Urteil des BVerwG vom 15.05.2014

Soldat, Erschleichen Einer Leistung, Meldung, Kompanie

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 3.13
TDG S 4 VL 30/12
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
Herrn Oberstabsfeldwebel a.D. …,
…,
…,
…,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 15. Mai 2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Burmeister,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
ehrenamtliche Richterin Oberfeldveterinär Dr. Sauer und
ehrenamtliche Richterin Stabsfeldwebel Schälicke,
Leitender Regierungsdirektor ….
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt …,
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin …
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 2 -
Auf die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft wird das
Urteil der 4. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom
12. Dezember 2012 im Ausspruch über die Disziplinarmaß-
nahme geändert.
Der frühere Soldat wird wegen eines Dienstvergehens in den
Dienstgrad eines Stabsfeldwebels a.D. herabgesetzt.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem früheren
Soldaten auferlegt, der auch die ihm darin entstandenen not-
wendigen Auslagen zu tragen hat.
G r ü n d e :
I
Der 19.. geborene frühere Soldat wurde nach erfolgreicher Ausbildung … An-
fang 19.. zum Grundwehrdienst eingezogen, zunächst in das Dienstverhältnis
eines Soldaten auf Zeit berufen und 19.. zum Berufssoldaten ernannt. Er wurde
zuletzt 20.. zum Oberstabsfeldwebel befördert und zum September 20.. in den
Ruhestand versetzt.
Nach zahlreichen Verwendungen wurde der frühere Soldat zum Oktober 20..
als Kompaniefeldwebel zur …bataillon … und nach Bekanntwerden der diesem
Verfahren zugrundeliegenden Vorwürfe zum 1. Juni 20.. zur …brigade …. ver-
setzt. Vom 1. September 20.. bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand war er
zur Dienstleistung an das … in I. kommandiert.
Der frühere Soldat wurde zuletzt als Stabsfeldwebel planmäßig am ... März 20..
beurteilt. Dabei erhielt er zwölf Mal die Wertung „6“ und viermal die Wertung „7“.
Unter anderem ist in der Beurteilung ausgeführt, der frühere Soldat sei als
Unteroffizier seiner Laufbahngruppe eine Ausnahmeerscheinung, ein „Mann der
Truppe“ und ein militärischer Führer, wie man ihn sich wünsche. Bei Gleichge-
stellten, Untergebenen und Vorgesetzten sei er gleichermaßen anerkannt und
geschätzt. Er integriere sich in jede soldatische Gemeinschaft und wirke positiv
auf sie ein. Er sei ein absolut loyaler, konstruktiver und wertvoller Mitarbeiter
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sowie ein vorbildlicher Unteroffizier und Leistungsträger. Seine mit charakterli-
cher Stärke gepaarte Truppenerfahrung, seine Leistungsbereitschaft sowie die
Fähigkeit zur Menschenführung würden ihn für eine Förderung in den Spitzen-
dienstgrad seiner Dienstgradgruppe empfehlen. Sein enormes Leistungspoten-
tial sei bei weitem noch nicht erschlossen. Der nächsthöhere Vorgesetzte
schloss sich dem an und ergänzte, der frühere Soldat sei der Spitzenmann der
Kompaniefeldwebel des Bataillons. Im Kreise der „Spieße“ sei er aufgrund sei-
nes fachlichen Könnens und der hohen persönlichen Integrität der informelle
Führer. Die Qualität der Zusammenarbeit mit der Bataillonsführung rechtfertige
die Anhebung der Wertungsstufe für das Leistungsmerkmal „Zusammenarbeit“.
Der Leumundszeuge Oberstleutnant B. hat den früheren Soldaten in seiner in
der Berufungshauptverhandlung verlesenen richterlichen Vernehmung als Per-
son beschrieben, die nur auf den ersten Eindruck Kompetenz ausgestrahlt ha-
be. Er habe zu ihm kein Vertrauen gehabt. Beispielsweise habe er nach seiner
Rückkehr aus dem Urlaub erfahren müssen, dass der Stabsfeldwebel K. durch
die Intervention des früheren Soldaten nicht die Funktion des Kompanietrupp-
führers übernommen habe, obwohl er - der Zeuge - zuvor auf eine entspre-
chende Dienstpostenbesetzung hingewirkt hatte. Darüber hinaus habe er im
Laufe der Zeit wahrgenommen, dass die Aktenführung des früheren Soldaten
katastrophal gewesen sei. Dies habe sich etwa anlässlich der Überprüfung des
Bundesrechnungshofs im Jahre 20.. gezeigt. Als Grundlage der Überprüfung
habe nur eine „Zettelwirtschaft“ zur Verfügung gestanden. Zudem habe er fest-
gestellt, dass der frühere Soldat über unzureichende Kenntnisse in der Bera-
tung und Betreuung des Unteroffizierkorps verfüge. Hier habe er an rechtlichen
Vorgaben vorbei regelmäßig zu „Truppenlösungen“ geneigt. Nach seinem Ein-
druck habe der frühere Soldat im Unteroffizierkorps keinen Rückhalt gehabt.
Der in der Berufungshauptverhandlung als Leumundszeuge vernommene Major
S. hat im Wesentlichen ausgesagt, auch wenn der frühere Soldat zum … I.
kommandiert gewesen sei, habe er ihn bei Übungen immer mal wieder gese-
hen. Zudem habe es während des Zeitraums, in dem der frühere Soldat in S.
eingesetzt gewesen sei, keinen Anlass zu Beanstandungen gegeben; die Zu-
sammenarbeit der Kompanie mit dem Fuhrparkservice sei nach der Komman-
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dierung des früheren Soldaten dorthin sehr gut gewesen. Zu den Leistungen
des früheren Soldaten sei zu betonen, dass nur ausgezeichnete Soldaten
„Spieß“ einer Stabskompanie würden. Er ordne die Leistungen des früheren
Soldaten im oberen Drittel ein und würde ihm bei einer Leistungsbewertung
eine „7“ geben. Der Weg der Sportbefreiung, der den Verlust der Sprungbe-
rechtigung zur Folge habe, werde von vorgesetzten Soldaten sehr ungern be-
schritten, weil sie meinten, dies würde ihre Vorbildfunktion nachteilig berühren.
