Urteil des BVerwG vom 17.03.2004

Soldat, Befehl, Vorläufige Festnahme, Körperliche Unversehrtheit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
Im Namen des Volkes
Urteil
BVerwG 2 WD 17.03
TDG N 2 VL 22/02
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
gegen
… ,
…,
…,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffent-
lichen Hauptverhandlung am 17. März 2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Pietzner,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Oberstleutnant i. G. Oelrich,
Oberleutnant Ewen
als ehrenamtliche Richter,
Leitender Regierungsdirektor …
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt …, …,
als Verteidiger,
Justizobersekretärin …
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 2 -
Auf die Berufung des Soldaten wird das Urteil der 2. Kammer
des Truppendienstgerichts Nord vom 28. April 2003 aufge-
hoben.
Gegen den Soldaten wird wegen eines Dienstvergehens ein
Beförderungsverbot für die Dauer von achtzehn Monaten
verhängt.
Die Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug hat der Sol-
dat zu tragen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der dem
Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen werden
dem Bund zu drei Vierteln und dem Soldaten zu einem Vier-
tel auferlegt.
G r ü n d e :
I
Der 28 Jahre alte Soldat erwarb 1995 die Allgemeine Hochschulreife.
Er wurde als Grundwehrdienstleistender zum 4. Oktober 1995 zur .../Instand-
setzungsbataillon … in V. einberufen und mit Wirkung vom 1. Juli 1997 in das
Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Seine Dienstzeit wurde auf zwölf
Jahre festgesetzt und endet planmäßig am 30. September 2007. Mit Wirkung vom
1. Juni 2001 wurde er zum Leutnant ernannt. Nach Versetzungen zur
.../Nachschubbataillon … in D. zum 1. Januar 1996 als Schreibfunker VHF, zur
.../Stabs- und Fernmeldebataillon … in C. zum 1. Juli 1997 als Schüler und zum
3. März 1998 zur F…schule für …
in F.
zur Teilnahme am
Offizieranwärterlehrgang, den er mit der Abschlussnote „befriedigend“ bestand,
wurde der Soldat zum 1. April 1999 zur .../F…regiment (F…Rgt) … in H. als Schü-
ler versetzt. In der Zeit vom 5. Oktober 1999 bis 31. März 2000 nahm er am
Offizierlehrgang Truppendienst bei der O…schule in D. teil, den er mit der Ab-
schlussnote „befriedigend“ bestand. Zum 1. Oktober 2001 wechselte er auf den
Dienstposten eines Fernmeldeoffiziers und Zugführeroffiziers. Zur Tatzeit war er
Zugführer in der .../F…Rgt ... Aufgrund des Sachverhalts, der Gegenstand des
gerichtlichen Verfahrens ist, wurde er zum 1. April 2003 zur Stabskompanie der
- 3 -
... P…division in D. als Offizier z.b.V. versetzt. Er ist derzeit in der G 4-Abteilung
eingesetzt.
In der planmäßigen Beurteilung vom 20. März 2000 erhielt er in den Einzelmerk-
malen viermal die Wertung „3“, zehnmal die Wertung „4“, zweimal die Wertung „5“
und bei Eignung und Befähigung für „Verantwortungsbewusstsein“, „Geistige Be-
fähigung“ und „Befähigung zur Einsatz- und Betriebsführung“ jeweils die Wertung
„b“ sowie für „Eignung zur Menschenführung/Teambefähigung“ die Wertung „c“. In
der Sonderbeurteilung vom 8. August 2003 erhielt der Soldat in den Einzelmerk-
malen für seine Leistungen einmal die Wertung „1“, dreimal die Wertung „2“,
sechsmal die Wertung „3“, einmal die Wertung „4“ und viermal die Wertung „5“.
Bei Eignung und Befähigung wurde ihm für „Eignung zur Menschenfüh-
rung/Teambefähigung“ die Wertung „A“, „Verantwortungsbewusstsein“ und „Befä-
higung zur Einsatz- und Betriebsführung“ die Wertung „B“ sowie für „Geistige Be-
fähigung“ die Wertung „C“ zuerkannt. Unter „Herausragende charakterliche Merk-
male, Kameradschaft, berufliches Selbstverständnis, Bewährung im Einsatz und
ergänzende Aussagen“ führte der beurteilende Vorgesetzte, Major von der Heide,
über den Soldaten aus:
„Leutnant … ist sehr stolz auf seinen Beruf, erkennbar ehrgeizig und
engagiert. Seine beruflichen Vorstellungen scheinen allerdings mehr
von seinem Stolz als von wirklicher Reflektion der Rolle und Aufgaben
eines Offiziers - vorrangig in Bezug auf Führungsverwendungen - ge-
prägt zu sein. Er ist ein forscher und willensstarker Offizier, der vielfach
über mangelndes Unrechtsbewusstsein verfügt. Während seiner Zeit in
der .../F…Rgt … fand er im Kameradenkreis angemessenen Zuspruch,
war aber nicht immer in der Lage, einen direkten Zugang zu seinen
Unterführern zu finden.
Seine Stärken liegen in der soliden und detailgenauen Vorbereitung von
theoretischen Unterrichten und Weiterbildungen im größeren Rahmen.
Lt … orientiert sich mit seinen Methoden an seinem eigenen Werteka-
non und hat es nicht verstanden, als militärischer Führer Anerkennung
zu finden. Auch im Nachgang lässt sich ein Verständnis für sein Fehl-
verhalten bei ihm nicht wirklich erkennen.
Im KFOR-Einsatz hat er sich in der G 6-Abteilung bewährt. Für Einsätze
im erweiterten Auftragsspektrum der Bundeswehr scheint er bedingt
geeignet; eine Verwendung mit Führungsverantwortung für unterstellte
Soldaten sollte jedoch nicht erfolgen.
Auf Grund seiner deutlichen charakterlichen Schwächen sollte Lt …
nicht weiter gefördert werden. Eine Eignung zum Berufssoldaten ist
nicht erkennbar.“
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In den Verwendungshinweisen erhielt er für Fach- und Stabsverwendungen die
Stufe „geeignet“ sowie für Führungsverwendungen in der Truppe, Allgemeine Füh-
rungsverwendungen, Verwendungen mit besonderer Außenwirkung und Lehrver-
wendungen die Stufe „Eignung nicht erkennbar“.
In der Stellungnahme des nächsthöheren Vorgesetzten, des Stellvertretenden
Kommandeurs der ... P…division, Brigadegeneral G., heißt es:
„Die umfassende Beurteilung beschreibt Lt … treffend.
