Urteil des BVerwG vom 26.09.2006

Soldat, Befehl, Missbrauch der Dienstgewalt, Stadt

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 2.06
TDG S 6 VL 14/05
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
gegen
…,
…,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 26. September 2006, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier als Vorsitzender,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Oberst i.G. Krieb,
Major Werner
als ehrenamtliche Richter,
Leitender Regierungsdirektor …
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt …,
als Verteidiger,
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 2 -
Auf die Berufung des Soldaten wird das Urteil der
6. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 29. No-
vember 2005 aufgehoben.
Der Soldat wird wegen eines Dienstvergehens zur Kür-
zung der Dienstbezüge um ein Zehntel für die Dauer eines
Jahres verurteilt.
Die Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug hat der
Soldat zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens
werden je zur Hälfte dem Soldaten und dem Bund aufer-
legt, der auch die Hälfte der dem Soldaten darin erwach-
senen notwendigen Auslagen zu tragen hat.
G r ü n d e :
I
II
1. In dem mit Verfügung des Divisionskommandeurs rechtswirksam eingeleite-
ten gerichtlichen Disziplinarverfahren legte der Wehrdisziplinaranwalt dem Sol-
daten mit der Anschuldigungsschrift folgenden Sachverhalt als Dienstvergehen
zur Last:
„In seiner Eigenschaft als Kommandeur des ...Bataillons
und Standortältester der Garnisonsstadt P. befahl der Sol-
dat
1. am 08. Mai 2001 mit schriftlichem ‚Organisationsbefehl
für die Teilnahme am Historienspektakel P. 2001 im Rah-
men der Öffentlichkeitsarbeit am Standort P.’ allen Verant-
wortlichen aus dem ihm unterstellten Bereich, die von dem
privaten Verein ‚Historienspektakel e.V.’ organisierten und
auf öffentlicher Bühne im Stadtgebiet P. von Laienschau-
spielern dargebotene Veranstaltung durch Abstellung von
Soldaten und Gerät der Bundeswehr zu unterstützen,
2. zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt um
den 29. August 2001 dem damaligen Kompaniechef der
F…kompanie, Leutnant G., per Telefon, mit dem FKM 20 to-
20
- 3 -
Kran der Einheit Arbeiten an der Freilichtbühne auszufüh-
ren,
3. zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt um
den 12. September 2001 dem damaligen Chef der Kompa-
nie, Hauptmann J., für den Aufbau des historischen Dorfs
auf dem Vorplatz der Freilichtbühne ein Arbeitskommando
abzustellen,
obwohl er jeweils wusste, zumindest bei Anwendung ihm
möglicher und zumutbarer Sorgfalt hätte erkennen können
und müssen, dass diese Befehle keinem dienstlichen Zweck
dienten und, dass in Bezug auf einzusetzendes Gerät, den
Kran und zu stellendes Arbeitskommando, Dienstkraftfahr-
zeuge gemäß der ZDv 43/2 Ziffer 301 nur zu dienstlichen
Zwecken eingesetzt werden dürfen.
Durch den hierdurch veranlassten Einsatz von Soldaten und
Material der Bundeswehr fügte er der Bundesrepublik
Deutschland einen Vermögensschaden in Höhe von insge-
samt € 2.104,75 zu.“
Wegen des im vorliegenden Verfahren angeschuldigten Sachverhaltes und wei-
terer Verdachtsmomente hatte das Bundesministerium der Verteidigung gegen
den Soldaten Strafanzeige wegen des Verdachts der Untreue und der Vorteils-
annahme erstattet. Die Staatsanwaltschaft N. hat daraufhin dem Bundesminis-
terium der Verteidigung unter dem … mitgeteilt, sie habe in Ermangelung hin-
reichenden Tatverdachts das Ermittlungsverfahren (Az.: 365 Js 6476/02) ge-
mäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
Die 6. Kammer des Truppendienstgerichts Süd hat im vorliegenden gerichtli-
chen Disziplinarverfahren auf der Grundlage der Anschuldigungsschrift vom
23. Juni 2005 gegen den Soldaten wegen eines Dienstvergehens ein Beförde-
rungsverbot für die Dauer von zwölf Monaten verhängt. Dabei hat sie die von
den Anschuldigungspunkten 1 und 3 erfassten Sachverhalte im Wesentlichen
als erwiesen angesehen. Hinsichtlich des von Anschuldigungspunkt 2 erfassten
Sachverhaltes hat die Truppendienstkammer dagegen nicht feststellen können,
dass der Soldat dem damaligen Kompaniechef der F…kompanie, Leutnant G.,
den Befehl erteilte, mit dem FKM 20 to-Kran der Einheit Arbeiten an der Frei-
lichtbühne auszuführen.
22
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- 4 -
Gegen das ihm am 9. Januar 2006 zugestellte Urteil hat der Soldat mit am
30. Januar 2006 eingegangener Berufungsschrift vom 26. Januar 2006 in vol-
lem Umfang Berufung eingelegt.
III
3. Die Berufung des Soldaten ist in dem aus dem Tenor dieses Urteils ersichtli-
chen Umfang begründet.
a) Der Senat hat aufgrund der Einlassung des Soldaten, soweit ihr gefolgt wer-
den kann, der gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 StPO
zum Gegenstand der Berufungshauptverhandlung gemachten Urkunden und
Schriftstücke sowie der Aussagen der in der Berufungshauptverhandlung ver-
nommenen Zeugen den nachfolgenden Sachverhalt festgestellt. …
Im Jahr 2000 veranstaltete die Stadt P. zum ersten Mal ein so genanntes Histo-
rienspektakel. Dabei stellten vornehmlich Bürger der Stadt als Laienschauspie-
ler Schlüsselszenen der Stadtgeschichte in einzelnen Bildern dar. An den Auf-
führungen im Rahmen des „Historienspektakels 2000“ nahmen auch Soldaten
des Btl in P. teil. Da die im Jahr 2000 entstandenen Kosten von ca. 370 000 DM
die finanzielle Leistungsfähigkeit der Stadt P. überschritten, die Veranstaltung
jedoch wegen der erfahrenen großen positiven Resonanz fortgeführt werden
sollte, war die Stadtverwaltung bestrebt, die Planung und Durchführung an ei-
nen anderen Träger abzugeben, der Gelder von privaten Sponsoren einwerben
und das finanzielle Risiko tragen sollte. Am 8. November 2000 wurde zu diesem
Zweck unter dem Namen „Historienspektakel P. e.V.“ in P. ein privatrechtlicher
Verein gegründet. Zum Vorstandsvorsitzenden wurde der Soldat gewählt, der
dieses Amt bis Ende des Jahres 2001 ausübte. In dieser Funktion war der Sol-
dat maßgeblich für die Planung und Durchführung des „Historienspektakels
2001“ verantwortlich.
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- 5 -
Zu Anschuldigungspunkt 1 (Erlassen des Organisationsbefehls vom 8. Mai
2001):
Unter dem Datum des 8. Mai 2001 erließ der Soldat in seiner Eigenschaft als
Standortältester und Kommandeur des Btl einen „Organisationsbefehl für die
Teilnahme am Historienspektakel P. 2001 im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit
am Standort P.“. Dieser hat folgenden Wortlaut:
Lage:
Das traditionelle Historienspektakel im Standort P. ist
die zentrale und größte kulturelle Veranstaltung unse-
rer Garnisons- und Patenstadt und findet traditions-
gemäß auf der Freilichtbühne … statt. An diesem
größten Laienspiel Deutschlands nehmen über
200 Mitwirkende aus der ganzen Region teil. Die Re-
sonanz geht weit über die Region hinaus. So nehmen
an der Premiere am 14.09. u.a. der Ministerpräsident,
der schwedische Botschafter und der Intendant des
ORB teil. Auf Antrag unterstützt die Bundeswehr am
Standort P. dieses ehrgeizige Unterfangen auch in
diesem Jahr. ....
Auftrag:
Btl unterstützt Historienspektakel 2001 durch die Ab-
stellung von Personal und Material gem. Absprache
StOÄ und Produzent.
Durchführung:
a. Absicht ist es, mit Soldaten des Standortes, die
aus der Region stammen und sich für die einzel-
nen Produktionsbereiche (Statisterie, Bühnenar-
beiter, Back-Stage-Helfer) gemeldet haben, so-
wohl die Proben, als auch den Auf- und Abbau
und die Aufführungen zu unterstützen. Für den
freiwilligen Einsatz beim Historienspektakel 2001
sind die Soldaten soweit dienstlich abkömmlich
freizustellen, der Einsatz selbst ist Dienst im Rah-
men der Öffentlichkeitsarbeit und im Dienstplan
der Einheit festzuhalten. Materialabstellungen
(Tarnnetze und Zelte) bedürfen der Einzelabspra-
che und sind nur für die Aufführungswoche vorge-
sehen.
Im Einzelnen
Leitender:
Kdr Btl und
StOÄ P.
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- 6 -
Leitungsgehilfen:
Statisterie KpFhr 4. Kompanie,
OLt T.
Material KpFw 1. Kompanie,
OStFw P.
Ort:
Freilichtbühne
Zeiten:
siehe Anlage
Aufträge
1. Kompanie
+ regelt notwendige Transporte zur/von Freilicht-
bühne
+ unterstützt durch Beschallung bei den Proben gem.
KpFw 1./-
4. Kompanie
+ regelt Einsatz der gemeldeten Soldaten
S 2
+ informiert und betreut Pressevertreter gem.
Absprache mit Produzent
Dienstzeitregelung
Den eingesetzten Soldaten ist durch die Disziplinar-
vorgesetzten entsprechend der erworbenen Ansprü-
che Freistellung vom Dienst auf der Basis der gültigen
Erlasslage zu gewähren.
Die Vertrauenspersonen wurden beteiligt.
Verwaltungsbestimmungen
Es handelt sich bei der Veranstaltung um eine Veran-
staltung im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit am
Standort P. Es entstehen durch diesen Einsatz keine
zusätzlichen Kosten.
…,
Oberstleutnant“
Als Anlage B dieses Organisationsbefehls legte der Soldat den Ablaufplan für
das Historienspektakel 2001 fest, und zwar beginnend mit der ersten Probe am
Sonntag, den 6. Mai 2001 um 18.00 Uhr, über die drei Aufführungstage am 14.,
15. und 16. September 2001 bis zu dem für den 19. September 2001 vorgese-
henen Abschluss der Abbauarbeiten (einschließlich der Reinigungsarbeiten an
der Freilichtbühne sowie der Übergabe derselben an die Stadtverwaltung P.).
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- 7 -
Zu Anschuldigungspunkt 2 (Befehl zum Einsatz des FKM 20 to-Krans)
Zu Anschuldigungspunkt 3 (Befehl zum Abstellen eines Arbeitskommandos der
2. Kompanie des Bataillons für den Aufbau des historischen Dorfs)
b) Der Senat hat den in der Berufungshauptverhandlung festgestellten Sach-
verhalt rechtlich wie folgt gewürdigt:
aa) Anschuldigungspunkt 1 (Erlassen des Organisationsbefehls vom 8. Mai
2001)
aaa) Verstoß gegen § 10 Abs. 4 SG
Mit dem Erlassen des Organisationsbefehls vom 8. Mai 2001 verstieß der Sol-
dat gegen seine Dienstpflichten nach § 10 Abs. 4 SG.
Bei dem Organisationsbefehl vom 8. Mai 2001 handelte es sich, was auch
schon in der Überschrift zum Ausdruck kommt, um einen „Befehl“ i.S.d. § 10
Abs. 4 SG (vgl. zur stRspr des Senats zum Inhalt des Befehlsbegriffs u.a. Urteil
vom 21. Juni 2005 - BVerwG 2 WD 12.04 - NJW 2006, 77 <80> = EuGRZ 2005,
636, m.w.N.; ebenso u.a. Scherer/Alff, SG, 7. Aufl., § 10 Rn. 47 m.w.N.; Vogel-
gesang, in: GKÖD Bd. I Yk, § 10 Rn. 18). Der Soldat erteilte mit dem von ihm
verfassten und unterzeichneten schriftlichen „Organisationsbefehl“ - wie dessen
Kopfzeile ausweist - als militärischer Vorgesetzter in seiner Eigenschaft als
„Standortältester P.“ und zugleich als Bataillonskommandeur seinen Unterge-
benen mit dem Anspruch auf Gehorsam den „Auftrag“, das Historienspektakel
2001 „durch die Abstellung von Personal und Material gemäß Absprache StOÄ
und Produzent“ zu unterstützen (vgl. Nr. 2 des Organisationsbefehls). Zwar
brachte er in Nr. 3a (Satz 1) dieses Organisationsbefehls („Durchführung“) zum
Ausdruck, es sei „Absicht“, dass diese Unterstützung sowohl der Proben als
auch des Auf- und Abbaus sowie der Aufführungen „mit Soldaten des Standor-
tes, die … sich für die einzelnen Produktionsbereiche (Statisterie, Bühnenarbei-
34
36
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38
- 8 -
ter, Back-Stage-Helfer) gemeldet haben“, erfolge. Diese Formulierung legt na-
he, dass offenbar nur „Freiwillige“ zum Einsatz kommen sollten. Der Soldat ord-
nete jedoch in diesem Organisationsbefehl in Nr. 3a (Satz 2) zugleich - mit Ge-
horsamsanspruch - an, dass die in Rede stehenden Soldaten seines Bataillons
für den „freiwilligen Einsatz“ beim Historienspektakel 2001 „soweit dienstlich
abkömmlich freizustellen“ seien; der „Einsatz selbst“ sei „Dienst im Rahmen der
Öffentlichkeitsarbeit und im Dienstplan der Einheit festzuhalten“. Darüber hin-
aus gab er in Nr. 3d („Aufträge“) die Anweisung, dass die 1. Kompanie („1./…“)
„notwendige Transporte zur/von Freilichtbühne“ bei der Vorbereitung und
Durchführung des Historienspektakels „regelt“ und dass sie „durch Beschallung
bei den Proben“ dieses „unterstützt“. Zugleich wies er die Zuständigen der
4. Kompanie („4./…“) an, dass diese Kompanie den „Einsatz der gemeldeten
Soldaten“ „regelt“. Ferner erteilte er unter Nr. 4 („Dienstzeitregelung“) die An-
weisung, den eingesetzten Soldaten „durch die Disziplinarvorgesetzten ent-
sprechend der erworbenen Ansprüche Freistellung vom Dienst auf der Basis
der gültigen Erlasslage zu gewähren“. Dieser vom Soldaten erteilte Befehl er-
folgte entgegen § 10 Abs. 4 SG nicht „nur zu dienstlichen Zwecken“.
Ein Befehl ist dann „nur zu dienstlichen Zwecken“ erteilt, wenn ihn der militäri-
sche Dienst erfordert, um die durch die Verfassung normierten Aufgaben der
Bundeswehr zu erfüllen (stRspr, vgl. u.a. Urteile vom 21. Juni 2005 - BVerwG
2 WD 12.04 - NJW 2006, 77 <80> m.w.N. und vom 13. September 2005
- BVerwG 2 WD 31.04 -; Scherer/Alff, a.a.O. und § 11 Rn. 15 jeweils m.w.N.).
Die in der Fachliteratur teilweise (vgl. etwa Sohm in: Walz/Eichen/Sohm, SG,
2006, § 10 Rn. 69) gegen diese vom erkennenden Senat in ständiger Recht-
sprechung vorgenommene Bestimmung der „dienstlichen Zwecke“ im Sinne
des § 10 Abs. 4 SG geäußerte Kritik, bei dieser Auslegung laufe „die Bindung
des Befehls an Gesetze und Dienstvorschriften in Abs. 4 praktisch leer“, über-
zeugt nicht. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 10 Abs. 4 SG, die die
Befehlsbefugnis eines Vorgesetzten begrenzen, schließen einander nicht aus,
sondern stehen ersichtlich in einem komplementären Verhältnis zueinander.
Aus den - neben der finalen Zweckbegrenzung („nur zu dienstlichen Zwe-
cken“) - weiteren normativen Vorgaben des § 10 Abs. 4 SG, wonach der befeh-
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lende Vorgesetzte auch die „Regeln des Völkerrechts“, die „Gesetze“ und die
„Dienstvorschriften“ zu beachten hat, ergeben sich zusätzliche Grenzen der
Befehlsbefugnis. Diese stellen klar, dass ein Vorgesetzter einen Befehl, selbst
wenn dieser „nur zu dienstlichen Zwecken“ erfolgt, außerdem nur unter Beach-
tung der „Regeln des Völkerrechts“ sowie aller „Gesetze und Dienstvorschriften“
erteilen darf.
