Urteil des BVerwG vom 05.01.2010

Faires Verfahren, Fairness im Verfahren, Mangel des Verfahrens, Soldat

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 WD 26.09, 2 WDB 3.09
TDG S 5 VL 13/08, S 6 GL 3/09, S 6 GL 4/09, S 6 GL 5/09
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
Herrn Hauptmann a.D. ...,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Dette und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer
am 5. Januar 2010 beschlossen:
Auf die Berufung des Soldaten wird das Urteil der ...
Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 12. März
2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur nochmaligen Verhandlung und
Entscheidung an eine andere Kammer des
Truppendienstgerichts Süd zurückverwiesen.
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Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung
vorbehalten.
G r ü n d e :
I
Der 41 Jahre alte frühere Berufssoldat ... wurde mit Urkunde vom 24. Januar
2002 zum Hauptmann ernannt. Nach Vollendung seines 41. Lebensjahres
wurde er mit Ablauf des 31. Januar 2009 in den Ruhestand versetzt. Zuletzt war
der frühere Soldat im L... in K. als J... in der Funktion „D....“ eingesetzt.
II
Mit Anschuldigungsschrift der Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich der
2. ...division vom 21. Mai 2008 wurde dem früheren Soldaten zur Last gelegt,
einen Befehl eines militärischen Vorgesetzten wiederholt nicht befolgt und
mehrfach Betäubungsmittel (u.a. Haschisch, Kokain, Speed, Pepp) konsumiert
zu haben. Die Hauptverhandlung in der Sache fand am 28. Januar 2009, am
19. Februar 2009 und am 12. März 2009 vor der ... Kammer des
Truppendienstgerichts Süd statt.
Am zweiten Verhandlungstag, dem 19. Februar 2009, zu dem der frühere
Soldat nicht erschienen war, lehnte dessen Verteidiger dreimal den
Vorsitzenden der erkennenden Kammer wegen der Besorgnis der Befangenheit
ab. Zur Begründung des zweiten Ablehnungsgesuchs führte er aus:
„Der Vorsitzende hat die Hauptverhandlung am 19.
Februar 2009 eröffnet und dem Verteidiger nicht mitgeteilt,
dass er in der Zeit vor der Hauptverhandlung mit der
Zeugin M. telefoniert hatte und der Inhalt dieses
Gesprächs sich mit der Frage ihrer Aussagebereitschaft
beschäftigt hat, nämlich, dass der Angeschuldigte sie
bedroht haben soll. Von der Existenz dieses Telefonats
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erfuhr der Verteidiger des Angeschuldigten erst, nachdem
die Zeugin M. schon in der Sache bekundet hatte und
vorher ein anderer Zeuge gehört wurde. Der Vorsitzende
Richter wäre aus Verfahrensfairnessgründen verpflichtet
gewesen, die Verfahrensbeteiligten unmittelbar nach
Eröffnung der Hauptverhandlung am 19. Februar 2009
von diesem Telefonat zu unterrichten. Dass dies nicht
erfolgt(e), sondern erst als Überraschungsmoment
während der Aussage der Zeugin M. ins Verfahren
eingeführt wurde, belegt, dass der Vorsitzende Richter die
dem Angeschuldigten gegenüber gebotene
Unparteilichkeit in Form der Fairness im Verfahren nicht
besitzt. Er ist deshalb wegen Besorgnis der Befangenheit
abzulehnen.“
In seiner dienstlichen Stellungnahme bestätigte der Vorsitzende den
vorgetragenen Sachverhalt. Die Zeugin habe angsterfüllt am 11. Februar 2009
in der Dienststelle angerufen und mit der Urkundsbeamtin der ... Kammer
gesprochen. In einem späteren Gespräch mit ihm, dem Vorsitzenden, um 20:30
Uhr desselben Tages habe sie beteuert, mit ihren Aussagen vor der Kripo, bei
ihrem Anwalt und in ihrem Schreiben an Herrn R. von der Bundeswehr die
Wahrheit gesagt zu haben. Der frühere Soldat nehme weiterhin Drogen zu sich
und habe sie bedroht, er werde Amok laufen und sie und alle Beteiligten
umbringen. Sie habe Angst und wolle nicht zur Hauptverhandlung am 19.
