Urteil des BVerwG vom 30.08.2012

Soldat, Zahlstelle, Unterlassen, Disziplinarverfahren

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 21.11
TDG N 7 VL 19/10
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
Herrn Oberleutnant …,
…,
…,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 30. August 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
ehrenamtlicher Richter Oberst i.G. Wilcke und
ehrenamtlicher Richter Oberleutnant Badzinski,
Leitender Regierungsdirektor …
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwältin …,
als Verteidigerin,
Geschäftsstellenverwalterin …
als Urkundsbeamtin der Geschäftstelle,
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für Recht erkannt:
Auf die Berufung des Soldaten wird das Urteil der 7. Kammer
des Truppendienstgerichts Nord vom 15. März 2011 aufge-
hoben.
Das gerichtliche Disziplinarverfahren wird eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der dem Soldaten
darin erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund
auferlegt.
G r ü n d e :
I
Der 1969 geborene Soldat wurde im April 1992 in das Dienstverhältnis eines Sol-
daten auf Zeit berufen. Nach stufenweiser Verlängerung seiner Dienstzeit bis auf
15 Jahre wurde ihm im April 1998 die Eigenschaft eines Berufssoldaten verliehen.
Der im April 2000 zum Oberleutnant beförderte Soldat wird als Angehöriger des
militärfachlichen Dienstes seit April 1999 als Transportflugzeugführer (Transall) im
Bereich des Lufttransportgeschwaders … (A.) eingesetzt. Seine Dienstzeit wird
nach derzeitigem Stand Ende April 2025 enden.
Die planmäßige Beurteilung vom 2. April 2009 bewertete seine Aufgabenerfüllung
auf dem Dienstposten mit dem Durchschnittswert „5,80“.
Die Sozialkompetenz wurde als weniger ausgeprägt, die geistige und konzeptio-
nelle Kompetenz als ausgeprägt und die funktionale sowie die Kompetenz in der
Menschenführung wurden als stärker ausgeprägt beschrieben, wobei die funktio-
nale Kompetenz das bestimmende Merkmal sei.
Der nächste Disziplinarvorgesetzte, Oberstleutnant Z., beschrieb den Soldaten in
der Hauptverhandlung vor dem Truppendienstgericht als guten, soliden Luftfahr-
zeugführer mit einer hohen Einsatzbereitschaft, der im Leistungsvergleich im obe-
ren Mittelfeld rangiere. Seine Leistungen seien insgesamt beständig. Auch nach
dem verfahrensgegenständlichen Vorfall habe es keinen Leistungseinbruch gege-
ben. Er sei allgemein anerkannt, sehr kameradschaftlich und sehr teamfähig sowie
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kommunikativ. Jüngere Kameraden seien gerne mit ihm unterwegs. Die hohe Ein-
satzbereitschaft zeige sich insbesondere an den Auslandseinsätzen, in denen der
Soldat auch als Einsatzoffizier verwandt worden sei, was als höherwertig einge-
stuft werden müsse.
In der Sonderbeurteilung vom 30. Mai 2011 erhielt der Soldat im Durchschnitts-
wert der Aufgabenerfüllung „6,11“.
Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, der Soldat habe seine bisheri-
gen Leistungen bestätigen und in Einzelmerkmalen verbessern können. Er de-
monstriere mit seiner hohen fliegerischen Einsatzbereitschaft, dass er willens sei,
weitere Herausforderungen auch unter Zurückstellung persönlicher Belange anzu-
nehmen. Der Soldat beherrsche das gesamte Einsatzspektrum des militärischen
Lufttransports und gehöre damit in der Staffel zu den Flugzeugführern mit einer
hohen und breiten Einsatzerfahrung. Diese habe er insbesondere durch die Teil-
nahme am Sondereinsatz für das Auswärtige Amt im Rahmen der Außenminister-
reise in den Irak belegt. Er habe als Einsatzoffizier beim Einsatzgeschwader Ma-
zar-e Sharif Aufgaben exzellent erfüllt und seinen ausgezeichneten Ruf als Ein-
satzführer eindrucksvoll bestätigt. Er stehe an der Spitze der 65 %-Gruppe und
könne sich in die Spitzengruppe vergleichbarer Offiziere des militärfachlichen
Dienstes vorarbeiten. Der Soldat sei eine weit entwickelte Persönlichkeit mit einem
professionellen beruflichen und soldatischen Selbstverständnis. Er habe einen
starken und ruhigen Charakter, verhalte sich durchweg kameradschaftlich und
loyal. Er sei leistungsbereit und denke durchweg einsatzorientiert. Hervorzuheben
sei seine extrem hohe Einsatzbereitschaft. Für die Einsatzoffiziere sei er bei kurz-
fristigen und anspruchsvollen Einsätzen stets die erste Wahl. Als Kommandant
schätze man ihn sehr. Er zeichne sich durch eine optimale Mischung von zuver-
lässiger Auftragserfüllung und ausgewogener Zusammenarbeit in der Besatzung,
auch außerhalb des Cockpits, aus. An die im Rahmen der letzten Beurteilung ge-
troffenen Zielvereinbarungen habe er sich gehalten, sodass er unter anderem sei-
ne Konflikt- und Kritikfähigkeit verbessert habe. Somit sei in seinem Persönlich-
keitsprofil nun auch die soziale Kompetenz ausgeprägter als die konzeptionelle
Kompetenz. Der stärkste Ausprägungsgrad liege erneut im Bereich der funktiona-
len Kompetenz und der Kompetenz in Menschenführung. Der Soldat sei aufgrund
seiner Erfahrung, seiner Leistungen und seiner Persönlichkeitsentwicklung einer
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der nächsten Anwärter auf einen A 11 - Dienstposten. Potenzial für eine darüber
hinausgehende Förderung sei erkennbar.
Die Auskunft aus dem Zentralregister vom 17. Juli 2012 und der Disziplinarbuch-
auszug vom 9. Juli 2012 weisen keine Eintragungen auf. Der dem gerichtlichen
Disziplinarverfahren zugrundeliegende Vorfall war Gegenstand staatsanwalt-
schaftlicher Ermittlungen gegen den Soldaten wegen des Verdachts des Dieb-
stahls, welche jedoch gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurden.
Der Soldat ist verheiratet und Vater einer 2006 geborenen Tochter.
Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Soldaten sind nach seinen eigenen Angaben
geordnet. In der Berufungshauptverhandlung gab er an, derzeit einschließlich der
Zulagen etwa 4 050 € netto zu verdienen. Seine Ehefrau sei als Assistenzärztin in
Teilzeit beschäftigt und verdiene zurzeit ca. 1 500 € netto. Er bestätigte auf Nach-
frage, auch derzeit noch Kredite, insbesondere wegen eines Immobilienerwerbs,
mit monatlich etwa 1 650 € zu bedienen.
II
1. In dem mit Verfügung des Kommandeurs des Lufttransportkommandos vom
19. Oktober 2009, dem Soldaten zugestellt am 6. November 2009, eingeleiteten
gerichtlichen Disziplinarverfahren hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft in ihrer am
9. November 2010 zugestellten Anschuldigungsschrift vom 19. Oktober 2010 dem
Soldaten folgendes Verhalten als Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 in Verbindung
mit §§ 7, 11, 17 Abs. 2 Satz 1 2. Alt SG unter den erschwerenden Voraussetzun-
gen des § 10 Abs. 1 SG zur Last gelegt:
„Der Soldat hat es als Kommandant des USA-Fluges (LTB Nr.
