Urteil des BVerwG vom 04.12.2014

Soldat, Pflicht zur Dienstleistung, Rechtliches Gehör, Ambulante Behandlung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 23.13
TDG N 6 VL 44/11
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
Herrn Hauptfeldwebel a.D. …,
…,
…,
zuletzt: …,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 4. Dezember 2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Burmeister,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
ehrenamtlicher Richter Oberstleutnant Lehmann und
ehrenamtliche Richterin Oberfeldwebel Jakobsche,
Leitender Regierungsdirektor …
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt …
als Pflichtverteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin …
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Berufung des früheren Soldaten gegen das Urteil der
6. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 1. Okto-
ber 2013 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass
dem früheren Soldaten das Ruhegehalt aberkannt wird.
Der frühere Soldat trägt die Kosten des Berufungsverfah-
rens einschließlich der ihm darin erwachsenen notwendi-
gen Auslagen.
G r ü n d e :
I
Der 19.. geborene frühere Soldat trat nach dem Abschluss der zehnklassigen
Oberschule und einer Ausbildung zum Fahrzeugschlosser sowie nach einer
Tätigkeit als Soldat in der Nationalen Volksarmee in den Dienst der Bundes-
wehr ein. 19.. wurde er in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen;
19.. wurde ihm die Eigenschaft eines Berufssoldaten verliehen. Seine Dienstzeit
endete planmäßig Ende August 20... Er wurde zuletzt 19.. zum Hauptfeldwebel
befördert.
Nach zahlreichen Verwendungen wurde er zum September 2009 zum Stand-
ortsanitätszentrum … und zum September 2010 zur 3./Logistikbataillon … …
versetzt, wo er zunächst als Kraftfahrzeuginstandsetzungsfeldwebel, sodann
als stellvertretender Zugführer im Instandsetzungszug Rad verwendet wurde.
Mit Verfügung vom 13. März 2012 wurde er wegen des verfahrensgegenständ-
lichen Disziplinarverfahrens unter Einbehaltung eines Teils seiner Dienstbezüge
und einem Uniformtrageverbot vorläufig des Dienstes enthoben.
In der letzten planmäßigen Beurteilung vom 4. August 2010 wurde die Aufga-
benerfüllung des früheren Soldaten im Schnitt mit „5,40“ bewertet. Dort heißt
es, der frühere Soldat sei aufgrund seiner persönlichen Situation heimatnah
zum Sanitätszentrum … versetzt worden. Ein adäquater fachlicher Einsatz sei
nicht möglich gewesen. Der Soldat verfüge über sehr gute Fachkenntnisse.
Nach einer kurzen Einarbeitungszeit sei er als ständiger Vertreter des Schirr-
meisters eingesetzt worden; auch habe er die Soldaten der Kfz-Gruppe geführt.
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Er arbeite selbstständig und gewissenhaft und immer im Sinne der Dienststel-
lenleitung. Er sei stets auskunftsfähig gewesen und habe mit Übersicht und am
Auftrag orientiert gearbeitet. Durch sein umfangreiches Fachwissen sei er sehr
schnell in der Lage gewesen, alle Aufgaben zur vollen Zufriedenheit zu erfüllen.
Seit September sei eine sehr deutliche Steigerung der Leistungsfähigkeit er-
kennbar. Eine Folgeverwendung im fachlichen Bereich lasse eine weitere Leis-
tungssteigerung erwarten. Der frühere Soldat sei ein lebenserfahrener Unterof-
fizier, der über sehr umfangreiche Fachkenntnisse verfüge. Durch die starke
Konzentration auf den fachlichen Bereich ergäben sich auf den anderen militä-
rischen Gebieten Leistungsreserven. Er sei seinen Vorgesetzten gegenüber
stets zuvorkommend und loyal, ferner flexibel einsetzbar sowie ruhig und unauf-
fällig. Seit seiner Versetzung zum Sanitätsdienst habe er eine deutlich positive
Entwicklung durchlaufen. Die Eignung zum Erreichen der allgemeinen Lauf-
bahnperspektive sei gegeben. Der nächsthöhere Vorgesetzte schloss sich dem
an und führte aus, der frühere Soldat besitze noch Leistungsreserven.
In der Berufungshauptverhandlung hat der Leumundszeuge Major S. erläutert,
er habe als Kompanieeinsatzoffizier in B. den früheren Soldaten bereits
2006/2007 als fachlichen Experten und guten, ruhigen Soldaten kennengelernt,
dessen Leistungen er - damals noch nicht als Disziplinarvorgesetzter - mit der
Note „5“ bis „6“ bewerten würde. Der frühere Soldat habe seine Arbeit in dieser
Zeit fachlich gut erledigt, aber nichts darüber hinaus getan. Seit 2011 sei der
Zeuge als Kompaniechef in T. der Disziplinarvorgesetzte des früheren Soldaten
gewesen. Nach dem Verlust des Führerscheins und wegen der Alkoholerkran-
kung sei der frühere Soldat nicht mehr zuverlässig und entsprechend seinen
Fachkenntnissen einsetzbar gewesen. Seine Leistungen hätten im unteren Drit-
tel der Vergleichsgruppe gelegen und seien nur noch mit der Note „3“ bis „4“ zu
bewerten gewesen. Trotz seiner fachlichen Expertise habe er den Anforderun-
gen an einen Hauptfeldwebel nicht mehr entsprochen. Der Zeuge habe von
seinem Vorgänger von der Alkoholerkrankung und allgemein von Problemen im
privaten Umfeld des früheren Soldaten, der selbst darüber nicht mit ihm ge-
sprochen habe, erfahren. Konkretes über die familiäre Situation habe er aber
nicht gewusst. Im Dienst habe es abgesehen von dem ungepflegten Äußeren
des früheren Soldaten keine Auffälligkeiten gegeben. Die Alkoholerkrankung
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des früheren Soldaten und sein Fernbleiben vom Dienst seien im Kameraden-
kreis bekannt geworden.
Die Sonderbeurteilung vom 27./29. Januar 2014 bewertet die Aufgabenerfüllung
des früheren Soldaten zwar mit „2“, stützt dies aber allein auf Gespräche des
Beurteilers mit dem Amtsvorgänger, die Einsicht in die Disziplinarakte und die
Korrespondenz mit der Wehrdisziplinaranwaltschaft.
Der Auszug aus dem Zentralregister vom 22. Oktober 2014 verweist auf vier
rechtskräftige Entscheidungen: die Verhängung einer Geldstrafe wegen fahr-
lässiger Körperverletzung in zwei Fällen durch das Amtsgericht K. am
21. Januar 2008, die Verhängung einer Geldstrafe und einer Sperre der Fahrer-
laubnis wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung durch Trunkenheit
durch das Amtsgericht H. am 23. Januar 2009, die Verhängung einer zur Be-
währung ausgesetzten Freiheitsstrafe wegen eigenmächtiger Abwesenheit in
drei Fällen durch das Amtsgericht U. am 15. Mai 2012 sowie die Verhängung
einer Geldstrafe wegen Beleidigung durch das Amtsgericht H. am 16. Juni
2014.