Februar 2009 erscheinen. Am darauf folgenden Tag sei ihr Rechtsanwalt W.
seitens des Gerichts als Zeugenbeistand gemäß § 68 b StPO beigeordnet
worden. Eine sofortige Mitteilung über den Gesprächsinhalt vor Fortsetzung des
Verfahrens gegenüber der Verteidigung sei aus Sicherheitsgründen untunlich
gewesen. Ein Richter dürfe Angeklagten und Beweispersonen aufgrund seines
„privaten Wissens“ Vorhalte machen. Er fühle sich nicht befangen.
Der Vorsitzende der ... Kammer des Truppendienstgerichts Süd wies den
Antrag als unbegründet zurück. Zur Begründung des in der Hauptverhandlung
verkündeten Beschlusses, führte er im Wesentlichen aus:
„Der Umstand, dass der Vorsitzende erst im Rahmen der
Einvernahme der Zeugin M. bekannt gegeben hat, dass
es zwischen den Verhandlungsterminen einen
Telefonkontakt mit der Zeugin gegeben hat, begründet für
sich allein die Besorgnis der Befangenheit nicht. In diesem
Telefonat ging es vornehmlich darum, die Zeugin davon
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zu überzeugen, dass ihr Erscheinen vor Gericht hier in
Karlsruhe unverzichtbar ist. Dass der Verteidiger hierüber
nicht gleich nach Eröffnung des Verhandlungstermins in
Kenntnis gesetzt wurde, mag ein Lapsus sein. In seinen
Möglichkeiten zur Verteidigung war er dadurch jedoch
weder eingeschränkt noch behindert.“
Am dritten Verhandlungstag am 12. März 2009 wurde u.a. der Sitzungsvertreter
der Wehrdisziplinaranwaltschaft als Zeuge vernommen, der anschließend
weiter als Sitzungsvertreter
der Wehrdisziplinaranwaltschaft an der
Hauptverhandlung teilnahm. Die Sitzungsniederschrift weist nicht aus, dass
während der Vernehmung und/oder beim Schlussvortrag ein zusätzlicher
Sitzungsvertreter anwesend war.
Durch Urteil vom 12. März 2009 hat die ... Kammer des Truppendienstgerichts
Süd dem früheren Soldaten das Ruhegehalt aberkannt. Gegen dieses, dem
früheren Soldaten mit Postzustellungsurkunde am 22. April 2009 zugestellte
Urteil legte sein Verteidiger mit Schriftsatz vom 16. März 2009 unbeschränkte
Berufung ein. Er verband dieses Rechtsmittel mit einer Beschwerde gegen die
drei
Beschlüsse des
Vorsitzenden Richters
der
... Kammer des
Truppendienstgerichts Süd, mit denen die drei Befangenheitsanträge gegen
den Vorsitzenden der erkennenden Kammer zurückgewiesen worden waren.
Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hält das zweite und das dritte
Ablehnungsgesuch für begründet.
III
Die vom früheren Soldaten eingelegte zulässige Berufung (§ 115 Abs. 1 Satz 1,
§ 116 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 WDO) führt zur Zurückverweisung der Sache an
eine andere Kammer des Truppendienstgerichts Süd zur nochmaligen
Verhandlung und Entscheidung, weil schwere Mängel des Verfahrens vorliegen
(§ 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO).
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Die Entscheidung ergeht durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung (§ 120
Abs. 1 WDO) in der Besetzung mit drei Richtern (§ 80 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2
WDO). Den Beteiligten ist gem. § 120 Abs. 2 WDO vor der Entscheidung
Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Sie haben der
Verfahrensweise nicht widersprochen.
Ein schwerer Mangel des Verfahrens im Sinne des § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO
liegt vor, wenn gegen eine Verfahrensvorschrift verstoßen worden ist, deren
Verletzung schwerwiegend und die für den Ausgang des Disziplinarverfahrens
(noch) von Bedeutung ist. Ein solcher Fall ist regelmäßig dann gegeben, wenn
die Rechte eines Verfahrensbeteiligten wesentlich beeinträchtigt worden sind
oder wenn der Verfahrensverstoß den Zweck einer Formvorschrift wesentlich
vereitelt. Für den Ausgang des Berufungsverfahrens sind Verfahrensmängel
dann von Bedeutung, wenn die Entscheidung über das Rechtsmittel im Falle
einer Behebung des Verfahrensfehlers anders ausfallen kann als im Falle
seiner Nichtbehebung (stRspr, vgl. u.a. Urteil vom 10. Dezember 2008 -
BVerwG 2 WD 8.08 - NZWehr 2009, 212 m.w.N. und zuletzt Beschluss vom 8.
