Urteil des BVerwG vom 10.10.2013

Soldat, Kompetenz, Alkohol, Mangel des Verfahrens

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 23.12
TDG S 5 VL 03/11
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
Herrn Hauptmann ...,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 10. Oktober 2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Burmeister,
ehrenamtlicher Richter Oberstleutnant von der Brelje und
ehrenamtliche Richterin Hauptmann Speit,
Leitender Regierungsdirektor ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ...
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Berufung des Soldaten gegen das Urteil der 5. Kam-
mer des Truppendienstgerichts Süd vom 9. Februar 2012
wird zurückgewiesen.
Der Soldat trägt die Kosten des Berufungsverfahrens ein-
schließlich der ihm darin erwachsenen notwendigen Aus-
lagen.
G r ü n d e :
I
Der 1971 geborene Soldat verfügt über die allgemeine Hochschulreife. Er wur-
de 1991 zur Bundeswehr einberufen, 1992 in das Dienstverhältnis eines Sol-
daten auf Zeit berufen und 1994 als Anwärter für die Laufbahn der Offiziere des
Truppendienstes übernommen. Nachdem er das Studium der Elektrotechnik
absolviert und die Prüfung als Diplomingenieur erfolgreich abgelegt hatte, wur-
de er im Oktober 2001 in das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten berufen.
Zuletzt wurde er im Juli 2006 zum Hauptmann befördert und im September
2008 in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 12 eingewiesen.
1995 wurde der Soldat zur ..., im Jahre 2000 zur ... und ab 2003 zum ... ver-
setzt, wo er als S 6-Offizier Verwendung fand. 2006 wurde er als Feldjägeroffi-
zier zur ... versetzt. Den Stabsoffizierlehrgang hat der Soldat im März 2007 mit
befriedigendem Ergebnis abgeschlossen. Am 1. April 2007 übernahm er als
Kompaniechef die 2. Kompanie des .... Vom 22. Juni bis 4. Oktober 2009 wurde
er zur ... der Schule für Feldjäger und Stabsdienst kommandiert. Unter voran-
gehender Kommandierung vom 5. Oktober 2009 wurde er sodann zum Landes-
kommando ... versetzt, wo er seitdem in der S 3-Abteilung Dienst leistet.
In der Beurteilung vom 22. Januar 2008 wird dem Soldaten in seiner Funktion
als Hauptmann und Kompaniechef hinsichtlich der Aufgabenerfüllung auf dem
Dienstposten der Durchschnittswert „7,0“ zuerkannt. Mit „6“ wird wirtschaftliches
Verhalten, mit „8“ der Punkt Ausbildung und die weiteren Merkmale werden mit
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„7“ bewertet. In der Beschreibung heißt es im Wesentlichen, der Soldat sei ein
zupackender, sehr verlässlicher und selbstbewusster Feldjägeroffizier, der sei-
nen Auftrag mit großer Tatkraft ausführe. Er sei ein fordernder Vorgesetzter, der
einen hohen Leistungsstandard setze und ihn auch durchsetze. Dabei verstehe
er es, stets den richtigen Ton zu treffen und Ziele und Aufgaben so zu vermit-
teln, dass der Einzelne sich mit einbringe. Er sei ein Freund deutlicher, klarer
und schnörkelloser Worte, der sich nicht scheue, Schwächen deutlich anzu-
sprechen und Maßnahmen zu ergreifen, um Mängel abzustellen. Dabei wirke er
manchmal noch etwas impulsiv. Es komme ihm darauf an, die Einhaltung der
Disziplin durchzusetzen und zugleich Einsicht beim Soldaten zu erzeugen. Er
sei ein gradliniger, berechenbarer Offizier, der das Prinzip „Führen mit Auftrag“
nachdrücklich und erfolgreich anwende. Gerade abseits von Routineaufgaben
oder bei speziellen, fordernden Aufträgen stelle er sein gesamtes Fach- und
Führungskönnen immer wieder unter Beweis. Seine körperliche Leistungsfähig-
keit sei vorbildlich. In seinem Persönlichkeitsprofil wird als bestimmendes
Merkmal die funktionale Kompetenz herausgestellt, die bei ihm stärker ausge-
prägt sei, ebenso wie seine soziale Kompetenz. Konzeptionelle Kompetenz und
Kompetenz in Menschenführung seien ausgeprägt. Weniger ausgeprägt sei die
geistige Kompetenz. Er führe von vorne und stelle immer seine Verantwortung
als Einheitsführer unter Beweis. Rückversicherungen oder Rückdelegationen
seien für ihn undenkbar. Soldatische Werte lebe er glaubhaft vor. Er sei in jeder
Hinsicht ein loyaler und aufrichtiger Offizier, der seinen Erfolg nicht zu Lasten
seiner Untergebenen suche, sondern selbst Freude an der Leistung habe. Hoch
motiviert wirke er manchmal noch ein wenig ungestüm und impulsiv. Seine Ge-
fühlslage vermöge er nicht immer zu überspielen. Mit zunehmender Erfahrung
werde er die notwendige Abgeklärtheit noch entwickeln. Er sei eine feste Größe
und Stütze im Offizierkorps des Verbandes. Insbesondere sein selbstloses Ver-
halten und sein gesunder Humor würden geschätzt. Mündlich erfreulich klar und
auf den Punkt kommend, scheue er auch dann die gebotene Deutlichkeit nicht,
wenn es um unangenehme Sachverhalte gehe. Dabei zeige er sich im gleichen
Maß kritikfähig. Sein Handeln im Bereich der Menschenführung lasse deutlich
spüren, dass ihm Disziplin und das Wohl seiner Soldaten gleichermaßen am
Herzen lägen. Er sei für eine Verwendung auf der Ebene A 15 geeignet und
solle diesbezüglich mit Nachdruck gefördert werden.
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In der planmäßigen Beurteilung vom 13. November 2009 wird ihm im Durch-
schnittswert der Aufgabenerfüllung der Wert „5,8“ zuerkannt. Mit „3“ wird sein
Führungsverhalten eingestuft, mit „5“ werden Belastbarkeit, Zusammenarbeit
und wirtschaftliches Verhalten bewertet. Mit „6“ werden Zielerreichung und In-
formations- und Kommunikationsverhalten, mit „7“ Eigenständigkeit, Fach-
kenntnis und praktisches Können, Planung und Organisation sowie Ausbildung
bewertet. Bescheinigt werden ihm Eigenständigkeit, ein hoher Grad an Ziel-
erreichung und deutlich überdurchschnittliche planerisch-organisatorische Fä-
higkeiten als kennzeichnende Persönlichkeitsmerkmale. Hinzu komme der un-
bedingte Wille, den eigenen Verantwortungsbereich zu gestalten und auf die
bestmögliche Bewältigung der Auftragslage auszurichten. Er führe mit einem
sehr personalen Führungsstil kompromisslos und im Ergebnis sehr erfolgreich.
Untergebene Soldaten beurteile er treffsicher in ihrem Leistungsvermögen. Er
fordere seine Truppe und lebe seine hohen Forderungen vor. Dabei toleriere er
grundsätzlich dienstliche Defizite leistungsschwächerer, aber bemühter Sol-
daten. Er erkenne, dass Dienst- und Auslandseinsatz bei einzelnen Untergebe-
nen untergeordnete Priorität besäßen und ergreife alle aus seiner Sicht erfor-
derlichen Mittel, um eine Verhaltensänderung herbeizuführen. Sein Führungs-
verhalten sei von der EinsteIlung geprägt, dass jeder, der nicht mitziehe, andere
Soldaten zusätzlich belaste. Er toleriere dies nicht und neige dann dazu, über
das Ziel hinaus zu schießen. Er müsse zukünftig daran arbeiten, in der Füh-
rungsverantwortung alle seine Untergebenen mitzunehmen. Bestimmendes
Merkmal seines Persönlichkeitsprofils und stärker ausgeprägt sei die funktiona-
le Kompetenz. Stärker ausgeprägt sei seine geistige Kompetenz. Soziale Kom-
petenz und konzeptionelle Kompetenz seien ausgeprägt, die Kompetenz in
Menschenführung weniger ausgeprägt. Der Soldat analysiere schnell und treff-
sicher, um dann Spitzenleistungen in der Umsetzung zu bringen. Dies habe er
unter anderem als Verantwortlicher der Absicherung eines mehrtägigen Tref-
fens des Generalinspekteurs und in einem ISAF-Einsatz bewiesen. Mit Blick auf
seinen weiteren Werdegang sollten vorrangig sein scharfer Intellekt, seine Ana-
lysefähigkeit und sein ausgeprägtes Verständnis für die Durchführung militäri-
scher Operationen genutzt werden. Für die Stabsarbeit hervorragend geeignet,
in der Zusammenarbeit mit zivilen Dienststellen erfahren und im Auftreten mit
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hoher Überzeugungskraft solle er zwar weiterhin nah an der Truppe, jedoch
zunächst nicht in direkter Führungsverantwortung eingesetzt werden. Hinsicht-
lich Führungsverwendungen sei er geeignet, besonders gut geeignet für Stabs-
verwendungen und gut geeignet für Lehrverwendungen. Geeignet sei er für
Verwendungen mit besonderer Außenwirkung. Der nächsthöhere Vorgesetzte
stimmte der Beurteilung zu. Der Soldat besitze das Potenzial für Verwendungen
bis zur allgemeinen Laufbahnperspektive.
