Urteil des BVerwG vom 16.05.2006

Soldat, Strafbare Handlung, Kompanie, Zustand

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 3.05
TDG N 2 VL 18/04
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
den Hauptfeldwebel …,
…,
…,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 16. Mai 2006, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier als Vorsitzender,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Oberstleutnant Grade,
Stabsfeldwebel Drossel
als ehrenamtliche Richter,
Regierungsdirektor …
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt …,
als Verteidiger,
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 2 -
Auf die Berufung des Soldaten wird das Urteil der 2. Kam-
mer des Truppendienstgerichts Nord vom 7. Dezember
2004 aufgehoben.
Der Soldat wird wegen eines Dienstvergehens in den
Dienstgrad eines Oberfeldwebels herabgesetzt.
Die Kosten des ersten Rechtszugs hat der Soldat zu tra-
gen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden je zur
Hälfte dem Soldaten und dem Bund auferlegt, der auch die
Hälfte der dem Soldaten darin erwachsenen notwendigen
Auslagen zu tragen hat.
G r ü n d e :
I
Der 46 Jahre alte Soldat trat nach dem Abitur als Grundwehrdienstleistender
am 2. Juli 1979 den Dienst in der Bundeswehr bei der P…kompanie … in S. an.
Aufgrund seiner Bewerbung und Verpflichtung für den freiwilligen Dienst in der
Bundeswehr wurde er am 7. Dezember 1979 in das Dienstverhältnis eines Sol-
daten auf Zeit berufen. Seine Dienstzeit wurde zunächst stufenweise auf zwölf
Jahre festgesetzt, bis er am 26. August 1987 zum Berufssoldaten ernannt wur-
de. Wiederholte Anträge auf Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militär-
fachlichen Dienstes wurden abschlägig beschieden.
Der Soldat wurde zuletzt am 5. Oktober 1992 zum Hauptfeldwebel befördert.
Danach war er zunächst an der H…schule … in D. als Panzergrenadierfeldwe-
bel eingesetzt. Zum 1. Oktober 1994 wurde er zur 3./P…Btl … in H. als Panzer-
feldwebel Leopard 2 und Zugführer und zum 1. Januar 1999 zur 4./P…Btl … in
St. als Panzerfeldwebel Leopard 2 und Kompaniefeldwebel versetzt. Zum 1. Juli
2003 wurde der Soldat zur Stabskompanie der P…Brig … in N. als Panzerfeld-
webel Leopard 2 und zum 1. Dezember 2003 zur 1./H…Btl … in K. als Mobil-
machungsvorbereitungsfeldwebel versetzt. Seit dem 5. Januar 2004 übt er in
der 1./H…Btl … die Funktion des S 1/S 3-Feldwebels aus. Ihm obliegt die Per-
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sonalbearbeitung für Reservisten sowie die Planung, Organisation und Durch-
führung von Übungsvorhaben des H…Btl ….
In der letzten planmäßigen Beurteilung vom 5. Juli 2000 durch den Kompanie-
chef 4./P…Btl … wurden die Leistungen im Beurteilungszeitraum in den Ein-
zelmerkmalen einmal mit der Stufe „7“ (Fürsorgeverhalten), neunmal mit der
Stufe „6“ und im Übrigen mit der Stufe „5“ bewertet. In der Eignungs- und Befä-
higungsbeurteilung setzte der beurteilende Vorgesetzte für das Merkmal „Eig-
nung zur Menschenführung/Teambefähigung“ die Wertung „e“ und ansonsten
die Wertungsstufe „d“ fest. In der Beschreibung seiner herausragenden charak-
terlichen Merkmale wird er als Soldat dargestellt, der sich durch sein ausge-
prägtes Verständnis der Menschenführung, sein ausgewogenes „Fingerspit-
zengefühl“ im Umgang mit Menschen und ein sehr hohes Maß an Freude am
Beruf auszeichne. Er besitze einen aufrichtigen und festen Charakter und sei
niemals bestrebt, sich übertrieben nach außen hin darzustellen. Was er spreche
und tue, sei identisch. Insgesamt sei er ein glaubwürdiges und liebenswürdiges
„Original“. Der nächsthöhere Disziplinarvorgesetzte führte in seiner Stellung-
nahme vom 21. August 2000 aus, der Soldat gehöre zur Spitze der Kompanie-
feldwebel im Bataillon, so dass er die erkennbare Eignung für einen UmP-7-
Dienstposten unterstreiche. Die Förderungswürdigkeit des Soldaten stufte er
mit „D“ ein.
Der Kommandeur P…Brig … unterstrich als weiterer höherer Vorgesetzter die-
se gute Beurteilung, weil der Soldat auch aus seiner Sicht eindrucksvolle Leis-
tungen erbracht habe.
In der Sonderbeurteilung vom 16. März 2005 wurden die Leistungen des Solda-
ten in den Einzelmarkmalen fünfmal mit „7“ und elfmal mit „6“ bewertet. Bei der
Beurteilung seiner Eignung und Befähigung wurde ihm jeweils für „Verantwor-
tungsbewusstsein“, „Geistige Befähigung“ und „Eignung zur Menschenfüh-
rung/Teambefähigung“ die Wertung „E“ und für „Befähigung zur Einsatz- und
Betriebsführung“ die Wertung „D“ zuerkannt. Unter „Herausragende, charakter-
liche Merkmale, Kameradschaft, Berufliches Selbstverständnis, Bewährung im
Einsatz und ergänzende Aussagen“ wurde ausgeführt:
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„HptFw … zeichnet sich durch ein hohes Maß an Geradli-
nigkeit, Loyalität und Pflichtbewusstsein aus. Sein berufli-
ches Selbstverständnis und seine innere Einstellung zum
Soldatenberuf sind tadellos. Auch mit der Bataillonsfüh-
rung besteht eine hervorragende Zusammenarbeit und er
ist auch bei den Reservisten durch seine unkomplizierte
und offene Art anerkannt und genießt uneingeschränkt ihr
Vertrauen.
In seine Tätigkeit hat er sich schnell und ohne Schwierig-
keit eingearbeitet. Da der Dienstposten des S1/S3 Offi-
ziers FD im Bataillon nicht besetzt ist, nimmt HptFw …
dessen Aufgaben wahr. Hierbei zeigt er eine lobenswerte
Dienstauffassung, herausragenden persönlichen Einsatz
und vorbildliche Pflichterfüllung. Bei seinen Kameraden,
Untergebenen und Vorgesetzten gleichermaßen aner-
kannt, ist er aufgrund seiner freundlichen, zuvorkommen-
den und manchmal schelmischen Art beliebt.“
Der derzeitige nächste Disziplinarvorgesetzte des Soldaten, der Zeuge Haupt-
mann B., hat in der Berufungshauptverhandlung bekundet, dass der Soldat seit
der Zuversetzung in seinen Zuständigkeitsbereich nicht negativ aufgefallen sei.
Er sei äußerst einsatzbereit. Das Verhältnis zu seinen Kameraden und zu den
wehrübenden Reservisten sei sehr gut. Es sei zu keinerlei alkoholbedingten
Zwischenfällen gekommen. Der Soldat enthalte sich - auch bei dienstlichen
Veranstaltungen mit Reservisten - jeglichen Alkoholkonsums.
Ausweislich des Auszugs aus dem Disziplinarbuch vom 15. März 2005 wurden
dem Soldaten am 20. Dezember 1984 und 11. Mai 1990 zwei förmliche Aner-
kennungen wegen vorbildlicher Pflichterfüllung erteilt. Disziplinar ist er bisher
nicht negativ in Erscheinung getreten. Abgesehen von dem teilweise sachglei-
chen Strafverfahren ist der Soldat strafrechtlich bislang unbelastet.
Der Kommandeur P…Btl … setzte am 28. Februar 2000 für den Soldaten in An-
erkennung seiner dauerhaft herausragenden Gesamtleistungen nach § 27
Abs. 3 Satz 1 BBesG eine Leistungsstufe fest.
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Der Soldat erhielt am 20. August 1981 die Schützenschnur in Bronze und am
22. Oktober 1986 das Abzeichen für Leistungen im Truppendienst in Gold. Der
Bundesminister der Verteidigung verlieh ihm am 6. Februar 2002 für treue
Pflichterfüllung und überdurchschnittliche Leistungen das Ehrenkreuz der Bun-
deswehr in Gold und am 26. Februar 2003 erhielt der Soldat die Einsatzmedail-
le der Bundeswehr (Fluthilfe 2002).
Der ledige Soldat wird nach der Besoldungsgruppe A 8, 10. Dienstaltersstufe
besoldet und erhält monatliche Bruttobezüge in Höhe von 2 394,37 €, aus de-
nen sich unter Berücksichtigung der gesetzlichen Abzüge Nettobezüge in Höhe
von 1 954,38 € errechnen. Seine finanziellen Verhältnisse sind geordnet.
II
1. Aufgrund einer Abgabe an die Staatsanwaltschaft nach § 33 Abs. 3 WDO
kam es im September 2002 zu einem Strafverfahren gegen den Soldaten bei
der Staatsanwaltschaft M., in dem das Amtsgericht K. - 1 Js 11217/02 11 Cs -
mit Strafbefehl vom 5. September 2003 gegen den Soldaten wegen zweifachen
sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person und Beleidigung im
Zustand verminderter Schuldfähigkeit eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Mo-
naten verhängte, deren Vollstreckung gegen Zahlung einer Geldbuße vom
1.000 € auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde (angewandte Strafbe-
stimmungen: § 179 Abs. 1 Nr. 1, §§ 185, 21, 53 StGB). Der Strafbefehl ist sei
dem 28. Oktober 2003 rechtskräftig.