Dieses Auslegungsergebnis wird durch die Entstehungsgeschichte des § 10
Abs. 4 SG und durch ihren erkennbaren legislatorischen Zweck bestätigt. Die
Vorschrift geht auf § 8 Abs. 4 des Regierungsentwurfs des Soldatengesetzes
vom 23. September 1955 (BTDrucks II/1700, S. 4 f.) zurück, der folgenden
Wortlaut hatte:
„Befehle darf er (= der Vorgesetzte) nur zu dienstlichen
Zwecken und nur unter Beachtung der Gesetze, der Re-
geln des Völkerrechts und der Dienstvorschriften erteilen.
Er trägt für seine Befehle die Verantwortung.“
Mit der durch das Tatbestandsmerkmal „nur zu dienstlichen Zwecken“ erfolgten
Beschränkung der Befehlsbefugnis jedes (militärischen) Vorgesetzten wich der
Regierungsentwurf in restriktiver Hinsicht von früheren wehrrechtlichen Vor-
schriften deutlich ab. Soweit Rittau die Auffassung vertritt (vgl. Rittau, SG, 1957,
§ 10 Anm. 4. II), ein „Befehl zu dienstlichen Zwecken“ i.S. dieser Regelung sei
„nichts anderes als ein ‚Befehl in Dienstsachen’ i.S. der §§ 47 und 92 des frühe-
ren MStGB (= Militärstrafgesetzbuch)“, kann dem nicht gefolgt werden. Rittau
selbst hatte jenen Begriff („Befehl in Dienstsachen“) in seiner Kommentierung
des Militärstrafgesetzbuches von 1941 in Anknüpfung an die Rechtsprechung
des Reichsgerichts sehr weit gefasst dahin ausgelegt, dass „Dienstsache … der
Inbegriff alles dessen“ sei, „was der militärische Dienst nach seinem inneren
Wesen erfordert (RGSt 58, 110), mit anderen Worten die Gesamtheit der Ver-
richtungen, denen sich die Wehrmachtangehörigen in ihrer Eigenschaft als Sol-
daten zu unterziehen haben, um die Erfüllung der zu den Angelegenheiten der
Wehrmacht gehörenden Aufgaben zu ermöglichen.“ (Rittau, MStGB, 3. Aufl.
1941, § 47 Anm. 2 b); einen (damals) nach § 114 MStGB pönalisierten „Miss-
brauch der Dienstgewalt“ hatte er nur dann angenommen, wenn der erteilte Be-
fehl „weder mittelbar noch unmittelbar in irgendeiner Beziehung zum Dienste“
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- 10 -
stand (Rittau, a.a.O. § 114 Anm. 10). Ähnlich hatten auch Dörken/Scherer wäh-
rend des NS-Regimes vor 1945 eine Befehlserteilung zu „nichtdienstlichen
Zwecken“ dahingehend definiert, eine solche liege nur dann vor, wenn „die
Pflicht zur Unterordnung“ zu „nicht durch das Wesen des militärischen Dienstes
gerechtfertigten Zwecken ausgebeutet“ werde (Dörken/Scherer, Das MStGB,
5. Aufl. 1944, § 114 Anm. 1). Diese Definition wurde sachgleich damals auch
von Schwinge zugrunde gelegt, der einen Missbrauch der „Dienstgewalt oder
der dienstlichen Stellung“ eines militärischen Vorgesetzten nur dann annahm,
wenn das durch einen Befehl verlangte Verhalten „in keiner Beziehung zum
Dienst“ stehe; die Befehle dürften „auch nicht mittelbar durch Wesen und Auf-
gaben der Wehrmacht und des militärischen Dienstes gedeckt sein“ (Schwinge,
MStGB, 6. Aufl., 1944, § 114 Anm. IV 4).
Der Entwurf der Bundesregierung zum Soldatengesetz vom 23. September
1955 war ausweislich seiner Begründung (BTDrucks II/1700, S. 18) darauf aus-
gerichtet, in deutlicher Abgrenzung zur früheren Rechtslage eine „sichere
Grundlage“ dafür zu schaffen, „dass sich der Soldat gegen rechtswidrige Aufer-
legung von Pflichten und rechtswidriges Eingreifen in seine Rechte wehren
kann“. Demzufolge wurde „das überlieferte Gedankengut“ an den „Vorstellun-
gen überprüft, die sich die westeuropäische Welt vom Soldatentum macht“.
„Leitender Grundsatz der Regelung“ sollte sein, „den Soldaten als einen
Staatsbürger in Uniform zu begreifen, dessen Pflichten und Rechte rechtsstaat-
lich bestimmt und rechtsstaatlich gesichert sind“ (ebd.). Bezogen auf § 8 des
Regierungsentwurfs der Vorlage für den späteren § 10 SG, wurde in der Be-
gründung ausgeführt, Absatz 4 solle den Vorgesetzten verpflichten, „die Gren-
zen seiner Befehlsbefugnis innezuhalten“; die „Wahrung des Rechts“ sei ihm
„ausschließlich zur Pflicht gemacht“; damit solle dem „Missbrauch der Befehls-
befugnis“ vorgebeugt werden (ebd. S. 19). Die Verwendung des Wortes „nur“
(„nur zu dienstlichen Zwecken“) sollte ersichtlich ausdrücklich klarstellen, dass
Befehle ausschließlich zu dienstlichen Zwecken erteilt werden dürfen. Jede
Auslegung, wonach Befehle unter Umständen - wie vor 1945 - unter Rückgriff
auf das „innere Wesen“ des „militärischen Dienstes“ auch zu sonstigen Zwe-
cken erteilt werden dürften, sollte explizit ausgeschlossen werden. In den Bera-
tungen des Ausschusses für Beamtenrecht (Sitzung vom 28. November 1955,
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- 11 -
Protokoll-Nr. 37, S. 7) und des Ausschusses für Verteidigung (BTDrucks
II/2140) wurde die Fassung des Absatzes 4 insoweit nicht mehr in Frage ge-
stellt. Das Plenum des Deutschen Bundestages beschloss dann die vom Ver-
teidigungsausschuss vorgeschlagene Fassung als § 10 in zweiter und dritter
Lesung ohne weitere Änderungen. Seit dem Inkrafttreten des Soldatengesetzes
ist diese Erstfassung des § 10 Abs. 4 SG nicht mehr verändert worden.
Aus der Entstehungsgeschichte und aus dem Regelungszusammenhang lässt
sich der Zweck der Regelung des § 10 Abs. 4 SG erkennen, die den militäri-
schen Vorgesetzten eingeräumte Befehlsbefugnis und die damit korrespondie-
rende Gehorsamspflicht der Untergebenen zu begrenzen und jedem Miss-
brauch der Befehlsbefugnis vorzubeugen. Sie ist darauf gerichtet, das militäri-
sche Führungsinstrument des Befehls streng auf den nicht zur Disposition des
einzelnen Vorgesetzten stehenden verfassungsmäßigen Aufgabenbereich der
Streitkräfte der Bundeswehr zu beschränken. Dadurch soll sichergestellt wer-
den, dass die „bewaffnete Macht“ ausschließlich innerhalb des von der Verfas-
sung gezogenen Rahmens eingesetzt werden darf. Die Regelungen sind Aus-
druck der vom Verfassungsgeber aus der deutschen Geschichte gezogenen
Schlussfolgerungen und darauf gerichtet, die Streitkräfte als Teil der „vollzie-
henden Gewalt“ (vgl. u.a. Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG) ohne jede Aus-
nahme in die demokratische Verfassungsordnung einzufügen (vgl. dazu u.a.
Zweiter Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfas-
sungsrecht des Deutschen Bundestages : „Sämtliche
Änderungen des Grundgesetzes, die hier vorgeschlagen werden, sollen der
Einordnung der Bundeswehr in den verfassungsmäßigen Aufbau des Staates
dienen“; Lepper, Die verfassungsrechtliche Stellung der militärischen Streitkräf-
te im gewaltenteilenden Staat, 1962, S. 126 ff. m.w.N.; Helmut Schmidt, in:
Festschrift für Adolf Arndt, 1969, 437 ff.) und so zu vermeiden, dass die „be-
waffnete Macht“ z.B. unter Berufung auf das „militärische Wesen“ oder „militäri-
sche Erfordernisse“ gegenüber den gewählten demokratischen Entscheidungs-
instanzen oder den Staatsbürgerinnen und -bürgern Freiräume in Anspruch
nimmt und - wie etwa in der „Weimarer Republik“ - gleichsam zum „Staat im
Staate“ wird. Die Vorschrift des § 10 Abs. 4 SG entspricht dieser verfassungs-
rechtlichen Zielsetzung und dient zugleich auch dem Schutz militärischer Un-
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- 12 -
tergebener (BTDrucks II/1700, S. 19; BTDrucks II/2140, S. 6). Denn diese ha-
ben aufgrund ihrer in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 SG normierten Gehorsamspflicht
verbindliche Befehle „nach besten Kräften vollständig, gewissenhaft und unver-
züglich“ auszuführen (zu den Grenzen der Gehorsamspflicht vgl. zuletzt Urteil
vom 21. Juni 2005 - BVerwG 2 WD 12.04 - NJW 2006, 77 <79 ff.> m.w.N.); an-
derenfalls begehen sie eine Wehrstraftat (§§ 19 ff. WStG) und können zudem
auch disziplinar zur Rechenschaft gezogen werden. Die Begrenzung der Be-
fehlsbefugnis (§ 10 Abs. 4 SG) und zugleich auch der Gehorsamspflicht (§ 11
Abs. 1 Satz 3 SG) ausschließlich auf „nur zu dienstlichen Zwecken“ erteilte Be-
fehle soll unter Androhung von Strafe und disziplinarer Ahndung militärische
Untergebene davor bewahren, an militärischen Einsätzen oder sonstigen Ver-
wendungen außerhalb der von der Verfassung gezogenen Grenzen mit all den
damit verbundenen Risiken mitwirken zu müssen. Dem trägt die dargelegte
ständige Rechtsprechung zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals („nur zu
dienstlichen Zwecken“) in § 10 Abs. 4 SG uneingeschränkt Rechnung, an der
der erkennende Senat - auch aus Gründen der Rechtssicherheit (Art. 20 Abs. 1
GG) und der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) - deshalb festhält.
Hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals „nur zu dienstlichen Zwecken“ muss
mithin im Ergebnis positiv feststehen, dass der militärische Dienst den Befehl
erfordert, um die durch die Verfassung festgelegten Aufgaben der Bundeswehr
zu erfüllen.
Bei der Beurteilung dessen, was der militärische Dienst insoweit „erfordert“,
steht den militärischen Vorgesetzten allerdings innerhalb des dargelegten recht-
lichen Rahmens ein Beurteilungsspielraum zu. Dies ergibt sich daraus, dass die
sachgerechte Erteilung eines militärischen Befehls besondere Fachkenntnisse
und in aller Regel spezifische militärische Erfahrungen erfordert und dass damit
notwendigerweise Wertungs- und Zweckmäßigkeitsentscheidungen verbunden
sind, die sich mangels rechtlicher Vorgaben einer verbindlichen rechtlichen Be-
urteilung und Entscheidung entziehen. Der mit der militärischen Befehlsbefug-
nis insoweit gegebene Beurteilungsspielraum wird jedoch dann überschritten,
wenn dessen rechtliche Grenzen nicht eingehalten werden. So darf bei der Be-
fehlserteilung der militärische Vorgesetzte insbesondere keinesfalls verkennen
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oder außer Acht lassen, dass die Erteilung des Befehls - final - ausschließlich
(„nur“) zur Erfüllung der nach der Verfassung zulässigen Aufgaben der Bun-
deswehr erfolgen darf. Auf die Erreichung dieses Zweckes muss ein militäri-
scher Befehl subjektiv angelegt sowie zudem hierfür auch objektiv geeignet und
erforderlich sein. Es reicht nicht aus, dass der militärische Vorgesetzte sich le-
diglich subjektiv vorstellt und meint, der militärische Dienst erfordere den in Re-
de stehenden Befehl, um die nach der Verfassung zulässigen Aufgaben der
Bundeswehr zu erfüllen. Vielmehr muss der Befehl auch in objektiver Hinsicht
dieser Zielsetzung entsprechen.
Angesichts des insoweit klaren Wortlauts der Regelung des § 10 Abs. 4 SG
(„nur“ zu dienstlichen Zwecken) reicht es auch nicht aus, wenn der Befehl sub-
jektiv darauf angelegt und objektiv dazu geeignet ist, (unter anderem) auch den
nach der Verfassung zulässigen Aufgaben der Bundeswehr zu dienen. Eine
„Vermischung“ dienstlicher und nicht-dienstlicher Zwecksetzungen bei der Ertei-
lung eines Befehls ist nach § 10 Abs. 4 SG ebenso unzulässig wie die bloße
Vortäuschung eines dienstlichen Zweckes. Ob diese rechtlichen Anforderungen
im konkreten Einzelfall erfüllt sind, bedarf näherer Prüfung für den jeweils in
Rede stehenden Befehl.
Streitfragen darüber, ob die in § 10 Abs. 4 SG gezogene Grenze bei der Be-
fehlsgebung im konkreten Einzelfall eingehalten oder überschritten worden ist,
sind von den dafür zuständigen unabhängigen Gerichten zu entscheiden, deren
Richterinnen und Richtern durch das Grundgesetz (Art. 92 GG) „die Rechtspre-
chung“ und damit die letztverbindliche Klärung strittiger Rechtsfragen „anver-
traut“ ist (vgl. dazu auch Urteil vom 21. Juni 2005 - BVerwG 2 WD 12.04 - NJW
2006, 77 <81>).
Die Abgrenzung, ob ein Befehl „nur zu dienstlichen Zwecken“ im dargelegten
Sinne erteilt worden ist oder nicht, kann im Einzelfall schwierig sein (so zu
Recht Walz, in: Walz u.a., SG, a.a.O. § 11 Rn. 32). Daraus darf jedoch nicht
abgeleitet werden, zur Vermeidung solcher Schwierigkeiten müsse der Rege-
lungsgehalt des § 10 Abs. 4 SG in der Weise begrenzt werden, dass lediglich
ein „zu privaten Zwecken“ (z.B. der Einsatz von Personal und/oder Material zum
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privaten Hausbau eines Vorgesetzten) erteilter Befehl „nicht-dienstlicher“ Natur
und damit unzulässig sei. Ebenso wenig darf wegen der sich aus der Normtext-
fassung im Einzelfall unter Umständen ergebenden Auslegungs- und Abgren-
zungschwierigkeiten unterstellt oder postuliert werden, durch die politische oder
militärische Führung der Bundeswehr „allgemein (z.B. in den Verteidigungspoli-
tischen Richtlinien, der Konzeption der Bundeswehr oder in einem Weißbuch)
oder im Einzelfall“ festgelegte „Aufträge der Streitkräfte“ dienten „grundsätzlich
dienstlichen Zwecken“, und zwar auch „unabhängig von verfassungsrechtlichen
Zweifeln, sofern sie nicht offenkundig gegen Bestimmungen des Grundgesetzes
verstoßen“ (so aber Sohm, in: Walz u.a., a.a.O. § 10 Rn. 70). Damit würde ver-
kannt, dass nach dem insoweit eindeutigen Normtext des § 10 Abs. 4 SG Be-
fehle ausnahmslos „nur zu dienstlichen Zwecken“ erteilt werden dürfen. Diese
in § 10 Abs. 4 SG verankerte Grenze der Befehlsbefugnis ist für jeden Vorge-
setzten verbindlich. Jede, also nicht nur eine „offenkundige“ Überschreitung
dieser gesetzlichen Grenze ist dem einen (militärischen) Befehl erteilenden
Vorgesetzten verboten.
Mithin ist davon auszugehen, dass ein militärischer Befehl ausschließlich dann
„nur zu dienstlichen Zwecken“ erteilt worden ist, wenn ihn der militärische
Dienst erfordert, um die im Grundgesetz (für „Einsätze“ oder für sonstige zuläs-
sige Verwendungen) normierten Aufgaben der Streitkräfte der Bundeswehr zu
erfüllen.
