Urteil des BVerwG vom 18.07.2013

Soldat, Sexuelle Belästigung, Abend, Überzeugung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 3.12
TDG N 6 VL 10/08
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
Herrn Stabsfeldwebel a.D. …,
…,
…,
…,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 18. Juli 2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Burmeister,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
ehrenamtlicher Richter Oberstabsarzt Busch und
ehrenamtlicher Richter Oberstabsfeldwebel Busch,
Regierungsdirektor …
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt …
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin …
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Berufung des früheren Soldaten gegen das Urteil der
6. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 8. No-
vember 2011 wird zurückgewiesen.
Der frühere Soldat trägt die Kosten des Berufungsverfah-
rens einschließlich der ihm darin erwachsenen notwendi-
gen Auslagen.
G r ü n d e :
I
1. Der im März 1958 geborene frühere Soldat erlernte den Beruf des Facharbei-
ters für Holztechnik und schloss parallel dazu die 10. Klasse der allgemeinbil-
denden Polytechnischen Oberschule ab. Im Mai 1976 trat er in den Dienst der
Nationalen Volksarmee ein. Zuletzt wurde er dort als Kompaniefeldwebel im
Dienstgrad eines Stabsfeldwebels verwendet. Nach der Wiedervereinigung ver-
blieb der frühere Soldat im vorläufigen Dienstgrad eines Oberfeldwebels im
Dienst der Bundeswehr. Im März 1991 wurde er in das Dienstverhältnis eines
Soldaten auf Zeit und im Februar 1993 in das eines Berufssoldaten berufen. Er
wurde zuletzt am 1. Juni 2007 zum Stabsfeldwebel befördert. Mit Ablauf des
31. März 2011 schied er planmäßig aus dem Dienst aus.
Nach der Vorlaufausbildung für Unteroffiziere mit Kompaniefeldwebel-Aufgaben
der NVA an der Heeresfliegerwaffenschule im September 1990 wurde der frü-
here Soldat am Standort … - nach einer Verwendung von Oktober 1991 bis Fe-
bruar 1992 als Panzerjägerfeldwebel bei der Panzerjägerkompanie … - beim
Stab/Stabskompanie Heimatschutzbrigade …, der späteren Panzergrenadier-
brigade …, als Versorgungsfeldwebel eingesetzt. Ab November 2001 wurde er
als Truppenversorgungsbearbeiter zum … versetzt, ab Januar 2007 in dersel-
ben Funktion zum Stab des ….
2. Der frühere Soldat wurde mehrfach planmäßig beurteilt. In der letzten Be-
urteilung vom 24. Januar 2005 wurden seine Leistungen (im Dienstgrad Haupt-
feldwebel) bei Höchstnote „7“ siebenmal mit „7“ und neunmal mit „6“ bewertet,
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woraus ein Durchschnittswert von „6,437“ folgt. Erläuternd heißt es, der frühere
Soldat sei eine besonders positive Führungspersönlichkeit, die die an sie ge-
stellten Anforderungen mit beispielgebendem Engagement erfülle. Er zeichne
sich durch Ideenreichtum, soziale und fachliche Kompetenz und eine tadellose
Berufsauffassung aus. Besonders überzeugend seien sein Leistungswille und
seine Leistungsbereitschaft. Der Umgang mit Soldaten sei herzlich und geprägt
von menschlicher Wärme, Kameradschaft und Führungskompetenz. Unterstell-
te Soldaten und zivile Mitarbeiter führe er mit ausgesprochener Souveränität. Er
wahre die notwendige Distanz zu seinen Untergebenen, aber auch die nötige
Nähe, um vertrauensvoll führen zu können. Im Unteroffizierskorps sei er nicht
nur beliebt, sondern derjenige, der die Dienststelle im Sinne des Gemein-
schaftskorps vorantreibe; allein Einsatzerfahrung fehle ihm noch.
Der nächst-
höhere Disziplinarvorgesetzte stimmte dem zu. Der frühere Soldat sei eine be-
sonders fähige und leistungsstarke Führungspersönlichkeit mit hoher geistiger
Beweglichkeit und fachlicher Kompetenz, die herausragende Arbeitsergebnisse
erziele. Er gehöre in seinem Zuständigkeitsbereich zur Spitzengruppe der Un-
teroffiziere.
In der Sonderbeurteilung vom 14. Dezember 2006 wurden die Leistungen des
früheren Soldaten bei Höchstnote „7“ zehnmal mit „7“ und sechsmal mit „6“ be-
wertet, woraus ein Durchschnittswert von „6,625“ folgt. Erläuternd heißt es, der
frühere Soldat habe einen ausgesprochen feinen Charakter und einen trocke-
nen Humor. Er sei grundanständig, ehrlich und übernehme für sein Handeln die
Verantwortung. Als Portepeeunteroffizier sei er über die Kommandogrenzen
hinaus anerkannt, uneigennützig und hilfsbereit. Er bringe sich harmonisch in
die soldatische Gemeinschaft ein. Als Vorgesetzter führe er vertrauensvoll. Ge-
rade für die jüngeren Kameraden sei er ein Vorbild. Die Förderung zum Stabs-
feldwebel werde mit besonderem Nachdruck befürwortet. Der nächsthöhere
Vorgesetzte stimmte der Beurteilung zu. Der frühere Soldat gehöre zur Spit-
zengruppe der Portepeeunteroffiziere im Kommando.
Der in der Hauptverhandlung vor der Truppendienstkammer als (früherer)
nächster Disziplinarvorgesetzter vernommene Hauptmann F. hatte dort ausge-
sagt, der frühere Soldat sei ein Kompaniefeldwebel wie man ihn sich nur wün-
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schen könne. In Noten hätte er ihm eine „7,7“ bis „8,2“ erteilt. Auf die Förderung
zum Oberstabsfeldwebel habe der frühere Soldat verzichtet, weil er im Hinblick
auf seine seinerzeit pflegebedürftige - im März 2009 verstorbene - Mutter nicht
habe versetzt werden wollen. Als Führer und Erzieher habe er sich gradlinig
verhalten. Der frühere Soldat sei ein emotionaler Mensch. Er - der frühere Sol-
dat - habe ihm anvertraut, homosexuell zu sein. Von dem disziplinarisch be-
deutsamen Vorfall hätten die Mat-Gruppe, der G1, der Rechtsberater und er
Kenntnis gehabt; die Mannschaften hätten nichts weiter mitbekommen. Den
Logistikbereich habe der frühere Soldat nach dem Vorfall nicht mehr betreten
dürfen. In seinen Leistungen sei er auch nach dem Vorfall gleich herausragend
geblieben. In der Berufungshauptverhandlung hat der Zeuge F. ebenfalls aus-
gesagt, er habe den früheren Soldaten als hoch qualifizierten Soldaten in Erin-
nerung, der hervorragende Arbeit geleistet und sich im höchsten Beurteilungs-
segment bewegt habe. Er würde ihn auf der Grundlage seines letzten Kenntnis-
standes weiterhin mit der Note „7,7“ bis „8,2“ beurteilen, wobei ausschlagge-
bend dafür auch die hervorragenden Ergebnisse einer Überprüfung nach
§ 78 BHO seien. Eine Überprüfung, die keine Beanstandungen ergebe, sei sehr
außergewöhnlich.
