hals ge-
haltenen Messer verlange eine "reinigende Maßnahme". Entsprechendes gelte
für die tätlichen Übergriffe gegen die Lebensgefährtin bei deren Auszug. Die
falsche Verdächtigung sei wie eine Falschaussage vor Gericht geeignet, Ach-
tung und Vertrauen im dienstlichen Umfeld nachhaltig zu erschüttern. Die Ge-
schehnisse zu Anschuldigungspunkt 4 seien demgegenüber nachrangig. Die
Häufung des Versagens präge die Gesamtschau.
Milderungsgründe in den Umständen der Tat lägen nicht vor. Insbesondere be-
stehe nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens keine erhebliche
Verminderung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit. Ebenso wenig habe der
Soldat in einer seelischen Ausnahmesituation gehandelt; dies folge aus den
vom Sachverständigen beschriebenen Gründen. Der Soldat habe angesichts
des mehraktigen Geschehens nicht nur einmal Gelegenheit gehabt, sein Ver-
halten zu reflektieren, so dass ebenfalls keine persönlichkeitsfremde Augen-
blickstat vorliege.
Für den Soldaten sprächen seine sehr positiven dienstlichen Leistungen. Ein
solcher Milderungsgrund rechtfertige allerdings nur bei herausragenden Leis-
tungen, auf die nächstmildere Maßnahmeart überzugehen. Eine außergewöhn-
liche Nachbewährung liege jedoch nicht vor. Die sehr guten dienstlichen Leis-
tungen rechtfertigten allerdings, dem Soldaten den gesetzlichen Unterhaltsbei-
trag auf ein Jahr zu verlängern, zumal dessen Studienabschluss keinen leichten
Einstieg in das Zivilleben erwarten lasse.
3. Gegen das Urteil hat der Soldat am 10. März 2014 in vollem Umfang Beru-
fung einlegen lassen und beantragt, ihn zu einer milderen gerichtlichen Diszipli-
narmaßnahme zu verurteilen.
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Das Truppendienstgericht sei am 9. Januar 2014 nicht ordnungsgemäß besetzt
gewesen, weil der ehrenamtliche Richter Oberfeldapotheker Bi. ausweislich der
Aufzeichnungen des Verteidigers zumindest von 17:05 Uhr bis 17:17 Uhr ge-
schlafen habe.
Ferner habe sich das Gericht mit dem Sachverständigengutachten nicht kritisch
auseinander gesetzt. Das Gutachten sei in sich widersprüchlich, entspreche
nicht medizinischen Standards und sei in Teilen spekulativ. Die durch den Leu-
mundszeugen beschriebene Belastung des Soldaten infolge des Todes von
dessen Vater ließen an den gutachterlichen Feststellungen zweifeln. Anlass, die
Sachkunde des Sachverständigen in Zweifel zu ziehen, bilde namentlich des-
sen wissenschaftlichen Erkenntnissen widersprechende Feststellung, die An-
fangskriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung könnten bei dem
Soldaten nicht vorliegen, weil sie regelmäßig binnen sechs Monaten abklingen
würden. Zudem würdige das Sachverständigengutachten insbesondere nicht,
dass der Soldat am 21. März 2009 in Panik verfallen sei, er sich in der eigenen
Wohnung bedroht und allein gelassen gefühlt habe, er alles tranceartig emp-
funden, wirre Gedanken gehabt und er nach dem Tod des Vaters Alkohol kon-
sumiert habe.
Bei der Maßnahmebemessung werde zu Unrecht vorausgesetzt, dass der Sol-
dat zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung im Umgang mit Waffen eine besondere
Hemmschwelle habe überwinden müssen. Seinerzeit sei er noch Student an
der Universität der Bundeswehr gewesen. Nicht gewürdigt worden sei auch,
dass bei dem Soldaten anlässlich der unter Anschuldigungspunkt 3 beschrie-
benen Handlung eine Affekthandlung vorgelegen habe. Zudem hätte das Trup-
pendienstgericht den im Gutachten angesprochenen Ansätzen einer anankasti-
schen Persönlichkeitsstörung nachgehen müssen. Dass die Taten wesens-
fremd gewesen seien und eine Nachbewährung sowie Reue vorliegen würden,
sei ebenfalls unbeachtet geblieben.
4. Wegen der Rüge, der ehrenamtliche Richter Oberfeldapotheker Bi. habe
während der Hauptverhandlung teilweise geschlafen, hat der Senat schriftliche
Stellungnahmen der am erstinstanzlichen Verfahren Beteiligten sowie des sei-
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nerzeitigen Leumundszeugen eingeholt, die in der Berufungshauptverhandlung
verlesen wurden.
III
I. Die gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 WDO
form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Soldaten ist zulässig.
II. Sie ist jedoch unbegründet.
Das Rechtsmittel ist von dem Soldaten in vollem Umfang eingelegt worden. Der
Senat hatte deshalb auf der Grundlage eines ohne schwere Mängel durchge-
führten Verfahrens und im Rahmen der Anschuldigung eigene Tat- und Schuld-
feststellungen zu treffen, diese rechtlich zu würdigen und die sich daraus erge-
benden Folgerungen zu ziehen sowie über die angemessene Disziplinarmaß-
nahme zu befinden.
1. Das Verfahren gibt keinen Anlass zu einer Entscheidung nach § 121 Abs. 2
WDO.
Das Truppendienstgericht war ordnungsgemäß besetzt, so dass kein schwerer
Mangel des Verfahrens im Sinne des § 121 Abs. 2 WDO vorliegt.
Ein Wehrdienstgericht ist nicht vorschriftsgemäß besetzt, wenn ein Richter wäh-
rend einer Hauptverhandlung einen nicht unerheblichen Zeitraum fest schläft
und deshalb wesentlichen Vorgängen nicht mehr folgen kann (vgl. BGH, Be-
schluss vom 20. Oktober 1981 - 5 StR 564/81 - NStZ 1982, 41; BVerwG, Be-
schluss vom 19. Juli 2007 - 5 B 84.06 - Buchholz 310 § 133 (n.F.) Nr. 88
Rn. 1 ff.; BFH, Beschluss vom 27. April 2011 - III B 62.10 - juris Rn. 10; BSG,
Beschluss vom 18. März 2014 - B 12 R 37/13 B - juris Rn. 4).
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Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der ehrenamtliche Richter Ober-
feldapotheker Bi. während der Hauptverhandlung am 9. Januar 2014 von
17:05 Uhr bis 17:17 Uhr nicht geschlafen hat. Denn weder die Aufzeichnungen
des Verteidigers noch die Stellungnahmen des Vorsitzenden Richters der
2. Kammer des Truppendienstgerichts Süd Dannenberg, der ehrenamtlichen
Richter Oberleutnant V. und Oberfeldapotheker Bi., des Wehrdisziplinaranwalts
Leitender Regierungsdirektor H., der Protokollkraft Regierungshauptsekretär M.
sowie des erstinstanzlich vernommenen Leumundszeugen Oberstleutnant B.
begründen durchgreifende Zweifel daran, dass der ehrenamtliche Richter den
Inhalt des verlesenen Gutachtens des Sachverständigen wahrgenommen hat.