Dezember 2009 - BVerwG 2 WD 36.09 -). Derartige Verfahrensfehler liegen
hier vor.
1. Die Truppendienstkammer ist in der Hauptverhandlung unrichtig besetzt
gewesen. Denn zumindest das zweite Ablehnungsgesuch gegen den
Vorsitzenden der Kammer ist zu Unrecht als unbegründet zurückgewiesen
worden. An dem angefochtenen Urteil vom 12. März 2009 hätte daher der
Vorsitzende Richter am Truppendienstgericht F. nicht mitwirken dürfen. Darin
liegt ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
a) Soweit der Soldat sich im Wege der „Beschwerde“ gegen die Zurückweisung
der Ablehnungsgesuche in der Hauptverhandlung wendet, ist zunächst
festzuhalten, dass zwar grundsätzlich Entscheidungen des
Truppendienstgerichts über Ablehnungsgesuche nach § 114 Abs. 1 Satz 1
WDO mit der Beschwerde anfechtbar sind; wegen der Regelung des § 28 Abs.
2 Satz 2 StPO, die im Verfahren nach der Wehrdisziplinarordnung gemäß § 91
Abs. 1 Satz 1 WDO entsprechend anwendbar ist (vgl. Urteil vom 13. November
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1975 - BVerwG 2 WD 40.74 -; Dau, WDO, 5. Aufl. 2009, § 77 Rn. 9 und § 91
Rn. 12), kann, wenn - wie hier - das Ablehnungsgesuch einen erkennenden
Richter betrifft, der zurückweisende Beschluss aber nur zusammen mit dem
Urteil angefochten werden. Das führt dazu, dass die zusammen mit der
Berufung eingelegte Beschwerde als Besetzungsrüge im Berufungsverfahren
zu berücksichtigen ist (vgl. Urteil vom 13. November 1975 - BVerwG 2 WD
40.74 -). Für ein selbstständiges Rechtsmittel der Beschwerde neben dem
Rechtsmittel der Berufung, wie es vom Bundeswehrdisziplinaranwalt in seinem
Vorlageschreiben erwogen wird und wie es der Wortlaut des § 28 Abs. 2 Satz 2
StPO auch nicht ausschließt, besteht jedenfalls im Verfahren nach der
Wehrdisziplinarordnung auch unter verfahrensökonomischen Gesichtspunkten
kein Bedürfnis. Hält das Bundesverwaltungsgericht die Besetzungsrüge für
begründet, kann es auch über das Rechtsmittel der Berufung im
Beschlusswege nach § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO ohne vorherige
Berufungshauptverhandlung entscheiden. Andererseits würde eine Stattgabe in
einem selbständigen Beschwerdeverfahren dazu führen, dass über die
Berufung zusätzlich nach § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO oder gegebenenfalls durch
Urteil zu entscheiden wäre. Soweit der Bundesgerichtshof (vgl. Beschluss vom
5. Januar 1977 - 3 StR 433/76 - BGHSt 27, 96 m.w.N.) entschieden hat, dass
das Rechtsmittel nach § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO seiner Natur nach Beschwerde
bleibt, auch wenn es sich, weil die angefochtene Entscheidung einen
erkennenden Richter betrifft, gegen das Urteil wendet und demgemäß in der
Form der revisionsrechtlichen Verfahrensrüge eingelegt wird, hat dies nur
Folgen für den Umfang der Überprüfung im Revisionsverfahren. Für das
Verfahren nach der Wehrdisziplinarordnung, bei der das Rechtsmittel gegen
das Urteil des Truppendienstgerichts immer zur Überprüfung durch eine
Tatsacheninstanz und nicht durch eine Revisionsinstanz führt, hat das praktisch
keine Bedeutung.
b) Die Besetzungsrüge ist auch begründet. Jedenfalls das zweite
Ablehnungsgesuch hätte nicht als unbegründet zurückgewiesen werden dürfen.