2. In dem mit Verfügung des Kommandeurs 7. P…division vom 21. November
2003 durch Aushändigung am 2. Dezember 2003 ordnungsgemäß eingeleiteten
teilweise sachgleichen (Anschuldigungspunkte 1, 3 und 8) gerichtlichen Diszip-
linarverfahren legte der Wehrdisziplinaranwalt dem Soldaten in der am 30. Juni
2004 zugestellten Anschuldigungsschrift vom 21. Juni 2004 folgenden Sach-
verhalt als Dienstvergehen zu Last:
„1. Als Kompaniefeldwebel der 4./P…Btl … führte der Sol-
dat während eines Truppenübungsplatz-Aufenthaltes sei-
ner Einheit in der Nacht vom 09.03. auf den 10.03.2001 in
B., Lager A., in stark alkoholisiertem Zustand seine Hand
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unter die Bettdecke des seiner Kompanie angehörenden
damaligen Fahnenjunkers Christian-Werner K., der be-
trunken in seinem Bett lag und ihm dem Rücken zukehrte,
berührte sein mit Boxershorts bekleidetes Gesäß und be-
ließ seine Hand für einige Sekunden dort, bevor er sie
wieder zurückzog. Der Fahnenjunker, der sich während-
dessen schlafend stellte, war geschockt, eingeschüchtert
und hatte Angst.
Hilfsweise:
Der Soldat hat sich am 09.03.2001 durch den Genuss al-
koholischer Getränke zumindest fahrlässig in einen die
Schuldfähigkeit ausschließenden Zustand der Volltrun-
kenheit versetzt und zu besagtem Zeitpunkt die o.a. Hand-
lungen vorgenommen.
2. Ab dem 21.01.2002 bis Anfang März 2002 klopfte er auf
dem Dienstzimmer im Kompanieblock der 4./P…Btl …, S.
zu verschiedenen Gelegenheiten mehrfach mit seiner
Hand an das Gesäß des als Zugführer eingesetzten da-
maligen Fähnrichs Christian-Werner K..
3. Zu heute nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkten
im Sommer 2002 berührte der Soldat im Geschäftszimmer
der 4./P…Btl … den Gefreiten D. unsittlich, indem er ihm
ins Gesäß kniff und dieses tätschelte. Außerdem fasste er
ihn an die Genitalien.
4. Der Soldat fasste zu nicht mehr näher zu ermittelnden
Zeitpunkten vor dem 25.09.2002 meist auf dem Ge-
schäftszimmer der 4./P...Btl ... dem ebenfalls der Kompa-
nie angehörenden damaligen Stabsunteroffizier Florian Kl.
an dessen Gesäß und bezeichnete ihn mehrfach als
‚Schwanzlutscher’ und ‚schwuler Wichser’.
5. Am 06.08.2002 nannte er den damaligen Oberfähnrich
Christian-Werner K. im Geschäftszimmer der 4./P...Btl ...
in Zusammenhang mit dessen Sachschadensmeldung
vom 25.07.2002 und in Gegenwart des Stabsunteroffiziers
Mike R. und des Gefreiten Sven D., die beide ebenfalls
der 4./P...Btl ... angehörten, einen ‚Lügner’.
6. Er äußerte am 26.08.2002 gegen Mittag im Kompanie-
block der 4./P...Btl ... gegenüber dem Oberfähnrich K., er
sei aufgrund einer
Entscheidung des ‚Ältestenrates’ der
Kompanie und wegen seiner charakterlichen Schwächen
aus der Gemeinschaft der Unteroffiziere ausgeschlossen
worden, obwohl es einen ‚Ältestenrat’ überhaupt nicht gab.
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7. Am 30.08.2002 gegen 12.00 Uhr teilte er dem Unteroffi-
zierkorps der 4./P...Btl ... im U-Raum der Kompanie mit,
dass der Oberfähnrich K. aus der Gemeinschaft der Un-
teroffiziere ausgeschlossen worden sei. Zur Begründung
äußerte er, der Oberfähnrich K. sei eine ‚menschliche
Charaktersau’.
8. Der Soldat zog am 31.08.2002 nach 22.00 Uhr im
Kompanieblock der 4./P...Btl ..., Stube 207, in stark alko-
holisiertem Zustand dem im Feldanzug und mit Stiefeln
betrunken auf seinem Bett liegenden und schlafenden Ge-
freiten D. die Stiefel aus, zog dessen Feldhose und Unter-
hose bis oberhalb der Knie herunter und berührte dessen
entblößte Genitalien.
Hilfsweise:
Der Soldat hat sich am 31.08.2002 durch den Genuss al-
koholischer Getränke zumindest fahrlässig in einen die
Schuldfähigkeit ausschließenden Zustand der Volltrun-
kenheit versetzt und zu besagtem Zeitpunkt die o.a Hand-
lungen vorgenommen.
9. Am 23.12.2002 sandte er auf das Handy des Stabsun-
teroffiziers Marco N., der am 25.09.2002 vom Komman-
deur des P…Btl 143 im Hinblick auf seine sexuellen Über-
griffe gegenüber anderen Soldaten als Zeuge vernommen
worden war, folgende SMS:
‚Wünsche dir den Tod. Aber du bist ja der sohn eines
Grenzers also eines mörders. Und genauso ist dein Ver-
halten. Du bist der dreck auf dieser erde. Aber das ginge
noch was besser du bist riegel dumm und das kann dir
keiner mehr nehmen. Also sohn eines mörders. Den tod.’“
Die 2. Kammer des Truppendienstgerichts Nord setzte den Soldaten durch Ur-
teil vom 7. Dezember 2004 wegen eines Dienstvergehens in den Dienstgrad
eines Feldwebels herab.
Zur rechtlichen Würdigung führte die Truppendienstkammer aus: Durch das
festgestellte Verhalten habe der Soldat in den Anschuldigungspunkten 1 bis 8
die Pflicht zur Fürsorge (§ 10 Abs. 3 SG) sowie zu achtungs- und vertrauens-
würdigem Verhalten im Dienst (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) verletzt. Darüber hinaus
habe er durch das Verhalten in den Anschuldigungspunkten 1 bis 9 die Pflicht
zur Kameradschaft (§ 12 Satz 2 SG) sowie durch sein Verhalten zu Anschuldi-
gungspunkt 9 die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten au-
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ßerhalb des Dienstes und außerhalb dienstlicher Unterkünfte (§ 17 Abs. 2
Satz 2 SG) verletzt. Der Soldat habe vorsätzlich seine Dienstpflichten verletzt
und ein Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 SG begangen.
Zur Maßnahmebemessung führte die Kammer u.a. aus, dass das Dienstverge-
hen außerordentlich schwer wiege. Der Soldat habe seine herausgehobene
Dienststellung als Kompaniefeldwebel missbraucht, die Persönlichkeitsrechte
unterstellter Soldaten und deren Würde missachtet und sich so nachhaltig dis-
qualifiziert, dass seine Ablösung erforderlich gewesen sei. Er habe als Vorge-
setzter entgegen seiner Pflicht gemäß § 10 Abs. 1 SG ein denkbar schlechtes
Beispiel gegeben. Durch die Übergriffe, die körperlichen Berührungen sowie die
ehrverletzenden Äußerungen habe er die nach Art. 1 Abs. 1 GG geschützte
Menschenwürde der Zeugen beeinträchtigt. Betroffen sei auch das Gesetz zum
Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, das un-
missverständlich zum Ausdruck bringe, dass jegliche Belästigung am Arbeits-
platz ein Dienstvergehen sei. Nach Eigenart und Schwere des Dienstvergehens
habe im vorliegenden Fall Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen eine
Dienstgradherabsetzung sein müssen, weil der Soldat zusätzlich zu den Kern-
vorwürfen der sexuellen Übergriffe und der wiederholten sexuellen Berührun-
gen die Ehre und Würde der Zeugen durch verbale Entgleisungen massiv be-
einträchtigt habe. Zu seinen Lasten sei ins Gewicht gefallen, dass er wegen
seines Verhaltens von seinem Dienstposten als Kompaniefeldwebel abgelöst
werden musste. Für ihn habe gesprochen, dass er bis zu seinem Dienstverge-
hen und nach Versetzung zum H…Btl … ordentliche bzw. sehr ordentliche
dienstliche Leistungen gezeigt habe. Ganz wesentlich zu seinen Gunsten sei
berücksichtigt worden, dass er sich im angeschuldigten Zeitraum in einer „nas-
sen Phase“ einer Alkoholkrankheit befunden habe. Unter Abwägung aller be-
und entlastenden Umstände in der Tat und in der Person des Soldaten sei die
Herabsetzung in den Dienstgrad eines Feldwebels wegen der Schwere des
Dienstvergehens unabdingbar gewesen.
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Gegen dieses dem Soldaten am 12. Januar 2005 zugestellte Urteil hat sein
damaliger Verteidiger mit Schriftsatz vom 7. Februar 2005, bei den Wehrdienst-
senaten des Bundesverwaltungsgerichts eingegangen am 8. Februar 2005, Be-
rufung im vollen Umfang eingelegt und beantragt, das Urteil des Truppen-
dienstgerichts aufzuheben, hilfsweise, das Verfahren zur Neuverhandlung an
das Truppendienstgericht Nord zurückzuverweisen.
Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen:
Das Truppendienstgericht habe erkannt, dass zum Zeitpunkt der zum Vorwurf
gemachten Handlungen der Soldat an einer schweren Alkoholerkrankung gelit-
ten habe, die nach den glaubhaften Bekundungen des in der mündlichen Ver-
handlung vor dem Truppendienstgericht erschienenen Zeugen Oberfeldarzt
Dr. W. dazu geführt habe, dass - in Verbindung mit Alkoholabusus - bei dem
Soldaten latent vorhandene schizophrene Züge die Oberhand gewonnen hätten
und es so dazu gekommen sei, dass der Soldat - völlig abweichend von seinem
bisherigen dienstlichen und persönlichen Erscheinungsbild - schlichtweg ausge-
rastet sei. Der Zeuge Hauptmann B. habe vor dem Truppendienstgericht eben-
falls glaubwürdig bekundet, dass der Soldat nach der erfolgreichen Alkoholthe-
rapie wieder völlig seinen bisherigen dienstlichen Einstufungen entsprechend
seinen Dienst versehen habe. Die zum Vorwurf gemachten Entgleisungen seien
für den jetzigen Disziplinarvorgesetzten, Hauptmann B., nicht nachvollziehbar
gewesen. Das erstinstanzliche Urteil würdige nicht ausreichend den Zusam-
menhang zwischen der zweifellos vorhandenen Alkoholerkrankung und den
damit zutage getretenen Auffälligkeiten des Soldaten, die in diesem Zusam-
menhang in keinster Weise beschönigt würden. Tatsache sei, dass sämtliche
vorgeworfenen Taten im Vollrausch begangen worden seien, wobei interessan-
terweise sowohl Täter als auch Opfer in einem Zustand gewesen seien, wonach
jegliche Steuerungsmöglichkeit als auch -fähigkeit alkoholbedingt ausgeschlos-
sen gewesen sei. Es werde gerügt, dass in diesem Zusammenhang lediglich
der Zeuge Oberfeldarzt Dr. W. gehört worden sei. Ein Sachverständiger sei
trotz erfolgter Beweisanregung nicht hinzugezogen und auch nicht gehört wor-
den, was nochmals aus Sicht der Verteidigung gerügt werde. Der Zeuge Ober-
feldarzt Dr. W. habe die ärztliche Behandlung, d.h. Fort- und Ausgang der Alko-
holentwöhnung geschildert und darüber hinaus beim Soldaten schizoide Züge
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unterstellt; eine Konsequenz hieraus sei das Gericht in der Urteilsbegründung
hingegen schuldig geblieben. Über den Zeitraum von März 2001 bis zur ab-
schließenden ärztlichen Behandlung sei der Soldat nicht er selbst gewesen;
anders ließen sich die vergangenen als auch aktuellen dienstlichen Beurteilun-
gen nicht deuten. Der Soldat habe über den zum Tatvorwurf gemachten Zeit-
raum unter einer schweren Persönlichkeitsspaltung gelitten, die erst nach er-
folgreich durchgeführter Alkoholtherapie - nunmehr gänzlich - abgeklungen sei.
Diese Tatsache sei in der mündlichen Verhandlung allenfalls gestreift worden.
In der Urteilsfindung sei jedoch in keinster Weise gewürdigt worden, was die
Schuldfähigkeit des Soldaten zum jeweiligen Tatzeitpunkt anbelange. Zum an-
deren sei dem Soldaten ein Erinnerungsvermögen unterstellt worden, was er
offensichtlich nicht gehabt haben könne, zumal er Kenntnis zum jeweiligen Tat-
verlauf nur vom Hörensagen durch Dritte habe erlangen können.
Die physischen als aus psychischen Ausfallerscheinungen des Soldaten ließen
sich nur durch ein psychologisches Sachverständigengutachten erklären, was
hiermit ausdrücklich beantragt werde.
Mit Ausnahme der Anschuldigungspunkte 4, 5 und 7 habe sich der Soldat zum
Tatzeitpunkt in einem absolut schuldausschließenden Zustand befunden.
Zum Beweis hierfür möge ein entsprechend lautendes Sachverständigengut-
achten eingeholt werden unter Beiziehung der Krankenakten des Soldaten, die
anlässlich seiner Behandlung im Bundeswehrkrankenhaus K. angelegt worden
seien.
Ein diesbezügliches Sachverständigengutachten werde ergeben, das die Per-
sönlichkeit des Soldaten zum jeweiligen Tatzeitpunkt in hohem Maße gespalten
gewesen sei. Zu den einzelnen Anschuldigungspunkten werde Folgendes vor-
getragen:
Zu Anschuldigungspunkt 1:
Der Zeuge K. habe zum Tatzeitpunkt fest geschlafen und sei nach dem Ereignis
von dem Zeugen Kl. geweckt und nach seinen Wahrnehmungen gefragt wor-
den. Der Zeuge K. habe nichts gewusst und sei nach seinem Bekunden von
einem im Tiefschlaf stattgefundenen Ereignis „traumatisiert“. Der Soldat sei zum
Tatzeitpunkt absolut
volltrunken gewesen und sei anschließend
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weder örtlich noch zeitlich orientiert vor dem Unterkunftsgebäude aufgefunden
und von Stabsunteroffizier Robert P. auf sein Zimmer verbracht worden. Fest-
zuhalten sei, dass die Aussage des Zeugen K. nicht auf eigenen Wahrnehmun-
gen beruhe.
Zu Anschuldigungspunkt 2:
Es stimme, dass der Soldat den Zeugen K. freundschaftlich getätschelt habe;
dies sei offensichtlich auf der Dienststelle des Soldaten so üblich gewesen. Als
sich der Zeuge K. gegen das Verhalten des Soldaten gewehrt habe, habe der
Soldat unverzüglich damit aufgehört. Hieraus könne man dem Soldaten dem
Grunde nach keinen Vorwurf machen.
Zu Anschuldigungspunkt 3:
Das erstinstanzliche Gericht unterstelle dem Zeugen D., er habe einen Vorgän-
ger in der Schreibstube des Soldaten gehabt. Der Vorgang sei jedoch ein ande-
rer gewesen: Der Zeuge D. sei auf eigenen Wunsch ins Geschäftszimmer des
Soldaten gekommen, da er sich dort gut aufgehoben gefühlt habe. Wäre der
Soldat in der Tat ein solches Monster gewesen, wie in der Beweisaufnahme
dargestellt, hätte sich der Zeuge D. nicht aus freien Stücken „in die Höhle des
Löwen begeben“. Abweichend zu der sonst üblichen Alkoholproblematik habe
der Zeuge D. massive Drogenprobleme gehabt und deshalb in die Instandset-
zung versetzt werden sollen. Der Vorgesetzte des Soldaten habe D., da wegen
Drogenproblemen unhaltbar, aus dem Dienst entfernen wollen, woraufhin sich
der Soldat vehement für den Zeugen D. eingesetzt habe. Der Zeuge D. habe
dienstlich den Führerschein C 1 erwerben wollen, der zuständige Sanitätsfeld-
webel habe ihm wegen offenkundiger Drogenprobleme die Zulassung zur Prü-
fung verweigert. D. habe daher dringlich darum gebeten, im Geschäftszimmer
beim Soldaten verbleiben zu können. Dieser Wunsch sei dem Zeugen D. erfüllt
worden. Gegen die Zeugenaussage des Zeugen D. bestünden ernsthafte Be-
denken. Der Zeuge D. sei der Auffassung gewesen, dem Soldaten als auch
dessen Vorgesetzten hilflos ausgeliefert gewesen zu sein, zumal sich der Sol-
dat als auch dessen Vorgesetzter duzten. Das „Du“ in der Bundeswehr sei
durchaus üblich, führe jedoch keineswegs zu einem Mauern gegenüber Wehr-
pflichtigen. Der Zeuge D. sei auch nicht aufgrund des Duzverhältnisses des
Soldaten mit dessen Vorgesetzten eingeschüchtert gewesen.
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Die Anschuldigungspunkte 4 und 5 könnten als wahr unterstellt werden.
Zu Anschuldigungspunkt 6:
Der Zeuge K. und der Soldat hätten sich abgrundtief gehasst. In diesem Zu-
sammenhang sei es zum Ausschluss des Zeugen K. aus dem Ältestenrat ge-
kommen, den es in Wirklichkeit gar nicht gegeben habe. Der Gesamtvorgang
betreffe den Umstand, dass ein Nichtmitglied aus einem nicht existierenden
Verein ausgeschlossen werde. In der Tat habe der Soldat den Zeugen K. dis-
ziplinieren wollen, da sich dieser gegenüber Untergebenen in hohem Maße ar-
rogant und schikanös aufgeführt habe. In diesem Zusammenhang habe der
Soldat vielleicht das falsche Mittel gewählt, um den Zeugen K. zu disziplinieren,
in rechtlicher Hinsicht sei jedoch eine falsche Würdigung vorgenommen wor-
den.
Anschuldigungspunkt 7 könne als wahr unterstellt werden.
Zu Anschuldigungspunkt 8:
Der Zeuge D. sei vor der „Tatnacht“ vom Soldaten höflich befragt worden, ob
der Soldat in seinem Zimmer übernachten könne. Dies habe der Zeuge D. aus-
drücklich bejaht. Die Freundin des Zeugen D. sollte am darauf folgenden Sonn-
tagmorgen erscheinen, um D. abzuholen, der bis dahin seinen ins Auge gefass-
ten und in die Tat umgesetzten Vollrausch ausgeschlafen habe. Die Freundin
des Zeugen D. habe sich zum damaligen Zeitpunkt in Stadtallendorf befunden
und den Tag der offenen Tür in der benachbarten Kaserne besucht, zusammen
mit ihren Freundinnen und anderweitigen Bekannten. D. habe aus freien Stü-
cken auf der besagten Stube übernachtet und hätte jederzeit von seiner Freun-
din abgeholt werden können, was auch so geschehen sei. Der Zeuge D. habe
sich auch nicht aus Furcht vor dem Soldaten in voller Montur ins Bett auf der
besagten Stube gelegt, sondern weil er aufgrund von Trunkenheit nicht mehr in
der Lage gewesen sei, sich zu entkleiden. Dies jedenfalls sei dem Soldaten, der
an den Vorgang keinerlei Erinnerung habe, später von Stabsunteroffizier Mike
R. berichtet worden. Der Zeuge D. habe sich am fraglichen Abend mit einer Mi-
schung aus Jägermeister und Whiskey betrunken. Der Whiskey sei von der
Freundin des Zeugen Mike R. an einer Tankstelle besorgt worden. D. sei auf-
grund seiner Trunkenheit nicht mehr örtlich und zeitlich orientiert gewesen. Das
Erinnerungsvermögen des Soldaten ende um ca. 20.00 Uhr. Der Zeuge D. sei
jedoch aufgrund eigener Trunkenheit außer Stande gewesen, den Trunken-
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heitsgrad des Soldaten zu beurteilen. Wie es zu der schweren Verletzung des
Soldaten in der Tatnacht gekommen sei, könne der Soldat nicht erklären, sein
Erinnerungsvermögen habe erst am darauf folgenden Tag wieder eingesetzt.
Die Aussage des Zeugen D. sei durch das erstinstanzliche Gericht falsch ge-
wertet worden.
Zu Anschuldigungspunkt 9:
Das Truppendienstgericht habe erkannt, dass der im Übrigen belesene Soldat
niemals einen derartigen Text von sich geben würde. Der Text sei vollkommen
verstümmelt; der Soldat sei in der Lage, SMS-Botschaften quasi blind zu
schreiben. Der Soldat habe sich unmittelbar nach Wiedererlangen des klaren
Bewusstseins beim Empfänger der SMS entschuldigt.