a) Aus den von dem Verteidiger des Soldaten vorgelegten Aufzeichnungen folgt
zunächst, dass der Zeitraum, während dessen der ehrenamtliche Richter ge-
schlafen haben soll, weder durchgehend gewesen wäre noch 12 Minuten be-
tragen hätte. Diese Aufzeichnungen vermerken lediglich für den Zeitraum von
17:05 Uhr bis 17:08 Uhr sowie 17:15 Uhr bis 17:17 Uhr, dass der ehrenamtliche
Richter schlafe und er sich während des Zwischenraums die Brille aufgesetzt
habe. Im Raum steht somit allenfalls ein Zeitraum von insgesamt fünf Minuten,
der zudem nicht zusammenhängend war. Dass der ehrenamtliche Richter ge-
schlafen habe, hat der Verteidiger nur aus seinem Erscheinungsbild, insbeson-
dere den geschlossenen Augen, gefolgert.
b) Dass der ehrenamtliche Richter Oberfeldapotheker Bi. während dieser zwei
kurzen Zeiträume die Augen geschlossen hatte, steht nach dessen eigener
Aussage zwar fest; daraus folgt jedoch nicht, dass er in dieser Zeit auch ge-
schlafen hat. Das Schließen der Augen kann etwa auch Ausdruck geistiger Ent-
spannung oder besonderer Konzentration sein (vgl. BVerwG, Beschluss vom
13. Juni 2001 - 5 B 105.00 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 1 VwGO Nr. 38 S. 1 ff.
m.w.N.; BFH, Beschluss vom 27. April 2011 - III B 62.10 - juris Rn. 10).
Die Annahme des Verteidigers, der ehrenamtliche Richter habe geschlafen,
wird durch keine Stellungnahme gestützt. Der Vorsitzende Richter Dannenberg
hat ausdrücklich erklärt, er habe keinerlei Anzeichen dafür feststellen können,
dass der ehrenamtliche Richter Bi. zeitweise geschlafen habe; dies wäre ihm
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während der kurzen Pausen, die er, der Vorsitzende, beim Verlesen des Gut-
achtens eingelegt habe, aufgefallen. Auch der ehrenamtliche Richter V. wie die
Protokollkraft M. haben ausgeführt, ihnen seien während des fraglichen Zeit-
raums keine Besonderheiten aufgefallen. Der Leumundszeuge B. hat zudem
angegeben, diesbezüglich keine Aussage tätigen zu können, weil er zu dem
fraglichen Zeitpunkt den Sitzungssaal bereits verlassen habe. Der Vertreter der
Wehrdisziplinaranwaltschaft H. konnte ein Schlafen des ehrenamtlichen Rich-
ters weder bestätigen, noch bestreiten.
Der ehrenamtliche Richter Bi. selbst hat erklärt, er könne zwar nicht mit Be-
stimmtheit sagen, ob er kurzfristig eingenickt sei oder nicht, schließe dies je-
doch deshalb aus, weil er an einer hochgradigen Schlafapnoe leide, die sich
beim Schlafen durch anormale, für andere wahrnehmbare Atemgeräusche äu-
ßere. Er hat vor allem als Grund für die geschlossenen Augen nachvollziehbar
angegeben, er habe zuvor umfangreiche Teile des Gutachtens verlesen und die
Augen dabei angestrengt. Um sie in dem Gerichtssaal, dessen Luft ohnehin
sehr trocken gewesen sei, nicht reiben zu müssen, habe er die Augen ge-
schlossen. Nach seiner Erinnerung habe er den gesamten Inhalt des medizini-
schen Gutachtens aufgenommen. Die Aufzeichnung des Verteidigers stützt par-
tiell die Annahme, die Augen des ehrenamtlichen Richters seien nicht wegen
eines Schlafens geschlossen gewesen. In ihr ist vermerkt, der ehrenamtliche
Richter habe nach der ersten Phase vermeintlichen Schlafens (von 17:05 Uhr
bis 17:08 Uhr) anschließend wieder die Brille aufgesetzt. Eine solch kontrollierte
Handlung steht in deutlichem Widerspruch zu einem etwaigen Hochschrecken,
das zudem auch dann nur in Verbindung mit dem Eindruck geistiger Desorien-
tierung den Rückschluss auf eine vorangegangene Schlafphase jenseits eines
Sekundenschlafs zuließe (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 13. Juni 2001 - 5 B
105.00 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 1 VwGO Nr. 38 S. 2 f. m.w.N. sowie vom
17. Dezember 2003 - 4 BN 54.03 - Buchholz 406.11 § 165 BauGB Nr. 13 S. 42;
BFH, Beschluss vom 27. April 2011 - III B 62.10 - juris Rn. 10). Indiziell tritt hin-
zu, dass der Verteidiger in der erstinstanzlichen Verhandlung keinen Anlass
gesehen hat, das Gericht auf einen vermeintlich schlafenden Richter hinzuwei-
sen (BFH, Beschluss vom 27. April 2011 - III B 62.10 - juris Rn. 10).
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2. Nach den gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO bindenden Tatsachenfeststellun-
gen im Urteil des Landgerichts M., dessen Rechtskraft durch den außerordentli-
chen Rechtsbehelf der Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte nicht in Frage gestellt wird und deren Richtigkeit im Sinne von
§ 84 Abs. 1 Satz 2 WDO der Senat nicht bezweifelt, zumal die Verteidigung
Gründe für einen Lösungsbeschluss nicht behauptet hat, steht folgender Sach-
verhalt fest:
a) Zu Anschuldigungspunkt 1: An dem Wochenende vom 6. bis 8.
Februar
2009
bezeichnete der Soldat seine frühere Lebensgefährtin, welche mit ihm zusam-
men in der …straße … in H. wohnte, im Streit als "Schlampe" und "schlechter
Mensch", um sie in ihrer Ehre herabzuwürdigen.
b) Zu Anschuldigungspunkt 2: An dem Wochenende vom 6. bis 8.
Februar
2009
hielt der Soldat seiner früheren Lebensgefährtin in der gemeinsamen Wohnung
in der …straße … in H. mit fuchtelnden Bewegungen eine Schusswaffe der
Marke Brünner Modell 75 Kaliber 9 mm Para, ohne den Lauf auf ihren Körper
zu richten, mit der Äußerung "Wenn Du das willst" vor, um sie zu zwingen, mit
ihm das Wochenende in der Wohnung zu verbringen und um nicht allein mit
seiner Mutter in der Wohnung zu sein. Die frühere Lebensgefährtin nahm des-
halb von dem Vorhaben Abstand, an diesem Wochenende nach D. zu fahren.
Dabei befand sich die Munition für diese Waffe jedenfalls in Reichweite.
c) Zu Anschuldigungspunkt 3: Während eines Streits zwischen dem Soldaten
und seiner früheren Lebensgefährtin im Zeitraum 28.
Februar
bis 1. März 2009
in der Küche der gemeinsamen Wohnung in der …straße … in H. nahm der
Soldat ein ca. 20 cm langes Küchenmesser zur Hand, trat von hinten, seitlich
links an seine frühere Lebensgefährtin heran und hielt ihr das Messer mit der
geschliffenen Klingenseite für wenige Sekunden an die Vorderseite des Halses,
ohne sie dabei zu verletzen. Dabei äußerte er sinngemäß "Wenn Du es so
willst". Er handelte, um sie zu zwingen, davon Abstand zu nehmen, sich von
ihm zu trennen. Die frühere Lebensgefährtin lenkte deswegen ein und konfron-
tierte ihn zunächst nicht mehr mit Trennungsabsichten.
