Urteil des BVerwG vom 21.09.2005

Soldat, Leistungsprämie, Kaserne, Kompanie

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
Im Namen des Volkes
Urteil
BVerwG 2 WD 24.04
TDG N 8 VL 5/04
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
gegen
,
...,
..., ...,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen
Hauptverhandlung am 21. September 2005, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier als Vorsitzender,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Oberst i.G. Braun,
Oberstleutnant Trautermann
als ehrenamtliche Richter,
Leitender Regierungsdirektor ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ...
als Verteidiger,
Justizangestellte ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Berufung des Wehrdisziplinaranwalts gegen das Urteil der
8. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 16. Juni 2004
wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens und die dem Soldaten
darin erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund
auferlegt.
G r ü n d e
I
Der 51 Jahre alte Soldat wurde nach bestandenem Abitur aufgrund seiner
Bewerbung als Offizieranwärter für die Laufbahn der Offiziere des Truppendienstes
am 1. Juli 1974 zum II./L...regiment ... in R. einberufen. Seine Berufung in das
Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit erfolgte am 4. Juli 1974. Am 4. April 1979
wurde ihm die Eigenschaft eines Berufssoldaten verliehen.
Er nahm am 29. September 1975 an der Hochschule der Bundeswehr in München
das Studium der Elektrotechnik auf und legte am 23. Oktober 1978 erfolgreich die
Diplomprüfung ab; der akademische Grad „Diplom-Ingenieur“ wurde ihm am 26.
Oktober 1978 verliehen. Ab 1979 war er bei der T... Schule in E. zunächst als
Radarleitoffizier und später als Kompaniechef einer Geräteausbildungseinheit
eingesetzt. Vom 16. April bis 19. Juli 1985 besuchte er an der Führungsakademie
der Bundeswehr in Hamburg den Laufbahnlehrgang der Fortbildungsstufe C, den er
„befriedigend“ bestand. Ab dem 1. November 1992 war er als P...stabsoffizier im A...
in O. tätig. Zum 1. April 1995 wurde er zum Stab R...abteilung ... nach C. auf den
Dienstposten des stellvertretenden Abteilungskommandeurs versetzt. Vom 1.
Oktober 1996 bis Ende 1999 war er als R...stabsoffizier bei der Gruppe zur W... an
der R...schule in E. eingesetzt. Am 1. Januar 2000 wurde er Abteilungskommandeur
der R...abteilung ... in A. Wegen der Vorgänge, die Gegenstand des gerichtlichen
Disziplinarverfahrens sind, wurde er zum 3. April 2002 zum L... in K. kommandiert
und später dorthin versetzt. Bis zum 31. Juli 2003 war er in der Abteilung
Weiterentwicklung
und Inspizierungen Luftwaffe eingesetzt, danach als
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P...stabsoffizier und Beauftragter „Ü...“ in der Abteilung L... sowie als Beauftragter für
die Fähigkeitslage.
Er wurde regelmäßig befördert, zuletzt mit Wirkung vom 1. Oktober 1993 zum
Oberstleutnant. In eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 15 wurde er mit Wirkung
vom 1. Mai 2000 eingewiesen.
In seiner letzten planmäßigen Beurteilung vom 1. März 2001 als Kommandeur der
R...sabteilung ... erhielt der Soldat in den Einzelmerkmalen hinsichtlich
„Einsatzbereitschaft“ und „Eigenständigkeit“ die Wertung
„7“, bezüglich
„Fürsorgeverhalten“ und „Ausdruck“ die Wertung „5“. Alle anderen Einzelmerkmale
wurden mit der Stufe „6“ bewertet. Unter „Eignung und Befähigung“ wurden sein
„Verantwortungsbewusstsein“ und seine „Befähigung
zur Einsatz-
und
Betriebsführung“ mit der Wertung „E“ als sehr stark ausgeprägt hervorgehoben.
„Geistige Befähigung“ sowie „Eignung zur Menschenführung/Teambefähigung“
wurden mit „D“ bewertet.
Der Soldat wird als eine lebenserfahrene und lebensfrohe Persönlichkeit
beschrieben, die von hohem Pflichtgefühl und ausgeprägtem
Verantwortungsbewusstsein bestimmt werde. Gestützt auf soldatische Grundsätze,
eigene feste Wertvorstellungen und charakterliche Integrität identifiziere er sich mit
Beruf und Aufgabe und habe erkennbar Freude daran. Mit gesundem Ehrgeiz, auf
hohe Fachkompetenz gründendem Selbstbewusstsein und einer tatkräftigen
zielgerichteten Vorgehensweise agiere er mit großer Selbständigkeit, Umsicht sowie
Handlungs- und Planungssicherheit. Schwungvoll und ideenreich verfolge er als
richtig erkannte Ziele auf mitreißende Weise und lasse dabei Beharrlichkeit,
Zähigkeit und Willensstärke erkennen. Aufgrund seiner hilfsbereiten und
kameradschaftlichen Art und seines feinen Humors genieße er allgemeine
Wertschätzung. Er überzeuge sowohl als militärischer Führer als auch als
einsatzorientierter Fachmann oder innovativer, zukunftsorientierter „Vordenker“.
Dieser Auffassung hat sich in der Hauptverhandlung vor dem Truppendienstgericht
auch der damalige Disziplinarvorgesetzte, Oberst i.G. W., als Leumundszeuge
angeschlossen. Er sei auch während der gesamten Zeit der Zugehörigkeit des
Soldaten zur R...schule dessen Disziplinarvorgesetzter gewesen und verfüge somit
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über fundierte Kenntnisse zu seiner Person. Er habe noch nie erlebt, dass ein
Offizier durchweg von den Lehrgangsteilnehmern eine solch positive Kritik erhalten
habe, wie sie dem Soldaten in E. zu Teil geworden sei. Er habe sich an der Schule
einen hervorragenden Ruf erworben. Auch während seiner Zeit als stellvertretender
Kommandeur in C. sei der Soldat Vorbild gewesen und sei mit seiner gesamten
Familie an den Standort gezogen. Als ihm mitgeteilt worden sei, dass der Soldat
wegen disziplinarer Ermittlungen von seinem Dienstposten abgelöst werden soll,
habe er dieses nicht glauben können und habe spontan gesagt, er würde für den
Soldaten „seine Hand ins Feuer legen“.
In der Sonderbeurteilung vom 17. September 2004 erhielt der Soldat viermal die
Wertung „7“ und zwölfmal die Wertung „6“, wobei die Wertung „Dienstaufsicht“ vom
nächsthöheren Vorgesetzten von „7“ auf „6“ heruntergesetzt wurde. Bei „Eignung
und Befähigung“ wurden ihm für „Verantwortungsbewusstsein“ die Wertung „D“, bei
allen anderen Kategorien die Wertung „E“ zuerkannt. Unter „herausragende
charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches Selbstverständnis, Bewährung
im Einsatz und ergänzende Aussagen“ heißt es:
„Im Unterstellungszeitraum hat OTL ... seine ausgeprägte und
beispielhafte Leistungsbereitschaft sowie Zuverlässigkeit eindrucksvoll
unter Beweis gestellt. Er ist ein Berufsoffizier aus innerer Überzeugung,
der insbesondere bei hoher dienstlicher Belastung durch seine
ausgeglichene und souveräne Ausstrahlung und weit
überdurchschnittliche Einsatzbereitschaft auffällt, die ihm auch im
besonderen Maße das Vertrauen von Mitarbeitern und die Anerkennung
durch Vorgesetzte sichern.