In der Beurteilung vom 20. Juni 2012 erhält der Soldat als Durchschnittswert
der Aufgabenerfüllung „6,66“. Der Soldat sei geprägt von Leistungswillen und
-fähigkeit. Seine eigene hohe Leistungsbereitschaft übertrage er auch auf seine
Mitarbeiter, seine sportliche und körperliche Leistungsfähigkeit halte er konstant
auf beispielhaft hohem Niveau. Seine Kompetenz in Menschenführung sei we-
niger ausgeprägt, die soziale und konzeptionelle Kompetenz seien ausgeprägt
sowie die geistige und funktionale Kompetenz stärker ausgeprägt. Bestimmen-
des Merkmal sei die funktionale Kompetenz. Der Soldat sei ein Offizier, der sich
sehr an den traditionellen soldatischen Tugenden orientiere. Engagiert und leis-
tungsbereit erledige er die ihm gestellten Aufgaben initiativ und mit hohem per-
sönlichen Engagement. Sein gradliniges und schnörkelloses, auf Leistung aus-
gerichtetes Wesen sei in der Zusammenarbeit mit Mitarbeitern nicht immer kon-
fliktfrei. Wenn der Soldat seine innere Freiheit durch die Beendigung der ihn
derzeit belastenden Situation wieder erlange, werde er sein gutes Leistungs-
niveau noch weiter steigern können. Im Umgang mit anderen Menschen müsse
er lernen, seinen hohen Leistungsanspruch so zu vermitteln, dass seine Unter-
gebenen sich damit identifizieren und ihn gegebenenfalls mit seiner Hilfe erfül-
len könnten. Der nächsthöhere Vorgesetzte schloss sich dem an und ergänzte,
der Soldat habe in der derzeitigen Verwendung gezeigt, dass er trotz seiner
nicht einfachen Situation belastbar sei. Er besitze eindeutig weitere Leistungs-
reserven. Die Verwendung des Soldaten auf einem A 13 Dienstposten in sei-
nem Stab befürworte er; bei weiterer Bewährung sei damit noch nicht das letzte
Wort gesprochen.
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Vor dem Truppendienstgericht hat der frühere Disziplinarvorgesetzte, Oberst-
leutnant i.G. T., unter anderem ausgesagt, der Soldat habe im letzten Einsatz
4 Monate keinen Alkohol getrunken und das unter Bedingungen, unter denen
andere erst damit anfingen. Er habe mit Oberfeldwebel W. gesprochen, die den
Soldaten auch im Einsatz erlebt habe. Danach sei der Soldat unter Alkohol lau-
ter, aggressiver, schnoddriger und direkter. Er würde Ausdrücke heraushauen,
die ein anderer nicht benutzen würde. Er - der Zeuge - habe ein oder zweimal
zu ihm gesagt, dass das so und so ankomme, wenn er etwas so ausdrücke.
Der gegenwärtige Disziplinarvorgesetzte, Oberst K., hat erstinstanzlich unter
anderem ausgesagt, der Soldat sei ein fleißiger Offizier und bei Sondervorha-
ben sowie in der Ausbildung mit seinem Feldjägerwissen sehr von Nutzen. Er
habe es vermieden, ihn mit Führungsaufgaben mittel- oder unmittelbar zu be-
trauen. Die Auffassung des früheren Disziplinarvorgesetzten, Oberstleutnant
i.G. T., über die Ausdrucksweise des Soldaten teile er. Er wünsche sich vom
Soldaten mehr Zurückhaltung, spontan würden von ihm umpassende Ausdrü-
cke kommen. Der Soldat könne da noch an sich arbeiten. Im Übrigen sei der
Soldat exzellent in der Stabsarbeit und solle dort gefördert werden.
In der Berufungshauptverhandlung hat Oberstleutnant i.G. T. ausgesagt, der
Soldat sei authentisch und unverstellt. Man wisse, woran man mit ihm sei. Er
sei auf eine altmodische Art korrekt und freundlich. Man könne sich jederzeit
auf ihn verlassen, er habe ein überdurchschnittliches Pflichtbewusstsein. Der
Soldat sei dominant, habe mit harter Hand geführt, sei direkt und verfüge über
ein gutes Beurteilungsvermögen. Er habe die guten 30 % der Kompanie er-
kannt, gefördert und sicher behandelt. Bei den anderen Soldaten sei er teilwei-
se ruppig und sehr direkt gewesen. Eine von ihm - dem Leumundszeugen -
durchgeführte Befragung von Frau Oberfeldwebel W. habe ergeben, dass der
Soldat sehr fordernd und ablehnend gegenüber charmantem Auftreten von
Frauen sei. Nach seinem Kenntnisstand habe es keine Annäherung des Sol-
daten, auch nicht unter Alkoholeinfluss, Frauen gegenüber gegeben. Wenn der
Soldat Alkohol trinke, werde er redseliger, er wahre aber die Form. Aggressives
Verhalten habe er nicht feststellen können. Der Soldat sei gelegentlich verbal
flapsig, dies aber ohne sexuelle Anspielungen. Distanz wahre er nicht immer.
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Es habe Situationen gegeben, in denen der Soldat über das Ziel hinaus ge-
schossen sei. Er besitze nicht die Eignung zu Menschenführung, wenn er es
nicht gelernt habe, alle Soldaten in geeigneter Form mitzunehmen. Er - der
Zeuge - habe seinerzeit einschreiten und den Soldaten aus der Kompanie
nehmen müssen, weil in der Kompanie große Unruhe bestanden habe.
Der Leumundszeuge Oberst K. hat in der Berufungshauptverhandlung ausge-
sagt, er sei froh, dass er den Soldaten in seinem Stab habe. Dessen Verset-
zung auf einen höherwertigen Dienstposten sei wegen des schwebenden Diszi-
plinarverfahrens aufgeschoben. Der Soldat sei bereits einmal auf einem A 13-
Dienstposten eingesetzt gewesen und jetzt wieder auf einem solchen einge-
setzt. Der Soldat habe sich fachlich hervorragend eingebracht. Er sei sehr grad-
linig und nehme klare Positionen ein. Ohne das Disziplinarverfahren wäre der
Soldat bereits befördert worden. Der Soldat sei zwar nicht Vorgesetzter nach
§ 1, wohl aber nach § 3 SG.
Der Soldat ist berechtigt, das Tätigkeitsabzeichen der Feldjägertruppe in Gold,
das Leistungsabzeichen im Truppendienst in Gold, die Einsatzmedaille für die
Teilnahme am KFOR-Einsatz sowie die Einsatzmedaille für den ISAF-Einsatz
zu tragen. Am 30. Mai 2007 wurde ihm für eine hervorragende Einzeltat das
Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold verliehen. Der Auszug aus dem Bundes-
zentralregister vom 27. Juni 2013 weist keinen Eintrag auf. Der Auszug aus
dem Disziplinarbuch vom 5. Juli 2013 enthält eine Förmliche Anerkennung we-
gen vorbildlicher Pflichterfüllung vom 26. April 2001. In der Folgezeit wurden
ihm 4 Leistungsprämien gewährt, zuletzt im August 2012.
Ein wegen entwürdigender Behandlung Untergebener zunächst eingeleitetes
Strafverfahren wurde durch die Staatsanwaltschaft im Juni 2009 nach § 170
Abs. 2 StPO mit der Begründung eingestellt, es lasse sich nicht mit hinreichen-
der Sicherheit klären, ob es tatsächlich zu dem Verhalten gekommen sei, des-
sen der Soldat unter Anschuldigungspunkt 1 bezichtigt wird.
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Der in zweiter Ehe verheiratete Soldat hat aus erster Ehe eine achtzehnjährige
Tochter. Sie befindet sich noch in der Ausbildung und er zahlt an sie monatlich
480 Euro Unterhalt. Seine jetzige Ehefrau hat aus erster Ehe eine Tochter ein-
gebracht, die im gemeinsamen Haushalt lebt. Der Soldat erhält Dienstbezüge
von etwa 4 375 Euro brutto, woraus sich gut 3 695 Euro netto ergeben. Seine
Ehefrau erwirtschaftet monatlich 400 Euro. Darlehensverbindlichkeiten von
ca. 32 000 Euro tilgt der Soldat mit 400 Euro monatlich. Ferner unterhält er den
Vater seiner Ehefrau mit 200 Euro monatlich.
II
1. Der Soldat wurde am 19. Mai 2009 und am 27. Mai 2009 angehört. Auch am
1. Juli 2009 wurde ihm Gelegenheit gegeben, sich zu den angeschuldigten
Pflichtverletzungen zu äußern. Der Soldat erklärte, nicht aussagen zu wollen
und verwies auf seine bereits getätigten Aussagen gegenüber dem Komman-
deur (Oberstleutnant T.). Am 8. April 2010 kam es zu einer erneuten Verneh-
mung des Soldaten. Anlässlich seiner Anhörung am 4. August 2010 gemäß
§ 93 Abs. 1 Satz 2 WDO erklärt er, er werde sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt
nicht äußern, sondern erst, nachdem sein Anwalt nochmals Akteneinsicht ge-
nommen habe. Dann werde er eine umfassende schriftliche Erklärung abgeben.
Der Anhörung der Vertrauensperson widerspreche er.
2. Mit am 13. September 2010 zugestellter Verfügung des Befehlshabers des
Wehrbereichskommandos IV vom 2. September 2010 wurde gegen den Sol-
daten das gerichtliche Disziplinarverfahren eingeleitet. Mit anwaltlichem Schrift-
satz vom 30. November 2010 erklärte der Soldat, auf die Gewährung von
Schlussgehör zu verzichten, und führte im Übrigen zur Sache ausführlich aus.
Mit dem Soldaten am 11. Februar 2011 zugestellter Anschuldigungsschrift der
Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich des Wehrbereichskommandos IV
vom 2. Februar 2011 wird ihm vorgeworfen, seine Dienstpflichten wie folgt
schuldhaft verletzt zu haben:
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„1. Der Soldat betrat am 14.05.2009 zu einem nicht näher
bestimmbaren Zeitpunkt, aber jedenfalls nach 22.00 Uhr,
nach einer Kompaniefeier in stark alkoholisiertem Zustand
(mindestens 3 - 4 Bier sowie hochprozentige alkoholische
Getränke) die Stube der Frau Stabsunteroffizier D. in der
... in ..., die gerade vom Waschraum zurückgekehrt war
und sich im Schlafanzug befand und sagte zu ihr sinnge-
mäß, was sie für einen tollen Körper habe. Der Äußerung
der Frau Stabsunteroffizier D. ihm gegenüber, dass sie
schlafen gehen wolle, schenkte der Soldat keine Beach-
tung, sondern bewegte sich auf sie zu, bis auf etwa Arm-
länge. Der Soldat umfasste mit seiner linken Hand das
rechte Handgelenk der Frau Stabsunteroffizier D. und zog
sie zu sich heran. Sodann versuchte er Frau Stabsunterof-
fizier D. gegen ihren Willen zu küssen. Zu weiteren Hand-
lungen seinerseits kam es dann nicht mehr, da Frau
Stabsunteroffizier D. durch Zurückweichen signalisierte,
dass sie das Verhalten des Soldaten nicht dulde. Der Sol-
dat wich dann von ihr zurück in Richtung Tür. An der Tür
äußerte er sinngemäß, dass er jetzt wüsste, woran er bei
ihr sei und sich das merken würde. Daraufhin verließ der
Soldat die Stube.