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d) Zu Anschuldigungspunkt 4: Am 21. März 2009 hinderte der Soldat seine
frühere Lebensgefährtin wissentlich und willentlich von 11:30 Uhr bis 11:55 Uhr
daran, die Wohnung …straße … in H. zu verlassen, indem er die Wohnungstür
von innen absperrte und den zweiten Wohnungsschlüssel an sich nahm.
e) Zu Anschuldigungspunkt 5: Am 21. März 2009 in der Zeit von 11:30 Uhr bis
11:55 Uhr warf der Soldat in der gemeinsamen Wohnung …straße … in H. sei-
ne frühere Lebensgefährtin wissentlich und willentlich unter Einsatz eines
Kampfsportgriffes zwei Mal zu Boden, wodurch sie sich eine leicht schmerzhaf-
te Abschürfung am rechten Unterarm zuzog. Ferner trat er sie wissentlich und
willentlich unvermittelt mit dem unbeschuhten Fuß wuchtig gegen die Brust,
wodurch sie eine schmerzhafte Prellung des Oberbauches erlitt, die zu einem
Hämatom führte. Ferner bezeichnete er sie als "Schlampe" und "schlechter
Mensch'', um sie in ihrer Ehre herabzuwürdigen.
f) Zu Anschuldigungspunkt 6: Nachdem der Soldat am 21. März 2009 von dem
PK R. mit dem Vorwurf konfrontiert worden war, seine frühere Lebensgefährtin
eingesperrt und zu Boden geworfen zu haben, begab er sich in die Küche der
Wohnung …straße … in H. und fügte sich mit einem Messer eine ca. 3 cm lan-
ge, ca. 0,5 cm in den Bauchraum hineinreichende, leicht klaffende und leicht
blutende Wunde am Übergang vom linken Mittel- zum Unterbauch zu. Im An-
schluss begab er sich ins Wohnzimmer, zog sein T-Shirt hoch, äußerte PK R.
gegenüber "wenn das so ist, habe ich auch etwas zu sagen und vorzuzeigen"
und zeigte ihm die mit einem Zewa-Tuch zugedeckte Schnittverletzung. Er er-
klärte, dass seine frühere Lebensgefährtin ihm gegenüber aggressiv geworden
sei. Am 24. März 2009 stellte er schriftlich Strafantrag, wobei er wusste und
wollte, dass die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen sie wegen ge-
fährlicher Körperverletzung eine notwendige Folge der von ihm geäußerten Be-
schuldigung bei der Vernehmung am 21. März 2009 sein würde. Gegen die
frühere Lebensgefährtin wurde ein Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher
Körperverletzung eingeleitet, welches gemäß § 154e Abs. 1 StPO vorläufig ein-
gestellt und von ihr als belastend empfunden wurde.
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3. Der Soldat hat damit insgesamt vorsätzlich und damit schuldhaft ein Dienst-
vergehen nach § 23 Abs. 1 SG begangen.
a) Die unter Anschuldigungspunkt 1 und 5 angeschuldigten Beleidigungen be-
gründen keine Pflichtverletzungen im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 2, 2. Alt. SG.
Insoweit war der Soldat freizustellen. Die Beleidigungen stellen ein außerdienst-
liches Verhalten dar, weil sie sowohl außer Dienst als auch außerhalb dienstli-
cher Unterkünfte und Anlagen geäußert wurden; sie sind jedoch nicht geeignet,
die Achtung und das Vertrauen, die die dienstliche Stellung des Soldaten erfor-
dert, im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 2, 2. Alt. SG "ernsthaft" zu beeinträchtigen.
§ 185 StGB sanktioniert die einfache Beleidigung mit Freiheitsstrafe bis zu ei-
nem Jahr oder Geldstrafe. Nach diesem Strafrahmen handelt es sich noch nicht
um eine so schwerwiegende Straftat, dass ihre außerdienstliche Begehung für
sich genommen schon ausreicht, um die von § 17 Abs. 2 Satz 2, 2. Alt. SG ge-
meinten ernsthaften Zweifel an der Integrität eines Soldaten zu begründen. Ein
Rückgriff auf § 7 SG scheidet hier aus (BVerwG, Urteil vom 20. März
2014 - 2 WD 5.13 - Buchholz 449 § 17 SG Nr 44 Rn. 47 m.w.N. sowie Rn. 53).
b) Jedoch hat der Soldat durch die unter Anschuldigungspunkt 2 bezeichnete
vorsätzliche Bedrohung seiner früheren Lebensgefährtin mit einer Schusswaffe
gegen die Pflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 2, 2. Alt. SG verstoßen, sich auch au-
ßerhalb des Dienstes und außerhalb dienstlicher Unterkünfte und Anlagen so
zu verhalten, dass er die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stel-
lung erfordern, nicht beeinträchtigt.
Die Achtungs- und die Vertrauenswürdigkeit eines Soldaten können durch sein
Verhalten schon dann Schaden nehmen, wenn dieses Zweifel an seiner Zuver-
lässigkeit weckt oder seine Eignung für die jeweilige Verwendung in Frage
stellt. Für die Feststellung eines Verstoßes gegen diese Vorschrift kommt es
nicht darauf an, ob eine Ansehensschädigung im konkreten Fall tatsächlich ein-
getreten ist. Es reicht vielmehr aus, dass das Verhalten des Soldaten geeignet
war, eine ansehensschädigende Wirkung auszulösen (BVerwG, Urteil vom
11. September 2014 - 2 WD 11.13 - juris Rn. 60 m.w.N.). Dies ist bei dem straf-
rechtlich relevanten Verhalten des Soldaten der Fall. Da es vom Landgericht M.
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zutreffend als Nötigung nach § 240 Abs. 1 StGB qualifiziert wurde, die mit einer
Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren strafbewehrt ist, steht auch die Ernsthaftigkeit
der Beeinträchtigung i.S.d. § 17 Abs. 2 Satz 2, 2. Alt. SG fest.
c) Gegen § 17 Abs. 2 Satz 2, 2. Alt. SG hat der Soldat somit ebenso durch die
unter Anschuldigungspunkt 3 angeschuldigte vorsätzlich begangene weitere
Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) sowie durch die jeweils mit Freiheitsstrafe bis zu
fünf Jahren bewehrte vorsätzlich begangene, unter Anschuldigungspunkt 4 an-
geschuldigte Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB), die vorsätzlich begange-
nen, unter Anschuldigungspunkt 5 angeschuldigten Körperverletzungen (§ 223
Abs. 1 StGB) sowie durch die unter Anschuldigungspunkt 6 angeschuldigte
ebenfalls vorsätzlich begangene falsche Verdächtigung (§ 164 Abs. 1 StGB)
verstoßen.
4. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs
wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen.
Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen
Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten ("Wiederherstel-
lung und Sicherung der Integrität, des Ansehens und der Disziplin in der Bun-
deswehr"). Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7
i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine
Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung
und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen (BVerwG, Urteil vom
11. September 2014 - 2 WD 11.13 - juris Rn. 61).
a) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Un-
rechtsgehalt der Verfehlung, d.h. nach der Bedeutung der verletzten Dienst-
pflichten. Danach wiegt das Dienstvergehen außerordentlich schwer.
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Der Soldat hat durch mehrere Pflichtverletzungen - zwei Nötigungshandlungen,
drei körperliche Misshandlungen, eine Freiheitsberaubung sowie durch eine
falsche Verdächtigung - wiederholt gegen dieselbe Pflicht nach § 17 Abs. 2
Satz 2, 2. Alt. SG verstoßen. Dabei ändert an der besonderen Schwere des
Dienstvergehens nichts, dass bei dem Anschuldigungspunkt 2 von keiner gela-
denen Schusswaffe auszugehen war. Zwar verringerte sich dadurch das Ge-
fährdungsrisiko für die frühere Lebensgefährtin; deren psychische Belastung
blieb davon jedoch unbeeinflusst, weil sie sich durch eine geladene Schusswaf-
fe bedroht sah und sich die psychische Belastung subjektiv bestimmt.