Als Folge der Sperre der Fahrerlaubnis 2009 wurden dem früheren Soldaten
auch der Dienstführerschein und die Berechtigung für verschiedene Prüftätig-
keiten entzogen.
Der Auszug aus dem Disziplinarbuch vom 16. Januar 2014 enthält neben den
strafgerichtlichen Entscheidungen vom 21. Januar 2008, vom „30.“ (gemeint:
23.) Januar 2009 und vom 15. Mai 2012 auch die Informationen über eine förm-
liche Anerkennung vom 16. Mai 2008 wegen vorbildlicher Pflichterfüllung und
die vorläufige Dienstenthebung, das Uniformtrageverbot und die Einbehaltung
der Dienstbezüge vom 13. März 2012.
Der frühere Soldat ist berechtigt, die Schützenschnur sowie das Tätigkeitsab-
zeichen für Technisches Personal in Gold zu tragen. Im Februar 1998 wurde
ihm die Einsatzmedaille der Bundeswehr SFOR verliehen.
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Der seit 2013 verwitwete frühere Soldat ist Vater von drei, 1981, 1988 und 1994
geborenen Kindern. Nach einer zum September 2014 angeordneten teilweisen
Einbehaltung des Ruhegehalts erhält er 1 550,43 € netto ausbezahlt. Die Über-
gangsbeihilfe in Höhe von 7 875 € wird wegen des Disziplinarverfahrens einbe-
halten. Zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen hat der frühere Soldat in der
Berufungshauptverhandlung die Aussage verweigert.
II
1. Nachdem von der Durchführung eines im November 2010 wegen des An-
schuldigungspunktes 1 beantragten gerichtlichen Disziplinarverfahrens zu-
nächst abgesehen worden war, wurde gegen ihn mit ihm am 6. Juni 2011 zuge-
stellter Verfügung des Kommandeurs der … …division vom 26. Mai 2011 das
disziplinargerichtliche Disziplinarverfahren bezüglich der Anschuldigungspunkte
1 und 2 eingeleitet. Zuvor war dem früheren Soldaten Gelegenheit zur Stellung-
nahme gegeben und die Stellungnahme der zur beabsichtigten Einleitung an-
gehörten Vertrauensperson eröffnet worden. Schlussgehör wurde ihm am
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September
2011 gewährt.
2. Mit dem früheren Soldaten am 16. Dezember 2011 ausgehändigter Anschul-
digungsschrift vom 24. November 2011 hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft ihm
als Dienstvergehen zur Last gelegt:
„1. Der Soldat trat am 04.10.2010 seinen um 07.00 Uhr
beginnenden Dienst bei der 3./Logistikbataillon … in T.,
…, vorsätzlich nicht an und blieb dem Dienst bis zu seiner
Krankschreibung durch den Truppenarzt im Sanitätszent-
rum … am 07.10.2010 gegen 13.00 Uhr vorsätzlich ohne
Erlaubnis fern.
2. Der Soldat trat am 07.02.2011 seinen um 07.00 Uhr
beginnenden Dienst bei der 3./Logistikbataillon … in T.,
…, vorsätzlich nicht an und blieb dem Dienst bis zu seiner
freiwilligen Rückkehr am 11.02.2011 um 06.45 Uhr vor-
sätzlich ohne Erlaubnis fern.
3. Der Soldat trat am 09.05.2011 seinen um 07.00 Uhr
beginnenden Dienst bei der 3./Logistikbataillon … in T.,
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…, vorsätzlich nicht an und blieb dem Dienst bis zu seiner
freiwilligen Rückkehr am 16.05.2011 um 07.00 Uhr vor-
sätzlich ohne Erlaubnis fern.“
Durch Beschluss des Vorsitzenden der Truppendienstkammer vom 18. Juli
2012 ist das Verfahren bis zur Vorlage einer Nachtragsanschuldigung ausge-
setzt worden. Diese wurde, nachdem dem früheren Soldaten zu den neuen
Vorwürfen am 2. August 2012 rechtliches Gehör gewährt worden war, unter
dem 2. August 2012 erstellt, am 7. August 2012 bei Gericht eingereicht und
dem früheren Soldaten am 20. August 2012 ausgehändigt. Sie wirft ihm ergän-
zend folgendes vorsätzliches Dienstvergehen vor:
„Der Soldat trat am 24.01.2012 seinen Dienst bei der
3./Logistikbataillon … in der …-Kaserne, T., nicht an, son-
dern blieb ihm bis zu seiner Rückkehr am 28.01.2012 oh-
ne Genehmigung fern.“
3. Mit Urteil vom 1. Oktober 2013 hat die 6. Kammer des Truppendienstgerichts
Nord den damals noch im aktiven Dienst befindlichen Soldaten aus dem
Dienstverhältnis entfernt, ihm einen Unterhaltsbeitrag für den Zeitraum von ei-
nem Jahr gewährt und ihm den Dienstgrad eines Stabsunteroffiziers der Reser-
ve belassen.
Aufgrund der geständigen Einlassungen des früheren Soldaten sowie der Aus-
sagen des Leumundszeugen Major S. stehe zum Anschuldigungspunkt 1 fest,
dass der frühere Soldat am 3. Oktober 2010 in seiner Wohnung in H. den Ent-
schluss gefasst habe, nicht zum Dienst nach T. zu fahren. Er habe deshalb am
4. Oktober 2010 um 07:00 Uhr den Dienst bei seiner Einheit in T. nicht angetre-
ten. Erst am 7. Oktober 2010 habe er sich in das Sanitätszentrum in … bege-
ben. Am 12. Oktober 2010 habe er sich fernmündlich bei seinem Kompaniechef
gemeldet.
Zu den sonstigen Anschuldigungspunkten stehe wegen der nach § 84 Abs. 1
WDO bindenden, in sich schlüssigen und nicht widersprüchlichen Tatsachen-
feststellungen im Urteil des Amtsgerichts U. vom 15. Mai 2012 fest:
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„1. Am 07.02.2011 meldete sich der Angeklagte nicht wie
befohlen um 7 Uhr in seiner Dienststelle, sondern blieb
seiner Einheit bis zum 11.02.2011 unerlaubt fern.
2. Am 09.05.2011 meldete sich der Angeklagte ebenfalls
nicht wie befohlen um 7 Uhr in seiner Dienststelle, son-
dern blieb seiner Einheit bis zum 16.05.2011 unerlaubt
fern.