Er hat es als verantwortlicher Zugführer nicht verstanden, die ihm an-
vertrauten Soldaten entsprechend den dienstlichen Vorgaben zu füh-
ren. Seine Fähigkeiten und Qualitäten als militärischer Vorgesetzter
entsprechen nicht den Erfordernissen zeitgemäßer Menschenführung.
Sollte ihm auch weiterhin ein Verbleiben in der Bundeswehr gewährt
werden, sollte er in einem Bereich verwendet werden, in dem keine
Führungsverantwortung verlangt wird.
Seine fachlichen Fähigkeiten liegen über den Anforderungen.
Mit den Verwendungsvorschlägen bin ich einverstanden, ändere die
Eignungsstufe in I.01.b) in ‚geeignet’ mit der deutlichen Einschränkung
für entsprechende Verwendungen, in denen er ohne Führungs- und
Vorgesetztenaufgaben als Sachbearbeiter verwendet wird.“
Hauptmann L., früherer Disziplinarvorgesetzter des Soldaten, erklärte vor der
Truppendienstkammer, er habe über das Fehlverhalten des Soldaten erst durch
Meldungen erfahren, zuvor sei ihm nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Es habe
sich auch kein Unterführer oder Rekrut bei ihm beschwert. Nach Bekanntwerden
des Sachverhalts habe er den Soldaten sofort von seinem Dienstposten abgelöst
und ihn nicht mehr in einer Führungsposition oder im Umgang mit Rekruten sehen
wollen.
Gegen den Soldaten ist durch Urteil des Truppendienstgerichts Nord vom
16. November 1999 - N 12 VL 24/99 - ein Beförderungsverbot von einem Jahr
verhängt worden. Er hatte abweichend vom Ausbildungsplan ohne Genehmigung
seines Kompaniechefs eine Ausbildung durchgeführt, den Rekruten seines Zuges
(einschließlich eines Soldaten mit Fußverletzung) bei einer Rucksackkontrolle den
objektiv nicht durchführbaren Befehl erteilt, fehlende Ausrüstungsgegenstände
innerhalb von zwei Minuten aus der Unterkunft zu holen, seinen Rekruten ohne
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Rücksicht auf deren Schamgefühl befohlen, sich bis auf die Unterhose zu entklei-
den und schließlich den Rekruten den objektiv nicht durchführbaren Befehl erteilt,
sich innerhalb von zehn Minuten wieder anzuziehen, die Ausrüstung zu verpacken
und anschließend - ohne inneren Zusammenhang zur Ausbildung - im Feldanzug
und mit der gesamten Ausrüstung eine Runde um den Sportplatz zu laufen.
Der Zentralregisterauszug vom 26. Juni 2003 enthält keine Eintragung. Im Diszip-
linarbuchauszug vom 12. September 2003 ist das gegen den Soldaten durch Urteil
des Truppendienstgerichts Nord vom 16. November 1999 verhängte Beförde-
rungsverbot für die Dauer eines Jahres eingetragen.
Der ledige Soldat erhält Dienstbezüge nach der Besoldungsgruppe A 9,
4. Dienstaltersstufe, des Bundesbesoldungsgesetzes in Höhe von brutto
2.087,56 €, netto 1.697,98 €. Eine Kreditschuld von derzeit ca. 10.000 € trägt er in
monatlichen Raten von 200 € ab.
II
In dem mit Verfügung des Kommandeurs der ... P…division vom 29. Juli 2002
ordnungsgemäß eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren legte der Wehr-
disziplinaranwalt dem Soldaten mit der Anschuldigungsschrift vom 17. Oktober
2002 als schuldhafte Verletzung seiner Dienstpflichten zur Last:
„1. Der Soldat spielte im Verlauf eines Zugabends in der letzten Okto-
berwoche 2001 im Mannschaftsheim der W…kaserne, …, H., als
Zugführer des II. Zuges der .../F…regiment … mit mehreren Rekru-
ten seines Zuges das Trinkspiel ‚Captain Hook’ und verleitete die
mitspielenden Rekruten dabei zum Genuss solcher Mengen von Al-
kohol, dass sich zwei der Rekruten anschließend übergeben muss-
ten, mindestens einer davon noch am Tisch.
2. a. Der Soldat ließ am 27.03.2002 zwischen 20:00 Uhr und
23:00 Uhr im Verlauf eines weiteren Zugabends des ... Zuges
der .../F…regiment … seinen Zug gruppenweise auf der Straße
vor der Küche des Mannschaftsheimes der W…kaserne, …, H.,
antreten und forderte die Gruppenführer auf, den Rekruten die
gelben Litzen (Aufschiebeschlaufen der Fernmelder) zu verlei-
- 6 -
hen. Zuvor sollten die Gruppenführer die Rekruten ‚noch etwas
lang machen’, indem diese lautstark und dem Sinne nach be-
fragt werden sollten, ob sie sich denn auch alle die Litzen ver-
dient hätten. In seinem Beisein wurden die Rekruten sodann
von deren Gruppenführern entsprechend angeschrieen. Den
Stabsunteroffizier S. rief der Soldat zwischenzeitlich zu sich und
belehrte ihn lautstark, dass er die Soldaten nicht lang genug
‚rund gelutscht’ habe. Zum Ende der ‚Verleihung’ zitierte er aus
einem Spielfilm den Satz: ‚Jetzt seid ihr keine Maden mehr, jetzt
seid ihr Würmer.’
b. Der Soldat befahl am 27.03.2002 - gegen Ende des Zugabends
des II. Zuges der .../F…regiment … um 23:00 Uhr - im Mann-
schaftsheim der W…kaserne, …, H., den Ausbildern und Hilfs-
ausbildern seines Zuges, gemeinsam mit ihm noch die D.er Alt-
stadt zu besuchen. Dem seinem Zug angehörenden Obergefrei-
ten R. gegenüber, der eigentlich nicht mitkommen wollte, weil er
am nächsten Tag eine Ausbildung zu halten hatte, äußerte er,
es sei kein Dienstschluss und er habe deshalb dabeizusein. Der
seinem Zug angehörenden Obergefreiten UA (w) Mü. gegen-
über, die den Soldaten im Verlaufe des Zugabends und auch
bereits zuvor mehrfach befragt hatte, ob sie denn in die Altstadt
mitkommen müsse, äußerte der Soldat, sie solle schon mitge-
hen. Den seinem Zug angehörenden Stabsunteroffizier Me., der
am Altstadtbesuch ebenfalls nicht teilnehmen wollte, forderte er
auf, gleichwohl mitzukommen.