Für die „Aufstellung“ und den „Einsatz“ der Bundeswehr enthält das Grundge-
setz abschließende Regelungen. Die primäre Aufgabe der Bundeswehr ergibt
sich aus Art. 87a GG, wonach der Bund Streitkräfte „zur Verteidigung“ aufstellt
(Abs. 1), die „außer zur Verteidigung … nur eingesetzt werden dürfen, soweit
dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt“ (Abs. 2). Was nach dem Grund-
gesetz unter einem Fall der „Verteidigung“ zu verstehen ist, lässt sich zum ei-
nen der Regelung über den „Verteidigungsfall“ in Art. 115a GG, insbesondere
aus ihrem Wortlaut („Bundesgebiet
>
mit Waffengewalt angegriffen“ oder
„ein solcher Angriff unmittelbar“) und zum anderen aus ihrer Entste-
hungsgeschichte entnehmen (vgl. dazu u.a. Claus Arndt, DÖV 1992, 618
<619>; Bähr, Verfassungsmäßigkeit des Einsatzes der Bundeswehr im Rahmen
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51
- 15 -
der Vereinten Nationen, in ZPR 1994, 91 m.w.N.). Da der Normtext des Art. 87a
Abs. 1 und 2 GG von „Verteidigung“, jedoch - anders als die im Gesetzge-
bungsverfahren zunächst vorgeschlagene Fassung (Antrag des Abgeordneten
Matthöfer in der 79. Sitzung des Rechtsausschusses vom 4. April 1968 [5.
Wahlperiode] S. 6 i.V.m. Anlage 1, S. 4, vgl. dazu auch Bähr, a.a.O., S. 91) -
nicht von „Landesverteidigung“ spricht und da zudem der verfassungsändernde
Gesetzgeber bei Verabschiedung der Regelung im Jahr 1968 auch einen Ein-
satz im Rahmen eines NATO-Bündnisfalles unbestritten als verfassungsrecht-
lich zulässig ansah (vgl. dazu Claus Arndt a.a.O. S. 620 f.; Rieder, Die Ent-
scheidung über Krieg und Frieden nach deutschem Verfassungsrecht, 1984, S.
348 ff.), ist davon auszugehen, dass „Verteidigung“ alles das (abschließend)
umfasst, was nach dem geltenden Völkerrecht zum Selbstverteidigungsrecht
nach Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen (UN-Charta), der die Bundesre-
publik Deutschland wirksam beigetreten ist, zu rechnen ist (vgl. Urteil vom
21. Juni 2005 - BVerwG 2 WD 12.04 - NJW 2006, 77 <93> m.w.N.). Im Rahmen
eines solchen „Einsatzes“ wurde der im vorliegenden Verfahren in Rede ste-
hende Befehl des Soldaten nicht erteilt.
Außer „zur Verteidigung“ im dargelegten Sinne dürfen die Streitkräfte der Bun-
deswehr, wie die Verfassungsnorm des Art. 87a Abs. 2 GG zwingend bestimmt,
nach „innen“ und nach „außen“, also im In- und im Ausland, des Weiteren nur
„eingesetzt“ werden, soweit dies das Grundgesetz „ausdrücklich“ zulässt. Diese
Regelung, die im Zuge der Einfügung der so genannten Notstandsverfassung in
das Grundgesetz durch das Siebzehnte Gesetz zur Ergänzung des Grundge-
setzes vom 24. Juni 1968 (BGBl I S. 709) geschaffen wurde, soll verhindern,
dass für die Verwendung der Streitkräfte als Mittel der vollziehenden Gewalt
„ungeschriebene Zuständigkeiten aus der Natur der Sache“ abgeleitet werden
(so ausdrücklich der Rechtsausschuss in seinem schriftlichen Bericht zum Ent-
wurf einer Notstandsverfassung, BTDrucks IV/2873, S. 13; BVerfG, Urteil vom
15. Februar 2006 - 1 BvR 357/05 - NJW 2006, 751). Maßgeblich für
die Auslegung und Anwendung des Art. 87a Abs. 2 GG ist daher nach dem Re-
gelungszusammenhang und der Entstehungsgeschichte der genannten Verfas-
sungsnorm(en) das Ziel, die Möglichkeiten für einen „Einsatz“ der Bundeswehr
durch das Gebot strikter Texttreue zu begrenzen. Dieses Ziel muss die Ausle-
52
- 16 -
gung und Anwendung der Regelungen bestimmen, durch welche im Sinne des
Art. 87a Abs. 2 GG der „Einsatz“ der Streitkräfte (im In- und Ausland) im
Grundgesetz außer zur Verteidigung „ausdrücklich“ zugelassen wird (vgl. auch
BVerfG, Urteil vom 15. Februar 2006 a.a.O. Rn. 94). Eine solche „ausdrück-
lich(e)“ Zulassung durch den Verfassungsgeber ist für „Einsätze“ (1.) in Art. 87a
Abs. 3 GG für den „Verteidigungs- und Spannungsfall“ zum „Schutz ziviler Ob-
jekte“ und zur „Verkehrsregelung“, (2.) in Art. 87a Abs. 4 GG für die Unterstüt-
zung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim „Schutz von zivilen Objek-
ten“ und bei der „Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Auf-
ständischer“ im Bundesgebiet bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 91
Abs. 2 GG sowie (3.) in Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG zur Hilfe bei einer „Naturka-
tastrophe“ oder bei einem „besonders schweren Unglücksfall“ im Bereich eines
Bundeslandes (so genannter regionaler Katastrophennotstand) und (4.) in
Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG zur Unterstützung der Polizeikräfte bei einer „Naturka-
tastrophe“ oder bei einem „besonders schweren Unglücksfall“ mit Auswirkungen
für das Gebiet mehrer Bundesländer (so genannter überregionaler Katastro-
phennotstand) erfolgt. Der Organisationsbefehl des Soldaten kann solchen
„Einsätzen“ nicht zugerechnet werden.
Darüber hinaus dürfen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom
12. Juli 1994 - 2 BvE 3/92 u.a. - (BVerfGE 90, 286, 346 ff., 349, 355 f. = NJW
1994, 2207) Streitkräfte der Bundeswehr auf der Grundlage des Art. 24 Abs. 2
GG „eingesetzt“ werden, soweit der Einsatz „im Rahmen“ eines „Systems ge-
genseitiger kollektiver Sicherheit“ und „nach den Regeln“ dieses Systems er-
folgt (krit. dazu im Hinblick auf das Gebot „strikter Texttreue“: u.a. Lutz, Neue
Justiz (NJ) 1994, 505; Zöckler, European Journal of International Law (EJIL)
1995, 274 <278 ff.>; Claus Arndt, NJW 1994, 2197; W. Schroeder, JuS 1995,
398 <402>), also insbesondere mit der UN-Charta vereinbar ist (vgl. Urteil vom
21. Juni 2005 - BVerwG 2 WD 12.04 - NJW 2006, 77 <81>). Ein Befehl, der
diesen Anforderungen nicht genügt und diesen Rahmen nicht einhält, wird da-
mit nicht „nur zu dienstlichen Zwecken“ i.S.d. § 10 Abs. 4 SG erteilt. Auch ei-
nem solchen Einsatz kann der Organisationsbefehl des Soldaten vorliegend
nicht zugeordnet werden.
53
- 17 -
Die Regelungen in Art. 87a Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 und 4, Art. 35 Abs. 2 Satz 2
und Abs. 3 Satz 1 sowie Art. 24 Abs. 2 GG beziehen sich allerdings lediglich auf
den „Einsatz“ der Streitkräfte der Bundeswehr. Zwar lässt sich dem Wortlaut der
Vorschriften nicht unmittelbar entnehmen, ob mit „Einsatz“ jede Art der Verwen-
dung der Streitkräfte erfasst wird (so wohl Kersting, NZWehrr 1983, 64 <69>;
zum Streit um den „Einsatz“-Begriff vgl. die Nachweise u.a. bei Lutze, NZWehrr
2001, 117 <118> und Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streit-
kräfte und der konstitutive Parlamentsvorbehalt, 2003, 32 ff. jeweils m.w.N.).
Aus dem Regelungszusammenhang und insbesondere der Entstehungsge-
schichte des Art. 87a GG ergibt sich jedoch, dass der Verfassungsvorbehalt
des Absatz 2 lediglich „Einsätze“ der Bundeswehr im Rahmen ihrer „Verwen-
dung als Mittel der vollziehenden Gewalt“ erfasst. Im Schriftlichen Bericht des
Rechtsausschusses (BTDrucks V/2873 S. 13) heißt es insoweit zu der dann
unverändert in das Grundgesetz aufgenommenen Regelung des Art. 87a Abs. 2
GG:
„Mit ‚Verteidigung’ ist hier nur die militärische Verteidigung
(einschließlich der Ausbildung dafür) gemeint. Die Be-
stimmung beschränkt nur den ‚Einsatz’ der Streitkräfte,
d.h. ihre Verwendung als Mittel der vollziehenden Gewalt.
Verwendungen, die keinen Einsatz in diesem Sinne dar-
stellen, z.B. zur freiwilligen Erntehilfe oder bei repräsenta-
tiven Anlässen, werden von dieser Bestimmung nicht be-
rührt.“
Bei „Einsätzen“ nach Art. 87a Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 und 4, Art. 35 Abs. 2 Satz 2
und Abs. 3 Satz 1 sowie Art. 24 Abs. 2 GG geht es um die Inanspruchnahme
der Streitkräfte der Bundeswehr als Teil der „vollziehenden Gewalt“ im Sinne
der Art. 20 Abs. 3 und Art. 1 Abs. 3 GG zum Zwecke der Gefahrenabwehr unter
Androhung oder Inanspruchnahme hoheitlichen Zwangs. Die Regelungen des
Art. 35 Abs. 2 und 3 GG wurden nicht wegen der in Notsituationen erforderli-
chen technischen Hilfeleistungen der Bundeswehr in das Grundgesetz aufge-
nommen, sondern um Soldaten der Bundeswehr während dieser Zustände
auch prinzipiell genuin polizeiliche Eingriffsmöglichkeiten und Zwangsbefugnis-
se gegenüber Störern einzuräumen (vgl. Claus Arndt, DVBl 1968, 729; Lenz,
Notstandsverfassung des Grundgesetzes, 1971, Art. 35 Rn. 4; Lutze, a.a.O.
S. 119) Der Verfassungsvorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG erfasst mithin (nur)
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solche Verwendungen, bei denen die Streitkräfte der Bundeswehr hoheitlichen
Zwang einsetzen dürfen, wozu die Anwendung von Waffengewalt, Eingriffe in
Rechte Dritter und die (bewaffnete) Bewachung von Objekten gehören.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats gehört zu den nach der Ver-
fassung zulässigen Befugnissen der Streitkräfte der Bundeswehr auch die auf
die Wahrnehmung zulässiger Aufgaben bezogene „Öffentlichkeitsarbeit“ (vgl.
u.a. Beschlüsse vom 16. November 1961 - BDH WB 1.61 und WB 27.61 -
BDHE 6, 160 = NJW 1962, 1319 und vom 16. Februar 1967 - 1 (2) WB 73.64 -
DVBl 1967, 738 = NZWehrr 1967, 128; Scherer/Alff, a.a.O. § 10 Rn. 47; Bött-
cher/Dau, WBO, 4. Aufl. 1997, § 1 Rn. 128; Sohm, in: Walz u.a. a.a.O., § 10
Rn. 66), die ihrerseits allerdings keinen „Einsatz“ i.S.v. Art. 87a Abs. 2, i.V.m.
Abs. 3 und 4, Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 sowie Art. 24 Abs. 2 GG
darstellt.
Was unter dem Begriff der Öffentlichkeitsarbeit zu verstehen ist, ist gesetzlich
nicht näher definiert. Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Entschei-
dungen, die sich mit den verfassungsrechtlichen Grenzen zulässiger Öffentlich-
keitsarbeit der Bundesregierung befassten (u.a. BVerfG, Urteil vom 2. März
1977 - 2 BvE 1/76 -
BVerfGE 44, 125), keine nähere Bestimmung des Begriffs
vorgenommen, sondern ihn implizit vorausgesetzt. Entsprechend dem allge-
meinen Sprachgebrauch und der Rechtsprechung der Wehrdienstsenate geht
es bei der Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr um eine Kommunikation mit der
Öffentlichkeit. Diese muss nach außen erkennbar auf die im Grundgesetz fest-
gelegten und zugelassenen Aufgaben der Bundeswehr ausgerichtet sein. Dabei
geht es vor allem um die Information über ihre verfassungsmäßigen Aufgaben
und ihre Tätigkeit, die Beteiligung am öffentlichen Diskurs in einer pluralisti-
schen Gesellschaft über bundeswehrrelevante Probleme und Themen, die
Werbung um Zustimmung für die Art und Weise der Aufgabenerfüllung sowie
um die Nachwuchsgewinnung. Die Öffentlichkeitsarbeit ist nach der Rechtspre-
chung der Wehrdienstsenate darauf gerichtet, der Öffentlichkeit einen „Einblick
in das Leben der Truppe“ zu vermitteln, die „Verbundenheit der Bundeswehr mit
der Bevölkerung“ zu pflegen sowie das „Verständnis und das Gefühl für die Mit-
verantwortung der Bevölkerung für die Aufgaben der Streitkräfte“ zu wecken
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- 19 -
und zu festigen (vgl. Beschlüsse vom 16. November 1961 a.a.O., vom
16. Februar 1967 a.a.O., vom 10. Juni 1969 - BVerwG 1 WB 18.69 -, vom
20. September 1978 - BVerwG 2 WDB 26.76 - NZWehrr 1978, 224 und vom
24. August 1983 - BVerwG 1 WB 35.81 - BVerwGE 76, 110 = NZWehrr 1984,
76).
Diese Zweckbestimmung wird auch in den Richtlinien für die Presse- und Öf-
fentlichkeitsarbeit der Bundeswehr vom 22. Dezember 1992 (VMBl. 1993 S. 54
i.d.F. vom 29. Oktober 1998 VMBl. S. 391) vorgenommen, die innerhalb des
vom Grundgesetz gezogenen Rahmens die Grenzen zulässiger Öffentlichkeits-
arbeit konkretisieren. Darin ist festgelegt, dass es deren „Aufgabe“ sei, „die Be-
völkerung mit Bundeswehr und Bündnis vertraut zu machen“ und „das Ver-
ständnis für Grundlagen und Ziele deutscher Sicherheits- und Verteidigungspo-
litik zu fördern und zu festigen“. Die „Zielpersonen und -gruppen“ der „Öffent-
lichkeitsarbeit“ der Bundeswehr sind in Nr. 4 dieser Richtlinien bestimmt: „ins-
besondere Lehrer, Bildungsinstitutionen, Jugendliche, Mandatsträger und in
politischer Informations- und Bildungsarbeit tätige Verbände, Organisationen
und Gruppen“. In Nr. 5 der Richtlinien sind die „Inhalte“ der „Presse- und Öffent-
lichkeitsarbeit“ der Bundeswehr und in Nr. 7.2 die zulässigen „Maßnahmen“
festgelegt.
Das im vorliegenden Verfahren von Anschuldigungspunkt 1 erfasste Verhalten
des Soldaten, nämlich der Erlass des Organisationsbefehls vom 8. Mai 2001,
diente nach den vorstehend dargelegten Maßgaben nicht der Öffentlichkeitsar-
beit und war deshalb mit § 10 Abs. 4 SG nicht vereinbar. Der Organisationsbe-
fehl wurde nicht „nur zu dienstlichen Zwecken“ im dargelegten Sinne erteilt. Da-
von ist auch die Truppendienstkammer im angefochtenen Urteil (ohne Begrün-
dung) ausgegangen.
Im vorliegenden Fall kann dem Soldaten zwar nicht widerlegt werden, dass er
subjektiv davon ausging, der von ihm mit seinem Organisationsbefehl vom
8. Mai 2001 angeordnete Einsatz von Soldaten und Material des Bataillons
während des Historienspektakels 2001 am Standort P. sei „Dienst im Rahmen
der Öffentlichkeitsarbeit“ (vgl. Nr. 3a des Organisationsbefehls), weil es sich bei
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- 20 -
dem Historienspektakel 2001 „um eine Veranstaltung im Rahmen der Öffent-
lichkeitsarbeit am Standort P.“ handele (Nr. 5 Satz 1 des Organisationsbefehls).