3. Am 24.01.2012 trat der Angeklagte den Dienst bei sei-
ner Einheit nicht wie befohlen an und kehrte erst am
28.01.2012 freiwillig wieder zu seiner Einheit zurück.“
Durch das viermalige unerlaubte Fernbleiben vom Dienst habe der frühere Sol-
dat gegen seine Pflicht zum treuen Dienen verstoßen. Sie schließe die Pflicht
zur Anwesenheit und Dienstleistung sowie zum loyalen Verhalten der Rechts-
ordnung gegenüber ein. Gegen Letztere habe er mit seinem in der Anschuldi-
gungsschrift unter Punkt 2 und 3 sowie in der Nachtragsanschuldigungsschrift
beschriebenen, strafgerichtlich geahndeten Verhalten verstoßen. Hinzu trete
der Verstoß gegen seine Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhal-
ten im Dienst. Der frühere Soldat habe insgesamt wissentlich und willentlich
und damit vorsätzlich gehandelt.
Das Dienstvergehen sei mit der Höchstmaßnahme zu ahnden. Von überaus
großem disziplinaren Unrechtsgehalt sei die Verletzung der Pflicht zum treuen
Dienen. Sie verlange die Anwesenheit und die Bereitschaft zur Dienstleistung
als grundlegende soldatische Dienstpflicht. Die vorsätzliche Missachtung der
Anwesenheits- und Dienstleistungspflicht sei bei kürzerer eigenmächtiger Ab-
wesenheit mit einer Dienstgradherabsetzung, bei Fahnenflucht, länger dauern-
der oder wiederholter eigenmächtiger Abwesenheit mit der Entfernung aus dem
Dienstverhältnis zu ahnden.
Auch die Wohlverhaltenspflicht habe funktionalen Bezug zur Erfüllung des Auf-
trages der Streitkräfte und sei verletzt, wenn die Pflichtverletzung zur Beein-
trächtigung der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit geeignet sei. Bereits durch
die mehr als einwöchige Abwesenheit büße der frühere Soldat Achtung und
Vertrauen ein.
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Milderungsgründe in den Umständen der Tat lägen nicht vor. Es sei auch nicht
von einer möglicherweise verminderten Zurechnungsfähigkeit des früheren Sol-
daten im Sinne des § 21 StGB auszugehen, weil dieser zu den Gründen seiner
Abwesenheiten keine Angaben gemacht und zu einer Alkoholerkrankung keine
weiteren und substanziierten Erklärungen abgegeben habe. Das sachgleiche
Strafurteil des Amtsgerichts U. problematisiere dies auch nicht.
Zugunsten des früheren Soldaten sprächen Umstände in seiner Person: Er sei
disziplinarrechtlich nicht auffällig, Träger einer Einsatzmedaille und habe eine
Förmliche Anerkennung erhalten. Seine fachlichen Leistungen seien auf gleich-
bleibend hohem Niveau. Zwar habe der frühere Soldat eine durch die Fürsorge
des Dienstherrn ermöglichte Therapie zur Bekämpfung der Alkoholerkrankung
erfolgreich durchlaufen. Allerdings sei ihm auch nach der ersten unerlaubten
Abwesenheit keine besondere Belehrung über die Folgen einer solchen Pflicht-
verletzung erteilt worden. Dass dies auch nach der ersten Wiederholung der
Pflichtverletzung ausgeblieben sei, sei mildernd zu seinen Gunsten zu berück-
sichtigen. Ansatzweise mildernd sei auch der fehlende Rückhalt des früheren
Soldaten in der militärischen Gemeinschaft einzustellen.
Zu seinen Lasten sei zu werten, dass er innerhalb eines kurzen Zeitraumes
viermal über rund sechzehn Tage eigenmächtig abwesend gewesen sei und
dabei dreimal den Tatbestand einer eigenmächtigen Abwesenheit nach § 15
WStG erfüllt habe. Die mehrmaligen unerlaubten Abwesenheitszeiten gestatte-
ten es nicht mehr, das Dienstvergehen mit der weitestreichenden Dienstgradhe-
rabsetzung zu ahnden. Zudem habe der frühere Soldat noch nach der Einlei-
tung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens eine weitere einschlägige Pflicht-
verletzung begangen. Dies zeige einen Grad an Uneinsichtigkeit, der ihn für
den Dienst untragbar mache. Die Milderungsgründe hätten kein ausreichendes
Gewicht, um von der durch die viermalige Kernpflichtverletzung angezeigten
Verhängung der Höchstmaßnahme absehen zu können.
Da sich das Fehlverhalten jedoch als minderschwerer Fall darstelle, habe dem
früheren Soldaten für das Reservistenverhältnis ein herabgesetzter Dienstgrad
belassen werden können. Die Verlängerung der Gewährung des Unterhaltsbei-
trages auf insgesamt ein Jahr sei auszusprechen, um ihm die Zurückführung
seiner finanziellen Verpflichtungen zu ermöglichen.
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4. Der frühere Soldat hat gegen das ihm am 29. Oktober 2013 zugestellte Urteil
am 22. November 2013 unbeschränkt Berufung eingelegt und beantragt, es
hinsichtlich der Entfernung aus dem Dienstverhältnis aufzuheben, vom Verlust
des Dienstgrades abzusehen und eine in das Ermessen des Gerichts gestellte
Disziplinarmaßnahme zu verhängen.
Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: Auch bei einer längeren eigen-
mächtigen Abwesenheit sei in Einzelfällen auf eine Dienstgradherabsetzung
erkannt worden. Das Truppendienstgericht habe zudem eine etwaige vermin-
derte Zurechnungsfähigkeit mit der Begründung ausgeschlossen, er habe dazu
keine Angaben gemacht. Es hätte jedoch entsprechende Ermittlungen anstellen
müssen. Für ihn sprechende Umstände seien nicht hinreichend berücksichtigt
worden, so namentlich, bisher disziplinarrechtlich nicht in Erscheinung getreten
zu sein und über eine förmliche Anerkennung zu verfügen. Sein Geständnis sei
ebenso wenig mildernd berücksichtigt worden wie der Umstand, dass ihm die
disziplinaren Folgen einer Wiederholung nicht aufgezeigt worden seien.
III
1. Die Berufung des früheren Soldaten ist zulässig. Sie ist statthaft, ihre Förm-
lichkeiten sind gewahrt (§ 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2
WDO).
2. Sie ist unbegründet.
Dem aus dem Dienst ausgeschiedenen früheren Soldaten, der als früherer Be-
rufssoldat Soldat im Ruhestand ist, ist das Ruhegehalt abzuerkennen (§ 58
Abs. 2 Nr. 4 WDO i.V.m. § 65 WDO), weil er aus dem Dienst zu entfernen wäre,
falls er sich noch im Dienst befände, § 65 Abs. 1 Satz 2 WDO. Der erstinstanz-
liche Tenor ist entsprechend der durch den Eintritt in den Ruhestand geänder-
ten Rechtsfolge anzupassen (Dau, Wehrdisziplinarordnung, Kommentar,
6. Aufl. 2013, § 121 Rn. 4). Dass der frühere Soldat während des Berufungsver-
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fahrens aus dem Dienstverhältnis ausgeschieden ist, steht der Fortsetzung des
gerichtlichen Verfahrens nicht entgegen, § 82 Abs. 1 WDO.