Abschließend sei zur Beweisaufnahme des Truppendienstgerichts und dessen
Würdigung Folgendes vorzutragen: Sämtliche Zeugen hätten sich zum Zeit-
punkt der mündlichen Verhandlung und der Vernehmung des Soldaten zusam-
men in einem gemeinsamen Raum befunden und seien offensichtlich überein-
gekommen, dem Soldaten „eins auszuwischen“. Dies habe der Zeuge Dr. W.,
der sich ebenfalls in diesem Raum aufgehalten habe, mitbekommen und an-
satzweise anlässlich seiner eigenen Vernehmung kundgetan. Es sei nicht aus-
zuschließen, dass sich die Zeugen zu Lasten des Soldaten abgesprochen hät-
ten, um diesen in der mündlichen Verhandlung über Gebühr zu belasten.
Durch Beschluss des Senats vom 14. Februar 2006 wurde Oberfeldarzt Dr. W.,
Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, mit der Erstellung eines psychiatri-
schen Gutachtens zur Frage beauftragt, ob der Soldat bei Begehung der ange-
schuldigten Handlungen in der Zeit zwischen dem 9. März 2001 und dem
23. Dezember 2002 wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer
tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen einer schweren anderen seeli-
schen Abartigkeit unfähig war, das Unrecht seiner Tat einzusehen und nach
dieser Einsicht zu handeln, oder ob seine Fähigkeit in dieser Hinsicht erheblich
vermindert war.
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III
1. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, ihre Förmlichkeiten sind gewahrt
(§ 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 WDO).
2. Da das Rechtsmittel des Soldaten ausdrücklich und nach dem wesentlichen
Inhalt seiner Begründung in vollem Umfang eingelegt worden ist, hat der Senat
im Rahmen der Anschuldigung (§ 123 Satz 3 i.V.m. § 107 Abs. 1 WDO) eigene
Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen, diese rechtlich zu würdigen und die
sich daraus ergebenen Folgerungen zu ziehen sowie unter Beachtung des Ver-
schlechterungsverbots (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 Abs. 1 StPO)
über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden.
3. Die Berufung des Soldaten ist teilweise begründet.
a) Aufgrund der Einlassung des Soldaten, soweit ihr gefolgt werden kann, der
gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 StPO zum Gegen-
stand der Berufungshauptverhandlung gemachten Urkunden und Schriftstücke,
der gemäß § 123 Satz 1 WDO verlesenen Aussagen der Zeugen Leutnant der
Reserve K., Oberfeldwebel Kl., Obergefreiter der Reserve D. sowie der Aussa-
gen der in der Berufungshauptverhandlung vernommenen Zeugen Hauptmann
B. und Oberleutnant der Reserve M. und des Sachverständigen Oberfeldarzt
Dr. W. hat der Senat folgenden Sachverhalt festgestellt:
Nach den überzeugenden Ausführungen des von der Schweigepflicht befreiten
Sachverständigen Oberfeldarzt Dr. W. litt der Soldat, der bereits seit seinem
16. Lebensjahr - wenn auch anfangs nur am Wochenende - regelmäßig Alkohol
zu sich genommen hat, im Zeitraum 2001 und 2002 unter einer Alkoholkrank-
heit mit exzessivem Alkoholkonsum und Filmrissen. Seit Antritt seines damali-
gen Dienstpostens als Kompaniefeldwebel der 4./P…Btl … im Januar 1999
betrank er sich regelmäßig bis zur Bewusstlosigkeit. Dies geschah vornehmlich
an Wochenenden, aber auch bei dienstlichen Veranstaltungen während der
Woche; in den letztgenannten Fällen nahm er sich in der Regel am Folgetag
Erholungsurlaub, weil er voraussah, dass er an diesem Tag nicht dienstfähig
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sein werde. Von seinen Vorgesetzten hatte zumindest sein damaliger Kompa-
niechef, Hauptmann Bräuer, vom Alkoholproblem des Soldaten Kenntnis, traf
diesbezüglich aber keine Maßnahmen. Der Soldat unterzog sich von Februar
bis April 2003 auf eigenen Wunsch einer stationären Alkoholentwöhnungsthe-
rapie in einem Bundeswehrkrankenhaus. Der Soldat ist seitdem abstinent. Wie-
derholte ambulante Nachuntersuchungen und eine fortlaufende Überprüfung
der Blutwerte durch den Truppenarzt zeigten bislang keine Anhaltspunkte für
Rückfälle im Trinkverhalten.
Zu Anschuldigungspunkt 1:
Im März 2001 befand sich die Kompanie des Soldaten auf dem Truppen-
übungsplatz B. Nach einem Kompanieabend, bei dem der Soldat so erhebliche
- im Einzelnen nicht mehr ermittelbare - Mengen Alkohol getrunken hatte, dass
er sich an die weiteren Geschehnisse nicht mehr erinnern konnte, betrat er zu
einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt in der Nacht vom 9. auf den 10. März
2001 eine Stube im Unterkunftsblock der 4./P…Btl … im Lager A., auf der die
Zeugen (damalig) Fahnenjunker K. und (damalig) Feldwebel Kl. sowie zwei wei-
tere Soldaten untergebracht waren. Der Soldat ging zunächst an das Doppel-
stockbett des Zeugen Kl., der im unteren Bett im zugezogenen Schlafsack
schlief und mit Eintreten des Soldaten in das Zimmer wach wurde. Zu diesem
Zeitpunkt drehte sich der Zeuge K., der im daneben stehenden Doppelstockbett
oben lag, mit dem Kopf zur Wand und stellte sich schlafend, so dass er das
weitere Geschehen nicht mehr visuell verfolgen konnte. Im Folgenden berührte
der Soldat mit seiner Hand den Körper des Zeugen Kl., der später feststellte,
dass sein Schlafsack geöffnet worden war. Als sich dieser Zeuge auf den
Bauch drehte, ließ der Soldat von ihm ab. Daraufhin führte der Soldat seine
Hand unter die Bettdecke im Bett des Zeugen K. und berührte dessen Gesäß.
Der Zeuge K. drehte sich daraufhin geschockt und eingeschüchtert um und
veranlasste den Soldaten dadurch, das Zimmer zu verlassen. Am folgenden
Tag entschuldigte sich der Soldat bei den betroffenen Soldaten für die „nächtli-
che Störung“.
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Der Soldat hat sich dahingehend eingelassen, an den Vorfall keine Erinnerung
mehr zu haben. Er könne sich nicht vorstellen, dem Zeugen K. an das Gesäß
gefasst zu haben.
Die Einlassung des Soldaten ist nicht geeignet, die glaubhaften belastenden
Bekundungen der vor dem Truppendienstgericht vernommenen Zeugen K. und
Kl. zu erschüttern. Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Einlassung des Soldaten
ergeben sich daraus, dass er sich unterschiedlich äußerte. In der Berufungs-
hauptverhandlung ließ er sich dahin ein, keine Erinnerung an den Vorgang zu
haben. Dies deckt sich zwar mit seiner Einlassung vor dem Truppendienstge-
richt, nichts mehr gewusst zu haben, weil er „zu betrunken“ gewesen sei, wider-
spricht aber seinem Vorbringen in seiner Berufungsbegründung, der Zeuge K.
habe zum Tatzeitpunkt fest geschlafen. Wenn der Soldat aber nichts mehr ge-
wusst hat, kann er nicht wahrgenommen haben, dass der Zeuge K. fest ge-
schlafen hat. Die vor dem Senat geltend gemachte fehlende Erinnerung des
Soldaten und das Sich-nicht-vorstellen-können einer solchen Handlungsweise
vermögen die Zeugenaussagen nicht zu entkräften. Letztere weisen einen ho-
hen Grad an Übereinstimmung auf. Insbesondere die Aussage des Zeugen K.
ist widerspruchsfrei und durchgängig stimmig. In der Vernehmung durch
Oberstleutnant O. vom 4. September 2002 sagte der Zeuge K. aus, der Soldat
habe ihn am Gesäß berührt; vor dem Truppendienstgericht erklärte er, „danach
spürte ich eine Hand unter meiner Bettdecke und sah, wie der Soldat aus dem
Zimmer ging“, ferner, er habe den Vorfall noch sehr gut in Erinnerung, der Vor-
fall sei für ihn „schlimm“ gewesen, und in seiner Eingabe an den Wehrbeauf-
tragten vom 27. August 2002 schrieb er, dass die Hand des Soldaten an sein
Gesäß gegangen sei. Dass der Zeuge K. das Berühren seines Gesäßes durch
den Soldaten nicht sehen konnte - er hatte nämlich dem Soldaten den Rücken
zugedreht -, ist für die Beweisbarkeit von untergeordneter Bedeutung, weil er
zuvor das Betreten der Stube durch den Soldaten und dessen Herantreten an
das Bett des Zeugen Kl. mitverfolgt hatte. Dies und die Beobachtung des Zeu-
gen Kl., dass der Soldat mit seinen Händen am Bett des Zeugen K. hantierte,
lassen angesichts der Tatsache, dass zu diesem Zeitpunkt keine weitere Per-
son in das Geschehen involviert war, den sicheren Schluss zu, dass der Soldat
die vorgeworfenen Handlungen begangen hat. Dafür spricht auch, dass dieser
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dem sachgleichen strafrechtlichen Vorwurf im - rechtskräftigen - Strafbefehl
nicht entgegen trat. Die weiteren bestätigten Anschuldigungspunkte zeigen ü-
berdies, dass ein derartiges Verhalten dem Soldaten damals nicht fremd war.
Durch sein ehrverletzendes, in die Intimsphäre des Zeugen K. eingreifendes
Verhalten hat der Soldat, der als Kompaniefeldwebel im Dienstgrad eines
Hauptfeldwebels gemäß § 1 Abs. 5 SG i.V.m. § 3 Satz 1, § 4 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 VorgV dessen Vorgesetzter war, gegen §§ 7, 10 Abs. 3, § 12 Satz 2 und
§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG verstoßen.