Seine sehr rasche Auffassungsgabe und sein treffsicherer, analytischer
Sachverstand, gepaart mit ausgesprochen hoher Eigenständigkeit und
vorbildlichem Verantwortungsbewusstsein, sind Grundlage seiner stets
ansprechenden, sachgerechten und praktikablen Lösungsvorschläge für
Aufgaben und Probleme.“
Für Stabs- und Lehrverwendungen hielt der Beurteilende den Soldaten für
„besonders geeignet“. Der nächsthöhere Vorgesetzte stimmte der sehr guten
Beurteilung weitgehend zu. Er äußerte sich dahingehend, dass der Soldat mit einem
hohen Maß an Engagement seine bisher erworbene ausgezeichnete fachliche
Expertise in vollem Umfang in der Abteilung L... einbringe. In einer frischen
zupackenden Art arbeite er zielgerichtet, kooperativ und ausdauernd in der Analyse-
und Realisierungsphase von Rüstungsprojekten. Er zeige darüber hinaus seine
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deutlich ausgeprägte Fähigkeit, in übergeordneten Kategorien zu denken und
planerisch tätig zu sein. Sein Auftreten als Offizier und Kamerad sei beispielhaft.
Dem Soldaten wurde am 4. März 1988 und am 11. Juli 1996 jeweils eine mit der
Gewährung von Sonderurlaub verbundene förmliche Anerkennung wegen
vorbildlicher Pflichterfüllung erteilt.
Er ist berechtigt, das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold und das
Leistungsabzeichen in Silber zu tragen. Zur Vollendung einer Dienstzeit von 25
Jahren erhielt er am 1. Juli 1999 eine Dankurkunde des Bundesministers der
Verteidigung, verbunden mit einer Jubiläumszuwendung in Höhe von 600 DM.
Der Soldat ist ausweislich der Auskunft aus dem Zentralregister vom 27. Juli 2004
strafrechtlich nicht vorbelastet. Der Disziplinarbuchauszug vom 24. September 2004
weist keine disziplinare Maßregelung aus.
Der Soldat ist verheiratet und hat zwei volljährige Töchter. Ausweislich der
Bescheinigung der Wehrbereichsverwaltung Süd - Gebührniswesen - vom 26. Juli
2004 erhält er Dienstbezüge aus der 11. Dienstaltersstufe der Besoldungsgruppe A
15 in Höhe von 5 094,39 € brutto und einschließlich Kindergeld 4 387,82 € netto.
II
Das mit Anschuldigungspunkt 3 sachgleiche Strafverfahren gegen den Soldaten
wegen Verdachts der Untreue - 6 Cs 122 Js 13807/02 (407/03) - wurde in öffentlicher
Sitzung des Amtsgerichts A. am 4. September 2003 unter der Auflage, einen
Geldbetrag von 500 € an das Technische Hilfswerk, Ortsverband A., - Litauenhilfe -
zu zahlen, gemäß § 153a Abs. 2 StPO vorläufig und nach Erfüllung der Auflage am
6. Oktober 2003 endgültig eingestellt.
In dem mit Verfügung des Kommandeurs der 4. Luftwaffendivision vom 14. März
2002 ordnungsgemäß eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren legte der
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Wehrdisziplinaranwalt dem Soldaten in der Anschuldigungsschrift vom 3. März 2004
folgendes Verhalten als schuldhafte Verletzung seiner Dienstpflichten zur Last:
„1. Der Soldat bescheinigte als damaliger Standortältester A. ohne
ordnungsgemäße Prüfung und der Tatsachenlage zuwider am 25.
Oktober 2000 Oberst i.G. V., der ohne Zusage der Erstattung der
Umzugskosten mit Dienstantritt am 02. Oktober 2000 zum Kommando
L...division in A. als Chef des Stabes versetzt worden war, auf dessen
Wunsch, dass ihm in der B.-Kaserne in A. auf Dauer keine amtliche
,
unentgeltliche Unterkunft zur Verfügung stehe, obwohl im Block 23 der
B.-Kaserne zum damaligen Zeitpunkt insgesamt fünf Oberst i.G. V.
zumutbare amtliche, unentgeltliche Unterkünfte vorhanden waren, was
der Soldat hätte erkennen können und müssen. Aufgrund dieser
objektiv unrichtigen Bescheinigung gewährte die Truppenverwaltung
der R...abteilung ... Oberst i.G. V. zu Unrecht ein überhöhtes
Trennungsgeld.
2. Der Soldat verhinderte es pflichtwidrig als verantwortlicher höherer
Disziplinarvorgesetzter, den Schadensfall 15/01 der T... Kompanie ...
(Vermögensschaden des Bundes wegen der durch Frau F. gegenüber
der T... Kompanie ... geltend gemachten Mietausfallforderung in Höhe
von 900,00 DM) nach den Schadensbestimmungen (VMBl 1980 S. 546
ff
.
) abzuwickeln.
3. Der Soldat gewährte als damaliger Kommandeur der R...abteilung ...
dem damaligen Hauptfeldwebel B., damals R... T... Kompanie ..., H.,
am 28. Juni 2001 rechtsmissbräuchlich und pflichtwidrig eine
Leistungsprämie über 1.500,00 DM, ohne dass hierfür in dem
Leistungsbild des damaligen Hauptfeldwebels B. ‚eine herausragende
besondere Einzelleistung’ erkennbar war, zu dem Zweck, zumindest in
dem Wissen, dass der damalige Hauptfeldwebel B. aus der ihm zu
Unrecht gewährten Leistungsprämie die in Höhe von 900,00 DM von
Frau F. gegenüber der T... Kompanie ... geltend gemachten
Mietausfallkosten bezahlte. Der damalige Hauptfeldwebel B. leistete
daraufhin am 10. Juli 2001 900,00 DM an Frau F.
4. Der Soldat erklärte am 22. Januar 2002 in A., B.-Kaserne, in seinem
damaligen Dienstzimmer der Wahrheit zuwider und wider besseren
Wissens seinem damaligen Disziplinarvorgesetzten, dem
Kommandeur des R...regiments ..., Oberst G., auf dessen
entsprechende Frage im Beisein des S 4 des R...regiments ...,
Oberstleutnant R., dass Frau F. auf ihre Mietausfallkosten in Höhe von
900,00 DM verzichtet habe und dass keine Zahlungen dieserhalb an
Frau F. geleistet worden seien.“
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Unter Verzicht auf die Einlassungsfrist seitens der Verteidigung fasste der
Wehrdisziplinaranwalt den
Punkt
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der Anschuldigungsschrift in der
Hauptverhandlung
vor dem Truppendienstgericht
durch
folgende
Nachtragsanschuldigung neu:
„4. Der Soldat erklärte am 22. Januar 2002 in A., B.-Kaserne, in seinem
damaligen Dienstzimmer seinem damaligen Disziplinarvorgesetzten,
dem Kommandeur des R...regiments ..., Oberst G., auf dessen
entsprechende Frage im Beisein des S 4 des R...regiments ..., dass
Frau F. auf ihre Mietausfallkosten in Höhe von 900,00 DM verzichtet
habe und dass keine Zahlungen dieserhalb an Frau F. geleistet
worden seien, obwohl er zumindest hätte wissen müssen und können,
dass die von Frau F. geltend gemachte Forderung durch Zahlung
eines Betrages von 900,00 DM an sie beglichen worden war.“
Die 8. Kammer des Truppendienstgerichts Nord verurteilte den Soldaten mit Urteil
vom 16. Juni 2004 wegen eines Dienstvergehens zu einer Disziplinarbuße in Höhe
von 800 €. Sie sah den in der Nachtragsanschuldigung (Anschuldigungspunkt 4)
geschilderten Sachverhalt als erwiesen an und würdigte das Verhalten als Verstoß
gegen die Wahrheitspflicht (§ 13 Abs. 1 SG) und gegen die Pflicht zu achtungs- und
vertrauenswürdigem Verhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG), insgesamt als ein
Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 SG.
