Urteil des BVerwG vom 09.07.2009

Soldat, Mangel des Verfahrens, Umtausch, Einheit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 25.08
TDG N 8 VL 10/08
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
gegen
den Bootsmann …,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 9. Juli 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth,
ehrenamtlicher Richter Fregattenkapitän Brach und
ehrenamtlicher Richter Oberbootsmann Fase,
sowie
Leitender Regierungsdirektor …
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
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Rechtsanwalt …
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin …
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Die Berufung des Soldaten gegen das Urteil der 8. Kam-
mer des Truppendienstgerichts Nord vom 4. September
2008 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der
Soldat in den Dienstgrad eines Obermaaten (Besoldungs-
gruppe A 7) herabgesetzt und die Frist für die Wiederbe-
förderung auf zwei Jahre abgekürzt wird.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Solda-
ten auferlegt.
G r ü n d e :
I
Der 23 Jahre alte Soldat trat nach der im Juni 2002 erfolgten Erlangung des
Realschulabschlusses und einer anschließenden Zeit der Erwerbslosigkeit auf-
grund seiner Bewerbung für den freiwilligen Dienst am 2. Juni 2003 in die Bun-
deswehr ein. Am 5. Juni 2003 erfolgte seine Berufung in das Dienstverhältnis
eines Soldaten auf Zeit unter Ernennung zum Matrosen. Die auf drei, dann auf
vier Jahre festgesetzte Dienstzeit wurde schließlich auf 12 Jahre verlängert,
sodass sie voraussichtlich mit Ablauf des 31. Mai 2015 enden wird.
Der Soldat wurde regelmäßig befördert, zuletzt am 22. Juni 2006 zum Boots-
mann.
Der Soldat gehört der Verwendungsreihe … (…) an. Der militärischen Grund-
ausbildung bei der M…schule folgte seine Versetzung in die … Staffel … des
M…geschwaders … nach N. am 21. Juli 2003, wo er noch heute als Trieb-
werksmechaniker eingesetzt wird.
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Ein gegen den Soldaten geführtes sachgleiches Strafverfahren wegen Betruges
wurde durch die Staatsanwaltschaft S. gemäß § 153a Abs. 1 StPO unter der
Auflage vorläufig eingestellt, dass der Soldat einen Geldbetrag von 300 € an die
Landeskasse zahlt. Laut Mitteilung der Staatsanwaltschaft S. vom 2. April 2008
soll das Strafverfahren nach Zahlung dieses Betrages zwischenzeitlich endgül-
tig eingestellt worden sein.
Die Auszüge aus dem Zentralregister vom 16. Juni 2009 und aus dem Diszipli-
narbuch vom 16. Juni 2009 weisen keine Eintragungen auf.
Der ledige und kinderlose Soldat erhält ausweislich der Mitteilung der Wehrbe-
reichsverwaltung Nord - Gebührniswesen - vom 12. November 2008 Dienst-
bezüge aus der Besoldungsgruppe A 7 in der 2. Dienstalterstufe in Höhe von
monatlich 1 909,61 € brutto, 1 622,76 € netto. Monatlich hat der Soldat folgende
Aufwendungen zu bestreiten: 360 € Warmmiete für eine Wohnung in N., 150 €
für Versicherungen und ca. 300 € an Benzinkosten für seine wöchentlichen
Heimfahrten von N. nach U. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Soldaten sind
nach seinen Angaben geordnet.
II
Mit Verfügung des Befehlshabers der Flotte vom 13. März 2008, dem Soldaten
ausgehändigt am 17. März 2008, wurde gegen den Soldaten nach zuvor erfolg-
ter Anhörung das gerichtliche Disziplinarverfahren eingeleitet. Ausgehend von
der Anschuldigungsschrift vom 30. April 2008, dem Soldaten zugestellt am
16. Mai 2008, hat die 8. Kammer des Truppendienstgerichts Nord mit dem im
vorliegenden Verfahren angefochtenen Urteil vom 4. September 2008 den
Dienstgrad des Soldaten wegen eines Dienstvergehens in denjenigen eines
Obermaaten herabgesetzt. Die Truppendienstkammer hat dabei die folgenden
tatsächlichen Feststellungen getroffen:
„An einem nicht feststellbaren Tag im Zeitraum Anfang
August bis Ende September 2007 erwarb der Soldat über
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das Online-Auktionshaus ‚ebay’ (nachfolgend: ebay) bei
einem namentlich nicht bekannten Verkäufer für 60,00 €
ein Paar neuwertige Fliegerstiefel Typ ‚Sommer’, wie sie
auch in der Bundeswehr an einen begrenzten Nutzerkreis
(vor allem Piloten) ausgegeben werden. Dieser private
Ankauf bot für den Soldaten, der keine Pilotenfunktion in-
nehatte, die Möglichkeit, in den Besitz solcher Fliegerstie-
fel zu gelangen, deren Nutzung durch nichtfliegerisches
Personal im Dienst im … geduldet wurde. Aufgrund der in-
teressierten Reaktionen seiner Kameraden auf die von
ihm im Dienst getragenen Fliegerstiefel beschloss der
Soldat, weitere neuwertige Fliegerstiefel über die ebay-
Quelle zu beschaffen, um diese anschließend an Kamera-
den zu verkaufen. Seine wenige Tage später an den ebay-
Verkäufer gerichtete Anfrage zum Kauf weiterer neuwerti-
ger Fliegerstiefel ergab, dass dieser nur noch gebrauchte
Exemplare im Bestand hatte. Der Verkäufer, vom Solda-
ten über dessen Status als Soldat informiert, versicherte
diesem, dass sich die gebrauchten Stiefel noch im Bun-
deswehrbestand befänden, mithin keine Entwertungs-
merkmale aufwiesen. Damit er seinen Kameraden gleich-
wohl neuwertige Fliegerstiefel verkaufen konnte, reifte
beim Soldaten nunmehr der Plan, nach dem Erwerb von 5
Paar gebrauchter Fliegerstiefel diese bei der Kleiderkam-
mer der Bundeswehr vor Ort in neuwertiges Schuhwerk
umtauschen zu lassen. Um gänzlich sicherzugehen, er-
kundigte er sich vor dem Kaufabschluss bei dem Versor-
gungsunteroffizier der … Staffel des …, der Zeugin (w) B.,
u.a. zuständig für den Umtausch von persönlicher Ausstat-
tung bei der Kleiderkammer in B. bzw. der Sonderbeklei-
dungskammer in N., ob der Umtausch gebrauchter Flie-
gerstiefel ohne Probleme bei ihr möglich wäre, was diese
bejahte. Weil der Soldat davon ausging, dass die Zeugin
OMaat (w) B. bei Kenntnis der Herkunft der Stiefel einen
Tausch ablehnen würde, verschwieg er ihr gegenüber,
dass er beabsichtige, diese zuvor privat bei ebay zu er-
werben. Vor Gericht hat die Zeugin OMaat (w) B. glaub-
haft und glaubwürdig bestätigt, dass, hätte sie gewusst,
woher die Stiefel stammten, ein Umtausch niemals in Fra-
ge gekommen wäre. Sie sei, wenn Soldaten wegen eines
Tausches bei ihr anfragten, selbstverständlich immer da-
von ausgegangen, dass es sich bei dem betreffenden
Tauschgut um ordnungsgemäß vom Dienstherrn ausge-
gebene und im Dienst abgenutzte Sachen gehandelt ha-
be. Nach dieser für ihn positiven Auskunft der Zeugin
OMaat (w) B. kaufte der Soldat schließlich an einem eben-
falls nicht mehr feststellbaren Tag im Zeitraum von Anfang
August 2007 bis Ende September 2007 bei dem ebay-
Verkäufer 5 Paar gebrauchte Fliegerstiefel verschiedener
Größen zum Stückpreis von 30,00 € plus Versandkosten,
welche er nach erfolgter Auslieferung an ihn der Zeugin
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(w) B. zwecks Durchführung des Tausches ‚alt gegen neu’
aushändigte. Nachdem sich die Zeugin OMaat (w) B.