Eine Verletzung der Treuepflicht (§ 7 SG) liegt zum einen deshalb vor, weil der
Soldat im dienstlichen Bereich eine strafbare Handlung (§ 179 Abs. 1 Nr. 1
StGB) begangen hat (vgl. zur Dienstpflichtwidrigkeit strafbarer Handlungen im
dienstlichen Bereich z.B. Urteil vom 26. November 2003 - BVerwG 2 WD 7.03 -
Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 14 = NVwZ 2004, 884), und zum anderen
deswegen, weil er dadurch auch gegen § 2 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zum
Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz (Beschäftig-
tenschutzgesetz - BeschSchG - BGBl I S. 1406, 1412) verstoßen hat.
Der Soldat wusste, was er tat, und wollte das auch. Er handelte vorsätzlich, hin-
sichtlich § 17 Abs. 2 Satz 1 SG bedingt vorsätzlich.
Trotz der (vermutlich erheblichen) Alkoholisierung war er auch zurechnungsfä-
hig und damit schuldfähig i.S.d. § 20 StGB. Das kann daraus geschlossen wer-
den, dass sein Verhalten auf der Stube der Zeugen zielgerichtet und damit noch
gesteuert war. Denn er suchte dort bestimmte Punkte - die Betten der Zeugen -
auf und reagierte auf das Um- bzw. Wegdrehen des Körpers des jeweiligen
Zeugen, indem er zunächst von dem Zeugen Kl. abließ und sich zu dem Zeu-
gen K. begab, von wo aus er mit noch vorhandenem Orientierungssinn das
Zimmer verließ. Hätte sich der Soldat bereits in einem Zustand der Volltrunken-
heit befunden, wären seine Handlungen erheblich weniger oder gar nicht kon-
trolliert und zielgerichtet gewesen. Unter diesen Umständen kann - ohne da-
mals festgestellte Blutalkoholwerte - nur von einer erheblich verminderten
Schuldfähigkeit, nicht aber von einer Schuldunfähigkeit ausgegangen werden.
Diese Einschätzung wird durch die vom Senat nachvollzogenen Ausführungen
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des Sachverständigen Dr. W. bestätigt, der sowohl in seinem Gutachten als
auch in der Berufungshauptverhandlung von einer eingeschränkten Einsichts-
und Steuerungsfähigkeit des Soldaten bei einer geschätzten damaligen Blutal-
koholkonzentration „von über zwei Promille“ bzw. „zwischen zwei und drei
Promille“ ausgegangen ist.
Zu Anschuldigungspunkt 2:
Zwischen dem 21. Januar 2002 und Anfang März 2002 griff der Soldat dem als
Zugführer des II. Zuges eingesetzten Zeugen (damalig) Fähnrich K. - sich je-
weils von hinten nähernd - mehrmals, zumindest aber zweimal, während des
Dienstes im Kompanieblock der 4./P…Btl … an das Gesäß. Der Zeuge K. äu-
ßerte daraufhin jeweils (sinngemäß): „Hauptfeldwebel, lassen Sie das!“ und
schaute den Soldaten entsetzt an. Dies hielt den Soldaten aber nicht davon ab,
diese Handlung zu wiederholen. Erst nach einem Gespräch der beiden Perso-
nen in Anwesenheit der damaligen Vertrauensperson der Unteroffiziere, dem
vor dem Truppendienstgericht vernommenen Zeugen S., in dem der Zeuge K.
diese Vorfälle ansprach und der Soldat daraufhin versprach, ihn nicht länger
anzufassen, ließ er von weiteren Belästigungen des Zeugen K. ab.
Der Soldat hat sich in der Berufungshauptverhandlung dahingehend eingelas-
sen, dass er dem Zeugen K. wegen des zu dieser Zeit zwischen ihnen ange-
spannten Verhältnisses nicht an das Gesäß gegriffen habe. In seiner Verneh-
mung vor dem Truppendienstgericht hatte er ausgesagt, dass, wenn er sich so
verhalten haben sollte, die Vorfälle wegen des zerrütteten Verhältnisses zum
Zeugen K. vor dem 21. Januar 2002 erfolgt sein müssten. In der Berufungs-
schrift hingegen hat er das „freundschaftliche Tätscheln“ eingeräumt und an-
gemerkt, dass das offensichtlich in der Dienststelle so üblich gewesen sei.
Die widersprüchlichen Einlassungen des Soldaten vermögen die glaubhafte
Bekundung des vor dem Truppendienstgericht vernommenen Zeugen K. nicht
zu erschüttern. Hinsichtlich des Zeitpunkts äußerte der Zeuge nachvollziehbar,
dass die Griffe an sein Gesäß nach seiner Rückkehr in die Einheit ab Januar
2002 erfolgt seien und er sich dieses Datum sehr genau eingeprägt habe, weil
es auf ihn einen bleibenden Eindruck bis zum jetzigen Zeitpunkt hinterlassen
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habe. Auch in seiner Vernehmung durch Oberstleutnant O. am 4. September
2002 sagte der Zeuge aus, dass es im Februar oder März 2002 ein Gespräch
mit dem Feldwebel S. (Vertrauensperson) und dem Soldaten gegeben habe, in
welchem der Soldat zugegeben habe, dass er den Zeugen berührt habe. Für
die Glaubwürdigkeit des Zeugen spricht ferner, dass der Soldat das vom Zeu-
gen angeführte Treffen mit der Vertrauensperson, das vornehmlich wegen der
hier zugrunde liegenden Vorfälle stattfand, nicht bestritten hat.
Der Soldat hat durch die Berührungen des Gesäßes nach vorheriger Kundgabe
erkennbarer Ablehnung gegen § 2 Abs. 2 Nr. 2 BeschSchG und damit auch
gegen § 7 SG verstoßen. Außerdem hat er wegen der in dem angeschuldigten
Verhalten liegenden Beeinträchtigung der Ehre seine Pflichten aus § 10 Abs. 3,
§ 12 Satz 2 und - wegen der Geeignetheit dieses Verhaltens, sein dienstliches
Ansehen zu mindern - § 17 Abs. 2 Satz 1 SG verletzt.
Der Soldat wusste, was er tat, und wollte das auch. Er handelte vorsätzlich, hin-
sichtlich § 17 Abs. 2 Satz 1 SG bedingt vorsätzlich.
Zu Anschuldigungspunkt 3:
Zu nicht mehr bestimmbaren Zeitpunkten im Sommer 2002 kniff der Soldat den
im Geschäftszimmer eingesetzten Zeugen (damalig) Gefreiter D. im Geschäfts-
zimmer der 4./PzBtl 143 wiederholt - manchmal mehrmals täglich - im Vorbei-
gehen in das Gesäß oder tätschelte ihn dort. Als sich der Zeuge D. einmal im
selben Zeitraum im Geschäftszimmer über einen Tisch beugte, um etwas zu
erledigen, griff ihm der Soldat dabei von hinten an die Genitalien.
Der Soldat hat sich eingelassen, den Zeugen D. getätschelt, ihm aber nicht an
die Genitalien gefasst zu haben.
Soweit der Soldat bestreitet, den Zeugen D. an die Genitalien gefasst zu haben,
wird seine Einlassung durch die glaubhafte Bekundung des vor dem Truppen-
dienstgericht vernommenen Zeugen widerlegt. Es ist nicht ersichtlich, dass die-
ser sich an dem Soldaten durch grundlose Beschuldigungen rächen wollte. Zu
berücksichtigen ist, dass der Zeuge anfangs zum Soldaten sogar ein freund-
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schaftliches Verhältnis hatte. Außerdem muss sich der Soldat als Indiz für seine
Tatbegehung vorhalten lassen, dass er den sachgleichen strafrechtlichen Vor-
wurf im Strafbefehl vom 5. September 2003 akzeptierte.
Der Soldat hat durch sein Verhalten vorsätzlich gegen §§ 7, 10 Abs. 3, § 12
Satz 2 und § 17 Abs. 2 Satz 1 SG verstoßen.
Der Verstoß gegen die Treuepflicht (§ 7 SG) ist aufgrund der strafrechtlichen
Verurteilung wegen Beleidigung (§ 185 StGB) im Strafbefehl vom 5. September
2003, die im dienstlichen Bereich wurzelte, anzunehmen.
Der Soldat wusste, was er tat, und wollte das auch. Er handelte vorsätzlich, hin-
sichtlich § 17 Abs. 2 Satz 1 SG bedingt vorsätzlich.
Zu Anschuldigungspunkt 4:
Zu nicht mehr näher ermittelbaren Zeitpunkten im Jahr 2002 - aber vor dem
25. September 2002 - griff der Soldat dem derselben Kompanie angehörenden
Zeugen Kl. wiederholt auf dem Geschäftszimmer der 4./P…Btl … und an ande-
ren Orten in der H…kaserne in S. an das Gesäß. In mindestens zwei Fällen
bezeichnete er den Zeugen Kl. im selben Zeitraum innerhalb des Kompanie-
blocks der 4./P…Btl … als „Schwanzlutscher“ und „schwuler Wichser“.
Der Soldat ist insoweit geständig.
Der Soldat hat hier vorsätzlich (bzw. bedingt vorsätzlich) gegen § 10 Abs. 3,
§ 12 Satz 2 sowie § 17 Abs. 2 Satz 1 SG verstoßen.
Zu Anschuldigungspunkt 5:
Am 6. August 2002 hielt sich der Zeuge (damalig) Oberfähnrich K. im Ge-
schäftszimmer der 4. /P…Btl … auf, um mit dem Soldaten eine Sachscha-
densmeldung vom 25. Juli 2002 zu besprechen. In Gegenwart des Stabsunter-
offiziers R. und des Zeugen D. nannte der Soldat den Zeugen K. einen „Lüg-
ner“, weil er dessen Angaben in der Schadensmeldung für falsch hielt.
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Der Soldat ist insoweit geständig.
Durch die gewollte Ehrverletzung, die sein dienstliches Ansehen zu mindern
geeignet war, verstieß er vorsätzlich (bzw. bedingt vorsätzlich) gegen § 10
Abs. 3, § 12 Satz 2 und § 17 Abs. 2 Satz 1 SG.