Bereits vor der Truppendienstkammer hat der Soldat insoweit zusätzlich zum
Ausdruck gebracht, „auf der Basis des Patenschafts- und Öffentlichkeitserlas-
ses“ habe er sich „in grünen Tüchern“ gewähnt; das im Jahr zuvor durchgeführ-
te Historienspektakel 2000, an dem bereits mehrere Soldaten seines Bataillons
mitgewirkt hätten, sei ein „Riesenerfolg“ gewesen; die Bundeswehr habe „einen
Imagegewinn zu verzeichnen“ gehabt; da die bereits im Jahre 2000 am Histo-
rienspektakel mitwirkenden Soldaten ihre erneute Teilnahme für das Historien-
spektakel 2001 zugesagt hätten, habe er den Organisationsbefehl erlassen,
„um die Kameraden abzusichern“. Offenkundig ging der Soldat dabei aber da-
von aus, der Einsatz von Soldaten und Material seines Bataillons diene bereits
dann dienstlichen Zwecken i.S.d. § 10 Abs. 4 SG, wenn der Einsatz zu einer
positiven Resonanz in der Bevölkerung und damit zu einem „Imagegewinn“ für
die Bundeswehr führe.
Außer Betracht gelassen hat der Soldat dabei jedoch, dass nicht jede Verwen-
dung von Personal und Material der Bundeswehr, die eine positive Resonanz
oder einen „Imagegewinn“ in der Öffentlichkeit auslöst, damit zugleich den nach
der Verfassung zulässigen Aufgaben der Bundeswehr dient und zudem geeig-
net und erforderlich ist, um diese Aufgaben erfüllen zu können. Würden etwa
Einheiten der Bundeswehr außerhalb der in Art. 87a Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 und 4,
Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 sowie Art. 24 Abs. 2 GG festgelegten
Aufgaben auf Anordnung eines Bataillonskommandeurs oder anderer Vorge-
setzter z.B. im Inland für Obdachlose Unterkünfte bauen, Bedürftige aus Bun-
deswehr-Suppenküchen versorgen oder würden Bundeswehrkrankenhäuser
der Bevölkerung Sanitätsdienstleistungen in Gestalt einer unentgeltlichen Ge-
sundheitsversorgung zur Verfügung stellen, könnte dies zwar möglicherweise
eine positive Resonanz bei den Begünstigten oder auch in (Teilen) der allge-
meinen Öffentlichkeit auslösen. Solche Aktivitäten der Bundeswehr und dem
zugrunde liegende Befehle von Vorgesetzten würden jedoch im dargelegten
Sinne nicht vom militärischen Dienst erfordert, um die im Grundgesetz festge-
legten und zulässigen Aufgaben der Bundeswehr zu erfüllen. Denn es ist
- außerhalb einer Zuständigkeit nach Art. 87a Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 und 4, Art. 35
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Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 sowie Art. 24 Abs. 2 GG - objektiv nicht Aufga-
be der Streitkräfte der Bundeswehr, aus den ihnen aufgrund der erfolgten spezi-
fischen Mittelzuweisung im Bundeshaushalt zur Verfügung stehenden personel-
len und sachlichen Mitteln Bürgerinnen und Bürgern im Inland Unterkünfte,
Verpflegung, Sanitäts- oder sonstige Dienstleistungen kostenfrei oder vergüns-
tigt anzubieten und zu erbringen, sofern ihnen solche Aufgaben nicht durch Ge-
setz aufgetragen sind.
Die vom Soldaten befohlene „Unterstützung“ des Historienspektakels, nament-
lich die unter den Nr. 3a und 4 angeordnete „Freistellung“ der für den „freiwilli-
gen Einsatz beim Historienspektakel“ vorgesehenen Soldaten vom Dienst sowie
die unter Nr. 3d angeordnete Verwendung von Dienstkraftfahrzeugen („notwen-
dige Transporte zur/von Freilichtbühne“) dienten weder der Information der Öf-
fentlichkeit über die Aufgaben und die Tätigkeit der Bundeswehr noch der Wer-
bung um Zustimmung für die Art und Weise der Erfüllung der nach dem Grund-
gesetz zulässigen Aufgaben noch der Nachwuchsgewinnung. Mit diesem vom
Soldaten angeordneten Einsatz von Soldaten und Material der Bundeswehr
erfolgte auch keine Beteiligung am öffentlichen Diskurs in einer pluralistischen
Gesellschaft über bundeswehrrelevante Probleme und Themen. Damit wurde
auch keine den Streitkräften sonst im Rahmen der Verfassung durch Gesetz
übertragene Aufgabe erfüllt.
Nach den vom Senat in der Berufungshauptverhandlung getroffenen Feststel-
lungen erfolgte die am 8. November 2000 vorgenommene Gründung des dann
vom Soldaten geführten privatrechtlichen Vereins „Historienspektakel P. e.V.“
bei der gebotenen objektiven Betrachtung deshalb, weil das im Jahre 2000
erstmals veranstaltete Historienspektakel mit ungedeckten Kosten von ca.
370 000 DM die finanzielle Leistungsfähigkeit der Stadt P. überschritten hatte.
Die Stadt P. war deshalb ihrerseits bestrebt, die organisatorische und finanzielle
Verantwortung sowie damit auch die finanziellen Risiken an einen anderen Trä-
ger abzugeben. Es ging also darum, dass das Historienspektakel 2001 aus der
Sicht der Stadt P. zwar stattfinden sollte, die dazu erforderlichen finanziellen
Mittel jedoch von anderen Kostenträgern aufgebracht werden sollten. Da der
privatrechtliche Verein „Historienspektakel P. e.V.“ seinerseits trotz des von der
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Stadt P. gewährten Darlehens möglicherweise nicht in der Lage sein würde, die
Kosten des Historienspektakels P. 2001 aus eigenen Mitteln und mit Sponso-
rengeldern vollständig zu tragen, diente der durch den Organisationsbefehl des
Soldaten vom 8. Mai 2001 angeordnete Einsatz von Material und Personal der
Bundeswehr objektiv dazu, die personellen, organisatorischen und sachlichen
Ressourcen der Bundeswehr dafür heranzuziehen und damit letztlich den vom
Soldaten ehrenamtlich geführten privatrechtlichen Verein und die Stadt P. fi-
nanziell zu entlasten.
Es war jedoch bei der gebotenen objektiven Betrachtung unter keinem Ge-
sichtspunkt erkennbar, dass der angeordnete Einsatz von Soldaten und Materi-
al des Bataillons geeignet und erforderlich war, um eine der durch das Grund-
gesetz festgelegten Aufgaben der Bundeswehr nach Art. 87a Abs. 1 und 2
i.V.m. Abs. 3 und 4, Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 sowie Art. 24
Abs. 2 GG oder eine sonst nach dem Grundgesetz zulässige Aufgabe zu erfül-
len. Ersichtlich war, dass der Soldat als Standortältester und Bataillonskom-
mandeur dafür sorgte, dass Soldaten und Material des Bataillons dem Verein
„Historienspektakel P. e.V.“ hilfreich zur Verfügung gestellt wurden, um die
Durchführung des Historienspektakels 2001 finanziell und organisatorisch zu
ermöglichen. Öffentlichkeitsarbeit war die vom Soldaten angeordnete Inan-
spruchnahme von Personal und Material der Bundeswehr nicht allein deshalb,
weil mit dem Organisationsbefehl nach Angaben des Soldaten von ihm (und
möglicherweise auch anderen) beabsichtigt war, die Verbundenheit des von
ihm kommandierten Bataillons mit der Bevölkerung am Standort P. zu pflegen
und weil sein Vorgehen in (Teilen) der Öffentlichkeit auf positive Resonanz
stieß. Diese Verbundenheit konnten er in eigener Person und auch Soldaten
des Bataillons außerhalb ihres Dienstes und außerhalb ihrer Dienstzeit durch
Beteiligung am Historienspektakel 2001 in P. in der ihnen angemessen erschei-
nenden Weise zum Ausdruck bringen. Der Soldat hatte jedoch kraft seiner Stel-
lung als Standortältester und Bataillonskommandeur kein Recht und keine Be-
fugnis, darüber hinaus auch den Einsatz von Personal und Material der Bun-
deswehr oder die Gewährung von Dienstzeitausgleich für Einsätze während der
Dienstzeit anzuordnen. Es fehlte insoweit an einer hinreichenden Ausrichtung
64
- 23 -
auf die im Grundgesetz festgelegten und danach zulässigen Aufgaben der
Bundeswehr.
Der Soldat verstieß mit dem Erlass des in Rede stehenden Organisationsbe-
fehls auch insoweit gegen § 10 Abs. 4 SG, als er die für sein Handeln einschlä-
gigen Dienstvorschriften nicht beachtete.
Für die Heranziehung und Verwendung von Personal und Material der Bun-
deswehr im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit hat das Bundesministerium der
Verteidigung die näheren Voraussetzungen in folgenden Erlassen geregelt und
festgelegt:
- „Richtlinien für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr“
vom 22. Dezember 1992 (VMBl. 1993 S. 54) i.d.F. vom 29. Oktober 1998
(VMBl. S. 391)
- „Richtlinien für den dienstlichen Einsatz von Soldaten während öffentli-
cher oder privater Veranstaltungen Dritter im Interesse der Öffentlich-
keitsarbeit in Verteidigungsfragen“ vom 31. Mai 1977 (VMBl. S. 226)
- Erlass „Patenschaften von Einheiten und Verbänden mit Städten und
Gemeinden“ vom 24. September 1981 (VMBl. S. 329)
- „Richtlinien für die unentgeltliche Veräußerung und unentgeltliche Über-
lassung zur Nutzung von Bundeswehrmaterial an Stellen außerhalb der
Bundeswehrverwaltung“ vom 20. April 1972 (VMBl. S. 252) i.d.F. vom
15. Januar 1979 (VMBl. S. 31).
Der vom Soldaten mit seinem Organisationsbefehl vom 8. Mai 2001 im vom
Senat festgestellten Umfang befohlene Einsatz von Material und Personal der
Bundeswehr für das von dem von ihm geführten privatrechtlichen Verein veran-
stalte Historienspektakel 2001 in P. war bereits mit der in Nr. 1 der „Richtlinien
für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr“ festgelegten Zweck-
bestimmung der „Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr“ nicht ver-
einbar. In dieser Regelung ist als deren Aufgabe festgelegt, „die Bevölkerung
mit Bundeswehr und Bündnis vertraut zu machen und das Verständnis für
Grundlagen und Ziele deutscher Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu för-
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- 24 -
dern und zu festigen“. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern durch den vom Soldaten
befohlenen Einsatz von Personal und Material der Bundeswehr „das Verständ-
nis für Grundlagen und Ziele deutscher Sicherheits- und Verteidigungspolitik“
gefördert oder gefestigt werden konnte. Die „Grundlagen und Ziele deutscher
Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ waren weder Gegenstand noch Inhalt des
Historienspektakels 2001 in P.. Bei diesem ging es allein um die Darstellung
von Schlüsselszenen der Stadtgeschichte von P. in einzelnen Bildern.
Nicht vereinbar war der vom Soldaten im Organisationsbefehl angeordnete Ein-
satz von Personal und Material der Bundeswehr auch mit Nr. 7.2 21. Spie-
gelstrich dieser Richtlinien. Darin ist festgelegt, dass im Rahmen der Öffentlich-
keitsarbeit „dienstliche Einsätze von Soldaten während öffentlicher oder privater
Veranstaltungen Dritter“ nur „gemäß den hierzu erlassenen Richtlinien
(VMBl. 1977 S. 226) in der jeweils gültigen Fassung“ zulässig sind. Die Vorga-
ben jener in Bezug genommenen Richtlinien wurden nicht eingehalten. Nach
Nr. 1 Satz 1 dieser „Richtlinien für den dienstlichen Einsatz von Soldaten wäh-
rend öffentlicher oder privater Veranstaltungen Dritter im Interesse der Öffent-
lichkeitsarbeit in Verteidigungsfragen“ darf der dienstliche Einsatz von Soldaten
der Bundeswehr während öffentlicher oder privater Veranstaltungen von Verei-
nigungen, Vereinen, Verbänden oder Organisationen im Interesse der Öffent-
lichkeitsarbeit in Verteidigungsfragen (nur) befohlen werden, „wenn dadurch die
Bevölkerung einen Einblick in den Ausbildungsstand und Dienstbetrieb der
Truppe erhält“. Das war hier indes nicht der Fall. Der Soldat hat zwar bestritten,
dass er mit seinem in Rede stehenden Organisationsbefehl den „dienstlichen
Einsatz“ von Soldaten „befohlen“ habe. Seine an seine Untergebenen gerichte-
te Anordnung vom 8. Mai 2001 beinhaltete aber, die eingesetzten Soldaten „für
den freiwilligen Einsatz beim Historienspektakel 2001 soweit dienstlich ab-
kömmlich freizustellen“. Sie sollten damit dem normalen Dienstbetrieb nicht zur
Verfügung stehen, sondern sich im Zusammenhang mit den Arbeiten für das
Historienspektakel 2001 - auch während der Dienstzeit - gerade im außer-
dienstlichen Bereich betätigen. Damit war der Befehl jedenfalls auch darauf ge-
richtet, Soldaten, die damit einverstanden waren, während ihrer Dienstzeit au-
ßerhalb des Dienstbetriebes zugunsten des von dem privatrechtlichen Verein
veranstalteten Historienspektakels 2001 einzusetzen. Darüber hinaus sollte
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- 25 -
nach Nr. 4 des Organisationsbefehls „den eingesetzten Soldaten“ durch die
Disziplinarvorgesetzten „entsprechend der erworbenen Ansprüche Freistellung
vom Dienst auf der Basis der gültigen Erlasslage“ gewährt werden. Damit war
offenbar gemeint, dass den „eingesetzten Soldaten“ für Einsätze, die über die
reguläre Dienstzeit hinausgingen, „Freistellung vom Dienst“, also Dienstzeit-
ausgleich gewährt werden sollte. Das war mit der in Rede stehenden Dienst-
vorschrift nicht vereinbar, weil es bei den vom Soldaten befohlenen Unterstüt-
zungsleistungen nicht darum ging, dass „dadurch die Bevölkerung einen Ein-
blick in den Ausbildungsstand und Dienstbetrieb der Truppe erhält“.
Der mit dem Organisationsbefehl vom Soldaten angeordnete dienstliche Ein-
satz von Soldaten verstieß auch gegen Nr. 3 Satz 1 und 2 dieser „Richtlinien für
den dienstlichen Einsatz von Soldaten während öffentlicher oder privater Ver-
anstaltungen Dritter im Interesse der Öffentlichkeitsarbeit in Verteidigungsfra-
gen“. Danach ist der dienstliche Einsatz nicht zulässig, „wenn sich die Truppe
nicht in ihren Funktionen und Aufgaben darstellt.“ (Satz 1). Insbesondere ist
dies - wie hier - dann der Fall (Satz 2), wenn „der Einsatz in der Leistung einfa-
cher Hilfs-/Arbeits-/Handlangerdienste besteht“ (1. Spiegelstrich) bzw. wenn er
„dem Herrichten und Aufräumen von Festplätzen … sowie vergleichbaren Tä-
tigkeiten gilt“ (2. Spiegelstrich).
Die vom Soldaten befohlene Inanspruchnahme von Personal und Material der
Bundeswehr war ferner - zusätzlich - mit Nr. 3 Satz 3 dieser „Richtlinien für den
dienstlichen Einsatz von Soldaten während öffentlicher oder privater Veranstal-
tungen Dritter im Interesse der Öffentlichkeitsarbeit in Verteidigungsfragen“ un-
vereinbar. Nach dieser Regelung ist der dienstliche Einsatz nicht zulässig, wenn
(1. Spiegelstrich) „während des Einsatzes keine Zuschauer zugegen sind oder
nur eine kleine Gruppe der Bevölkerung die Tätigkeiten der Soldaten beobach-
ten kann“ oder (2. Spiegelstrich) „der Einsatz in der Übernahme von Material-
oder Personentransporten für Dritte besteht“ (ausgenommen sind die im Rah-
men eines dienstlichen Einsatzes erforderlichen Transporte von Soldaten und
Bundeswehrmaterial). Es ist nicht ersichtlich, dass der durch den Organisati-
onsbefehl angeordnete Einsatz von (damit einverstandenen) Soldaten des
Standortes im Bereich der „Statisterie“, als „Bühnenarbeiter“, „Back-Stage-
69
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Helfer“, während der „Proben“ sowie beim „Auf- und Abbau“ in Anwesenheit von
mehr als „nur eine(r) kleine(n) Gruppe der Bevölkerung“ erfolgte, die die „Tätig-
keiten der Soldaten beobachten“ konnte. Es spricht nichts dafür, dass bei die-
sen Arbeiten überhaupt eine größere Menge Menschen als „Zuschauer“ mit
dieser Zielrichtung zugegen war. Auch der Soldat hat dies nicht behauptet.