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aa) Der Vorsitzende der ... Kammer des Truppendienstgerichts Süd hat das
Ablehnungsgesuch zu Recht gemäß § 91 Abs. 1 WDO i.V.m. § 24 Abs. 1
Halbs. 2, § 25 Abs. 2 Satz 1 StPO als zulässig angesehen. Der Zulässigkeit
steht insbesondere nicht entgegen, dass der Antrag vom Verteidiger in
Abwesenheit des früheren Soldaten gestellt wurde. Der Verteidiger hatte die
Ablehnungsanträge nicht im eigenen, sondern ausdrücklich im Namen und in
Vollmacht des früheren Soldaten gestellt. Es kommt nicht darauf an, ob ein
Beteiligter persönlich von der Befangenheit eines Richters überzeugt ist,
sondern nur, ob das Verhalten des Gerichts objektiv dazu geeignet war, diesen
Eindruck zu erwecken. Da der Verteidiger die Interessen seines Mandanten zu
wahren hat, durfte er das Ablehnungsgesuch trotz dessen Abwesenheit in
dessen Namen stellen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, § 24 Rn. 20).
Der Antrag kann auch im Hinblick auf § 25 Abs. 2 Satz 1 StPO als noch
rechtzeitig angesehen werden.
bb) Der Antrag wurde aber zu Unrecht als unbegründet zurückgewiesen.
Wegen Besorgnis zur Befangenheit findet die Ablehnung nach § 91 Abs. 1 Satz
1 WDO i.V.m. § 24 Abs. 2 StPO statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist,
Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Das ist
dann gegeben, wenn der Ablehnende bei vernünftiger Würdigung aller
Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven
Einstellung des Richters zu zweifeln (BVerfG, Beschlüsse vom 2. März 1966 - 2
BvE 2/65 - BVerfGE 20, 1 <5> und vom 25. Januar 1972 - 2 BvA 1/69 -
BVerfGE 32, 288 <290>; BVerwG, Beschluss vom 3. September 1992 -
BVerwG 2 WDB 11.92 -). Es kommt nicht darauf an, ob der Richter in der Tat
„parteilich“ oder „befangen“ ist oder ob er sich selbst für befangen hält (BVerfG,
Beschluss vom 2. März 1966 a.a.O.). Die Verhandlungsführung eines Richters
kann Misstrauen in dessen Unvoreingenommenheit rechtfertigen, wenn sie
rechtsfehlerhaft, unangemessen oder sonst unsachlich ist und den Beteiligten in
seinem Anspruch auf ein faires Verfahren verletzt, z.B. auch, wenn der Richter
das Ergebnis von Nachermittlungen verheimlicht (Meyer-Goßner, a.a.O. § 24
Rn. 17 m.w.N.).
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Ein derartiger Fall ist hier gegeben. Der Grundsatz des fairen Verfahrens
verpflichtet das Gericht, allen Verfahrensbeteiligten rechtzeitig Gelegenheit zur
Kenntnisnahme vom Ergebnis verfahrensbezogener Ermittlungen zu geben, die
das Gericht während, aber außerhalb der Hauptverhandlung angestellt hat. Das
gilt auch dann, wenn das Tatsachengericht dieses Ergebnis nicht für
entscheidungserheblich hält (BGH, Urteil vom 29. November 1989 - 2 StR
264/89 - BGHSt 36, 305). Der Vorsitzende Richter hatte am 11. Februar 2009
nicht nur - wie in der dienstlichen Erklärung ausgeführt - um 20:30 Uhr, sondern
ausweislich eines von ihm handschriftlich gefertigten Vermerks (BA IV Bl. 602)
bereits ein erstes Mal gegen 10:00 Uhr mit der Zeugin M. telefoniert. Dabei
bezogen sich die beiden Telefongespräche nicht nur auf die Pflicht der Zeugin,
zum Termin zu erscheinen, und auf die Wichtigkeit ihrer Aussage, sondern
auch darauf, dass die Zeugin ihre ursprünglichen Angaben, die sie später im
strafgerichtlichen Verfahren widerrufen hatte, nunmehr als allein richtig
bezeichnete. Dieser „Widerruf des Widerrufs“ war auch aus der Sicht des
Soldaten und seines Verteidigers für die Vernehmung der Zeugin vor dem
Truppendienstgericht von maßgeblicher Bedeutung und hätte deswegen vor
Beginn der Vernehmung in das Verfahren eingeführt werden müssen.