Hilfsweise:
Der Soldat äußerte sich entsprechend, obwohl er hätte wissen
können und müssen, dass die Betroffenen die Äußerungen als
Befehl verstehen würden.
c. Der Soldat befahl am 28.03.2002 gegen 01:00 Uhr dem seinem
Zug angehörenden Unteroffizier Mül. im Verlauf des Besuchs
der D.er Altstadt, die Gruppe der Ausbilder und Hilfsausbilder
seines Zuges nach dem Verlassen des zunächst besuchten Lo-
kals ‚H…’ mit ‚Sichtzeichen’ zum nächsten Lokal zu führen. Als
Unteroffizier Mül. dies zunächst unter Hinweis darauf, dass man
doch privat unterwegs sei und jeder selbst entscheiden könne,
wo er sich aufhalten wolle, ablehnte, klärte der Soldat ihn darü-
ber auf, dass er als Zugführer 24 Stunden pro Tag sowie überall
sein Vorgesetzter nach § 1 der Vorgesetztenverordnung sei und
drohte ihm die vorläufige Festnahme an. Sodann setzte Unter-
offizier Mül. auf dem Weg zwischen dem Lokal ‚H.’ und dem
Lokal ‚B.’, das anschließend aufgesucht wurde, seine mündlich
erteilten Befehle in Sichtzeichen (‚Sammeln, Achtung, Verbin-
dungsaufnahme, Richtung oder Marsch’) gegenüber der geführ-
ten Gruppe um.
- 7 -
Hilfsweise:
Der Soldat äußerte dem Unteroffizier Mül. gegenüber, dieser
solle darauf achten, dass ‚alle zusammenblieben und er könne
dazu Sichtzeichen benutzen’, obwohl er hätte wissen können
und müssen, dass der Betroffene die Äußerung als Befehl auf-
fassen würde, zumal er ergänzend äußerte: ‚Theoretisch könnte
ich befehlen. Ich könnte Sie sogar festnehmen, wenn Sie mei-
nen Befehl nicht ausführen würden’.
d. Der Soldat befahl - nachdem er zwischenzeitlich gemeinsam
mit der Gruppe der Ausbilder und Hilfsausbilder seines Zuges
am 28.03.2002 gegen 01:00 Uhr die Discothek ‚B.’ in der D.er
Altstadt aufgesucht hatte - den an einem Tisch sitzenden und
zu seinem Zug gehörenden Unteroffizier W., Obergefreite
UA (w) Mü. und Unteroffizier F.: ‚W., Mül., F., auf, jetzt sofort
auf die Tanzfläche!’ Ergänzend äußerte er, dass er dem Stabs-
unteroffizier S., der am selben Tisch saß, aber dem III. Zug der
.../F…regiment angehörte, das Tanzen nicht befehlen könne,
denn er sei nicht dessen unmittelbarer Vorgesetzter. Der Unter-
offizier W. und die Obergefreite UA (w) Mü. tanzten daraufhin.
Gegenüber dem Unteroffizier F., der einwandte, er sei ‚marsch-
und sportbefreit’, beharrte der Soldat darauf, dieser müsse die
Tanzfläche gleichwohl betreten. Dem folgte der Unteroffizier F.
schließlich, indem er sich seitlich auf die Tanzfläche stellte.
Hilfsweise:
Der Soldat äußerte sich entsprechend, obwohl er hätte wissen
können und müssen, dass die Betroffenen die Äußerungen als
Befehl verstehen würden.
e. Der Soldat forderte am 28.03.2002 zwischen 01:00 Uhr und
etwa 05:00 Uhr in der Discothek ‚B.’ in der D.er Altstadt die
Obergefreite UA (w) Mü. mehrmals auf, mit ihm zu tanzen. Er
zog die Soldatin - trotz ihrer für ihn erkennbaren Ablehnung -
auf die Tanzfläche. Während des Tanzes hielt der Soldat die
Obergefreite UA (w) Mü., die einige Male versuchte, die Tanz-
fläche wieder zu verlassen, fest und verhinderte dies. Als sich
die Obergefreite UA (w) Mü. einmal weigerte, mit dem Soldaten
zu tanzen, äußerte der, dies könne auch befohlen werden. Da-
raufhin kam sie der Aufforderung nach.
f. Der Soldat ließ am 28.03.2002 zwischen 01:00 Uhr und
03:00 Uhr in der Discothek ‚B.’ in der D.er Altstadt der Oberge-
freiten UA (w) Mü. ausrichten, sie solle zu ihm kommen. Er saß
zu dieser Zeit in einer Sitzecke und forderte die herbeigerufene
Obergefreite UA (w) Mü. auf, sich auf sein Bein zu setzen. Die-
se Aufforderungen wiederholte er. Die Obergefreite UA (w) Mü.
folgte dem und musste sodann gegen ihren Willen ca.
- 8 -
5 Minuten auf seinem Schoß sitzen bleiben, während er ihr ver-
schiedene dienstliche Dinge erzählte.
g. Der Soldat verbot am 28.03.2002 gegen 03:00 Uhr in der Disco-
thek ‚B.’ in der D.er Altstadt der Obergefreiten UA (w) Mü. - mit
der er gerade tanzte -, gemeinsam mit den zu diesem Zeitpunkt
gerade aufbrechenden Unteroffizier F., Unteroffizier W. und
Obergefreiter H. zurück in die Kaserne nach Hilden zu fahren.
Die Obergefreite UA (w) Mü. blieb daraufhin vor Ort.
h. Der Soldat belehrte am Morgen des 28.03.2002 in der
W…kaserne, …, H., den Stabsunteroffizier Me. und den Ober-
gefreiten R., die beide seinem Zug angehörten und den Alt-
stadtbesuch in der vergangenen Nacht ebenfalls bereits gegen
03:00 Uhr beendet hatten, ohne sich bei ihm abzumelden, laut-
stark, dass dies nicht in Ordnung gewesen sei.
3. Der Soldat befahl am 25.04.2002 gegen 13:50 Uhr in der
W…kaserne, …, H., dem seinem Zug angehörenden Stabsunterof-
fizier S. und dem ebenfalls seinem Zug angehörenden Unteroffizier
Mül. - nachdem beide erst gegen 13:30 Uhr von einem
30 km-Leistungsmarsch der .../F…regiment …, bei dem sie sich er-
hebliche Wasserblasen an den Füßen zugezogen hatten, zurück-
gekehrt waren -, sofort zu duschen und sich umzuziehen, um die
Ausbildung der Rekruten sodann innerhalb von 20 Minuten fortzu-
führen. Darauf äußerten Stabsunteroffizier S. und Unteroffizier Mü.,
sie müssten wegen ihrer Blasen den Truppenarzt aufsuchen. Dem
entgegnete der Soldat, dass die knapp bemessene Zeit dies nicht
zulasse. Daraufhin mussten sich beide - ohne ärztliche Versor-
gung - sofort duschen und umziehen, um danach die Ausbildung
der Rekruten fortzuführen. Ca. 15 Minuten später befahl der Soldat
dem Obergefreiten R. den Stabsunteroffizier S., der zu diesem
Zeitpunkt bereits geduscht war und dessen Blasen gerade durch
den Stabsunteroffizier H. notdürftig versorgt wurden, zu holen, um
sofort mit der Ausbildung zu beginnen. Als der Obergefreite R. dem
Soldaten daraufhin meldete, dass Stabsunteroffizier S. gerade Ka-
meradenhilfe von Stabsunteroffizier H. erhalte, wiederholte der Sol-
dat den Befehl, Stabsunteroffizier S. zu holen. Nach dem Ende der
Ausbildung gegen 17:00 Uhr äußerte der Soldat dem Stabsunterof-
fizier S. gegenüber, warum er sich denn so angestellt hätte, ein Be-
fehl sei ein Befehl.