Anders als vom Leumundszeugen B. behauptet, sei die von dem früheren Sol-
daten vorgenommene Belehrung des Stabsfeldwebels K. über dessen Verwen-
dungsperspektive richtig gewesen.
Der Disziplinarbuchauszug des früheren Soldaten weist acht Förmliche An-
erkennungen aus den Jahren 19.. bis 20.. aus. Dessen aktueller Zentralregis-
terauszug enthält keine Eintragungen. Dem früheren Soldaten wurden zudem
20.. und 20.. Leistungsprämien zuerkannt. Das zu dem gerichtlichen Diszipli-
narverfahren sachgleiche Strafverfahren wurde durch die Staatsanwaltschaft …
- Az: 2250 Js 23689/10 - im Januar 20.. nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt.
Der frühere Soldat ist berechtigt, das Ehrenkreuz der Bundeswehr und das
Leistungsabzeichen für Leistungen im Truppendienst jeweils in Gold zu tragen.
Er ist geschieden und wieder verheiratet und hat mit der neuen Ehefrau … Jah-
re alte Kinder. Aus erster Ehe hat er … Kinder, für die er nicht mehr unterhalts-
pflichtig ist. Er erhält Versorgungsbezüge aus der Besoldungsgruppe A 9, die
unter Einberechnung des Kindergeldes … in Höhe von etwa 2 482 € ausgezahlt
werden. Durch eine Beschäftigung bei der … Stiftung verdient er monatlich et-
wa 900 € bis 1 000 € hinzu. Etwa 19 Stunden arbeitet er bei dieser karitativen
Einrichtung ehrenamtlich. Seine Ehefrau ist berufstätig und verdient monatlich
ca. 1 100 € netto. Es bestehen Kreditverbindlichkeiten in Höhe von etwa
79 000 €, die der frühere Soldat mit etwa 852 € monatlich bedient. Die Warm-
miete beträgt 1 200 €.
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II
1. Das gerichtliche Disziplinarverfahren ist nach Anhörung des früheren Sol-
daten, der der Anhörung der Vertrauensperson widersprochen hatte, durch den
Leiter der … mit Verfügung vom 12. Mai 2011 eingeleitet worden. Dem früheren
Soldaten wurde unter dem 17. Juli 2012 Schlussgehör gewährt.
2. In der bei dem Truppendienstgericht am 21. August 2012 eingegangenen
Anschuldigungsschrift vom 15. August 2012 heißt es in der Anschuldigungsfor-
mel unter anderem:
„Der Soldat im Ruhestand unterließ es im Zeitraum vom
1. Januar 2003 bis zum 30. April 2007 der Bezüge zah-
lenden Wehrbereichsverwaltung … … mitzuteilen, dass er
- was er wusste, zumindest hätte wissen können und
müssen - nach Wegfall der Voraussetzungen ab dem
1. Januar 2003 keinen Anspruch mehr auf die Zahlung der
Zulage für Fallschirmspringer ... hatte, obwohl er sowohl
als Betroffener Besoldungsempfänger als auch als dama-
liger Kompaniefeldwebel ... wusste, zumindest hätte wis-
sen können und müssen, dass er aufgrund der ihm oblie-
genden Treuepflicht und nach Nr. 9 Abs. 5 der Verfah-
rensbestimmungen ... verpflichtet war, diese Änderungs-
meldung abzugeben und den Dienstherrn auf eventuell
ungerechtfertigte Zahlungen hinzuweisen...“
Im Ermittlungsergebnis ist - unter anderem - ausgeführt:
„Die damalige Dienstanweisung der …Btl … lehnte sich
eng an die Musterdienstanweisung für den Kompaniefeld-
webel der ZDv 10/5, Anlage 2/1 an. Diese Dienstanwei-
sungen legten als Aufgaben des Kompaniefeldwebels -
und damit des Soldaten im Ruhestand - unter anderem
fest, dass er alle Listen, die Zahlungen begründen, prüft
und dass er das Erstellen von Listen und Statistiken im
Bereich des personellen Melde- und Berichtswesens zu
überwachen hat.
In seinen planmäßigen Beurteilungen vom 30. September
1996 und 24. März 1998 wurden als wahrgenommene
Aufgaben unter anderem die Leitung des Innendienstes
und des Geschäftszimmerbetriebes der Einheit und das
Überwachen der Änderungsmeldungen gemäß ZDv 20/15
(‚Das personelle Meldewesen der Bundeswehr‘) sowie die
termingerechte Bearbeitung schriftlicher und mündlicher
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an die Kompanie herangetragener Geschäftsvorgänge
beschrieben. Dementsprechend prüfte der Soldat im Ru-
hestand - in Zusammenarbeit mit dem Kompanietrupp -
regelmäßig zum Jahresende, ob die Soldaten seiner Ein-
heit alle notwendigen Voraussetzungen zur Verlängerung
der Gültigkeit ihrer Fallschirmspringerberechtigungen er-
füllt hatten. Soweit Soldaten noch nicht alle notwendigen
Voraussetzungen erfüllt hatten, wies der Soldat im Ruhe-
stand in seiner Eigenschaft als Kompaniefeldwebel diese
darauf hin. Da der Soldat im Ruhestand zumindest für die
Überwachung der Änderungsmeldungen zuständig war,
hätte er die Abgabe der ihn selbst betreffenden Ände-
rungsmeldung veranlassen müssen.“
3. Mit Urteil vom 12. Dezember 2012 hat das Truppendienstgericht dem frühe-
ren Soldaten das Ruhegehalt um 1/15 für die Dauer von drei Jahren gekürzt
und dem folgende Tatsachenfeststellungen zugrunde gelegt:
„Der Soldat im Ruhestand war vom Jahr 20.. bis Juni 20..
Kompaniefeldwebel der …bataillon … in … . Im Zeitraum
vom 1. Januar 20.. bis 30. April 20.. erhielt er die Zulage
für Fallschirmspringer gemäß § 23 h der Erschwerniszula-
genverordnung. Diese Zulage war ihm erstmals mit Wir-
kung vom 1. Oktober 20.. zuerkannt worden. Nach der
ZDv 19/16 (‚Zulassungsordnung für Fallschirmspringer der
Bundeswehr’) Nr. 110 endet die Gültigkeit einer erstmals
erworbenen Berechtigung für Fallschirmspringen grund-
sätzlich zum Ende des folgenden Jahres. Die Erlaubnis ist
nach den Nummern 111 und 112 der ZDv 19/16 zu ver-
längern, wenn der Soldat im Gültigkeitsjahr die Bedingun-
gen für die Verlängerung der Gültigkeit erfüllt. Die Bedin-
gung für die Verlängerung der Berechtigung (Automatik)
war nach der damals geltenden Fassung der ZDv 19/16
Nr. 203 vier Fallschirmsprünge mit automatischer Auslö-
sung Truppenfallschirm/Rundkappe innerhalb des Gültig-
keitsjahres unter Nachweis der körperlichen Tauglichkeit.