Stattdessen hat der Vorsitzende erst im Rahmen der Vernehmung das
Telefongespräch erwähnt, nachdem die Zeugin wiederum ihre ursprünglichen
Aussagen als unwahr bezeichnet hatte. Schon dieses Verhalten des
Vorsitzenden stellt einen Verstoß gegen den Anspruch des früheren Soldaten
auf ein faires Verfahren dar. Es kommt aber noch hinzu, dass der Vorsitzende,
wie sich aus seiner dienstlichen Erklärung ergibt, diese Informationen, die er
von der Zeugin erhalten hatte, als „privates Wissen“ bezeichnete, obwohl es
ersichtlich um ein dienstlich geführtes Gespräch und nicht um ein zufälliges
privates Wissen des Vorsitzenden aus anderem Zusammenhang ging. Auch
dies muss aus der Sicht des Beteiligten den Eindruck erwecken, der
Vorsitzende glaube, derartige Informationen nach Gutdünken in das Verfahren
einführen zu können oder als sein „privates Wissen“ unberücksichtigt zu lassen.
Weiter kommt hinzu, dass ausweislich der Akten (BA IV Bl. 603) noch am 11.
Februar 2009 um 11:46 Uhr die auf einem Blatt befindlichen Vermerke über die
beiden Telefongespräche um 7:11 Uhr (Geschäftsstellenverwalterin) und um
10:00 Uhr (Vorsitzender) dem Vertreter der Wehrdisziplinaranwaltschaft per
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Telefax zur Kenntnis übermittelt wurden. Diese Ungleichbehandlung des
früheren Soldaten einerseits und des Vertreters der Wehrdisziplinaranwaltschaft
andererseits stellt einen weiteren erheblichen Mangel in der Verfahrensführung
dar (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. Oktober 1974 - 2 BvR 747/73 u.a. -
BVerfGE 38, 105 <111> und vom 12. Januar 1983 - 2 BvR 864/81 - BVerfGE
63, 45 <61> zur „Waffengleichheit“ von Ankläger und Beschuldigtem). Wenn
der Vorsitzende es nämlich für nicht sachgerecht gehalten hätte, den früheren
Soldaten vor Beginn der Verhandlung über den Inhalt des Telefongesprächs zu
informieren, weil er Sorge hatte, der frühere Soldat könnte versuchen, die
Zeugin (weiterhin) zu verunsichern und einzuschüchtern, dann hätte er auch
dem Vertreter der Wehrdisziplinaranwaltschaft die Information erst in der
Verhandlung geben dürfen. So war es dem Vertreter der
Wehrdisziplinaranwaltschaft möglich, sich bei der Vorbereitung der
Vernehmung auf das widersprüchliche Aussageverhalten der Zeugin von
vornherein einzustellen, während der frühere Soldat und sein Verteidiger dies
nicht konnten. Auch dieses Verhalten muss aus der Sicht eines objektiven
Verfahrensbeteiligten den Eindruck erwecken, der Vorsitzende sei ihm
gegenüber nicht unvoreingenommen.
c) Weil jedenfalls das zweite Ablehnungsgesuch zulässig und begründet war,
kann offen bleiben, ob die Zurückweisung der weiteren Anträge zu beanstanden
ist.
d) Die Mitwirkung eines zu Recht wegen der Besorgnis der Befangenheit
abgelehnten Richters führt zu einer fehlerhaften Besetzung des Gerichts und
damit zu einem schweren Verfahrensmangel, weil dem früheren Soldaten das
Recht zusteht, dass seine Sache von einem ordnungsgemäß besetzten Gericht
verhandelt und entschieden wird (stRspr, vgl. u.a. Urteil vom 11. Mai 2006 -
BVerwG 2 WD 25.05 - Buchholz 11 Art. 101 GG Nr. 22 und Beschluss vom 24.
September 1991 - BVerwG 2 WD 17.91 - BVerwGE 93, 161 = NZWehrr 1992,
36; vgl. auch § 338 Nr. 1 StPO, § 138 Nr. 1 VwGO, § 547 Nr. 1 ZPO).