2. Am 14.05.2009 sagte der Soldat zu Frau Stabsunterof-
fizier D. während einer Dienstfahrt, zu der er sie als Fahre-
rin eingeteilt hatte, dass sie einen ‚geilen Arsch’ habe.
Frau Stabsunteroffizier D. war diese Aussage äußerst un-
angenehm.
3. Am 15.05.2009 erschien der Soldat nicht zu dem von
ihm befohlenen großen Antreten um 7:00 Uhr. Nachdem
Oberstabsfeldwebel H. ihn gegen 7:30 Uhr anrief, teilte
der Soldat ihm mit, dass er verschlafen hätte. Daher fand
das Antreten um 9:00 Uhr statt, wobei der Soldat deutlich
wahrnehmbar unter dem Einfluss von Restalkohol stand.
4. Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen
dem 15.05.2009 und 01.07.2009 äußerte der Soldat im
Büro des Oberstabsfeldwebel S. ihm gegenüber, Frau
Stabsunteroffizier D. sei ‚die größte Nutte der Kompanie’.“
3. Mit Urteil vom 9. Februar 2012 hat die 5. Kammer des Truppendienstgerichts
Süd gegen den Soldaten unter Freistellung von Anschuldigungspunkt 2 und
unter teilweiser Freistellung von Anschuldigungspunkt 3 ein Beförderungsverbot
für die Dauer von drei Jahren verhängt. Zur Begründung führt sie im Wesentli-
chen aus:
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Die Pflichtverletzung gemäß Anschuldigungspunkt 2 sei nicht erwiesen, weil
sich die Zeugin D. an eine solche Äußerung des Soldaten nicht mehr habe er-
innern können. Soweit es die unter Punkt 3 angeschuldigte Pflichtverletzung
betreffe, habe sich lediglich der Zeuge H. erinnern können, beim Soldaten eine
alkoholische Fahne wahrgenommen zu haben. Ein alkoholbedingtes Schwan-
ken oder eine verwaschene Sprache habe kein Zeuge bestätigt.
Innerhalb des Anschuldigungspunktes 3 sei hingegen der um zwei Stunden
verspätete Dienstantritt des Soldaten erwiesen. Dieser sei fahrlässig begangen
worden, weil er nach eigenen Angaben des Soldaten darauf beruhe, nach dem
Weckerklingeln nicht sofort aufgestanden zu sein. Soweit es den Anschuldi-
gungspunkt 4 betreffe, stehe vor allem auf der Grundlage der Aussage des
Zeugen S. fest, dass der Soldat die angeschuldigte Äußerung von sich gegeben
habe.
Der Soldat habe ebenso die unter Anschuldigungspunkt 1 angeschuldigte
Pflichtverletzung begangen. Soweit er dies leugne, werde dies durch die glaub-
hafte Aussage der Zeugin D. widerlegt. Aus der Zusammenschau sämtlicher
Zeugenaussagen ergebe sich, dass an der Kernaussage dieser Zeugin, der
Soldat habe sie auf ihrer Stube gegen ihren Willen an sich gezogen und ver-
sucht, sie zu küssen, nicht gerüttelt werden könne. Die massiv vorgetragenen
Hinweise auf eine gewisse Leichtlebigkeit der Zeugin würden deren Glaubwür-
digkeit nicht erschüttern. Vielmehr sei von mehreren Zeugen unabhängig von-
einander und glaubhaft bekundet worden, wie das Geschehen die Zeugin
nachhaltig bewegt habe. Deren Aussage sei auch von keinem Belastungseifer
gekennzeichnet gewesen. Wenn die Zeugin dem Soldaten habe Schwierigkei-
ten bereiten wollen, hätte es für sie näher gelegen, ein wesentlich drastischeres
Verhalten des Soldaten zu konstruieren. Sie habe jedoch in ihrer Kernaussage
einen immer wieder gleichbleibenden Vorfall ohne brutale GrundeinsteIlung des
Soldaten geschildert.
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Durch das unter Anschuldigungspunkt 1 beschriebene Verhalten habe der Sol-
dat vorsätzlich gegen seine Dienstpflichten verstoßen, der Bundesrepublik
Deutschland treu zu dienen, für seine Untergebenen zu sorgen, die Würde, die
Ehre und die Rechte des Kameraden zu achten sowie der Achtung und dem
Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat erforderten. Durch das
unter Anschuldigungspunkt 3 beschriebene Verhalten, soweit nachgewiesen,
habe er fahrlässig gegen die Pflicht verstoßen, treu zu dienen. Mit seiner unter
Anschuldigungspunkt 4 beschriebenen Äußerung habe er ferner vorsätzlich
gegen die Pflicht verstoßen, treu zu dienen, für seine Untergebenen zu sorgen,
innerhalb und außerhalb des Dienstes bei seinen Äußerungen Zurückhaltung
zu wahren, die Rechte und Würde der Kameraden zu achten sowie der Achtung
und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat erforderten.
Dabei unterliege er als Offizier der verschärften Haftung des § 10 Abs. 1 SG.
Es liege ein schwerwiegendes Dienstvergehen vor. Der Soldat habe die Unter-
gebenen gegenüber stets einzuhaltende Distanz verletzt und damit ein schlech-
tes Beispiel gegeben. Die ihm gegenüber als Kompaniechef bestehende Ab-
hängigkeit der Zeugin D. trete erschwerend hinzu. Hinzu komme auch, dass er
als Kompaniechef ihr gegenüber eine herausragende Fürsorgeverpflichtung
gehabt habe. Zu seinen Gunsten sei zu berücksichtigen, dass sein Verhalten im
Anschuldigungspunkt 1 nicht von Gewalt begleitet gewesen sei und ihm keine
eindeutig sexuelle Motivation unterstellt werden könne. Der vom Soldaten ge-
brauchten Formulierung, er wisse jetzt, woran er bei ihr sei und würde sich das
merken, fehle es indes am Nötigungscharakter.Zu Gunsten des Soldaten sei
ferner zu berücksichtigen, dass sich die Zeugin durch ihre unkluge Wortwahl bei
früheren Gesprächen auf eine Ebene begeben habe, die einen Verzicht auf die
dienstnotwendige Distanz nicht ausschließe. Dabei sei jedoch zu berücksichti-
gen, dass es sich bei der Zeugin um eine sehr junge Frau gehandelt habe. Hin-
sichtlich des Anschuldigungspunktes 4 sei mildernd zu berücksichtigen, dass
der Soldat nicht davon habe ausgehen müssen, sein enger Freund werde die
Bemerkung weitergeben. Zu Gunsten des Soldaten wirkten auch seine hervor-
ragenden Leistungen. Die planmäßige Beurteilung aus dem Jahr 2009 stelle
sich als Ausnahme dar und sei offensichtlich dem anhängigen disziplinarge-
richtlichen Verfahren geschuldet. Der Soldat habe sich gleichwohl zur Beförde-
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rung in einen höheren Dienstgrad über einen längeren Zeitraum als ungeeignet
erwiesen. Einer zusätzlichen Kürzung der Dienstbezüge bedürfe es nicht.
4. Das Urteil des Truppendienstgerichts vom 9. Februar 2012 gelangte am
22. März 2012 zur Geschäftsstelle der 5. Kammer. Nach Auskunft des Präsi-
denten des Truppendienstgerichts Süd vom 13. September 2013 war der mit
dem Absetzen des Urteils befasste und Ende August 2013 in den Ruhestand
getretene Vorsitzende Richter der 7. Kammer im Zeitraum 10. Februar 2012 bis
21. März 2012 nicht arbeitsunfähig erkrankt.
5. Gegen das dem Soldaten am 18. April 2012 und seinem Verteidiger am
27. März 2012 zugestellte Urteil hat der Soldat am 15. Mai 2012 uneinge-
schränkte Berufung einlegen lassen und sie unter anderem damit begründet,
dass das Ermittlungsverfahren von der Wehrdisziplinaranwaltschaft nicht mit
der notwendigen Objektivität geführt worden sei.
Die Beweiswürdigung sei bei Anschuldigungspunkt 1 unvollständig erfolgt.
Während seine Aussagen von Anfang an gleichbleibend geblieben seien, habe
die Zeugin D. ihre Aussagen fortlaufend korrigiert und verändert. Es lägen zahl-
reiche, bereits schriftsätzlich detailliert dargelegte Widersprüche vor.
Beim Anschuldigungspunkt 3 sei zwar einzuräumen, dass der Soldat am Mor-
gen des 15. Mai 2009 verschlafen habe; aus den Aussagen der Zeugen B. und
N. ergebe sich jedoch, dass er nicht unter dem Einfluss von Restalkohol ge-
standen habe. Zu Anschuldigungspunkt 4 sei anzumerken, dass der Soldat we-
gen der gegen ihn erhobenen Behauptungen nervlich sehr stark belastet gewe-
sen sei und mit dem Zeugen S. ein privates Gespräch geführt und auf dessen
Verschwiegenheit vertraut habe.