Dabei war eine vorläufige Verlängerung der Erlaubnis bis
längstens drei Monate über das Gültigkeitsjahr hinaus
möglich, wenn der Bewerber ohne eigenes Verschulden
oder aus dienstlichen Gründen die Bedingung für die Ver-
längerung nicht hatte erfüllen können. Der Nachweis der
körperlichen Leistungsfähigkeit wurde nach der zur dama-
ligen Zeit gültigen Nr. 107 der ZDv 19/16 durch eine
Untersuchung zur Verwendungsfähigkeit zum Fallschirm-
springer (Belegart 90/5) sowie durch Ablegen der sportli-
chen Leistungsprüfung nach der ZDv 89/203 (‚Der Fall-
schirmsprungdienst’), Anlage 2 geführt. Nach Nr. 1 der
Anlage 2/1 zur ZDv 89/203 setzt der Nachweis der körper-
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lichen Leistungsfähigkeit den Erwerb des Deutschen
Sportabzeichens voraus. Das Deutsche Sportabzeichen
legte der Soldat im Ruhestand letztmalig im Jahr 2001 ab.
Aufgrund des fehlenden Nachweises seiner körperlichen
Leistungsfähigkeit erfüllte der Soldat im Ruhestand ab
dem 1. Januar 2003 nicht mehr die Voraussetzungen für
den Erhalt der Fallschirmsprungerlaubnis. Darüber hinaus
hatte er in den Jahren 2004 und 2005 auch nicht die er-
forderlichen vier Pflichtsprünge absolviert, sondern nach-
weislich nur jeweils drei Pflichtsprünge. Im Jahr 2006 ab-
.
Obwohl er im Zeitraum vom 1. Januar 2003 bis 30. April
2007 die Voraussetzungen für die Gewährung der Sprin-
gerzulage nicht erfüllte, kam der Soldat im Ruhestand sei-
ner Verpflichtung als Besoldungsempfänger, Änderungen
der Anspruchsvoraussetzungen der Gebührnis zahlenden
Stelle mitzuteilen, nicht nach. Darüber hinaus meldete er
die fehlenden Anspruchsvoraussetzungen für seine Per-
son auch entgegen seiner Pflicht als Kompaniefeldwebel
im Rahmen derer er für die Meldung aller Änderungen be-
züglich der Gewährung der Springerzulage für die
… Kompanie verantwortlich war, nicht an die Gebührnis
zahlende Stelle. Aufgrund der unterlassenen Meldung
zahlte ihm die Wehrbereichsverwaltung …, Außenstelle
…, die Fallschirmspringerzulage in Höhe von 115,04 €
monatlich vom 1. Januar 2003 bis 30. April 2007 weiter,
sodass er mit insgesamt 5.982,08 € überzahlt wurde.
Der Soldat im Ruhestand hat den vorstehend festgestell-
ten Sachverhalt weitgehend eingeräumt. Zu seiner Entlas-
tung hat er sich dahingehend eingelassen, dass er in sei-
ner Funktion als Kompaniefeldwebel der …bataillon …
überlastet gewesen sei. Er habe die Änderung der Vo-
raussetzungen bezüglich des Anspruchs auf Gewährung
der Fallschirmspringerzulage nicht bewusst nicht an die
Gebührnis zahlende Stelle gemeldet. Er habe jeweils die
Hoffnung gehabt, die fehlenden Anspruchsvoraussetzun-
gen im I. Quartal des Folgejahres noch absolvieren zu
können. Dies sei ihm wegen seiner dienstlichen Überlas-
tung jeweils nicht gelungen.
Diese Einlassung des Soldaten im Ruhestand vermag
sein Handeln nicht zu rechtfertigen. Im Gegenteil wird sei-
ne Einlassung widerlegt durch die Aussagen der Zeugen
G. und Gr., die bekundet haben, dass dem Soldaten im
Ruhestand zumindest für das Jahr 2006 im Dezember
eine Liste derjenigen Soldaten der Kompanie vorgelegt
worden ist, die die Anspruchsvoraussetzungen für die
Gewährung der Fallschirmspringerzulage nicht erfüllt ha-
ben. Auf dieser Liste war ausdrücklich auch der Soldat im
Ruhestand aufgeführt. Entgegen der Aufstellung auf die-
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ser Liste und in Kenntnis, dass er die Anspruchsvoraus-
setzungen nicht erfüllt hat, hat er zwar die Soldaten der
Kompanie, die die Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt
haben, an die Gebührnis zahlenden Stellen gemeldet,
nicht jedoch seine eigene Person.
Die Kammer ist insoweit zu der Überzeugung gelangt,
dass der Einlassung des Soldaten im Ruhestand zwar ge-
folgt hätte werden können, sofern es sich um einen einma-
ligen Vorgang gehandelt hätte. Dass er drei Jahre hinter-
einander jedoch jeweils im Dezember geglaubt hat, dass
er im I. Quartal des Folgejahres die fehlenden Anspruchs-
voraussetzungen noch erfüllen könne, vermag die Kam-
mer dem Soldaten im Ruhestand nicht abzunehmen. Die
Kammer ist insoweit von einem vorsätzlichen Verhalten
des Soldaten im Ruhestand ausgegangen. Seine Einlas-
sung hat sie als schlichte Schutzbehauptung gewertet.