Von den übrigen Anschuldigungspunkten stellte die Kammer den Soldaten frei.
Hinsichtlich des Anschuldigungspunktes 1 sei ihm kein fahrlässiges Fehlverhalten
vorzuwerfen, da er mit der Einschaltung des zuständigen Kasernenfeldwebels unter
Beteiligung des Kasernenoffiziers der ihm auferlegten Sorgfaltspflicht
nachgekommen sei. Aus seiner Sicht habe die Ausstellung der geforderten
Bescheinigung angesichts des drängenden Verhaltens des Oberst i.G. V. und
aufgrund der unvollständigen Darstellung des Kasernenfeldwebels, der die
Bedenken des Kasernenoffiziers nicht an den Soldaten weitergab, seine Richtigkeit
gehabt. Eine Pflicht zu weiteren Ermittlungen habe er unter den gegebenen
Umständen nicht gehabt; er sei auch nicht in der Lage gewesen, den wahren
Sachverhalt zu erkennen.
Die in den Anschuldigungspunkten 2 und 3 vorgeworfenen Sachverhalte sah die
Kammer als nicht erwiesen an. Zwar sprächen eine Reihe von Indizien für die
Richtigkeit der Anschuldigungen, jedoch habe die Kammer letztlich nicht die gemäß
§ 91 Abs. 1 WDO i.V.m. § 261 StPO erforderliche Gewissheit gewinnen können,
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dass der Soldat insoweit ein Dienstvergehen begangen habe. Der Umstand, dass
sich die Zeugen Hauptmann a.D. U. und Stabsfeldwebel Bu. bei ihren Aussagen in
der Hauptverhandlung nicht mehr in dem Maße sicher gewesen seien wie zuvor,
habe zur Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ und damit zur Freistellung
geführt.
Zur Maßnahmebemessung hat die Truppendienstkammer im Wesentlichen
ausgeführt, dass das Dienstvergehen von derartiger Relevanz sei, dass trotz der
bereits bezahlten Auflage im teilweise sachgleichen Strafverfahren eine weitere
Pflichtenmahnung unerlässlich sei. Die Wahrheitspflicht gehöre immerhin zum
Kernbereich des militärischen Pflichtenkatalogs. Erschwerend seien der hohe
Dienstgrad des Soldaten sowie der Umstand zu berücksichtigen gewesen, dass es
seinen Disziplinarvorgesetzten gerade darauf angekommen sei, in diesem Punkt die
Wahrheit zu erfahren. Mildernd wurden seine bisherige tadelfreie Führung und sein
berufliches Selbstverständnis, das kaum besser sein könne, gewertet. Insgesamt sah
die Kammer in dem Dienstvergehen die erstmalige Entgleisung eines hoch
qualifizierten, bewährten und mit hoher Berufsauffassung ausgestatteten
Stabsoffiziers, der auch mit einer einfachen Disziplinarmaßnahme hinreichend
beeindruckt werden könne, um zukünftig von ihm pflichtgemäßes Verhalten erwarten
zu können. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf das Urteil Bezug
genommen.
Gegen dieses dem Wehrdisziplinaranwalt am 13. Juli 2004 und dem Soldaten am 15.
Juli 2004 zugestellte Urteil hat der Wehrdisziplinaranwalt mit Schreiben vom 28. Juli
2004, eingegangen beim Truppendienstgericht Nord am 29. Juli 2004, Berufung zu
Ungunsten des Soldaten eingelegt. Er hat den Antrag gestellt, das Urteil aufzuheben
und den Soldaten zu einer Herabsetzung in die Besoldungsgruppe A 14 zu
verurteilen.
Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, dass den Tat- und
Schuldfeststellungen sowie der rechtlichen Würdigung durch das
Truppendienstgericht nicht gefolgt werden könne.
Der zu Anschuldigungspunkt 1 aufgrund der Beweisaufnahme festgestellte
Sachverhalt entspreche nicht den von derselben Truppendienstkammer im
rechtskräftigen Urteil vom 22. November 2001 - N 8 VL 23/01 - gegen Oberst i.G. V.
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getroffenen tatsächlichen Feststellungen hinsichtlich der Erteilung einer
Bescheinigung durch den Soldaten. Während dort die Beweisaufnahme ergeben
habe, dass Oberst i.G. V. keinen Eindruck vermittelt habe, dass die
Voraussetzungen für die Ausstellung der Bescheinigung bereits durch den
Kasernenkommandanten, Oberstleutnant Ra., geprüft worden seien, habe die
Kammer im Verfahren gegen den Soldaten festgestellt, Oberst i.G. V. habe „die
Situation sofort bedenkenlos ausgenutzt“, indem er zumindest den Eindruck nicht
korrigiert habe, er sei im Begriff, eine bereits vorhandene Bescheinigung abzuholen.
Auch habe die Kammer unzutreffenderweise festgestellt, Oberst i.G. V. habe dem
Soldaten einen Sachverhalt „suggeriert“ und ein „drängendes Verhalten“ gezeigt, so
dass der Soldat „nicht im Stande“ gewesen sei, den wahren Sachverhalt zu
erkennen. Die in dem Urteil gegen Oberst i.G. V. getroffenen tatsächlichen
Feststellungen zum Sachverhalt und zur Beweiswürdigung hätte die Kammer im
Verfahren gegen den Soldaten gemäß § 84 Abs. 2 WDO ihrer Entscheidung ohne
nochmalige Prüfung nicht nur zugrunde legen können, sondern auch müssen, um
widersprüchliche und nicht der Tatsachenlage hinsichtlich eines identischen
Sachverhalts entsprechende Feststellungen durch dieselbe Kammer zu vermeiden.
Im Übrigen sei in rechtlicher Hinsicht der von der Kammer bei der Ausstellung von
Bescheinigungen durch einen Standortältesten zu beachtende Sorgfaltsmaßstab als
zu gering angesetzt angesehen worden; von einem Oberstleutnant in dieser
herausragenden Dienststellung (Besoldungsgruppe A 15) sei ein äußerst hohes Maß
an Sorgfaltspflicht bei einer solchen Entscheidung mit weit reichenden finanziellen
Folgen zu Lasten des Dienstherrn zu verlangen.
Auch der Beweiswürdigung der Kammer zu den Anschuldigungspunkten 2 und 3
könne nicht gefolgt werden. Die von ihr den Aussagen der Hauptbelastungszeugen
Hauptmann a.D. U. und Stabsfeldwebel Bu. entnommenen Zweifel seien nicht
angebracht, da keine Anhaltspunkte dafür gegeben seien, dass die
widerspruchsfreien, klaren und deutlich wiederholten Aussagen falsch gewesen
seien oder dass sich die Zeugen geirrt haben. Auch die übrigen, als „Indizien“
bezeichneten Ergebnisse der Beweisaufnahme seien von der Kammer im Rahmen
der freien Beweiswürdigung nicht zutreffend gewürdigt worden: So seien die
Aussage des Zeugen Stabsfeldwebel B. unglaubhaft und die Aussage des Soldaten
„In Gottes Namen, macht doch, was ihr wollt“ nicht hinreichend in die
Beweiswürdigung einbezogen worden; erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit
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des Zeugen Major Ru. hätten zur Überzeugung beitragen können, die
Anschuldigungspunkte 2 und 3 als bewiesen anzusehen; schließlich sei die Aussage
des S4-Offiziers, des Zeugen Oberleutnant H., entgegen der Auffassung der
Kammer geeignet gewesen, als Beweis zum Nachteil des Soldaten herangezogen zu
werden.