…) vom 4. August bis zum 15. August 2008 versäumt, nach sei-
ner Rückkehr am 15. August 2008 den für den Flug am 30. Juli
2008 empfangenen Einsatzvorschuss in Höhe von 5.000,00 €,
5.000,00 US $ und 5.000,00 CAN $ entgegen der ihm bekann-
ten Bestimmungen für die Zahlungseinrichtungen im Ge-
schäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung (Nr.
1674) unverzüglich, obwohl die Gelegenheit dazu mehrfach be-
stand, mit der Zahlstelle des Bundeswehr-Dienstleistungs-
zentrums R., AußensteIle …-Kaserne in A. abzurechnen. Viel-
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mehr hat er den nach dem Flug noch verbliebenen Einsatzvor-
schuss in Höhe von ca. 4.500,00 €, ca. 3.000,00 US $ und ca.
3.000,00 CAN $ zunächst vom 15. August bis zum 4. Septem-
ber 2008 bei sich zu Hause und vom 4. September 2008 an im
Stahlschrank des Gefechtsstandes des Geschwaders in A. ge-
lagert, wo er am 11. September 2008 feststellen musste, dass
der verbliebene Teil des Einsatzvorschusses aus dem Stahl-
schrank entschwunden ist. Dabei war ihm zumindest bewusst
oder hätte ihm bewusst sein müssen, dass durch die unsach-
gemäße Aufbewahrung des Geldes die Gefahr bestand, dass
dieses abhanden kommt. Nachdem die Geldtasche, in der der
Einsatzvorschuss aufbewahrt wurde, mit einigen kleineren
Geldscheinen sowie den Belegen in der Küche des Gefechts-
tandes entdeckt wurde, musste ein Schaden von insgesamt ca.
6.641,73 € festgestellt werden.“
Der Anhörung der Vertrauensperson hatte der Soldat am 2. Oktober 2009 wider-
sprochen. Die Ladung zum Schlussgehör war aufgehoben worden, nachdem sein
Verteidiger angekündigt hatte, dass er zum Termin nicht erscheinen werde, und
eine schriftliche Stellungnahme in Aussicht gestellt hatte.
Dem Soldaten war wegen des Vorfalles, der Gegenstand des gerichtlichen Diszi-
plinarverfahrens ist, vor der Einleitung dieses Verfahrens bereits eine Geldbuße
auferlegt worden. Nachdem zunächst eine im November 2008 verhängte Geldbu-
ße wegen einer unterbliebenen Schlussanhörung aufgehoben worden war, wurde
unter dem 6. Februar 2009 erneut eine Geldbuße in Höhe von 1 000 € verhängt.
Nach erfolgloser Disziplinarbeschwerde gegen die Geldbuße hatte der Soldat wei-
tere Beschwerde eingelegt. Die Truppendienstkammer hatte daraufhin am 18. Au-
gust 2009 beschlossen, die Beschwerdeakten der zuständigen Einleitungsbehör-
de, dem Kommandeur Lufttransportkommando gemäß § 42 Nr. 4 letzter Satz in
Verbindung mit § 40 Abs. 4 Satz 7 WDO zur Entschließung zu übersenden. Zu-
gleich war das Disziplinarbeschwerdeverfahren bis zur Entscheidung der Einlei-
tungsbehörde ausgesetzt worden.
Zur Begründung hieß es, aufgrund der dem Soldaten bekannten Entwendung von
Geld aus einem Einsatzvorschuss im März 2008 sei er gehalten gewesen, mit den
ihm anvertrauten Barmitteln besonders sorgfältig umzugehen. Das Abhanden-
kommen von Devisen im Gegenwert von rund 6 600 € im September 2008 könne
vor diesem Hintergrund und nach Sichtung der Beschwerdeakten auf leichtferti-
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gem oder bedingt vorsätzlichem Verhalten des Soldaten beruhen, weshalb die
Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens mit entsprechenden Ermittlun-
gen der Wehrdisziplinaranwaltschaft notwendig erscheine.
Durch Beschluss des Vorsitzenden der Truppendienstkammer vom 16. Dezember
2009 wurde die mit Beschluss vom 18. August 2009 verfügte Aussetzung des Dis-
ziplinarbeschwerdeverfahrens „bis auf weiteres“ aufrechterhalten.
Es gelte abzuwarten, welche vorgreiflichen Entscheidungen seitens der Wehrdis-
ziplinaranwaltschaft und der Einleitungsbehörde im gerichtlichen Disziplinarverfah-
ren gegen den Soldaten in gleicher Sache getroffen werden.
Das Disziplinarbeschwerdeverfahren ist auch derzeit noch nicht endgültig einge-
stellt oder sonst beendet worden.
2. Mit Urteil vom 15. März 2011 hat das Truppendienstgericht wegen eines
Dienstvergehens die Dienstbezüge des Soldaten um ein Zehntel für die Dauer von
fünfzehn Monaten gekürzt und zugleich die gegen ihn verhängte Disziplinarbuße
aufgehoben.
Auf der Grundlage der Einlassungen des Soldaten, der Angaben der vernomme-
nen Zeugen und der zum Gegenstand der Verhandlung gemachten Urkunden ste-
he zur Überzeugung der Kammer folgender Sachverhalt fest:
Im März 2008 sei aus dem Panzerschrank des Gefechtsstandes des Lufttrans-
portgeschwaders … ein dort als Teil eines Einsatzvorschusses in Übereinstim-
mung mit der damaligen Befehlslage hinterlegter Geldbetrag entwendet worden.
Im Verlaufe der Ermittlungen sei auch der Soldat als Zeuge vernommen und von
ihm seien Fingerabdrücke genommen worden. Der Täter habe nicht ermittelt wer-
den können. In der Folge seien aber alle Beteiligten zu besonderer Sorgfalt ange-
halten und das Einlagerungsprozedere geändert worden.
Ende Juli 2008 sei dem Soldaten als Kommandanten eines USA-Fluges von der
Zahlstelle ein Einsatzvorschuss in Höhe von 5 000 €, 5 000 US $ und 5 000 Can $
ausgezahlt worden. Wegen eines technischen Defektes sei die Maschine nach
verzögertem Rückflug erst Freitag, den 15. August 2008, außerhalb der Öffnungs-
zeiten der Geschwaderzahlstelle gelandet. Der Soldat habe aus Bequemlichkeit
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den restlichen Einsatzvorschuss nicht im Stahlschrank im rund um die Uhr perso-
nell besetzten Gefechtsstand eingelagert. Das Geld habe er stattdessen in einem
Nachttisch seines Privathauses deponiert. Von Montag, den 18. August 2008, bis
Donnerstag, den 4. September 2008, habe er genehmigten Urlaub gehabt. Bis
zum 3. September 2008 sei er mit dem Wohnmobil auf Fehmarn. gewesen. Im
Hause sei gelegentlich ein Nachbar zum Blumengießen gewesen. Nach der Rück-
kehr von Fehmarn. habe der Soldat an seinem letzten Urlaubstag die Geldtasche
in den Gefechtsstand verbracht und dort im Stahlspindfach Nr. 6 eingeschlossen.
Der Soldat habe seine Schwiegermutter, die während seiner dienstlich veranlass-
ten Abwesenheit in der anschließenden Woche das Haus habe hüten sollen, nicht
mit der Verantwortung für das Geld belasten wollen. Er sei nicht auf die Idee ge-
kommen, die Zahlstelle zur Einzahlung zu kontaktieren, weil er geplant habe, das
Geld im Stahlschrank einzuschließen. Freitag, den 5. September 2008, habe der
Soldat vormittags den Flug nach Kreta vom 8. bis 9. September 2009 vorbereitet.