Dabei verkennt die Kammer nicht, dass der Soldat im Ru-
hestand als Kompaniefeldwebel der … Kompanie äußerst
stark belastet war. Insoweit hätte er jedoch die Prioritäten
seiner Tätigkeit anders setzen müssen.“
Durch sein Fehlverhalten habe der frühere Soldat vorsätzlich seine Dienstpflich-
ten schuldhaft verletzt, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen (§ 7
SG), in dienstlichen Angelegenheiten die Wahrheit zu sagen (§ 13 Abs. 1 SG)
sowie der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst als
Soldat erfordere (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG). Als Vorgesetzter hafte er ver-
schärft. Das Dienstvergehen sei sehr schwerwiegend. Ein Zeit- oder Berufssol-
dat, der sich zu Lasten seines Dienstherrn einen rechtswidrigen Vermögensvor-
teil verschaffe, begehe eine verwerfliche Tat. Nach höchstrichterlicher Recht-
sprechung bilde bei entsprechenden Verstößen eine Dienstgradherabsetzung
bis in einen Mannschaftsdienstgrad den Ausgangspunkt der Zumessungserwä-
gungen; erfolge der vorsätzliche Zugriff im Bereich der dienstlichen Kernpflich-
ten, könne eine Entfernung aus dem Dienstverhältnis geboten sein.
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Das Dienstvergehen sei wegen des hohen Schadens als schwer einzustufen,
sodass eine deutliche Dienstgradherabsetzung den Ausgangspunkt der Zu-
messungserwägungen bilde. Nach den Feststellungen liege sogar eine Verlet-
zung von Kernpflichten vor, weil der frühere Soldat als Kompaniefeldwebel für
die Änderungsmeldungen der Kompanie zuständig gewesen sei. Dieser Um-
stand dürfe jedoch nicht berücksichtigt werden, weil er nicht angeschuldigt wor-
den sei. In der Anschuldigungsschrift werde dem früheren Soldaten ausdrück-
lich nur ein Verstoß gegen seine Verpflichtung nach Nr. 9 Abs. 5 der Verfah-
rensbestimmungen für die Zahlung von Stellen- und Erschwerniszulagen in der
Bundeswehr vorgeworfen. Dadurch sei der Vorwurf auf eine Verletzung der
Pflicht als Besoldungsempfänger beschränkt worden.
Milderungsgründe in der Tat seien nicht gegeben. Zugunsten des früheren Sol-
daten seien jedoch seine hervorragenden dienstlichen Leistungen zu berück-
sichtigen. Unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des
Fehlverhaltens sei eine Dienstgradherabsetzung des früheren Soldaten im Ru-
hestand, der zudem am Standort wohne, jedoch zu hart. Wegen seiner dienstli-
che Überlastung und weil er den Interessen der Kompanie Priorität eingeräumt
habe, sei noch eine Kürzung des Ruhegehalts ausreichend.
4. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft hat gegen das ihr am 7. Januar 2013 zuge-
stellte Urteil am 21. Januar 2013 Berufung eingelegt, sie nachträglich auf die
Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkt und beantragt, den früheren
Soldaten in den Dienstgrad eines Oberfeldwebels a.D. herabzusetzen. Zur Be-
gründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, die Anschuldigungsschrift habe
dem früheren Soldaten auch die Verletzung von Kernpflichten vorgeworfen. Da-
rüber hinaus habe das Truppendienstgericht das Dienstvergehen zwar als sehr
schwerwiegend eingeordnet, jedoch gleichwohl angenommen, eine Dienstgrad-
herabsetzung würde den am Standort wohnenden früheren Soldaten zu hart
treffen. Die verhängte Disziplinarmaßnahme werde der Schwere des Dienstver-
gehens damit nicht gerecht.
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III
1. Die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft ist zulässig. Sie ist statthaft,
ihre Förmlichkeiten sind gewahrt (§ 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1,
Abs. 2 WDO).
2. Die Berufung ist auch begründet, soweit sie auf die Verhängung einer schär-
feren Maßnahme gerichtet ist.
a) Da das Rechtsmittel von dem Bundeswehrdisziplinaranwalt nachträglich
rechtswirksam auf die Anfechtung der Bemessung der Disziplinarmaßnahme
beschränkt worden ist, hat der Senat gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO in Ver-
bindung mit § 327 StPO die Tat- und Schuldfeststellungen sowie die disziplinar-
rechtliche Würdigung des Truppendienstgerichts seiner Entscheidung zugrunde
zu legen. Da es zuungunsten des Soldaten eingelegt wurde, ist der Senat nicht
an das Verschlechterungsverbot (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 StPO)
gebunden.
aa) Ob die Tat- und Schuldfeststellungen rechtsfehlerfrei getroffen wurden, darf
vom Senat grundsätzlich nicht mehr überprüft werden. Denn bei einer auf die
Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkten Berufung wird der Pro-
zessstoff nicht mehr von der Anschuldigungsschrift, sondern nur von den bin-
denden Tat- und Schuldfeststellungen des angefochtenen Urteils bestimmt.
Von der Beschränkung der Berufung unberührt bleibt jedoch die Prüfung der
Prozessvoraussetzungen und möglicher Verfahrenshindernisse.
bb) Ein Verfahrenshindernis in Gestalt einer den Anforderungen des Art. 6
EMRK nicht mehr genügenden Länge des Verfahrens besteht nicht (Urteil vom
6. September 2012 - BVerwG 2 WD 26.11 - Rn. 34 ff. = NZWehrr 2014, 32). Ob
die Dauer eines konkreten Verfahrens noch angemessen ist, ist unter Berück-
sichtigung der Umstände des Falls und anhand seiner Schwierigkeit, des Ver-
haltens des Betroffenen und des der zuständigen Behörden, der Gerichte sowie
der Bedeutung des Rechtsstreits für den Betroffenen zu beurteilen (vgl. EGMR,
Urteil vom 16. Juli 2009 - 8453/04 - NVwZ 2010, 1015 <1017> m.w.N.; vgl.
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auch § 198 Abs. 1 GVG). Hiernach liegt kein unangemessen lange andauern-
des Verfahren vor.