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Des Weiteren habe der von der Kammer hinsichtlich der Würdigung der Aussage des
Oberst G. zur Rechtmäßigkeit der Erteilung der Leistungsprämie an den
Stabsfelwebel B. zugrunde gelegte Sachverhalt nicht den von Oberst G. in seiner
Zeugenaussage vom 16. Juni 2002 gemachten Bekundungen entsprochen.
Aus dem zu Anschuldigungspunkt 4 festgestellten Sachverhalt und der rechtlichen
Würdigung gehe nicht klar hervor, ob der Soldat die Dienstpflichtverletzung
vorsätzlich oder fahrlässig begangen habe. Aus der Sachverhaltsfeststellung der
Kammer ergebe sich, dass auch ein bedingter Vorsatz des Soldaten in Betracht
komme; in der rechtlichen Würdigung werde dann aber auf eine fahrlässige
Begehungsweise abgestellt, ohne dass erkennbar werde, aufgrund welcher
Überlegungen die Kammer im Rahmen der Beweiswürdigung zur Annahme einer
fahrlässig begangenen Pflichtverletzung gekommen sei, obwohl aufgrund der im
Rahmen der Beweisaufnahme durch die Kammer getroffenen tatsächlichen
Feststellungen zum Sachverhalt eine vorsätzliche Wahrheitspflichtverletzung durch
den Soldaten nicht auszuschließen gewesen sei.
Wegen der Einzelheiten der Begründung, insbesondere zu der von dem
Wehrdisziplinaranwalt angegriffenen Beweisaufnahme der Truppendienstkammer,
wird auf dessen Schriftsatz vom 28. Juli 2004 verwiesen.
1. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, ihre Förmlichkeiten sind gewahrt (§ 115
Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 WDO).
2. Da das Rechtsmittel des Wehrdisziplinaranwalts ausdrücklich und nach dem
wesentlichen Inhalt seiner Begründung in vollem Umfang eingelegt worden ist, hatte
der Senat im Rahmen der Anschuldigung (§ 123 Satz 3 i.V.m. § 107 Abs. 1 WDO)
eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen, diese rechtlich zu würdigen und die
sich daraus ergebenden Folgerungen zu ziehen und über die angemessene
Disziplinarmaßnahme zu befinden.
3. Die Berufung hat keinen Erfolg.
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a) Aufgrund der Einlassung des Soldaten, soweit ihr gefolgt werden kann, der gemäß
§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 StPO zum Gegenstand der
Berufungshauptverhandlung gemachten Urkunden und Schriftstücke, der gemäß §
123 Satz 1 WDO verlesenen Aussagen der Zeugen Hauptfeldwebel K. und
Oberleutnant H. sowie der Aussagen der in der Berufungshauptverhandlung
vernommenen Zeugen Oberfeldwebel ter H., Hauptmann a.D. U., Stabsfeldwebel
Bu., Major Ru. und Stabsfeldwebel B. hat der Senat folgenden Sachverhalt
festgestellt:
Zu Anschuldigungspunkt 1:
Am 25. Oktober 2000 traf der Soldat, der in seiner Eigenschaft als Kommandeur der
R...abteilung ... in A. gleichzeitig Standortältester war, unvermutet in seinem
Vorzimmer den Chef des Stabes, Oberst i.G. V., an. Letztgenannter, dem im
Offizierheim der B.-Kaserne in A. eine dienstliche Unterkunft zugewiesen worden
war, gab Zimmerschlüssel für amtliche Unterkünfte ab und wollte eine Bescheinigung
abholen, in der bestätigt wird, dass ihm in der B.-Kaserne in A. auf Dauer keine
angemessene amtliche Unterkunft zur Verfügung gestellt werden könne. Daraufhin
rief der Soldat beim Kasernenfeldwebel, Oberfeldwebel ter H., an, teilte ihm das
Anliegen des Oberst i.G. V. mit und fragte, ob ihm der Vorgang bekannt sei, was
dieser bejahte. Er ordnete an, die Bescheinigung zu fertigen. Der Zeuge
Oberfeldwebel ter H. rief - wovon der Soldat nichts wusste - den Kasernenoffizier,
Oberleutnant P., der sich im Urlaub befand, zu Hause an. Dieser äußerte Bedenken
gegen die Ausstellung der Bescheinigung. Wenn der Soldat diese dennoch
ausstellen wolle, müsse dies dann aber unter dem „Kopf Standortältester“ erfolgen.
Nach Rücksprache mit dem Vorzimmer des Soldaten änderte Oberfeldwebel ter H.
die Unterlage entsprechend ab und legte sie anschließend dem Soldaten vor, ohne
auf die von Oberleutnant P. geäußerten Bedenken hinzuweisen. Der Soldat
unterschrieb die Bescheinigung, dass dem Oberst i.G. V. in der B.-Kaserne A. auf
Dauer keine amtliche unentgeltliche Unterkunft zur Verfügung stehe. Tatsächlich
waren zum damaligen Zeitpunkt im Offizierheim dem Chef des Stabes zumutbare, in
der Anzahl nicht mehr feststellbare amtliche unentgeltliche Unterkünfte vorhanden.
Die finanziellen Auswirkungen einer solchen Bescheinigung, wie u.a. erhöhtes
Trennungsgeld, waren dem Soldaten bekannt. Aufgrund dieser vom Soldaten
unterschriebenen unrichtigen Bescheinigung bezog Oberst i.G. V. für die von ihm in
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A. angemietete Wohnung einen Mietzuschuss, der ihm in Höhe des Mietzinses und
der Nebenkosten von der Truppenverwaltung der R...abteilung ... gewährt wurde.
Der Soldat hat sich unwiderlegt dahingehend eingelassen, dass er die bejahende
Antwort des Kasernenfeldwebels auf seine Frage, ob diesem der Vorgang bekannt
sei, als „Zusage“ dergestalt aufgefasst habe, dass die Ausstellung der Bescheinigung
geklärt und rechtens
sein müsse, zumal er den dafür zuständigen
Kasernenkommandanten Oberstleutnant Ra.
als einen sehr sorgfältigen
Stabsarbeiter kenne. In Gegenwart des Oberst i.G. V. habe er am Telefon nicht
direkt nach der Zulässigkeit der Ausstellung der Bescheinigung gefragt, sondern
stattdessen eine „neutrale Formulierung“ gebraucht, weil er die Berechtigung dessen
Anliegens nicht offen habe in Frage stellen wollen. Ob damals im Offizierheim der B.-
Kaserne Stuben frei waren, habe er nicht genau gewusst; seiner Meinung nach habe
es während dieser Zeit wegen des Aufwachsens des Divisionsstabes viele
Zuversetzungen gegeben.
Entgegen der Ansicht des Wehrdisziplinaranwalts in seiner Berufungsschrift vom 28.
Juli 2004 waren die von derselben Truppendienstkammer im - teilweise -
sachgleichen gerichtlichen Disziplinarverfahren - N 8 VL 23/01 - gegen Oberst i.G. V.
getroffenen tatsächlichen Feststellungen für den Senat nach § 84 Abs. 2 WDO nicht
bindend, weil sie in einem anderen - nicht den Soldaten betreffenden - Verfahren
getroffen wurden. Der Senat ist ihnen im dargelegten Umfang nicht gefolgt, weil sie
in dem vorliegenden gerichtlichen Disziplinarverfahren für eine gesicherte
Beurteilungsgrundlage nicht ausreichend waren.