Er habe den designierten Co-Piloten für diesen Flug mit Empfang, Verwaltung und
Abrechnung des Einsatzvorschusses für diesen Flug beauftragt, aber keine Not-
wendigkeit gesehen, für eine Einzahlung des restlichen Einsatzvorschusses aus
dem USA-Flug bei der Zahlstelle zu sorgen, weil er das Geld im Stahlschrank si-
cher geglaubt habe. Nach einem dienstfreien Tag am 10. September 2008 habe
der Soldat am 11. September 2008 den restlichen Einsatzvorschuss bei der Zahl-
stelle einzahlen wollen. Beim Öffnen des Stahlschrankes habe er aber festgestellt,
dass die Geldtasche sich dort nicht mehr befand. Sie sei später in der Küche des
Gefechtsstandes hinter der Mikrowelle aufgefunden worden. In ihr hätten sich Ho-
telrechnungen und etwas Restgeld befunden. Der Fehlbetrag belaufe sich auf
6 641,73 €.
Die Truppendienstkammer sieht den Soldaten durch das Schlüsselregime betref-
fend den Stahlspind im Gefechtsstand nicht entlastet. Dass sich ein Dritter einen
Nachschlüssel gefertigt haben könnte, sei fernliegend. Der Soldat habe mehrere
Gelegenheiten zur Rückführung des restlichen Einsatzvorschusses aus dem USA-
Flug gehabt: Nach der Rückkehr aus den USA hätte es sich aufgedrängt, das
Geld dem Co-Piloten gegen Quittung zu übergeben, durch diesen in ein Stahlfach
einschließen und am nächsten Tag bei der Zahlstelle abrechnen zu lassen. Am
4. oder 5. September 2008 hätte der Soldat dies persönlich tun können.
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Indem der Soldat es unterlassen habe, den restlichen Einsatzvorschuss am
4. September 2008 oder spätestens am 5. September 2008 bei der Zahlstelle ab-
zuliefern, und er das Geld stattdessen im Stahlschrank des Gefechtsstandes am
4. September 2008 eingelagert und sich erst am 11. September 2008 um dessen
Rückgabe an die Zahlstelle gekümmert habe, habe er grob fahrlässig und leicht-
fertig die Pflichten zu treuem Dienen (§ 7 SG) und zu achtungs- und vertrauens-
würdigem Verhalten im dienstlichen Bereich (§ 17 Abs. 1 SG) verletzt.
Das Dienstvergehen wiege wegen der Höhe des Schadens und der Intensität der
gezeigten Nachlässigkeit nicht leicht. Der Schaden sei mit rund 6 600 € beträcht-
lich. Der Soldat habe durch seine Nachlässigkeit erhebliche charakterliche Defizite
gezeigt und durch den sorgfaltspflichtwidrigen Umgang mit zu treuen Händen
übergebenen Haushaltsmitteln ein schlechtes Beispiel gegeben. Beide Faktoren
machten eine fühlbare disziplinargerichtliche Pflichtenmahnung unausweichlich.
Auch wenn die fehlende Einsichtsbereitschaft des Soldaten in einem gewissen
Widerspruch zu seinem ansonsten guten Persönlichkeits- und Leistungsbild stehe,
erlaube es Letzteres, die Kürzung der Bezüge am unteren Rand des gesetzlichen
Rahmens zu belassen.
3. Gegen das dem Soldaten am 7. April 2011 zugestellte Urteil hat er am 5. Mai
2011 in vollem Umfang Berufung eingelegt.
Die Sachverhaltsfeststellungen und die Beweiswürdigung des Urteils seien fehler-
haft. Das Truppendienstgericht werfe dem Soldaten vor, den restlichen Einsatz-
vorschuss nicht so früh wie möglich an die Zahlstelle zurückgeführt zu haben.
Nach seiner Rückkehr sei die Zahlstelle aber geschlossen gewesen. Die Mitnah-
me des Einsatzvorschusses nach Hause sei gängige und seitens der Vorgesetz-
ten geduldete Praxis gewesen. Die Verwahrung von Schlüsseln im Gefechtsstand
sei „stiefmütterlich“ gehandhabt worden. Entgegen der Einschätzung des Trup-
pendienstgerichts sei es nicht fernliegend davon auszugehen, dass Dritte Nach-
schlüssel gefertigt hätten. In der Vergangenheit sei bereits Geld aus dem Stahl-
schrank entwendet worden. Das Einschließen des Einsatzvorschusses in den
Stahlschrank entlaste den Soldaten nicht und werde in der Praxis kaum genutzt.
Eine alternative Möglichkeit zur ordnungsgemäßen Verwahrung des Einsatzvor-
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schusses sei auch nach dem Vorfall nicht angeboten worden. Am 4. September
habe sich der Soldat nicht im Dienst befunden und die Dienststelle nur als Privat-
person aufgesucht. Am 5. September habe er wegen der Flugvorbereitung für den
Kreta-Flug keine Möglichkeit zur Einzahlung des Einsatzvorschusses des USA-
Fluges gehabt. Vorgesetzte seien verpflichtet, praktikable und sichere Aufbewah-
rungsalternativen zu eröffnen. Dies sei nicht geschehen. Darin liege eine Mitver-
antwortung der Bundeswehr. Selbst wenn eine Pflichtverletzung vorliegen sollte,
seien bei der Maßnahmebemessung das positive Persönlichkeitsbild des Sol-
daten, seine hohe Einsatzbereitschaft insbesondere bei Auslandseinsätzen und
der Umstand zu berücksichtigen, dass der Soldat täglich eine hohe Verantwortung
trage. Die Vorgesetzten treffe ein erhebliches Mitverschulden. Ein strenger Ver-
weis sei auch generalpräventiv ausreichend.
III
Die gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 WDO form- und
fristgerecht eingelegte und damit zulässige Berufung ist begründet, soweit sie sich
gegen die verhängte gerichtliche Disziplinarmaßnahme wendet.
Das Rechtsmittel ist in vollem Umfang eingelegt worden. Der Senat hat daher im
Rahmen der Anschuldigung eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen, diese
rechtlich zu würdigen und unter Berücksichtigung des Verschlechterungsverbotes
(§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 StPO) über die angemessene Disziplinar-
maßnahme zu befinden. Wegen der bereits verhängten Disziplinarbuße ist § 96
Abs. 2 Satz 1 WDO Rechnung zu tragen.
1. a) Die Anschuldigungsschrift bestimmt den Prozessstoff, das heißt den Sach-
verhalt, der allein zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden darf, ab-
schließend (Beschluss vom 11. Februar 2009 - BVerwG 2 WD 4.08 –
BVerwGE 133, 129 <131> Rn. 12). Sie muss so deutlich und klar sein, dass der
Soldat sich mit seiner Verteidigung darauf einstellen kann (Beschluss vom
11. Februar 2009 a.a.O.) und ist daher von einem objektiven Empfängerhorizont
aus eng auszulegen (Beschluss vom 11. Februar 2009 a.a.O. Rn. 14 m.w.N.). Der
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Tatvorwurf muss unter anderem erkennen lassen, ob eine vorsätzliche oder fahr-
lässige Begehungsweise angeschuldigt wird. Aus der Fassung des Tatvorwurfs
muss sich die angeschuldigte Handlungsweise bzw. „Schuldform“ (Vorsatz oder
Fahrlässigkeit) eindeutig ergeben (vgl. Urteil vom 18. September 2003 - BVerwG 2
WD 3.03 - BVerwGE 119, 76 <79>).
b) Hiernach bilden nach der Anschuldigungsschrift vom 19. Oktober 2010 Verlet-
zungen zweier komplementärer Pflichten den Gegenstand des gerichtlichen Diszi-
plinarverfahrens: Angeschuldigt wird zum einen das Unterlassen der unverzügli-
chen Abrechnung des restlichen Einsatzvorschusses, zum anderen die Verletzung
der Pflicht zur sicheren Aufbewahrung empfangener Einsatzvorschüsse.
aa) Der erste Satz des verfügenden Teils der Anschuldigungsschrift nimmt Bezug
auf die Nummer 1674 der Bestimmungen für die Zahlungseinrichtungen im Ge-
schäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung und lehnt sich auch in
der Formulierung an diese an. Angeschuldigt ist hiermit ein vorsätzliches Unter-
lassen. Denn wer „entgegen der ihm bekannten Bestimmungen“ die Erfüllung der
dort geregelten Pflicht versäumt, handelt nicht nur willentlich, sondern auch in
Kenntnis der versäumten Pflicht.