überzeugt hatte, dass die gebrauchten Fliegerstiefel keine
Bundeswehr-spezifischen Entwertungsmerkmale aufwie-
sen (Lochung im Schaft bzw. Lasche), tauschte sie diese
am 16. Oktober 2007 in der Sonderkleiderkammer in N.
bei dem Zeugen F. gegen 5 Paar neuwertige Fliegerstiefel
Typ ‚Sommer’ (Wert pro Paar: 93,12 €) und übergab sie
anschließend dem Soldaten. Zu einem Weiterverkauf der
Stiefel kam es jedoch nicht, da aufgrund der am
17. Oktober 2007 vom Zeugen F. entdeckten Stanzung
‚55’ auf den Außenschäften der jeweils rechten Stiefel der
Tausch unter Sicherstellung der gebrauchten Fliegerstiefel
umgehend rückabgewickelt wurde.“
Die Truppendienstkammer hat dieses festgestellte Verhalten des Soldaten als
vorsätzliche Verstöße gegen die Pflichten, der Bundesrepublik Deutschland treu
zu dienen (§ 7 SG) sowie der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden,
die sein Dienst als Soldat erfordert (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG), gewertet, wobei der
Soldat als Vorgesetzter der verschärften Haftung nach § 10 Abs. 1 SG unterlie-
ge.
Gegen das ihm am 17. September 2008 zugestellte Urteil hat der Soldat mit am
selben Tag beim Bundesverwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz vom
16. Oktober 2008 Berufung eingelegt und diese auf die Bemessung der Diszip-
linarmaßnahme beschränkt.
Er hat beantragt,
das angefochtene Urteil im Ausspruch über die Diszipli-
narmaßnahme zu ändern und gegen den Soldaten eine
mildere Disziplinarmaßnahme als die von der Truppen-
dienstkammer verhängte Herabsetzung in den Dienstgrad
eines Obermaaten zu verhängen.
Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor:
Zwar sei zutreffend, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-
richts bei einer vorsätzlichen Schädigung des Vermögens des Dienstherrn eine
Dienstgradherabsetzung zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen zu
nehmen sei. Vorliegend sei jedoch aufgrund der konkreten Umstände des Fal-
les eine Ausnahme davon geboten. Die Truppendienstkammer habe die sei-
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nem, des Soldaten, Handeln zugrunde liegende Motivation verkannt, indem sie
davon ausgegangen sei, er habe „zielgerichtet und geplant darauf hingewirkt“,
die gebrauchten Stiefel mit Hilfe des Dienstherrn durch Nutzung der Tausch-
möglichkeit in neuwertige Stiefel „zu verwandeln“. Die Truppendienstkammer
habe unberücksichtigt gelassen, dass nicht der Verkauf - mit Gewinnerzie-
lungsabsicht - seine Motivation bestimmt habe, sondern dass es ihm darum
gegangen sei, Kameraden mit den allseits beliebten Stiefeln zu versorgen, ohne
daran zu verdienen. Er habe nicht die Absicht gehabt, über ihm entstandene
Kosten hinausgehende Forderungen gegenüber den Kameraden zu erheben.
Die Schwere des Dienstvergehens werde auch dadurch gemindert, dass die
Staatsanwaltschaft das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gemäß § 153a
Abs. 1 Nr. 2 StPO ohne Widerspruch der Wehrdisziplinaranwaltschaft einge-
stellt habe.
Unzutreffend sei auch der Vorwurf der Truppendienstkammer, er habe kalt-
schnäuzig gehandelt und dabei seine Kameradin Obermaat (w) B. der Gefahr
disziplinarer Verfolgung ausgesetzt. Vielmehr sei sein Verhalten oberflächlich
und gedankenlos gewesen. Zu seinen Gunsten sprächen auch die Bekundun-
gen der Leumundszeugen Kapitänleutnant K. und Kapitänleutnant S. Der Zeu-
ge S. habe erklärt, es sei dem Soldaten durchaus zuzutrauen, dass er Kamera-
den etwas Gutes habe tun wollen.
Zu seinen, des Soldaten, Gunsten sprächen auch seine umfassende Geständ-
nisbereitschaft, die von ihm bekundete Reue und Einsicht in sein Fehlverhalten,
das äußerst günstige Beurteilungsbild, die Zugehörigkeit zu den „absoluten
Spitzensoldaten der gesamten Einheit“ im Bereich der Menschenführung und
seine leistungsmäßige Einordnung „im oberen Drittel der Portepeeträger seiner
Einheit“ und schließlich auch die von der Truppendienstkammer erkannte
Nachbewährung durch nochmalige Leistungssteigerung während des schwe-
benden Verfahrens.
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III
1. Die Berufung des Soldaten ist zulässig. Sie ist statthaft; ihre Förmlichkeiten
sind gewahrt (§ 115 Abs. 1, § 116 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 WDO).