Zu Anschuldigungspunkt 6:
Der Soldat äußerte am 26. August 2002 gegen Mittag im Kompanieblock der
4. /P…Btl … gegenüber dem Zeugen K., dass dieser aufgrund einer Entschei-
dung des „Ältestenrates“ der Kompanie wegen seiner charakterlichen Schwä-
chen aus der Gemeinschaft der Unteroffiziere ausgeschlossen worden sei. Ei-
nen „Ältestenrat”, und damit eine derartige Entscheidung, gab es in der Kompa-
nie nicht.
Der Soldat ist geständig.
Es liegt hier eine Verletzung der Fürsorgepflicht (§ 10 Abs. 3 SG) vor, weil der
Soldat als Kompaniefeldwebel und Führer des Unteroffizierkorps den Zeugen
über die Absicht und die Einstellung dieser Gemeinschaft ihm gegenüber
täuschte. Als Vorgesetzter (§ 1 Abs. 5 SG i.V.m. § 3 Satz 1 VorgV) muss er
stets bemüht sein, einen Untergebenen vor unzumutbaren Nachteilen, wozu
auch immaterielle Schäden zählen, zu bewahren. Des Weiteren hat der Soldat
gegen die Kameradschaftspflicht (§ 12 Satz 2 SG) verstoßen, da er den Zeugen
über einen dienstlich relevanten und zugleich ihn betreffenden Umstand belog.
Schließlich ist hier die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht (§ 17 Abs. 2
Satz 1 SG) verletzt. Für die Feststellung eines Verstoßes gegen die letztge-
nannte Pflicht kommt es nicht darauf an, ob eine Ansehensschädigung im kon-
kreten Fall tatsächlich eingetreten ist. Erforderlich ist nur, dass das Verhalten
des Soldaten geeignet war, eine ansehensschädigende Wirkung auszulösen
(stRspr, zuletzt Urteil vom 22. März 2006 - BVerwG 2 WD 7.05 -). Dies ist, wie
hier, der Fall, wenn ein Vorgesetzter einem Untergebenen aus einer immateriel-
len Schädigungsabsicht heraus die Unwahrheit sagt.
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Hinsichtlich § 10 Abs. 3 und § 12 Satz 2 SG handelte der Soldat (direkt) vor-
sätzlich, weil er wusste und wollte, was er tat. Bezüglich § 17 Abs. 2 Satz 1 SG
ist von bedingtem Vorsatz auszugehen, weil er es für möglich hielt, dass die
unwahre, den Zeugen belastende Äußerung seinem dienstlichem Ansehen
schaden könnte, und er dies billigend in Kauf nahm.
Zu Anschuldigungspunkt 7:
Während einer am 30. August 2002 um 12.00 Uhr vom Soldaten herbeigeführ-
ten Zusammenkunft der Unteroffiziere der 4. /P…Btl … im Unterrichtsraum der
Kompanie teilte er den anwesenden Unteroffizieren mit, dass der Zeuge K. aus
der Gemeinschaft der Unteroffiziere ausgeschlossen worden sei, weil dieser
eine „menschliche Charaktersau“ sei.
Der Soldat ist geständig.
Das ehrverletzende Werturteil des Soldaten über den - ihm gemäß § 1 Abs. 5
i.V.m. § 3 Satz 1 VorgV unterstellten - Zeugen gegenüber Dritten stellt einen
vorsätzlichen Verstoß gegen § 10 Abs. 3 und § 12 Satz 2 SG dar. Des Weite-
ren beinhaltet es eine bedingt vorsätzliche Verletzung seiner Pflichten aus
§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG.
Zu Anschuldigungspunkt 8:
Der Senat sieht diesen Tatvorwurf als nicht erwiesen an, weshalb der Soldat
davon freizustellen war. Der Senat hat nicht die gemäß § 91 Abs. 1 WDO i.V.m.
§ 261 StPO erforderliche Gewissheit gewinnen können, dass der Soldat das
ihm in der Anschuldigungsschrift vorgeworfene Fehlverhalten begangen hat.
In Hinblick auf einen bevorstehenden Kompanieabend in der 4./P…Btl … hatte
der Soldat gegenüber dem vor dem Truppendienstgericht vernommenen Zeu-
gen D. angekündigt, auf dessen Stube im Kompanieblock zu übernachten, weil
eine ihm sonst zur Verfügung stehende Stube belegt sei. Da jener von einem
Kameraden davor gewarnt worden war, mit dem Soldaten auf einer Stube zu
nächtigen, eine Abholung durch seine Freundin nach Verlassen der Feier aber
nicht möglich und er zudem stark alkoholisiert war, hatte er sich vor dem Zu-
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bettgehen nicht ausgezogen, sondern sich in seinem Feldanzug mit Stiefeln auf
den Bauch in das Bett gelegt. Zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt in
der Nacht vom 31. August auf den 1. September 2002 wurde der - alleine - auf
der Stube 207 im Kompanieblock der 4./P…Btl … liegende Zeuge D. wach, als
sich eine von ihm nicht identifizierte Person („jemand“) an ihm zu schaffen
machte. Nachdem die mit einem Feldanzug bekleidete Person die - inzwischen
beleuchtete - Stube verlassen hatte, stellte der Zeuge fest, dass seine Stiefel
ausgezogen und seine Feld- und Unterhose bis zu den Knien heruntergezogen
waren. Daraufhin zog sich der Zeuge die Hosen hoch bzw. die Stiefel an und
versuchte sich klar darüber zu werden, was mit ihm passiert war. Ihm war „heiß
und kalt“. Als er seine Freundin telefonisch um sofortige Abholung bat, betrat
der stark betrunkene Soldat etwa fünf Minuten nach dem Vorfall die Stube,
grinste den Zeugen an und sagte (sinngemäß): „D., weißt Du überhaupt, wo Du
bist?“ Er zog sich daraufhin bis auf die Unterhose aus und legte sich in das Bett
des Gefreiten T., der selbst nicht anwesend war. Den Zeugen D. überkam beim
Anblick des Soldaten plötzlich ein Wut- und Schamgefühl, weil er der Meinung
war, dass der Soldat diejenige Person gewesen sei, die ihn vorher unsittlich
berührt haben könnte. Er packte den Soldaten am Fuß, zog ihn aus dem Bett
und schrie (sinngemäß): „Du Sau, was hast Du gemacht?“ Der Soldat antworte-
te (sinngemäß): „Ich habe nichts gemacht und weiß nichts.“ Daraufhin schlug
der Zeuge wütend und unkontrolliert auf den Soldaten ein, der wegen der dabei
auftretenden Verletzungen an der Nasenschleimhaut operiert und mehrere Wo-
chen krank geschrieben wurde.
Der Soldat hat sich in der Berufungshauptverhandlung dahin eingelassen, an
dieses Geschehen keine Erinnerung mehr zu haben. In der erstinstanzlichen
Hauptverhandlung hatte er sich noch daran erinnert, dem „im Dienstanzug auf
dem Oberbett“ liegenden Zeugen die Stiefel ausgezogen zu haben.
Der Senat ist nicht in dem von § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 261 StPO ge-
forderten Maß an Sicherheit, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr
aufkommen dürfen, davon überzeugt, dass der Soldat die angeschuldigte
Dienstpflichtverletzung begangen hat. Zwar spricht wegen des Eingeständnis-
ses des Soldaten vor dem Truppendienstgericht, dem Zeugen die Stiefel aus-
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gezogen zu haben, und aufgrund des Umstandes, dass dieselbe Stube auch für
den Soldaten in dieser Nacht der Schlafort war und er somit einen Grund zum
dortigen Aufenthalt zur Tatzeit hatte, eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür,
dass er auch die weiteren vorgeworfenen Handlungen begangen hat.
Ein sicherer Nachweis des angeschuldigten Vorwurfs ist aber nicht erbracht.
Denn in den Aussagen des alleinigen Zeugen D. sind im Kernbereich Wider-
sprüchlichkeiten zu verzeichnen. Während er in den zeitnahen Vernehmungen
vom 2. und 3. September 2002 jeweils davon sprach, dass „jemand“ an ihm
„herumgemacht“ habe und „jemand im Feldanzug“ aus dem Zimmer gegangen
sei, äußerte er am 7. Dezember 2004 vor dem Truppendienstgericht nunmehr,
dass er wach geworden sei, weil an ihm „herumgezerrt“ worden sei, und dass
er den Soldaten gesehen habe, wie er das Zimmer verlassen habe. Außerdem
sprach er in der späteren Vernehmung davon, dass er einen Dienstanzug ge-
tragen habe, während er in den früheren Vernehmungen jeweils von einem
Feldanzug ausging. An die Vornahme der Handlungen selbst hatte er in den
früheren Vernehmungen keine Erinnerung; er mutmaßte damals (nur), dass der
Soldat ihn ausgezogen und an den Genitalien angefasst haben musste. In der
erstinstanzlichen Hauptverhandlung äußerte er sich jedoch nunmehr dahinge-
hend, dass der Soldat es gewesen sei, der ihn an die Genitalien gefasst habe.
Die letztgenannte - kürzere - Einlassung ist angesichts der anders lautenden
früheren, die jeweils durch einen hohen Detailgrad gekennzeichnet sind, als
nicht glaubhaft zu werten. Damit fehlt es aber an einem unmittelbaren Beweis
für die Vornahme der - neben dem Ausziehen der Stiefel - weiteren angeschul-
digten Handlungen durch den Soldaten. Es ist nicht völlig auszuschließen, dass
eine dritte Person vor dem Soldaten die Stube 207 aufsuchte und dort den
Zeugen unsittlich berührte. In Anwendung des auch im Wehrdisziplinarrecht
geltenden Grundsatzes „in dubio pro reo“ geht der Senat zugunsten des Solda-
ten davon aus, dass nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann, dass dieser in
der vorgeworfenen Weise handelte.
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Er war deshalb von diesem Vorwurf freizustellen.