Die fahrlässige Begehungsform ist in Bezug auf diese Pflichtverletzung auch nicht
hilfsweise angeschuldigt. Denn dies würde zumindest voraussetzen, dass neben
der Alternative des Kennens der verletzten Pflicht zu aktivem Tun auch die Alter-
native des Kennenmüssens dieser Pflicht erwähnt wird. Dass dies im ersten Satz
der Anschuldigungsschrift im Unterschied zu ihrem dritten Satz nicht erfolgt ist,
lässt sich von einem objektiven Empfängerhorizont nur so verstehen, dass unter-
schiedliche Pflichtverletzungen mit jeweils unterschiedlichen Verschuldensvorwür-
fen Gegenstand des Verfahrens sind. Der dritte Satz der Anschuldigungsschrift
lässt sich auch nicht ergänzend für die Auslegung des Verschuldensvorwurfs be-
züglich der nicht unverzüglichen Abrechnung heranziehen. Denn dort ist nur vom
Erkennenkönnen der Gefahren einer unsachgemäßen Aufbewahrung, nicht aber
vom Erkennenkönnen der Gefahren einer nicht rechtzeitigen Abrechnung die Re-
de.
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bb) Mit dem zweiten und dem dritten Satz des verfügenden Teils der Anschuldi-
gungsschrift wird ergänzend angeschuldigt, dass der Soldat durch aktives Tun
- die Einlagerung im Nachtschränkchen seines Privathauses und die Einlagerung
im Stahlschrank des Gefechtsstandes - die Pflicht zur sicheren Aufbewahrung ver-
letzt hat. Diese Pflicht ergänzt die Abrechnungspflicht. Wer die Abrechnungspflicht
- schuldhaft oder nicht - nicht erfüllt, muss jedenfalls die Pflicht zur sorgfältigen
Aufbewahrung erfüllen. Wer beides versäumt, hat ein schwerwiegenderes Verge-
hen begangen, als derjenige, der zwar schuldhaft nicht abrechnet, das Geld aber
sicher verwahrt und es dennoch durch eine Straftat verliert. Diesem Umstand will
die Anschuldigungsschrift objektiv erkennbar Rechnung tragen. Sie will damit er-
sichtlich auch den gesamten Zeitraum nach der Rückkehr von dem USA-Flug bis
zum Abhandenkommen des Geldes durch angeschuldigte Pflichtverletzungen er-
fassen, ohne zugleich eingrenzen zu müssen, zu welchem Zeitpunkt sich welches
durch Pflichtverletzungen geschaffene Verlustrisiko realisiert hat.
Im Hinblick auf diese Pflichtverletzung ist durch den Satz 3 mit den Begriffen „be-
wusst oder hätte ihm bewusst sein müssen“ vorsätzliches und hilfsweise auch
fahrlässiges Verhalten angeschuldigt. Dass sich dieser Satz auf die im vorange-
gangenen Satz angeführten objektiven Pflichtverletzungen bezieht, ergibt sich aus
dem Wort „dabei“.
2. a) Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Soldat den am Mittwoch,
den 30. Juli 2008, empfangenen Einsatzvorschuss für den für Anfang August 2008
vorgesehenen USA-Flug bis zum Abflug am 4. August 2008 mit sich nach Hause
nahm. Nach der Rückkehr aus den USA am Freitag, den 15. August 2008, abends
außerhalb der Öffnungszeiten der Geschwaderzahlstelle nahm er den restlichen
Einsatzvorschuss wiederum mit in sein Privathaus, wo er die Geldtasche samt
Inhalt im Nachtkästchen seines Privathauses deponierte. Von Montag, den
18. August 2008, bis einschließlich Donnerstag, den 4. September 2008, hatte der
Soldat genehmigten Erholungsurlaub. Von Sonntag, den 17. August 2008, bis
Mittwoch, den 3. September 2008, verbrachte er seinen Urlaub gemeinsam mit
der Familie im Wohnmobil auf Fehmarn. Nach seiner Rückkehr noch während sei-
nes Urlaubes suchte er am 4. September 2008 seine Dienststelle auf, ließ sich
den Schlüssel für das Stahlspindfach Nr. 6 geben und verschloss die Geldtasche
mit Inhalt im Stahlschrank. Freitag, den 5. September 2008, war der Soldat wieder
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im Dienst und befasste sich mit den Vorbereitungen für den vom 8. bis zum 9.
September 2008 vorgesehenen Kreta-Flug. Mit der Entgegennahme und Verwal-
tung des Einsatzvorschusses für den Kreta-Flug hatte er seinen designierten Co-
Piloten beauftragt, der am 5. September 2008 den Vorschuss für diesen Flug auf
der Geschwaderzahlstelle in Empfang nahm. Nach der Rückkehr aus Kreta am
9. September 2008 und einem dienstfreien Tag am 10. September 2008 wollte der
Soldat am 11. September 2008 den im Stahlschrank eingelagerten restlichen Ein-
satzvorschuss von dem USA-Flug abrechnen. Bei der Öffnung des Stahlspindfa-
ches Nr. 6 stellte er jedoch fest, dass dieses leer war. Die Geldtasche, in der sich
nur noch einige Geldscheine und Belege und Quittungen befanden, wurde in der
Küche des Gebäudes aufgefunden. Es konnte nicht ermittelt werden, wer die feh-
lende Geldsumme in Höhe von ca. 6 600 € an sich genommen hatte.
Diese Tatsachen stehen schon aufgrund der Einlassungen des Soldaten in der
Berufungshauptverhandlung fest, der den entsprechenden Angaben der Anschul-
digungsschrift und den gleichlautenden Feststellungen des truppendienstgerichtli-
chen Urteils nicht entgegen getreten ist, diese auf ausdrückliche Nachfragen viel-
mehr bestätigt hat.
Zur Überzeugung des Senats steht weiter fest, dass es zum Zeitpunkt des vorge-
worfenen Geschehens der an der fraglichen Dienststelle üblichen Praxis ent-
sprach, erhaltene Einsatzvorschüsse mit nach Hause zu nehmen und dort zu ver-
wahren. Alternativ dazu bestand die Möglichkeit, erhaltene Geldsummen im Stahl-
schrank im Gefechtsstand einzuschließen. Es gab aber keinen konkreten Befehl,
Gelder in dem Stahlschrank einzuschließen.