4. Der Soldat äußerte am 09.05.2002 auf dem Standortübungsplatz
Sch. bei E. bei einem ‚Kompaniebiwak’ der .../F…regiment … im
Hinblick auf eine zuvor geäußerte Bitte seines stellvertretenden
Zugführers, Oberfeldwebel E., - er möge sich doch mit der von ihm
beabsichtigten Ansprache beeilen, da seine Lebensgefährtin sich
noch unter den Gästen befinde - für die anwesenden Unteroffiziere
und Rekruten des ... Zuges vernehmlich: ‚Der Oberfeldwebel hat
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dahinten noch seinen Stich sitzen. Darum ziehe ich meine Anspra-
che vor.’“
Die 2. Kammer des Truppendienstgerichts … entfernte den Soldaten am 28. April
2003 wegen eines Dienstvergehens aus dem Dienstverhältnis und erkannte auf
einen Unterhaltsbeitrag in Höhe von 50 % der erdienten Dienstbezüge auf die
Dauer von zwölf Monaten.
Sie sah den angeschuldigten Sachverhalt aufgrund der von ihr getroffenen tat-
sächlichen Feststellungen weitgehend als erwiesen an und würdigte das Verhalten
des Soldaten disziplinarrechtlich wie folgt: In den Anschuldigungspunkten 1, 2 a,
2 h, 3 und 4 als vorsätzliche Verletzung der Pflichten zur Fürsorge nach § 10
Abs. 3 SG sowie zur Kameradschaft nach § 12 Satz 2 SG, in den Anschuldi-
gungspunkten 2 a - d, f, g als vorsätzliche Verletzung der Pflicht zum Erteilen
rechtmäßiger Befehle (§ 10 Abs. 4 SG), in den Anschuldigungspunkten 1, 2 a, b,
h, 3, 4 als vorsätzliche Verletzung der Pflicht zur Achtungs- und Vertrauenswür-
digkeit im dienstlichen Bereich nach § 17 Abs. 2 Satz 1 SG und in den Anschuldi-
gungspunkten 2 c, d, f, g als vorsätzliche Verletzung der Pflicht zur Achtungs- und
Vertrauenswürdigkeit im außerdienstlichen Bereich nach § 17 Abs. 2 Satz 2 SG,
das Verhalten des Soldaten insgesamt als ein Dienstvergehen gemäß § 23 Abs. 1
SG.
Zur Maßnahmebemessung führte die Kammer aus:
Das Dienstvergehen wiege sehr schwer. Korrekte Menschenführung sei für die
Funktionsfähigkeit der Streitkräfte von zentraler Bedeutung. Die Stellung des Sol-
daten als Staatsbürger in Uniform mache den nachdrücklichen Schutz der Unter-
gebenen gegen missbräuchliche Ausnutzung der dem Vorgesetzten anvertrauten
Gewalt zwingend erforderlich. Der Soldat habe sich zahlreicher Übergriffe gegen-
über Untergebenen schuldig gemacht und vor allem auch seine Befehlsbefugnis in
erheblichem Maße zu nicht in Beziehung zum Dienst stehenden Zwecken miss-
braucht. Er habe durch sein Fehlverhalten als Offizier und Zugführer ein miserab-
les Beispiel gegeben. Nach Bekanntwerden der Tat habe er als Zugführer abge-
löst werden müssen. Besonders zu Lasten des Soldaten gehe, dass er bereits mit
einem Beförderungsverbot wegen pflichtwidriger Behandlung von Untergebenen
- 10 -
habe gemaßregelt werden müssen und sich diese gerichtliche Disziplinarmaß-
nahme nicht zur Lehre habe gereichen lassen. Nach der erneuten einschlägigen
Disziplinarverfehlung sei der Soldat als Offizier nicht mehr tragbar. Dabei habe das
Gericht nicht zu Gunsten des Soldaten die enthemmende Wirkung des Alkohols
bei Begehung der meisten von ihm begangenen Dienstpflichtverletzungen ver-
kannt und auch nicht den Umstand, dass der Soldat nach Bekundung der Zeugen
Hauptmann L. und Hauptmann P. vor und nach der Tat ordentliche dienstliche
Leistungen erbracht habe. Da ein erneutes Beförderungsverbot als ungeeignete
Disziplinarmaßnahme ausscheide und ein Leutnant nicht im Dienstgrad herabge-
setzt werden könne, sei der Soldat aus dem Dienstverhältnis zu entfernen (§ 63
Abs. 1 WDO). Ein minder schwerer Fall sei nicht gegeben, sodass die Belassung
eines Dienstgrades nach § 63 Abs. 4 WDO nicht in Betracht komme. Die Verlän-
gerung der Dauer des Unterhaltsbeitrages von 50 % der erdienten Bezüge auf ein
Jahr sei aufgrund der Tatsache, dass der Soldat ohne beruflichen Abschluss sei,
gemäß § 63 Abs. 2 Satz 2 WDO gerechtfertigt.
Gegen dieses dem Soldaten am 13. Mai 2003 zugestellte Urteil hat sein Verteidi-
ger mit Schriftsatz vom 4. Juni 2003, der am 5. Juni 2003 bei der Truppendienst-
kammer eingegangen ist, Berufung in vollem Umfang eingelegt mit dem Antrag,
gegen den Soldaten eine mildere Disziplinarmaßnahme zu verhängen.
Zur Begründung hat der Verteidiger im Wesentlichen vorgetragen:
Die Entscheidung des Truppendienstgerichts halte einer Überprüfung im Beru-
fungsverfahren nicht stand. Die tatrichterliche Würdigung der Kammer sei nicht
haltbar. Der Soldat habe durchgängig bestritten, vorsätzlich gehandelt zu haben.