Nach Eingang der Anschuldigungsschrift bei dem Truppendienstgericht im Au-
gust 2012 entschied dieses binnen drei Monaten im Dezember 2012. Über die
im Januar 2013 eingelegte Berufung wurde im Mai 2014 entschieden, woraus
eine Gesamtlaufzeit des gerichtlichen Verfahrens von etwa eineinhalb Jahren
folgt. Das Verfahren ist auch dann nicht als unangemessen lang anzusehen,
wenn - trotz der Regelung des § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 WDO (vgl. Urteil
vom 10. Oktober 2013 - BVerwG 2 WD 23.12 - Rn. 73) - mit einbezogen wird,
dass das disziplinargerichtliche Verfahren im Mai 2011 eingeleitet wurde und es
eine im April 2003 beginnende Pflichtverletzung zum Gegenstand hat. Das
Dienstvergehen wurde erst im März 2008 bekannt und die staatsanwaltschaftli-
chen Ermittlungen wurden im Januar 2011 abgeschlossen, sodass die Einlei-
tungsverfügung nur drei Monate später erlassen wurde. Dass die Wehrdiszipli-
naranwaltschaft der Staatsanwaltschaft … den Fall erst im Juni 2010 zur
Kenntnis brachte, beruhte wiederum darauf, dass sich die Ermittlung des dem
Bund entstandenen Schadens wegen des parallel dazu laufenden, auf die
Rückforderung des überzahlten Betrags gerichteten und von Einwendungen
des früheren Soldaten begleiteten Verwaltungsverfahrens zeitaufwändig gestal-
tete.
b) aa) Nach den den Senat bindenden Feststellungen des Truppendienstge-
richts war der frühere Soldat, obwohl er im Zeitraum vom 1. Januar 2003 bis
30. April 2007 die Voraussetzungen für die Gewährung der Springerzulage
nicht erfüllt hatte, seiner Pflicht als Besoldungsempfänger, Änderungen der An-
spruchsvoraussetzungen der Gebührnisse zahlenden Stelle mitzuteilen, nicht
nachgekommen. Darüber hinaus meldete er - wie ebenfalls von der Kammer
ausdrücklich festgestellt - die fehlenden Anspruchsvoraussetzungen für seine
Person auch entgegen seiner Pflicht als Kompaniefeldwebel, im Rahmen derer
er für die Meldung aller Änderungen bezüglich der Gewährung der Springerzu-
lage für die ... Kompanie verantwortlich war, nicht an die Gebührnisse zahlende
Stelle. In der Folge sind ihm nach den Feststellungen der Kammer daher unbe-
rechtigt Zulagen in einer Gesamthöhe von 5 982,08 € ausgezahlt worden. Die
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Kammer hat das Verhalten des früheren Soldaten als vorsätzlich bewertet und
es rechtlich als Verletzung von §§ 7, 13 Abs. 1 und § 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG
gewürdigt. Da der Senat bei einer maßnahmebeschränkten Berufung Rechts-
fehler der Schuldfeststellung nicht mehr überprüft, ist unerheblich, dass die An-
nahme einer Verletzung von § 13 Abs. 1 SG durch ein Unterlassen auf Beden-
ken stößt (vgl. Urteil vom 11. Januar 2012 - BVerwG 2 WD 40.12 - Rn. 19 f.
m.w.N.).
bb) Diese Feststellungen des Truppendienstgerichts stehen einer Würdigung
der Pflichtverletzung als Kernpflichtverletzung im Rahmen der Bemessungsent-
scheidung des Senats nicht entgegen und sie sind in tatsächlicher Hinsicht
auch ausreichend, um diesen Schluss zu tragen.
Die Truppendienstkammer legt ihrer rechtlichen Würdigung der unterbliebenen
Meldung der fehlenden Voraussetzungen des Anspruchs auf die Fallschirm-
springerzulage bei dem früheren Soldaten als Verletzung der genannten solda-
tischen Pflichten die Feststellung zugrunde, der Soldat sei zu einer entspre-
chenden Meldung verpflichtet gewesen, und sieht diese Meldepflicht sowohl in
seiner Verpflichtung als Besoldungsempfänger als auch in seiner Pflicht als
Kompaniefeldwebel begründet. Welche Pflichten den Kompaniefeldwebel im
Zusammenhang mit der Meldung der Anspruchsvoraussetzungen bezüglich der
Fallschirmspringerzulage trafen, stellt sie unter Punkt III der Entscheidungs-
gründe des Urteils fest. Da die Kammer vorliegend eine Pflichtverletzung in der
Form einer unterlassenen Meldung festgestellt hat, sind ihre Feststellungen
zum Bestehen einer Handlungspflicht tragendes und damit den Senat binden-
des Element ihrer Schuldfeststellung.
Dem entsprechend geht die Kammer in den Ausführungen zur Maßnahmebe-
messung auch konsequent und zutreffend davon aus, dass nach den von ihr
getroffenen Feststellungen, dass nämlich der frühere Soldat als Kompaniefeld-
webel für die Änderungsmeldungen der Kompanie zuständig gewesen ist und
sich selbst nicht an die Gebührnisse zahlende Stelle wegen der eingetretenen
Änderung gemeldet hat, eine Kernpflichtverletzung vorliegt.
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Rechtsfehlerhaft ist allerdings ihre Auffassung, dies dürfe sie mangels einer
entsprechenden Anschuldigung bei der Maßnahmebemessung nicht berück-
sichtigen. Die Anschuldigungsschrift muss zur Gewährleistung einer effektiven
Verteidigung alle Tatsachen aufführen, aus denen sich die vorgeworfene
Pflichtverletzung ergibt, wobei zur Auslegung auch das Ermittlungsergebnis mit
herangezogen werden kann (vgl. Urteil vom 18. September 2003 - BVerwG
2 WD 3.03 - BVerwGE 119, 76 <79> = Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 11
= NZWehrr 2005, 122). Den Bestimmtheitsanforderungen im Hinblick auf die
tatsächliche Seite der Vorwürfe wird die hier in Rede stehende Anschuldi-
gungsschrift gerecht, weil sie sowohl im Anschuldigungssatz die Pflichten des
Kompaniefeldwebels anführt als auch im Ermittlungsergebnis näher erläutert,
welche konkreten Pflichten der Kompaniefeldwebel im Hinblick auf die Meldung
von geänderten Anspruchsvoraussetzungen der Zulage hier hat. Die Rechts-
ausführungen der Anschuldigungsschrift, zumal zu Bemessungsfragen, geben
dagegen den Wehrdienstgerichten nicht den rechtlichen Rahmen ihrer Prüfung
vor. Es kommt daher weder darauf an, ob die Anschuldigungsschrift die verletz-
ten Pflichten des Soldatengesetzes zutreffend und vollständig nennt, noch da-
rauf, ob sie in der bemessungsrelevanten Rechtsfrage, ob die vorgeworfene
Pflichtverletzung als Kernpflichtverletzung besonders hohes Gewicht hat, über-
haupt - oder gar die richtigen - Ausführungen enthält. Die Frage, nach der
Schwere einer Verletzung von Pflichten, die den Kompaniefeldwebel gerade als
Kompaniefeldwebel treffen, entscheiden die Wehrdienstgerichte unabhängig
von einer Bindung an Vorgaben der Anschuldigungsschrift.