Der Soldat ist zudem nicht davor zurückgeschreckt, die Strafverfolgungsorgane
in die Irre zu führen und staatliche Organe für eine private Vergeltung zu in-
strumentalisieren. Die Verstöße waren zudem durchgehend strafrechtlich rele-
vant und von solchem Gewicht, dass sie durch die Strafverfolgungsorgane auch
mit einer nur wenig unterhalb der Grenze der §§ 54 Abs. 2 Nr. 2, 48 Satz 1
Nr. 2 SG für den Verlust der Rechtsstellung liegenden Freiheitsstrafe massiv
geahndet wurden.
Die Pflicht eines jeden Soldaten, sich auch außer Dienst außerhalb der dienstli-
chen Unterkünfte und Anlagen so zu verhalten, dass er die Achtung und das
Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordert, nicht ernsthaft beeinträchtigt,
ist von erheblicher Bedeutung. Es handelt sich bei ihr nicht um eine bloße sol-
datische Nebenpflicht. Wegen ihres funktionalen Bezugs zur Erfüllung des
grundgesetzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und zur Gewährleistung des
militärischen Dienstbetriebs kommt der Pflichtenregelung des § 17 Abs. 2
Satz 2 SG ein hoher Stellenwert zu. Ein Soldat, insbesondere ein Vorgesetzter,
bedarf der uneingeschränkten Achtung seiner Kameraden und Untergebenen
sowie des uneingeschränkten Vertrauens seiner militärischen Vorgesetzten, um
seine Aufgaben so zu erfüllen, dass der ordnungsgemäße Ablauf des militäri-
schen Dienstes gewährleistet ist. Dies setzt nicht nur inner-, sondern auch au-
ßerdienstlich ein untadeliges Verhalten voraus, weil der Charakter eines Men-
schen und die Wertung seiner Festigkeit und Lauterkeit unteilbar sind (vgl.
BVerwG, Urteile vom 10. Februar 2010 - 2 WD 9.09 - juris Rn. 22 sowie vom
28. Juni 2012 - 2 WD 34.10 - juris Rn. 97).
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Eigenart und Schwere des Dienstvergehens werden des Weiteren dadurch be-
stimmt, dass der Soldat aufgrund seines Dienstgrades als Oberleutnant und
somit als Offizier in einem herausgehobenen Vorgesetztenverhältnis stand.
Soldaten in Vorgesetztenstellung - noch dazu Offizieren - obliegt eine höhere
Verantwortung für die Wahrung dienstlicher Interessen. Wegen seiner heraus-
gehobenen Stellung ist ein Vorgesetzter in besonderem Maße für die ord-
nungsgemäße Erfüllung seiner Dienstpflichten verantwortlich und unterliegt
damit im Falle einer Pflichtverletzung der verschärften Haftung, da Vorgesetzte
in ihrer Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben sollen (§ 10 Abs. 1 SG).
Dabei ist nicht erforderlich, dass es der Soldat bei seinem Fehlverhalten inner-
halb eines konkreten Vorgesetztenverhältnisses an Beispielhaftigkeit hat fehlen
lassen. Es reicht das Innehaben einer Vorgesetztenstellung aufgrund des
Dienstgrades aus (BVerwG, Urteil vom 7. Februar 2013 - 2 WD 36.12 - Rn. 37).
b) Das Dienstvergehen zeitigte in mehrfacher Hinsicht nachteilige Auswirkun-
gen. Zum einen erlitt die frühere Lebensgefährtin des Soldaten durch die Kör-
perverletzungen Schmerzen. Mit ihnen gingen psychische Belastungen wegen
des gegen sie eingeleiteten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens
einher. Zum anderen hatte das Dienstvergehen Auswirkungen auf den Dienst-
betrieb. Zwar ist es nach der glaubhaften Aussage des Leumundszeugen
Oberstleutnant D. über den Kreis der Vorgesetzten hinaus nicht bekannt ge-
worden; der Soldat wird jedoch nicht wie zunächst geplant in seiner neuen Ein-
heit als Zugführer verwendet, sondern im Stabsdienst eingesetzt. Dass das
Dienstvergehen bei den Strafverfolgungsorganen bekannt wurde, ist zwar nicht
zu Lasten des Soldaten zu berücksichtigen (BVerwG, Urteil vom 7. Februar
2013 - 2 WD 36.12 - Rn. 43), wohl aber der Umstand, dass er durch die falsche
Verdächtigung Arbeitskraft der Strafverfolgungsbehörden gebunden hat.
c) Das Maß der Schuld des Soldaten wird durch sein vorsätzliches Handeln
bestimmt.
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aa) Der Soldat war zum Zeitpunkt der Pflichtverletzungen in seiner Schuldfähig-
keit nicht im Sinne des § 21 StGB erheblich eingeschränkt.
Diesem Umstand ist gemäß § 106 Abs.1 WDO nachzugehen. Dass das Land-
gericht M. die Voraussetzungen des § 21 StGB verneint hat, entbindet davon
nicht. Die Bindungswirkung rechtskräftiger Strafurteile erfasst nur die Feststel-
lungen, die zu den objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmalen der je-
weiligen Strafnorm gehören und nicht diejenigen, die für die Frage der vermin-
derten Schuldfähigkeit bedeutsam sind (s.o. 4. und BVerwG, Urteil vom 4. De-
zember 2014 - 2 WD 23.13 - juris Rn. 42 m.w.N.).
Die richterliche Entscheidung, ob die Fähigkeit des Soldaten, das Unrecht der
Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20
StGB bezeichneten Gründe - krankhafte seelische Störung, tiefgreifende Be-
wusstseinsstörung, Schwachsinn oder andere schwere seelische Abartig-
keit - zum Zeitpunkt des Dienstvergehens aufgehoben oder - wie vorliegend
allein bedeutsam - jedenfalls erheblich vermindert war, vollzieht sich in einem
aus mehreren Schritten bestehenden Verfahren, wobei es sich sowohl bei der
Bejahung der Eingangsmerkmale des § 20 StGB als auch bei der Annahme
einer rechtserheblichen Einschränkung der Schuldfähigkeit um Rechtsfragen
handelt, für die der Zweifelsatz nicht gilt. Danach ist zunächst die Feststellung
erforderlich, dass bei dem Soldaten eine psychische Störung vorlag, die unter
eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsu-
mieren ist (zusammenfassend BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2014 - 2 WD
35.11 - Rn. 63 f.).
Es lässt sich bereits ausschließen, dass ein Eingangsmerkmal der in § 20 StGB
bezeichneten Art vorlag, welches die Schuldfähigkeit des Soldaten zum Zeit-
punkt des Dienstvergehens erheblich hätte mindern können. Das ergibt sich
aus dem in der Berufungshauptverhandlung mündlich erläuterten Gutachten
des Sachverständigen Dr. S., das auf den im schriftlichen Gutachten vom
4. März 2010 dargelegten Erhebungen fußt. Danach wurden die Pflichtverlet-
zungen in einer als affiziert anzusehenden Gesamtsituation begangen wie dies
im Rahmen von Beziehungskrisen allgemein der Fall ist.
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Das in der Berufungshauptverhandlung mündlich vertretene Gutachten genügt
den daran zu stellenden Anforderungen an Verlässlichkeit und Überzeugungs-
kraft. Zweifel an der Methodik und Wissenschaftlichkeit des Gutachtens beste-
hen nicht, wobei insoweit das mündlich erstattete Gutachten maßgeblich ist.