2. Die Berufung ist ausdrücklich auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme
beschränkt worden. Auch inhaltlich beziehen sich die gegen das angefochtene
Urteil vorgebrachten Einwände ausschließlich auf Gesichtspunkte der Maß-
nahmebemessung. Der Senat hat daher seiner Entscheidung die Tatfeststel-
lungen sowie deren rechtliche Würdigung (Feststellungen zu schuldhaften
Dienstpflichtverletzungen) durch die Truppendienstkammer zugrunde zu legen
und sodann über die zu verhängende gerichtliche Disziplinarmaßnahme zu be-
finden, wobei er an das Verschlechterungsverbot (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO
i.V.m. § 331 Abs. 1 StPO) gebunden ist.
Zwar kann der Senat unter bestimmten Voraussetzungen ungeachtet dessen
das angefochtene Urteil aufheben und die Sache vor der Berufungshauptver-
handlung nach § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO oder in der Berufungshauptverhand-
lung nach § 121 Abs. 2 WDO an eine andere Kammer des Truppendienstge-
richts Süd oder des Truppendienstgerichts Nord zur nochmaligen Verhandlung
und Entscheidung zurückverweisen. Diese Möglichkeit besteht dann, wenn ein
schwerer Mangel des Verfahrens vorliegt und/oder wenn weitere Aufklärungen
erforderlich sind. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Auch der anwaltlich vertre-
tene Soldat macht dies nicht geltend. In dem angefochtenen Urteil der Trup-
pendienstkammer sind hinreichende und widerspruchsfreie Tatfeststellungen
getroffen worden. Ferner kann dem Urteil mit hinreichender Sicherheit entnom-
men werden, von welchen vom angeschuldigten Soldaten begangenen schuld-
haften Pflichtverletzungen das Bundesverwaltungsgericht aufgrund der Schuld-
feststellungen im angefochtenen Urteil auszugehen hat. Denn im angefochte-
nen Urteil ist die Truppendienstkammer - auch wenn diese nicht näher begrün-
det worden sind - unzweideutig zu der (Schuld-)Feststellung gelangt, der Soldat
habe mit dem festgestellten Verhalten vorsätzlich gegen seine Pflicht zum treu-
en Dienen (§ 7 SG) sowie gegen das Achtungs- und Vertrauenswahrungsgebot
im Dienst (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) jeweils vorsätzlich verstoßen.
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3. Die von der Truppendienstkammer verhängte gerichtliche Disziplinarmaß-
nahme einer Herabsetzung in den Dienstgrad eines Obermaaten ist rechtlich
nicht zu beanstanden. Sie ist rechtlich geboten und angemessen, so dass die
Berufung des Soldaten zurückzuweisen ist. Allerdings war die fehlende Be-
stimmung der Besoldungsgruppe (§ 62 Abs. 2 Satz 2 WDO) nachzuholen. Au-
ßerdem hat der Senat die Frist für eine Wiederbeförderung auf zwei Jahre ver-
kürzt (§ 62 Abs. 3 Satz 3 WDO).
Bei der konkreten Maßnahmebemessung ist von der von Verfassungs wegen
(Art. 20 Abs. 1, Art. 103 Abs. 3 GG) allein zulässigen Zwecksetzung des Wehr-
disziplinarrechts auszugehen. Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizu-
tragen, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder
aufrechtzuerhalten („Wiederherstellung und Sicherung der Integrität, des Anse-
hens und der Disziplin in der Bundeswehr“, vgl. dazu u.a. BVerfG, Beschlüsse
vom 2. Mai 1967 - 2 BvL 1/66 - BVerfGE 21, 391 <406> und vom 26. Mai 1970
- 1 BvR 668/68, 1 BvR 710/68, 1 BvR 337/69 - BVerfGE 28, 264; BVerwG, Ur-
teile vom 5. August 2008 - BVerwG 2 WD 14.07 - und vom 11. Juni 2008
- BVerwG 2 WD 11.07 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26, jeweils
m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7
i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine
Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung
und die Beweggründe des früheren Soldaten zu berücksichtigen.
a) Nach seiner „Eigenart und Schwere“ hat das Dienstvergehen des Soldaten
erhebliches Gewicht. Die Schwere des Dienstvergehens bestimmt sich nach
dem Unrechtsgehalt der Verfehlung(en), mithin also nach der Bedeutung der
verletzten Dienstpflicht(en).
Hier liegt der Schwerpunkt des Dienstvergehens des Soldaten in der von der
Truppendienstkammer festgestellten, allerdings im Urteil nicht näher begründe-
ten Verletzung der Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG), die jedem Soldaten ge-
bietet, seine dienstlichen Aufgaben und Pflichten gewissenhaft, sorgfältig und
loyal gegenüber seinem Dienstherrn zu erfüllen. Zu der in § 7 SG normierten
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Pflicht zum „treuen Dienen“ gehört insbesondere die Verpflichtung zur Loyalität
gegenüber der geltenden Rechtsordnung, vor allem die Beachtung der Strafge-
setze (Urteile vom 28. September 1990 - BVerwG 2 WD 27.89 - BVerwGE 86,
321 <326> = NZWehrr 1991, 32, vom 28. Januar 2004 - BVerwG 2 WD 13.03 -
BVerwGE 120, 106 <107> = NZWehrr 2004, 169, vom 22. März 2006 - BVerwG
2 WD 7.05 -
jeweils m.w.N., vom 26. September 2006 - BVerwG 2 WD 2.06 - BVerwGE 127,
1 = Buchholz 449 § 10 SG Nr. 55 = NZWehrr 2007, 79 und vom 22. August
2007 - BVerwG 2 WD 27.06 - BVerwGE 129, 181 <192 f.> = Buchholz 449 § 11
SG Nr. 2 = NZWehrr 2008, 76). Die Pflicht zum „treuen Dienen“ gehört zu den
zentralen Pflichten eines Soldaten. Ihre Verletzung hat in der Regel schon des-
halb erhebliches Gewicht. Sie ist gerade bei solchen Vorgängen, die erfah-
rungsgemäß schwer kontrolliert werden können, von besonderer Bedeutung.
Beim Umgang mit öffentlichem Geld und Gut ist die Bundeswehr auf die Ehr-
lichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Soldaten in hohem Maße angewiesen. Erfüllt
ein Soldat diese dienstlichen Erwartungen nicht, so stört er das Vertrauensver-
hältnis zu seinem Dienstherrn nachhaltig und begründet ernsthafte Zweifel an
seiner Zuverlässigkeit und persönlichen Integrität.
Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen den Soldaten ist zwar nach
§ 153a StGB durch die Staatsanwaltschaft gegen Zahlung von 300 € eingestellt
worden. Das ändert aber nichts daran, dass nach den von der Truppendienst-
kammer getroffenen tatsächlichen Feststellungen das Verhalten des Soldaten
als Betrug (§ 263 StGB) und damit als kriminelle Tat zu qualifizieren ist. Denn er
hat am 16. Oktober 2007 vorsätzlich durch Vorspiegelung falscher Tatsachen
(gebrauchte Stiefel aus dem Bundeswehrbestand) bei der Zeugin Obermaat (w)
B. und nachfolgend mittelbar bei der für solche Umtauschvorgänge zuständigen
Stelle zwecks Durchführung des Tausches „alt gegen neu“ einen Irrtum erregt
und dadurch eine Vermögensverfügung durch die Sonderkleiderkammer in N. in
Gestalt der Herausgabe von fünf neuwertigen Fliegerstiefeln des Typs „Som-
mer“ mit einem Wert von 93,12 € pro Paar, die ihm noch am selben Tage durch
die Zeugin B. auch ausgehändigt wurden, erreicht. Auch eine Bereicherungsab-
sicht lag vor, da der Soldat sich oder jedenfalls seinen Kameraden zu Lasten
der Bundeswehr einen rechtswidrigen Vermögensvorteil verschaffen wollte.
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Hierauf kam es ihm an. Der Umstand, dass aufgrund der am 17. Oktober 2007
vom Zeugen F. entdeckten Stanzung an den Außenschäften der Stiefel die Sa-
che aufflog und zur umgehenden Rückabwicklung der „Umtauschaktion“ führte,
ändert nichts daran, dass der Betrug zu diesem Zeitpunkt bereits vollendet war.
Aber auch die Verletzung der in § 17 Abs. 2 Satz 1 SG normierten Pflicht jedes
Soldaten, im Dienst dem Ansehen der Bundeswehr sowie der Achtung und dem
Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat erfordert, stellt keine
Missachtung einer bloßen Nebenpflicht dar. Denn diese hat wegen ihres funkti-
onellen Bezugs zur Erfüllung der Aufgaben der Bundeswehr und zur Gewähr-
leistung des militärischen Dienstbetriebs erhebliche Bedeutung. Ein Soldat, ins-
besondere ein Vorgesetzter, bedarf der Achtung seiner Kameraden und Unter-
gebenen sowie des Vertrauens seiner militärischen Vorgesetzten, um seine
Aufgabe so zu erfüllen, dass der ordnungsgemäße Ablauf des militärischen
Dienstes gewährleistet ist (stRspr, vgl. u.a. Urteil vom 21. Mai 2008 - BVerwG
2 WD 8.07 und 2 WD 12.07 -
SG Nr. 51>). Auch die Öffentlichkeit hat kein Verständnis dafür, wenn ein Sol-
dat sich zu privaten Zwecken Material der Bundeswehr aneignet und damit eine
Straftat begeht.
Vorliegend fällt im Hinblick auf die Eigenart des Dienstvergehens zu Lasten des
Soldaten ferner ins Gewicht, dass er zur Tatverwirklichung eine - insoweit of-
fenbar ahnungslose - Kameradin instrumentalisierte. Er beschränkte sich bei
der Tatausführung nicht darauf, selbst den Umtausch bei der Sonderkleider-
kammer zu bewirken, sondern missbrauchte zusätzlich das Vertrauen dieser
Kameradin, möglicherweise deshalb, weil ihm bekannt war, dass ein von ihm
selbst vorgenommener Umtauschversuch in der Sonderkleiderkammer mangels
eigener Piloteneigenschaft oder angesichts der Vielzahl der Stiefel eher zum
Scheitern verurteilt gewesen wäre. Er nahm in Kauf, dass dadurch möglicher-
weise auch die Kameradin Vorwürfen ausgesetzt war und sich dafür rechtferti-
gen musste, dass sie „gestanzte“ und damit gegen neuwertige Stiefel nicht um-
tauschbare Stiefel der Sonderkleiderkammer vorgelegt hatte.
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Die Eigenart und Schwere des Fehlverhaltens sind vorliegend auch dadurch
gekennzeichnet, dass der Soldat aufgrund seines Dienstgrades als Bootsmann
in einem Vorgesetztenverhältnis stand (§ 1 Abs. 5 SG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 2
und Abs. 3 VorgV). Soldaten in Vorgesetztenstellung obliegt eine erhöhte Ver-
antwortung für die Wahrung dienstlicher Interessen (stRspr, vgl. u.a. Urteil vom
16. Oktober 2002 - BVerwG 2 WD 23.01, 32.02 -
in BVerwGE 117, 117 und Buchholz 236.1 § 13 SG Nr. 9>). Wegen seiner he-
rausgehobenen Stellung ist ein Vorgesetzter in besonderem Maße für die ord-
nungsgemäße Erfüllung seiner Dienstpflichten verantwortlich und unterliegt
damit im Falle einer Pflichtverletzung einer verschärften Haftung, da Vorgesetz-
te in ihrer Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben sollen (§ 10 Abs. 1
SG). Dabei ist nicht erforderlich, dass es der Soldat bei seinem Fehlverhalten
innerhalb eines konkreten Vorgesetztenverhältnisses an Beispielhaftigkeit hat
fehlen lassen (vgl. Scherer/Alff, SG, 8. Aufl. 2008, § 10 Rn. 3 m.w.N.). Es reicht
das Innehaben einer Vorgesetztenstellung aufgrund des Dienstgrades aus.
b) Das Dienstvergehen des Soldaten führte nach den getroffenen und den Se-
nat bindenden Feststellungen der Truppendienstkammer in seinen Auswirkun-
gen nicht nur zu einer Vermögensgefährdung (vgl. dazu Urteil vom 13. Februar
2008 - BVerwG 2 WD 5.07 - Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 3), sondern zu
einer - wenn auch nur kurzfristigen - tatsächlichen Schädigung des Vermögens
des Dienstherrn um 465,60 €. Der Umstand, dass der „Stiefeltausch“ nach Ent-
deckung der Tat wieder rückabgewickelt wurde und die Stiefel dem Gewahrsam
und damit dem Vermögen des Dienstherrn wieder zugeführt werden konnten,
macht die zunächst eingetretene Vermögensschädigung nicht ungeschehen.