Die Beschränkung der Berufung auf die Maßnahmebemessung hindert den Se-
nat nicht daran, diesen Rechtsfehler des vorinstanzlichen Urteils zu korrigieren.
Denn es handelt sich um einen Rechtsfehler im Rahmen der Bemessungsent-
scheidung, die vollumfänglich zur Überprüfung des Senats steht.
c) Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs
wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen.
Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen
Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten (Urteil vom
11. Juni 2008 - BVerwG 2 WD 11.07 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26
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Rn. 23 m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58
Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens
und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige
Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen.
aa) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Un-
rechtsgehalt der Verfehlungen, d.h. nach der Bedeutung der verletzten Dienst-
pflichten. Danach wiegt das Dienstvergehen schwer.
aaa) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens werden zunächst durch die
mehrfache Verletzung soldatischer Pflichten bestimmt. Dazu gehört zunächst
die als verletzt anzusehende dienstliche Wahrheitspflicht (§ 13 Abs. 1 SG). Zu-
sätzliches Gewicht verleiht dem Dienstvergehen die Verletzung der Pflicht zum
treuen Dienen (§ 7 SG). Sie gehört zu den zentralen Pflichten eines Soldaten.
Ihre Verletzung ist in der Regel schon deshalb von erheblicher Bedeutung. Der
besondere Unrechtsgehalt des Dienstvergehens ergibt sich auch daraus, dass
der frühere Soldat gegen seine Pflicht zur Loyalität gegenüber der Rechtsord-
nung, vor allem der Beachtung der Strafgesetze, verstoßen und kriminelles Un-
recht begangen hat. Dass das sachgleiche Strafverfahren nach § 153 StGB
eingestellt worden ist, begründet keinen Fortfall des Interesses an einer diszi-
plinarischen Ahndung (vgl. zu § 153 StPO: Urteil vom 21. Dezember 2010 -
BVerwG 2 WD 13.09 - Buchholz 449 § 7 SG Nr. 54 Rn. 40 = NZWehrr 2012,
125; zu § 153a StPO: Urteil vom 6. Oktober 2010 - BVerwG 2 WD 35.09 -
Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 5 Rn. 33 = NZWehrr 2011, 72). Die Pflicht-
verletzung betraf darüber hinaus - wie oben ausgeführt - den Kern des vom frü-
heren Soldaten wahrgenommenen Aufgabenbereichs. Aber auch die Verlet-
zung der Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 17 Abs. 2
Satz 1 SG) wiegt schwer. Die Pflicht zur Wahrung von Achtung und Vertrauen
ist kein Selbstzweck, sondern hat funktionalen Bezug zur Erfüllung des grund-
gesetzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und zur Gewährleistung des militäri-
schen Dienstbetriebs. Ein Soldat, insbesondere - wie hier - ein Vorgesetzter,
bedarf der Achtung seiner Kameraden und Untergebenen sowie des Vertrauens
seiner Vorgesetzten, um seine Aufgaben so zu erfüllen, dass der gesamte Ab-
lauf des militärischen Dienstes gewährleistet ist. Dabei kommt es nicht darauf
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an, ob eine Beeinträchtigung der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit tatsäch-
lich eingetreten ist, sondern nur darauf, ob das festgestellte Verhalten dazu ge-
eignet war (Urteile vom 13. Januar 2011 - BVerwG 2 WD 20.09 - juris Rn. 27
m.w.N. und vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - juris Rn. 29).
bbb) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens werden des Weiteren dadurch
bestimmt, dass die Pflichtverletzung sich über Jahre hinzog, dass andererseits
aber auch eine Pflichtverletzung durch ein Unterlassen in Rede steht (siehe
unten).
ccc) Hinzu tritt, dass der frühere Soldat aufgrund seines Dienstgrades als Ober-
stabsfeldwebel in einem exponierten Vorgesetztenverhältnis stand (§ 1 Abs. 3
S. 1 und 2 SG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 VorgV). Soldaten in Vorgesetzten-
stellung obliegt eine höhere Verantwortung für die Wahrung dienstlicher Inte-
ressen. Wegen seiner herausgehobenen Stellung ist ein Vorgesetzter in beson-
derem Maße für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Dienstpflichten verant-
wortlich und unterliegt damit im Falle einer Pflichtverletzung einer verschärften
Haftung, da Vorgesetzte in ihrer Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben
sollen (§ 10 Abs. 1 SG). Dabei ist nicht erforderlich, dass es der Soldat bei sei-
nem Fehlverhalten innerhalb eines konkreten Vorgesetztenverhältnisses an
Beispielhaftigkeit hat fehlen lassen. Es reicht das Innehaben einer Vorgesetz-
tenstellung aufgrund des Dienstgrades aus (Urteil vom 4. Mai 2011 a.a.O.
Rn. 30).
bb) Das Dienstvergehen hatte nachteilige Auswirkungen für den Dienstherrn
insofern, als dessen Vermögen mit annähernd 6 000 € weit jenseits des Baga-
tellbereichs geschädigt wurde (vgl. dazu Urteil vom 16. März 2011 - BVerwG
2 WD 40.09 - juris Rn. 30 m.w.N.). Wegen nicht mehr durchsetzbarer Rückfor-
derungsansprüche verblieb dabei ein nicht geringer Teil des Schadens beim
Bund. Darüber hinaus zog es personalrechtliche Konsequenzen in der Form
nach sich, dass der frühere Soldat aus seiner Funktion als Kompaniefeldwebel
herausgenommen werden musste.
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cc) Die Beweggründe des früheren Soldaten sprechen überwiegend gegen ihn.