Diese Praxis ergibt sich aus der in der Berufungshauptverhandlung verlesenen
Aussage des Disziplinarvorgesetzten des Soldaten, Oberstleutnant Z., und den
damit übereinstimmenden Angaben des Soldaten. Dieser hat auch glaubhaft aus-
geführt, dass ausweislich der Eintragungen im Schlüsselbuch für den Stahl-
schrank im Gefechtsstand vor ihm nur zwei Kameraden dort Schließfächer in An-
spruch genommen hatten, obwohl der Stahlschrank seit Juni 2008 zur Verfügung
stand. Hieraus schließt der Senat, dass die Möglichkeit der Einlagerung erhaltener
Gelder im Stahlschrank nur ausnahmsweise genutzt wurde. Dass die Praxis, er-
haltene Geldbeträge auch im vierstelligen Euro-Bereich mit nach Hause zu neh-
men, vom Dienstherrn hingenommen und nicht als pflichtwidrig betrachtet wurde,
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ergibt sich nicht zuletzt auch daraus, dass die Anschuldigungsschrift dies dem
Soldaten für die Zeit zwischen der Empfangnahme des Einsatzvorschusses für
den USA-Flug und dem Abflug nicht vorwirft.
Aus der in der Berufungshauptverhandlung verlesenen Aussage des Disziplinar-
vorgesetzten des Soldaten und aus seinen eigenen Angaben sowie der vom Sol-
daten als Anlage zum Protokoll gereichten Kopie der Mitteilung über die Öffnungs-
zeiten der Geschwaderzahlstelle ergibt sich, dass diese nur stundenweise vormit-
tags geöffnet hatte.
Es ist nicht mehr feststellbar, wann die fehlende Summe von ca. 6 600 € aus dem
restlichen Einsatzvorschuss abhandengekommen ist. Der Soldat hat in der Beru-
fungshauptverhandlung erläutert, dass er das Geld das letzte Mal auf dem Rück-
flug aus den USA in der ruhigeren Flugphase zwischen Island und Köln nachge-
zählt hatte, als er mit Abrechnungen der Crew-Mitglieder befasst war. Dies ist
schon deshalb glaubhaft, weil es seiner Einlassung bereits in der Hauptverhand-
lung vor dem Truppendienstgericht entspricht. Der Senat glaubt dem Soldaten
weiter, dass er nach der Rückkehr aus dem Urlaub in die Geldtasche hineingese-
hen und dort, ohne konkret nachzuzählen, jedenfalls eine größere Summe in allen
ursprünglich vorhandenen Währungen gesehen hat. Die Geldtasche war nach
seinen nicht widerlegbaren Angaben auch noch prall gefüllt, als er sie in das
Stahlspindfach im Gefechtsstand einlagerte. Auch diese Angaben stehen in Über-
einstimmung mit früheren Aussagen des Soldaten insbesondere beim Truppen-
dienstgericht. Dass der Soldat eine leere Geldtasche in den Stahlschrank eingela-
gert haben könnte, um zu verschleiern, dass das Geld bereits zuvor abhanden
gekommen war, ist ihm weder von der Staatsanwaltschaft noch von der Wehrdis-
ziplinaranwaltschaft vorgeworfen worden. Es gibt auch keine darauf hindeutenden
Indizien.
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b) Der Senat ist des Weiteren davon überzeugt, dass der Soldat auch während
des von der Anschuldigungsschrift erfassten Zeitraumes wusste, dass die Ge-
schwaderzahlstelle regelmäßig unter anderem freitags vormittags stundenweise
geöffnet hatte. Dies hatte er bereits vor dem Truppendienstgericht auf Nachfrage
eingeräumt. Er hat in der Berufungshauptverhandlung selbst eine Übersicht über
die Öffnungszeiten der Zahlstelle vorgelegt, aus der sich dies ergibt. Sein Diszipli-
narvorgesetzter hat in seiner in der Berufungshauptverhandlung verlesenen Aus-
sage diese Öffnungszeiten bestätigt und darauf hingewiesen, dass eine entspre-
chende Information aushing. Auch dieses Indiz spricht dafür, dass der Soldat über
die an seiner Dienstelle auf diese Weise allgemein bekannt gegebenen Informa-
tionen verfügte.
Zudem steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Soldat am 5. September
2008 wusste, dass durch die Abrechnung des Einsatzvorschusses für den USA-
Flug die Durchführung des Kreta-Fluges nicht gefährdet wäre und er beide Aufga-
ben an diesem Tag erfüllen könnte. Dass die Flugvorbereitung für den Kreta-Flug
neben der Abrechnung an diesem Tag möglich war, hatte er auf Nachfrage bereits
beim Truppendienstgericht eingeräumt. Auf Vorhalt seiner entsprechenden Anga-
be hat er hieran festgehalten. Er hat auf entsprechenden Vorhalt in der Beru-
fungshauptverhandlung seine Angaben aus der Vernehmung vom 24. Oktober
2008 bestätigt. Dort ist unter anderem erörtert worden, warum er den Einsatzvor-
schuss nicht am 5. September 2008 abgerechnet hatte. In diesem Zusammen-
hang hatte der Soldat angegeben, er habe das Geld des USA-Fluges im Ge-
fechtsstand sicher gewähnt und es nach dem Souda-Einsatz zurückgeben wollen.
Die Frage seines Disziplinarvorgesetzten, ob er die Abrechnung also nicht ver-
passt habe, sondern es im Voraus geplant habe, den Einsatzvorschuss/Bordnot-
geld nicht abzugeben, hatte er bejaht. Entsprach eine Rückstellung der Abrech-
nung des USA-Fluges bis nach dem Kreta-Flug aber von Anfang an der Planung
des Soldaten, dann hatte er sich hierzu auch nicht durch die Erkenntnis veranlasst
gesehen, dass dann eine Durchführung des Kreta-Fluges gefährdet gewesen wä-
re. Dafür gibt es auch keine Anhaltspunkte.
Die Ausführungen des Soldaten in der Berufungshauptverhandlung, man hätte
ihm Verschuldensvorwürfe machen können, wenn es während des Kreta-Fluges
zu einem sicherheitsrelevanten Zwischenfall gekommen wäre und er am 5. Sep-
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tember 2008 Dienstzeit für die Abrechnung und nicht für die Vorbereitung des Kre-
ta-Fluges verwendet hätte, können die Feststellung nicht erschüttern, ihm sei die
Möglichkeit, beide Aufgaben an diesem Tag zu erledigen, bewusst gewesen.
Denn die Ausführungen des Soldaten sind unsubstanziiert und rein hypothetisch.
Er hat nicht plausibel und nachvollziehbar dargetan, welche Aufgaben durch eine
zeitliche Umstellung der Vorbereitungsarbeiten gar nicht hätten durchgeführt wer-
den können, wenn er die Zeit von einer Dreiviertelstunde bis zu einer Stunde auf
die Abrechnung verwandt hätte, die nach seiner Einschätzung hierfür nötig gewe-
sen wäre. Aus diesem Grund hält der Senat seine entsprechenden Angaben für
eine unglaubhafte Schutzbehauptung.
Dass der Soldat die Pflicht zur unverzüglichen Abrechnung jedenfalls aus dem
Flugbetriebshandbuch kannte, entspricht seiner Einlassung vor dem Truppen-
dienstgericht, von der er in der Berufungshauptverhandlung nicht abgerückt ist.