Zu Anschuldigungspunkt 2 und 3:
Der Senat sah die Tatvorwürfe als nicht erwiesen an, weshalb der Soldat von diesen
Anschuldigungspunkten freizustellen war. Der Senat hat nicht die gemäß § 91 Abs. 1
WDO i.V.m. § 261 StPO erforderliche Gewissheit gewinnen können, dass der Soldat
das ihm in der Anschuldigungsschrift vorgeworfene Fehlverhalten begangen hat.
Die dem Soldaten unterstellte T... Kompanie ... in A. hatte einen R...trupp auf H.,
dessen Personal aus dem dort ortsansässigen Zeugen Stabsfeldwebel B. und dem
kasernenpflichtigen
(damaligen)
Obergefreiten F.
bestand, dem eine
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Truppenunterkunft bei der SAR-Stelle des M...geschwaders ... zugewiesen worden
war. Nach einem Lehrgang sollte der Obergefreite F. am 7. Mai 2001 wieder seinen
Dienst beim R...trupp auf H. antreten. Zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt
im Januar oder Februar 2001 mietete der Zeuge Stabsfeldwebel B. im Auftrag seines
Kompaniechefs eine Unterkunft in der Pension von Frau F. auf H. für die Zeit vom 7.
bis 30. Mai 2001 zum Preis von 80 DM pro Übernachtung an, weil für den
Obergefreiten F. nach seinem Dienstantritt im Mai wegen Umbauarbeiten in der
SAR-Stelle voraussichtlich keine Unterkunft zur Verfügung gestellt werden konnte.
Erst am 7. Mai 2001 erfuhr der Zeuge Stabsfeldwebel B., dass die
Renovierungsarbeiten unvorhergesehen frühzeitiger beendet worden waren und für
den Obergefreiten F. nun doch eine Truppenunterkunft in der SAR-Stelle auf H. zur
Verfügung stand. Daraufhin stornierte er die Buchung des Zimmers. Anfang Mai
2001 bat der Zeuge Major Ru. - seinerzeit Kompaniechef der T... Kompanie ... - den
Soldaten um Entscheidung, wie bei vorzeitigem Abschluss der Renovierung der
Unterkunft verfahren werden, insbesondere ob eine Abstandzahlung an die
Vermieterin in Kauf genommen werden solle. Der Soldat entschied, dass der
Obergefreite F. die Truppenunterkunft beziehen und der Zeuge Stabsfeldwebel B.
noch einmal mit der Vermieterin sprechen solle, ob sie vor dem Hintergrund, dass die
Bundeswehr auch zukünftig Zimmer anmieten werde, von einer Abstandzahlung
absehen könne. Der Soldat machte deutlich, dass er ansonsten die Angelegenheit im
Rahmen einer Schadensbearbeitung abwickeln werde.
Am 4. Juni 2001 machte die Vermieterin, Frau F., schriftlich Ausfallkosten in Höhe
vom 900 DM gegenüber der Bundeswehr geltend, da sie für die Zeit vom 7. bis 30.
Mai 2001 keinen Ersatzmieter gefunden hatte. Dieses Schreiben leitete der Zeuge
Stabsfeldwebel B. an die T... Kompanie ... nach A. weiter. Am 10. Juli 2001 beglich
er aus eigenen Mitteln die Ausfallkosten in Höhe von 900 DM bei Frau F. Nach
seiner Einlassung tat er dies deshalb, um das Ansehen der Bundeswehr und sein
eigenes bei dieser Frau zu wahren.
Der damalige Kompaniechef, der Zeuge Major Ru., legte bezüglich dieser Forderung
gegen den Bund zwar einen Schadensbericht 15/01 unter dem Datum des 28. Juni
2001 - bei seiner Kompanieübergabe - an, unterschrieb ihn jedoch nicht. Stattdessen
trug er am selben Tag dem Soldaten den Fall vor, dem er gleichzeitig die Gewährung
einer Leistungsprämie in Höhe von 1.500 DM für den Zeugen Stabsfeldwebel B.
vorschlug. Vorher hatte er sich beim Soldaten erkundigt, ob es möglich sei, einem
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Untergebenen, der in einen Schadensfall verwickelt ist, eine Leistungsprämie zu
gewähren; der Soldat hatte geantwortet, dass dem grundsätzlich nichts
entgegenstehe. Mit der Auswahl des Zeugen Stabsfeldwebel B., der in der
Vergangenheit bereits eine Leistungsprämie erhalten hatte, war er einverstanden,
weil er sich selbst von dessen Engagement überzeugt hatte. Der Soldat vermerkte
auf dem entsprechenden Antrag „Einverstanden am 28. Juni 2001“. Auf den
Soldaten machte der damalige Kompaniechef einen noch unter Restalkohol
stehenden, nahezu dienstunfähigen Eindruck, was er auf dessen Teilnahme an der
Abschiedsfeier vom Vorabend zurückführte. Da gegen den Zeugen Major Ru. zu
diesem Zeitpunkt in einer anderen Sache ein gerichtliches Disziplinarverfahren
anhängig war, befürchtete dieser, ihm werde der Schadensfall noch persönlich
nachhängen. Als er immer eindringlicher darum bat, den Schadensfall mit der
Leistungsprämie zu kompensieren, brach der Soldat das Gespräch ab und sagte
ziemlich ärgerlich „Macht doch, was ihr wollt“ und verließ das Zimmer. Er hatte den
Eindruck, dass der damalige Kompaniechef bei einer Ablehnung seines Ansinnens
einen Nervenzusammenbruch erlitten hätte. Er stellte sich jedoch vor, dass der neue
Kompaniechef später eine den Schadensbestimmungen entsprechende Regelung
treffen werde.
Der Soldat hat erklärt, dass der Zeuge Stabsfeldwebel B. (in seiner damaligen
Funktion) sehr engagiert gewesen sei; er habe mit Erfolg Ersatzteile für die
Radaranlage organisiert. Nach Aussage des Zeugen Major Ru. hat Stabsfeldwebel
B. eine schwierige Aufgabe auf H. gehabt, weil er zum Teil alleine gewesen sei und
umfangreichere Tätigkeiten als vergleichbare Feldwebel
wahrgenommen habe. Da
dieser den Anforderungen im besonderen Maße gerecht geworden sei, habe er die
Gewährung einer Leistungsprämie erwogen.
Die Zeugen Hauptmann a.D. U. und Stabsfeldwebel Bu. haben bekundet, dass sich
der Soldat (zumindest sinngemäß) geäußert habe: „Wofür hat der (damalige)
Hauptfeldwebel B. wohl die Leistungsprämie bekommen?! Für seine Leistungen
bestimmt nicht.“ bzw. „Was meinen Sie, warum ich B. die Leistungsprämie gegeben
habe?! Nicht für seine Arbeit.“ Nach Aussage des Zeugen Hauptmann a.D. U. hat
Oberfeldwebel K. ihnen gegenüber geäußert, dass der Schadensfall mit einer
Leistungsprämie beglichen worden sei; nach - in der Berufungshauptverhandlung
verlesenen - Aussage des Oberfeldwebel K. hat er diesen Zusammenhang aber
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lediglich vermutet. Die Zeugen Hauptmann a.D. U. und Stabsfeldwebel Bu. haben
übereinstimmend ihre früheren Aussagen bestätigt, wonach der Soldat,
angesprochen auf den Schadensfall und die Verknüpfung mit der Leistungsprämie,
mit großer Wahrscheinlichkeit (Zeuge Hauptmann a.D. U.: „neunzig Prozent“)
gegenüber dem Zeugen Hauptmann a.D. U. (zumindest sinngemäß) nicht
geantwortet habe, „auf was für ein schmales Brett“ er da kommen würde.