Der teilweise sachgleiche rechtskräftige Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom
5. September 2003 - vgl. dessen Punkt 2 - steht dieser Bewertung gemäß § 123
Satz 3 i.V.m. § 84 Abs. 2 WDO nicht entgegen. Aus dem Wortlaut des § 84
Abs. 1 Satz 1 WDO, vor allem aber aus dem Sinn und Zweck dieser gesetzli-
chen Regelung, wonach ersichtlich nur die nach den rechtsstaatlichen Verfah-
rensgarantien und Prozessregeln des Strafverfahrensrechts gefundenen tat-
sächlichen Feststellungen mit gesetzlicher Bindungswirkung ausgestattet sein
können, ergibt sich zwingend, dass nur die tatsächlichen Feststellungen eines
rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren, nicht aber diejenigen eines rechtskräf-
tigen Strafbefehls Bindungswirkung entfalten (stRspr, Urteile vom 1. Juli
- BVerwG 2 WD 34.02 - BVerwGE 118, 262 und vom 27. April 2004 - BVerwG
2 WD 4.04 - BVerwGE 120, 350 = Buchholz 232.1 § 5 ATGV Nr. 2).
Zu Anschuldigungspunkt 9:
Nach seiner Ablösung als Kompaniefeldwebel der 4./P…Btl … sandte der Sol-
dat am 23. Dezember 2002 von einem nicht mehr feststellbaren Ort außerhalb
militärischer Anlagen an das Handy des Stabsunteroffiziers N., Angehöriger der
4./P…Btl …, folgende SMS:
„Wünsche dir den Tod. Aber du bist ja der sohn eines
Grenzers also eines mörders. Und genauso ist dein Ver-
halten: Du bist der dreck auf dieser erde. Aber das ginge
noch was besser du bist riegel dumm und das kann dir
keiner mehr nehmen. Also sohn eines mörders. Den tod.“
Der Soldat war zum Tatzeitpunkt - wohl erheblich - alkoholisiert. Am darauf fol-
genden Tag schickte er dem Empfänger eine Entschuldigung via SMS, die sei-
nen Angaben zufolge angenommen wurde.
Der Soldat räumt den Vorwurf ein. Sein Tun, das ihm vollkommen unverständ-
lich sei, sei ihm erst am Tag nach dem Abschicken der SMS bewusst gewor-
den.
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Der Soldat hat mit dieser - sein dienstliches Ansehen beeinträchtigenden - wür-
de- und ehrverletzenden Äußerung gegen § 12 Satz 2 und § 17 Abs. 2 Satz 2
SG verstoßen. Trotz seiner Alkoholisierung wusste er noch, was er tat, und
wollte auch in dieser Weise handeln; er handelte vorsätzlich, hinsichtlich § 17
Abs. 2 Satz 2 SG bedingt vorsätzlich.
Insgesamt hat der Soldat durch die schuldhaften Dienstpflichtverletzungen (An-
schuldigungspunkte 1 bis 7 und 9) ein Dienstvergehen i.S.d. § 23 Abs. 1 SG be-
gangen.
b) Nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO sind bei Art und Maß der Diszipli-
narmaßnahme Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie seine Aus-
wirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und
die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen.
Bei Anlegen dieses Maßstabs erscheint dem Senat im Gegensatz zur Truppen-
dienstkammer die Herabsetzung um einen Dienstgrad als ausreichend.
aa) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens
Die Eigenart und Schwere eines Dienstvergehens bestimmen sich nach dem
Unrechtsgehalt der Verfehlung, mithin also nach der Bedeutung der verletzten
Pflichten.
Danach wiegt das Dienstvergehen, das durch wiederholte Eingriffe in die Intim-
sphäre sowie die Ehre und Würde untergebener Kameraden gekennzeichnet
ist, schwer. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Soldat kriminelles Unrecht
begangen hat und gegen ihn wegen zweifachen sexuellen Missbrauchs einer
widerstandunfähigen Person und Beleidigung im Zustand verminderter Schuld-
fähigkeit eine - zur Bewährung ausgesetzte - Gesamtfreiheitsstrafe von acht
Monaten verhängt wurde; insoweit ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Sol-
dat in einem der beiden Fälle (Anschuldigungspunkt 8), die strafrechtlich als
sexueller Missbrauch einer widerstandunfähigen Person gewertet wurden, dis-
ziplinarrechtlich freigestellt wurde.
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Der Verstoß eines Vorgesetzten gegen seine Fürsorgepflicht hat erhebliches
Gewicht. Die Fürsorgepflicht (§ 10 Abs. 3 SG) gehört nach der ständigen
Rechtsprechung des Senats zu den vornehmsten Pflichten eines Vorgesetzten
gegenüber seinen Untergebenen, die das - berechtigte - Gefühl haben müssen,
dass sie von diesem nicht nur als Befehlsempfänger betrachtet werden, son-
dern dass dieser von den ihm eingeräumten Befehls- und sonstigen Befugnis-
sen nur unter angemessener Berücksichtigung ihrer persönlichen Belange
Gebrauch macht, dass er sich bei allen Handlungen und Maßnahmen von
Wohlwollen gegenüber dem jeweiligen Untergebenen leiten lässt und dass er
stets bemüht ist, ihn vor Schäden und unzumutbaren Nachteilen zu bewahren
(stRspr, vgl. u.a. Urteil vom 24. November 2005 - BVerwG 2 WD 32.04 -
NZWehrr 2006, 127 = NVwZ 2006, 608). Insbesondere muss er die körperliche
Integrität sowie die persönliche Ehre und Würde des Untergebenen strikt ach-
ten. Diese Verpflichtung hat im militärischen Bereich besondere Bedeutung.
Denn im militärischen Über- und Unterordnungsverhältnis sind Untergebene
besonders schutzbedürftig, auch weil die dem Vorgesetzten zur Durchführung
dienstlicher Aufgaben eingeräumten Befehlsbefugnisse zu rechtswidrigen Ein-
griffen in die Rechtssphäre von Untergebenen missbraucht werden können.
Die Bedeutung der Fürsorgepflicht eines Vorgesetzten gegenüber Untergebe-
nen im Fall einer Würdeverletzung ergibt sich auch daraus, dass die Würde je-
des Menschen gemäß Art. 1 Abs. 1 GG grundrechtlich besonders geschützt ist.
Das grundrechtliche Schutzgebot, das über Art. 1 Abs. 3 GG auch für den Be-
reich der Streitkräfte gilt, wird im militärischen Bereich gerade (auch) durch die in
§ 10 Abs. 3 SG normierte Fürsorgepflicht der Vorgesetzten konkretisiert.
Auch die Verletzung der Kameradschaftspflicht (§ 12 Satz 2 SG) durch den
Soldaten wiegt schwer. Denn der Zusammenhalt der Bundeswehr beruht ge-
mäß § 12 Satz 1 SG wesentlich auf Kameradschaft. Die dienstlichen Aufgaben
erfordern im Frieden und in noch höherem Maße im Einsatzfalle das gegensei-
tige Vertrauen der Soldaten und das Bewusstsein, sich jederzeit aufeinander
verlassen zu können. Ein Vorgesetzter, der einen untergebenen Kameraden
unwürdig oder ehrverletzend behandelt, untergräbt den dienstlichen Zusam-
menhalt, stört so den Dienstbetrieb und gefährdet zugleich seine persönliche
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Autorität als Vorgesetzter und damit letztlich auch die Einsatzbereitschaft der
Truppe (zuletzt Urteil vom 24. November 2005 a.a.O. m.w.N.).
Ferner stellt die in § 17 Abs. 2 Satz 1 SG normierte Pflicht, dem Vertrauen und
der Achtung gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat erfordert, keine blo-
ße Nebenpflicht dar, sondern hat wegen ihres funktionalen Bezugs auf den mili-
tärischen Dienstbetrieb erhebliche Bedeutung (stRspr, vgl. u.a. Urteil vom
24. November 2005 a.a.O. m.w.N.).
Die Eigenart des Dienstvergehens ist weiterhin dadurch gekennzeichnet, dass
der Soldat die Pflicht zur Loyalität gegenüber der Rechtsordnung in schwerwie-
gender Weise verletzt hat (§ 7 SG), indem er im dienstlichen Bereich durch se-
xuellen Missbrauch eines widerstandsunfähigen Kameraden und Beleidigung
eine strafbare Handlung (§ 179 Abs. 1 Nr. 1, § 185 StGB) begangen hat (vgl.
Urteil vom 21. Oktober 2004 - BVerwG 2 WD 17.04 -).
Außerdem wiegt der Verstoß gegen das Beschäftigtenschutzgesetz für einen
Soldaten in Vorgesetztenstellung nicht leicht.
Von besonderer Bedeutung für das Gewicht des Dienstvergehens ist, dass der
Soldat im Tatzeitraum eine herausgehobene Dienststellung als Kompaniefeld-
webel innehatte und diese wiederholt missbrauchte. Er hat als Vorgesetzter
entgegen § 10 Abs. 1 SG ein außerordentlich schlechtes Beispiel in Haltung
und Pflichterfüllung gegeben.
Der Senat hat wiederholt entschieden, dass bei einer sexuellen Belästigung
eine „reinigende Maßnahme” Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen ist
(z.B. Urteile vom 12. November 1998 - BVerwG 2 WD 12.98 - BVerwGE 113,
290 = Buchholz 236.1 § 17 SG Nr. 23 = NZWehrr 1999, 166, vom 15. Februar
2000 - BVerwG 2 WD 30.99 - Buchholz 236.1 § 10 SG Nr. 42 = NZWehrr 2001,
30 und vom 24. Januar 2002- BVerwG 2 WD 33.01 -). Der Senat hat auch im
Falle einer entwürdigenden und/oder ehrverletzenden Behandlung Untergebe-
ner ohne sexuellen Hintergrund entschieden, dass im Regelfall die Herabset-
zung im Dienstgrad als erforderliche und angemessene Maßnahmeart anzuse-
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hen ist (vgl. u.a. Urteil vom 17. März 2004 - BVerwG 2 WD 17.03 - NZWehrr
2005, 38 = ZBR 2005, 133 m.w.N.). Soweit es sich um das Versagen eines
Soldaten auf Zeit in Vorgesetztenstellung handelt, ist nach der Rechtsprechung
des Senats regelmäßig die Herabsetzung in einen Mannschaftsdienstgrad, bei
einem Berufssoldaten unter Umständen sogar die Entfernung aus dem Dienst-
verhältnis geboten. Jedenfalls bedarf es erheblicher Milderungsgründe, um die
Dienstgradherabsetzung lediglich auf einen Dienstgrad zu beschränken oder
von ihr überhaupt absehen zu können.
bb) Maß der Schuld
Der Soldat hat ein erhebliches Maß an Schuld auf sich geladen, indem er seine
Vorgesetztenpflichten, insbesondere als Kompaniefeldwebel (Anschuldigungs-
punkte 1 bis 7), in gravierender Weise verletzte. Er handelte bei seinen Verfeh-
lungen jeweils vorsätzlich.
Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Soldat hinsichtlich der Anschuldi-
gungspunkte 1 und 9 aufgrund der von ihm getrunkenen Mengen an Alkohol im
Sinne des § 20 StGB schuldunfähig war, sind nicht ersichtlich. Der Senat
schließt sich insoweit der nachvollziehbaren und überzeugenden Einschätzung
des Sachverständigen Dr. W. an, der in seinem - in der Berufungshauptver-
handlung erläuterten - Gutachten zur Frage der Anwendbarkeit des § 20 oder
§ 21 StGB zur Tatzeit von einem wahrscheinlichen Blutalkoholgehalt „wohl über
zwei Promille“ bzw. „zwischen zwei und drei Promille“ und damit jedenfalls von
einer fehlenden Schuldunfähigkeit ausging. Seine Bewertung stützte sich man-
gels einer genauen Erinnerung des Soldaten an die damals konsumierte Alko-
holmenge auf die dem Soldaten sowie den Zeugen noch erinnerbaren Umstän-
de. Insbesondere das noch ansatzweise koordinierte und zielgerichtete Verhal-
ten des Soldaten spricht gegen seine Schuldunfähigkeit.
Zugunsten des Soldaten ist in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen
bezüglich der Anschuldigungspunkte 1 und 9 jedoch von einer verminderten
Schuldfähigkeit i.S.d. § 21 StGB auszugehen. Dem steht hier ausnahmsweise
nicht die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur grundsätzlichen
Unbeachtlichkeit dieses Umstands bei selbstverschuldeter Trunkenheit (Urteile
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vom 27. März 2003 - 3 StR 435/02 - NJW 2003, 2394 und vom 27. Januar 2004
- 3 StR 479/03 - NStZ 2004, 495), der sich der Senat angeschlossen hat (vgl.
dazu Urteil vom 24. November 2005 a.a.O.) entgegen. Denn wegen einer im
gesamten Tatzeitraum bestehenden erheblichen Alkoholkrankheit des Soldaten
- mit damit zusammenhängendem Kontrollverlust über die Trinkmenge -, die der
Senat mit Hilfe des oben erwähnten Sachverständigengutachtens sowie der da-
zu erläuternden nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. W.
festgestellt hat, liegt hier im Tatzeitraum ein Fall der nicht selbstverschuldeten
Trunkenheit vor. Erst im Zuge einer vom Soldaten selbst initiierten Entwöh-
nungstherapie in einem Bundeswehrkrankenhaus von Februar bis April 2003
trat diesbezüglich eine deutliche Besserung ein, die in der „Entlassungsdiagno-
se: Alkoholkrankheit, während der Behandlung abstinent…“ zum Ausdruck
kommt.
Das Vorliegen einer Alkoholkrankheit im jeweiligen Tatzeitraum stellt zugleich
einen Milderungsgrund in den Umständen der Tat dar (vgl. Urteil vom
28. Oktober 2003 - BVerwG 2 WD 10.03 - DokBer 2004, 193 = Blutalkohol 42,
179 (2005)). Sie ist als eine sonstige außergewöhnliche Besonderheit zu wer-
ten, die ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten des Soldaten nach
den Umständen des Einzelfalles nicht mehr erwarten ließ und nicht vorausge-
setzt werden konnte (Urteil vom 28. Oktober 2003 a.a.O.).
Weitere Milderungsgründe in den Umständen der Tat, die die Schuld des Sol-
daten mindern würden, liegen nicht vor.
Zugunsten des Soldaten ist das Fehlen einer hinreichenden Dienstaufsicht zu
berücksichtigen. Obwohl der damalige Kompaniechef des Soldaten, Haupt-
mann Br., sowohl von dessen exzessiven Trinkgewohnheiten als auch von des-
sen Gepflogenheit, Untergebene anzufassen und sie mit obszönen Worten an-
zureden, Kenntnis hatte, unternahm er nichts dagegen. Insoweit trifft ihn ein
gewisses Maß an Mitverschulden, das sich für den Soldaten tatmildernd aus-
wirkt (vgl. Urteil vom 17. Oktober 2002 - BVerwG 2 WD 14.02 - Buchholz 236.1
§ 12 SG Nr. 19 = NZWehrr 2003, 127).
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cc) Auswirkungen
Das Dienstvergehen hatte für die Personalplanung und -führung nachteilige
Auswirkungen. Denn der Soldat musste von seinem Dienstposten als Kompa-
niefeldwebel abgelöst werden. Diese dienstliche Folge seines Tuns muss er
sich erschwerend zurechnen lassen (stRspr, vgl. zuletzt Urteil vom 22. März
2006 a.a.O.). Auch das Bekanntwerden der - zum Strafbefehl des Amtsgerichts
Kirchhain vom 5. September 2003 führenden- teilweise sachgleichen strafrecht-
lichen Verfehlung gegenüber der Polizei und den sonstigen mit der Strafverfol-
gung und der Durchführung des Strafverfahrens befassten Organen ist ange-
sichts der damit verbundenen Ansehensbeeinträchtigung zu seinen Lasten zu
berücksichtigen (vgl. dazu Urteil vom 24. November 2005 a.a.O.).
dd) Beweggründe
Nach Angaben des Sachverständigen Dr. W. ist nicht auszuschließen, dass die
wiederholten körperlichen Berührungen von Kameraden und die Ausdrücke
„Schwanzlutscher“ und „schwuler Wichser“ aus homosexuellen Motiven heraus
erfolgt sind, was der Soldat allerdings in Abrede gestellt hat. Was die vorge-
nannten Ausdrücke betrifft, habe er sich lediglich den damaligen Verhältnissen
in der Kompanie angepasst, um als „cool“ zu gelten. Auch die Tätscheleien sei-
en gang und gäbe gewesen. Das Versenden der SMS mit dem in Anschuldi-
gungspunkt 9 genannten Text sei ihm im Nachhinein völlig unverständlich. Dies
vermag ihn jedoch nicht zu entlasten.
ee) Bisherige Führung und Persönlichkeit
Zu Gunsten des Soldaten ist zu werten, dass er bis zu seinem Dienstvergehen
nach dem Inhalt seiner dienstlichen Beurteilungen, die u.a. durch die Verleihung
des Ehrenkreuzes der Bundeswehr in Gold und die Festsetzung einer Leis-
tungsstufe bestätigt wurden, gute dienstliche Leistungen gezeigt hat und weder
straf- noch disziplinarrechtlich vorbelastet gewesen ist. Des Weiteren sind die
zwei förmlichen Anerkennungen positiv zu berücksichtigen.
Ganz wesentlich spricht für den Soldaten, dass er sich nach einer erfolgreichen
Alkoholentwöhnungstherapie in einem beachtlichen Maß nachbewährte und
bis jetzt „trocken“ ist. Ausweislich der - sehr guten - Sonderbeurteilung vom
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16. März 2005 hat der Soldat sogar seine dienstlichen Leistungen gesteigert;
dies wird bestätigt durch die Bekundungen seines derzeitigen Disziplinarvorge-
setzten, des Zeugen Hauptmann B., in der Berufungshauptverhandlung. Dass
der Soldat Einsicht darin gezeigt hat, dass er in der Vergangenheit falsch han-
delte, und er sein Verhalten zum Positiven hin geändert hat, ist zu seinen Guns-
ten zu werten.
ff) Gesamtwürdigung
Bei der danach gebotenen Gesamtwürdigung des Fehlverhaltens des Soldaten
ist vor allem die Schwere des Dienstvergehens zu gewichten. Von besonderer
Bedeutung ist, dass der Soldat kriminelle Handlungen beging, deren beträchtli-
cher Unrechtsgehalt auch in der Höhe der vom Strafgericht rechtskräftig ver-
hängten Strafe (Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten, deren Vollstreckung
zur Bewährung ausgesetzt wurde) zum Ausdruck kommt, wobei jedoch die
Freistellung hinsichtlich des Anschuldigungspunktes 8 bei der Bemessung der
Disziplinarmaßnahme zu beachten war. Allein der Schwere des Fehlverhaltens
nach - die Beschränkung des § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 StPO hier
außer acht gelassen - wäre eine Degradierung bis in einen Mannschaftsdienst-
grad angemessen gewesen. Wegen der zahlreichen zu Gunsten des Soldaten
zu berücksichtigenden Umstände, insbesondere der Alkoholkrankheit in den
Tatzeiträumen sowie der beachtlichen Nachbewährung, konnte er in einem Vor-
gesetztendienstgrad belassen werden. Der Soldat hat das Unrecht seines
- inzwischen mehrere Jahre zurückliegenden - Tuns eingesehen und bereut, so
dass der spezialpräventive Zweck des Disziplinarrechts, den Soldaten durch die
Pflichtenmahnung zur zukünftigen Erfüllung seiner Dienstpflichten anzuhalten,
erreicht ist. Aus Gründen der Generalprävention ist aber die Herabsetzung um
einen Dienstgrad in den eines Oberfeldwebels unabdingbar gewesen.
4. Die Kosten des ersten Rechtszuges hat der Soldat zu tragen, weil er verur-
teilt worden ist (§ 138 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 WDO). Es bestand kein Anlass,
ihn aus Billigkeitsgründen davon zu entlasten (§ 138 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2
WDO). Da die Berufung des Soldaten jedoch teilweise Erfolg hatte, waren die
Kosten des Berufungsverfahrens zur Hälfte ihm und dem Bund aufzuerlegen
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(§ 139 Abs. 3 WDO), der gemäß § 140 Abs. 5 i.V.m. § 139 Abs. 3 WDO auch
die Hälfte der dem Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen zu tra-
gen hat.
Prof. Dr. Widmaier
Dr. Frentz Dr. Deiseroth