Der Bundeswehrdisziplinaranwalt tritt dem Rechtsmittel entgegen und spricht
sich gegen eine Zurückverweisung der Sache wegen der verspäteten Abset-
zung des erstinstanzlichen Urteils aus; der Verteidiger des Soldaten hat sich in
der Berufungshauptverhandlung ebenso erklärt. Den Beteiligten ist in der Beru-
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fungshauptverhandlung Gelegenheit gegeben worden, sich zu einer Ausklam-
merung der Anschuldigungspunkte 2, 3 und 4 zu äußern.
III
1. Die gemäß § 116 Abs. 2 WDO formgerecht eingelegte Berufung des Sol-
daten ist zulässig. Sie ist auch fristgerecht im Sinne der § 115 Abs. 1 Satz 1,
§ 116 Abs. 1 Satz 1 WDO eingelegt worden. Dem Verteidiger des Soldaten
wurde das Urteil des Truppendienstgerichts zwar bereits am 27. März 2012 zu-
gestellt; maßgeblich ist jedoch die Zustellung an den Soldaten (§ 111 Abs. 2
WDO), welche erst am 18. April 2012 erfolgte, wodurch die Berufung innerhalb
eines Monats eingelegt wurde (Beschlüsse vom 24. Mai 2000 - BVerwG 2 WDB
3.00, 2 WDB 4.00 - Buchholz 235.0 § 111 WDO Nr. 3 und Urteil vom 14. April
2011 - BVerwG 2 WD 7.10 - NZWehrr 2012, 35-37).
2. Die Berufung ist jedoch unbegründet, wobei der Senat das unter Punkt 2 - 4
der Anschuldigungsschrift beschriebene Verhalten gemäß § 123 Satz 3, § 107
Abs. 2 Satz 1 WDO ausgeklammert hat. Es würde aus den unter 3. näher dar-
gelegten Gründen für die Art und Höhe der Disziplinarmaßnahme nicht mehr ins
Gewicht fallen, wenn es festgestellt worden und von disziplinarer Relevanz ge-
wesen wäre.
Das Rechtsmittel ist in vollem Umfang eingelegt worden. Der Senat hat daher
auf der Grundlage eines fehlerfrei durchgeführten Verfahrens (a) im Rahmen
der Anschuldigung (b) eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen (c), sie
rechtlich zu würdigen (d) und unter Zugrundelegung der in § 38 WDO festgeleg-
ten Bemessungsfaktoren die angemessene Disziplinarmaßnahme zu verhän-
gen (e). Dabei ist er an das Verschlechterungsverbot gebunden, weil lediglich
der Soldat das Rechtsmittel eingelegt hat (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331
Abs. 1 StPO). Zur Prüfung steht deshalb lediglich die Frage, ob das erstinstanz-
lich verhängte Beförderungsverbot eine zu schwere Disziplinarmaßnahme dar-
stellt.
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a) Die Berufung hat nicht bereits wegen schwerer Verfahrensmängel Erfolg, die
zur Aufhebung des truppendienstgerichtlichen Urteils und Zurückverweisung
der Sache gemäß § 121 Abs. 2 WDO zwingen.
aa) Das vor Rechtshängigkeit der Sache durchgeführte Verfahren begegnet kei-
nen Bedenken. Dem Soldaten ist in dem gesetzlich vorgesehenen Umfang
rechtliches Gehör gewährt worden. Darüber hinausgehende Anhörungsrechte
stehen ihm nicht zu (vgl. Urteil vom 17. Januar 2013 - BVerwG 2 WD 25.11 -
juris Rn. 27).
Soweit der Soldat einwendet, der seinerzeit ermittelnde Wehrdisziplinaranwalt
sei ihm gegenüber voreingenommen gewesen, begründet dies schon deshalb
keinen schweren Verfahrensfehler, weil nach den gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1
WDO entsprechend anwendbaren Grundsätzen des Strafprozessrechts kein
Recht der Beteiligten auf Ablehnung eines befangenen Staatsanwalts
- vorliegend Wehrdisziplinaranwalts - besteht (vgl. Meyer-Goßner, Strafpro-
zessordnung, Kommentar, 56. Aufl. 2013, vor § 22 Rn. 3). Ungeachtet dessen
wird im disziplinargerichtlichen Verfahren die Entscheidung über dessen Einlei-
tung und Fortführung nicht von dem Wehrdisziplinaranwalt, sondern von der
Einleitungsbehörde getroffen.
bb) Das Verfahren vor dem Truppendienstgericht weist zwar einen schweren
Verfahrensmangel auf; er führt jedoch nicht zur Zurückverweisung der Sache.
Ein schwerer Mangel des Verfahrens liegt darin, dass das am 9. Februar 2012
verkündete Urteil des Truppendienstgerichts entgegen dem gemäß § 91 WDO
entsprechend anwendbaren § 275 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 StPO erst am
22. März 2012 zur Geschäftsstelle (der 5. Kammer) gelangte. § 275 Abs. 1
Satz 2 Halbsatz 1 StPO sieht vor, dass das mit Gründen versehene Urteil spä-
testens fünf Wochen nach seiner Verkündung zu den Akten zu bringen ist; die-
se Frist wurde somit um eine Woche überschritten. Umstände gemäß § 275
Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 StPO, die den Lauf einer längeren Frist ausgelöst hätten,
liegen nicht vor. Umstände im Sinne des § 275 Abs. 1 Satz 4 StPO, die aus-
nahmsweise ein Überschreiten der Frist zulassen würden, ebenfalls nicht. Aus-
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weislich der Mitteilung des Präsidenten des Truppendienstgerichts Süd war der
Vorsitzende Richter der Truppendienstkammer in den Wochen zwischen der
Verkündung des Urteils und der Übergabe der Urteilsgründe zu den Akten ins-
besondere nicht arbeitsunfähig erkrankt (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O. § 275
Rn. 14 m.w.N.). Auf eine Erkrankung von Kanzlei- oder Geschäftsstellenmit-
arbeitern käme es in diesem Zusammenhang nicht an. Es liegt in der Verant-
wortung der Gerichtsverwaltung, erforderlichenfalls für Vertretung zu sorgen.
Durch den Ausfall von Schreibkräften bedingte Fristüberschreitungen sind nicht
unabwendbar (Beschluss vom 19. Juli 2013 - BVerwG 2 WD 34.12 - Rn. 10).
Entsprechendes gilt für den Fall, dass sich die Zurruhesetzung des für die Ab-
fassung des Urteils zuständigen Richters abzeichnet und dessen Bemühen,
zuvor noch eine Vielzahl anderer Fälle zu entscheiden, eine Arbeitsbelastung
zur Folge hat, die eine fristwahrende Absetzung nicht mehr zulässt.
Der Verfahrensmangel ist auch schwer im Sinne des § 120 Abs. 1 Nr. 2
Halbs. 2 Alt. 2 WDO, weil gegen eine gesetzlich zwingende Regelung versto-
ßen wurde. Sie ist von der Erwägung getragen, dass ein so spät nach der Ver-
kündung abgesetztes Urteil keine Gewähr mehr für eine Übereinstimmung sei-
ner Gründe mit dem Ergebnis der Hauptverhandlung und der Beratung bietet
(vgl. Beschlüsse vom 27. Juni 2013 - BVerwG 2 WD 19.12 - juris Rn. 12, vom
19. Juli 2013 a.a.O. Rn. 11 sowie Urteile vom 16. März 2004 - BVerwG 2 WD
3.04 - BVerwGE 120, 193 <195 f.> = Buchholz 235.01 § 93 WDO 2002 Nr. 1
und vom 31. März 1978 - BVerwG 2 WD 50.77 - BVerwGE 63, 23 <24>).
Trotz des schweren Verfahrensmangels ist der Senat aus den in seinen Be-
schlüssen vom 27. Juni 2013 (a.a.O.) und 19. Juli 2013 (a.a.O.) dargelegten
Erwägungen nicht gezwungen, das erstinstanzliche Urteil deshalb aufzuheben
und die Sache zurückzuverweisen. Ermessensleitend für die Feststellung, ob
eine Zurückverweisung zu einer unangemessenen Verzögerung der Sachent-
scheidung führen würde, ist neben der konkret im Raum stehenden Diszipli-
narmaßnahme das Gewicht des Gesetzesverstoßes, wie es sich nicht abstrakt,
sondern konkret darstellt. Dabei kommt der Stellungnahme der Beteiligten eine
indizielle Bedeutung für die Einschätzung der mit einer Zurückverweisung für
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sie verbundenen Nachteile zu (vgl. Urteil vom 19. Januar 2012 - BVerwG 2 WD
5.11 - Buchholz 450.2 § 121 WDO 2002 Nr. 2 Rn. 23).