Das Rechtsmittel ist von dem früheren Soldaten in vollem Umfang eingelegt
worden, so dass der Senat im Rahmen der Anschuldigungsschrift auf der
Grundlage eines vorliegend ohne einer Sachentscheidung entgegenstehender
Verfahrensmängel durchgeführten Verfahrens eigene Tat- und Schuldfeststel-
lungen zu treffen (a)), diese rechtlich zu würdigen und die sich daraus ergeben-
den Folgerungen zu ziehen (b)) sowie über die angemessene Disziplinarmaß-
nahme zu befinden hat (c)).
a) In tatsächlicher Hinsicht steht zur Überzeugung des Gerichts fest:
aa) Der frühere Soldat hat sich nicht wie befohlen am 7. Februar 2011 um 7 Uhr
bei der 3./Logistikbataillon … in T., …, gemeldet, sondern ist seiner Einheit bis
zum 11. Februar 2011 unerlaubt ferngeblieben. Auch am 9. Mai 2011 meldete
er sich nicht wie befohlen um 7 Uhr bei der 3./Logistikbataillon … in T., …, son-
dern blieb ihr bis zum 16. Mai 2011 unerlaubt fern. Schließlich trat er auch nicht
am 24. Januar 2012 den Dienst bei der 3./Logistikbataillon … in T., …, wie be-
fohlen an, sondern kehrte erst am 28. Januar 2012 wieder zu ihr zurück.
Dies steht auf der Grundlage der gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO bindenden
tatsächlichen Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts U. vom 15. Mai 2012
fest, von denen sich nach § 84 Abs. 1 Satz 2 WDO zu lösen kein Anlass be-
stand. Fest steht des Weiteren, dass der frühere Soldat wissentlich und willent-
lich gehandelt hat. Dies folgt aus seiner geständigen Einlassung in der Beru-
fungshauptverhandlung, die seinen Aussagen bei der Vorinstanz und beim
Amtsgericht U. entspricht.
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bb) Ferner hat der frühere Soldat wissentlich und willentlich seinen Dienst bei
der 3./Logistikbataillon … in T., …, nicht wie befohlen am 4. Oktober 2010 um
07:00 Uhr angetreten, sondern ist ihm bis zu seiner Krankschreibung am 7. Ok-
tober 2010 in W. unerlaubt ferngeblieben. Dies folgt aus den insoweit geständi-
gen Einlassungen des früheren Soldaten vor dem Truppendienstgericht und in
der Berufungshauptverhandlung, an deren Richtigkeit zu zweifeln kein Anlass
besteht.
b) Der frühere Soldat hat mit seinem Verhalten Pflichtverletzungen und damit
ein Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 SG begangen.
Indem er es wissentlich und willentlich unterließ, während der angeschuldigten
Zeiträume Dienst zu leisten, verletzte er vorsätzlich die Kernpflicht zum treuen
Dienen als Pflicht zur Dienstleistung (§ 7 SG). Diese Pflicht ist auch unter dem
Aspekt der Loyalität zur Rechtsordnung von ihm vorsätzlich verletzt (vgl.
BVerwG, Urteil vom 11. September 2014 - 2 WD 11.13 - juris Rn. 59), weil
er - wie von dem Amtsgericht U. rechtskräftig festgestellt - durch das vorsätzli-
che Fernbleiben jedenfalls während der unter den Anschuldigungspunkten 2
und 3 sowie in der Nachtragsanschuldigungsschrift bezeichneten Zeiträume
eine Wehrstraftat nach § 15 Abs. 1 WStG begangen hat.
Jeder Verstoß eines Soldaten gegen eine gesetzliche Dienstpflicht, die dem
vorangestellt ist, begründet zugleich einen Verstoß gegen
wenn dem festgestellten Verhalten unabhängig von anderen Pflicht-
verstößen die Eignung zur Ansehensminderung innewohnt. Die Achtungs- und
die Vertrauenswürdigkeit eines Soldaten können durch sein Verhalten schon
dann Schaden nehmen, wenn dieses Zweifel an seiner Zuverlässigkeit weckt
oder seine Eignung für die jeweilige Verwendung in Frage stellt. Für die Fest-
stellung eines Verstoßes gegen diese Vorschrift kommt es nicht darauf an, ob
eine Ansehensschädigung im konkreten Fall tatsächlich eingetreten ist. Es
reicht vielmehr aus, dass das Verhalten des früheren Soldaten geeignet war,
eine ansehensschädigende Wirkung auszulösen. Diese Voraussetzungen sind
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von dem früheren Soldaten durch den strafrechtlich relevanten Verstoß gegen
BVerwG, Urteil vom 28. August 2014 - 2 WD 20.13 - juris Rn. 45 m.w.N.).
c) Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs
wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen.
Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen
Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten („Wiederherstel-
lung und Sicherung der Integrität, des Ansehens und der Disziplin in der Bun-
deswehr“, vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 11. Juni 2008 - 2 WD 11.07 - Buchholz
450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26 m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinarmaß-
nahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere
des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Per-
sönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des früheren Soldaten
zu berücksichtigen.
aa) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Un-
rechtsgehalt der Verfehlungen, d.h. nach der Bedeutung der verletzten Dienst-
pflichten. Danach wiegt das Dienstvergehen äußerst schwer.
Die Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG) gehört zu den zentralen Pflichten eines
Soldaten, deren Verletzung von erheblicher Bedeutung ist. Der besondere Un-
rechtsgehalt des Dienstvergehens folgt auch daraus, dass der frühere Soldat
nicht nur gegen seine soldatische Pflicht zur Dienstleistung, sondern auch ge-
gen seine Pflicht zur Loyalität gegenüber der Rechtsordnung, vor allem zur Be-
achtung der Strafgesetze, in erheblichem Umfang verstoßen und kriminelles
Unrecht im Sinne von § 15 Abs. 1 WStG begangen hat. Ein Soldat, der der
Truppe unerlaubt fernbleibt, versagt im Kernbereich seiner Dienstpflichten. Die
Bundeswehr kann die ihr obliegenden Aufgaben nur dann hinreichend erfüllen,
wenn nicht nur das innere Gefüge der Streitkräfte so gestaltet ist, dass sie ihren
militärischen Aufgaben gewachsen ist, sondern auch ihre Angehörigen im er-
forderlichen Maße jederzeit präsent und einsatzbereit sind. Der Dienstherr
muss sich darauf verlassen können, dass jeder Soldat seinen Pflichten zur
Verwirklichung des Verfassungsauftrages der Bundeswehr nachkommt und al-
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les unterlässt, was dessen konkreter Wahrnehmung zuwiderläuft. Dazu gehö-
ren insbesondere die Pflichten zur Anwesenheit und gewissenhaften Dienstleis-
tung. Die Verletzung der Pflicht zur militärischen Dienstleistung berührt nicht nur
die Einsatzbereitschaft der Truppe, sie erschüttert auch die Grundlagen des
Dienstverhältnisses selbst (BVerwG, Urteil vom 28. August 2014 - 2 WD
20.13 - juris Rn. 52). Hinzu tritt schließlich der vorsätzliche Verstoß gegen § 17
Abs. 2 Satz 1 SG.