Nach der verlesenen Aussage des damaligen S 4-Offiziers der R...abteilung ...,
Oberleutnant H., in der Hauptverhandlung vor dem Truppendienstgericht hat dieser
dem Soldaten zu keiner Zeit dahingehend beraten, den Schadensfall durch die
Zahlung einer Leistungsprämie abzuwickeln. Er habe vielmehr erklärt, dass der
Vorgang ein klassischer Schadensfall sei und keine Haftung des Zeugen
Stabsfeldwebel B. in Betracht komme.
Das angeschuldigte pflichtwidrige Verhindern der ordnungsgemäßen Abwicklung des
Schadensfalles 15/01 sowie das angeschuldigte rechtsmissbräuchliche Gewähren
einer Leistungsprämie an Stabsfeldwebel B. durch den Soldaten konnte durch die
Aussagen der Zeugen Hauptmann a.D. U. und Stabsfeldwebel Bu. nicht bewiesen
werden.
Zwar wollen beide Zeugen mit großer Wahrscheinlichkeit vom Soldaten gehört
haben, dass er dem Stabsfeldwebel B. nicht wegen dessen Leistungen eine
Leistungsprämie gewährt habe, was für deren zweckwidrige und missbräuchliche
Erteilung spricht. Dabei ist jedoch zu beachten, dass diese Zeugen ihre Aussagen
bereits in der Hauptverhandlung vor dem Truppendienstgericht relativiert haben; so
standen sie nicht mehr „einhundertprozentig“ dazu, sondern schwächten sie ab. Wie
der Soldat sowie die Zeugen Major Ru. und Stabsfeldwebel B. selbst glaubhaft
bekundet haben, zeigte Stabsfeldwebel B. - auch im Hinblick auf die besonderen
Umstände seiner Tätigkeit auf H. - durchaus Leistungen, die mit einer Prämie
gewürdigt werden durften; die ihm in der Vergangenheit bereits einmal gewährte
Leistungsprämie spricht für diese Einschätzung.
Außerdem spricht gegen die Annahme, dass der Soldat auf diese Weise den
Schadensfall abwickeln wollte, der Umstand, dass dafür kein nachvollziehbares
Motiv erkennbar ist. So konnte sich der Soldat zum einen auf diese Weise nicht
selbst einen Vorteil verschaffen, weil er sich weder dadurch bereichern noch
aufgrund seiner Zuständigkeit für die Gewährung einer Leistungsprämie (vgl. Punkt
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7.2.1. der Bestimmungen über die leistungsbezogene Besoldung von Beamten und
Soldaten im nachgeordneten Bereich des Bundesministeriums der Verteidigung PSZ
II 3 - Az 19-01-07 - vom 2. November 1998 ) von Arbeit
entlasten konnte. Zum anderen ist nichts dafür ersichtlich, dass er dadurch
unterstellte Soldaten vor Nachteilen schützen wollte oder konnte. Stabsfeldwebel B.,
der auf Veranlassung seines Kompaniechefs Major Ru. das Zimmer bei Frau F.
angemietet hatte, konnte für sein Handeln - auch nach damaliger Einschätzung der
Situation - kein Vorwurf gemacht werden, der zu einer Haftung oder gar zu einer
Disziplinarmaßnahme hätte führen können; dem Soldaten kann mangels
vorliegender Anhaltspunkte auch nicht unterstellt werden, dass er den ihm - nur noch
für einen Tag - unterstellten Major Ru. vor möglichen negativen Konsequenzen
seines Handelns bewahren wollte.
Nach alledem besteht keine hinreichende Gewissheit für eine missbräuchliche
Verknüpfung zwischen einer objektiv nicht gerechtfertigten Leistungsprämie und
einer aktiven Einwirkung auf eine nicht ordnungsgemäße Schadensabwicklung.
Weitere Beweismittel sind nicht ersichtlich. Die verbliebenen Zweifel führen deshalb
in Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“, der nicht nur im Strafrecht,
sondern - wie sich außer aus Art. 20 Abs. 1 und 3 GG („Rechtsstaatsprinzip“) gerade
aus der entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 261 StPO ergibt - auch im
Wehrdisziplinarrecht gilt (vgl. Urteil vom 12. Februar 2003 - BVerwG 2 WD 8.02 -,
2004, 354 = DVBl 2003, 757>), zu einer Freistellung.
Zu Anschuldigungspunkt 4:
Hinsichtlich des Anschuldigungspunktes
4 war der durch die
Nachtragsanschuldigung unter Verzicht auf die Einlassungsfrist eingeführte
Sachverhalt als erwiesen anzusehen.
Der Soldat meldete am 22. Januar 2002 in seinem Dienstzimmer in der B.-Kaserne
in A. seinem damaligen Disziplinarvorgesetzten, dem Kommandeur des
R...regiments ..., Oberst G., auf dessen entsprechende Frage im Beisein des S 4-
Offiziers des R...regiments .., Oberstleutnant Run., dass Frau F. auf ihre
Mietausfallkosten in Höhe von 900 DM verzichtet habe und dass keine Zahlungen an
sie geleistet worden seien; dieser wiederum musste in dieser Sache seinem
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Divisionskommandeur berichten, was der Soldat wusste. Dabei war sich der Soldat
über die Richtigkeit seiner Meldung nicht sicher. Er hatte der ihm unterstehenden T...
Kompanie ... den Auftrag erteilt, ihm bis zum 22. Januar 2002 - dem Termin seiner
Meldung gegenüber seinem Regimentskommandeur - die Art und Weise der
Schadensregulierung mitzuteilen. Es war der Einheit jedoch nicht gelungen, den
Sachverhalt bis zu diesem Zeitpunkt zu ermitteln, weil sich der Zeuge Stabsfeldwebel
B. zum damaligen Zeitpunkt auf dem Festland aufhielt und nicht erreichbar war.
Daher waren die verschiedenen Möglichkeiten erörtert worden; der Soldat hatte sich
dann für die aus seiner Sicht wahrscheinlichste entschieden, d.h. für die Variante der
Nichtzahlung an Frau F.
Am Nachmittag des 22. Januar 2002 wurde der Soldat vom Kompaniechef der T...
Kompanie ... über den wahren Sachverhalt informiert. Am Morgen des nächsten
Tages korrigierte er seine Meldung gegenüber seinem Regimentskommandeur, der
sich währenddessen selbst informiert hatte, und teilte mit, dass die (weiterhin) von
Frau F. geltend gemachte Forderung in Höhe von 900 DM durch den Zeugen
Stabsfeldwebel B. beglichen worden war.
Der Soldat hat sich diesbezüglich geständig eingelassen.
b) Das Verhalten des Soldaten ist disziplinarrechtlich wie folgt zu würdigen:
In Anschuldigungspunkt 1 hat der Soldat durch die Ausstellung einer objektiv
unrichtigen Bescheinigung, die zu Unrecht zu einer Gewährung eines überhöhten
Trennungsgeldes führte, gegen §§ 7, 13 Abs. 1 und § 17 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2
SG verstoßen.