Oberstabsfeldwebel M. als langjährige Vertrauensperson der Unteroffiziere hat
in der Berufungshauptverhandlung ausgeführt, er kenne den früheren Soldaten
seit 1991 und habe ein vertrauensvolles Verhältnis zu ihm. Der frühere Soldat
sei für bis zu 15 Soldaten zuständig gewesen. Sein Ruf im Unteroffizierkorps
sei sehr gut gewesen; auf sexuelle Übergriffe durch den früheren Soldaten sei
er in seiner Funktion als Vertrauensperson zu keinem Zeitpunkt angesprochen
worden; auf Gerüchte gebe er nichts.
Oberleutnant R., der den früheren Soldaten seit 2002 kennt, hat diesen in der
Berufungshauptverhandlung als integren Soldaten beschrieben, der erfahren
und durch die Ergebnisse der Prüfung nach § 78 BHO besonders positiv aufge-
fallen sei.
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3. Der Auszug aus dem Zentralregister vom 27. Mai 2013 weist als Eintrag das
rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts … vom 23. September 2010 aus, mit dem
der frühere Soldat wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu ei-
ner Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 63 € und einem Monat Fahrverbot
verurteilt worden ist. Der aktuelle Auszug aus dem Disziplinarbuch weist auf die
in den Jahren 1992, 1999, 2003 und 2005 wegen vorbildlicher Pflichterfüllung
erteilten förmlichen Anerkennungen hin. Im September 2005 hat der frühere
Soldat eine Leistungsprämie in Höhe von 1 000 € erhalten.
4. Der frühere Soldat ist berechtigt, das Tätigkeitsabzeichen Versorgungsdiens-
te Stufe I und Versorgungspersonal Stufe III (Gold) und die Ehrenmedaille der
Bundeswehr und das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Silber zu tragen.
5. Der kinderlose frühere Soldat ist ledig, lebt jedoch seit 2006 in einer festen
Beziehung. Er erhält Versorgungsbezüge in Höhe von 1 982,37 € brutto und
1 775,51 € netto. Von einem dem früheren Soldaten zustehenden einmaligen
Ausgleichsbetrag in Höhe von 8 315 € wurden ihm 3 500 € ausgezahlt. Seine
wirtschaftlichen Verhältnisse sind geordnet. Die finanziellen Belastungen belau-
fen sich monatlich - einschließlich einer Rücklage von 200 € - auf etwa 1 200 €.
Der frühere Soldat ist an einer Burkitt-Leukämie erkrankt und bedarf nach einer
Chemotherapie noch ärztlicher Kontrolle.
II
1. Nach Anhörung ist gegen den früheren Soldaten mit am 5. März 2008 aus-
gehändigter Verfügung des Kommandeurs … vom 29. Februar 2008 das Diszi-
plinarverfahren eingeleitet worden. Die Vertrauensperson ist angehört worden.
Nach seiner abschließenden Anhörung hat ihm die Wehrdisziplinaranwaltschaft
mit Anschuldigungsschrift vom 10. Juli 2008 folgenden Sachverhalt als schuld-
hafte Verletzung seiner Pflichten zur Last gelegt:
„1. Am 22.11.2007 zwischen 20.00 Uhr und 21.15 Uhr, bei
einer Feier der Materialgruppe des Stabsquartiers … im
Gebäude 85 in der … in …, griff der Soldat dem damaligen
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Hauptgefreiten H. viermal ans Gesäß, obwohl dieser das
nicht wollte. Später an demselben Abend küsste er den
Zeugen H. gegen dessen Willen auf die Wange. Der Sol-
dat wusste, oder hätte wissen müssen und können, dass
der Zeuge H. dieses jeweils nicht wollte.
2. Bei einer Feier der Materialgruppe des Stabsquartiers
… im Gebäude 85 in der … in …, zu einem nicht näher
bestimmbaren Zeitpunkt zwischen August und November
2007, sagte der Soldat zu dem damaligen Obergefreiten
S.: ‚Warum bist du so kalt zu mir?’ und fragte ihn, ob er
nicht merken würde, wie der Soldat zu ihm stehe. Außer-
dem sagte er an diesem Abend, zu nicht näher bestimm-
baren Zeitpunkten, mehrere Male zum Zeugen S.: ‚Ich
mag dich.’ Der Zeuge S. wollte dies alles nicht, was der
Soldat wusste oder hätte wissen müssen und können.
3. Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Früh-
jahr 2006, bei einer Feier der Materialgruppe des Stabs-
quartiers … in der … in …, streichelte der Soldat dem da-
maligen Hauptgefreiten A. gegen dessen Willen über den
Arm und sagte gleichzeitig zu ihm: ‚Du kannst gern nach-
her noch vorbeikommen.’ Beides wollte der Zeuge A. nicht,
was der Soldat auch wusste oder hätte wissen können und
müssen.
4. Bei der Verabschiedungsfeier des damaligen Hauptge-
freiten G. in der … in … im März 2006, als gegen Ende der
Feier das Lied ‚Amsterdam’ gespielt wurde, stellte der Sol-
dat sich auf einen Tisch, begann dort zu tanzen und zog
sich seine Feldbluse und das Unterhemd aus. Er forderte
mehrere Kameraden mit niedrigerem Dienstgrad auf, mit
ihm zu tanzen. Als diese das nicht taten und weggingen,
stieg er vom Tisch und lief ihnen hinterher.
5. Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Som-
mer 2003 bei einer Feier des Stabsquartiers … vor dem
Gebäude 61 in der … in … fasste der Soldat dem damali-
gen Obergefreiten S. zunächst auf den Oberschenkel und
dann in den Schritt, obwohl dieser das nicht wollte, was
der Soldat wusste oder hätte wissen müssen und können.“
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2. Die 6. Kammer des Truppendienstgerichts Nord hat den früheren Soldaten
mit Urteil vom 8. November 2011 in den Dienstgrad eines Hauptfeldwebels
außer Dienst herabgesetzt. Sie hat alle Vorwürfe als erwiesen angesehen und
festgestellt, er habe dadurch vorsätzlich gegen seine Pflicht zur Kameradschaft,
die Fürsorgepflicht sowie die Pflicht zur Achtungs- und Vertrauenswahrung im
dienstlichen Bereich verstoßen. Der Schwerpunkt des Dienstvergehens liege
wegen der körperlichen und nicht lediglich verbalen Attacken in den unter den
Anschuldigungspunkten 1 und 5 beschriebenen sexuellen Belästigungen, so
dass eine Degradierung geboten sei. Auch die sehr guten dienstlichen Leistun-
gen, die Nachbewährung, die schwere Erkrankung des Soldaten und der Um-
stand, dass er beim Anschuldigungspunkt 1 in eine Falle des Zeugen Haupt-
feldwebel T. getappt sei, änderten daran nichts.
3. Gegen das ihm am 15. Dezember 2011 zugestellte Urteil hat der Soldat am
Montag, dem 16. Januar 2012, unbeschränkt Berufung eingelegt und beantragt,
das Urteil aufzuheben und das gerichtliche Disziplinarverfahren einzustellen.
Die unter den Anschuldigungspunkten 1 - 4 dargelegten Pflichtverletzungen
seien nicht nachgewiesen; eine Verurteilung wegen der unter Anschuldigungs-
punkt 5 dargelegten und von ihm gestandenen Pflichtverletzung verbiete sich,
weil sie bereits zehn Jahre zurückliege. Das Verfahren sei deshalb einzustellen.
III
Die gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 WDO form-
und fristgerecht eingelegte Berufung des früheren Soldaten ist zulässig, jedoch
unbegründet. Zwar ist der frühere Soldat von den Anschuldigungen nach
Punkt 2 und Punkt 3 frei zu stellen; die im Übrigen festgestellten Pflichtverlet-
zungen verlangen jedoch eine Herabsetzung im Dienstgrad, sodass das erstin-
stanzliche Urteil im Ergebnis Bestand hat.