Eigenart und Schwere des Dienstvergehens werden des Weiteren dadurch be-
stimmt, dass der frühere Soldat aufgrund seines Dienstgrades als Hauptfeldwe-
bel in einem Vorgesetztenverhältnis stand (§ 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 SG i.V.m.
§ 4 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 VorgV). Soldaten in Vorgesetztenstellung obliegt eine
höhere Verantwortung für die Wahrung dienstlicher Interessen. Wegen seiner
herausgehobenen Stellung ist ein Vorgesetzter in besonderem Maße für die
ordnungsgemäße Erfüllung seiner Dienstpflichten verantwortlich und unterliegt
damit im Falle einer Pflichtverletzung einer verschärften Haftung, da Vorgesetz-
te in ihrer Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben sollen (§ 10 Abs. 1
SG). Dabei ist nicht erforderlich, dass es der Soldat bei seinem Fehlverhalten
innerhalb eines konkreten Vorgesetztenverhältnisses an Beispielhaftigkeit hat
fehlen lassen. Es reicht das Innehaben einer Vorgesetztenstellung aufgrund
des Dienstgrades aus (BVerwG, Urteil vom 28. August 2014 - 2 WD 20.13 -
Rn. 54 m.w.N.).
Als die Schwere des Dienstvergehens erhöhend ist ferner mit einzubeziehen,
dass der frühere Soldat vier Pflichtverletzungen begangen hat, die überwiegend
auch strafgerichtlich geahndet worden sind. Die Schwere des Dienstvergehens
erhöht zudem ganz beträchtlich, dass der frühere Soldat selbst nach Einleitung
des disziplinargerichtlichen Verfahrens wiederum einschlägig disziplinarisch in
Erscheinung getreten ist.
bb) Das Dienstvergehen hatte erhebliche nachteilige Auswirkungen für den
Dienstbetrieb. Das Fehlverhalten ist nach der Aussage des Leumundszeugen
Major S. in der Einheit bekannt geworden. Darüber hinaus hatte es negative
Auswirkungen auf die Personalführung, weil der frühere Soldat seit
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bis zu seinem Ausscheiden aus dem Wehrdienst vorläufig des Dienstes entho-
ben und ihm verboten worden war, Uniform zu tragen. Dem Bund entstand
dadurch zugleich ein finanzieller Schaden, weil er dem früheren
ten - wenn auch reduzierte - Bezüge ohne Gegenleistung zahlen musste.
cc) Die Beweggründe des früheren Soldaten sind zwar einerseits eigennützig
gewesen, weil er nach den Aussagen in der Berufungshauptverhandlung seine
privaten Interessen höher bewertet hat als die dienstlichen Erfordernisse; ande-
rerseits ist jedoch mit in den Blick zu nehmen, dass jedenfalls auch die Pflege
seiner Ehefrau und die Unterstützung seines Sohnes bei der Suche nach einem
Ausbildungsplatz Motive dafür waren, dem Dienst fernzubleiben.
dd) Das Maß der Schuld des früheren Soldaten wird durch sein durchgehend
vorsätzliches Handeln bestimmt.
aaa) Die Alkoholisierung des früheren Soldaten führt nicht zu einer verminder-
ten Schuldfähigkeit entsprechend § 21 StGB.
(1) Der Frage des Alkoholkonsums des früheren Soldaten ist gem. § 106 Abs. 1
WDO nachzugehen. Dabei entbindet der Umstand, dass das Amtsgericht U. zu
den unter den Anschuldigungspunkten 2 und 3 sowie in der Nachtragsanschul-
digungsschrift bezeichneten Verhaltensweisen das Vorliegen einer schuldhaft
begangenen Tat festgestellt hat, die Wehrdienstgerichte nicht davon, Tatum-
ständen nachzugehen, welche die Schuld des früheren Soldaten mildern kön-
nen. Die Bindungswirkung rechtskräftiger Strafurteile erfasst nur die Feststel-
lungen, die zu den objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmalen der je-
weiligen Strafnorm gehören, nicht aber auch diejenigen, die für die Frage der
verminderten Schuldfähigkeit (nach § 21 StGB) Bedeutung haben (BVerwG,
Urteil vom 13. März 2003 - 1 WD 2.03 - juris Rn. 12).
(2) Die Ermittlungspflicht bezog sich auch auf einen entscheidungserheblichen
Gesichtspunkt.
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Ist ein Soldat für Art und Umfang seines Alkoholkonsums selbst verantwortlich,
führt eine dadurch verminderte Steuerungs- oder Einsichtsfähigkeit zwar nicht
zu einer Milderung der Disziplinarmaßnahme (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom
7. Februar 2013 - 2 WD 36.12 - juris Rn. 46 m.w.N.). Für Art und Umfang sei-
nes Alkoholkonsums selbst verantwortlich ist aber nicht, wer alkoholkrank ist
(BVerwG, Urteil vom 7. Februar 2013 - 2 WD 36.12 - Rn. 47).
Ob die erfolgreiche Durchführung einer Alkoholentziehungstherapie dazu führt,
dass ein alkoholkranker Soldat im Falle eines Rückfalles für seinen Alkoholkon-
sum selbst verantwortlich ist und sich aus einer alkoholbedingten Verminderung
seiner Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit kein Milderungsgrund ergibt (vgl.
BVerwG, Beschluss vom 16. Februar 2012 - 1 D 2.11 - Rn. 13 ff m.w.N. - zur
Frage der Dienstpflichtverletzung durch den Rückfall eines alkoholabhängigen
Beamten in die Alkoholsucht), bedarf hier keiner Entscheidung. Denn es ist
nicht feststellbar, dass die Alkoholentziehungstherapie des früheren Soldaten
erfolgreich gewesen wäre.
Erfolgreich ist eine Alkoholentziehungstherapie dann, wenn der Soldat durch sie
derart gefestigt ist, dass er seine Alkoholsucht nunmehr dauerhaft unter Kon-
trolle hat. Dies ist aufgrund einer Würdigung aller tatsächlichen Umstände des
Einzelfalles zu beurteilen, wobei dem Bericht der behandelnden Ärzte über das
Verhalten und die Entwicklung des alkoholkranken Menschen während der sta-
tionären Behandlung sowie der Länge der abstinenten Phase nach der Entlas-
sung besonderes Gewicht zukommt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Februar
2012 - 1 D 2.11 - Rn. 13, 15).