Zur Überzeugung des Senats steht zwar fest, dass er die Meldung über den
Fortfall der Zulagenvoraussetzungen auch von der Vorstellung getragen unter-
lassen hat, er würde ansonsten seine Vorbildfunktion als (fallschirmspringen-
der) Kompaniefeldwebel in Frage stellen; zugleich war ihm jedoch auch klar,
dass er dadurch weiterhin in den Genuss erheblicher finanzieller Vorteile gelan-
gen würde.
dd) Das Maß der Schuld wird durch das vorsätzliche Handeln des uneinge-
schränkt schuldfähigen früheren Soldaten bestimmt.
aaa) Milderungsgründe in den Umständen der Tat, die seine Schuld mindern
könnten (Urteil vom 23. September 2008 - BVerwG 2 WD 18.07 - Rn. 59
m.w.N.), liegen nicht vor, auch soweit eine persönlichkeitsfremde Augenblicks-
tat eines ansonsten tadelfreien und im Dienst bewährten Soldaten in Betracht
gezogen würde. Angesichts der Dauerhaftigkeit des Verhaltens kann von einem
von Spontaneität und Kopflosigkeit geprägten Augenblicksversagen nicht die
Rede sein.
bbb) Der frühere Soldat kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass
sein Fehlverhalten in eine Zeitspanne gefallen wäre, in der er sich unverschul-
det einer außergewöhnlichen situationsgebundenen Erschwernis bei der Erfül-
lung seiner dienstlichen Aufgaben gegenübergesehen hätte (vgl. Urteile vom
6. Mai 2003 - BVerwG 2 WD 29.02 -, vom 18. Februar 2004 - BVerwG 2 WD
11.03 - juris Rn. 11 m.w.N. und vom 17. Juni 2003 - BVerwG 2 WD 2.02 -
NZWehrr 2004, 83 ff. = juris Rn. 14). Zum einen mag zwar auch die - wie vom
Truppendienstgericht festgestellt - äußerst starke Arbeitsbelastung den früheren
Soldaten daran gehindert haben, die zum Fortbestand der Fallschirmspringer-
zulage erforderlichen Sprünge zu tätigen; sie hat ihn - wie vom Truppendienst-
gericht ebenfalls festgestellt - aber nicht davon abgehalten, für andere Soldaten
- nicht aber für sich - entsprechende Änderungsmeldungen zu veranlassen.
Zum anderen greift dieser Tatmilderungsgrund nur bei situativen Überlastungs-
situationen ein, während vorliegend eine mehrjährige Belastung im Raum steht,
zu der der frühere Soldat in der Berufungshauptverhandlung selbst ausgeführt
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hat, er habe sich nicht überlastet gesehen, wohl aber an der Grenze seiner Be-
lastbarkeit.
ccc) Der frühere Soldat kann sich auch nicht erfolgreich auf ein schuldmildern-
des Mitverschulden von Dienstvorgesetzten berufen. Der Milderungsgrund einer
unzureichenden Dienstaufsicht stünde ihm nur dann zur Seite, wenn er der
Dienstaufsicht bedurft hätte, z.B. in einer Überforderungssituation, die ein hilf-
reiches Eingreifen des Vorgesetzten erforderlich gemacht hätte (Urteile vom
13. März 2003 - BVerwG 1 WD 4.03 - Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 2
S. 10 und vom 13. Januar 2011 - BVerwG 2 WD 20.09 - Rn. 37). Ein solcher
Fall lag aber nicht vor. Der frühere Soldat bedurfte keiner dienstaufsichtlichen
Unterstützung, um zu wissen, dass er durch die unterlassene Meldung über den
Fortfall der Voraussetzungen für die Gewährung der Fallschirmspringerzulage
gegen soldatische Pflichten verstieß. Auch wenn insoweit kein klassischer Mil-
derungsgrund vorliegt, ist zu Gunsten des früheren Soldaten jedoch einzustel-
len, dass seine Vorgesetzten die Voraussetzungen für die Gewährung der Fall-
schirmspringerzulage nicht, auch nicht stichprobenmäßig, bei jenem Soldaten
kontrolliert haben, der die Änderungsmeldungen maßgeblich veranlasste und
davon selbst betroffen war.
ee) Im Hinblick auf die Zumessungskriterien „Persönlichkeit“ und „bisherige
Führung“ sprechen für den früheren Soldaten insbesondere seine letzte regulä-
re Beurteilung sowie die zahlreichen förmlichen Anerkennungen und die Leis-
tungsprämien. Soweit der Leumundszeuge Oberstleutnant B. sich zu den Leis-
tungen des früheren Soldaten äußerst kritisch geäußert hat, wird dessen Ein-
schätzung durch die Aussagen des Majors S. erheblich relativiert. Dieser hat
dem früheren Soldaten auch nach seiner Versetzung weiterhin überdurch-
schnittliche Leistungen bescheinigt.
Zwar streitet zu Gunsten des Soldaten im Übrigen nicht, dass er seine Pflicht-
verletzung freiwillig offenbart hätte (Urteil vom 9. März 1995 - BVerwG 2 WD
1.95 - BVerwGE 103, 217 <218> = NZWehrr 1995, 161 m.w.N.), weil sich seine
im Frühjahr 2007 getätigte Anzeige über den Fortfall der Zulagenvoraussetzun-
gen nur auf die Zukunft, nicht aber auf den streitbefangenen Zeitraum bezog.
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Zu seinen Gunsten ist indes zu berücksichtigen, dass er in der Berufungshaupt-
verhandlung seinen Fehler eingestanden und damit Reue gezeigt hat. Hinzu
tritt, dass sich das Dienstvergehen angesichts der in den Beurteilungen und den
Bekundungen des Leumundszeugen herausgestellten sonstigen besonderen
Zuverlässigkeit des früheren Soldaten als persönlichkeitsfremd darstellt (vgl.
Urteil vom 7. Mai 2013 - BVerwG 2 WD 20.12 - Rn. 56), was durch sein ehren-
amtliches Engagement im karitativen Bereich unterstrichen wird.