Das Rechtsmittel ist in vollem Umfang eingelegt worden. Der Senat hat daher
auf der Grundlage eines - wie vorliegend - ohne schwere Mängel durchgeführ-
ten Verfahrens im Rahmen der Anschuldigung (1.) eigene Tat- und Schuldfest-
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stellungen zu treffen, (2.) sie rechtlich zu würdigen und (3.) unter Zugrundele-
gung der in § 38 WDO festgelegten Bemessungsfaktoren (4.) die angemessene
Disziplinarmaßnahme zu verhängen. Dabei ist er an das Verschlechterungsver-
bot gebunden, weil lediglich der Soldat Rechtsmittel eingelegt hat (§ 91 Abs. 1
Satz 1 WDO in Verbindung mit § 331 Abs. 1 StPO).
1. In tatsächlicher Hinsicht steht zur Überzeugung des Senats Folgendes fest:
a) Zum Anschuldigungspunkt 1: Der frühere Soldat hat am 22. November 2007
nach dem Genuss alkoholischer Getränke zwischen 20.00 Uhr und 21.15 Uhr
bei einer Feier der Materialgruppe des … im Gebäude 85 in der … in … dem
damaligen Hauptgefreiten H. anlässlich eines gemeinsamen Tanzens mindes-
tens zweimal willentlich und wissentlich ans Gesäß gefasst, obwohl dieser das
nicht wollte, was der frühere Soldat auch wusste. Zuvor hatte sich der Zeuge
Hauptgefreiter d.R. H. auf Initiative des Zeugen Hauptfeldwebel T. dem frühe-
ren Soldaten tanzend und in dem Bewusstsein genähert, dass der frühere Sol-
dat dies wegen seiner homosexuellen Orientierung als erotische Zuwendung
verstehen könnte. Der Zeuge Hauptfeldwebel T. hatte den früheren Soldaten zu
der Feier deshalb eingeladen, weil er ihn zu einem sexuellen Übergriff provozie-
ren lassen wollte. Der hierfür ursprünglich vom Zeugen als Objekt des Über-
griffs vorgesehene Zeuge Hauptgefreiter d.R. S. hatte die Mitwirkung aber ver-
weigert. Am selben Abend küsste der frühere Soldat anlässlich der Verabschie-
dung den Zeugen Hauptgefreiter d.R. H. wissentlich und willentlich auf die Wan-
ge, wobei er wusste, dass dieser auch dies nicht wollte.
Der frühere Soldat hat ein solches Verhalten zwar bestritten; zur Überzeugung
des Gerichts steht es jedoch auf der Grundlage der Aussagen der Zeugen
Hauptgefreiter d.R. H., Hauptfeldwebel d.R. O., Hauptgefreiter d.R. S., Haupt-
feldwebel T. sowie der durch Verlesen in die Berufungshauptverhandlung ein-
geführten erstinstanzlichen Aussage des Hauptgefreiten d.R. S. fest.
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aa) Soweit es das Fassen an das Gesäß betrifft, hat der Zeuge Hauptgefreiter
d.R. H. ausgesagt, der Zeuge Hauptfeldwebel T. habe ihn aufgefordert, mit dem
früheren Soldaten zu tanzen, und dabei geäußert, er solle sich bei dem frühe-
ren Soldaten „doch mal ein Küsschen“ abholen. In dem Bewusstsein, dass da-
durch eine erotische Situation erzeugt werden solle, habe er sich dem früheren
Soldaten genähert und ihn dabei auch an den Händen angefasst. Bei dem etwa
5 - 10 Minuten andauernden Tanz habe ihn dann der frühere Soldat mindestens
2 - 3 Mal für jeweils 2 - 3 Sekunden an das Gesäß gefasst, obwohl er sich be-
reits nach dem ersten Anfassen weggedreht und damit Ablehnung signalisiert
habe. Er habe nicht so recht gewusst, wie er mit diesem Verhalten eines Vor-
gesetzten habe umgehen sollen.
Die Aussage des Zeugen Hauptgefreiter d.R. H. war glaubhaft. Sie beschreibt
das Kerngeschehen inhaltlich übereinstimmend mit der von ihm bereits vor dem
Truppendienstgericht gemachten Aussage. Belastungseifer war beim Zeugen
nicht erkennbar. Er hat vielmehr erklärt, es zunächst als Spaß angesehen zu
haben, mit dem früheren Soldaten zu tanzen. Nach dem Eindruck des Senats
von dem Zeugen besitzt dieser auch nicht die Fähigkeit, seine Schilderung oh-
ne Rückgriff auf tatsächlich Erlebtes frei zu erfinden und an der Darstellung
dann über mehrere Vernehmungen im Kern gleichbleibend zu berichten. Er ge-
hört zudem nicht zu der Gruppe jener Soldaten, die in das gegen den früheren
Soldaten gerichtete Komplott des deshalb disziplinarisch durch (in der Beru-
fungshauptverhandlung teilweise verlesenes) Urteil des Truppendienstgerichts
Nord vom 29. September 2009 gemaßregelten Zeugen Hauptfeldwebel T. in-
volviert waren. Der Zeuge Hauptgefreiter d.R. H. war vielmehr kurzfristig vom
Zeugen Hauptfeldwebel T. in dessen Plan, den früheren Soldaten in eine ver-
fängliche und damit erpressbare Situation zu bringen, einbezogen worden,
nachdem der Zeuge Hauptgefreiter d.R. S. sich geweigert hatte, einer entspre-
chenden Aufforderung nachzukommen. Selbst wenn der Zeuge Hauptgefreiter
d.R. H. in der Zeit danach vom Zeugen Hauptfeldwebel T. beeinflusst worden
sein sollte, hätte dies allenfalls darin bestanden, das Geschehen herunterzu-
spielen, nicht aber, es zu dramatisieren. Dem Zeugen Hauptfeldwebel T. war
nämlich daran gelegen, die Auswirkungen des von ihm gegen den früheren
Soldaten geschmiedeten Komplotts angesichts der sich für ihn abzeichnenden
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disziplinarischen Maßregelung nach Kräften zu begrenzen. In diesem Sinne hat
er dann auch in der Berufungshauptverhandlung ausgesagt, ihm seien zuneh-
mend die weitreichenden Auswirkungen seines Fehlverhaltens deutlich gewor-
den. Dies erkläre, warum er zunächst wahrheitswidrig behauptet habe, einen
Kuss des früheren Soldaten auf die Wange des Hauptgefreiten d.R. H. nicht
gesehen zu haben.
Die Aussagen sowohl des Zeugen Hauptgefreiter d.R. S. als auch des Zeugen
Hauptfeldwebel d.R. O. ließen die Aussage des Zeugen Hauptgefreiter d.R. H.
nicht unglaubhaft werden, bestätigen sie vielmehr partiell. Der Zeuge Hauptge-
freiter d.R. S. hat zwar erklärt, nicht gesehen zu haben, dass der frühere Soldat
den Zeugen Hauptgefreiter d.R. H. am Po angefasst habe; zugleich hat er aus-
geführt, jedoch gesehen zu haben, wie der frühere Soldat dem Zeugen Haupt-
gefreiter d.R. H. einen Klaps auf den Po oder die Seite gegeben habe, wobei er
sich nicht mehr an den Anlass erinnern könne. Der Zeuge Hauptfeldwebel d.R.