Nach Maßgabe dessen wiegt der Gesetzesverstoß vorliegend deshalb weniger
schwer als in den vom Senat mit Beschlüssen vom 27. Juni 2013 und 19. Juli
2013 entschiedenen Fällen, weil die Absetzungsfrist dort um 2 bzw. um fast
7 Wochen überschritten wurde, vorliegend jedoch lediglich um eine Woche. An-
ders als in den entschiedenen Fällen steht vorliegend auch nicht eine Entfer-
nung aus dem Dienstverhältnis als schwerste oder eine Dienstgradherabset-
zung als zweitschwerste gerichtliche Disziplinarmaßnahme im Raum, sondern -
schon wegen des Verschlechterungsverbotes - nur ein Beförderungsverbot. Die
mit einer Zurückverweisung verbundene Verzögerung der Sachentscheidung
wäre damit angesichts des gesetzlich ausdrücklich normierten Beschleuni-
gungsgebots in § 17 Abs. 1 WDO unangemessen. Dies gilt umso mehr, als sie
für den Soldaten eine erneute Verlängerung des gegen ihn bereits seit Jahren
faktisch bestehenden Beförderungsverbotes zur Folge hätte. Damit besteht
nicht nur ein gewichtiges Interesse des Bundes an einer zeitnahen Entschei-
dung, sondern auch des Soldaten. Dem hat der Senat bei seiner Ermessens-
entscheidung Rechnung getragen.
b) Die Anschuldigungsschrift bedarf hinsichtlich des vorletzten Satzes des An-
schuldigungspunktes 1 der Auslegung. Da auch unter Einbeziehung des in der
Anschuldigungsschrift (unter B) beschriebenen Ermittlungsergebnisses nicht
eindeutig erkennbar ist, ob in der Äußerung des Soldaten eine weitere diszipli-
narisch zur ahndende Pflichtwidrigkeit gesehen wird, und der Vertreter des
Bundeswehrdisziplinaranwalts diesen Passus der Anschuldigungsformel nicht
zwingend als angeschuldigt deutet, wirken sich die insoweit bestehenden Un-
klarheiten zugunsten des Soldaten aus (vgl. Urteil vom 16. Mai 2013 - BVerwG
2 WD 1.12 - Rn. 30). Eine Anschuldigung, die die Grundlage für eine Verurtei-
lung bilden könnte, liegt deshalb nicht vor. Das Truppendienstgericht hat inso-
weit unzutreffend eine Pflichtverletzung festgestellt.
c) In tatsächlicher Hinsicht steht zur Überzeugung des Senats als Ergebnis der
Beweisaufnahme zum Anschuldigungspunkt 1 fest:
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Der Soldat betrat am 14. Mai 2009 nach 22:00 Uhr und vor 0:00 Uhr unaufge-
fordert in stark alkoholisiertem Zustand die Stube der - zum 31. Dezember 2012
aus dem Dienst ausgeschiedenen - Zeugin Stabsunteroffizier d.R. D. (Zeugin)
in der ... in ..., und versuchte zweimal wissentlich und willentlich, sie gegen ih-
ren für ihn erkennbaren Willen an sich heranzuziehen und zu küssen. Nachdem
die Zeugin zurückgewichen war und Ablehnung signalisiert hatte, verließ er so-
gleich deren Stube. Ob er sich darüber hinaus wie im vorletzten Satz des An-
schuldigungspunktes 1 beschrieben geäußert hat, kann aus den unter 2 b) dar-
gelegten Rechtsgründen offen bleiben.
Der Soldat hat in der Berufungshauptverhandlung ausgeführt, am Abend des
14. Mai 2009 ab 20:00 Uhr bzw. 20:30 Uhr Alkohol in Form von Bier und Misch-
getränken getrunken und gut angeheitert, nicht aber sturzbetrunken gewesen
zu sein, so dass er die Abläufe noch gut wisse. Gegen ca. 0:00 Uhr habe ihn
ein Oberfeldwebel nach Hause gefahren. Wegen einer Operation trinke er kaum
noch Alkohol und während des Afghanistaneinsatzes habe er 4 Monate über-
haupt keinen Alkohol getrunken. An dem Abend, an dem er angeblich die
Pflichtverletzung begangen haben solle, sei er total kaputt gewesen. Sicherlich
habe der Alkohol da auch anders gewirkt. Er werde nicht aggressiv, wenn er
Alkohol getrunken habe; dies würde nur von Leuten behauptet, die ihn nicht
mögen.
Den Übergriff auf die Zeugin bestreite er. Er sei am 14. Mai 2009 gegen etwa
20:00 Uhr an deren Stube vorbeigegangen und habe sie darauf hingewiesen,
dass ihre Stube unordentlich sei. Dabei habe er auch den Stabsunteroffizier F.
angetroffen und ihn für seinen Einsatz gelobt. Um 22:00 Uhr bzw. 22:30 Uhr sei
er erneut an der Stube der Zeugin vorbeigegangen, wobei die Tür offen gestan-
den und die Zeugin bereits ein Schlafgewand getragen habe. Sie habe so et-
was wie „Hallo“ oder „Huhu“ gerufen. Er habe ihr gesagt, was der Scheiß solle,
ihre Stube (Bude) sehe noch immer „wie Sau“ aus. Die Zeugin habe den Kopf
zur Seite gelegt und gesagt, „aber Herr Hauptmann“. Er habe ihr impulsiv ge-
sagt, morgen werde er mit ihr wegen ihrer Männergeschichten ein Gespräch
führen.
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Heute würde er sich anders verhalten und auf das „Huhu“ nicht reagiert haben
und auch nach dem Genuss von Alkohol keine Anweisungen mehr geben. Die
Gerüchte über die zahlreichen Männergeschichten der Zeugin seien ihm über
den Hauptfeldwebel S. zugetragen worden; er selbst habe nichts gesehen. Ihm
habe man erzählt, dass die Zeugin mit mehreren anderen Soldaten der Kompa-
nie, unter anderem mit einem Mannschaftsdienstgrad, ein Verhältnis gehabt
habe. Am Freitag (15. Mai 2009) habe er versucht, sie mit dem Diensthandy
telefonisch zu erreichen, um ihr mitzuteilen, dass das Gespräch in der nächsten
Woche stattfinden werde. Es habe ein offizieller Anruf sein sollen; deshalb habe
er die Nummer auch nicht unterdrückt. Die Zeugin habe ihm in der Woche des
angeblichen Vorfalls gesagt, am Wochenende nach Hause fahren zu müssen.
Die Zeugin habe sich dann jedoch entschlossen, an dem Wochenende zu blei-
ben und er habe ihr geraten, sie solle es wie er machen und ausgehen. Zu sich
nach Hause eingeladen habe er sie nicht. Die Zeugin habe ihren Beruf verfehlt.
Sie habe bis zum Schluss dessen Ernst nicht erkannt. Er habe sie nicht geför-
dert, sondern wegen ihrer Erkrankung im Geschäftszimmer nur angemessen
eingesetzt. Vielleicht habe sie nach der von ihm erteilten Rüge Angst gehabt
und sich die Geschehnisse deshalb ausgedacht; ihm komme es aber so vor, als
ob jemand anderes die Sache steuere. Die Aussage des Oberstabsfeldwebel
d.R. H., es hätten noch andere Fahrer als die Zeugin zur Verfügung gestanden,
sei so nicht richtig. Nachdem er in Ermangelung anderer zur Verfügung stehen-
der Soldaten am Montag die Zeugin zu seiner Fahrerin bestimmt habe, sei sie
am Dienstag auf ihn zugekommen und habe gefragt, ob sie ihn wieder fahren
dürfe. Kameraden könnten ihn zur Weißglut bringen, wenn sie aus purer Be-
rechnung Aufträge einfach nicht erledigten. Soweit auf Schwierigkeiten von ihm
mit Einsatzkräften im Rahmen eines Auslandseinsatzes hingewiesen werde,
seien sie darauf zurückzuführen, dass der dort vor Ort zuständige Oberleutnant
einen Trupp in die falsche Richtung geschickt und er dies gerügt habe.
Die Zeugin D. hat in der Berufungshauptverhandlung demgegenüber ausge-
sagt, der angetrunkene Soldat sei ihr am 14. Mai 2009 zwischen 21:00 und
23:00 Uhr, vielleicht ein oder eine halbe Stunde nach der Begegnung mit dem
Stabsunteroffizier F., auf ihre Stube gefolgt und habe zweimal versucht, sie an
sich heranzuziehen und sie zu küssen. Nachdem sie sich dagegen gewehrt ha-
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be, habe er ihr gesagt, er wisse jetzt, woran er bei ihr sei, dann habe er die
Stube schnell wieder verlassen. Der Soldat sei angeheitert, nicht aber lautstark
gewesen. An weitere Äußerungen des Soldaten während des Vorfalls könne sie
sich ebenso wenig erinnern wie an die Aussprache des Soldaten oder daran, zu
einem anderen Soldaten gesagt zu haben, es werde dann nicht zu einer Mel-
dung kommen, wenn sie dies nicht wolle. Ihre Stube sei nicht dreckig gewesen,
allenfalls hätten ein paar Kleidungsstücke herum gelegen. Sie selbst habe an
dem Abend zwei Gläser (2 cl) Cola-Whiskey getrunken. Am nächsten Tag (Frei-
tag) habe sie mit dem Stabsgefreiten H. über den Vorfall gesprochen, am über-
nächsten Tag (Samstag) mit Oberleutnant d.R. S. und Hauptfeldwebel M..
Oberleutnant S. und Hauptfeldwebel M. hätten ihr auch angemerkt, dass etwas
passiert sei. Sie habe sich nicht getraut, den Vorfall zu melden. Sie habe sich
durch die Äußerung des Soldaten, er wisse jetzt, woran er bei ihr sei, einge-
schüchtert gefühlt. Deshalb sei sie am Freitag nach Hause gefahren, obwohl sie
eigentlich in der Kaserne habe bleiben wollen.
Die Aussagen der Zeugin waren glaubhaft. Sie hat das Geschehen in der Beru-
fungshauptverhandlung von seinem Kern her übereinstimmend mit früheren
Aussagen beschrieben. Es waren insbesondere weder Steigerungen noch in-
haltliche Abschwächungen insbesondere im Vergleich zu ihrer erstinstanzlichen
Aussage festzustellen. Soweit sich die Zeugin in der Berufungshauptverhand-
lung nicht mehr an Details erinnern konnte, hat sie dies zum Ausdruck gebracht
und nicht den Versuch unternommen, sie zu rekonstruieren. Dies bezog sich
insbesondere auch auf Umstände, die für den Soldaten nachteilig gewesen wä-
ren wie etwa angebliche Äußerungen von ihm über ihren Körper, zur Frage, ob
der Soldat sie nicht abgepasst haben könnte und er das Deckenlicht ausge-
schaltet hat. Dass sich die Zeugin zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhand-
lung nicht mehr an alle Details erinnern kann, ist auch plausibel, da ein inzwi-
schen vier Jahre zurückliegendes Geschehen im Raum steht.