Aufgrund der in Nr. 3 d des Organisationsbefehls getroffenen Anordnung, dass
„notwendige Transporte“ mit Dienstfahrzeugen zu der und von der Freilichtbüh-
ne erfolgen sollten, ging es auch um die „Übernahme von Material und Perso-
nentransporten für Dritte“, die nach Nr. 3 Satz 3 (2. Spiegelstrich) der „Richtli-
nien für den dienstlichen Einsatz von Soldaten während öffentlicher oder priva-
ter Veranstaltungen Dritter im Interesse der Öffentlichkeitsarbeit in Verteidi-
gungsfragen“ ausdrücklich unzulässig war. Zugleich lag darin ein Verstoß ge-
gen Nr. 301 ZDv 43/2. Danach sind „Dienstfahrzeuge … grundsätzlich nur zu
dienstlichen Zwecken einzusetzen“, sofern - wie vorliegend - keine Ausnahmen
nach Nr. 401 bis 437 der ZDv 43/2 eingreifen.
Der Soldat hielt auch nicht die Vorgaben ein, die im „Erlass über Patenschaften
von Einheiten und Verbänden mit Städten und Gemeinden“ festgelegt sind. Der
Soldat macht insoweit zwar geltend, der von ihm mit dem Organisationsbefehl
angeordnete Einsatz von Personal und Material der Bundeswehr sei im Rah-
men des mit der Stadt P. vom Bataillon abgeschlossenen Patenschaftsvertra-
ges erfolgt. Dabei verkennt er allerdings, dass nach Nr. 13 dieses Erlasses „bei
der Pflege von Patenschaften mit Städten und Gemeinden“ ausdrücklich der
Erlass „Ziele, Grundsätze und Aufgaben der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in
Verteidigungsfragen“ (VMBl. 1977 S. 30), die „Richtlinien über die Verwendung
der Kapitel 1401 Titel 53202 für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in Verteidi-
gungsfragen zur Verfügung stehenden Ausgabemitteln (VMBl. 1977 S. 34)“, die
„Richtlinien für den dienstlichen Einsatz von Soldaten während öffentlicher oder
privater Veranstaltungen Dritter im Interesse der Öffentlichkeitsarbeit in Vertei-
digungsfragen (VMBl. 1977 S. 226)“ sowie der Erlass „Dienstliche Veranstal-
tungen geselliger Art (VMBl. 1981 S. 239)“ - zwischenzeitlich neugefasst am 17.
November 2005 (VMBl. S. 155) - zu beachten waren. Ein Verstoß gegen die
„Richtlinien für den dienstlichen Einsatz von Soldaten während öffentlicher oder
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privater Veranstaltungen Dritter im Interesse der Öffentlichkeitsarbeit in Vertei-
digungsfragen“, der, wie vorstehend dargelegt, jedenfalls hinsichtlich der Nr. 1
und 3 vorlag, beinhaltete damit auch einen Verstoß gegen den Erlass „Paten-
schaften von Einheiten und Verbänden mit Städten und Gemeinden“.
Der Soldat handelte beim Erlassen seines Organisationsbefehls bewusst fahr-
lässig.
Ihm kann nicht nachgewiesen werden, dass er vorsätzlich, also mit Wissen und
Wollen der Tatbestandsverwirklichung, gegen § 10 Abs. 4 SG verstieß. Ein di-
rekter Vorsatz („dolus directus“) scheidet mangels konkreter Anhaltspunkte er-
sichtlich aus. Davon ist auch der Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts
aufgrund des Ergebnisses der Berufungshauptverhandlung ausgegangen. Aber
auch ein bedingter Vorsatz („dolus eventualis“) lässt sich hinsichtlich des vom
Anschuldigungspunkt 1 erfassten Sachverhaltes dem Soldaten nicht mit der
erforderlichen Sicherheit und Gewissheit nachweisen.
Ein bedingt vorsätzlich Handelnder hält die in Rede stehende Tatbestandsver-
wirklichung für möglich und ist mit dem Eintreten des Erfolges in dem Sinne
einverstanden, dass er ihn billigt oder zumindest billigend in Kauf nimmt (Urteil
vom 17. Februar 2004 - BVerwG 2 WD 15.03 - NVwZ-RR 2006, 553 = DokBer
2004, 278 mit weiteren Nachweisen zur ständigen Rechtsprechung des Bun-
desgerichtshofs zur Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewusster Fahr-
lässigkeit, vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 23. Juni 1983 - 4 StR 293/83 - NStZ
1984, 19 und Urteil vom 25. November 1987 - 3 StR 449/87 - NStZ 1988, 175
sowie die Nachweise u.a. bei Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder,
StGB, 26. Aufl. 2001, § 15 Rn. 81a und 83; Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl.
2006 § 15 Rn. 10 a). Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn der Täter mit dem
von ihm für möglich gehaltenen Erfolg ausdrücklich oder konkludent einver-
standen ist, sondern auch dann, wenn er sich mit einem an sich unerwünsch-
ten, aber notwendigerweise eintretenden Erfolg um seines erstrebten Zieles
willen abfindet (vgl. dazu u.a. Urteil vom 17. Februar 2004 a.a.O.; BGH, Urteile
vom 22. April 1955 g.K. u.a. - 5 StR 35/55 - BGHSt 7, 363 <369>, vom
4. November 1988 g.B. - 1 StR 262/88 - BGHSt 36, 1 <9> und vom 14. Juli
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1994 - 4 StR 335/94 - NStZ 1994, 584; Tröndle/Fischer, a.a.O. m.w.N.). Ausrei-
chend ist, wenn dem Täter der als möglich erkannte Handlungserfolg gleichgül-
tig ist (vgl. BGH, Urteil vom 2. November 1994 g.M. - 2 StR 449/94 - BGHSt 40,
304 <306>; Tröndle/Fischer, a.a.O.; Cramer/Sternberg-Lieben, a.a.O. Rn. 84,
86 f. m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 18. September 2003 - BVerwG 2 WD 3.03 -
BVerwGE 119, 76 = NZWehrr 2005, 122). Zur Feststellung dieser Vorausset-
zungen ist eine Gesamtwürdigung aller objektiven und subjektiven Tatumstände
geboten (vgl. Urteil vom 17. Februar 2004 a.a.O.; BGH, Urteil vom 4. November
1988 a.a.O. S. 10). Ist der Täter mit der als möglich erkannten Folge seines
Handelns nicht einverstanden und vertraut er deshalb auf ihren Nichteintritt,
liegt lediglich (bewusste) Fahrlässigkeit vor (vgl. die Nachweise zur Rechtspre-
chung des Bundesgerichtshofs bei Tröndle/Fischer, a.a.O. Rn. 9).
Nach diesen Maßgaben hat sich vorliegend nicht feststellen lassen, dass der
Soldat mit dem Taterfolg (Befehlserteilung nicht „nur zu dienstlichen Zwecken“
und unter Nichtbeachtung der Dienstvorschriften entgegen seiner Dienstpflicht
nach § 10 Abs. 4 SG) einverstanden oder diesen als mögliche Folge seines
Verhaltens hinzunehmen bereit war oder dass ihm eine als möglich erkannte
Verletzung des genannten Tatbestandes gleichgültig war. Dies ergibt sich aus
seiner ihm nicht zu widerlegenden Einlassung, dass er bei Erlass des Organisa-
tionsbefehls vom 8. Mai 2001 davon ausgegangen sei, er sei dazu berechtigt
und halte bei der Befehlsgebung die in § 10 Abs. 4 SG gezogenen Grenzen ein.
Nach den vom Senat in der Berufungshauptverhandlung getroffenen Feststel-
lungen erscheint dies glaubhaft. Dafür spricht nicht nur der vom Soldaten ge-
wonnene persönliche Eindruck, sondern auch der Umstand, dass der Soldat
seinen Brigadekommandeur, den Zeugen Oberst a.D. S., und die Presseabtei-
lung der Division von dem Organisationsbefehl in Kenntnis gesetzt hatte und
dass von dort dagegen keine Einwände erhoben wurden.
Da mithin davon auszugehen ist, dass der Soldat zum Tatzeitpunkt der - irr-
tümlichen - Auffassung war, zum Erlassen dieses Organisationsbefehls im
Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr unter Beachtung der ein-
schlägigen Erlasse berechtigt zu sein, fehlte ihm bei Begehung der Tat die Ein-
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- 29 -
sicht, Unrecht zu tun (§ 17 StGB analog). Er befand sich damit in einem Ver-
botsirrtum, der für ihn allerdings vermeidbar war.
Unvermeidbar wäre ein solcher Verbotsirrtum nur dann gewesen, wenn der
Soldat vor der Erteilung des Befehles alles ihm Mögliche und Zumutbare getan
hätte, um sich der Rechtmäßigkeit des Organisationsbefehls zu versichern. Als
Nicht-Jurist war er gehalten, hierzu rechtlichen Sachverstand zu konsultieren,
insbesondere etwa durch ausdrückliche Anfrage bei dem für seinen Bereich
zuständigen Rechtsberater. Die bloße Zuleitung des von ihm erlassenen Orga-
nisationsbefehls an die Brigade und an die „Divisionsebene“ reichte insoweit
nicht aus. Denn damit war nicht gewährleistet, dass dort eigenständig eine hin-
reichende rechtliche Prüfung erfolgte, zumal nach den glaubhaften Bekundun-
gen des in der Berufungshauptverhandlung als Zeugen vernommenen Gene-
ralmajors K. dort nicht sichergestellt war, dass gerade die in Rede stehenden
- vom Soldaten nicht näher bezeichneten - Rechtsfragen einer Klärung zuge-
führt wurden. Damit hat der Soldat gemäß der entsprechend anzuwendenden
Vorschrift des § 17 StGB für sein Fehlverhalten nach Fahrlässigkeitsgrundsät-
zen einzustehen, weil er seine Sorgfaltspflichten verletzte, in dem er nicht alle
erforderlichen und ihm nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten zumutbaren
Schritte unternahm und veranlasste, um einen Pflichtenverstoß zu vermeiden.
bbb) Verstoß gegen die Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG)
Der Soldat hat mit dem Erlassen des Organisationsbefehls vom 8. Mai 2001
auch gegen seine Pflicht zum treuen Dienen verstoßen. Davon ist auch die
Truppendienstkammer (ohne nähere Begründung) zu Recht ausgegangen.
Die in § 7 SG normierte allgemeine Pflicht zum „treuen Dienen“, die durch die in
den §§ 8 ff. SG aufgestellten Dienstpflichten ihre speziellere gesetzliche Aus-
formung erhalten hat und durch diese in deren Anwendungsbereich konkreti-
siert wird, gebietet jedem Soldaten, seine Dienstpflichten gewissenhaft, sorgfäl-
tig und loyal gegenüber dem Dienstherrn zu erfüllen sowie innerhalb und au-
ßerhalb des Dienstes mit den ihm zur Verfügung stehenden Kräften dazu beizu-
tragen, dass die Streitkräfte der Bundeswehr ihre durch die Verfassung festge-
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legten Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen können, sowie alles zu unterlassen,
was diese bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben in unzulässiger Weise schwä-
chen könnte. Sie kommt freilich bei der Prüfung von Dienstpflichtverletzungen
nur insoweit zur Anwendung, als die ihr in den §§ 8 ff SG normierten Dienst-
pflichten für ihren jeweiligen Anwendungsbereich nicht als speziellere Vorschrift
vorgehen. Zu der in § 7 SG für jeden/jede Soldaten/in normierten Pflicht zum
treuen Dienen gehört namentlich, in loyaler Weise alles Erforderliche zu veran-
lassen und zu unternehmen, damit Personal und Material der Bundeswehr nur
zu dienstlichen Zwecken in Anspruch genommen werden. Denn die Bundes-
wehr kann den ihr erteilten Aufgabenzuweisungen nur dann entsprechen, wenn
einerseits ihre Angehörigen, ihr Gerät und ihre Mittel jederzeit präsent und voll
einsatzfähig sind und andererseits das innere Gefüge der Streitkräfte so gestal-
tet ist, dass sie ihren militärischen Aufgaben gewachsen sind. Dazu gehören
neben den Pflichten zur Anwesenheit u.a. auch der sorgsame Umgang mit
dienstlich anvertrauten Sachgütern, eine gewissenhafte Dienstleistung sowie
die Verpflichtung zur Loyalität zur geltenden Rechtsordnung (Urteile vom
28. September 1990 - BVerwG 2 WD 27.89 - BVerwGE 86, 321 <326>, vom
28. Januar 2004 - BVerwG 2 WD 13.03 - BVerwGE 120, 105 <107>, vom
22. März 2006 - BVerwG 2 WD 7.05 - DokBer 2006, 274 jeweils m.w.N.). Das
Erlassen eines Befehls, der den Einsatz von Personal und Material der Bun-
deswehr zu nicht-dienstlichen Zwecken bewirkt oder fördert, ist damit nicht ver-
einbar. Insoweit geht der Anwendungsbereich des § 7 SG über denjenigen des
§ 10 Abs. 4 SG, der spezifische rechtliche Grenzen der Befehlsgebung nor-
miert, hinaus.
Diese Dienstpflicht hat der Soldat mit dem Erlassen seines Organisationsbe-
fehls dadurch verletzt, als er einerseits zwar verbal von einem „freiwilligen Ein-
satz“ von Soldaten des Bataillons ausging, andererseits jedoch in seiner dienst-
lichen Eigenschaft als Standortältester und Bataillonskommandeur seinen Un-
tergebenen pauschalisierend den „Auftrag“ (Nr. 2) erteilte, das Historienspekta-
kel 2001 „durch die Abstellung von Personal und Material gemäß Absprache
StOÄ und Produzent“ zu unterstützen. Dies trug entscheidend dazu bei, dass
bei den Angehörigen des Bataillons der Eindruck entstehen konnte und ent-
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stand, bei der Mitwirkung von Soldaten am Historienspektakel 2001 handele es
sich um „Dienst“. …
Aus den oben in anderem Zusammenhang dargelegten Gründen handelte der
Soldat dabei zwar nicht vorsätzlich, jedoch fällt ihm bewusste Fahrlässigkeit zur
Last.