O. schließlich konnte sich, wenn auch nur dunkel, nach Vorhalt indes zuneh-
mend deutlicher, daran erinnern, dass an dem besagten Abend ein Soldat na-
mens H. vom früheren Soldaten in unangemessener Form berührt worden war.
Der Hauptgefreite d.R. S. hat zudem erstinstanzlich ausgesagt, zwar nicht ge-
sehen zu haben, dass der frühere Soldat den Zeugen Hauptgefreiter d.R. H. an
das Gesäß gefasst, dieser ihm jedoch noch am selben Abend davon weinend
berichtet habe.
bb) Soweit es den Kuss betrifft, hat der Zeuge Hauptgefreiter d.R. H. ausge-
sagt, nach dem „Begrabschen“ habe er den Raum zunächst verlassen und ge-
weint. Nach etwa einer halben Stunde sei er in die Räumlichkeiten zurückge-
gangen, wobei der frühere Soldat ihm dann beim Gehen überraschend einen
Kuss auf die linke Wange gegeben habe, der seinem Charakter nach mehr ein
„Abschiedsbussi“ gewesen sei. Der Senat hält auch diese Aussage für glaub-
haft.
Sie wird gestützt durch die Aussage des Zeugen Hauptfeldwebel T. Er hat in
der Berufungshauptverhandlung nachvollziehbar dargelegt, dass er angesichts
der sich seinerzeit abzeichnenden disziplinarischen Verfolgung zunächst wahr-
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heitswidrig bestritten habe, einen Kuss des früheren Soldaten auf die Wange
des Zeugen Hauptgefreiter d.R. H. gesehen zu haben, um die nachteiligen
Auswirkungen seines Komplotts überschaubar erscheinen zu lassen. Der Senat
hat in der Berufungshauptverhandlung zudem den Eindruck gewonnen, dass
die disziplinargerichtliche Maßregelung bei diesem Zeugen nachhaltige Wirkun-
gen gezeigt hat und dieser nunmehr wahrheitsgemäß aussagt. Dessen Aussa-
ge ist zudem auch deshalb glaubhaft, weil er im Übrigen beteuert hat, nicht be-
stätigen zu können, dass der frühere Soldat den Zeugen Hauptgefreiter d.R. H.
auch an das Gesäß gefasst habe. Hieraus wird fehlender Belastungseifer und
das Bemühen deutlich, nur das auszusagen, was von der eigenen Wahrneh-
mung noch in Erinnerung ist.
Hinzu tritt, dass auch der glaubwürdige Zeuge Hauptgefreiter d.R. S. einen
Kuss des früheren Soldaten auf die Wange des Hauptgefreiten d.R. H. bestätigt
hat, ohne Belastungseifer erkennen zu lassen; er hat vielmehr das an sich gute
Verhältnis zwischen ihm und dem früheren Soldaten betont. Den Aussagen al-
ler drei Zeugen entspricht, dass auch der Hauptgefreite d.R. S. erstinstanzlich
davon berichtet hat, an dem fraglichen Abend gesehen zu haben, wie der frühe-
re Soldat den Hauptgefreiten d.R. H. auf die Wange geküsst habe.
Dass der Zeuge Hauptfeldwebel T. den früheren Soldaten zu der Feier eingela-
den hatte, damit „etwas passiert“, haben er selbst und der Zeuge S. überein-
stimmend und damit glaubhaft bestätigt. Beide Zeugen bestätigen auch, dass
der frühere Soldat nach dem Plan des Zeugen T. aktiv zu einem Übergriff pro-
voziert werden sollte. Vor diesem Hintergrund ist es nicht glaubhaft, dass der
Zeuge T. - entgegen der Aussage des Zeugen H. - in Abrede stellt, den Zeugen
H. aufgefordert zu haben, auf den früheren Soldaten in der genannten Absicht
zuzugehen.
b) Zum Anschuldigungspunkt 2: Der frühere Soldat hat bei einer Feier der Mate-
rialgruppe des … im Gebäude 85 in der … in … zu einem nicht näher bestimm-
baren Zeitpunkt zwischen August und November 2007 nach dem Genuss alko-
holischer Getränke willentlich und wissentlich zu dem damaligen Obergefreiten
S. „Warum bist du so kalt zu mir?“ gesagt und ihn gefragt, ob er nicht merken
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würde, wie er zu ihm stehe. Ferner sagte der frühere Soldat an diesem Abend
zu nicht näher bestimmbaren Zeitpunkten mehrere Male zum Zeugen S.: „Ich
mag dich.“ Dies steht zur Überzeugung des Gerichts auf der Grundlage der in
der Berufungshauptverhandlung verlesenen erstinstanzlichen Aussage des
Zeugen S. fest. Aus noch darzulegenden Rechtsgründen war der frühere Soldat
von diesem Anschuldigungspunkt jedoch freizustellen.
c) Zum Anschuldigungspunkt 3: Dem früheren Soldaten kann nicht mit der für
eine Verurteilung erforderlichen Gewissheit nachgewiesen werden, zu einem
nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Frühjahr 2006 bei einer Feier der Mate-
rialgruppe des … in der … den damaligen Hauptgefreiten A. wissentlich und
willentlich gegen dessen Willen über den Arm gestreichelt und gleichzeitig ge-
sagt zu haben, er könne nachher noch gerne bei ihm vorbeikommen.
Der frühere Soldat hat ein solches Verhalten bestritten; das Gegenteil konnte
ihm nicht mit der nach § 123 Satz 3, § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO in Verbindung mit
§ 261 StPO erforderlichen Gewissheit nachgewiesen werden. Nach dieser Re-
gelung hat das Gericht über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner
freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung zu ent-
scheiden. Die für die Überführung eines Angeschuldigten erforderliche Gewiss-
heit erfordert ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit,
demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen. Zwar ist zur Über-
führung des Angeschuldigten keine „mathematische Gewissheit“ erforderlich,
der Beweis muss jedoch mit lückenlosen, nachvollziehbaren logischen Argu-
menten geführt sein. Die Beweiswürdigung muss auf einer tragfähigen, ver-
standesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruhen. Allein damit wird die
Unschuldsvermutung (vgl. Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskon-
vention) widerlegt (Urteil vom 12. Februar 2003 - BVerwG 2 WD 8.02 -
BVerwGE 117, 371 <376> = NZWehrr 2003, 214 <216>).
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Zwar hat der Hauptgefreite d.R. A. ausweislich seiner durch Verlesung in die
Berufungshauptverhandlung eingeführten Aussage vor dem Truppendienstge-
richt das unter Anschuldigungspunkt 3 beschriebene Geschehen behauptet; er
hat jedoch ebenso ausgesagt, dem Zeugen S. den Vorfall zur Kenntnis ge-
bracht und mit ihm darüber gesprochen zu haben. Dieser habe ihm empfohlen,
dem früheren Soldaten zukünftig aus dem Wege zu gehen. In der Berufungs-
hauptverhandlung hat demgegenüber der präsente Zeuge S. auf Nachfrage des
Senats nachdrücklich bestritten, dass jemals ein Soldat wegen sexueller Beläs-
tigungen des früheren Soldaten an ihn herangetreten sei, insbesondere nicht
der Zeuge Hauptgefreiter d.R. A. Da sich der Senat von der Glaubwürdigkeit
des Zeugen S. in der Berufungshauptverhandlung aufgrund des von ihm dort
gewonnenen Eindrucks überzeugen konnte, nicht jedoch auch von der des
- vom Erscheinen in der Berufungshauptverhandlung im allseitigen Einver-
ständnis entbundenen - Zeugen Hauptgefreiter d.R. A., begründete dies ver-
nünftige Zweifel an der Richtigkeit der von diesem Zeugen getroffenen Aussa-
gen, sodass die nach § 261 StPO erforderliche Überzeugung vom Vorliegen
des angeschuldigten Verhaltens nicht vorlag. Der frühere Soldat war daher vom
Vorwurf dieser Pflichtverletzung freizustellen.
d) Zum Anschuldigungspunkt 4: Der frühere Soldat stand nach dem Genuss
alkoholischer Getränke bei der Verabschiedungsfeier des damaligen Hauptge-
freiten G. in der …in … im März 2006, als gegen Ende der Feier ein Schlager
gespielt wurde, tanzend und mit freiem Oberkörper auf dem Tisch. Dass er da-
rüber hinaus mehreren Kameraden hinterher gegangen war, um sie ebenfalls
zum Tanzen zu bewegen, steht hingegen nicht fest.