Der Senat glaubt dem Soldaten, dass ihm zu keinem Zeitpunkt bewusst war, dass
er einen Kameraden, insbesondere seinen Co-Piloten, mit der Abrechnung des
von ihm selbst in Empfang genommenen Einsatzvorschusses des USA-Fluges,
hätte beauftragen können. Denn diese Möglichkeit drängt sich entgegen der Ein-
schätzung des Truppendienstgerichts nicht auf. Es liegt vielmehr nahe, davon
auszugehen, dass derjenige abrechnen muss, der das Geld empfangen und ver-
waltet hat. Die Abrechnung dient der Entlastung des mit der Verantwortung für den
Vorschuss „Belasteten“ gegenüber der Kasse. Die Bestimmungen für die Zah-
lungseinrichtungen im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung
sprechen in der Nummer 1674 nicht die Möglichkeit an, dass ein anderer als der
mit dem Vorschuss „Belastete“ die Abrechnung vornimmt. Die damit verbleibende
Unsicherheit, ob der mit der Verantwortung für das Geld „Belastete“ durch die Ein-
schaltung eines Dritten und ohne direkten Kontakt mit der Abrechnungsstelle sei-
ner Verantwortung gerecht werden kann, lässt diese Möglichkeit jedenfalls für ei-
nen Soldaten ohne juristische Ausbildung nicht naheliegend erscheinen. Sie ist
auch nicht mit der Übertragung der gesamten Aufgabe der Empfangnahme, Ver-
waltung und Abrechnung des Einsatzvorschusses auf einen Co-Piloten vergleich-
bar, da in diesem Fall der gegenüber der Kasse „Belastete“ ja gerade identisch mit
dem Abrechnenden ist.
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- 16 -
3. a) aa) Durch das Unterlassen der Abrechnung des erhaltenen Einsatzvorschus-
ses mit der Zahlstelle des Geschwaders am 5. September 2008 hat der Soldat
hiernach vorsätzlich seine Dienstpflichten aus § 7 und § 17 Abs. 2 Satz 1 SG ver-
letzt und damit ein Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 SG begangen.
Zu diesem Zeitpunkt hat er objektiv pflichtwidrig die ihm nach Nr. 1674 der Be-
stimmungen für die Zahlungseinrichtungen im Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums der Verteidigung, Stand 1. Juli 2008, unverzüglich, das heißt ohne schuld-
haftes Zögern (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) obliegende Abrechnung unterlas-
sen. Denn er war im Dienst und damit zur Erbringung von Dienstleistungen ver-
pflichtet. Er hatte Zugang zur Zahlstelle des Geschwaders und diese hatte jeden-
falls stundenweise am Vormittag geöffnet. Einen Grund, den Einsatzvorschuss
zurückzubehalten, gab es nicht.
Damit hat der Soldat zunächst seine Dienstpflicht aus § 7 SG verletzt. Die Pflicht
zum treuen Dienen schließt die Verpflichtung ein, auch jenseits von Befehlen
(schlichte) Weisungen zu befolgen (Urteil vom 30. März 2011 - BVerwG 2 WD
5.10 - juris Rn. 39). Eine solche Weisung lag in der oben genannten Bestimmung.
Mit seinem Verhalten hat der Soldat auch gegen § 17 Abs. 2 Satz 1 SG verstoßen.
Denn jeder Verstoß eines Soldaten gegen eine gesetzliche Dienstpflicht, die dem
§ 17 SG vorangestellt ist, enthält zugleich einen Verstoß gegen § 17 Abs. 2 SG,
wenn dem festgestellten Verhalten unabhängig von anderen Pflichtenverstößen
die Eignung zur Ansehensminderung innewohnt. Die Achtungs- und die Vertrau-
enswürdigkeit eines Soldaten können durch sein Verhalten schon dann Schaden
nehmen, wenn dieses Zweifel an seiner Zuverlässigkeit weckt oder seine Eignung
für die jeweilige Verwendung in Frage stellt (Urteil vom 4. September 2009
- BVerwG 2 WD 17.08 - BVerwGE 134, 379 <388>). Dies ist der Fall, wenn der
Kommandant eines Transall-Fluges die damit verbundenen Pflichten nicht recht-
zeitig und vollständig erfüllt und damit Vermögensinteressen des Dienstherrn zu-
mindest gefährdet.
Dagegen liegt hierin kein Verstoß gegen die Gehorsamspflicht nach § 11 Abs. 1
SG. Die oben genannten Bestimmungen, die weder vom Verteidigungsminister
noch vom Staatssekretär „In Vertretung“, sondern „Im Auftrag“ unterzeichnet wor-
den sind, stellen keinen Befehl im Sinne von § 11 Abs. 1 SG dar (vgl. dazu u.a.
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Urteil vom 26. September 2006 - BVerwG 2 WD 2.06 - BVerwGE 127, 1 <23 ff.> =
Buchholz 449 § 10 SG Nr. 55 = NZWehrr 2007, 79 m.w.N.).
Die Pflichtverletzung geschah auch zumindest bedingt vorsätzlich. Denn der Sol-
dat unterließ die Abrechnung nicht nur willentlich, sondern wie oben ausgeführt
auch in Kenntnis der entsprechenden Pflicht und im Bewusstsein der Möglichkeit,
ihr zu genügen.
Der Feststellung von bedingtem Vorsatz steht kein Irrtum darüber entgegen, dass
eine vordringliche Pflicht - die Vorbereitung des nächsten Fluges - zunächst erle-
digt werden musste. Wie ausgeführt war dem Soldaten bewusst, dass er am 5.
September 2008 beide Pflichten erledigen konnte, und der Senat glaubt ihm nicht,
dass er sich in einer Konfliktlage zwischen zwei kollidierenden Pflichten sah.
Der Annahme von bedingtem Vorsatz steht nicht entgegen, dass der Soldat das
Geld im Stahlschrank sicher aufgehoben glaubte. Denn die Pflicht zur sicheren
Aufbewahrung erfüllt die Pflicht zur unverzüglichen Abrechnung nicht. Sollte der
Soldat geglaubt haben, dass er wegen der Erfüllung der Aufbewahrungspflicht die
Erfüllung der Abrechnungspflicht zurückstellen dürfe, hätte er sich in einem Irrtum
über die Pflichtwidrigkeit seines Unterlassens befunden, der als Verbotsirrtum ent-
sprechend § 17 Satz 2 StGB den Vorsatz nicht entfallen lässt. Er wäre nämlich
vermeidbar, wenn der Soldat bei der Prüfung seiner Erwägungen die Sorgfalt an-
gewandt hätte, die von ihm nach seiner Amtsstellung und nach den Kenntnissen,
die er aus der für seinen Werdegang erforderlichen Vorbildung gewonnen hat, zu
fordern ist. (vgl. Urteil vom 13. September 2011 - BVerwG 2 WD 15.10 - Rn. 36).
bb) Dagegen ist der Soldat freizustellen, soweit ihm für die Zeit vor dem 5. Sep-
tember 2008 eine Verletzung der Pflicht zur unverzüglichen Abrechnung vorge-
worfen worden ist. Insofern fehlt es bereits objektiv an einer Pflichtverletzung.
Denn nach der Rückkehr von dem USA-Flug am Freitagabend und am darauf fol-
genden Wochenende war eine Abrechnung schon deshalb nicht möglich, weil die
Geschwaderzahlstelle nicht geöffnet hatte und eine Abrechnung nur dort möglich
war.
In der Zeit vom 18. August 2008 bis einschließlich 4. September 2008 war die Un-
terlassung nicht pflichtwidrig, weil der Soldat genehmigten Urlaub hatte. Während
des Urlaubs ist der Soldat weder zur Erbringung von Dienstleistungen noch zur
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Anwesenheit am Dienstort verpflichtet (vgl. Scherer/Alff/Poretschkin, Soldatenge-
setz, 8. Aufl. 2008, § 28 Rn. 2). Ihm ist daher auch nicht vorzuwerfen, dass er eine
Dienstleistung wie die Abrechnung, die nur am Dienstort erfüllt werden kann, nicht
erbringt.