Nach den Bekundungen der Zeugen K. und S. in der Hauptverhandlung vor der
Truppendienstkammer und des Zeugen Ka. in der Berufungshauptverhandlung
ist das Fehlverhalten des Soldaten in der Einheit - über die damit dienstlich un-
mittelbar befassten Personen hinaus - und in der Öffentlichkeit nicht bekannt
geworden. Personalwirtschaftliche Maßnahmen mussten nicht eingeleitet wer-
den.
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c) Für das Maß der Schuld des Soldaten fällt die vorsätzliche Begehensweise
ins Gewicht. Soweit die Verteidigung vorgebracht hat, der Soldat habe ohne
Vorsatz, allenfalls mit bedingtem Vorsatz gehandelt, stehen dem die den Senat
bindenden Feststellungen der Truppendienstkammer entgegen. Auch aufgrund
der Einlassungen des Soldaten in der Berufungshauptverhandlung ist ersicht-
lich, dass der Soldat die Tatbestandsvoraussetzungen kannte und deren Ver-
wirklichung auch wollte.
Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Soldat im Sinne des § 21 StGB
(analog) bei Tatbegehung nur vermindert schuldfähig war, liegen nicht vor.
Milderungsgründe in den Umständen der Tat, die die Schuld des Soldaten min-
dern würden, hat der Senat nicht feststellen können. Sie wären nach der stän-
digen Rechtsprechung des Senats (vgl. u.a. Urteile vom 18. Juni 1996
- BVerwG 2 WD 10.96 - BVerwGE 103, 343 <347> = Buchholz 235.0 § 34
WDO Nr. 15, vom 1. Juli 2003 - BVerwG 2 WD 51.02 - und vom 13. Juni 2006
- BVerwG 2 WD 1.06 -) nur dann gegeben, wenn die Situation, in der der betref-
fende Soldat versagt hat, von so außergewöhnlichen Besonderheiten gekenn-
zeichnet war, dass ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht
mehr erwartet und daher auch nicht vorausgesetzt werden konnte. Dafür fehlt
es vorliegend an jedem konkreten Anhaltspunkt. Insbesondere handelte es sich
entgegen der Ansicht der Verteidigung bei dem Fehlverhalten nicht um eine
einmalige persönlichkeitsfremde Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien
und im Dienst bewährten Soldaten (vgl. dazu u.a. Urteile vom 9. März 1995
- BVerwG 2 WD 1.95 -
Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 2>, vom 19. September 2001 - BVerwG 2 WD 9.01 -
NVwZ-RR 2002, 514 m.w.N., vom 1. April 2003 - BVerwG 2 WD 48.02 - und
vom 1. Juli 2003 - BVerwG 2 WD 51.02 -). Nach den getroffenen Feststellungen
ging der Soldat sehr planvoll vor. Vor dem Kauf der gebrauchten Stiefel bei
ebay erkundigte er sich bei dem Versorgungsunteroffizier der … Staffel des
M…geschwaders …, der Zeugin B., ob der geplante Umtausch gebrauchter
Stiefel ohne Probleme bei ihr möglich wäre. Über den Hintergrund seiner Frage
ließ er sie bewusst im Unklaren und verschwieg den geplanten Kauf der umzu-
tauschenden Stiefel. Erst als die Zeugin die Umtauschmöglichkeit bejahte, ging
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er an die Umsetzung seines Planes. Er hatte bis zur eigentlichen Tatbegehung
dann noch zumindest mehrere Tage zur Verfügung und damit hinreichend
Gelegenheit, sich über sein Verhalten und die Folgen seines Tuns klar zu
werden. Von einer „kopflosen“ Tat kann keine Rede sein.
Auch auf ein Mitverschulden von Vorgesetzten, insbesondere auf Mängel oder
ein Versagen der Dienstaufsicht (vgl. dazu u.a. Urteile vom 19. September 2001
- BVerwG 2 WD 9.01 -
Nr. 48>, vom 17. Oktober 2002 - BVerwG 2 WD 14.02 - Buchholz 236.1 § 12
SG Nr. 19 = NZWehrr 2003, 27, vom 13. März 2003 - BVerwG 1 WD 4.03 -
Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 2, vom 6. Mai 2003 - BVerwG 2 WD
29.02 -
235.01 § 107 WDO 2002 Nr. 1> und vom 13. Juni 2006 - BVerwG 2 WD 1.06 -),
kann sich der Soldat nicht berufen. Er wusste, dass er mit seinem Verhalten
eine Täuschung der für den „Umtausch“ der Stiefel zuständigen Personen/
Stellen bewirkte, was zu deren Vermögensverfügung und zu dem entspre-
chenden Vermögensschaden führte. Er bedurfte keiner Aufklärung über die
Rechtslage und über seine Pflichten durch seine Vorgesetzten.
Auch der Milderungsgrund einer „freiwilligen Wiedergutmachung vor
Entdeckung“ des Fehlverhaltens (vgl. dazu u.a. Urteile vom 9. März 1995
- BVerwG 2 WD 1.95 - BVerwGE 103, 217 = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 2 =
NZWehrr 1995, 161 und vom 19. Juli 1995 - BVerwG 2 WD 9.95 - BVerwGE
103, 265 <266 f.> = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 4 = NZWehrr 1996, 164) greift
ersichtlich nicht ein. Die Rückgabe der Stiefel erfolgte erst, nachdem seine
Betrugshandlung aufgefallen war und er hierzu aufgefordert wurde.
d) Die vom Senat festgestellten Beweggründe für das Dienstvergehen des Sol-
daten vermögen diesen nicht zu entlasten. Es hat dem Soldaten zwar nicht
nachgewiesen werden können, dass er nach dem „Umtausch“ der von ebay
erworbenen Stiefel diese mit Gewinn an Kameraden verkaufen wollte. Selbst
wenn er, wie er unwiderlegt geltend gemacht hat, vorhatte, die Stiefel an ver-
schiedene Kameraden zum Selbstkostenpreis (Kaufpreis und Versandkosten)
zu veräußern, handelte er ersichtlich eigennützig. Er wollte sich - wie er in der
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Berufungshauptverhandlung der Sache nach auch eingeräumt hat - gegenüber
seinen Kameraden als „cleverer Beschaffer“ in Szene setzen. Dabei hatte er
keine Hemmungen, zur Erreichung dieses Ziels straffällig zu werden. Soweit er
meint, er habe „doch nur aus Gutmütigkeit“ gehandelt, vermag ihn dies nicht zu
entlasten. Er hat in der Berufungshauptverhandlung nicht einmal näher an-
zugeben vermocht, ob Kameraden zuvor überhaupt mit einer konkreten Be-
schaffungsbitte an ihn herangetreten waren. Ebenso wenig hat er plastisch und
nachvollziehbar darlegen können, aus welchem Grund er die von ihm von ebay
erworbenen gebrauchten Stiefel, deren Zustand er als „gut“ bezeichnet hat,
nicht direkt zum Einkaufspreis seinen Kameraden zur Verfügung stellte, statt
sich auf kriminellem Wege neue Stiefel aus Bundeswehrbeständen zu beschaf-
fen und diese dann weit unter Wert zu verkaufen. Sein Vorbringen lässt jeden-
falls erkennen, dass er es offenbar für vertretbar hielt, „aus Gutmütigkeit“ Straf-
taten zu begehen.