ccc) Verstoß gegen § 11 Abs. 1 SG
Entgegen der Auffassung des Vertreters des Bundeswehrdisziplinaranwaltes
verstieß der Soldat mit der dargelegten Nichtbeachtung der „Richtlinien für die
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr“, der „Richtlinien für den
dienstlichen Einsatz von Soldaten während öffentlicher oder privater Veranstal-
tungen Dritter im Interesse der Öffentlichkeitsarbeit in Verteidigungsfragen“ so-
wie des Erlasses „Patenschaften von Einheiten und Verbänden mit Städten und
Gemeinden“ nicht gegen seine Gehorsamspflicht nach § 11 Abs. 1 SG. Denn
bei diesen Erlassen bzw. Richtlinien handelte es sich nicht um „Befehle“ im
Rahmen eines militärischen Vorgesetzten/Untergebenen-Verhältnisses. Vorge-
setzter ist gemäß § 1 Abs. 5 SG nur derjenige, der befugt ist, einem Soldaten
Befehle zu erteilen. Für militärische Vorgesetzte ist diese Befugnis aufgrund der
gesetzlichen Ermächtigung in der Vorgesetztenverordnung (VorgV) näher gere-
gelt. Der Bundesminister der Verteidigung ist - unabhängig von den Regelun-
gen der VorgV - in seiner Eigenschaft als Inhaber der Befehls- und Kommando-
gewalt nach Art. 65a GG oberster Vorgesetzter aller Soldaten. Diese Befehls-
und Kommandogewalt, bei deren Ausübung er im Verhinderungsfall durch den
zuständigen Staatssekretär vertreten wird (stRspr, vgl. u.a. Beschluss vom
10. Januar 1973 - BVerwG 1 WB 1.72 - BVerwGE 46, 55), kann der Bundesmi-
nister der Verteidigung nicht auf sonstige Angehörige seines Ministeriums oder
Dritte delegieren (vgl. dazu u.a. Quaritsch, VVDStRL 26 (1968), 207 <241>;
Hernekamp, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 5. Aufl. 2001, Art. 65a, Rn. 25
m.w.N.). Im Bundesministerium der Verteidigung tätige Beamte und Soldaten
haben keine Befugnis zum Erteilen von „Befehlen“ i.S.v. § 2 Nr. 2 WStG. Sie
sind lediglich berechtigt, im Rahmen ihres vom Minister abgeleiteten „innerbe-
hördlichen Mandats“, das durch die Zeichnung „im Auftrag“ kundgetan wird,
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verbindliche Anordnungen (auch im Außenverhältnis) zu treffen; ihre Befugnis
reicht jedoch nicht aus, jene unmittelbare Vorgesetzten/Untergebenen-
Beziehung herzustellen, die § 2 Nr. 2 WStG voraussetzt. Art. 65a GG bestimmt,
dass (allein) der Bundesminister der Verteidigung die Befehls- und Kommando-
gewalt über die Streitkräfte „hat“. Ausnahmen davon - sieht man von der Rege-
lung für den Verteidigungsfall nach Art. 115b GG ab - lässt die verfassungs-
rechtliche Regelung nicht zu. Darin unterscheidet sich Art. 65a GG von der Vor-
schrift des Art. 65 Satz 2 GG, die es dem jeweiligen Ressortminister - und damit
außerhalb der Befehls- und Kommandogewalt auch dem BMVg - erlaubt, eige-
ne Befugnisse „nach unten abzugeben“ (vgl. dazu u.a. Hernekamp, in: von
Münch/Kunig, a.a.O. Rn. 25 m.w.N.). Die vorgenannten Erlasse bzw. Richtlinien
sind nicht vom Bundesminister der Verteidigung oder seinem Vertreter im Amt
erlassen worden. Sie sind weder vom Minister persönlich noch von dem zu-
ständigen Staatssekretär, sondern unter der Bezeichnung „Bundesministerium
der Verteidigung“ von Bediensteten des Ministeriums („IPStab-ÖA - Az 01-54-
15“, „Fü S I 5 - Az 35-30-01“, „InfoStab/ÖA - Az 01-54-00“) unterzeichnet wor-
den, die jedoch in dieser dienstlichen Stellung Soldaten keine Befehle erteilen
können und dürfen, weil sie weder militärische Vorgesetzte i.S.d. VorgV (auch
nicht nach § 2 oder § 3 VorgV) sind noch die Befehls- und Kommandogewalt
nach Art. 65a GG direkt gegenüber Soldaten ausüben können.
Der Soldat verstieß jedoch mit dem Erlassen seines Organisationsbefehls ge-
gen Nr. 301 ZDv 43/2 und verletzte dadurch seine Gehorsamspflicht nach § 11
Abs. 1 SG. Die vom Bundesminister der Verteidigung bzw. seinem Vertreter im
Amt in seiner Eigenschaft als Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt über
die Streitkräfte (Art. 65a GG) erlassene Regelung der Nr. 301 Abs. 1 ZDv 43/2,
wonach Dienstfahrzeuge „grundsätzlich nur zu dienstlichen Zwecken einzuset-
zen“ sind, soweit keine der Ausnahmen nach den Nr. 401 bis 437 ZDv 43/2 vor-
liegt, erfüllt die begrifflichen Voraussetzungen eines „Befehls“ (stRspr, vgl. zu-
letzt u.a. Urteile vom 2. Juli 2003 - BVerwG 2 WD 42.02 - Buchholz 235.01 § 38
WDO 2002 Nr. 7 = NZWehrr 2004, 34, vom 16. Dezember 2004 - BVerwG
2 WD 15.04 - m.w.N. und vom 13. September 2005 - BVerwG 2 WD 31.04 -
DÖV 2006, 913).
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Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SG muss jeder Soldat der Bundeswehr seinen Vorge-
setzten gehorchen. Er hat ihre Befehle gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 SG nach bes-
ten Kräften vollständig, gewissenhaft und unverzüglich auszuführen. Die Pflicht
zum Gehorsam gehört zu den zentralen Dienstpflichten eines jeden Soldaten
(stRspr, vgl. u.a. Urteile vom 14. November 1991 - BVerwG 2 WD 12.91 -
BVerwGE 93, 196 <199>, vom 3. August 1994 - BVerwG 2 WD 18.94 -
NZWehrr 1995, 211, vom 4. Juli 2001 - BVerwG 2 WD 52.00 - Buchholz 236.1
§ 10 SG Nr. 46 = NZWehrr 2002, 76, vom 2. Juli 2003 - BVerwG 2 WD 47.02 -
Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 8 = NZWehrr 2004, 80 und vom 21. Juni
2005 - BVerwG 2 WD 12.04 - NJW 2006, 77 <80>).
Ob eine vom BMVg (oder im Vertretungsfall von seinem Vertreter im Amt) als
Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt nach Art. 65a GG und damit als
Vorgesetzter erlassene Dienstvorschrift einen Befehl i.S.d. § 11 Abs. 1 SG dar-
stellt, muss jeweils konkret festgestellt werden. Dabei kommt es darauf an, ob
die jeweilige Regelung für den in Rede stehenden Anwendungsbereich eine
verbindliche Weisung an Untergebene mit Gehorsamsanspruch enthält (stRspr,
vgl. u.a. Urteile vom 17. April 1975 - BVerwG 2 WD 36.74 -, vom 23. November
1989 - BVerwG 2 WD 50.86 - BVerwGE 86, 218 = NZWehrr 1990, 119 [insoweit
nicht veröffentlicht], vom 2. April 2003 - BVerwG 2 WD 21.02 - Buchholz 236.1
§ 29 SG Nr. 5 = ZBR 2004, 359 = NVwZ 2004, 497 [insoweit nicht veröffentlicht]
und vom 13. September 2005 a.a.O.). Voraussetzung ist stets, dass die betref-
fende Einzelregelung der Dienstvorschrift von Soldaten ein bestimmtes Verhal-
ten in Gestalt eines zu vollziehenden konkreten Gebotes oder eines zu beach-
tenden konkreten Verbotes fordert. Der Untergebene muss der in der Dienst-
vorschrift getroffenen Regelung an Hand ihres objektiven Erklärungsgehalts
ohne einen vernünftigen Zweifel entnehmen können, wie er sich in dem von der
Regelung erfassten Fall konkret zu verhalten hat. Wird in der Dienstvorschrift
allerdings ein Verhalten für eine Situation oder Lage in der Weise gefordert,
dass deren Feststellung dem Untergebenen selbst überlassen wird, handelt es
sich nicht um einen Befehl, sondern um eine Richtlinie (vgl. dazu auch Scherer/
Alff, a.a.O. § 10 Rn. 42). Jedoch liegt eine Weisung zu einem bestimmten Ver-
halten mit Anspruch auf Gehorsam und damit ein Befehl dann vor, wenn das
geforderte Verhalten zwar hinsichtlich der Art der Ausführung dem Untergebe-
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nen Dispositionsfreiheit lässt, jedoch den Rahmen so eindeutig bestimmt, dass
der durch den mit dem erteilten Auftrag zu erreichende Zweck konkret festge-
legt ist. Der Anspruch auf Gehorsam des Untergebenen hinsichtlich des von
ihm geforderten Verhaltens muss dabei eindeutig erkennbar sein. Der Unterge-
bene darf - gerade auch im Hinblick auf die möglichen strafrechtlichen Folgen
des Ungehorsams eines Soldaten (§§ 19 ff. WStG) - nicht im Unklaren darüber
gelassen werden, welches konkrete Tun oder konkrete Unterlassen von ihm
verlangt wird.
Nr. 301 ZDv 43/2 bestimmt im dargelegten Sinne ausdrücklich, dass Dienst-
fahrzeuge nur zu dienstlichen Zwecken einzusetzen sind, - abgesehen von Aus-
nahmen (Nr. 401 bis 437), die hier nicht einschlägig sind. Das von dem jeweili-
gen Soldaten geforderte Verhalten hinsichtlich des Einsatzes eines Dienstfahr-
zeuges wird durch den Rahmen, der durch den zu erreichenden dienstlichen
Zweck festgelegt ist, hinreichend bestimmt. Erfolgt ein Befehl zum Einsatz des
Dienstfahrzeuges nicht zu einem dienstlichen Zweck, so ist dies für den betref-
fenden Soldaten unmittelbar verboten. Dies war aus den oben in anderem Zu-
sammenhang dargelegten Gründen hier der Fall. Indem der Soldat mit seinem
in Rede stehenden Organisationsbefehl vom 8. Mai 2001 u.a. den Einsatz von
Dienstfahrzeugen („notwendige Transporte zur/von Freilichtbühne“, vgl. Nr. 3d)
zur Unterstützung des von dem von ihm geleiteten privatrechtlichen Verein ge-
planten Historienspektakels 2001 anordnete, missachtete er die Dienstvorschrift
der Nr. 301 ZDv 43/2 und verletzte damit seine Gehorsamspflicht nach § 11
Abs. 1 SG.
Da ihm jedoch auch insoweit ein vorsätzliches Handeln nicht nachzuweisen ist
und da er sich in einem vermeidbaren Verbotsirrtum befand, handelte er fahr-
lässig.
ddd) Verstoß gegen § 17 Abs. 2 Satz 1 SG
Dagegen hat der Senat einen Verstoß des Soldaten gegen die Pflicht zur inner-
dienstlichen Achtungs- und Vertrauenswahrung (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) nicht
feststellen können.
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Für die Feststellung eines Verstoßes gegen die Vorschrift kommt es - ungeach-
tet der im Hinblick auf ihre relative Unbestimmtheit bestehenden, hier aber nicht
entscheidungsrelevanten verfassungsrechtlichen Bedenken - nach der Recht-
sprechung des Senats nicht darauf an, ob eine Ansehensschädigung im kon-
kreten Fall tatsächlich eingetreten ist. Es reicht vielmehr aus, dass das Verhal-
ten des Soldaten geeignet war, eine ansehensschädigende Wirkung auszulö-
sen (stRspr, vgl. u.a. Urteil vom 21. Juni 2005 - BVerwG 2 WD 12.04 - NJW
2006, 77 <108>). Denn die Vorschrift stellt allein auf das Verhalten des Solda-
ten ab (stRspr, u.a. Beschluss vom 12. Oktober 1993 - BVerwG 2 WDB 15.92 -
BVerwGE 103, 12 = NZWehrr 1994, 27 m.w.N.). Achtungs- und Vertrauenswür-
digkeit eines Soldaten können durch sein Verhalten schon dann Schaden neh-
men, wenn dieses Zweifel an seiner Zuverlässigkeit weckt oder seine Eignung
für die jeweilige Verwendung in Frage stellt (vgl. Urteile vom 2. April 1974
- BVerwG 2 WD 5.74 - BVerwGE 46, 244 <248> = NZWehrr 1975, 69 <71 f.>
und vom 21. Juni 2005 - BVerwG 2 WD 12.04 - NJW 2006, 77 <108>).
Ein solcher Verstoß liegt im vorliegenden Fall nicht vor. Bei der gebotenen ob-
jektivierten Betrachtung lässt sich nicht feststellen, dass das Verhalten des Sol-
daten, der mit dem Erlass des Organisationsbefehls subjektiv dienstliche Auf-
gaben erfüllen wollte und sich über die Rechtswidrigkeit seines Befehls in ei-
nem (vermeidbaren) Verbotsirrtum befand, als solches geeignet war, Zweifel an
seiner Zuverlässigkeit zu wecken oder sonst eine Ansehensschädigung auszu-
lösen. Allerdings hätte sich der Soldat darüber im Klaren sein müssen, dass
sein Handeln unter Umständen seine persönliche Integrität jedenfalls deshalb in
Frage stellen konnte, weil das Historienspektakel 2001 von dem von ihm als
Vorsitzenden geführten privatrechtlichen Verein „Historienspektakel P. e.V.“
veranstaltet und damit die von ihm veranlassten Unterstützungsleistungen mit
Personal und Material der Bundeswehr den Eindruck einer „Selbstbegünsti-
gung“ erwecken konnten. Zu seinen Gunsten fällt insoweit jedoch ins Gewicht,
dass er im Glauben an die Richtigkeit und Rechtmäßigkeit seines Verhaltens
handelte und meinte, er erfülle damit den von dem Bataillon mit der Stadt P. ab-
geschlossenen Patenschaftsvertrag „mit Leben“. Schließlich muss insoweit
auch berücksichtigt werden, dass er weder von seinem unmittelbaren Vorge-
setzten, dem Brigadekommandeur, noch von der von dem Organisationsbefehl
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in Kenntnis gesetzten zuständigen Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit der Divisi-
on nach erfolgter Übersendung Hinweise erhielt, die ihn auf die Rechtswidrig-
keit seines Organisationsbefehls hätten aufmerksam machen können. Noch
nach den Vorfällen, die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens (Anschuldi-
gungspunkt 1) sind, wurde er in den über ihn erstellten dienstlichen Beurteilun-
gen - wie zuvor - von seinen Disziplinarvorgesetzten für seine engagierte Öf-
fentlichkeitsarbeit ohne jede Einschränkung oder Eingrenzung besonders posi-
tiv gewürdigt.
bb) Anschuldigungspunkt 2 (Befehl zum Einsatz des FKM 20 to-Krans)
Da dem Soldaten aufgrund des Ergebnisses der Berufungshauptverhandlung
das ihm insoweit vorgeworfene Verhalten nicht hat nachgewiesen werden kön-
nen, hat ihn der Senat von diesem Vorwurf freigestellt.
cc) Anschuldigungspunkt 3 (Befehl zum Abstellen eines Arbeitskommandos der
2./ABCAbwBtl 805 für den Aufbau des historischen Dorfs
aaa) Verstoß gegen § 10 Abs. 4 SG
Mit seinem von Anschuldigungspunkt 3 erfassten Verhalten hat der Soldat
ebenfalls gegen seine dienstliche Pflicht verstoßen, Befehle „nur zu dienstlichen
Zwecken“ und „nur unter Beachtung … der Dienstvorschriften“ zu erteilen. Denn
der Einsatz personeller und sachlicher Mittel der Bundeswehr zugunsten des
von dem Soldaten ehrenamtlich geführten Vereins im Zusammenhang mit dem
Historienspektakel 2001 in P. erfolgte aus den oben zu Anschuldigungspunkt 1
dargelegten Gründen nicht zu dienstlichen Zwecken und nicht unter Beachtung
der oben zitierten einschlägigen Erlasse bzw. Richtlinien des Bundesministeri-
ums der Verteidigung. Dies gilt auch für den am 13./14. September 2001 vom
Soldaten angeordneten Einsatz eines Arbeitskommandos für den Transport der
Hütten für das „historische Dorf“ sowie von „Bierzeltgarnituren“.
Der Soldat konnte sich bei seinem Handeln nicht auf die Ermächtigungsgrund-
lage des Art. 35 Abs. 1 GG stützen, wonach alle Behörden des Bundes und der
Länder sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe leisten. Amtshilfe (und Rechts-
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hilfe) sind der ergänzende Beistand einer Behörde auf Ersuchen einer anderen,
um die Durchführung öffentlicher Aufgaben der ersuchenden Behörde zu er-
möglichen oder zu erleichtern. Ein solcher Fall liegt hier schon deshalb nicht
vor, weil die vom Soldaten am 13./14. September 2001 befohlenen und veran-
lassten Unterstützungsleistungen allein der technischen und organisatorischen
Vorbereitung des Historienspektakels 2001 dienten, das nicht von einer Behör-
de, sondern von dem vom Soldaten als Vorsitzenden geführten privatrechtli-
chen Verein „Historienspektakel P. e.V.“ in eigener Verantwortung veranstaltet
und durchgeführt wurde. Im Übrigen ist Art. 35 Abs. 1 GG - unabhängig davon -
keine Ermächtigungsgrundlage, die die Handlungs- und Eingriffsbefugnisse der
beteiligten Behörden (einschließlich der Streitkräfte der Bundeswehr) erweitert
(vgl. BVerfG, Entscheidung vom 15. Januar 1970 - 1 BvR 13/68 - BVerfGE 27,
344 <352>; Gubelt, in: von Münch/Kunig, a.a.O. Art. 35 Rn. 1; Magen, in: Um-
bach/Clemens, GG, Bd. 1, Art. 35 Rn. 22 und 28 m.w.N.). Dies bedeutet, dass
sich die ersuchte Behörde hinsichtlich des von ihr erbetenen Handelns nach
dem für sie geltenden Recht auf eine Ermächtigungsgrundlage stützen können
muss, die die Amtshilfehandlung - unterstellt, sie diente der Erfüllung einer ei-
genen Aufgabe - rechtfertigen würde. Dies ist aber, wie dargelegt, hier gerade
nicht der Fall.