Belastungseifer vermochte der Senat nicht zu erkennen, insbesondere kein be-
lastbares Motiv. Selbst wenn der Soldat die Zeugin wegen einer unordentlichen
Stube gerügt haben sollte, bildete dies bei lebensnaher Betrachtung kein nach-
vollziehbares Motiv dafür, ihn einer sexuellen Belästigung zu bezichtigen. Dies
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gilt umso mehr, als die Zeugin mit dem Soldaten bislang problemlos ausge-
kommen war und zwischen ihnen zuvor unstreitig kein intimes Verhältnis be-
standen hatte. Darüber hinaus hat die Zeugin nach eigener und nach Aussage
des Stabsgefreiten (OA) H. weder für den Soldaten geschwärmt noch den Vor-
fall gemeldet. Soweit die Verteidigung daraus, dass die Zeugin nicht umgehend
Meldung gemacht und seinerzeit eher Mitleid mit dem Soldaten bekundet hat,
deren Unglaubwürdigkeit folgert, übersieht sie, dass das Verhalten auch Aus-
druck einer Empathie sein kann. Unglaubwürdig ist die Zeugin auch nicht etwa
deshalb, weil ihr Lebenswandel den Rückschluss zuließe, sie sage grundsätz-
lich die Unwahrheit. Ungeachtet dessen, dass eine eventuelle sexuelle Freizü-
gigkeit eines Menschen per se nichts darüber aussagt, ob er zur Unwahrheit
neigt, stützt sich die Einlassung des Soldaten insoweit lediglich auf Gerüchte.
Er selbst hat dies in der Berufungshauptverhandlung bestätigt. Oberleutnant
d.R. S., der als einer der Affären der Zeugin ins Gespräch gebracht worden
war, hat dies in der Berufungshauptverhandlung definitiv bestritten. Hauptmann
N. hat darüber hinaus ausgesagt, die Zeugin habe auf Annäherungsversuche
von Kameraden eher ablehnend reagiert; sie sei ihnen dann ausgewichen.
Dass die - nachfolgend dargestellten - Aussagen der Zeugen, an die sich die
Zeugin nach dem Vorfall gewendet hat, untereinander nicht in allen Details
übereinstimmten, stellt deren Glaubwürdigkeit ebenfalls nicht infrage. Abwei-
chungen dieser Zeugenaussagen in Details und nicht im Kern der Sache zwin-
gen auch nicht zu dem Schluss, die Zeugin habe jeweils unterschiedliche Sach-
verhalte berichtet. Sie erklären sich ebenso nachvollziehbar damit, dass den
Zeugen der Inhalt des Gesprächs nach mehr als vier Jahren unterschiedlich
präsent ist.
Die Aussage der Zeugin wird durch Aussagen der im Rahmen der Beweisauf-
nahme vernommenen Zeugen gestützt. Aus Ihnen ergibt sich zum einen, dass
die Zeugin zeitnah nach dem Vorfall, nämlich am 15. und 16. Mai 2009, mehre-
ren Kameraden nicht nur einen von seinem Kerngeschehen her durchgehend
identischen Übergriff durch den Soldaten, sondern dies auch emotional aufge-
wühlt beschrieben hat. Sie war am Folgetag nicht einmal mehr bereit, das Pri-
vat-Kfz des Soldaten zu bewegen. Zum anderen folgt aus den Aussagen, dass
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die Zeugin nach dem Eindruck der Zeugen emotional zwar aufgewühlt war, sich
jedoch gleichwohl gegen eine Meldung des Vorfalls ausgesprochen hat. Die
Überlegung, sie habe sich durch die Gespräche eine für sie günstige Beweisla-
ge schaffen wollen, ist angesichts des fehlenden Belastungseifers der Zeugin
und des Eindrucks, den sämtliche vom Senat auch für glaubwürdig erachteten
Zeugen von ihr hatten, deshalb nicht naheliegend. Dies gilt umso mehr, als
nach den glaubhaften Aussagen einiger Zeugen bei dem schon nach eigenen
Angaben impulsiven Soldaten ein markanter Kontrollverlust eintritt, wenn er al-
koholisiert ist. Dass er bereits um 20:00 Uhr deutlich wahrnehmbar alkoholisiert
war, steht auf der Grundlage der Aussage des Zeugen Oberfeldwebel F. fest.
Dass der Soldat bereits ohne Alkoholgenuss nicht immer die gebotene Distanz
wahrt und über das Ziel hinausschießt, hat namentlich sein früherer Disziplinar-
vorgesetzter, Oberstleutnant i.G. T., bestätigt. Hinzu kommt, dass der Soldat
bereits vor dem Vorfall und möglicherweise im Hinblick auf den seinerzeit deso-
laten Zustand seiner privaten Beziehung der Zeugin gegenüber Äußerungen
und Verhaltensweisen tätigte, die für einen Distanzverlust sprechen, der im
Verhalten gemäß Anschuldigungspunkt 1 gipfelte. So etwa seine Äußerung
über ihre Eigenschaft als ideale Ehefrau oder die Einladung zu sich nach Hau-
se. Im Einzelnen:
Stabsgefreiter (OA) H. hat ausgesagt, die Zeugin an dem Tag nach dem Vorfall
aufgelöst angetroffen zu haben. Sie habe ihm erzählt, der Soldat habe sie auf
ihrer Stube bedrängt und versucht, sie zu küssen und sie wolle dies melden.
Die Zeugin habe an diesem Tag das Auto des Soldaten wegfahren sollen, dies
aber nicht gewollt und die Schlüssel abgegeben. Nach seiner Erinnerung habe
die Zeugin ihm an einem anderen, davor liegenden Tag berichtet, dass der Sol-
dat sie eingeladen habe, er wisse aber nicht, ob sie die Einladung angenom-
men habe. Er könne sich daran erinnern, dass die Zeugin berichtet habe, der
Soldat habe sie als ideale Frau bezeichnet, mit der man gemeinsam in den Ur-
laub fahren könne. Es sei ihm nicht aufgefallen, dass die Zeugin für den Sol-
daten geschwärmt habe. Er wisse nicht mehr, ob die Zeugin erzählt habe, vom
Soldaten gerügt worden zu sein.
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Oberleutnant d.R. S. hat ausgesagt, er habe am Samstag mit der Zeugin ge-
meinsam Dienst gehabt und sie ziemlich reserviert und in sich gekehrt angetrof-
fen. Unter Tränen habe sie ihm auf seine Frage geschildert, dass der Soldat ihr
auf die Stube gefolgt sei, sie am Arm oder ihrer Hand festgehalten und versucht
habe, sie zu küssen. Sie habe sich gewehrt, daraufhin sei der Soldat wieder
gegangen. Sie habe nicht gewusst, wie sie mit dem Vorfall umgehen solle. Er
habe dann die Meldung gemacht. Die Zeugin habe dies nicht gewollt. Er sei
jedoch Vorgesetzter gewesen und habe ihn daher melden müssen.
Wie der Soldat sich unter Alkohol verhalte, könne er nicht einschätzen; er habe
ihn nie aggressiv erlebt, jedoch von anderen gehört, dass der Soldat dann ag-
gressiv werde. Er habe kein besonderes Vertrauensverhältnis zur Zeugin ge-
habt, es sei kameradschaftlicher Art gewesen. Ein Verhältnis zwischen ihm und
der Zeugin habe nicht bestanden. Von Verhältnissen der Zeugin zu anderen
Soldaten wisse er nichts. Sie sei herzlich, freundlich und offen zu allen gewe-
sen, dies könne distanzlos gewirkt haben. Er könne sich daran erinnern, dass
die Zeugin ihm erzählt habe, vom Soldaten als Fahrerin eingeteilt worden zu
sein. Sie habe dies als unangenehm empfunden, weil sie sich unterwegs auch
über persönliche Dinge habe unterhalten müssen.
Hauptfeldwebel M., dessen erstinstanzliche Aussage durch Verlesen in die Be-
rufungshauptverhandlung eingeführt wurde, hat inhaltlich gleichlautend ausge-
führt, die Zeugin habe ihn am Samstag um ein Gespräch gebeten und erzählt,
dass der Soldat auf ihre Stube gekommen sei und zweimal versucht habe sie
zu küssen. Nachdem sie gesagt habe, dass sie das nicht wolle, sei er wieder
gegangen. Er traue dem Soldaten, der für ihn ein vorbildlicher Soldat sei, dies
eigentlich nicht zu; er sei aber auch nicht davon ausgegangen, dass die Zeugin
lüge. Er kenne sie auch privat und sie habe ihn noch nie angelogen. Nach dem
Vorfall habe es in der Kompanie einen Zwiespalt gegeben, der sie zerrüttet ha-
be.
Hauptfeldwebel H. hat ausgesagt, er habe die Zeugin am Samstagmorgen in
einem verwirrten und aufgelösten Eindruck angetroffen. Erst auf seine Nachfra-
ge habe sie ihm von dem Vorfall in der Nacht zuvor berichtet. Seine Aussage
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vor dem Truppendienstgericht darüber, was die Zeugin ihm über den Übergriff
des Soldaten berichtet habe, sei zutreffend. Danach habe der Soldat sie be-
drängt und zu küssen versucht. Als sie ihm dies erzählt habe, habe sie gezittert
und geweint. Er habe dies als ernste Situation empfunden und ihr geraten, Mel-
dung zu machen. Sie habe ihn gebeten, nichts zu sagen.
Er habe den Soldaten nie alkoholisiert erlebt und meine, dass dieser eine ab-
lehnende Haltung gegenüber Frauen in der Bundeswehr habe. Der Soldat sei
für ihn kein militärisches Vorbild. Während eines Auslandseinsatzes habe man
im Unteroffizierskorps beraten, ob man beantragen solle, den Soldaten abzulö-
sen. Der Soldat sei als Chef sehr willkürlich gewesen. Er selbst trinke wenig
Alkohol, könne aber nicht behaupten, dass auch der Soldat dies nicht tue.
Oberfeldwebel F. hat ausgesagt, er habe am Abend des angeschuldigten Vor-
falls zwischen 20:00 und 21:00 Uhr den Soldaten mit der Zeugin vor deren Stu-
be stehen gesehen. Nach seinem Eindruck habe es sich um ein normales Ge-
spräch gehandelt. Der Soldat sei zu diesem Zeitpunkt alkoholisiert gewesen;
dies habe man auch gemerkt. Er - der Zeuge - sei mit der Zeugin befreundet
gewesen und habe ihre Stube gekannt, welche grundsätzlich aufgeräumt ge-
wesen sei.