Insoweit bleibt ohne Belang, dass der Gutachter in seinem schriftlichen Gutach-
ten (auf Seite 75) missverständlich ausgeführt hat, eine akute posttraumatische
Belastungsstörung klinge im Allgemeinen binnen sechs Monaten ab. In der Be-
rufungshauptverhandlung wurde deutlich, dass der Gutachter annimmt, Phä-
nomene dafür würden im Allgemeinen binnen sechs Monaten auftreten; dies
entspricht auch den Angaben gemäß ICD-10-GM F.43.1 der Internationalen
statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprob-
leme, Fassung 2015 (https://www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-10-
gm/kodesuche/onlinefassungen/htmlgm2015/). Hinzu kommt noch, dass der
Gutachter weder die Anfangskriterien einer posttraumatischen Belastungsstö-
rung noch ihre Symptome beim Soldaten feststellen konnte. Wenn eine post-
traumatische Belastungsstörung hiernach aber zu keinem Zeitpunkt aufgetreten
ist, kommt es nicht darauf an, binnen welcher Frist sie abklingen würde.
Dem Gutachten sind die tatsächlichen Grundlagen zu entnehmen, die der Se-
nat benötigt, um im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB
die sich stellenden Rechtsfragen beantworten zu können. Es basiert auf der
Auswertung der Strafverfahrensakte sowie auf einer am 1. März 2010 von dem
Sachverständigen durchgeführten mehrstündigen ambulanten Begutachtung
des Soldaten. Der Gutachter ist Facharzt für Neurologie, Psychiatrie, Psycho-
therapie, forensische Psychiatrie und Verkehrsmedizin und durch zahlreiche
forensische Begutachtungen ausgewiesen und wissenschaftlich qualifiziert (zu
den formalen Anforderungen an ein Sachverständigengutachten: BVerwG, Ur-
teil vom 28. August 2014 - 2 WD 20.13 - juris Rn. 33 ff.). Dass sich der Gutach-
ter in der Berufungshauptverhandlung Formulierungen wie etwa "der ganz nor-
male Beziehungswahnsinn" bedient hat, um den im Gutachten (auf Seite 82)
fachterminologisch als "prinzipielle Psychopathologie von Beziehungsstreitigkei-
ten" bezeichneten Umstand auch für medizinische Laien mittels plastischer
Formulierungen verständlich zu machen, nimmt seinen Aussagen - anders als
von der Verteidigung eingewandt - nicht ihren wissenschaftlichen Gehalt.
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Das 86 Seiten umfassende Gutachten gibt den Inhalt der ausgewerteten Unter-
lagen und ausführlich auch die Angaben des Probanden wieder. Es erläutert die
Befunde auf der Grundlage wissenschaftlicher Untersuchungsmethoden und
legt dar, aus welchen Gründen die klassischen Eingangsmerkmale des § 20
StGB nicht vorliegen. Ausweislich Seite 53 des durch Verlesung in die Beru-
fungshauptverhandlung eingeführten Berufungsurteils zu den seinerzeitigen
Aussagen des Sachverständigengutachtens, deren Richtigkeit der Gutachter in
der Berufungshauptverhandlung bestätigt hat, bestehen bei dem Soldaten ins-
besondere keine psychopathologischen Auffälligkeiten. Vor allem hat der Gut-
achter auch in der Berufungshauptverhandlung ausführlich und nachvollziehbar
begründet, warum der zentrale Einwand der Verteidigung, der Tod des Vaters
habe bei dem Soldaten zu einer seine Schuldfähigkeit erheblich vermindernden
posttraumatischen Belastungsstörung geführt, unzutreffend ist.
Der Gutachter hat dazu im Wesentlichen dargelegt, der Soldat habe sehr ratio-
nal gehandelt, nachdem er erfahren habe, dass sein Vater in der … verschollen
sei. Er sei nach B. in dessen Wohnung gefahren, um dort den Inhalt des Safes
zu sichern. Darüber hinaus habe er die Reise in die … zusammen mit seiner
früheren Lebensgefährtin geplant und nicht überstürzt angetreten, sich mithin
weiter rational handelnd und zielgerichtet gezeigt. In der … sei er auch nicht
unvorbereitet mit dem Anblick des toten Vaters konfrontiert worden. Vielmehr
habe man ihm vorher mitgeteilt, dass dessen Leichnam aufgefunden worden
sei. Auch nach der Rückkehr habe sich der Soldat psycho-sozial unauffällig
verhalten, insbesondere den Dienst wieder zielstrebig aufgenommen, ihn ord-
nungsgemäß versehen, seine Beziehung fortgeführt und den Nachlass des Va-
ters abgewickelt. Weder seien bei ihm so genannte "Flashbacks" noch sonstige
für eine posttraumatische Belastungsstörung charakteristische Symptome - wie
Schlaflosigkeit, Potenzstörungen, Übelkeit, Schwindel, Tremor, Lustlosigkeit,
Appetitlosigkeit, Fluchtreaktionen, Depressionen, Isolation, Somatisierungen,
Dissoziation, Selbstverletzungen, Substanzmissbrauch oder das so genannte
Da-Costa-Syndrom - aufgetreten; keinen "Flashback" bilde insbesondere das
auf Seite 34 des Gutachtens beschriebene Geschehen. Dass der Soldat weine,
wenn er mit Vaterbezug aufweisenden Liedern konfrontiert werde, spreche für
eine normale psychologische Trauerarbeit und nicht für pathologische Struktu-
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ren. Der Verlust der Eltern gehöre ab einem gewissen Lebensalter zu einer
normalen menschlichen Erfahrung; sie sei nicht vergleichbar mit Auswirkungen
wie Naturkatastrophen, Gewaltverbrechen (wie Vergewaltigung, Folter, Geisel-
nahme), eines (eigenen) Unfalls, Kriegshandlungen, Verlust der sozialen Stel-
lung oder des sozialen Bezugsrahmens. Der Soldat habe vielmehr nach dem
Tod seines Vaters eine normale Trauerarbeit geleistet, die keine Depression mit
Krankheitswert sei. Durch den Tod des Vaters habe die seinerzeit bereits labile
Beziehung des Soldaten zu seiner früheren Lebensgefährtin allerdings einen
größeren Stellenwert mit möglicherweise vermehrten Anklammerungstenden-
zen erlangt. Die milden narzisstischen und anankastischen Akzentuierungen
des Soldaten, welche sich gegenseitig kompensierten, bewegten sich in der
Kombinationswirkung im Rahmen der Normalvarianz und erfüllten nicht das
Merkmal einer schweren (anderen) seelischen Abartigkeit. Es bestehe lediglich
ein mehr oder weniger unbegründetes Beharren auf der Unterordnung anderer
unter eigene Gewohnheiten. Damit ist zugleich der weitere Einwand der Vertei-
digung entkräftet, es lägen bei dem Soldaten Ansätze einer anankastischen
Persönlichkeitsstörung (vgl. ICD-10-GM F60.5) vor, denen das Truppendienst-
gericht näher hätte nachgehen müssen.
Die massiven Auseinandersetzungen des Soldaten mit seiner früheren Lebens-
gefährtin seien im Rahmen von Beziehungsstreitigkeiten nicht außergewöhn-
lich. Die Trennung sei für den Soldaten auch nicht plötzlich gekommen, weil es
bereits zuvor Auseinandersetzungen deswegen gegeben habe.