Der frühere Soldat hat ein solches Verhalten zwar bestritten; zur Überzeugung
des Gerichts steht es jedoch auf der Grundlage der Aussage des glaubwürdi-
gen Zeugen Hauptgefreiter d.R. N. fest. Dieser Zeuge, der sich besonders um
eine differenzierte Darstellung des seinerzeitigen Geschehens bemühte und
keinen Belastungseifer erkennen ließ, konnte sich daran erinnern, den früheren
Soldaten im fraglichen Zeitraum mit freiem Oberkörper etwa fünf Minuten zu
einem Schlager auf dem Tisch tanzend gesehen zu haben.
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Da dieser Zeuge sich indes nicht daran erinnern konnte, dass der frühere Sol-
dat seinerzeit darüber hinaus anderen untergebenen Soldaten nachgegangen
wäre, begründete dies auf Seiten des Senats vernünftige Zweifel. Sie mussten
im Hinblick auf die bereits zu § 261 StPO dargelegten Grundsätze dazu führen,
den früheren Soldaten von diesem zusätzlichen Vorwurf freizustellen.
e) Zum Anschuldigungspunkt 5: Der frühere Soldat fasste nach dem Genuss
alkoholischer Getränke zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Som-
mer 2003 bei einer Feier des … vor dem Gebäude 61 in der … in … dem da-
maligen Obergefreiten S. wissentlich und willentlich zunächst auf den Ober-
schenkel und dann in den Schritt, obwohl dieser das nicht wollte, was der Sol-
dat auch wusste. Der frühere Soldat hat sich dafür in unmittelbarem Anschluss
daran und am nächsten Tag beim Zeugen Obergefreiter d.R. S. entschuldigt.
Dass er bei der zweiten Entschuldigung den Zeugen zugleich eingeladen hätte,
ihn in seiner gleich der Kaserne gegenüberliegenden (Zweit-)Wohnung zu be-
suchen, war nicht feststellbar.
Der frühere Soldat hat gestanden, den Zeugen Obergefreiten d.R. S. in den
Schritt gefasst zu haben, nachdem er diesem zuvor an dessen Oberschenkel
gefasst habe. Dem Geständnis des früheren Soldaten entspricht, dass der Zeu-
ge Obergefreiter d.R. S. diesen Sachverhalt in der Berufungshauptverhandlung
ausdrücklich bestätigt hat.
Soweit der Zeuge Obergefreiter d.R. S. darüber hinaus behauptet hat, der frü-
here Soldat habe sich bei ihm zwar am Tag nach dem Übergriff entschuldigt,
damit jedoch zugleich die Einladung zu einem Besuch in seiner der Kaserne
gegenüberliegenden Zweitwohnung verbunden, legt der Senat diesen Umstand
seiner Entscheidung nicht zugrunde. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob ein
solches Verhalten nicht ohnehin eine selbstständige Pflichtverletzung begründet
hätte, die hätte angeschuldigt werden müssen, um zu Lasten des früheren Sol-
daten disziplinarrechtlich gewürdigt werden zu können (Urteil vom 27. Juni 2013
- BVerwG 2 WD 5.12 -); dieser Umstand steht jedenfalls in tatsächlicher Hin-
sicht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest.
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Der Zeuge Obergefreiter d.R. S. hat insoweit ausgesagt, er sei mit dem frühe-
ren Soldaten allein gewesen, als dieser sich am Tag nach dem sexuellen Über-
griff bei ihm entschuldigt habe; der frühere Soldat sei zu ihm zu diesem Zweck
herüber in sein, des Zeugen, Büro gekommen. Dabei erinnerte sich der Zeuge
erst auf Vorhalt früherer Aussagen daran, dass der frühere Soldat sich bereits
am Abend des Vorfalls bei ihm entschuldigt hatte. Nicht vereinbar mit den An-
gaben des Zeugen S. zu der zweiten Entschuldigung ist die Aussage des Zeu-
gen Hauptfeldwebel F., der glaubhaft ausgesagt hat, er sei zusammen mit dem
Zeugen S. zum Büro des früheren Soldaten herübergegangen, welcher sich
dann auch in seiner Gegenwart entschuldigt habe. Er könne sich nicht daran
erinnern, dass der frühere Soldat anlässlich dessen den Zeugen Obergefreiter
d.R. S. aufgefordert habe, ihn in seiner (Zweit-)Wohnung zu besuchen. Der
Zeuge Obergefreiter d.R. S. hat darüber hinaus erklärt, er könne nicht aus-
schließen, dass der frühere Soldat mit der Einladung vielleicht auch nur gemeint
habe, er solle ihn in seinem Dienstzimmer aufsuchen. Angesichts dieser Un-
stimmigkeit und des Umstands, dass der Zeuge Hauptfeldwebel F. den Ge-
schehensverlauf strukturierter darzustellen vermochte als der Zeuge Oberge-
freiter d.R. S., entstanden durchgreifende Zweifel des Senats. Sie veranlassten
ihn, insoweit zugunsten des früheren Soldaten anzunehmen, er habe sich auch
am Tag nach dem Vorfall uneingeschränkt und aufrichtig entschuldigt.
2. Der frühere Soldat hat durch das nachgewiesene Verhalten vorsätzlich ein
Dienstvergehen nach § 23 SG begangen.
a) Durch das unter 1a) festgestellte Verhalten hat er gemäß § 7 Abs. 2 des Ge-
setzes über die Gleichbehandlung der Soldatinnen und Soldaten (Soldatinnen-
und Soldaten-Gleichbehandlungsgesetz) seine dienstlichen Pflichten vorsätzlich
verletzt. Zu ihnen gehört danach auch, eine sexuelle Belästigung im Sinne des
§ 3 Abs. 4 Soldatinnen- und Soldaten-Gleichbehandlungsgesetz zu unterlassen
(Urteil vom 23. Juni 2011 - BVerwG 2 WD 21.10 - Buchholz 449 § 7 SG Nr. 56
= NZWehrr 2012, 206
). Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der flüchtige und
lediglich auf die Wange des Zeugen Hauptgefreiter d.R. H. anlässlich der Ver-
abschiedung gesetzte Kuss nicht einen geringfügigen Eingriff darstellt, der von
§ 3 Abs. 4 Soldatinnen- und Soldaten-Gleichbehandlungsgesetz noch nicht er-
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fasst wird (vgl. BRDrucks 329/06 S. 34 ); jedenfalls das mehrfache
und unerwünschte Anfassen an das Gesäß des Zeugen Hauptgefreiter d.R. H.
stellt eine sexuell bestimmte körperliche Berührung dar, die ihn in seiner Würde
verletzte.