2. Zudem war, entgegen der Vorschriften der § 91 Abs. 1 WDO i.V.m. § 226
Abs. 1 StPO, wonach die Hauptverhandlung in ununterbrochener Gegenwart
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der zur Urteilsfindung berufenen Personen sowie der Staatsanwaltschaft
stattfindet, die Wehrdisziplinaranwaltschaft am dritten Verhandlungstag, dem
12. März 2009, nicht hinreichend vertreten. Auch dies stellt einen schweren
Verfahrensmangel im Sinne des § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO dar.
Ausweislich des Protokolls wurde im Zuge der Hauptverhandlung vor dem
Truppendienstgericht der (einzige)
anwesende Wehrdisziplinaranwalt,
Regierungsdirektor H., am 12. März 2009 als Zeuge vernommen. Anschließend
nahm er wieder in seiner Funktion als Wehrdisziplinaranwalt bis zum Schluss
an der Hauptverhandlung teil. Ein als Zeuge vernommener Sitzungsvertreter
der Wehrdisziplinaranwaltschaft kann aber in derselben Hauptverhandlung nur
dann weiter als Vertreter der Einleitungsbehörde tätig sein, wenn sich seine
Aufgaben als Wehrdisziplinaranwalt von der Erörterung und Bewertung seiner
Zeugenaussage trennen lassen (vgl. BGH, Urteile vom 3. Mai 1960 - 1 StR
155/60 - BGHSt 14, 265, vom 13. Juli 1966 - 2 StR 157/66 - BGHSt 21, 85, vom
21. Dezember 1988 - 2 StR 377/88 - mitgeteilt bei Miebach, NStZ 1990, 24
<25>, vom 25. April 1989 - 1 StR 97/89 - NStZ 1989, 583 und vom 3. Februar
2005 - 5 StR 84/04 - mitgeteilt bei Becker, NStZ-RR 2006, 257; Beschlüsse
vom 7. Dezember 2000 - 3 StR 382/00 - NStZ-RR 2001, 107 und vom 30.
Januar 2007 - 5 StR 465/06 - NStZ 2007, 419; zweifelnd Beschluss vom 24.
Oktober 2007 - 1 StR 480/07 - NStZ 2008, 353 mit ablehnender Besprechung
Kelker, StV 2008, 381 ff.; vgl. auch umfassend Rogall, in: Systematischer
Kommentar zur StPO und zum GVG, Stand August 2002, vor § 48 Rn. 46 ff.).
Jedenfalls für die Dauer der Vernehmung muss wegen der Regelung des § 226
Abs. 1 StPO ein anderer Vertreter der Wehrdisziplinaranwaltschaft zur Sitzung
hinzugezogen werden (BGH, Urteile vom 13. Juli 1966 a.a.O. und vom 25. April
1989 a.a.O.; Rogall, a.a.O. Rn. 47). Außerdem muss zumindest sichergestellt
sein, dass der als Zeuge vernommene Wehrdisziplinaranwalt seine Aussage im
Schlussvortrag nicht selbst würdigen muss (vgl. dazu Meyer-Goßner, StPO, 52.
Aufl. 2009, vor § 48 Rn. 17. m.w.N.). Auch insoweit muss ein weiterer
Wehrdisziplinaranwalt zur Hauptverhandlung hinzugezogen werden.