e) Im Hinblick auf die Zumessungskriterien „Persönlichkeit“ und „bisherige Füh-
rung“ ist festzustellen, dass der Soldat während seiner Dienstzeit, insbesondere
auch vor seinen Pflichtverletzungen, überwiegend durchschnittliche dienstliche
Leistungen erbrachte. Den allgemeinen Teil des Unteroffizierlehrgangs an der
Marineunteroffizierschule in Plön bestand er am ... September 2003 mit der No-
te „befriedigend“. Den Unteroffizierlehrgang 2 als Laufbahnprüfung zum Boots-
mann vom ... Juli bis ... Oktober 2005 absolvierte er ebenso mit befriedigendem
Erfolg wie den Luftfahrzeugtechnischen Fachlehrgang. Nach dem Dienstverge-
hen erbrachte er dagegen nach der vorliegenden Beurteilung deutlich über-
durchschnittliche Leistungen, sodass in der am 13. November 2008 erstellten
Sonderbeurteilung seine „Aufgabenerfüllung auf dem/den Dienstposten“ mit
dem Durchschnittswert 7,00 beurteilt wurde. Ergänzend wird hierzu ausgeführt:
„Bootsmann H. ist ein junger Portepeeunteroffizier, der
ihm übertragene Aufgaben äußerst zügig und qualitativ
auf sehr hohem Niveau eigenständig erfüllt. Auf den kur-
zen Einschiffungen und während des Einsatzes hat er be-
wiesen, den besonderen psychischen und physischen Be-
lastungen während einer Einschiffung gewachsen zu sein
und dauerhaft sehr gute Arbeitsergebnisse zu liefern. Er
fügt sich problemlos in die Gemeinschaft eines Arbeits-
teams ein und steuert ausgesprochen gewinnbringende
Ideen für den Arbeitsprozess zu. Dabei nimmt er Anmer-
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kungen und Hinweise von älteren Kameraden bereitwillig
an, um sich selbst weiterzuentwickeln. Frühzeitig merkt er
eigene Vorschläge zur Verbesserung an und partizipiert
so entscheidend an der Auftragserfüllung. Bootsmann H.
zeigt für sein junges Lebensalter sehr gute Ansätze und
entwickelt sich sehr positiv. Sowohl innerhalb der Trieb-
werkwerkstatt als auch an Bord konnte er seine Fach-
kenntnisse sehr schnell eigenständig praktisch anwenden
und zeigt das Interesse sowie die Fähigkeit, sein Wissen
stetig auszubauen. Neue Anforderungen nimmt er bereit-
willig an und erfüllt auch diese.“
Das Persönlichkeitsprofil des Soldaten wird in dieser Sonderbeurteilung hin-
sichtlich der „Konzeptionellen Kompetenz“ als „weniger ausgeprägt“, hinsichtlich
der „Geistigen Kompetenz“ und der „Kompetenz in Menschenführung“ als „aus-
geprägt“ sowie hinsichtlich der „funktionalen Kompetenz“ und der „sozialen
Kompetenz“ jeweils als „stärker ausgeprägt“ beurteilt. Ergänzend wird ausge-
führt:
„Bootsmann H. ist ein verantwortungsbewusster, sehr en-
gagierter Portepeeunteroffizier, der trotz seines jungen
Lebensalters schon beachtliche Leistung zeigt. Er präsen-
tiert sich geistig wendig und flexibel. Kurzfristigen Neue-
rungen und Anforderungen steht er offen gegenüber und
nimmt sie als Herausforderungen bereitwillig an. Boots-
mann H. tritt unvoreingenommen und freundlich auf. In
Verbindung mit seinen guten Arbeitsergebnissen integriert
er sich so sehr schnell in seinen Kameradenkreis und trägt
mit seiner Art zum Erhalt der guten Stimmung und Motiva-
tion entscheidend bei. Dies ist vor allem an Bord sehr
wichtig und hilfreich. Die Besonderheiten des Soldatenbe-
rufs kennt Bootsmann H. und hat dies vor allem bei den
gesonderten Anforderungen im UNIFIL-Einsatz über län-
gere Zeit unter Beweis gestellt. Die Eigenschaft, auf Neue-
rungen bereitwillig zuzugehen, Hinweise anzunehmen, in
Verbindung mit Fleiß und Leistungswillen, bildet ein soli-
des Fundament für eine positive Entwicklung zu einem
leistungsstarken Portepeeunteroffizier. Für eine Abrun-
dung seines Leistungsbildes sollte Bootsmann H. sein
Führungsverhalten noch stärker ausprägen. Gelingt ihm
dies, wird er sich mit zunehmender Erfahrung sehr schnell
in der Leistungsspitze seiner Dienstgradgruppe etablie-
ren.“
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Der nächsthöhere Vorgesetzte stimmte dieser Beurteilung uneingeschränkt zu
und führte ergänzend aus:
„Bootsmann H. ist ein agiler und souverän auftretender
Portepeeunteroffizier. Er vermag das Erlernte und die ge-
sammelte Erfahrung hervorragend in Einklang zu bringen
und überzeugt durch Fachkompetenz und die Bereitschaft,
Verantwortung zu übernehmen. Er ist kameradschaftlich
sowie hilfsbereit und daher anerkannt und beliebt. Boots-
mann H. besitzt klar erkennbar eine hohe soziale Kompe-
tenz und hält dennoch bei Führungsaufgaben die nötige
Distanz. ...
Bootsmann H. verfügt noch über deutliches Leistungspo-
tenzial. Sollte er seine stetig positive Leistungsentwicklung
weiterhin fortsetzen, reift hier ein besonders leistungsstar-
ker und vielseitig einsetzbarer Portepeeunteroffizier heran.