Der Soldat kann sich zur Rechtfertigung des von ihm am 13./14. September
2001 befohlenen und dann auch stattgefundenen Einsatzes von Personal und
Material der Streitkräfte der Bundeswehr zum Transport und Aufbau der „Hüt-
ten“ für das historische Dorf sowie von „Bierzeltgarnituren“ nicht darauf stützen,
dass im Zuständigkeitsbereich der Einleitungsbehörde(n) der … Soldaten der
Bundeswehr „bei der Kuttersegel-Europameisterschaft eine Woche die sanitäre
Betreuung (hier: Duschen der Teilnehmer) zu gewährleisten“ gehabt hätten und
„laut Information des Nachrichtenmagazins ‚Stern’ in Nummer 41 aus dem Jah-
re 2003 … im Oktober 2002 in S. Mannschaften der dort stationierten Bundes-
wehreinheit zum Rasentrocknen eingesetzt wurden, wobei ein Hubschrauber
vom Typ CH 53 das regennasse Spielfeld immer wieder in knapper Höhe über-
flog, um durch die Luftverwirbelungen den Platz vom Wasser zu befreien“. Glei-
ches gilt hinsichtlich der von ihm behaupteten „dienstlichen“ Teilnahme von
Soldaten der Bundeswehr bei der Versorgung von Teilnehmern eines Mara-
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- 38 -
thonlaufes in B. mit Getränken. Sollte es im Dienstbetrieb der Bundeswehr in
den vom Soldaten angeführten Beispielsfällen oder anderweitig tatsächlich zu
Verstößen gegen gesetzlich normierte Dienstpflichten, Dienstvorschriften oder
Erlasse des Bundesministeriums der Verteidigung gekommen sein, bedürften
diese Vorfälle jeweils einer eigenständigen konkreten dienstrechtlichen Betrach-
tung und Würdigung. Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hat auf die gerichtliche
Verfügung vom 30. August 2006 hin mit Schriftsatz vom 14. September 2006 im
Übrigen ausgeführt, es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor und es sei nicht
ersichtlich, dass „in den vom Verteidiger des Soldaten in seiner Berufungsschrift
vom 26. Januar 2006 aufgeführten Beispielsfällen durch militärische Vorgesetz-
te oder Dienststellen der Bundeswehr von diesen (in den maßgeblichen Richtli-
nien festgelegten) Grundsätzen abgewichen wurde“. Dem ist der anwaltlich ver-
tretene Soldat nicht substantiiert entgegen getreten. Auch dem Senat liegen
keine anderweitigen Anhaltspunkte vor. Unabhängig davon könnte der Soldat
aus anderweitigen dienstrechtlichen Verstößen im Zusammenhang mit den von
ihm angeführten Fällen im vorliegenden Verfahren für sich nicht ein Recht her-
leiten, wonach er deshalb von den oben im Einzelnen dargelegten rechtlichen
Begrenzungen seiner Befehlsbefugnisse in § 10 Abs. 4 SG entbunden wäre
(„keine Gleichbehandlung im Unrecht“).
Da er sich in einem vermeidbaren Verbotsirrtum befand, handelte er auch inso-
weit fahrlässig.
bbb) Verstoß gegen die Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG)
Aus den oben zu Anschuldigungspunkt 1 dargelegten Gründen hat der Soldat,
soweit sein Fehlverhalten hinsichtlich der Befehlsgebung nicht bereits von § 10
Abs. 4 SG erfasst wurde, mit dem von ihm für den 13./14. September 2001 ver-
anlassten bzw. zugelassenen Einsatz von Soldaten und Material für den Trans-
port von „Bierzeltgarnituren“ und von „Hütten“, gegen seine Pflicht zum treuen
Dienen verstoßen.
Da er sich in einem vermeidbaren Verbotsirrtum befand, handelte er auch inso-
weit fahrlässig.
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- 39 -
ccc) Verstoß gegen § 11 Abs. 1 SG
Da der Soldat nach den vom Senat getroffenen Feststellungen am 13./14. Sep-
tember 2001 insoweit auch den Befehl zum Einsatz von Kraftfahrzeugen erteilte
und damit veranlasste, dass Dienstfahrzeuge nicht nur zu dienstlichen Zwecken
eingesetzt wurden, verstieß er gegen Nr. 301 ZDv 43/2. Er verletzte damit seine
Gehorsamspflicht, und zwar aus den bereits oben in anderem Zusammenhang
dargelegten Gründen ebenfalls in der fahrlässigen Begehungsform.
ddd) Verstoß gegen § 17 Abs. 2 Satz 1 SG
Ein Verstoß gegen die innerdienstliche Pflicht zur Achtungs- und Vertrauens-
wahrung scheidet angesichts der besonderen Tatumstände aus den oben zu
Anschuldigungspunkt 1 dargelegten Gründen aus.
c) Maßnahmebemessung
Auch unter Berücksichtigung dessen, dass das festgestellte zweifache Fehlver-
halten des Soldaten sich bereits im Jahre 2001 ereignete und damit nunmehr
schon fünf Jahre zurückliegt und dass der Soldat zwischenzeitlich nicht uner-
hebliche persönliche Nachteile für seine soldatische Laufbahn hinnehmen
musste, ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass auf eine gerichtliche
Disziplinarmaßnahme in Gestalt einer Gehaltskürzung von einem Zehntel für
die Dauer von einem Jahr nicht verzichtet werden kann.
Nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO sind bei Art und Maß der Diszipli-
narmaßnahme Eigenart und Schwere des Dienstvergehens, seine Auswirkun-
gen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die
Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen.
aa) Die Eigenart und Schwere des Dienstvergehens des Soldaten bemessen
sich nach dem Unrechtsgehalt der Dienstpflichtverletzung. Danach wiegt das
Fehlverhalten des Soldaten schwer.
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- 40 -
Die Erteilung eines Befehls zu nicht-dienstlichen Zwecken ist nach der ständi-
gen Rechtsprechung des Senats regelmäßig ein besonders schwerwiegender
Verstoß gegen eine zentrale Dienstpflicht eines Vorgesetzten. Denn die Einhal-
tung der durch § 10 Abs. 4 SG gezogenen Grenzen seiner Befehlsbefugnis ge-
hört zu seinen wesentlichen soldatischen Pflichten. Dies gilt unabhängig davon,
ob mit der Erteilung des Befehls, für den der Vorgesetzte in jedem Fall nach
§ 10 Abs. 5 SG die Verantwortung trägt, im Einzelfall zugleich ein Straftatbe-
stand, etwa nach § 32 WStG („Missbrauch der Befehlsbefugnis zu unzulässigen
Zwecken“), verwirklicht wurde oder nicht. Die strikte Beachtung dieser Begren-
zung der Befehlsbefugnis eines militärischen Vorgesetzten ist im demokrati-
schen Rechtsstaat des Grundgesetzes von fundamentaler Bedeutung, und
zwar sowohl im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Stellung der bewaffneten
Streitkräfte, die als Teil der vollziehenden Gewalt gemäß Art. 20 Abs. 3 GG in
jeder Hinsicht an Recht und Gesetz gebunden sind, als auch im Hinblick auf die
durch Art. 1 Abs. 3 GG gebotene Beachtung der Grundrechte der (als Unterge-
bene) betroffenen Soldaten. Denn der besondere Unrechtsgehalt einer Über-
schreitung der Grenzen der Befehlsbefugnis kommt auch darin zum Ausdruck,
dass der militärische Vorgesetzte mit einem solchen Befehl Untergebene in ei-
ne äußerst schwierige Situation bringt. Diese sind nach § 11 Abs. 1 SG grund-
sätzlich verpflichtet, ihrem Vorgesetzten zu gehorchen (Satz 1) und ihnen erteil-
te Befehle nach besten Kräften vollständig, gewissenhaft und unverzüglich aus-
zuführen (Satz 2). Sie sind zwar berechtigt, bei Vorliegen der Voraussetzungen
des § 11 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 SG einen ihnen - nicht zu dienstlichen Zwe-
cken - erteilten Befehl oder aus vergleichbar schwerwiegenden anderen Grün-
den nicht zu befolgen (vgl. dazu Urteil vom 21. Juni 2005 - BVerwG 2 WD
12.04 - NJW 2006, 77 <80 f.>). Dabei besteht für untergebene Soldaten in der
Praxis aber meist die Schwierigkeit, bei Entgegennahme eines Befehls nicht
immer hinreichend sicher entscheiden zu können, ob die Voraussetzungen des
§ 11 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 SG oder ein anderer Grund, der sie von der Gehor-
samspflicht entbindet, im konkreten Fall wirklich vorliegen oder nicht. Damit ist
ein Untergebener in einem solchen Fall angesichts der Strafandrohung im Falle
des Nichtbefolgens eines (verbindlichen) militärischen Befehls (Gehorsamsver-
weigerung nach § 20 WStG, Ungehorsam nach § 19 WStG) erheblichen Risi-
ken ausgesetzt. Ein Irrtum über das Vorliegen der Voraussetzungen der ge-
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nannten Vorschrift befreit ihn lediglich unter bestimmten Voraussetzungen (vgl.
etwa § 11 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 SG) von seiner strafrechtlichen und diszipli-
narrechtlichen Verantwortlichkeit. Ein militärischer Vorgesetzter, der Unterge-
bene in eine solche Situation bringt, handelt damit in grobem Maße pflichtwidrig
(vgl. dazu u.a. Urteil vom 19. September 2001 - BVerwG 2 WD 9.01 - Buchholz
236.1 § 10 Nr. 48 = NVwZ-RR 2002, 514).
Erschwerend fällt ins Gewicht, dass die zu den Anschuldigungspunkten 1 und 3
zusätzlich festgestellten Verstöße gegen § 7 und § 11 Abs. 1 SG i.V.m. Nr. 301
ZDv 43/2 Kernpflichten betreffen und dass der Soldat als Bataillonskomman-
deur eine besonders herausgehobene Vorgesetztenstellung innehatte. Vor die-
sem Hintergrund hat er in schwerwiegender Weise versagt. Je höher ein Soldat
in den Dienstgradgruppen steigt, umso größer sind die Anforderungen, die an
seine Zuverlässigkeit, sein Pflichtgefühl und sein Verantwortungsbewusstsein
gestellt werden müssen, und umso schwerer wiegt eine Pflichtverletzung, die er
sich zu schulden kommen lässt (vgl. Urteile vom 9. Juli 1991 - BVerwG 2 WD
41.90 - BVerwGE 93, 126 <132> = NZWehrr 1994, 254 und vom 21. Juni 2000
- BVerwG 2 WD 19.00 - Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 37 = NZWehrr 2001, 33).
Von ihm als Bataillonskommandeur im Rang eines Oberstleutnants konnte und
musste aufgrund seiner erhöhten Verantwortung erwartet werden, dass er bei
der Erfüllung seiner Dienstpflichten untadelig mit gutem Beispiel voranging. Die
Stellung des Soldaten erforderte es, dass er als Vorgesetzter in Haltung und
Pflichterfüllung ein Beispiel hätte geben müssen (§ 10 Abs. 1 SG). Denn nur,
wenn er dieses Beispiel gibt, kann er von seinen Untergebenen erwarten, dass
sie sich am Vorbild ihres Vorgesetzten orientieren und ihre Pflichten nach bes-
ten Kräften und aus innerer Überzeugung erfüllen. Durch sein Fehlverhalten hat
der Soldat ein schlechtes Beispiel gegeben.
bb) Im vorliegenden Falle ist bei der Beurteilung des Maßes der Schuld des
Soldaten allerdings zu berücksichtigen, dass ihm lediglich ein fahrlässiges Han-
deln zur Last gelegt werden kann.
Das Maß der Schuld des Soldaten wird im Hinblick auf die Umstände der Tat
zudem dadurch gemindert, dass im Tatzeitraum Defizite bei der Wahrnehmung
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- 42 -
der Dienstaufsicht durch seine Vorgesetzten ihm gegenüber bestanden (vgl. zu
diesem Tatmilderungsgrund u.a. Urteile vom 19. September 2001 a.a.O. [inso-
weit nicht veröffentlicht], vom 17. Oktober 2002 - BVerwG 2 WD 14.02 - Buch-
holz 236.1 § 12 SG Nr. 19 = NZWehrr 2003, 127 und vom 27. November 2003
- BVerwG 2 WD 6.03 - jeweils m.w.N.). Mangelnde Dienstaufsicht kann als Ur-
sache einer dienstlichen Verfehlung bei der Bemessung der Disziplinarmaß-
nahme dann mildernd berücksichtigt werden, wenn Kontrollmaßnahmen durch
Vorgesetzte aufgrund besonderer Umstände unerlässlich waren und pflichtwid-
rig unterlassen wurden (vgl. Urteile vom 19. September 1985 - BVerwG 2 WD
63.84 - BVerwGE 83, 52 <57>, vom 21. Mai 1996 - BVerwG 2 WD 22.95 -
BVerwGE 103, 321 <327> = Buchholz 235.0 § 34 WDO Nr. 14 = NZWehrr
1997, 205 und vom 27. Januar 2004 - BVerwG 2 WD 2.04 - Buchholz 236.1
§ 10 SG Nr. 52 = NZWehrr 2005, 79). Die Dienstaufsicht ist dabei nicht nur
Kontrolle, sondern „vor allem Hilfe in Form von Erklärung, Anleitung und Unter-
stützung“ (Nr. 355 ZDv 10/1). Der Soldat hat sich nach den vom Senat getroffe-
nen Feststellungen zwar nicht eigenständig um eine kompetente Überprüfung
der rechtlichen Zulässigkeit seines hier in Rede stehenden Organisationsbe-
fehls und der von ihm beabsichtigten und dann auch veranlassten Unterstüt-
zungsleistungen zugunsten des von ihm geführten privatrechtlichen Vereins
„Historienspektakel P. e.V.“ bemüht. Immerhin übersandte er diesen Organisa-
tionsbefehl jedoch an seinen Vorgesetzten, den Zeugen Oberst a.D. S.