Daran fehlte es hier. Obwohl es erforderlich gewesen wäre, war am
Verhandlungstage des 12. März 2009 weder während der Vernehmung des
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Zeugen H. noch beim Schlussvortrag ein weiterer Wehrdisziplinaranwalt
anwesend. Dem Regierungsdirektor H. war es auch objektiv nicht möglich,
seine Zeugenfunktion von der des Wehrdisziplinaranwalts zu trennen. Denn
seine Zeugenaussage war von erheblicher Bedeutung für die Frage der
Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugin M. und insofern im Plädoyer des
Wehrdisziplinaranwalts zwingend zu berücksichtigen. Kurz vor der Vernehmung
des Zeugen H. hatte die Zeugin M. von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht
nach § 55 StPO Gebrauch gemacht. Der Zeuge H. bezeugte daraufhin, dass
die Zeugin M. ihm gegenüber den früheren Soldaten belastet habe. Dabei habe
die Zeugin auf ihn stets einen glaubwürdigen Eindruck gemacht. Die
außergerichtlichen Vernehmungen der Zeugin M. waren auch nach
Inanspruchnahme des Auskunftsverweigerungsrechts, für das § 252 StPO
keine Anwendung findet (Meyer-Goßner, a.a.O. § 252 Rn. 5 m.w.N.), weiterhin
verwertbar. Insofern war der Eindruck des Zeugen H., der auch diese
Einlassungen als glaubhaft bestätigte, für den Ausgang des Verfahrens von
erheblicher Bedeutung. Dafür spricht auch, dass sich die erkennende Kammer
in der Urteilsbegründung (S. 12 unten) ausdrücklich auf die Aussage des
Zeugen H. bezogen hat.
3. Zwar steht die Entscheidung darüber, ob der Senat bei Vorliegen schwerer
Verfahrensmängel ungeachtet dessen in der Sache selbst entscheidet, oder ob
er das Urteil der Truppendienstkammer aufhebt und die Sache an eine andere
Kammer desselben Truppendienstgerichts oder eines anderen
Truppendienstgerichts zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung
zurückverweist, in seinem Ermessen (§ 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO). Jedenfalls
dann, wenn - wie hier - der betroffene Soldat in vollem Umfange Berufung
eingelegt hat, hat der Senat jedoch in ständiger Rechtsprechung ein von der
Truppendienstkammer in unrichtiger Besetzung gefälltes Urteil regelmäßig
aufgehoben und die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an
eine andere Kammer des ersten Rechtszuges zurückverwiesen (vgl. u.a. Urteile
vom 11. Mai 2006 a.a.O. und vom 9. Februar 1983 - BVerwG 2 WD 19.82 -
BVerwGE 76, 63 <64> m.w.N.). Dafür maßgebend ist, dass dem betroffenen
Soldaten das in der Wehrdisziplinarordnung für das gerichtliche
Disziplinarverfahren vorgesehene Recht erhalten bleiben soll, seinen Fall in
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zwei ordnungsgemäß besetzten Instanzen verhandelt und entschieden zu
sehen. Denn mit der Einlegung einer vollen Berufung hat der jeweilige
Berufungsführer zum Ausdruck gebracht, dass er die Tat-
und
Schuldfeststellungen sowie die rechtliche Würdigung der Truppendienstkammer
und die Grundlagen der Zumessungsentscheidungen für fehlerhaft hält. In
diesen Fällen ist die Möglichkeit jedenfalls nicht auszuschließen, dass die
unrichtige Besetzung der Truppendienstkammer zu den - nach Meinung des
Berufungsführers - unrichtigen Entscheidungsgrundlagen geführt hat. In
solchen Fällen beurteilt deshalb der Senat regelmäßig das Interesse des
Berufungsführers an zwei ordnungsgemäß besetzten Tatsacheninstanzen als
vorrangig gegenüber dem Beschleunigungsgebot des § 17 Abs. 1 WDO (vgl.
u.a. Urteile vom 11. Mai 2006 a.a.O. und vom 9. Februar 1983 a.a.O. S. 65;
Beschluss vom 24. September 1991 a.a.O. S. 162). Daran hält der Senat aus
Gründen der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit auch im vorliegenden
Fall fest, zumal der frühere Soldat den Verstoß gegen § 101 Abs. 1 Satz 2 GG
explizit gerügt hat. Hinzu kommt noch der Verstoß gegen § 91 Abs. 1 WDO
i.V.m. § 226 Abs. 1 StPO, auch wenn sich der frühere Soldat in seiner
Berufungsbegründung darauf nicht berufen hat.
Angesichts dessen macht der Senat von dem ihm durch § 120 Abs. 1 Nr. 2
WDO eingeräumten Ermessen Gebrauch, die Sache zur nochmaligen
Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des
Truppendienstgerichts Süd zurückzuverweisen. Für eine Zurückverweisung an
ein anderes Truppendienstgericht sieht der Senat keine Veranlassung.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und die Erstattung der dem
Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen ist der
Schlussentscheidung vorbehalten.
Golze Dr. Dette Dr. Langer
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