Zu Anschuldigungspunkt 1 vertrete das Gericht die Auffassung, dass der Soldat
zumindest einen Rekruten zum Genuss solcher Mengen von Bier verleitet habe,
dass er sich habe übergeben müssen. Unstrittig sei, dass das Trinkspiel „Captain
Hook“ gespielt worden sei und dass sich ein Rekrut übergeben habe. Aus der Be-
weisaufnahme ergebe sich aber entgegen der Auffassung des Erstgerichts, dass
alle Mitspieler, also auch der sich übergebende Rekrut, jederzeit die Möglichkeit
gehabt hätten, das Spiel zu beenden. Im Übrigen hätten weder der Zeuge F. noch
der Zeuge S. bekundet, dass sich der Rekrut während des Spiels übergeben ha-
be. Es könne daher durchaus sein und sei so gewesen, dass der betreffende Rek-
- 11 -
rut das Trinkspiel „Captain Hook“ beendet, dann an anderer Stelle weitergetrunken
und sich später übergeben habe. Dieses selbstverschuldete Betrinken des Rekru-
ten könne aber keinesfalls zu vorsätzlich begangenen Dienstpflichtverletzungen
des Soldaten gemäß § 10 Abs. 3, § 12 Satz 2 SG führen. Zu Anschuldigungs-
punkt 2 a vertrete das Truppendienstgericht die Auffassung, dass die Zeugen
auch hier eine vorsätzlich begangene Dienstpflichtverletzung bekundet hätten.
Hierzu sei zunächst festzustellen, dass der Zeuge F. zu dem Anschuldigungs-
punkt 2 a überhaupt nichts gesagt habe. Der Zeuge Mül. habe den Vorfall zwar
bestätigt, aber auch ausgesagt, dass die Rekruten das „Langmachen“ keinesfalls
als entwürdigend oder störend empfunden hätten. Diese Teilaussage sei nicht ge-
würdigt worden. Der Zeuge S. habe diesbezüglich bekundet, dass er das „Lang-
machen“ nicht als Befehl aufgefasst habe. Das Gericht stütze seine Rechtsauffas-
sung auch auf die Aussage des Zeugen R. In seiner Aussage habe der Zeuge R.
aber zweimal und sogar auf Nachfrage des Vorsitzenden bekundet, dass er zu
dem Anschuldigungspunkt 2 a keine genauen Angaben machen könne. Zum An-
schuldigungspunkt 2 b vertrete die Kammer die Auffassung, dass der Soldat einen
Befehl zum Besuch der Altstadt in D. erteilt und hierbei vorsätzlich gehandelt ha-
be. Auch dieses sei nach der Beweisaufnahme eine falsche Schlussfolgerung des
Gerichts. Hierzu habe z.B. der Zeuge Mül. ausgesagt, dass der Termin zum Alt-
stadtbesuch schon vor dem Zugabend ins Auge gefasst und abgesprochen wor-
den sei und der Soldat lediglich die Kameraden gedrängt habe, die Verabredung
doch einzuhalten und mit in die Altstadt zu kommen. Ein Befehl sei nicht erteilt
worden. Die Kammer stütze ihre Verurteilung bezüglich des Anschuldigungspunk-
tes 2 b auch auf die Aussage des Zeugen R. Aus dem Vernehmungsprotokoll er-
gebe sich aber, dass der Zeuge hierzu gar nichts gesagt habe. Nach Auffassung
des Soldaten sei auch der Anschuldigungspunkt 2 c (Führen mit Sichtzeichen)
nicht richtig gewürdigt worden. Zunächst sei darauf hinzuweisen, dass der Zeuge
R. sich an einen solchen Vorfall nur nach Vorhalt seiner Aussage vom 13. Mai
2002 habe erinnern können. Der Zeuge F. habe lediglich ausgesagt, dass der
Zeuge Mül. durch Sichtzeichen die Soldaten gesammelt habe. Der Zeuge Mül.
habe in seiner Aussage lediglich bestätigt, dass der Soldat ihn aufgefordert habe,
die Kameraden zusammenzurufen, damit man gemeinsam das Lokal wechseln
könne und sich in der Altstadt, die sehr voll gewesen sei, nicht verliere. Auf Nach-
frage habe der Zeuge Mül. dann ausdrücklich bestätigt, dass der Soldat nicht ge-
- 12 -
sagt habe, „ich befehle“. Die Einlassung des Soldaten, keinen Befehl erteilt zu ha-
ben, werde also von den Zeugen bestätigt. Wie das Truppendienstgericht zu der
Auffassung komme, dass gerade die Einlassung des Soldaten „in krassem Wider-
spruch zu seinem militärischen Gehabe steht“, halte einer Überprüfung nicht
stand. Auch hinsichtlich des Anschuldigungspunktes 2 d (Befehl zum Tanzen) ha-
be das Erstgericht den Sachverhalt und die Aussagen nicht richtig gewürdigt. Das
Gericht sage hierzu, dass „nach den Aussagen der Zeugen Mül., F. und S. nicht
zu bezweifeln ist, dass der Soldat den Befehl zum Tanzen“ gegeben habe. Wenn
man sich aber allein die Aussage des Zeugen S. ansehe, so könne man von der
Erteilung eines Befehls nicht sprechen, sondern allenfalls von einem gewissen
Nachdruck. Im Übrigen sei das Truppendienstgericht auf die diesbezügliche Ein-
lassung des Soldaten nicht eingegangen und habe keine Abwägung vorgenom-
men. Hätte es dieses getan, so wäre es allenfalls zu einer fahrlässigen Bege-
hungsweise gekommen. Der vom Anschuldigungspunkt 2 e erfasste Vorwurf sei
nicht bewiesen worden, sodass das Truppendienstgericht zu Recht den Soldaten
von diesem Vorwurf freigestellt habe. Der Vorwurf zu Ziffer 2 f („Zeugin Mü. solle
sich auf seinen Schoß setzen pp.“) sei durch die Zeugin Mü. und auch aufgrund
der Einlassung des Soldaten bestätigt worden, stelle sich aber im Lichte der Ge-
samtumstände keinesfalls so dar, wie das Truppendienstgericht den Sachverhalt
und die Umstände würdige. Der Besuch in der D.er Altstadt sei abgesprochen ge-
wesen. Es sei viel Alkohol getrunken, ausgelassen gefeiert, geredet, getanzt wor-
den und man habe einfach Spaß gehabt. Die Bitte des Soldaten an die Zeugin
Mü., zu ihm zu kommen und sich auf seinen Schoß zu setzen, sei hierbei aber
keineswegs als Belästigung, Ehrverletzung usw. aufzufassen, sondern schlicht
und einfach eine Bitte gewesen, da es zum einen in der Discothek sehr laut gewe-
sen sei und man sich nur habe unterhalten können, wenn man unmittelbar zu-
sammengesessen habe und zum anderen, weil kein anderer Platz vorhanden ge-
wesen sei. Der Anschuldigungspunkt 2 g solle nach Auffassung des Truppen-
dienstgerichts durch die Zeugin Mü. und den Zeugen F. bewiesen worden sein.