Daher halte ich eine Entwicklungsprognose bis zur allge-
meinen Laufbahnperspektive für gerechtfertigt.“
Für diese positive Entwicklung im Leistungsbild und im dienstlichen Verhalten
des Soldaten spricht auch, dass Kapitänleutnant S., der Staffelchef und nächste
Disziplinarvorgesetzter des Soldaten seit Dezember 2007, als Leumundszeuge
in der Hauptverhandlung vor der Truppendienstkammer bekundet hat, dieser
sei als Angehöriger der Triebwerkwerkstatt ein zuverlässiger und engagierter
Fachmann, den er leistungsmäßig an der Spitze des oberen Drittels der ihm
unterstehenden Vergleichsgruppe einordne. Der Soldat habe „ein Auge für Ar-
beit“, insbesondere liege ihm die Flugsicherheit am Herzen. Er geriere sich sehr
kameradschaftlich und sei in das Unteroffizierkorps integriert. Auswirkungen
negativer Art wegen des dem Soldaten vorgeworfenen Fehlverhaltens habe er
in seiner Einheit nicht feststellen können. Mit dem Soldaten habe er einen fach-
lich wie menschlich kompetenten und engagierten Mitarbeiter in seinen Reihen,
dessen Beitrag er schwerlich missen wolle. Auch der in der Hauptverhandlung
vor der Truppendienstkammer vernommene weitere Leumundszeuge Kapitän-
leutnant K., der ehemalige Staffelchef und nächste Disziplinarvorgesetzter des
Soldaten von Oktober 2007 bis Ende November 2007, hat die Führung und die
Persönlichkeit des Soldaten positiv beurteilt. Er hat bekundet, er habe den Sol-
daten als anfänglich zurückhaltenden, dann aber als zunehmend agil und aktiv
werdenden Portepeeunteroffizier erlebt. Seine anspruchsvolle Arbeit habe er
sehr gut erledigt. Im Vergleich zu den ca. 15 Triebwerkmeistern habe der Soldat
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mit seinen fachlichen Leistungen im ersten Drittel rangiert. Der Soldat habe in
seinen dienstlichen Leistungen trotz des gegen ihn eingeleiteten Verfahrens
nicht nachgelassen; im Gegenteil habe er in seiner Arbeitsqualität noch zuge-
legt. Er könne das konstatieren, weil er, der Zeuge, aufgrund seiner Verwen-
dung ab Dezember 2007 als Technischer Offizier der Staffel mit dem Soldaten
täglich Kontakt habe.
Ein positives Beurteilungsbild ergibt sich auch aus den Bekundungen des in der
Berufungshauptverhandlung als Leumundszeugen vernommenen Korvettenka-
pitäns Ka., der während zweier Auslandseinsätze (UNIFIL und ATALANTA) in
den Jahren 2008 und 2009 direkten dienstlichen Kontakt mit dem Soldaten hat-
te. Er hat ihn als zurückhaltenden, gründlichen und zuverlässigen Soldaten ge-
schildert, der seines Wissens nie negativ aufgefallen sei. Bei der Erfüllung sei-
ner dienstlichen Aufgaben sei der Soldat motiviert und durchweg verlässlich
gewesen. Wegen seiner großen Fachkenntnisse und seiner Vertrauenswürdig-
keit wäre eine anderweitige Verwendung ein „Verlust für die Einheit“.
Der Senat hat keine Veranlassung, an der inhaltlichen Richtigkeit der vorge-
nannten Bekundungen dieser Leumundszeugen zu zweifeln.
f) Eine Gesamtwürdigung der für und gegen den Soldaten sprechenden Ge-
sichtspunkte rechtfertigt nach der Überzeugung des Senats keine Abänderung
der von der Truppendienstkammer ausgesprochenen Herabsetzung des
Dienstgrades. Die ansprechenden dienstlichen Leistungen des Soldaten und
seine Nachbewährung gestatten es jedoch, die Frist für eine Wiederbeförde-
rung auf zwei Jahre zu verkürzen.
Bei der konkreten Maßnahmebemessung geht der Senat in seiner gefestigten
Rechtsprechung von einem zweistufigen Prüfungsschema aus.
Auf einer „ersten Stufe“ bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbe-
handlun sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen
Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit eine Regelmaßnahme für die in Rede
stehende Fallgruppe als „Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen“.
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Im vorliegenden Fall ist auf dieser „ersten Stufe“ für Fälle des (vorsätzlichen)
Zugriffs auf das Eigentum oder Vermögen des Dienstherrn nach der Rechtspre-
chung des Senats Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen grundsätzlich
eine Dienstgradherabsetzung. Über das konkrete Ausmaß der Degradierung
(oder ggf. auch über eine geringere gerichtliche Disziplinarmaßnahme) ist aller-
dings erst auf der „zweiten Stufe“ der Prüfung unter Berücksichtigung aller Um-
stände des Einzelfalles nach Maßgabe der Kriterien deszu
entscheiden. Handelt es sich freilich um einen (vorsätzlichen) Zugriff auf dienst-
liches Eigentum oder Vermögen, das dem/der Angeschuldigten zur Verwaltung
oder Verwahrung anvertraut war, liegt ein so schweres Dienstvergehen vor,
dass dann Ausgangspunkt der Zumessungserwägung regelmäßig nicht die De-
gradierung, sondern die disziplinare Höchstmaßnahme ist (Entfernung aus dem
Dienst; Aberkennung des Ruhegehalts). Ein solches „Anvertrautsein“ ist dann
gegeben, wenn der betreffende Soldat zum Tatzeitpunkt eine besondere dienst-
liche Schutz- und Verwendungspflicht hinsichtlich des (entwendeten) Materials
hatte. Dies setzt die Hingabe oder das Belassen der Sache durch den Eigentü-
mer oder sonst Berechtigten zum Verwalten/Verwenden in dem Vertrauen vor-
aus, der Besitzer werde mit der ihm überlassenen Sache ausschließlich im Sin-
ne des Anvertrauenden verfahren, sie also nur in seinem Sinne aufbewahren,
verwenden und sie schützen (z.B. Zahlstellenverwalter, Rechnungsführer, Ver-
walter einer Waffenkammer oder eines Materialbereichs). Allein die Möglichkeit
des Zugriffs auf die (entwendeten) Gegenstände reicht für eine diesbezügliche
Feststellung des Anvertrautseins jedoch nicht aus.
Ein Fall des „Anvertrautseins“ liegt hier nicht vor. Denn der Soldat hatte an den
Stiefeln vor der Tat weder Gewahrsam noch in Bezug auf sie eine besondere
dienstliche Verwahrungs-, Schutz- oder Betreuungspflicht.