Die stationäre Alkoholentziehungstherapie, der sich der frühere Soldat nach
drei Alkoholentgiftungen (zuletzt Ende 2008) im Bundeswehrkrankenhaus …
vom 27. Januar bis 15. Mai 2009 in einer Klinik in B. unterzogen hatte, war nach
Maßgabe dessen bei dem früheren Soldaten jedenfalls zum Zeitpunkt der
Pflichtverletzungen erfolglos. Weder schloss sie mit einer eindeutig günstigen
Prognose ab noch gelang es dem früheren Soldaten, dauerhaft abstinent zu
leben. Die Erfolglosigkeit der Alkoholentziehungskur steht zur Überzeugung des
Gerichts auf der Grundlage der durch Verlesung in die mündliche Verhandlung
eingeführten Berichte des Bundeswehrkrankenhauses … (vom 25. November
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2008, 18. November 2010, 23. April 2013 sowie vom 13. November 2014), des
Gutachtens des TÜV … (vom 13. August 2010), des ärztlichen Entlassungsbe-
richts der Klinik B. (vom 22. Mai 2009), der Stellungnahme des Sanitätsdienstes
… (vom 14. November 2014) sowie des Befundberichts des Truppenarztes
Dr. S. (vom 7. Oktober 2010) fest.
Nach Abschluss der Alkoholentziehungskur Mitte Mai 2009 hat der frühere Sol-
dat gegenüber dem TÜV … im August 2010 erklärt, er habe nach seiner Ent-
lassung aus der Suchtklinik bei besonderen Anlässen maximal 3 Flaschen Bier
getrunken, so etwa bei runden Geburtstagen (S. 9). Er verzichte seit Januar
2009 auf den Konsum von Alkohol nur oberhalb einer deutlichen Wirkungs-
schwelle (S. 11) und betrachte sich nicht als Alkoholiker (S. 10). Der TÜV …
kommt in seiner Begutachtung vom 13. August 2010 daher zum Ergebnis, ein
Abstinenzverhalten sei nicht nachweisbar und eine positive Beurteilung sei
„zum gegenwärtigen Zeitpunkt“ nicht möglich (S. 11). Auch dem Bericht des
Bundeswehrkrankenhauses vom 18. November 2010 ist die Aussage des frühe-
ren Soldaten zu entnehmen, erst seit August 2010 vollständig abstinent zu le-
ben, vorher jedoch, wenn auch weniger, weiterhin Alkohol getrunken zu haben.
Der den früheren Soldaten für den Zeitraum Januar bis Juni 2010 betreuende
Oberfeldarzt R. hat ebenfalls ausgeführt, bei Durchsicht der Akte sei ihm klar
geworden, dass der frühere Soldat auch während der Betreuungszeit durch ihn
nicht abstinent gelebt habe. Die 2009 erfolgte Alkoholentziehungstherapie sei
als gescheitert anzusehen. In diesem Sinne äußert sich auch das Bundeswehr-
krankenhauses in seiner Stellungnahme vom 13. November 2014. Der frühere
Soldat sei in die Lage versetzt worden, abstinent zu leben, habe dies „aber
krankheitsbedingt nicht dauerhaft durchhalten“ können. Der frühere Soldat ge-
höre wohl zu dem Drittel von Alkoholikern, die regelmäßig Rückfälle hätten, dies
aber gefolgt von längeren Phasen der Abstinenz. Der den früheren Soldaten
behandelnde Truppenarzt Dr. S. hat bei diesem am 7. Oktober 2010 einen
„Foetor alcoholicus“ festgestellt.
Gestützt wird die Annahme einer erfolglosen Alkoholentziehungstherapie
schließlich durch den Ärztlichen Entlassungsbericht der Klinik B. In ihm wird
neben der Diagnose einer Alkoholabhängigkeit des früheren Soldaten (S. 8, 11)
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zwar festgestellt, die nicht unkompliziert verlaufene diagnostische Abklärung
habe bei diesem letztlich zur Klarheit über Art und Umfang der Abhängigkeits-
erkrankung beigetragen und ihm ermöglicht, ein stimmiges biopsychosoziales
Krankheitsmodell zu erarbeiten; einschränkend heißt es indes, dies sei ihm nur
„auf der rationalen Ebene“ gelungen, die Integration der an der Suchtentste-
hung beteiligten Persönlichkeitszüge stehe noch aus (S. 16). In Verbindung mit
der Feststellung, die Rückfallgefährdung des früheren Soldaten erschließe sich
aus dessen Persönlichkeitsstil (S. 5) und der Aussage, den unter Pkt. 7.1 ge-
nannten Zielen - unter anderem Verhinderung eines Rückfalls (S. 12) - habe
man sich „zumindest im Ansatz“ genähert (S. 16), wird deutlich, dass bereits
seinerzeit keine günstige Prognose vorlag. Dies gilt umso mehr, als der frühere
Soldat noch während der Alkoholentziehungstherapie erklärt hatte, keine ambu-
lante Nachsorge wahrnehmen zu wollen (S. 16), obwohl ihm gerade dies von
der Klinik empfohlen worden war (S. 17). Dass er diese Empfehlungen tatsäch-
lich nicht eingehalten hat, folgt aus der Stellungnahme des Bundeswehrkran-
kenhauses vom 13. November 2014. Darüber hinaus hat der frühere Soldat
anlässlich seiner Vernehmung am 11. Februar 2011 vorgegeben, schon wegen
der Wohnverhältnisse keine Selbsthilfegruppe aufsuchen zu können. Soweit er
in der Berufungshauptverhandlung erstmals erklärt hat, sich nach dem Rückfall
in die nasse Phase der Alkoholabhängigkeit doch noch in eine ambulante Be-
handlung begeben zu haben, stellt dies die Erfolglosigkeit der stationären Alko-
holentziehungstherapie nicht in Frage.
(2) Auch wenn wegen der nicht erfolgreich therapierten Alkoholerkrankung eine
alkoholbedingte Einschränkung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit beacht-
lich wäre, begründet sie jedoch deshalb keinen schuldmildernden Umstand,
weil auszuschließen ist, dass sie für die Pflichtverletzungen des früheren Solda-
ten kausal geworden sein könnte. Dies steht zur Überzeugung des Senats auf
der Grundlage der Aussagen des früheren Soldaten in der Berufungshauptver-
handlung fest. An deren Richtigkeit zu zweifeln, besteht kein Anlass, weil der
frühere Soldat im Laufe des Verfahrens zu seinem Trinkverhalten im Kern iden-
tisch vorgetragen hat.