Entsprechendes gilt für die Zeit vom 6. bis 10. September 2008: Am Wochenende
6./7. hatte die Zahlstelle des Geschwaders nicht geöffnet; am 8. und 9. hatte er
keine Gelegenheit zur Abrechnung, weil er den Kreta-Flug durchführen musste,
und am 10. war er zur Abrechnung nicht verpflichtet, weil er dienstfrei hatte.
Soweit dem Soldaten vorgehalten worden ist, er habe es unterlassen, seinen Co-
Piloten mit der Abrechnung des Einsatzvorschusses zu beauftragen, kann dahin-
stehen, ob dieses Unterlassen hinreichend bestimmt angeschuldigt ist und ob es
überhaupt pflichtwidrig wäre. Denn insoweit fehlt es jedenfalls an einem Vorsatz.
Vorsätzliches Unterlassen erfordert das Bewusstsein möglichen Handelns (BGH,
Urteil vom 11. April 2001 - 3 StR 456/00 - BGHSt 46, 373 <379> -, juris LS 2). Wie
ausgeführt glaubt der Senat dem Soldaten aber, dass er dieses Bewusstsein nicht
hatte. Die damit in Betracht kommende Fahrlässigkeit ist, wie ausgeführt, nicht an-
geschuldigt.
b) Der Soldat ist von dem Vorwurf der Verletzung der Pflicht zur sicheren Aufbe-
wahrung insgesamt freizustellen. Insofern fehlt es bereits an einem objektiv
pflichtwidrigen Handeln.
Der Empfänger eines Einsatzvorschusses schuldet dem Dienstherrn unter ande-
rem die sichere Aufbewahrung des erhaltenen Geldes. Was eine sichere Aufbe-
wahrung ist, hat der Dienstherr weder durch konkrete Befehle noch durch Verwal-
tungsvorschriften - insbesondere nicht durch Nummer 1674 der Bestimmungen für
die Zahlungseinrichtungen im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Ver-
teidigung - allgemein definiert. Er hat damit zwar keinen bestimmten Sicherheits-
standard ausdrücklich abstrakt gefordert. Durch die Duldung der Praxis, erhaltene
Einsatzvorschüsse mit nach Hause zu nehmen und sie bei sich zu verwahren, hat
der Dienstherr aber konkludent definiert, was er als jedenfalls hinreichend sichere
Aufbewahrung versteht. Dieses Maß an Sicherheit hat der Soldat durch die Mit-
nahme des Geldes nach Hause - vor wie nach dem Einsatz - gewährleistet.
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht für die Zeit der urlaubsbedingten Ortsabwe-
senheit des Soldaten. Denn der Dienstherr hat seine Duldung der Mitnahme erhal-
tener Einsatzvorschüsse in Privathäuser und damit die konkludente Definition des
von ihm erwarteten Sicherheitsstandards nicht davon abhängig gemacht, dass für
eine dauernde Bewachung des Geldes Sorge getragen wurde. Weder der Diszi-
plinarvorgesetzte des Soldaten noch dieser selbst haben berichtet, dass auch nur
nachgefragt wurde, ob dies bei einer Mitnahme etwa über das Wochenende ge-
währleistet gewesen wäre. Dass Geldbeträge oder Wertgegenstände mit einem
Gesamtwert von jedenfalls 6 600 € auch eine Zeit lang während des Urlaubs in
einem verschlossenen Haus unbeaufsichtigt bleiben, ist nicht ungewöhnlich und
wird von der Verkehrsanschauung nicht als Verstoß gegen Sorgfaltspflichten ge-
wertet. Der Dienstherr muss - duldet er grundsätzlich die Mitnahme auch über
mehrere Tage nach Hause - klar stellen, wenn er für die Verwahrung seiner Gel-
der ein höheres Maß an Sicherheit erwartet. Dies ist hier nicht geschehen.
Nicht pflichtwidrig war hiernach erst recht die Einlagerung in den Stahlschrank des
Gefechtsstandes. Denn dieser war wie oben ausgeführt als alternative Möglichkeit
der sicheren Aufbewahrung von Einsatzvorschüssen vom Dienstherrn zur Verfü-
gung gestellt worden. Damit hat der Dienstherr die Einlagerung in diesen Schrank
als hinreichend sicher bestimmt. Dass der Soldat diese Möglichkeit genutzt hat,
kann ihm dann nicht vorgeworfen werden.
4. Auch wenn der Soldat mit der Verletzung der Pflicht zur unverzüglichen Ab-
rechnung ein Dienstvergehen begangen hat, ist das gerichtliche Disziplinarverfah-
ren nach § 123 Satz 3 in Verbindung mit § 96 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 WDO einzu-
stellen und das Urteil der Truppendienstkammer aufzuheben. Denn hiernach ist
nur eine einfache Disziplinarmaßnahme geboten. Über die verhängte Geldbuße
kann der Senat nicht entscheiden, weil insofern ein Verfahren vor dem Truppen-
dienstgericht anhängig ist. Dieses ist nur ausgesetzt und nunmehr fortzusetzen,
weil es sich nicht durch die Aufhebung der Geldbuße nach § 96 Abs. 2 Satz 1
WDO wegen der Verhängung einer gerichtlichen Disziplinarmaßnahme erledigt
hat.
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Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs wegen
allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen. Diese
besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen Dienst-
betrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten („Wiederherstellung und
Sicherung der Integrität, des Ansehens und der Disziplin in der Bundeswehr“, vgl.
dazu Urteil vom 11. Juni 2008 - BVerwG 2 WD 11.07 - Buchholz 450.2 § 38 WDO
2002 Nr. 26 m.w.N.). Die bedingt vorsätzliche Verletzung der Pflicht zur unverzüg-
lichen Abrechnung von Einsatzvorschüssen kann jedenfalls dann angemessen
durch eine einfache Disziplinarmaßnahme sanktioniert werden, wenn nicht fest-
stellbar ist, dass sich im Verlust des Geldes gerade das durch die Pflichtverletzung
geschaffene Risiko verwirklicht hat und einem erheblichen Mitverschulden des
Dienstherrn Rechnung zu tragen ist.
Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs.
1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das
Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe
des Soldaten zu berücksichtigen.
Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in seiner
gefestigten Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 10. Februar 2010 - BVerwG 2 WD
9.09 - juris) von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:
Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung
vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssi-
cherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme
für die in Rede stehende Fallgruppe als „Ausgangspunkt der Zumessungserwä-
gungen“. Auf der zweiten Stufe ist dann zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im
Hinblick auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die
Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die die Möglichkeit
einer Milderung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regel-
maßnahme eröffnen. Dabei ist vor allem angesichts der Eigenart und Schwere des
Dienstvergehens sowie dessen Auswirkungen zu klären, ob es sich angesichts der
be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall
der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höhe-
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rer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zu-
messungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach „oben“
bzw. nach „unten“ zu modifizieren.
Hiernach liegt der Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen für die vorsätzli-
che Verletzung der Pflicht zur unverzüglichen Abrechnung eines Einsatzvorschus-
ses im Allgemeinen unterhalb der Schwelle der Bezügekürzung als mildester ge-
richtlicher Disziplinarmaßnahme. Denn die in Rede stehende Pflichtverletzung ist
nicht durch finanziellen Eigennutz geprägt: Der Soldat hat dadurch nicht sich
selbst oder andere bereichert oder dies beabsichtigt, sodass keine Vergleichbar-
keit mit einem Zugriffsdelikt besteht. Seinem pflichtwidrigen Verhalten fehlt die
strafrechtliche Relevanz. Es handelt sich um eine Schlechtleistung beim verant-
wortungsbewussten Umgang mit öffentlichen Mitteln, die Vermögensinteressen
des Bundes gefährdet, aber nicht unmittelbar beeinträchtigt. Die Abrechnung von
Einsatzvorschüssen ist Teil des Pflichtenkreises des Kommandanten eines Luft-
fahrzeuges, gehört aber nicht zu seinen Kernpflichten.