Oberstabsfeldwebel d.R. H., dessen erstinstanzliche Aussage durch Verlesen in
die Berufungshauptverhandlung eingeführt wurde, hat ausgesagt, wie in seiner
Vernehmung vom 22. Mai 2009 beschrieben, habe ihm die Zeugin den Sach-
verhalt geschildert. Der Soldat habe danach versucht, ihr näher zu kommen.
Sie sei seinerzeit aufgelöst, kein Gespräch ohne Tränen gewesen. Der Umgang
zwischen ihr und dem Soldaten sei gut gewesen. Unter Alkoholeinfluss sei der
Soldat schwierig. Es sei nicht einfach, mit ihm dann ein vernünftiges Gespräch
zu führen. Er sei dann verletzend und teilweise auch aggressiv, während er im
normalen Dienst berechenbar sei. Er sei nicht gewalttätig gewesen, nur verbal.
Wenn ein Kamerad bei einer Feier keinen Alkohol trinken wolle, werde er vom
Soldaten regelrecht genötigt und dazu gedrängt, doch etwas zu trinken. Es sei
nicht aufgefallen, dass der Soldat „jedem Rock hinterher laufe“. Die Zeugin sei
sehr zuverlässig gewesen. Er habe über deren Sexualverhalten Gerüchte ge-
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hört, diese aber nicht an sich heran gelassen und sich schützend vor sie ge-
stellt. Es habe in der Einheit eine Gruppenbildung gegeben. Es hätte genug
Kameraden gegeben, die anstelle der Zeugin den Soldaten hätten fahren kön-
nen. Er selbst habe keine personellen Vorschläge unterbreitet.
Hauptmann N. hat aus eigener Wahrnehmung bestätigt, dass die Zeugin sich
geweigert habe, das Fahrzeug des Soldaten am Freitagmorgen umzuparken.
Darüber hinaus hat er ausgesagt, der Soldat erfahre unter Alkoholeinfluss eine
Wesenswandlung. Er werde unberechenbar und aggressiv, so dass man ihm
dann besser ausweiche. Handgreiflichkeiten seien ihm nicht bekannt geworden.
Die Wortwahl des Soldaten werde dann persönlicher und seine Ansprache ag-
gressiver, dies äußere sich in Gestik und Mimik. Wie er sich Frauen gegenüber
verhalte, könne er nicht sagen. Ein Motiv der Zeugin, unwahre Behauptungen
aufstellen, sei ihm nicht ersichtlich, zumal der Soldat deren Fürsprecher gewe-
sen sei. Ihn gleichwohl zu beschuldigen, wäre daher unlogisch. Im Auslands-
einsatz 2008 habe es erhebliche Spannungen gegeben, an denen auch er - der
Zeuge - beteiligt gewesen sei. Sie seien so weit gegangen, dass ein vom Sol-
daten gemaßregelter Offizier und er Repatriierungsanträge gestellt hätten. Er
könne - erneut - bestätigen, dass die Zeugin auf Annäherungsversuche von
Kameraden eher ablehnend reagiert habe; sie sei ihnen dann ausgewichen.
Der frühere Disziplinarvorgesetzte des Soldaten, Oberstleutnant i.G. T., hat
ausgeführt, bei Untergebenen, deren Leistung nicht dem Anspruch des Sol-
daten gerecht geworden seien, sei er teilweise ruppig und unter Druck sehr di-
rekt gewesen. Zum Umgang des Soldaten mit Alkohol könne er sagen, dass
dieser redseliger werde, aber die Form wahre; vermehrte Aggressionen habe er
nicht feststellen können. Das Verhalten, welches Untergebene als Aggression
gedeutet hätten, habe der Soldat auch ohne Alkoholgenuss gezeigt. Er vergrei-
fe sich im Ton und sei flapsig in der Wortwahl, dies allerdings ohne sexuelle
Anspielungen. Er wahre nicht immer die erforderliche Distanz. Es habe Situa-
tionen gegeben, in denen der Soldat über das Ziel hinaus schieße. Sofern beim
Soldaten kein Lernprozess einsetze, spreche er ihm die Eignung zur Men-
schenführung ab.
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d) Der Soldat hat ein Dienstvergehen gemäß § 23 SG begangen.
Durch das unter 2 c) festgestellte Verhalten hat der Soldat gemäß § 7 Abs. 2
des Gesetzes über die Gleichbehandlung der Soldatinnen und Soldaten (Solda-
tinnen- und Soldaten-Gleichbehandlungsgesetz) seine dienstlichen Pflichten
vorsätzlich verletzt. Zu ihnen gehört danach auch, eine sexuelle Belästigung
nach § 3 Abs. 4 Soldatinnen- und Soldaten-Gleichbehandlungsgesetz zu unter-
lassen. Durch den zweifachen und von der Zeugin Stabsunteroffizier d.R. D.
unerwünschten Versuch, sie an sich heranzuziehen und zu küssen, hat er vor-
sätzlich eine sexuell bestimmte Handlung begangen, die sie in ihrer Würde ver-
letzte (vgl. Urteile vom 18. Juli 2013 - BVerwG 2 WD 3.12 - und vom 23. Juni
2011 - BVerwG 2 WD 21.10 - Buchholz 449 § 7 SG Nr. 56).
Einher geht damit ein vorsätzlicher Verstoß gegen die Kameradschaftspflicht
nach § 12 Satz 2 SG, der alle Soldaten verpflichtet, die Würde, die Ehre und die
Rechte von Kameraden zu achten. Mit dem Recht auf sexuelle Selbstbestim-
mung sind Übergriffe der vom Soldaten getätigten Art unvereinbar. Daraus folgt
zugleich, dass der Soldat, der sowohl aufgrund seiner Dienststellung (nach § 1
Abs. 1 der Vorgesetztenverordnung - VorgV -) als auch aufgrund seines
Dienstgrades (nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 VorgV) Vorgesetzter war, ebenfalls vor-
sätzlich gegen die Pflicht nach § 10 Abs. 3 SG verstoßen hat, für seine Unter-
gebenen zu sorgen. Mit der Verletzung dieser sich nicht gegenseitig ausschlie-
ßenden Pflichten (Urteile vom 21. Juli 1994 - BVerwG 2 WD 6.94 - BVerwGE
103, 143 <147> sowie vom 18. Juli 2013 a.a.O.) verbindet sich ferner ein vor-
sätzlicher Verstoß gegen die Verpflichtung nach § 17 Abs. 2 Satz 1 SG, sich
innerhalb dienstlicher Unterkünfte und Anlagen so zu verhalten, dass ein Soldat
der Achtung und dem Vertrauen gerecht wird, die seine dienstliche Stellung
erfordert. Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine Beeinträchtigung der Ach-
tungs- und Vertrauenswürdigkeit tatsächlich eingetreten ist, sondern nur darauf,
ob das festgestellte Verhalten dazu geeignet war (vgl. Urteil vom 4. Mai 2011
- BVerwG 2 WD 2.10 - juris Rn. 29).
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3. Bei der Bestimmung von Art und Maß der konkreten Maßnahme sind nach
§ 58 Abs. 7 in Verbindung mit § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des
Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persön-
lichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berück-
sichtigen.
a) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Un-
rechtsgehalt der Verfehlung, das heißt nach der Bedeutung der verletzten
Dienstpflichten. Danach wiegt das Dienstvergehen, das in der sexuellen Beläs-
tigung einer Untergebenen besteht, schwer, zumal es sich in körperlichen
Übergriffen ausdrückte. Der Dienstherr selbst hat durch die ZDv 14/3 den
Schutz des verfassungsrechtlich garantierten sexuellen Selbstbestimmungs-
rechts namentlich im Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen in
einer für jeden Vorgesetzten unmissverständlichen Deutlichkeit betont. Darüber
hinaus befand sich der Soldat als Kompaniechef in einem exponierten Vorge-
setztenverhältnis (§ 10 Abs. 1 SG).
b) Das Dienstvergehen zeitigte auch massiv nachteilige Auswirkungen. Die
festgestellte Pflichtverletzung zog die Ablösung des Soldaten vom seinerzeiti-
gen Dienstposten nach sich. Insbesondere der frühere Disziplinarvorgesetzte,
Oberstleutnant i.G. T., hat in der Sache übereinstimmend mit dem Zeugen
Oberstabsfeldwebel d.R. H. ausgesagt, es sei nach dem Vorfall in der Kompa-
nie kein geregelter Dienstbetrieb mehr möglich, „der Kessel sei am Kochen“
gewesen. Er habe den Soldaten aus dem Feuer nehmen müssen, damit die
Kompanie zur Ruhe kommen könne. Massive Auswirkungen hatte diese Pflicht-
verletzung schließlich bei der Untergebenen D., die noch Tage nach dem Über-
griff emotional aufgewühlt war und sich anschließend außerstande sah, mit dem
Soldaten zusammenzuarbeiten.
c) Das Maß der Schuld wird vor allem dadurch bestimmt, dass der Soldat die
Pflichtverletzung vorsätzlich begangen hat. Dass die festgestellte Alkoholisie-
rung auf den Soldaten enthemmend gewirkt haben mag, wirkt sich nicht zu
dessen Gunsten aus, weil keine Hinweise darauf vorliegen, dass er sich nicht
vorwerfbar in diesen Zustand versetzt hat (vgl. Urteil vom 18. Juli 2013
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- BVerwG 2 WD 3.12 - Rn. 54 m.w.N.). Auch sonstige Milderungsgründe in den
Umständen der Tat liegen nicht vor (vgl. Urteil vom 23. September 2008
- BVerwG 2 WD 18.07 - m.w.N.). Die Annahme einer persönlichkeitsfremden
Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und im Dienst bewährten Soldaten
(vgl. Urteile vom 1. April 2003 - BVerwG 2 WD 48.02 - und vom 1. Juli 2003
- BVerwG 2 WD 51.02 - m.w.N.) verbietet sich schon deshalb, weil mit dem
wiederholten Versuch, die Zeugin D. an sich heranzuziehen und sie zu küssen,
nicht von einer Augenblickstat ausgegangen werden kann.
sind dem Soldaten seine zunächst sehr guten Leistungen zugute zu halten, die
im Laufe der letzten Jahre allerdings abgenommen haben. Hinzu treten die ihm
erteilte Förmliche Anerkennung, vier Leistungsprämien sowie die Verleihung
des Ehrenkreuzes der Bundeswehr in Gold für eine hervorragende Einzeltat.