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Soweit es den Anschuldigungspunkt 1 betrifft, hat der frühere Soldat in der Be-
rufungshauptverhandlung ausgesagt, während des angeschuldigten Zeitraums
ausschließlich abends 2 - 3 Bier und 2 - 3 Schnäpse getrunken zu haben, nicht
aber tagsüber; während dieser Zeit habe er mit seinem Sohn ein Jobcenter auf-
gesucht. Auch für den unter Anschuldigungspunkt 2 bezeichneten Zeitraum hat
er erklärt, ausschließlich abends beim Fernsehen sein Bier getrunken zu haben,
tagsüber gar nicht, weil er da zu tun gehabt habe. Legt man die höchste konkret
angegebene Trinkmenge von drei Flaschen Bier und drei Gläsern Schnaps am
Abend zugrunde, so ergibt sich ersichtlich für den Morgen des Folgetages unter
Berücksichtigung des Alkoholabbaus während der Nacht keine so hohe Blutal-
koholkonzentration, dass ein Wert von mehr als 2 ‰ vorliegen kann, von dem
an eine erheblich verminderte Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit in Betracht
kommt (Fischer, StGB, Kommentar, 61. Auflage 2014, § 20 StGB Rn. 19). Hier-
bei wäre zudem auch zu berücksichtigen, dass der frühere Soldat als Alkoholi-
ker trinkgewohnt ist, so dass selbst bei einer Blutalkoholkonzentration von mehr
als 2 ‰ nicht ohne Weiteres von einer im Rechtssinne erheblichen Einschrän-
kung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit auszugehen ist. Die Annahme
eines vollständigen Ausschlusses der Schuldfähigkeit, der regelmäßig bei 3 ‰
vorliegt (BVerwG, Beschluss vom 27. März 2012 - 2 WD 16.11 - juris Rn. 27),
verbietet sich hinsichtlich des Anschuldigungspunktes 1, zu dem keine strafge-
richtlichen Feststellungen vorliegen, erst recht.
Zu Anschuldigungspunkt 3 hat der frühere Soldat ausgeführt, während des dort
bezeichneten Zeitraums Garten- oder Balkonarbeiten getätigt zu haben. Seine
Aussage enthält keinen Hinweis auf einen Alkoholkonsum, der ihn veranlasst
haben könnte, dem Dienst unerlaubt fernzubleiben. Das Gleiche gilt für den in
der Nachtragsanschuldigungsschrift bezeichneten Zeitraum, zu dem der frühere
Soldat ausgeführt hat, er sei während dieses Zeitraums nicht nur wegen der
Erkrankung seiner Frau, sondern vor allem wegen des Einbaus einer neuen
Heizung zu Hause geblieben. Er habe in dieser Zeit keinen Alkohol konsumiert,
dies schon deshalb nicht, weil er dem Handwerker nicht alkoholisiert habe ent-
gegengetreten wollen.
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bbb) Erfolgreich beruft sich der frühere Soldat hingegen auf das Vorliegen einer
seelischen Ausnahmesituation (BVerwG, Urteile vom 1. September 1997
- 2 WD 13.97 - BVerwGE 113, 128 <130> und vom 27. Januar 2011 - 2 A
5.09 - juris Rn. 39). Er befand sich über einen langen Zeitraum (dazu: BVerwG,
Urteil vom 13. September 2011 - 2 WD 15.10 - juris Rn. 53) in einem psychi-
schen Ausnahmezustand. Dieser folgte aus der Kumulation zahlreicher belas-
tender Lebensumstände, die den früheren Soldaten angesichts seiner Persön-
lichkeit überfordert haben. Der Eindruck, den der Senat von dem früheren Sol-
daten in der Berufungshauptverhandlung gewonnen hat, bestätigt dies ebenso
wie die Beschreibung im Ärztlichen Entlassungsbericht der Klinik B. Dort heißt
es, Situationen, die der frühere Soldat als konfliktreich erlebe, trage er nicht of-
fen aus, sondern mit sich selbst; sie lösten Gefühle innerer Anspannung aus
und bildeten den Hintergrund für den Alkoholismus (S. 7).
Zu den belastenden Lebensumständen zählten neben der beruflich bedingten
Pendelsituation zunächst die mehrjährige Erkrankung seiner 2013 mit 49 Jah-
ren verstorbenen Ehefrau, deren Pflege zwar in der Woche durch den jüngsten
Sohn, am Wochenende jedoch durch den früheren Soldaten erfolgte. Der frühe-
re Soldat hat in der Berufungshauptverhandlung glaubhaft geschildert, dass
seine Ehefrau nicht mehr in der Lage war, die Wohnung zu verlassen oder den
Haushalt zu versorgen, dass sie nur noch auf dem Sofa gelegen und ärztliche
Hilfe abgelehnt habe. Der Senat kann nachvollziehen, dass der frühere Soldat
mit dieser Situation emotional wie in der praktischen Bewältigung völlig überfor-
dert war und sich auch schämte, Hilfe von außen in Anspruch zu nehmen. Des
Weiteren bestanden Belastungen durch die gut zwei Jahre andauernden Be-
mühungen des früheren Soldaten, für seinen Sohn eine Lehrstelle zu finden. Mit
der weiterhin bestehenden Alkoholerkrankung und dem Rückfall in die „nasse
Phase“ traten weitere belastende Lebensumstände hinzu. Die Belastung des
früheren Soldaten erfuhr durch diese Faktoren einen so hohen Grad an Zuspit-
zung, dass ein angemessenes Verhalten von ihm kaum noch erwartet werden
konnte (BVerwG, Urteil vom 28. August 2014 - 2 WD 20.13 - juris Rn. 63).
ccc) Der Milderungsgrund eines Mitverschuldens von Vorgesetzten in der Form
einer mangelhaften Dienstaufsicht liegt hingegen nicht vor. Er steht einem Sol-
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daten nur dann zur Seite, wenn er der Dienstaufsicht bedarf, z.B. in einer Über-
forderungssituation, die ein hilfreiches Eingreifen des Vorgesetzten erforderlich
macht (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2012 - 2 WD 31.11 - juris Rn. 28
m.w.N.). Eines hilfreichen Eingreifens bedurfte es jedoch nicht, um dem frühe-
ren Soldaten bewusst zu machen, dass er durch sein Verhalten dem Dienst
unerlaubt fern blieb. Der frühere Soldat hat dies selbst auch nicht in Abrede ge-
stellt.
Dem Disziplinarvorgesetzten ist auch nicht vorzuwerfen, dass er weitere er-
kennbar erforderliche Fürsorgeleistungen des Dienstherrn nicht in die Wege
geleitet hätte. Von der konkreten Situation der Familie wusste er nach seinen
glaubhaften Angaben nichts. Der frühere Soldat hatte mit Unterstützung des
Dienstherrn eine Alkoholentziehungstherapie absolviert, er befand sich in re-
gelmäßiger truppenärztlicher Betreuung und es war während des Dienstes nicht
zu Auffälligkeiten gekommen. Vor diesem Hintergrund hatte der Disziplinarvor-
gesetzte keinen Grund zu der Annahme, die fortbestehende Alkoholerkrankung
mache zusätzliche Hilfeleistungen erforderlich, um dem früheren Soldaten ein
pflichtgemäßes Verhalten zu ermöglichen. Wie oben ausgeführt, ist auch nicht
davon auszugehen, dass eine Alkoholisierung zu einer erheblichen Verminde-
rung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit führte und so kausal für die Pflicht-
verletzungen geworden wäre. Schon deshalb kann auch das Unterbleiben eines
über die Belehrung gemäß Ziffer 403 und Anlage 14 der ZDv 10/5 hinausge-
henden Hinweises, dass übermäßiger außerdienstlicher Alkoholkonsum die
Pflichterfüllung gefährden kann, nicht mitursächlich für die Pflichtverletzung ge-
worden sein.