Allerdings sei eine gewisse, aus der Situation heraus begründete Einengung
der Steuerungsfähigkeit bei den Vorgängen nach den Anschuldigungspunkten 4
und 5 festzustellen, welche daraus resultiere, dass sich der Soldat massiv be-
drängt gefühlt habe. Da der Soldat mit dem unangekündigten Auszug der Le-
bensgefährtin nicht gerechnet habe, habe er sich durch das plötzliche Auftau-
chen der Umzugshelfer in seiner dominanten Position in der Partnerschaft be-
droht gefühlt. Diese Furcht sei vor dem Hintergrund seiner narziss-
tisch-zwanghaften Züge mitursächlich für sein aggressives Verhalten geworden.
Die mit dieser Bewusstseinsstörung einhergehende Einschränkung der Steue-
rungsfähigkeit liege allerdings deutlich unterhalb der Erheblichkeitsschwelle des
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§ 21 StGB. Dass der Soldat in seiner Steuerungsfähigkeit nicht stark einge-
schränkt gewesen sei, ergebe sich daraus, dass er in der Lage gewesen sei,
seine pekuniären Interessen rational handelnd zu verfolgen. Soweit der Gutach-
ter hier eine gewisse Einschränkung der Steuerungsfähigkeit nicht ausschlie-
ßen konnte, sei aber das Geschehen nach dem Anschuldigungspunkt 6 nicht
betroffen. Dort habe der Soldat mit forensischem Kalkül in einer Art "Vorwärts-
verteidigung" in realistischer Einschätzung seiner Lage seine Interessen ver-
folgt. Sein gesamtes Vorgehen spreche deutlich gegen eine Affektsteuerung.
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die sachverständigen Feststel-
lungen unzutreffend sind und der Senat sie seiner rechtlichen Bewertung des-
halb nicht zugrunde legen dürfte. Dass der beim Truppendienstgericht vernom-
mene Leumundszeuge als medizinischer Laie den Einfluss des Todes des Va-
ters auf den Soldaten anders bewertet als der Sachverständige, erschüttert das
Gutachten entgegen den Ausführungen der Berufungsbegründung nicht. Die
gutachterlichen Feststellungen werden zudem untermauert zum einen durch die
Aussage des Soldaten selbst. Er hat gleich zu Beginn in der Berufungshaupt-
verhandlung ausgeführt, er weise eine hohe Stressresistenz auf, auch nach
dem Tod seines Vaters; die Belastungen des gerichtlichen Verfahrens könne er
allerdings psychisch nicht mehr tragen. Zum anderen hat auch die den Soldaten
seit August 2014 behandelnde Psychotherapeutin R. ausgeführt, nach dem Tod
des Vaters habe sich bei dem Soldaten eine "normale Trauerreaktion" einge-
stellt, dessen Verhalten am 21. März 2009 stelle sich (nur) als „akute Belas-
tungsreaktion“ (F.43.0) dar. Die nunmehr diagnostizierte mittelgradige Depres-
sion sei ausschließlich eine Folge des Gerichtsverfahrens.
bb) Da der Gutachter in der Berufungshauptverhandlung nicht auszuschließen
vermochte, dass bei dem Soldaten während der Geschehnisse nach den An-
schuldigungspunkten 4 und 5 eine gewisse, wenn auch unzweifelhaft deutlich
unterhalb des § 21 StGB verbleibende Einengung der Steuerungsfähigkeit vor-
lag, hat der Senat zu Gunsten des Soldaten insoweit vom Vorliegen eines mil-
dernden Umstandes auszugehen (BVerwG, Urteile vom 17. Januar
2013 - 2 WD 25.11 - juris Rn. 74 sowie vom 20. Februar 2014 - 2 WD
35.11 - juris Rn. 94).
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Entlastende Umstände sind nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" schon dann
beachtlich, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen ge-
geben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist. Für die
Berücksichtigung von Milderungsgründen genügt, wenn für sie hinreichende
tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, sodass sich ihr Vorliegen nicht ausschlie-
ßen lässt. Lässt sich deshalb nach erschöpfender Sachaufklärung - wie vorlie-
gend - nicht ohne vernünftigen Zweifel ein Sachverhalt ausschließen, der eine
verminderte Schuldfähigkeit ergibt, ist dies in die Gesamtwürdigung einzustellen
(BVerwG, Urteil vom 20.
Februar
2014 - 2 WD 35.11 - juris Rn. 62 m.w.N.).
cc) Der klassische Milderungsgrund der seelischen Ausnahmesituation ist da-
gegen nicht gegeben. Er liegt als Milderungsgrund in den Umständen der Tat
erst dann vor, wenn die Situation von so außergewöhnlichen Besonderheiten
geprägt war, dass von dem Soldaten ein an normalen Maßstäben orientiertes
Verhalten nicht mehr erwartet und daher auch nicht vorausgesetzt werden
konnte (BVerwG, Urteil vom 27. September 2012 - 2 WD 22.11 - juris Rn. 42).
Soweit der Senat die affektive Belastung des Soldaten anlässlich der Gescheh-
nisse am 21. März 2009 ohnehin als mildernden Umstand berücksichtigt, ist sie
nicht doppelt zu seinen Gunsten auch als seelische Ausnahmesituation zu wür-
digen. Wegen anderer Tatkomplexe als den Anschuldigungspunkten 4 und 5
erreicht die affektive Belastung keinen Grad an Zuspitzung, dass ein normge-
mäßes Verhalten kaum noch erwartet werden kann.
dd) Dem Soldaten kann auch nicht der Milderungsgrund der einmaligen persön-
lichkeitsfremden Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und im Dienst be-
währten Soldaten zugutegehalten werden (zu den Anforderungen: vgl. BVerwG,
Urteil vom 24. Juli 2013 - 2 WD 11.12 - Rn. 40 m.w.N.).
Die festgestellten Pflichtverletzungen stellen sich durchgängig als Versuch des
Soldaten dar, seine dominante Position in der Partnerschaft durch aggressive
Verhaltensweisen oder Drohungen mit Gewalt zu erhalten. Der Senat bewertet
sie daher nicht als persönlichkeitsfremd. Er folgt insoweit den Aussagen des
Gutachters in der Berufungshauptverhandlung. Der Sachverständige hat die
Persönlichkeitsfremdheit auf ausdrückliche Nachfrage des Senats verneint.
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Seine Feststellung ist für den Senat schon angesichts der Vielzahl der ver-
gleichbaren Pflichtverletzungen nachvollziehbar.
d) Soweit es die Persönlichkeit und die bisherige Führung des Soldaten betrifft,
liegen sowohl für ihn sprechende als auch neutrale Umstände vor.
aa) Für ihn sprechen seine überdurchschnittlichen Leistungen. Sie finden in der
Abschlussnote "gut" des Offizierlehrgangs, dem Studienabschluss ebenfalls mit
"gut", der Feststellung in der Regelbeurteilung vom 8. Februar 2006, der Soldat
gehöre innerhalb seines Jahrgangs zur Leistungsspitze, der Sonderbeurteilung
vom 17. Juni 2014 mit der Note "6,50", der Aussage des Leumundszeugen
Oberstleutnant B., der Soldat stehe im vorderen Leistungsdrittel, und schließlich
in der Aussage des Leumundszeugen Oberstleutnant D., die Leistungen des
Soldaten seien mit "7,50" zu bewerten, Ausdruck. Insbesondere die aktuelle
Leistungsbeurteilung belegt auch eine Nachbewährung. Sie ist festzustellen,
wenn durch das Gesamtverhalten eines Soldaten im Laufe des gerichtlichen
Disziplinarverfahrens deutlich wird, dass das Verfahren selbst nachhaltig pflich-
tenmahnend auf ihn wirkt und er durch seine dienstliche Führung in jeder Hin-
sicht dokumentiert, dass er die durch die Pflichtverletzungen begründeten Zwei-
fel an seiner charakterlichen Integrität und fachlichen Eignung durch besonders
korrekte Pflichterfüllung ausräumen will (BVerwG, Urteil vom 24. Juli 2013 - 2
WD 11.12 - Rn. 47).