Einher geht damit ein vorsätzlicher Verstoß gegen die Kameradschaftspflicht
nach § 12 Satz 2 SG, der alle Soldaten verpflichtet, die Würde, die Ehre und die
Rechte von Kameraden zu achten. Mit dem Recht auf sexuelle Selbstbestim-
mung sind Übergriffe der vom früheren Soldaten getätigten Art unvereinbar (Ur-
teil vom 26. Oktober 2005 - BVerwG 2 WD 33.04 - NZWehrr 2006, 161 <162> =
juris Rn. 18), wobei rechtlich irrelevant ist, ob der Übergriff auf einen Soldaten
anderen oder gleichen Geschlechts erfolgt (Urteil vom 9. Oktober 2001
- BVerwG 2 WD 10.01 - BVerwGE 115, 174 <176 f.> = Buchholz 236.1 § 12 SG
Nr. 17 S. 39 = NZWehrr 2002, 79 <80>).
Daraus folgt zugleich, dass der frühere Soldat, der aufgrund seines Dienstgra-
des auch Vorgesetzter des Zeugen H. nach § 4 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 der Vorge-
setztenverordnung - VorgV - war, ebenso vorsätzlich gegen die Pflicht nach
§ 10 Abs. 3 SG verstoßen hat, für seinen Untergebenen zu sorgen.
Mit der Verletzung verbindet sich ferner ein vorsätzlicher Verstoß gegen die
Verpflichtung des früheren Soldaten nach § 17 Abs. 2 Satz 1 SG, sich innerhalb
dienstlicher Unterkünfte und Anlagen so zu verhalten, dass er der Achtung und
dem Vertrauen gerecht wird, die seine dienstliche Stellung erforderte. Dabei
kommt es nicht darauf an, ob eine Beeinträchtigung der Achtungs- und Vertrau-
enswürdigkeit tatsächlich eingetreten ist, sondern nur darauf, ob das festgestell-
te Verhalten dazu geeignet war (vgl. Urteil vom 4. Mai 2011 - BVerwG
2 WD 2.10 - juris Rn. 29).
b) Mit dem unter 1b) festgestellten Verhalten hat der frühere Soldat noch keine
disziplinarisch zu ahndende Verletzung soldatischer Pflichten begangen, so-
dass er insoweit aus Rechtsgründen freizustellen ist. Das nachdrückliche Be-
kunden einer über die kameradschaftliche Nähe hinausgehenden Sympathie ist
zwar im soldatischen Umfeld unüblich und jedenfalls dann geeignet, disziplina-
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rische Relevanz zu erlangen, wenn an ihm trotz klarer Zurückweisung in einer
Rechte von Kameraden oder Kameradinnen (nach § 12 Satz 2 SG) beeinträch-
tigenden Weise festgehalten wird; diese Intensität hat die Sympathiebekundung
des früheren Soldaten jedoch noch nicht aufgewiesen.
c) Durch das unter 1d) festgestellte Verhalten hat der frühere Soldat vorsätzlich
gegen die Verpflichtung nach § 17 Abs. 2 Satz 1 SG verstoßen, sich innerhalb
dienstlicher Unterkünfte und Anlagen so zu verhalten, dass er der Achtung und
dem Vertrauen gerecht wird, die seine dienstliche Stellung als Stabsfeldwebel
erfordert.
d) Durch das unter 1e) festgestellte Verhalten hat der frühere Soldat vorsätzlich
gegen § 2 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 2 des zum Zeitpunkt dieser
Pflichtverletzung maßgeblichen und zum 18. August 2006 durch Art. 4 des Ge-
setzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grund-
satzes der Gleichbehandlung vom 14. August 2006 (BGBl I S. 1897) aufgeho-
benen Gesetzes zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am
Arbeitsplatz (BeschSchG) vom 24. Juni 1994 (BGBl I S. 1406, 1412, ber.
S. 2103) verstoßen, welches gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 4 BeschSchG auch für Sol-
daten galt (Urteil vom 24. April 2007 - BVerwG 2 WD 9.06 - BVerwGE 128, 319
= Buchholz 449 § 10 SG Nr. 57 ).
Wie § 3 Abs. 4 in Verbindung mit § 7 Abs. 2 Soldatinnen- und Soldaten-
Gleichbehandlungsgesetz erklärt es sexuell bestimmte körperliche Berührungen
zu einem Dienstvergehen, wenn sie von dem Belästigten erkennbar abgelehnt
werden. Dass der Zeuge Obergefreiter d.R. S. den Griff in den Schritt für den
früheren Soldaten erkennbar ablehnte, steht außer Frage, weil nach seiner
glaubhaften Aussage nicht ansatzweise Umstände vorlagen, die die Annahme
des früheren Soldaten gerechtfertigt hätten, ihm in den Schritt fassen zu dürfen.
Angesichts des massiven Eingriffs, der sich jenseits jeglicher Geschmacksfra-
gen bewegte, war es auch nicht erforderlich, dass der Zeuge Obergefreiter d.R.
S. seine ablehnende Haltung dem früheren Soldaten zuvor ausdrücklich hätte
verdeutlichen müssen (vgl. zu diesem Erfordernis nach früherem Recht BAG,
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Urteil vom 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - juris Rn. 19; Schleusener, in: Schleu-
sener/Suckow/Voigt, AGG Kommentar, 4. Aufl. 2013, § 3 Rn. 157).
Der nach der Rechtsprechung des Senats erforderliche funktionale Bezug zu
einer Dienstverrichtung lag auch vor, da der sexuelle Übergriff nicht nur wäh-
rend einer Feier des …, sondern darüber hinaus auch vor dem Gebäude 61 in
der …, mithin innerhalb dienstlicher Anlagen und somit einer Sphäre erfolgte,
auf deren Organisation und Gestaltung der Arbeitgeber Einfluss nehmen konnte
(vgl. Urteil vom 26. Oktober 2005 a.a.O. S. 163 bzw. Rn. 46; Schlachter, in: Die-
terich/Müller-Glöge/Preis/Schaub, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht,
7. Aufl. 2007, § 2 BeschSchG Rn. 2).
Mit seinem Verhalten verstieß der frühere Soldat aus den unter 2a) dargelegten
Gründen zugleich vorsätzlich gegen § 12 Satz 2 SG, § 10 Abs. 3 SG und § 17
Abs. 2 Satz 1 SG.
Ob der frühere Soldat zudem gegen die von § 7 SG erfasste Pflicht zur Loyalität
der Rechtsordnung gegenüber verstoßen hat, weil er § 31 Abs. 1 WStG ver-
wirklicht hat (vgl. Urteile vom 25. September 2008 - BVerwG 2 WD 19.07 -
Buchholz 449 § 17 SG Nr. 42 = NZWehrr 2009, 73 <75> = juris Rn. 32 und vom
24. April 2007 a.a.O. jeweils Rn. 41), kann dahingestellt bleiben. Da das zu-
gunsten des früheren Soldaten wirkende Verschlechterungsverbot dem Senat
verbietet, jenen um mehr als einen Dienstgrad zu degradieren, braucht er dann
keinen weiteren erschwerenden Umständen nachzugehen, wenn die bereits
festgestellten eine Herabsetzung um jedenfalls einen Dienstgrad gebieten. Dies
ist der Fall, weil auch ohne strafrechtliche Relevanz ein schweres Dienstverge-
hen vorliegt, das auf der Grundlage der nachfolgenden Bemessungserwägun-
gen eine Herabsetzung um jedenfalls einen Dienstgrad erfordert.