Auch diese Würdigung sei nicht richtig. So habe der Zeuge F. „nur“ ausgesagt,
dass er gemeinsam mit anderen Soldaten mit dem Taxi in die Kaserne habe zu-
rückfahren wollen und er diesbezüglich auch die Zeugin Mü. gefragt habe, die
dann ihrerseits gesagt habe, dass sie noch nicht mitfahren dürfe. Der Zeuge F.
habe also nicht gesagt, warum die Zeugin Mü. nicht mitfahren dürfe und wer ihr
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dieses verboten habe. Die Zeugin Mü. habe bekundet, dass sie deshalb nicht mit-
gefahren sei, weil sie „nicht von der Tanzfläche weggekommen ist“. Ein entspre-
chend vorsätzlich begangener Befehl seitens des Soldaten sei also weder von der
Zeugin Mü. noch von dem Zeugen F. bestätigt worden. Der Anschuldigungs-
punkt 2 h solle durch die Aussage des Zeugen R. bewiesen worden sein. Hierzu
habe der Zeuge in seiner Vernehmung vom 22. April 2003 zwar ausgesagt, dass
der Soldat ihn am Morgen des 28. März 2002 angeschrieen habe. In Verbindung
mit seiner Aussage vom 13. Mai 2002 ergebe sich aber, dass der Soldat den Zeu-
gen nur darüber belehrt habe, dass er (der Soldat) es nicht richtig gefunden habe,
wenn man sich ohne Verabschiedung von anderen Kameraden von einem ge-
meinsamen Kneipengang entferne, da so ja keiner wisse, wo man abgeblieben sei
und man sich Sorgen machen müsse, ob der Kamerad nicht irgendwo besoffen in
der Gosse liege. Dies sei ein ganz normales Verhalten und rechtfertige unter kei-
nem Gesichtspunkt die Annahme einer vorsätzlich begangenen Dienstpflichtver-
letzung gegen die Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit nach § 17 Abs. 2 Satz 1
SG und zur Kameradschaft nach § 12 Satz 2 SG. Bezüglich des Anschuldigungs-
punktes 3 vertrete die Kammer die Auffassung, dass der Vorwurf aufgrund der
Aussagen der Zeugen Mül. und R. nicht zu bezweifeln sei. Dies sei zwar richtig,
das Gericht setze sich aber mit keiner Silbe mit der Einlassung des Soldaten aus-
einander. Dies hätte das Truppendienstgericht aber machen müssen, zumal der
Vorwurf als solcher eigentlich zugestanden worden sei und nur aufgrund der ent-
standenen Zeitverschiebung und Zeitverzögerung so gehandelt worden sei, wie
letztendlich geschehen. Der Vorwurf zu Anschuldigungspunkt 4 sei eingestanden.
Aus den vorgenannten Gründen ergebe sich, dass das Urteil keinen Bestand ha-
ben könne. Das Urteil gehe teilweise von Zeugenaussagen aus, die so gar nicht
abgegeben worden seien, würdige die Aussagen falsch, lasse die Einlassungen
des Soldaten völlig außen vor und komme zu dem Schluss, dass sämtliche
Dienstvergehen vorsätzlich begangen worden seien, obwohl selbst der Wehrdis-
ziplinaranwalt in seiner Anschuldigungsschrift, wenn auch nur hilfsweise, von einer
fahrlässigen Begehungsweise ausgehe. Selbst wenn sich in der Berufungshaupt-
verhandlung tatsächlich herausstelle und auch der Senat zu der Überzeugung
komme, dass der Soldat in jedem Fall vorsätzlich gehandelt habe, könne nach
Auffassung des Soldaten die erstinstanzliche Verurteilung keinen Bestand haben.
Die verhängte Disziplinarmaßnahme sei unverhältnismäßig und unangemessen.
- 14 -
Dieses ergebe sich aus folgendem: Nach § 38 Abs. 2 WDO, der Ausdruck des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit des Mittels sei, sei bei Dienstvergehen in der
Regel mit den milderen Disziplinarmaßnahmen zu beginnen und erst bei erneutem
Dienstvergehen zu schwereren Disziplinarmaßnahmen überzugehen. Diese Vor-
schrift gelte gemäß § 58 Abs. 7 WDO auch im gerichtlichen Disziplinarverfahren
und hätte demnach Anwendung finden müssen. Dies habe das Truppendienstge-
richt nicht gemacht. Entsprechend dem Grundsatz des § 38 Abs. 2 WDO hätte
also folgendes beachtet werden müssen:
Da der Soldat schon einmal zu einem Beförderungsverbot von einem Jahr verur-
teilt worden sei, hätte in entsprechender Anwendung des § 38 Abs. 2 WDO als
nächsthöhere Stufe das Beförderungsverbot von mehr als einem Jahr oder, wenn
man zu der Überzeugung komme, dass diese Stufe aufgrund der Schwere des
Dienstvergehens überhaupt nicht mehr anwendbar ist, die Herabsetzung in der
Besoldungsgruppe ausgeurteilt werden müssen. Hierzu sage das Erstgericht aber
gar nichts. Es gehe mit seiner Verurteilung gleich drei Stufen höher und verhänge
die gerichtliche Disziplinarmaßnahme der Stufe fünf, nämlich die Entfernung aus
dem Dienstverhältnis. Das Truppendienstgericht hätte zumindest in den Entschei-
dungsgründen auf diese Stufenfolge eingehen und letztendlich auch begründen
müssen, warum es diese Zwischenstufe als nicht für ausreichend ansehe. Selbst
wenn das Truppendienstgericht bei dem vorgeworfenen Dienstvergehen die Stufe
drei als nicht mehr ausreichend ansehe, hätte es, aufgrund der richtigen Annah-
me, dass die Stufe vier aufgrund des Dienstgrades des Soldaten keine Anwen-
dung finde, § 59 Abs. 4 WDO beachten und neben dem Beförderungsverbot die
Kürzung der Dienstbezüge ausurteilen müssen. Es habe daher allenfalls die Dis-
ziplinarmaßnahme einer Herabsetzung in der Besoldungsgruppe oder ein Beförde-
rungsverbot von maximal vier Jahren und eine Kürzung der Dienstbezüge ver-
hängt werden dürfen. Eine Entfernung aus dem Dienstverhältnis sei unverhältnis-
mäßig und unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt begründet. Das Truppen-
dienstgericht habe zudem bei der Entscheidung die „guten Seiten“ des Soldaten
nicht berücksichtigt, zumindest ergebe sich dieses nicht aus den Entscheidungs-
gründen. So habe zum Beispiel der derzeitige Vorgesetzte ausgesagt, dass die
heute von dem Soldaten zu erbringenden Arbeiten fachlich absolut in Ordnung
seien und er auch mit den jetzigen Kameraden absolut gut auskomme. Selbst der
ehemalige Vorgesetzte des Soldaten, der Zeuge L., der letztendlich die Verset-
- 15 -
zung des Soldaten aufgrund der vorgeworfenen Dienstvergehen angestrebt habe,
habe ausgesagt, den Eindruck gehabt zu haben, dass der Soldat sein früheres
Fehlverhalten, das zur ersten Verurteilung geführt habe, eingesehen habe; der
Soldat habe alle Projekte gut bis sehr gut ausgeführt und es habe sich kein Unter-
führer oder Rekrut beschwert. Auch der Zeuge R., auf dessen Aussage das Ge-
richt überwiegend zurückgegriffen habe, habe bekundet, dass er in dem Soldaten
ein Vorbild gesehen und er nur deshalb die Offizierslaufbahn eingeschlagen habe,
da der Soldat ihn dazu angeregt habe. Aus den weiteren Zeugenaussagen lasse
sich ohne weiteres ableiten, dass es sich bei dem Soldaten zwar um einen stren-
gen Ausbilder und Vorgesetzten gehandelt, er aber durchaus auch gute Qualitäten
gehabt habe und immer noch habe. All dieses habe das Erstgericht unbeachtet
gelassen. Abschließend sei darauf hinzuweisen, dass das Gericht auch § 38
Abs. 1 WDO bezüglich der Auswirkungen des Urteils auf die weitere Zukunft des
Soldaten nicht richtig bzw. überhaupt nicht bedacht habe, denn auf die nachfol-
genden Argumente sei das Truppendienstgericht überhaupt nicht eingegangen.