Der gegenwärtige Disziplinarvorgesetzte, Oberst K., hat zudem ausgesagt, er
sei froh, den Soldaten zu haben. Der Soldat habe sich fachlich hervorragend
eingebracht, er sei sehr gradlinig und nehme eine klare Position ein. Hätte es
das disziplinargerichtliche Verfahren nicht gegeben, wäre der Soldat schon be-
fördert worden.
e) Die Beweggründe des Soldaten sprechen nicht für ihn, da er aus sexuellen
Motiven, mithin eigennützig gehandelt hat.
f) Bei der Gesamtwürdigung aller vorgenannten be- und entlastenden Umstän-
de ist im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die
Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts das vom Truppendienstgericht ver-
hängte und gemäß § 58 Abs.1 Nr. 2 in Verbindung mit § 60 WDO zulässige Be-
förderungsverbot keine unangemessen hohe Disziplinarmaßnahme. Bei der
konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in seiner ge-
festigten Rechtsprechung von einem zweistufigen Prüfungsschema aus (vgl.
Urteil vom 10. Februar 2010 - BVerwG 2 WD 9.09 - juris Rn. 35 ff.):
aa) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbe-
handlung (Art. 3 Abs. 1 GG) vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechts-
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staatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinar-
maßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als
„Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen“. Bei sexueller Belästigung, wie
sie gemäß Anschuldigungspunkt 1 festgestellt wurde, bildet ihn regelmäßig die
Herabsetzung im Dienstgrad (vgl. Urteil vom 18. Juli 2013 a.a.O. Rn. 61
m.w.N.).
bb) Auf der zweiten Stufe prüft er, ob im Hinblick auf die in § 38 Abs. 1 WDO
normierten Bemessungskriterien im konkreten Fall Umstände vorliegen, die die
Möglichkeit einer Verschärfung oder Milderung gegenüber der auf der ersten
Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme eröffnen. Dabei ist vor allem an-
hand der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie dessen Auswir-
kungen zu klären, ob es sich angesichts der be- und entlastenden Umstände
um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverlet-
zung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schwe-
regrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die
zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach „oben“ bzw. nach „unten“ zu modi-
fizieren. Für die „Eigenart und Schwere des Dienstvergehens“ kann z.B. von
Bedeutung sein, ob der Soldat eine herausgehobene Dienststellung hatte, ein-
malig oder wiederholt oder in einem besonders wichtigen Pflichtenbereich ver-
sagt hat. Bei den Auswirkungen des Fehlverhaltens sind die konkreten Folgen
für den Dienstbetrieb sowie schädliche Weiterungen für das Außenbild der
Bundeswehr in der Öffentlichkeit zu berücksichtigen. Hinsichtlich des Zumes-
sungskriteriums „Maß der Schuld“ ist neben der Schuldform und der Schuldfä-
higkeit das Vorliegen von Erschwerungs- und Milderungsgründen in den Tat-
umständen in Betracht zu ziehen (Urteil vom 15. März 2012 - BVerwG 2 WD
9.11 - Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 10).
cc) Hiernach liegt kein besonders schwerer Fall vor, der die Grundlage des Ver-
trauens in die Zuverlässigkeit und Integrität des Soldaten zerstört und deshalb
die Höchstmaßnahme erfordert hätte. Im Übrigen kann angesichts des zuguns-
ten des Soldaten wirkenden Verschlechterungsverbots dahingestellt bleiben, ob
derart gewichtige Umstände vorliegen, die einen leichteren Fall begründen und
den Übergang zur milderen Maßnahmeart gerechtfertigt haben (vgl. Urteil vom
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7. März 2013 - BVerwG 2 WD 28.12 - juris Rn. 55). Jedenfalls gebieten sie
nicht, zusätzlich zum Übergang zur milderen Disziplinarmaßnahmeart (Beförde-
rungsverbot) bei der erstinstanzlich festgesetzten Dauer des Beförderungsver-
bots eine weitere Reduzierung vorzunehmen. Mehrere vom Truppendienstge-
richt angenommene Milderungsgründe halten einer rechtlichen Überprüfung
nicht stand:
Soweit das Truppendienstgericht zugunsten des Soldaten gewertet hat, dass
der sexuelle Übergriff nicht von Gewalt begleitet gewesen ist, verkennt es, dass
es sich dabei lediglich um das Fehlen eines schulderschwerenden Umstandes
handelt und der Tatbestand der sexuellen Belästigung nicht zwingend Gewalttä-
tigkeit voraussetzt. Ebenso wenig kann zugunsten des Soldaten streiten, dass
sich die Zeugin durch ihre Erläuterung des Begriffs „geil“ nach Auffassung des
Truppendienstgerichts auf eine Ebene begeben hat, die einen Verzicht auf die
dienstnotwendige Distanz nicht ausschließen soll. Zum einen stand die - von ihr
auch nicht bestrittene - Äußerung der Zeugin nicht in zeitlichem Zusammen-
hang mit der Pflichtverletzung gemäß Anschuldigungspunkt 1; zum anderen
relativieren Distanzlosigkeiten jüngerer Untergebener nicht die Pflicht von Vor-
gesetzten, ihnen gegenüber die ihrer Dienststellung entsprechende Distanz zu
wahren. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich bei dem Vorgesetzten um
den Disziplinarvorgesetzten handelt.
Ebenso wenig gebieten die nur bis zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung über-
durchschnittlichen Leistungen des Soldaten und seine Auszeichnungen, insbe-
sondere das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold, es nicht, das ohnehin schon
in Abweichung vom Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen verhängte
Beförderungsverbot noch zusätzlich in seiner Dauer zu reduzieren. Die persön-
liche Integrität eines Soldaten steht gleichberechtigt neben dem Erfordernis der
fachlichen Qualifikation, sodass die vorliegend gravierenden Defizite in der per-
sönlichen Integrität des Soldaten nicht allein durch dessen fachliche Kompetenz
ausgeglichen werden können (Urteil vom 23. Juni 2011 a.a.O. Rn. 52). Daran
ändert auch nichts, dass dem Soldaten bereits eine sich konkret abzeichnende
Beförderung entgangen ist.
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Anders als von der Verteidigung im Schlussantrag angenommen, begründet
auch die Dauer des disziplinargerichtlichen Verfahrens keinen Milderungsgrund,
der die erstinstanzliche Disziplinarmaßnahme unverhältnismäßig werden lässt
oder gar zur Verfahrenseinstellung zwingt (vgl. Urteil vom 6. September 2012
- BVerwG 2 WD 26.11 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 39 - juris
Rn. 34 ff., 39 m.w.N.). Über die am 9. Februar 2011 beim Truppendienstgericht
Süd eingegangene Anschuldigung hat das Gericht am 9. Februar 2012, mithin
nach einem Jahr, entschieden. Dass das disziplinargerichtliche Verfahren damit
nicht seinen Abschluss fand, beruht auf der allein vom Soldaten am 15. Mai
2012 eingelegten Berufung, die unbeschränkt erfolgte, sich wegen der bereits
vor der Ladung am 19. Juni 2013 einsetzenden Vorbereitung einer umfassen-
den Beweiserhebung unter Einholung prozessual bedeutsamer Stellungnahmen
der Beteiligten - unter anderem zur Verlesung erstinstanzlicher Aussagen ver-
hinderter Zeugen sowie zur Frage einer Zurückverweisung - verfahrensaufwän-
dig gestaltete und zudem erfolglos blieb. Die sich daraus ergebende Verfah-
rensdauer über zwei Instanzen von zwei Jahren und acht Monaten ist damit
nicht überlang. Einer weiteren Verzögerung des Verfahrens, die dazu unter
Umständen hätte führen können, ist der Senat dadurch begegnet, dass er von
einer Zurückverweisung abgesehen hat. Das Verfahren ist auch dann nicht als
unangemessen lang anzusehen, wenn - trotz der Regelung des § 91 Abs. 1
Satz 3 Halbs. 2 WDO - mit einbezogen wird, dass die Einleitungsverfügung dem
Soldaten am 13. September 2010 zugestellt wurde und sie eine im Mai 2009
begangene Pflichtverletzung zum Gegenstand hat. Bereits im vorgerichtlichen
Ermittlungsverfahren bedurfte die Sachverhaltsaufklärung der Vernehmung
zahlreicher Zeugen. Außer Acht bleiben kann ferner nicht, dass auch auf Bitten
des Verteidigers des Soldaten im November 2009 das Schlussgehör zunächst
auf Januar 2010 terminiert worden war und dieser Termin wiederum auf dessen
Antrag (vom 21. Dezember 2009) auf den 23. Februar 2010 verlegt wurde.
4. Da das Rechtsmittel des Soldaten erfolglos geblieben ist, hat er die Kosten
des Rechtsmittelverfahrens zu tragen, § 139 Abs. 2 WDO. Es bestand trotz der
Ausklammerung der Anschuldigungspunkte 2 - 4 und der fehlenden Anschuldi-
gung des unter Anschuldigungspunkt 1, vorletzter Satz, beschriebenen Verhal-
tens kein Anlass, die dem Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen
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aus Billigkeitsgründen nach § 140 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1 WDO
dem Bund aufzuerlegen, weil die Berufung weiterhin in vollem Umfang zurück-
zuweisen war.
Dr. von Heimburg
Dr. Langer Dr. Burmeister