bb) Dass der Soldat vorher straf- und disziplinarrechtlich nicht vorbelastet war,
ist hingegen kein für ihn sprechender Umstand von Gewicht, weil er hiermit nur
die Mindesterwartungen des Dienstherrn pflichtgemäß erfüllte (BVerwG, Urteil
vom 4. Dezember 2014 - 2 WD 23.13 - juris Rn. 58).
cc) Soweit der Soldat die Pflichtverletzungen im Wesentlichen weiterhin in Ab-
rede gestellt hat, ist sein Aussageverhalten nicht als negatives Persönlichkeits-
merkmal zu bewerten, weil für ihn keine Verpflichtung besteht, sich selbst zu
belasten, und er insoweit von der Wahrheitspflicht gemäß § 13 Abs. 1 SG ent-
bunden ist (BVerwG, Urteil vom 10. September 2009 - 2 WD 28.08 - Rn. 38
m.w.N.). Ein solches Aussageverhalten steht jedoch einer günstigen Persön-
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lichkeitsbeurteilung des Inhalts entgegen, der Soldat habe Einsicht gezeigt und
sich mit seiner Verantwortung für die Tat kritisch auseinander gesetzt (BVerwG,
Urteil vom 14. Oktober 2009 - 2 WD 16.08 - juris Rn. 73).
e) Die Beweggründe des Soldaten sprechen durchgehend gegen ihn. Das Mo-
tiv, Konflikte unter Einsatz von Gewalt zu lösen, ist in hohem Maße sozialschäd-
lich und gefährdet das Zusammenleben in der Gesellschaft, das auf eine friedli-
che Konfliktlösung angewiesen ist; zudem untergräbt es das staatliche Gewalt-
monopol, an dessen Wahrung einem Soldaten besonders gelegen sein muss.
Verwerflich ist ebenso das Motiv, unter Irreführung von Strafverfolgungsorga-
nen in privaten Angelegenheiten Vergeltung zu üben.
f) Bei der Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände ist im Hin-
blick auf die gemäß § 58 Abs. 7 WDO auch im gerichtlichen Disziplinarverfah-
ren maßgeblichen Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zweck-
setzung des Wehrdisziplinarrechts die Entfernung des Soldaten aus dem
Dienstverhältnis gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 5 in Verbindung mit § 63 Abs. 1 WDO
erforderlich und angemessen.
Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in sei-
ner gefestigten Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar
2010 - 2 WD 9.09 - juris Rn. 35 ff.) von einem zweistufigen Prüfungsschema
aus:
aa) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbe-
handlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen
Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regel-
maßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zu-
messungserwägungen. Den Schwerpunkt des Dienstvergehens bilden vorlie-
gend die unter Anschuldigungspunkt 4 bis 6 bezeichneten Pflichtverletzungen,
welche im Strafverfahren als Freiheitsberaubung, (dreifache) Körperverletzun-
gen sowie falsche Verdächtigung geahndet wurden.
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Schon für die falsche Verdächtigung (nach § 164 Abs. 1 StGB) bildet den Aus-
gangspunkt der Zumessungserwägungen eine Herabsetzung im Dienstgrad
(§ 58 Abs. 1 Nr. 4 in Verbindung mit § 62 Abs. 1 WDO), weil der Senat bereits
bei vorsätzlichen uneidlichen Falschaussagen vor Gericht (nach § 153 StGB)
diese Maßnahmeart zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen be-
stimmt hat (BVerwG, Urteile vom 4. März 2009 - 2 WD 10.08 - Rn. 61 Buchholz
450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 27 und vom 24. Oktober 1991 - 2 WD 9.91 - BVerw-
GE 93, 171 <172 f.>). Zur Begründung hat er ausgeführt, ein Soldat wirke mit
der (uneidlichen) Falschaussage einem anderen Staatsorgan bei der Aufga-
benerfüllung entgegen. Mit dem Versuch, die gerichtliche Wahrheitsfindung zu
vereiteln, untergrabe der Soldat seine Glaubwürdigkeit im dienstlichen Bereich,
der gerade für das Soldatenverhältnis besondere Bedeutung zukomme. Da das
geschützte Rechtsgut bei der uneidlichen Falschaussage (§ 153 StGB) ebenso
wie bei der falschen Verdächtigung (§ 164 StGB) die staatliche Rechtspflege ist
(Fischer, Kommentar StGB, 62. Aufl. 2015, vor § 153 Rn. 2) und bei § 164
StGB zudem noch der Schutz des zu Unrecht Beschuldigten als schuld- und
taterschwerendes Rechtsgut hinzu tritt (Fischer, Kommentar StGB, 62. Aufl.
2015, § 164 Rn. 2) rechtfertigt die Verletzung derselben Rechtsgüter die Ahn-
dung des vergleichbaren Fehlverhaltens mit derselben Maßnahmeart.
Wegen der außerdienstlich begangenen vorsätzlichen Körperverletzungen bil-
det den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Herabsetzung im
Dienstgrad jedenfalls dann, wenn eine brutale körperliche Misshandlung vorliegt
(vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Februar 2013 - 2 WD 36.12 - juris Rn. 57 m.w.N.).
Sie ist anzunehmen, wenn die qualifizierenden Tatbestandsmerkmale nach den
§§ 224 bis 227 StGB erfüllt sind (BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2012 - 2 WD
18.11 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 37 Rn. 32) oder in der Verlet-
zungshandlung in der Intensität der Schutzgutverletzung eine kriminelle Energie
zum Ausdruck kommt, die mit derjenigen einer gefährlichen Körperverletzung
vergleichbar ist und die wegen des Maßes an Disziplinlosigkeit in vergleichbarer
Weise Zweifel an der Integrität eines Soldaten weckt (BVerwG, Urteil vom
4. Juli 2013 - 2 WD 21.12 - Rn. 43). Vorliegend begründet zumindest der wuch-
tige Tritt gegen die Brust der früheren Lebensgefährtin eine brutale körperliche
Misshandlung.
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Mithin prägen Pflichtverletzungen den Schwerpunkt des Dienstvergehens, die je
für sich genommen bereits eine Dienstgradherabsetzung verlangen. Von dieser
Maßnahmeart gehen die Zumessungserwägungen im Folgenden aus, während
der Häufung derartig schwerer Pflichtverletzungen auf der zweiten Stufe der
Bemessungserwägungen Rechnung zu tragen ist.
bb) Auf der zweiten Stufe ist sodann zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im
Hinblick auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die
Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die die Möglich-
keit einer Milderung oder die Notwendigkeit einer Verschärfung gegenüber der
auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme eröffnen. Dabei ist
vor allem angesichts der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie
dessen Auswirkungen zu klären, ob es sich im Hinblick auf be- und entlastende
Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften
Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedri-
gerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungs-
erwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach "oben" bzw. nach
"unten" zu modifizieren. Zusätzlich sind die gesetzlich normierten Bemessungs-
kriterien für die Bestimmung der konkreten Sanktion zu gewichten, wenn die
Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet,
dem Wehrdienstgericht einen Spielraum eröffnet (BVerwG, Urteile vom 13. Feb-
ruar 2014 - 2 WD 4.13 - juris Rn. 73 sowie vom 11. September 2014 - 2 WD
11.13 - juris Rn. 75).