Auf einer „zweiten Stufe“ war sodann zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im
Hinblick auf die innormierten Bemessungskriterien Umstände
vorliegen, die die Möglichkeit einer - bei erschwerenden Umständen - Verschär-
fung oder - bei erheblichen Entlastungsgründen - einer Milderung (gegenüber
der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme) eröffnen. Da-
bei ist vor allem hinsichtlich der „Eigenart und Schwere“ sowie der „Auswirkun-
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gen“ des Dienstvergehens zu klären, ob es sich um einen schweren, mittleren
oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer
(„durchschnittlicher Fall“), sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad
vor, ist gegenüber der Regeleinstufung (=„Ausgangspunkt der Zumessungser-
wägungen“) die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach „oben“ bzw. nach
„unten“ zu modifizieren. Bei den „Auswirkungen“ des Fehlverhaltens sind die
konkreten Folgen für den Dienstbetrieb (insbesondere die weitere Verwendbar-
keit des Soldaten, Rückwirkungen auf Vorgesetzte und Untergebene, negative
personalwirtschaftliche Konsequenzen) sowie schädliche Weiterungen für das
Außenbild der Bundeswehr in der Öffentlichkeit zu berücksichtigen. Hinsichtlich
des Zumessungskriteriums „Maß der Schuld“ prüft der Senat neben der Bege-
hungsform (Vorsatz, Fahrlässigkeit) und der Schuldfähigkeit
analog) das Vorliegen von Erschwerungs- und Milderungsgründen in den Um-
ständen der Tat.
Nach diesen Kriterien ist hier von einem Fall durchschnittlichen Zuschnitts aus-
zugehen, der keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Modifizierung des zu
verhängenden Disziplinarmaßes nach „oben“ oder nach „unten“ bietet, so dass
es bei der Regelmaßnahme einer Herabsetzung des Dienstgrades um eine Stu-
fe verbleibt.
Soweit der Senat in seiner neueren Rechtsprechung (Urteil vom 13. Februar
2008 - BVerwG 2 WD 9.07 -
§ 58 WDO 2002 Nr. 4>) die früher vertretene Ansicht (vgl. dazu u.a. Urteile vom
25. Oktober 1995 - BVerwG- BVerwGE 103, 275 = Buchholz 236.1
§ 7 SG Nr. 6 = NZWehrr 1996, 33, vom 28. Februar 1996 - BVerwG 2 WD
4.96 - und vom 23. April 1997 - BVerwG- Buchholz 235.0 § 34
WDO Nr. 29) aufgegeben und sich nunmehr der Rechtsprechung des - für das
Beamtendisziplinarrecht zuständigen - 1. Disziplinarsenats des Bundesverwal-
tungsgerichts (vgl. Urteil vom 24. November 1992 - BVerwG -
BVerwGE 93, 314) angeschlossen hat, wirkt sich dies vorliegend nicht zu Guns-
ten des Soldaten aus.
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Die in dieser Rechtsprechung angenommene „Bagatellgrenze“ greift hier schon
deshalb nicht ein, weil der Wert der vom Soldaten über die Zeugin B. bei der
Sonderkleiderkammer in N. erschwindelten fünf neuwertigen Stiefelpaare mit
ca. 465 € deutlich darüber liegt.
Die von der Truppendienstkammer ausgesprochene Herabsetzung des Dienst-
grades ist aus spezialpräventiven Gründen geboten. Bei der Beurteilung der
Persönlichkeit des Soldaten hat der Senat feststellen können, dass dieser zwar
sein Fehlverhalten, insbesondere dessen disziplinarrechtliche Folgen, glaubhaft
bedauert. Hinreichend mit den Gründen und Ursachen seines kriminellen Han-
delns auseinandergesetzt hat sich der Soldat jedoch bislang nicht. Insbesonde-
re hat er sich nicht im notwendigen Maße der Frage gestellt, wie er auch heute
noch zu der Schlussfolgerung kommen kann, er habe ausschließlich aus „Gut-
mütigkeit“ gehandelt. Es fehlt bei dem Soldaten erkennbar an einem hinrei-
chend kritischen Blick für seine in seinem Fehlverhalten und in der von ihm da-
für gegebenen Rechtfertigung offenbar gewordenen persönlichkeitsbedingten
Neigung, selbst vor kriminellen Handlungen nicht zurückzuschrecken, wenn es
darum geht, sich gegenüber anderen als (scheinbar) „clever“ und „gewieft“ in
Szene zu setzen. Das macht eine nachdrückliche Pflichtenmahnung unabding-
bar.
Auch generalpräventive Gründe sprechen für die Verhängung einer nach außen
sichtbaren gerichtlichen Disziplinarmaßnahme, um jeden Eindruck einer Baga-
tellisierung des Dienstvergehens zu vermeiden.
Allerdings hat es das Truppendienstgericht versäumt, gemäß § 62 Abs. 2
Satz 2 WDO bei der Herabsetzung des Soldaten in den Dienstgrad eines
Obermaaten, der in zwei Besoldungsgruppen (A 6 und A 7) aufgeführt ist, zu-
sätzlich auch die Besoldungsgruppe zu bestimmen. Dies war durch den Senat
nachzuholen. Da dem Urteil des Truppendienstgerichts auch in der Begründung
kein Hinweis auf den beabsichtigten Umfang der Dienstgradherabsetzung zu
entnehmen war, ist der Senat wegen des Verschlechterungsverbots (§ 91
Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 Abs. 1 StPO) zu Gunsten des Soldaten von
einer Herabsetzung nur in die Besoldungsgruppe A 7 ausgegangen.
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Die Entscheidung über die Verkürzung der Frist für eine Wiederbeförderung
beruht auf § 62 Abs. 3 Satz 2 WDO. Maßgebend dafür war vor allem, dass sich
der Soldat nach den vom Senat - auf der Grundlage insbesondere der Sonder-
beurteilung vom 13. November 2008 und der Bekundungen der Leumundszeu-
gen S., K. und Ka. - getroffenen Feststellungen im Dienst deutlich positiv nach-
bewährt hat.
Da die Berufung des Soldaten im Kern keinen Erfolg hat, hat er gemäß § 139
Abs. 2 WDO die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Die ihm erwach-
senen notwendigen Auslagen ganz oder teilweise dem Bund aufzuerlegen,
kommt gemäß § 140 Abs. 5 Satz 2 WDO nicht in Betracht.
Golze
RiBVerwG Dr. Müller
Dr. Deiseroth
ist wegen Urlaubs gehindert,
seine Unterschrift beizufügen.
Golze
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