Der Soldat sei unmittelbar nach dem Abitur zum Grundwehrdienst eingezogen und
mit Wirkung vom 1. Juli 1997 in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit beru-
fen worden. Wenn er nun tatsächlich aus dem Dienstverhältnis entfernt werde, so
sei zu bedenken, dass ihm eine Berufsausbildung und ein beruflicher Abschluss
fehlten. Seine beruflichen Perspektiven seien gleich Null. Aufgrund seines Alters
werde er es sehr schwer haben, einen Ausbildungsplatz zu finden, sodass er zu-
künftig allenfalls als Angelernter irgendwo im Handel, im Handwerk oder in der
Industrie tätig sein müsse. Insgesamt lasse sich feststellen, dass das Urteil des
Truppendienstgerichts keinen Bestand haben könne. Es sei aufzuheben und eine
gerichtliche Disziplinarmaßnahme zu verhängen, die deutlich unterhalb der aus-
geurteilten Disziplinarmaßnahme liege.
In der Berufungshauptverhandlung hat der Verteidiger beantragt, den Soldaten
freizusprechen.
- 16 -
III
1. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, ihre Förmlichkeiten sind gewahrt
(§ 115 Abs. 1, § 116 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 WDO).
2. Das Rechtsmittel des Soldaten ist ausdrücklich und nach dem wesentlichen In-
halt seiner Begründung in vollem Umfang eingelegt. Der Senat hat daher im Rah-
men der Anschuldigung (§ 123 Satz 3 i.V.m. § 107 Abs. 1 WDO) eigene Tat- und
Schuldfeststellungen zu treffen, diese rechtlich zu würdigen und die sich daraus
ergebenden Folgerungen zu ziehen sowie gegebenenfalls unter Beachtung des
Verschlechterungsverbots (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 Abs. 1 StPO)
über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden.
3. Die Berufung hat in dem aus dem Tenor der Entscheidung ersichtlichen Umfang
Erfolg.
a) Aufgrund der Einlassung des Soldaten, soweit ihr gefolgt werden kann, der ge-
mäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 StPO zum Gegen-stand
der Berufungshauptverhandlung gemachten Urkunden und Schriftstücke sowie der
Bekundungen der in der Berufungshauptverhandlung vernommenen Zeugen
Stabsunteroffizier (w) Mü., Unteroffizier d.R. F., Stabsunteroffizier d.R. Me., Herrn
Mike P., Stabsunteroffizier L., Herrn Richard Ho., Herrn Michael St., Herrn André
Lo., Herrn Swen Sw., Herrn Leopold von B., Stabsunteroffizier S., Hauptgefreiter
d.R. Jan-Manfred Sa., Stabsunteroffizier Mül., Fahnenjunker R., Stabsunteroffizier
Sn., Oberfeldwebel E., Hauptfeldwebel F., Hauptmann P., Major Ro., Major von
der H. und Herrn Daniel C. hat der Senat folgenden Sachverhalt festgestellt:
Anschuldigungspunkt 1
Aufgrund der übereinstimmenden Aussagen der Zeugen P., Lo., von B., Le. und
Me. hält der Senat den Tatvorwurf zu Anschuldigungspunkt 1 für erwiesen. Der
Senat hat festgestellt, dass der Soldat im Verlauf eines Zugabends in der letzten
Oktoberwoche 2001 im Mannschaftsheim der W…kaserne in H. mit mehreren
Rekruten des von ihm geführten II. Zuges der .../F…Rgt … das Trinkspiel „Captain
- 17 -
Hook“ spielte. Die Zeugen haben ebenfalls mitgespielt. Bei diesem Spiel sitzt man
sich gegenüber. Eine Person macht mit der Hand Bewegungsspiele, die dann an-
schließend von dem Mitspieler oder den Mitspielern imitiert werden „müssen“.