Danach erfordern erschwerende Umstände den Übergang zur Entfernung aus
dem Dienstverhältnis als nächst höherer Maßnahmeart deshalb, weil durch sie
das Vertrauensverhältnis zwischen dem Soldaten und dem Dienstherrn irrever-
sibel zerstört worden ist (BVerwG, Urteil vom 21. Mai 2014 - 2 WD 7.13 - juris
Rn. 62 m.w.N.).
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aaa) Dass das Dienstvergehen nicht mehr tat- und schuldangemessen mit einer
Dienstgradherabsetzung zu sanktionieren, eine Fortsetzung des Dienstverhält-
nisses dem Dienstherrn nicht mehr zumutbar ist, ergibt sich in erster Linie aus
der Häufung gravierender einzelner Pflichtverletzungen. So hat der Soldat be-
reits mit den Taten vom 21. März 2009 mehrfach eine Dienstgradherabsetzung
verlangende Einzeltaten begangen. Auch an diesem Tag traten zudem weitere
einfache Körperverletzungshandlungen gegen die frühere Lebensgefährtin und
eine Freiheitsberaubung hinzu. Zusätzlich muss auch den weiteren Pflichtver-
letzungen nach den Anschuldigungspunkten 2 und 3 Rechnung getragen wer-
den. Mögen diese auch je für sich betrachtet, noch keine Dienstgradherabset-
zung verlangen, führt die Summe der hier in Rede stehenden einzelnen Pflicht-
verletzungen jedenfalls dazu, dass der Senat von einem besonders schweren
Fall ausgeht.
Sämtliche Pflichtverletzungen waren zudem nicht nur strafrechtlich relevant,
sondern wurden auch mit einer Freiheitsstrafe geahndet und dies in einer Höhe,
die ihre Sozialschädlichkeit dokumentiert. Der bereits zum Zeitpunkt der Tat
über eine ATN als Schießlehrer verfügende Soldat bediente sich ferner bei der
unter Anschuldigungspunkt 2 beschriebenen Pflichtverletzung einer Schusswaf-
fe und überschritt damit die in seiner Ausbildung aufgebaute Hemmschwelle,
worauf die Vorinstanz mit Recht verweist. Bei alledem schreckte er nicht davor
zurück, staatliche Institutionen zu Vergeltungszwecken zu instrumentalisieren.
Dass ihn selbst sein Dienstgrad im Offiziersrang davon nicht abhielt, verleiht
dem Dienstvergehen noch zusätzliche Schwere.
bbb) Da das Gewicht mildernder Umstände umso größer sein muss, je schwe-
rer das Dienstvergehen wiegt (BVerwG, Urteil vom 11. September 2014 - 2 WD
11.13 - juris Rn. 79 m.w.N.), sind sowohl die überdurchschnittlichen Leistungen
des Soldaten als auch dessen Nachbewährung nicht geeignet, von der gebote-
nen Maßnahmeart abzuweichen und zum Ausgangspunkt der Zumessungser-
wägungen zurückzukehren. Überdurchschnittliche Leistungen sind nicht geeig-
net, einen gravierenden Persönlichkeitsmangel zu relativieren oder zu kompen-
sieren. Dies widerspräche dem Grundsatz, dass der Charakter eines Menschen
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und die Wertung seiner Festigkeit und Lauterkeit unteilbar sind (BVerwG, Urteil
vom 4. Mai 2011 - 2 WD 2.10 - Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 6 Rn. 46).
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Soldat nach den insoweit
glaubhaften Bekundungen der ihn behandelnden Psychotherapeutin unter den
Folgen der gerichtlichen Verfahren leidet und wegen einer mittelgradigen De-
pression in Behandlung ist. Bei der Bemessung von Art und Ausmaß der
erforderlichen Pflichtenmahnung müssen zwar im Hinblick auf die
Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts in spezialpräventiver Hinsicht sowie
im Hinblick auf das Gebot der Verhältnismäßigkeit die den Soldaten objektiv
und subjektiv belastenden bereits eingetretenen und voraussichtlichen
künftigen Auswirkungen bei der Maßnahmebemessung Berücksichtigung finden
(BVerwG, Urteil vom 2. April 2008 - 2 WD 13.07 - Buchholz 450.2 § 38 WDO
2002 Nr. 25 Rn. 54). Dies darf jedoch nicht dazu führen, gesetzgeberische
Wertungen zu unterlaufen (BVerwG, Urteil vom 16. Februar 2012 - 2 WD 7.11 -
Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 9 Rn. 41). Dazu käme es indes, wenn trotz
des vollständigen Vertrauensverlustes nur deshalb nicht die Entfernung aus
dem Dienstverhältnis ausgesprochen werden dürfte, weil sich der Soldat Folgen
für ein Verhalten ausgesetzt sieht, für das letztlich er die Verantwortung trägt
(vgl. BVerwG, Urteile vom 8. Juli 1998 - 2 WD 42.97 - BVerwGE 113, 235
<240> und vom 13. März 2008 - 2 WD 6.07 - juris Rn. 116).
Ebenso wenig erlangt die im Zusammenhang mit den Pflichtverletzungen ent-
sprechend den Anschuldigungspunkten 4 und 5 festgestellte Einschränkung der
Steuerungsfähigkeit das Gewicht eines klassischen Milderungsgrundes. Zum
einen bewegt sich die Einschränkung der Steuerungsfähigkeit erheblich unter
der Schwelle des § 21 StGB; zum anderen bezieht sie sich nur auf zwei von
insgesamt sechs Anschuldigungspunkten. Daher bewertet der Senat diesen
Aspekt auch zusammen mit den positiven Aspekten in der Person nicht als hin-
reichend gewichtig, um von der verwirkten Höchstmaßnahme abzusehen.
Dass die Pflichtverletzungen bereits strafrechtlich mit einer Freiheitsstrafe von
zehn Monaten geahndet worden sind, begründet ebenfalls keinen mildernden
Umstand. Weder § 16 Abs. 1 noch § 17 Abs. 2 bis 4 WDO verbieten, die
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Höchstmaßnahme zu verhängen. Steht im Einzelfall - wie hier - § 16 WDO der
Zulässigkeit des Ausspruchs einer Disziplinarmaßnahme nicht entgegen, ist die
Art oder Höhe einer Kriminalstrafe oder sonstigen Strafsanktion für die Gewich-
tung der Schwere des sachgleichen Dienstvergehens regelmäßig nicht von
ausschlaggebender Bedeutung. Strafverfahren und Disziplinarverfahren verfol-
gen unterschiedliche Zwecke. Die Kriminalstrafe unterscheidet sich nach We-
sen und Zweck grundlegend von der Disziplinarmaßnahme. Während erstere
neben Abschreckung und Besserung der Vergeltung und Sühne für begange-
nes Unrecht gegen den allgemeinen Rechtsfrieden dient, ist die disziplinarische
Ahndung darauf ausgerichtet, unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrund-
satzes einen geordneten und integren Dienstbetrieb aufrechtzuerhalten oder
wiederherzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. September 2014 - 2 WD
11.13 - juris Rn. 76 m.w.N.).
5. Da die Berufung des Soldaten erfolglos ist, sind ihm gemäß § 139 Abs. 2
WDO die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen. Gemäß § 140 Abs. 5
Satz 2 WDO trägt er auch die ihm darin erwachsenen notwendigen Auslagen.
Dr. von Heimburg
Dr. Burmeister
Dr. Eppelt
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