ff) Bei der Gesamtwürdigung aller vorgenannten be- und entlastenden Umstän-
de bildet die vorinstanzlich verhängte Kürzung des Ruhegehalts im Hinblick auf
die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zwecksetzung des
Wehrdisziplinarrechts keine tat- und schuldangemessene Sanktion. Vielmehr ist
bei dem früheren Soldaten, bei dem es sich um einen Berufssoldaten handelte,
die gem. § 58 Abs. 2 Nr. 3 in Verbindung mit § 62 Abs. 1 Satz 3 WDO zulässige
Herabsetzung in den Dienstgrad eines Stabsfeldwebels a.D. geboten. Dabei
geht der Senat bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme in sei-
ner gefestigten Rechtsprechung von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:
handlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen
Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regel-
maßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als „Ausgangspunkt der Zu-
messungserwägungen“. Der Senat zieht in ständiger Rechtsprechung bei vor-
sätzlicher versuchter oder vollendeter Schädigung des Dienstherrn bzw. Ge-
fährdung des Vermögens des Dienstherrn - wie etwa durch einen Reisekosten-
bzw. Trennungsgeldbetrug - als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen
eine Dienstgradherabsetzung in Betracht, sofern keine Kernpflichtverletzung
vorliegt. Liegt sie - wie hier festgestellt - vor, bildet Ausgangspunkt der Zumes-
sungserwägungen die Entfernung aus dem Dienstverhältnis (vgl. Urteil vom
27. Juni 2013 - BVerwG 2 WD 5.12 - Rn. 48). Handelt es sich dabei wie vorlie-
gend um einen Soldaten im Ruhestand hat dies gem. § 65 Abs. 1 Satz 2 SG
regelmäßig die Aberkennung des Ruhehalts zur Folge, § 58 Abs. 2 Nr. 4 WDO.
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bbb) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im Hinblick
auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die Zweckset-
zung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die die Möglichkeit einer
Milderung oder die Notwendigkeit einer Verschärfung gegenüber der auf der
ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme eröffnen. Dabei ist vor al-
lem angesichts der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie dessen
Auswirkungen zu klären, ob es sich angesichts der be- und entlastenden Um-
stände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflicht-
verletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer
Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwä-
gungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach „oben“ bzw. nach
„unten“ zu modifizieren (Urteil vom 13. Februar 2008 - BVerwG 2 WD 5.07 -
Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 3 = juris jeweils Rn. 56). § 38 Abs. 1 WDO
gebietet nämlich eine umfassende Betrachtung sämtlicher Umstände und ver-
langt insbesondere die Würdigung auch solcher mildernder Umstände, die nach
der Rechtsprechung des Senats zu den sogenannten anerkannten Milderungs-
gründen zählen; diese bilden jedoch keinen abschließenden Kanon beachtlicher
Entlastungsgründe. Mildernde Umstände dieser Art liegen vor. In ihrer Gesamt-
heit kompensieren sie die durch die Kernbereichsverletzung an sich gebotene
Verhängung der Höchstmaßname und führen zur Degradierung als Ausgangs-
punkt der Zumessungserwägungen (vgl. zu den Voraussetzungen Urteil vom
20. Februar 2014 - BVerwG 2 WD 35.11 - Rn. 91 m.w.N.).
(1) Bei Betrachtung der das Dienstvergehen vorliegend charakterisierenden
Umstände sind diese von ihrem Unrechtsgehalt her mit dem Erschleichen einer
Leistung der Bundeswehr durch wahrheitswidrige Angaben nicht vergleichbar.
Der frühere Soldat hat nicht bereits von vornherein vorsätzlich unzutreffende
Angaben getätigt, sondern es vielmehr unterlassen, sie als Folge erst später
eingetretener Veränderungen wieder zu korrigieren. Das Verschweigen rechts-
erheblicher wahrer Angaben weist somit - unabhängig davon, dass es schon
nicht von § 13 Abs. 1 SG erfasst wird - nicht dasselbe Gewicht wie eine etwa
durch die Vorlage ge- oder verfälschter Unterlagen ins Werk gesetzte Lüge auf,
da dahinter ein Weniger an „krimineller Energie“ steht. Denn die Hemmschwelle
zur aktiven Lüge ist höher als die zum Unterlassen einer Meldung und daher
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nur durch ein Mehr an „krimineller Energie“ zu überwinden (Urteil vom
11. Januar 2012 - BVerwG 2 WD 40.10 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002
Nr. 34 Rn. 41). Einher geht damit, dass zwar nicht der klassische Milderungs-
grund der situativen Überforderungssituation vorlag, die Vorgesetzten aber die
erheblichen, grenzwertigen Arbeitsbelastungen des früheren Soldaten zur
Kenntnis genommen, dem jedoch nicht durch eine Arbeitsentlastung Rechnung
getragen haben.
(2) Der Herabsetzung im Dienstgrad steht auch nicht die vom Truppendienst-
gericht unterstellte Erwägung entgegen, sie würde in dem Wohnort des frühe-
ren Soldaten, mithin öffentlich bekannt werden und ihn daher schwer treffen.
Ungeachtet dessen, dass dieser sich im Ruhestand befindet und deshalb ohne-
hin keine Uniform mehr trägt, ist die Erwägung deshalb unzulässig, weil sie auf
die Kompensation einer mit einer gesetzlich zulässigen Disziplinarmaßnahme
sanktionstypischen Auswirkung abzielt (Urteil vom 21. Juni 2011 - BVerwG 2
WD 10.10 - Rn. 46), für deren Eintritt letztlich der frühere Soldat die Verantwor-
tung trägt (vgl. auch Urteil vom 16. Februar 2012 - BVerwG 2 WD 7.11 - Buch-
holz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 9 Rn. 41).
(3) Soweit es das Maß der Herabsetzung im Dienstgrad betrifft, schlägt erheb-
lich zu Gunsten des Soldaten durch, dass er nicht nur außergewöhnlich gute
Leistungen, sondern sie darüber hinaus auch über Jahre hinweg erbracht und
bei alledem auch nach seiner Versetzung in seinen Leistungen nicht nachge-
lassen hat. Darüber hinaus war das Dienstvergehen des bislang unbescholte-
nen Soldaten persönlichkeitsfremd. Da sein Verhalten zudem auch von der
- wenn auch irrigen - Vorstellung getragen war, er würde seine Vorbildfunktion
als Kompaniefeldwebel einer Fallschirmspringereinheit verlieren, wenn er offi-
ziell nicht mehr über die entsprechende Zulagenberechtigung verfügte, war die
Degradierung um einen Dienstgrad noch ausreichend.
3. Da die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft überwiegend erfolgreich ist,
sind die Kosten des Berufungsverfahrens nach § 139 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3
WDO dem früheren Soldaten aufzuerlegen. Angesichts des geringen Umfangs
des Unterliegens des Bundeswehrdisziplinaranwalts mit seinem in der Beru-
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fungshauptverhandlung gestellten Antrag, ist es nicht unbillig, den früheren Sol-
daten mit den gesamten Kosten zu belasten.
Dr. von Heimburg
Dr. Burmeister
Dr. Eppelt