Jedenfalls dann, wenn sich im konkreten Einzelfall das durch die Pflichtwidrigkeit
geschaffene Risiko nicht realisiert hat oder - wie hier - die Kausalität zwischen der
Pflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden nicht nachgewiesen ist, reicht
im Ergebnis der Gesamtabwägung eine einfache Disziplinarmaßnahme als Pflich-
tenmahnung aus. Vorliegend ist nicht auszuschließen, dass das Geld bereits am
4. September 2008 aus dem Stahlspindfach entwendet wurde. Dann wäre aber
der Schaden nicht durch die zeitlich erst nachfolgende Verletzung der Pflicht zur
unverzüglichen Abrechnung verursacht.
Dies gilt erst recht, wenn - wie hier - ein erhebliches Mitverschulden des Dienst-
herrn als Milderungsgrund in den Umständen der Tat hinzu kommt. Ein Milde-
rungsgrund steht einem Soldaten dann zur Seite, wenn er der Dienstaufsicht be-
darf, z.B. in einer Überforderungssituation, die ein hilfreiches Eingreifen des Vor-
gesetzten erforderlich macht (vgl. z.B. Urteile vom 13. März 2003 -
- Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 2 und vom 13. Januar 2011 - BVerwG
2 WD 20.09 - juris Rn. 37).
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So liegt der Fall auch hier: Denn der Dienstherr hat durch die Organisation des
Dienstbetriebes zum Entstehen einer Überforderungssituation beigetragen, in der
es für den Soldaten nicht möglich war, seiner Abrechnungspflicht zeitnah zu ge-
nügen und er mit dem sich daraus ergebenden organisatorischen Problem, wie er
seine Pflicht zur unverzüglichen Abrechnung mit der Erledigung der mit neuen
Einsätzen verbundenen Aufgaben vereinbaren konnte, allein gelassen war. Zu
dieser Überforderungssituation trug bei, dass die Geschwaderzahlstelle nur wäh-
rend eines kurzen Zeitfensters und nur vormittags geöffnet hatte. Damit war vor-
hersehbar, dass sich in einer erheblichen Zahl von Fällen schon faktisch nicht die
Möglichkeit einer Abrechnung noch am Tag der Rückkehr von einem Einsatz er-
geben würde. Es ist auch vorhersehbar, dass sich Abrechnungen dadurch weiter
verzögern konnten, dass Wochenenden und Urlaubszeiten sich an die Rückkehr
anschließen. Die kurzen Öffnungszeiten der Zahlstelle machen es erkennbar
schwierig, die Abrechnung alter Einsatzvorschüsse und die Vorbereitung neuer
Einsätze parallel zu erledigen und belasten den Soldaten zusätzlich weiterhin mit
der Verantwortung für die sichere Verwahrung des Geldes. Diese Situation über-
lässt dem nach der Rückkehr von einem noch nicht vollständig abgerechneten
Flug mit der Vorbereitung des sich anschließenden Fluges befassten Komman-
danten allein die Verantwortung dafür, die Prioritäten kollidierender Pflichten rich-
tig zu setzen bzw. seine Arbeit so zu organisieren, dass er allen ihn treffenden
Pflichten gerecht wird. Diese Schwierigkeit hätte der Dienstherr durch organisato-
rische Vorkehrungen und klare Dienstanweisungen oder Befehle im Rahmen der
Wahrnehmung der Dienstaufsicht ohne unzumutbaren Aufwand verringern kön-
nen. Denn es hätte nahe gelegen, ein Prozedere verbindlich vorzugeben, das au-
ßerhalb der kurzen Öffnungszeiten der Geschwaderzahlstelle zeitnah nach der
Rückkehr an die Dienststelle eine Entlastung von der Verantwortung für noch ab-
zurechnende Einsatzvorschüsse erlaubte, wenn schon eine deutliche Ausweitung
der verlässlichen Öffnungszeiten der Zahlstelle nicht zu gewährleisten war. So
wäre es beispielsweise denkbar, den außerhalb der Öffnungszeiten der Zahlstelle
zurückkehrenden Empfänger des Einsatzvorschusses zu verpflichten, das Geld
und die Belege an der Wache des rund um die Uhr besetzten Gefechtsstandes
abzugeben, den Wachhabenden mit der Entgegennahme, sicheren Verwahrung
und Quittierung zu beauftragen sowie für die Weiterleitung von Geld und Belegen
an die Zahlstelle organisatorisch Sorge zu tragen.
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Es gibt vorliegend auch keine erschwerenden Umstände von solchem Gewicht,
dass sie trotz der bereits genannten, die Schwere des Dienstvergehens und das
Maß der Schuld bestimmenden Gesichtspunkte die Annahme eines schweren Fal-
les und damit mindestens eine Bezügekürzung fordern würden. Dies gilt insbe-
sondere für die Beweggründe des Handelns des Soldaten, selbst wenn man von
einer gewissen Bequemlichkeit als Motiv für die Rückstellung der Abrechnung bis
nach der Rückkehr aus Kreta ausgeht. Es gilt auch für den erschwerenden Ge-
sichtspunkt der Vorgesetztenstellung des Soldaten (§ 10 Abs. 1 SG). Vielmehr
sind bei der Gesamtabwägung zusätzlich zu seinen Gunsten sprechende Ge-
sichtspunkte wie die durch die Beurteilungen und die Angaben des Leumunds-
zeugen ausgewiesenen bisherigen Leistungen und die fehlende disziplinar- oder
strafrechtliche Vorbelastung zu berücksichtigen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 138 Abs. 3 2. Alt. WDO, da das gerichtli-
che Disziplinarverfahren aus einem anderen als den in § 138 Abs. 2 WDO be-
zeichneten Fällen eingestellt worden ist. Dementsprechend wären dem Soldaten
nur solche Kosten aufzuerlegen, die er durch schuldhafte Säumnis verursacht hat.
Ein Fall schuldhafter Säumnis liegt hier aber nicht vor. Damit sind dem Bund ge-
mäß § 138 Abs. 4 WDO sowohl die Kosten des Verfahrens als auch gemäß § 140
Abs. 1 2. Alt. WDO die dem Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen
aufzuerlegen.
Dr. von Heimburg
Dr. Langer
Dr. Eppelt
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Wehrdisziplinarrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
WDO
§ 38 Abs. 1, § 58 Abs. 7, § 96 Abs. 2 Satz 1
SG
§§ 7, 17 Abs. 2 Satz 1
Stichworte:
Einsatzvorschuss; unverzügliche Abrechnung; Umgang mit öffentlichen Mitteln;
Überforderungssituation; Mitverschulden des Dienstherrn; Kausalität; Gefähr-
dungsdelikt; einfache Maßnahme; gerichtliches Disziplinarverfahren.
Leitsatz:
Die bedingt vorsätzliche Verletzung der Pflicht zur unverzüglichen Abrechnung
von Einsatzvorschüssen kann jedenfalls dann angemessen durch eine einfache
Disziplinarmaßnahme sanktioniert werden, wenn nicht feststellbar ist, dass sich im
Verlust des Geldes gerade das durch die Pflichtverletzung geschaffene Risiko
verwirklicht hat, und einem erheblichen Mitverschulden des Dienstherrn Rechnung
zu tragen ist.
Urteil des 2. Wehrdienstsenats vom 30. August 2012 – BVerwG 2 WD 21.11
I. TDG Nord vom 15.03.2011 – Az.: TDG N 7 VL 19/10