3. Bei der Bestimmung von Art und Maß der konkreten Maßnahme sind nach
§ 58 Abs. 7 in Verbindung mit § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des
Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persön-
lichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berück-
sichtigen.
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a) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Un-
rechtsgehalt der Verfehlung, das heißt nach der Bedeutung der verletzten
Dienstpflichten. Danach wiegt das Dienstvergehen, dessen Schwerpunkt in der
sexuellen Belästigung von Untergebenen (gemäß Anschuldigungspunkte 1
und 5) liegt, ungeachtet einer etwaigen strafrechtlichen Relevanz (vgl. Urteil
vom 26. Oktober 2005 - BVerwG 2 WD 33.04 - NZWehrr 2006, 161 <165>
= juris Rn. 69) schwer, zumal es sich in körperlichen Übergriffen ausdrückte.
Der Dienstherr selbst hat durch die ZDv 14/3 den Schutz des verfassungsrecht-
lich garantierten sexuellen Selbstbestimmungsrechts namentlich im Verhältnis
zwischen Vorgesetzten und Untergebenen in einer für jeden Vorgesetzten un-
missverständlichen Deutlichkeit betont. Die Schwere des Dienstvergehens wird
des Weiteren dadurch bestimmt, dass der frühere Soldat nicht nur einmalig,
sondern wiederholt einschlägig versagt hat und er als Stabsfeldwebel in einem
herausgehobenen Vorgesetztenverhältnis stand (§ 10 Abs. 1 SG). Die Verfeh-
lungen führten bei seinen Untergebenen auch tatsächlich zu massiven Zweifeln
an seiner Vorbildfunktion.
Mildernd einzustellen war beim Anschuldigungspunkt 1 der Umstand, dass die
Initiative zur Kontaktaufnahme nicht vom früheren Soldaten, sondern vom Zeu-
gen Hauptgefreiter d.R. H. ausgegangen und auf ein gegen den früheren Sol-
daten vom Zeugen T. geschmiedetes Komplott zurückzuführen ist. Dieser hat
damit zwar nicht zum Ausdruck gebracht, dass ihm der spätere sexuelle Über-
griff erwünscht war; er hat dadurch jedoch gezielt die Aufmerksamkeit des frü-
heren Soldaten auf sich gelenkt und dies erklärterweise in der Absicht, sich ei-
nen Spaß damit zu machen, dass der ihm bekanntermaßen homosexuell orien-
tierte frühere Soldat der Kontaktaufnahme eine erotische Komponente beimes-
sen würde.
b) Das Dienstvergehen zeitigte auch nachteilige Auswirkungen. Zwar wirkte es
sich nicht auf die Personalplanung aus; insbesondere erfolgte keine Ablösung
des früheren Soldaten vom Dienstposten. Auf die Förderung zum Oberstabs-
feldwebel hatte der frühere Soldat zudem ohnehin verzichtet, um weiter ortsfest
verwendet zu werden. Den Logistikbereich durfte der frühere Soldat allerdings
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nach dem Vorfall nicht mehr betreten. Hinzu kommt, dass seine Pflichtverlet-
zungen ausweislich der Aussagen der Zeugen Oberleutnant R., Oberstabsfeld-
webel M. sowie der Zeugin W. gerüchteweise bekannt geworden sind. Der
Zeuge Hauptgefreiter d.R. N. hat darüber hinaus ausgesagt, Kameraden sei be-
deutet worden, sich nicht in die Nähe des früheren Soldaten zu begeben, wenn
er etwas getrunken habe. Der Zeuge Hauptfeldwebel F. sah sich zudem bereits
2003 veranlasst, den früheren Soldaten aufzufordern, zu Untergebenen
Abstand zu wahren. Der jenseits der besonderen fachlichen Leistungen einge-
tretene Ansehens- und Vertrauensverlust steht mithin fest. Hinzu tritt, dass der
unter Anschuldigungspunkt 1 beschriebene sexuelle Übergriff den im November
1986 geborenen, seinerzeit also knapp einundzwanzigjährigen Zeugen Haupt-
gefreiten d.R. H. dermaßen irritierte, dass er in Tränen ausbrach und von Ka-
meraden beruhigt werden musste.
c) Das Maß der Schuld wird vor allem dadurch bestimmt, dass der Soldat
durchgehend vorsätzlich gehandelt hat.
Dass der im Zusammenhang mit den festgestellten Dienstpflichtverletzungen
festgestellte Alkoholkonsum auf den früheren Soldaten enthemmend gewirkt
haben mag, wirkt sich nicht zu dessen Gunsten aus, weil keine Hinweise darauf
vorliegen, dass er sich nicht vorwerfbar alkoholisiert hätte (vgl. Urteile vom
17. Januar 2013 - BVerwG 2 WD 25.11 - juris Rn. 72 ff. und vom 7. März 2013
- BVerwG 2 WD 28.12 - juris).
Auch sonstige Milderungsgründe in den Umständen der Tat liegen nicht vor
(vgl. Urteil vom 23. September 2008 - BVerwG 2 WD 18.07 - m.w.N.). Die An-
nahme einer persönlichkeitsfremden Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien
und im Dienst bewährten Soldaten (vgl. Urteile vom 1. April 2003 - BVerwG
2 WD 48.02 - und vom 1. Juli 2003 - BVerwG 2 WD 51.02 - m.w.N.) verbietet
sich schon deshalb, weil mehrfache gleichartige Pflichtverletzungen vorliegen.
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Ebenso sind die Voraussetzungen für eine Minderung aufgrund des Mitver-
schuldens von Vorgesetzten bzw. wegen Mängeln oder Versagen der Dienst-
aufsicht nicht gegeben. Ungeachtet dessen, dass jedem Vorgesetzten bekannt
ist, Untergebene nicht sexuell belästigen zu dürfen und schon deshalb nicht
erkennbar ist, dass der frühere Soldat insoweit aufsichtlicher Hilfe bedurft hätte
(vgl. Urteil vom 13. Juni 2006 - BVerwG 2 WD 1.06 - juris Rn. 61), sind entspre-
chende Vorfälle weder an den Disziplinarvorgesetzten des früheren Soldaten,
Hauptmann F., noch an Leutnant S. oder an Oberstabsfeldwebel M. von Unter-
gebenen herangetragen worden, sodass diese keinen Anlass zum Einschreiten
erkennen konnten (vgl. Urteile vom 16. Mai 2006 - BVerwG 2 WD 3.05 -
NZWehrr 2006, 252 = juris Rn. 5 m.w.N., sowie vom 26. Oktober 2005
- BVerwG 2 WD 33.04 - NZWehrr 2006, 161 <165> = juris Rn. 64 ). Deshalb
können die dem früheren Soldaten erteilten Beurteilungen, in denen ihm ein
gerade funktionsangemessenes Näheverhältnis zu unterstellten Soldaten be-
scheinigt wird, auch nicht dahingehend gewertet werden, sie hätten ihn in sei-
nem pflichtwidrigen Verhalten bestärkt.