Er handelte dabei jeweils fahrlässig. Entgegen der Ansicht der
Truppendienstkammer ist dem Soldaten nämlich eine Verletzung der ihm
obliegenden Sorgfaltspflicht vorzuwerfen. Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Täter - in
diesem Fall der Soldat - einen Tatbestand rechtswidrig verwirklicht, indem er objektiv
gegen eine Sorgfaltspflicht verstößt, die gerade dem Schutz des beeinträchtigten
Rechtsguts dient, und wenn dieser Pflichtverstoß unmittelbar oder mittelbar eine
Rechtsgutsverletzung oder -gefährdung zur Folge hat, die der Täter (Soldat) nach
seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten vorhersehen und vermeiden konnte
(Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl. 2004, § 15 RNr. 12).
Der Soldat hätte als
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Stabsoffizier und Standortältester, der unmittelbarer Vorgesetzter des für die
Ausstellung von Bescheinigungen über das Nichtvorhandensein einer
angemessenen amtlichen unentgeltlichen Unterkunft zuständigen
Kasernenkommandanten ist, bei Anwendung des dabei geforderten und ihm
zumutbaren Sorgfaltspflichtsmaßstabes erkennen können und müssen, dass die von
ihm unterschriebene Bescheinigung auf objektiv nicht zutreffenden Voraussetzungen
beruhte.
Nicht ausreichend war die Einschaltung des Kasernenfeldwebels, zumal der Soldat
nicht ausdrücklich danach fragte, ob das Ausstellen der Bescheinigung vorher
geprüft und vom Kasernenkommandanten genehmigt worden war. Die gebrauchte
Wendung am Telefon, ob dem Zeugen Oberfeldwebel ter H. der Vorgang bekannt
sei, war mehrdeutig und brauchte nicht so verstanden zu werden, dass damit allein
nach der inhaltlichen Richtigkeit und Rechtmäßigkeit gefragt wurde. Der Soldat hätte
außerdem bedenken müssen, dass der ihm bekannte Kasernenfeldwebel aufgrund
seiner - in der Berufungshauptverhandlung deutlich gewordenen - Art und
Persönlichkeit nicht unbedingt ohne kritisches Nachfragen oder notfalls auch
Widerspruch eine zutreffende Sachdarstellung gewährleistete. Des Weiteren hätte er
die finanziellen Folgen, die er allgemein kannte, bedenken müssen. Selbst wenn das
für den Soldaten unerwartet vorgebrachte Anliegen des Chefs des Stabes bei ihm
den Selbstanspruch auf schnelle und für den Vorgesetzten positive Erledigung
ausgelöst haben mag, war das keine Rechtfertigung für diese nicht ausreichende
Nachprüfung. Denn gerade (auch) von einem Stabsoffizier kann und muss erwartet
werden, dass er Anliegen seiner Vorgesetzten nicht unkritisch und unbedacht erfüllt.
Ebenso wenig kann ihn die Nichtweitergabe der Informationen des Kasernenoffiziers
durch den Kasernenfeldwebel entlasten. Denn die knappe Antwort des
Kasernenfeldwebels hätte, im Gegenteil, Anlass zu weiteren Nachfragen geben
müssen. Seine hervorgehobene Dienststellung als Abteilungskommandeur und
Standortältester sowie sein hoher Dienstgrad, verbunden mit seiner Erfahrung,
hätten den Soldaten zu sorgfältigerem Handeln bewegen müssen. In diesem
Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass Oberst i.G. V., als er im
Vorzimmer des Soldaten erschien, äußerte, er wolle Zimmerschlüssel für mehrere
amtliche Unterkünfte zurückgeben. Der Soldat hätte daher erkennen können und
müssen, dass amtliche Unterkünfte in der B.-Kaserne in A. vorhanden waren und
dass die von ihm erbetene Bescheinigung inhaltlich unzutreffend sein konnte.
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In Anschuldigungspunkt 4 hat der Soldat durch Abgabe einer unrichtigen Meldung im
Bewusstsein bestehender Zweifel fahrlässig gegen seine Pflicht, in dienstlichen
Angelegenheiten die Wahrheit zu sagen (§ 13 Abs. 1 SG), und gegen seine Pflicht zu
achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten im Dienst (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz
2 SG) verstoßen.
Insgesamt hat er damit ein Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 SG begangen.
d) Nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO sind bei Art und Maß der
Disziplinarmaßnahme Eigenart und Schwere des Dienstvergehens, seine
Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und
die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen.
Dem Senat erschien das Dienstvergehen nach seiner Einstufung nicht so gewichtig,
dass eine gerichtliche Disziplinarmaßnahme geboten gewesen wäre. Nach seiner
Einschätzung ist dafür eine Disziplinarbuße (§ 24 WDO) in Höhe von 800 €, wie sie
die Truppendienstkammer verhängt hat, tat- und schuldangemessen, so dass trotz
Annahme einer weiteren Dienstpflichtverletzung (Anschuldigungspunkt 1) gegenüber
dem Urteil des Truppendienstgerichts die Berufung des Wehrdisziplinaranwalts
zurückzuweisen war.
Der Senat hat sich bei der Bewertung des Dienstvergehens (Anschuldigungspunkt 1
und 4) von folgenden Gesichtspunkten leiten lassen:
aa) Die Eigenart und Schwere eines Dienstvergehens bestimmt sich nach dem
Unrechtsgehalt der Verfehlung, mithin nach der Bedeutung der verletzten Pflichten.
Danach wiegt das Dienstvergehen nicht leicht, weil der Soldat gegen wesentliche
Dienstpflichten verstoßen hat.
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Die Verpflichtung zum treuen Dienen (§ 7 SG), die unter anderem jedem Soldaten
gebietet, alles zu unterlassen, was dem Vermögen oder dem Eigentum des
Dienstherrn Schaden zufügt, gehört zu den Kernpflichten eines Soldaten. Ihre
Verletzung hat in der Regel schon deshalb erhebliches Gewicht (Urteil vom 18.
September 2003 - BVerwG 2 WD 3.03 -
WDO 2002 Nr. 11 = NZWehrr 2005, 122 = NVwZ-RR 2004, 226 [insoweit nicht
veröffentlicht] = DokBer 2004, 141 > m.w.N.).
Die Wahrheitspflicht (§ 13 Abs. 1 SG) hat gerade im militärischen Bereich besondere
Bedeutung, die schon darin zum Ausdruck kommt, dass die in keinem anderen
gesetzlichen Pflichtenkatalog ausdrücklich normierte Wahrheitspflicht für Soldaten
gesetzlich geregelt ist. Eine militärische Einheit kann nämlich nicht geführt werden,
wenn die Führung sich nicht auf die Richtigkeit abgegebener Meldungen,
Erklärungen und Aussagen verlassen kann. Denn auf ihrer Grundlage müssen im
Frieden und erst recht im Einsatz gegebenenfalls Entschlüsse von erheblicher
Tragweite gefasst werden. Ein Soldat, der gegenüber Vorgesetzten und Dienststellen
der Bundeswehr unwahre Erklärungen abgibt, büßt hierdurch seine Glaubwürdigkeit
ein (Urteil vom 28. Oktober 2003 - BVerwG 2 WD 10.03 -
Blutalkohol 42, 179 [2005]>).