Es bedarf keiner Entscheidung, ob ein Rückfall eines alkoholabhängigen Solda-
ten in die Alkoholsucht diesem nur vorwerfbar ist, wenn er zuvor über die Fol-
gen belehrt worden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Februar 2012 - 1 D
2.11 - Rn. 14 für den Beamten). Denn wie oben ausgeführt hatte der frühere
Soldat hier nie ein Stadium erreicht, in dem er dauerhaft in der Lage war, alko-
holabstinent zu leben, weil die Entziehungsbehandlung keinen Erfolg gehabt
hatte. Daher ist ihm der Rückfall in die Alkoholabhängigkeit hier auch nicht vor-
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geworfen worden und es ist unerheblich, ob dieser mangels entsprechender
Belehrung nicht schuldhaft gewesen wäre.
ee) Im Hinblick auf die Zumessungskriterien „Persönlichkeit“ und „bisherige
Führung“ sprechen für den früheren Soldaten nicht - wie vom Truppendienstge-
richt angenommen - gleichbleibend hohe Leistungen. Auch wenn der Senat die
unter dem 27./29. Januar 2014 erteilte Sonderbeurteilung (mit „2“) nicht berück-
sichtigt, weil sie auf einer offensichtlich nicht tragfähigen Erkenntnisgrundlage
basiert, folgt sowohl aus den Aussagen des Leumundszeugen als auch aus der
Beurteilung vom 4. August 2010, dass sich der frühere Soldat im Spektrum
durchschnittlicher Leistungen bewegt hat. Der Leumundszeuge hat dessen
Leistungen mit „3“ bis „4“ bewertet und ihn dem unteren Drittel vergleichbarer
Dienstgrade zugeordnet; die Beurteilung weist als Durchschnittswert der Aufga-
benerfüllung „5,40“ aus.
Gegen eine integre Persönlichkeit des früheren Soldaten spricht die neben die
Verurteilung wegen unerlaubten Fernbleibens vom Dienst tretende erhebliche
strafrechtliche Vorbelastung in Gestalt einer Verurteilung wegen fahrlässiger
Körperverletzung, vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und Beleidi-
gung. Dem früheren Soldaten ist indes zugute zu halten, dass er Einsicht in das
begangene Unrecht gewonnen hat, er sein Tun bereut, von Anfang an gestän-
dig war und eine Förmliche Anerkennung erhalten hat. Dass er zuvor nicht dis-
ziplinar in Erscheinung getreten ist, vermag hingegen nicht in besonderer Weise
zu seinen Gunsten zu wirken, weil er damit nur den berechtigten Erwartungen
des Dienstherrn gerecht wurde.
f) Nach einer Gesamtwürdigung aller vorgenannten be- und entlastenden Um-
stände ist im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und
die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts die Aberkennung des Ruhegehalts
nach § 58 Abs. 2 Nr. 4, § 65 WDO erforderlich. Bei der konkreten Bemessung
der Disziplinarmaßnahme geht der Senat von einem zweistufigen Prüfungs-
schema aus (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 2010 - 2 WD 9.09 -
juris Rn. 35 ff.):
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aa) Für Fälle des vorsätzlichen eigenmächtigen Fernbleibens eines Soldaten
von der Truppe ist aus spezial- und generalpräventiven Gründen bei kürzerer
unerlaubter Abwesenheit Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen grund-
sätzlich eine Dienstgradherabsetzung, gegebenenfalls bis in den Mannschafts-
dienstgrad; bei länger dauernder oder wiederholter eigenmächtiger Abwesen-
heit sowie bei Fahnenflucht ist das Dienstvergehen so schwerwiegend, dass es
regelmäßig die Entfernung aus dem Dienstverhältnis oder den Ausspruch der
sonst gebotenen Höchstmaßnahme - wie vorliegend die Aberkennung des Ru-
hegehalts - indiziert (vgl. BVerwG, Urteile vom 28. August 2014 - 2 WD 20.13 -
juris Rn. 70 und vom 26. April 2012 - 2 WD 6.11 - juris Rn. 30). Letzteres ist der
Fall, weil der frühere Soldat dem Dienst vorsätzlich und wiederholt unerlaubt
ferngeblieben ist.
bb) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im Hinblick
auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die Zweckset-
zung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die die Möglichkeit einer
Milderung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaß-
nahme eröffnen. Dabei ist vor allem angesichts der Eigenart und Schwere des
Dienstvergehens sowie dessen Auswirkungen zu klären, ob es sich im Hinblick
auf die be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittleren oder
leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer,
sondern ein niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt
der Zumessungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach
„unten“ zu modifizieren. Zusätzlich sind die gesetzlich normierten Bemessungs-
kriterien für die Bestimmung der konkreten Sanktion zu gewichten, wenn die
Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet,
dem Wehrdienstgericht einen Spielraum eröffnet.
Zwar führt das Vorliegen des Milderungsgrundes des Handelns in einer psychi-
schen Ausnahmesituation regelmäßig dazu, von der Regelmaßnahme abzu-
weichen. Hier ist allerdings erschwerenden Umständen von hohem Gewicht
Rechnung zu tragen, nämlich die mehrmalige Wiederholung einschlägigen Ver-
haltens und vor allem dem Umstand, dass die letzte Pflichtverletzung noch er-
folgte, nachdem dem früheren Soldaten die Anschuldigungsschrift bereits aus-
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gehändigt worden war. In der Abwägung mit diesen erschwerenden Umständen
erreichen die mildernden Aspekte kein ausreichendes Gewicht mehr, um vom
Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen abzuweichen.
Gegen den vollständigen Vertrauensverlust spricht auch nicht, dass der frühere
Soldat nicht sogleich nach Bekanntwerden des Dienstvergehens, sondern erst
im März 2012 vorläufig des Dienstes enthoben wurde. Die Beantwortung der
Frage nach der fortbestehenden Vertrauenswürdigkeit eines Soldaten hängt
nicht entscheidend von den Erwägungen und Entscheidungen der jeweiligen
Einleitungsbehörde oder der Einschätzung der unmittelbaren Vorgesetzten ab.
Ob das Vertrauen in die Zuverlässigkeit und persönliche Integrität des betroffe-
nen Soldaten erschüttert oder gar zerstört ist, ist nach einem objektiven Maß-
stab, also aus der Perspektive eines objektiv und vorurteilsfrei den Sachverhalt
betrachtenden Dritten zu prüfen und zu bewerten (BVerwG, Urteil vom 16. De-
zember 2010 - 2 WD 43.09 - juris Rn. 48).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 139 Abs. 2 WDO, § 140 Abs. 5 Satz 2
WDO.
Dr. von Heimburg
Dr. Burmeister
Dr. Eppelt
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