sind dem früheren Soldaten das zum Anschuldigungspunkt 5 abgelegte
Geständnis und seine hervorragenden dienstlichen Leistungen zugute zu hal-
ten, welche auch in förmlichen Anerkennungen ihren Niederschlag gefunden
haben. Da der frühere Soldat seine Leistungen auch nach der letzten Pflichtver-
letzung noch einmal gesteigert hat, liegt zudem eine Nachbewährung vor. Ihr
steht nicht entgegen, dass der frühere Soldat zwischenzeitlich wegen fahrlässi-
ger Gefährdung des Straßenverkehrs strafrechtlich verurteilt wurde. Diese Tat
war für den Dienstherrn weder Anlass, sie disziplinarisch zu ahnden, noch weist
sie einen einschlägigen inhaltlichen Bezug zu den streitgegenständlichen
Pflichtverletzungen oder den Dienst auf (Urteil vom 4. Juli 2013 - BVerwG
2 WD 21.12 -).
Ferner spricht für den früheren Soldaten, dass er sich unmittelbar nach dem
unter Anschuldigungspunkt 5 beschriebenen Vorfall bei dem Zeugen Oberge-
freiter d.R. S. sogleich und am nächsten Tag erneut entschuldigt hat. Dem ent-
spricht, dass er sich auch in der Berufungshauptverhandlung zu diesem Fehl-
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verhalten uneingeschränkt bekannt hat. Ob er auch die sonstigen Pflichtverlet-
zungen aufrichtig bereut, war als Folge seines prozessual zulässigen und daher
nicht zu seinem Nachteil zu gewichtenden Verhaltens nicht festzustellen (Urteil
vom 14. Oktober 2009 - BVerwG 2 WD 16.08 - juris). Zu Gunsten der Persön-
lichkeit des Soldaten ist fernerhin zu berücksichtigen, dass er sich nach dem
unter Anschuldigungspunkt 5 beschriebenen Vorfall bis 2007 freiwillig einer
psychologischen Behandlung unterzogen hat.
e) Die Beweggründe des früheren Soldaten sprechen nicht für ihn, da er aus-
schließlich aus sexuellen Motiven gehandelt hat.
4. Bei der Gesamtwürdigung aller vorgenannten be- und entlastenden Umstän-
de ist im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die
Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts der Ausspruch einer - gemäß § 58
Abs. 2 Nr. 3 in Verbindung mit § 62 Abs. 1 Satz 3 WDO zulässigen - Herabset-
zung um einen Dienstgrad erforderlich und angemessen. Bei der konkreten
Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in seiner gefestigten
Rechtsprechung von einem zweistufigen Prüfungsschema aus (vgl. Urteil vom
10. Februar 2010 - BVerwG 2 WD 9.09 - juris Rn. 35 ff.):
a) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbe-
handlung (Art. 3 Abs. 1 GG) vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechts-
staatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinar-
maßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als
„Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen“. Bei sexuellen Belästigungen
bildet ihn regelmäßig die Herabsetzung im Dienstgrad (vgl. Urteil vom 23. Juni
2011 - BVerwG 2 WD 21.10 - Buchholz 449 § 7 SG Nr. 56 = NZWehrr 2012,
206 = juris Rn. 49).
b) Auf der zweiten Stufe prüft er, ob im Hinblick auf die in § 38 Abs. 1 WDO
normierten Bemessungskriterien im konkreten Fall Umstände vorliegen, die die
Möglichkeit einer Verschärfung oder Milderung gegenüber der auf der ersten
Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme eröffnen. Dabei ist vor allem an-
hand der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie dessen Auswir-
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kungen zu klären, ob es sich angesichts der be- und entlastenden Umstände
um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverlet-
zung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schwe-
regrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die
zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach „oben“ bzw. nach „unten“ zu modi-
fizieren. Für die „Eigenart und Schwere des Dienstvergehens“ kann z.B. von
Bedeutung sein, ob der Soldat eine herausgehobene Dienststellung hatte, ein-
malig oder wiederholt oder in einem besonders wichtigen Pflichtenbereich ver-
sagt hat. Bei den Auswirkungen des Fehlverhaltens sind die konkreten Folgen
für den Dienstbetrieb sowie schädliche Weiterungen für das Außenbild der Bun-
deswehr in der Öffentlichkeit zu berücksichtigen. Hinsichtlich des Zumessungs-
kriteriums „Maß der Schuld“ ist neben der Schuldform und der Schuldfähigkeit
das Vorliegen von Erschwerungs- und Milderungsgründen in den Tatumständen
in Betracht zu ziehen (Urteil vom 15. März 2012 - BVerwG 2 WD 9.11 - Buch-
holz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 10).
Hiernach liegt zwar auch unter Einbeziehung der zum Anschuldigungspunkt 4
festgestellten, isoliert als eher leicht und mit einer einfachen Disziplinarmaß-
nahme angemessen zu ahndenden Pflichtverletzung kein besonders schwerer
Fall vor, der die Grundlage des Vertrauens in die Zuverlässigkeit und Integrität
des früheren Soldaten zerstört hätte und deshalb die Höchstmaßnahme erfor-
derte. Ebenso wenig liegen jedoch Umstände vor, die einen leichteren Fall be-
gründen und zu einer milderen Maßnahmeart führen (vgl. Urteil vom 7. März
2013 - BVerwG 2 WD 28.12 - juris Rn. 55).
aa) Dass die zum Anschuldigungspunkt 5 festgestellte Pflichtverletzung bereits
zehn Jahre zurückliegt, rechtfertigt keine mildere Maßnahmeart. Der Gesetzge-
ber hat durch § 17 WDO eine differenzierte, dem Verhältnismäßigkeitsgrund-
satz in zeitlicher Hinsicht Rechnung tragende Regelung dazu getroffen, welche
Disziplinarmaßnahmen nach welchen Zeiträumen nicht mehr verhängt werden
dürfen. Nachdem er bei der gerichtlichen Disziplinarmaßnahme „Herabsetzung
im Dienstgrad“ dem Zeitpunkt, zu dem die ihre Verhängung gebietende Pflicht-
verletzung begangen wurde, keine Bedeutung beigemessen hat, würde diese
gesetzgeberische Wertung unterlaufen, wenn dem Zeitfaktor bei der Maßnah-
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mebemessung gleichwohl das von der Verteidigung behauptete Gewicht beige-
legt würde.
bb) Ebenso wenig verlangen die weit überdurchschnittlichen fachlichen Leis-
tungen des früheren Soldaten eine mildere Maßnahmeart. Die persönliche Inte-
grität eines Soldaten steht gleichberechtigt neben dem Erfordernis der fachli-
chen Qualifikation, sodass die vorliegend gravierenden Defizite in der persönli-
chen Integrität des früheren Soldaten nicht allein durch dessen fachliche Kom-
petenz ausgeglichen werden können (Urteil vom 23. Juni 2011 a.a.O. Rn. 52).
cc) Die hervorragenden Leistungen des früheren Soldaten, insbesondere seine
Nachbewährung, sind jedoch bei der Festlegung des Ausmaßes der Herabset-
zung im Dienstgrad zu beachten. Stellt man die zulasten des früheren Soldaten
wirkenden Aspekte - namentlich das wiederholte vergleichbare Fehlverhalten -
den für ihn sprechenden Umständen - vor allem den in seiner Person liegenden
Milderungsgründen und dem Tatumstand der Tatprovokation durch ein gegen
ihn gerichtetes und disziplinarisch geahndetes Komplott - gegenüber, ist damit
die Beschränkung der Dienstgradherabsetzung auf nur einen Dienstgrad ge-
rechtfertigt.
5. Da das Rechtsmittel des früheren Soldaten erfolglos geblieben ist, hat er die
Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen. Es bestand kein Anlass, die ihm
darin erwachsenen notwendigen Auslagen trotz seiner Verurteilung aus Billig-
keitsgründen nach § 140 Abs. 2 WDO dem Bund aufzuerlegen.
Dr. von Heimburg
Dr. Burmeister
Dr. Eppelt
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