Auch die Pflicht zur Wahrung von Achtung und Vertrauen (§ 17 Abs. 2 Satz 1
Halbsatz 2 SG) ist kein Selbstzweck, sondern hat eindeutig funktionalen Bezug zur
Erfüllung des grundgesetzmäßigen Auftrags der Streitkräfte und zur Gewährleistung
des militärischen Dienstbetriebs. Ein Soldat, insbesondere ein Vorgesetzter, bedarf
der Achtung seiner Kameraden und Untergebenen sowie des Vertrauens seiner
militärischen Vorgesetzten, um seine Aufgabe so zu erfüllen, dass der gesamte
Ablauf des militärischen Dienstes gewährleistet ist (Urteil vom 16. Dezember 2004 -
BVerwG 2 WD 15.04 -). Dabei kommt es nach der Rechtsprechung des Senats nicht
darauf an, ob gegebenenfalls eine ernsthafte Beeinträchtigung der Achtungs- und
Vertrauenswürdigkeit tatsächlich eingetreten ist, sondern nur darauf, ob das
angeschuldigte Verhalten dazu geeignet war (Urteile vom 28. April 2004 - BVerwG 2
WD 20.03 - ).
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Bei der Bewertung der Schwere des Dienstvergehens ist ferner zu berücksichtigen,
dass der Soldat als Stabsoffizier eine besondere Verantwortung trägt. Denn je höher
ein Soldat in den Dienstgradgruppen steigt und je mehr Verantwortung ihm dadurch
übertragen wird, umso mehr Achtung und Vertrauen genießt er; umso größer sind
dann auch die Anforderungen, die an seine Zuverlässigkeit, sein Pflichtgefühl und
sein Verantwortungsbewusstsein gestellt werden müssen, und umso schwerer wiegt
folglich ein Dienstvergehen, das er sich zuschulden kommen lässt (Urteile vom 19.
Juni 1996 - BVerwG 2 WD 3.96 -
Nr. 16 = NZWehrr 1996, 255 = NVwZ 1997, 579> und vom 21. Oktober 2004 -
BVerwG 2 WD 17.04 -). Mit seinem Fehlverhalten hat er nicht das von einem
Vorgesetzten gemäß § 10 Abs. 1 SG verlangte Beispiel in Haltung und
Pflichterfüllung, sondern im Gegenteil ein außerordentlich schlechtes Beispiel
gegeben.
bb) Zu Lasten des Soldaten wirkt sich aus, dass er wegen des Dienstvergehens von
seinem Dienstposten als Kommandeur der R...abteilung ... abgelöst wurde. Diese für
die Personalplanung und -führung nachteiligen Auswirkungen seines
Dienstvergehens muss sich der Soldat zurechnen lassen (vgl. Urteil vom 17. Oktober
2002 - BVerwG 2 WD 14.02 -
= ZBR 2003, 392 = NVwZ-RR 2003, 366 = DokBer 2003, 91>). Des Weiteren ist zu
seinen Ungunsten zu berücksichtigen, dass durch das Ausstellen einer objektiv
unrichtigen Bescheinigung durch den Soldaten (Anschuldigungspunkt 1) ein
Vermögensschaden zu Lasten des Bundes - in nicht bezifferter Höhe - eintrat; dieser
entstand dadurch, dass dem Empfänger der Bescheinigung, Oberst i.G. V.,
infolgedessen von der Truppenverwaltung der R...abteilung ... zu Unrecht ein
Mietzuschuss in Höhe des Mietzinses sowie der Nebenkosten der von ihm
angemieteten Wohnung gewährt wurde. Die unwahre dienstliche Meldung an den
Disziplinarvorgesetzten des Soldaten (Anschuldigungspunkt 4) hatte, obwohl sie
auch für den Kommandeur bestimmt war, hingegen keine negativen Auswirkungen
auf den Dienstbetrieb, weil der Auskunft verlangende Vorgesetzte eigene
Erkundigungen eingeholt hatte; außerdem korrigierte der Soldat seine Meldung aus
eigenem Entschluss bereits am nächsten Morgen.
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cc) Im Hinblick auf das Maß der Schuld ist dem Soldaten jeweils nur Fahrlässigkeit
vorzuwerfen.
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Schuldmilderungsgründe
kommen hier ebenso wenig in Betracht wie
Tatmilderungsgründe.
Letztgenannte sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats dann gegeben,
wenn die Situation, in der der Soldat versagt hat, von so außergewöhnlichen
Besonderheiten gekennzeichnet war, dass ein an normalen Maßstäben orientiertes
Verhalten von ihm nicht mehr erwartet und daher auch nicht vorausgesetzt werden
konnte. Als solche Besonderheiten sind ein Handeln in einer ausweglos
erscheinenden, unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage, die auf andere Weise nicht
zu beheben war, ein Handeln unter schockartig ausgelöstem psychischem Zwang
oder unter Umständen anerkannt worden, die es als unbedachte, im Grunde
persönlichkeitsfremde Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und im Dienst
bewährten Soldaten erscheinen lassen; daneben ein Handeln in einer körperlichen
oder seelischen Ausnahmesituation oder der Umstand, dass sich der Soldat bei
seinem Fehlverhalten unverschuldet einer außergewöhnlichen situationsgebundenen
Erschwernis bei der Erfüllung eines dienstlichen Auftrages gegenübersah (u.a. Urteil
vom 28. Oktober 2003 - BVerwG 2 WD 10.03 - und vom 28. April 2004 -
BVerwG 2 WD 20.03 - ).
Dafür sind jedoch keine Anhaltspunkte gegeben.
dd) Zugunsten des Soldaten sprechen allerdings gewichtige Milderungsgründe in der
Person. Er hat über einen langen Zeitraum hervorragende Leistungen erbracht, wie
sich aus seinen sehr guten Beurteilungen ergibt; auch nach seiner Ablösung zeigte
er auf seinem neuen Dienstposten eine ausgeprägte und beispielhafte
Leistungsbereitschaft. Außerdem wurden ihm neben diversen Auszeichnungen, wie
dem Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold, zwei förmliche Anerkennungen wegen
vorbildlicher Pflichterfüllung erteilt. Mildernd ist des Weiteren zu berücksichtigen,
dass er sich bislang tadelfrei innerhalb und außerhalb des Dienstes geführt hat.
ee) Hinsichtlich des Anschuldigungspunktes 1 handelte der Soldat im Glauben, dass
der entsprechende Vorgang bereits vorher geprüft worden sei. Für das Fehlverhalten
zu Anschuldigungspunkt 4 war ersichtlich der vom Soldaten empfundene Zeitdruck
im Vorfeld der Abgabe der Meldung sowie sein Bemühen ursächlich, dem
Vorgesetzten nicht eingestehen zu wollen, dass er keine genaue Kenntnis einzelner
dienstlicher Vorgänge in seinem Zuständigkeitsbereich habe.
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ff) Unter Abwägung aller be- und entlastenden Umstände, insbesondere unter
Berücksichtigung der erheblichen Milderungsgründe in der Person, hielt der Senat
zur Ahndung des Dienstvergehens eine einfache Disziplinarmaßnahme in Form einer
Disziplinarbuße in Höhe von 800 € als noch für tat- und schuldangemessen.
Angesichts der gefestigten Persönlichkeit des Soldaten war eine deutlichere
Pflichtenmahnung - auch im Hinblick auf den Zweck des Disziplinarrechts, nämlich
Aufrechterhaltung eines geordneten und integren Dienstbetriebes - nicht erforderlich.
Ohnehin ist der Soldat in finanzieller Hinsicht bereits durch den ihm bei der
Einstellung des teilweise sachgleichen Strafverfahrens auferlegten Geldbetrag in
Höhe von 500 € belastet worden.
4. Die Kosten des Berufungsverfahrens sowie die dem Soldaten erwachsenen
notwendigen Auslagen waren dem Bund aufzuerlegen (§ 139 Abs. 2, § 140 Abs. 3
Satz 1 WDO).
Prof. Dr. Widmaier
Dr. Frentz
Dr. Deiseroth
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