- damals Kommandeur der Brigade -, der dagegen keine Einwände erhob und
- wie er in der Berufungshauptverhandlung bekundet hat - auch keine nähere
rechtliche Überprüfung des ihm zeitnah zugegangenen Organisationsbefehls
veranlasste. Auch von Seiten der zuständigen Abteilung der Division, deren
Kommandeur der Zeuge Generalmajor K. zum damaligen Zeitpunkt war, und
der der Soldat den Organisationsbefehl ebenfalls zeitnah übersandt hatte, wur-
de der Soldat nicht auf dessen schwerwiegende rechtliche Mängel hingewie-
sen. Der Soldat hätte zwar aufgrund seiner Stellung als Bataillonskommandeur
und der vorausgegangenen entsprechenden langjährigen Ausbildung sowie
seiner Erfahrungen wissen können und müssen, dass sein Organisationsbefehl
jedenfalls mit den einschlägigen Dienstvorschriften nicht vereinbar war. Er hatte
auch Veranlassung, sich eigenständig um eine nähere rechtliche (Vor-)Prüfung
seines in Rede stehenden Verhaltens zu bemühen. Trotzdem kann nicht außer
- 43 -
Acht gelassen werden, dass ihm die an sich mögliche und gebotene Hilfe und
Unterstützung durch seine Vorgesetzten bei der rechtlichen Prüfung seines
Vorgehens nicht zuteil wurde. Diese Umstände wirken sich tatmildernd zuguns-
ten des Soldaten aus.
cc) Nach seinem glaubhaften Vorbringen ging es dem Soldaten - hinsichtlich
seiner Beweggründe - bei seinem von den Anschuldigungspunkten 1 und 3 er-
fassten Fehlverhalten ersichtlich darum, den von ihm ehrenamtlich geführten
privatrechtlichen Verein bei der Vorbereitung und Durchführung des Historien-
spektakels 2001 im Rahmen seiner dienstlichen Möglichkeiten zu unterstützen
und damit in seiner Eigenschaft als Bataillonskommandeur offenbar das
„Image“ seines Bataillons in der Öffentlichkeit und gegenüber der Stadt P. zu
optimieren, wobei er die rechtlichen Rahmenbedingungen seines Handelns nur
unzureichend bedachte. Dabei fühlte sich der Soldat durch die von seinen Dis-
ziplinarvorgesetzten zuvor erstellten sehr positiven dienstlichen Beurteilungen
seines starken Engagements in der Öffentlichkeitsarbeit ermutigt. Denn bereits
in der planmäßigen Beurteilung vom 21. Juli 1999 wurde ihm von seinem Dis-
ziplinarvorgesetzten bescheinigt, dass er „in der Öffentlichkeitsarbeit als Stan-
dortältester … stark engagiert (sei) und … mit seinen Vorhaben ein starkes po-
sitives Echo“ erziele. Auch der nächsthöhere Vorgesetzte, der Divisionskom-
mandeur, ließ es insoweit nicht an Lob fehlen und attestierte ihm in seiner Stel-
lungnahme vom 12. August 1999, er mache „die beste Öffentlichkeitsarbeit als
Standortältester im Stationierungsraum der Division“ und er habe „damit das
Ansehen der Bundeswehr in … stark gefestigt“. Diese sehr positive Beurteilung
des Vorgehens des Soldaten im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit wurde auch
nach dem Erlassen des Organisationsbefehls vom 8. Mai 2001 durch die Beur-
teilungsvermerke des Brigadekommandeurs und des Divisionskommandeurs im
unmittelbaren Vorfeld des Historienspektakels 2001 ausdrücklich aufrechterhal-
ten. Der Zeuge Generalmajor K. führte in seiner Stellungnahme als nächsthöhe-
rer Vorgesetzter sogar aus, die „über den dienstlichen Bereich hinausgehenden
Initiativen (des Soldaten) in der Öffentlichkeitsarbeit“ verdienten „besondere
Erwähnung und Anerkennung“. Aufgrund dessen konnte sich der Soldat bei
seiner von ihm als Öffentlichkeitsarbeit aufgefassten und in Gestalt des von ihm
erlassenen - sowohl dem Brigadekommandeur als auch der zuständigen Abtei-
108
- 44 -
lung der Division mitgeteilten - Organisationsbefehls vom 8. Mai 2001 zumin-
dest ermutigt und „gedeckt“ fühlen. Dieses Verhalten seiner Vorgesetzten er-
schwerte dem Soldat das Erkennen und Beachten der ihm obliegenden dienst-
lichen Sorgfaltspflichten im Hinblick auf die rechtlichen Grenzen seiner Befug-
nisse als Standortältester und Kommandeur des Bataillons bei der Öffentlich-
keitsarbeit.
dd) Die Auswirkungen des Dienstvergehens des Soldaten waren gewichtig. Der
von ihm veranlasste Einsatz dienstlichen Personals und Materials zu nicht
dienstlichen Zwecken erfolgte zu Lasten des Vermögens des Dienstherrn. Die
genaue Höhe des Schadens lässt sich angesichts der insoweit fehlenden hin-
reichenden Dokumentation der Unterstützungsleistungen im Zusammenhang
mit dem Historienspektakel 2001 zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht (mehr) mit
der erforderlichen Gewissheit vollständig feststellen. Angesichts der fehlenden
präzisen Aufzeichnungen über die vom Soldaten veranlassten Unterstützungs-
leistungen in Gestalt der Verwendung von Personal und Material der Bundes-
wehr ist bislang ein Leistungsbescheid der Wehrbereichsverwaltung ergangen,
mit dem ein bezifferter Rückforderungsanspruch angesichts bestehender Be-
weisschwierigkeiten lediglich i.H.v. 2 516,72 € geltend gemacht wird, der jedoch
noch nicht bestandskräftig ist. Auch wenn man berücksichtigt, dass dem Solda-
ten in der Anschuldigungsschrift vom 23. Juni 2005 zudem lediglich ein Vermö-
gensschaden von 2 104,75 € zur Last gelegt worden ist und dass ihm im vorlie-
genden Verfahren das Befehlen des Einsatzes des FKM 20 to-Krans (Anschul-
digungspunkt 2) nicht nachgewiesen werden konnte, bleibt ein nicht unerhebli-
cher Vermögensschaden, den der Soldat nachgewiesenermaßen verursachte.
Der Soldat muss sich als negative Auswirkungen seines Dienstvergehens auch
die durch sein Fehlverhalten verursachten zusätzlichen Maßnahmen seines
Dienstherrn im Bereich der Personalplanung zurechnen lassen (vgl. Urteile vom
10. Juli 1996 - BVerwG 2 WD 5.96 - NZWehrr 1996, 260, vom 23. April 1997
- BVerwG 2 WD 42.96 - Buchholz 235.0 § 34 WDO Nr. 29 und vom 11. Juni
2002 - BVerwG 2 WD 38.01 - Buchholz 236.1 § 10 SG Nr. 51 = NZWehrr 2003,
122). Seine vorgesehene Verwendung in … konnte nicht realisiert werden. Für
die Besetzung des dortigen Dienstpostens musste kurzfristig eine andere Lö-
109
110
- 45 -
sung vorbereitet und umgesetzt werden, was für den Dienstherrn mit einem
nicht unerheblichen Aufwand und damit auch von - letztlich durch den Soldaten
verursachten - Kosten verbunden war.
ee) Hinsichtlich der Persönlichkeit und seiner bisherigen Führung ergibt sich
aus den über ihn erstellten dienstlichen Beurteilungen, dass der Soldat in den
Augen seiner Vorgesetzten als Brigadekommandeur ein „herausragendes Leis-
tungsbild“ aufwies und dass seine Förderungswürdigkeit mit der höchsten Stufe
„E“ bewertet wurde. Allerdings lässt sich auch erkennen, dass der Soldat offen-
bar gelegentlich „durchaus impulsiv und ungeduldig“ ist (vgl. Sonderbeurteilung
vom …). Deshalb wurde ihm in dieser Beurteilung geraten, „noch korrekter und
penibler vor(zu)gehen, dabei auch mehr Geduld (zu) zeigen, um auch kleinere,
formale Fehler zu vermeiden“. Allerdings wurde dem Soldaten schon während
seiner Zeit als Kommandeur des Bataillons in der planmäßigen Beurteilung vom
21. Juli 1999 durch den Brigadekommandeur, den Zeugen Oberst a.D. S., aus-
drücklich bescheinigt, er gehöre in die Spitzengruppe der Bataillonskomman-
deure und sei „als Anwärter für eine A 16/B 3-Verwendung“ zu sehen. Diese
wohlwollende und ermunternde Beurteilung kommt auch in der Stellungnahme
des damaligen nächsthöheren Vorgesetzten zum Ausdruck. Gleiches gilt hin-
sichtlich der Stellungnahme des nächsthöheren Vorgesetzten zur planmäßigen
Beurteilung vom ... Auch während der Anschlussverwendungen des Soldaten
wurden in der Folgezeit seine dienstlichen Leistungen sowie seine Eignung und
Befähigung sehr positiv bewertet, was insbesondere in den Sonderbeurteilun-
gen vom … und vom … sowie in den Bekundungen des Zeugen Oberst a.D. S.
und des Zeugen Oberst N. in der Berufungshauptverhandlung deutlich gewor-
den ist. Der Zeuge N. hat den Soldaten aufgrund des in der gegenwärtigen
Verwendung beim Kommando für ihn ersichtlichen Persönlichkeitsbildes als
einen zupackenden „Gestalter“ mit großem dienstlichen Engagement bezeich-
net, der über ein großes Organisationsvermögen, klare Vorstellungen von sei-
nem Beruf als Soldat, eine herausragende Fähigkeit zu systematischem Vorge-
hen und zum verlässlichen „Abprüfen der Rahmenbedingungen“ verfüge. Aller-
dings wirke der Soldat gelegentlich etwas impulsiv und verschrecke damit den
einen oder anderen. Dagegen sei er jedoch „nicht beratungsresistent“, sondern
kooperationsfähig und bereit, sich mit anderen Auffassungen und Argumenten
111
- 46 -
auseinanderzusetzen. Er, der Zeuge N., würde den Soldaten auch in Kenntnis
des vorliegend festgestellten Fehlverhaltens jederzeit erneut als Dezernatsleiter
und als seinen Stellvertreter einsetzen und verwenden wollen. Der Senat hat
keine Veranlassung, diese sehr positive Einschätzung des Persönlichkeitsbildes
des Soldaten im gegenwärtigen Verwendungsbereich in Zweifel zu ziehen. Die-
ses über lange Jahre von verschiedenen Vorgesetzten in unterschiedlichen
Verwendungsbereichen dem Soldaten attestierte Leistungsverhalten und Per-
sönlichkeitsbild wirkt sich bei der Maßnahmebemessung zugunsten des Solda-
ten aus.
Allerdings kann der Senat nicht übersehen, dass der Soldat sein festgestelltes
Fehlverhalten - wenn überhaupt - erst sehr spät eingeräumt und wenig Einsicht
gezeigt hat. Erst als er im Plädoyer des Vertreters des Bundeswehrdisziplinar-
anwaltes hierauf hingewiesen worden ist, hat sich der Soldat in seinem
Schlusswort dazu veranlasst gesehen, ein Wort des Bedauerns über seine
(fahrlässigen) Dienstpflichtverletzungen auszusprechen. Dies entsprang nach
dem von ihm dabei dem Senat vermittelten Eindruck jedoch eher einem pro-
zesstaktischen Kalkül. Dabei verkennt der Senat nicht, dass dem Soldaten auch
im Berufungsverfahren das uneingeschränkte Recht zustand, auf der Rechtmä-
ßigkeit seines angeschuldigten Verhaltens zu insistieren und sich gegen die ihm
zur Last gelegten Vorwürfe in jeder ihm nützlich und vorteilhaft erscheinenden
Weise zu wehren. Er muss es jedoch hinnehmen, wenn aus seinen Einlassun-
gen und aus seinem Verhalten Rückschlüsse auf seine Einsichtsfähigkeit sowie
die Art seiner Aufarbeitung des schließlich festgestellten Fehlverhaltens gezo-
gen werden.
ff) Bei der danach gebotenen Gesamtwürdigung des festgestellten Fehlverhal-
tens des Soldaten hinsichtlich der Anschuldigungspunkte 1 und 3 ist davon
auszugehen, dass der Senat bei Inanspruchnahme des Personals und des
dienstlichen Materials der Bundeswehr zu privaten Zwecken in ständiger
Rechtsprechung als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen je nach Ge-
wicht des Dienstvergehens eine Gehaltskürzung und/oder ein Beförderungs-
verbot, in schweren Fällen eine Herabsetzung um einen oder mehrere Dienst-
grade in Ansatz gebracht hat (vgl. Urteile vom 21. Januar 1986 - BVerwG 2 WD
112
113
- 47 -
31.85 - BVerwGE 83, 105 f., vom 16. Dezember 1987 - BVerwG 2 WD 22.87 -
m.w.N., vom 29. November 1990 - BVerwG 2 WD 28.90 -, vom 1. April 1993
- BVerwG 2 WD 10.92 -, vom 20. April 1993 - BVerwG 2 WD 28.92 -, vom 21.
Oktober 1999 - BVerwG 2 WD 6.99 - und vom 10. Juli 2002 - BVerwG 2 WD
4.02 -). Daran hält der Senat aus Gründen der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1
GG) und der Rechtssicherheit (Art. 20 Abs. 1 GG) uneingeschränkt fest.
Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass der Soldat auch gegen die in §§ 7
und 11 Abs. 1 SG normierten soldatischen Kernpflichten verstoßen hat. Außer-
dem fällt zu seinen Lasten ins Gewicht, dass sich sein Fehlverhalten über Mo-
nate und damit über einen längeren Zeitraum hinzog, in dem er Gelegenheit
hatte, sich der Rechtslage hinreichend zu vergewissern und dass er dies offen-
bar unterließ. Ferner wirkt sich für den Soldaten negativ aus, dass sein Fehl-
verhalten für das Vermögen des Dienstherrn im dargelegten Umfang nicht un-
erhebliche negative Auswirkungen hatte und dass der Soldat eine ernsthafte
Unrechtseinsicht bis zu seinem Schlusswort nicht hat erkennen lassen. Damit
kommt dem Gesichtspunkt der Spezialprävention besondere Bedeutung zu.
Andererseits wirkt entlastend, dass es an einer hinreichenden Dienstaufsicht
gemangelt hat und dass sich der Soldat in einem vermeidbaren Verbotsirrtum
befand. Zugunsten des Soldaten spricht auch, dass er bis zum Zeitpunkt des
angeschuldigten Verhaltens unbescholten war und nach den vorliegenden
dienstlichen Beurteilungen ein „herausragendes Leistungsbild“ aufwies. Bei ei-
ner Gesamtbetrachtung rechtfertigt dies grundsätzlich, ein Beförderungsverbot
im unteren Bereich zu verhängen, wie es auch die Truppendienstkammer aus-
gesprochen hat.
Da sich das Fehlverhalten des Soldaten jedoch bereits vor teilweise mehr als
fünf Jahren ereignete und da sich zwischenzeitlich - nicht zuletzt, freilich nicht
nur aufgrund des von der Truppendienstkammer in ihrem Beschluss vom
29. Juni 2004 festgestellten Verfahrensfehlers - eine außergewöhnliche Dauer
des gerichtlichen Disziplinarverfahrens ergeben hat, die der Soldat nicht zu ver-
treten hat, und da schließlich der Soldat über mehrere Jahre deshalb keine wei-
teren förderlichen Verwendungen erhalten konnte und auch nicht befördert wur-
de, hält der Senat in diesem speziellen Sonderfall statt eines an sich gebotenen
114
115
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Beförderungsverbotes (§ 58 Abs. 1 Nr. 2 , § 60 WDO) vorliegend eine Kürzung
der Dienstbezüge (§ 58 Abs. 1 Nr. 1, § 59 WDO) für angemessen und ausrei-
chend. Hierauf hat allerdings nicht verzichtet werden können. Einer Einstellung
des gerichtlichen Disziplinarverfahrens bei Feststellung eines Dienstvergehens
standen einerseits im Hinblick auf die Schwere des Dienstvergehens und die
bis zuletzt wenig ausgeprägte Unrechtseinsicht des Soldaten spezialpräventive
Gesichtspunkte sowie das Gebot der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) mit
vergleichbaren vom Senat in ständiger Rechtsprechung entschiedenen Fällen
entgegen, worauf der Soldat bereits von der Truppendienstkammer hingewie-
sen worden ist. Ferner mussten auch generalpräventive Gesichtspunkte Be-
rücksichtigung finden. Diesen hat der Senat deshalb besonderes Gewicht bei-
gemessen, weil die Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens gegen
den Soldaten nicht nur bei diesem, sondern sowohl in der Öffentlichkeit als
auch im Bereich der Bundeswehr teilweise auf großes Unverständnis und auf
Kritik gestoßen ist. Dies macht eine unmissverständliche Pflichtenmahnung
notwendig und unverzichtbar. Darauf hat der Bundeswehrdisziplinaranwalt zu
Recht bereits in seinem Schreiben an die Einleitungsbehörde vom 6. Januar
2005 hingewiesen. Nach der Auffassung des Senats erfordern deshalb die dar-
gelegten Umstände, dass unmissverständlich zum Ausdruck gebracht werden
muss, dass das hier in Rede stehende Fehlverhalten auch dann ein schweres
und besonders ernstzunehmendes Dienstvergehen bleibt, wenn es in der Öf-
fentlichkeit und in der Presse, bei maßgeblichen Repräsentanten der Stadt P.
sowie auch bei einem Landesminister ein positives Echo erfahren hat.
Prof. Dr. Widmaier Dr. Frentz Dr. Deiseroth