Schafft dies der Mitspieler nicht, muss er ein Bier trinken und es noch einmal ver-
suchen. Das Spiel ist, wie die Zeugen P., Lo, von B., Le. und Me. weiter ausge-
sagt haben, aufgrund des damit verbundenen hohen Alkoholkonsums im Kern da-
rauf angelegt, den jeweils anderen Mitspieler wegen des wettkampfähnlichen Cha-
rakters des Spiels betrunken zu machen, was vom Soldaten, der das Spiel in sei-
ner Zeit beim F…regiment … kennen gelernt hatte, nicht bestritten wird. Es war,
wie die vorgenannten Zeugen weiter ausgesagt haben, das Ziel der mitspielenden
Rekruten, die Gelegenheit zu nutzen, den Zugführer betrunken zu erleben, wäh-
rend dieser seinerseits als Gewinner hervorgehen wollte. Zwar wird die Einlassung
des Soldaten, dass die Rekruten jederzeit das Spiel freiwillig hätten abbrechen
können, von den vorgenannten Zeugen bestätigt. Gleichwohl hat der Soldat durch
seine Initiative und aktive Teilnahme an diesem Wettkampfspiel dazu beigetragen,
dass mitspielende Rekruten immer wieder von neuem und in kurzen zeitlichen Ab-
ständen ermuntert wurden, erhebliche Mengen an Alkohol zu trinken. Hierbei ha-
ben einige Rekruten, wie die vorgenannten Zeugen ferner aussagten, ihre „Trink-
Grenzen“ überschritten und den Zeitpunkt des erforderlichen Aufhörens falsch
eingeschätzt. Zwei der mitspielenden Rekruten mussten sich aufgrund des Ge-
nusses einer insgesamt erheblichen Menge an Bier übergeben, mindestens einer
davon noch am Tisch. Die Zeugen P. und von B. haben vor dem Senat anschau-
lich geschildert, wie sie selbst aufgrund der Dynamik des Spiels und des damit in
kurzer Zeit einhergehenden Genusses einer hohen Menge an Bier die Grenzen
des Aufhörens nicht mehr richtig einschätzen konnten und sich deshalb übergeben
mussten.
Anschuldigungspunkt 2 a
Der Senat hat aufgrund der in sich widerspruchsfreien, übereinstimmenden und
glaubhaften Aussagen der Zeugen Lo., Sa., Ho., S. und R. festgestellt, dass der
Soldat am 27. März 2002 zwischen 20.00 Uhr und 23.00 Uhr im Verlauf eines
dienstlich befohlenen Zugabends des II. Zuges der .../F…Rgt … seinen Zug grup-
penweise auf der Straße vor der Küche des Mannschaftsheimes der W…kaserne
in H. antreten ließ und die Gruppenführer aufforderte, den Rekruten - nach Been-
- 18 -
digung der Grundausbildung - die gelben Litzen (Aufschiebeschlaufen der Fern-
melder) zu verleihen. Zuvor sollten die Gruppenführer die Rekruten „noch etwas
lang machen“. Hierbei wurden die Rekruten lautstark und dem Sinne nach befragt,
ob sie sich denn auch alle die Litzen verdient hätten. Dies bekräftigten die Rekru-
ten lautstark. Den Stabsunteroffizier S. rief der Soldat zwischenzeitlich zu sich und
rief ihm mit laut erhobener Stimme zu, dass er die Rekruten nicht lang genug
„rund gelutscht“ habe.
Die Zeugen Lo., Sa., Ho., S. und R. haben jedoch den Tatvorwurf, die Rekruten
seien im Beisein des Soldaten von deren Gruppenführern „angeschrieen“ worden,
übereinstimmend nicht bestätigt. Nach ihren Aussagen haben die Rekruten die
Verleihung der Litzen positiv aufgenommen; alle hätten sich gefreut und das Gan-
ze als lustig und spaßig empfunden.
Nachdem allen Rekruten die Litzen übergeben worden waren, fragte sie der Sol-
dat, ob sie kürzlich den Film „Keine Angst vor Major Pain“ im Fernsehen gesehen
hätten. Als der Großteil der Rekruten die Frage bejahte, sagte der Soldat dann zu
ihnen: „So meine Herren in diesem Sinne, jetzt seid ihr keine Maden mehr, jetzt
seid ihr Würmer“. Die Rekruten haben über diesen Ausspruch gelacht oder ge-
grinst. Zum Abschluss ließ der Soldat den Zug mit einem dreifachen „Fernmelde-
Hurra“ hochleben. Die Funker bedankten sich mit einem dreifachen „Fernmelde-
Hurra“ auf die Ausbilder. Anschließend ging man wieder zum gemütlichen Teil des
Zugabends über.
Anschuldigungspunkt 2 b
Der Senat sah den Tatvorwurf als nicht erwiesen an, weshalb der Soldat von die-
sem Anschuldigungspunkt freizustellen war.
Der Soldat bestreitet, den Ausbildern und Hilfsausbildern seines Zuges am
27. März 2002 gegen Ende des Zugabends des II. Zuges der .../F…Rgt … um
23.00 Uhr befohlen zu haben, gemeinsam mit ihm die D.er Altstadt zu besuchen.
Seine Einlassung, der Besuch der Altstadt sei schon zwei Wochen zuvor mit den
Ausbildern abgesprochen worden, und er habe keinem der Ausbilder oder Hilfs-
ausbilder den Befehl erteilt, mit in die Altstadt zu fahren, wird übereinstimmend
von den Zeugen Me., Ho., St. und Sa. bestätigt. Die Aussagen der Zeugen waren
sehr präzise und deckungsgleich. Der vom Wehrdisziplinaranwalt in der Anschul-
digungsschrift genannte Zeuge Me. sagte in diesem Zusammenhang klar und be-
- 19 -
stimmt aus, als der Soldat ca. zwei Wochen vor dem 27. März 2002 den Stamm
des ... Zuges gefragt habe, ob denn nicht Interesse bestehe, wieder einmal ge-
meinsam in die Altstadt zu fahren, hätten sich zu Beginn alle Ausbilder damit ein-
verstanden erklärt, mitzugehen. Hierbei habe der Soldat lediglich ganz allgemein
gefragt; es sei keinesfalls ein Befehl erteilt worden, an dem Besuch teilzunehmen.
Sinn des Besuchs habe es sein sollen, die Kameradschaft zu pflegen und zu för-
dern. Der Soldat habe dann zwar später, als einige Kameraden wieder „absprin-
gen“ wollten, diese darauf hingewiesen, dass zunächst doch alle zugestimmt hät-
ten und es keinen Sinn mache, jetzt wieder „abzuspringen“. Der damalige Oberge-
freite R. und die damalige Obergefreite (UA) Mü., die zunächst eigentlich nicht
hätten mitgehen wollen, seien schließlich von den Unteroffizieren überredet wor-
den, doch mitzugehen. Jeder Ausbilder habe aber auch in der Kompanie bleiben
können. Der einzige, der nicht in die Altstadt mitgegangen sei, sei der Stabsunter-
offizier K. gewesen. Hieran, so der Zeuge Me., sei auch zu erkennen, dass der
Soldat niemanden zum Altstadtbesuch gezwungen habe. Während der Zeuge R.
sich nicht mehr hat erinnern können, ob der Soldat den Altstadt-Besuch befohlen
oder ob es sich insoweit eher um eine Art von Gruppenzwang gehandelt habe,
sagte die Zeugin Mü. aus, sie habe schon etliche Tage vor dem 27. März 2002
erfahren, dass nach dem Zugabend ein Besuch der D.er Altstadt stattfinden solle.
Sie sei zu dem Zeitpunkt erst eine knappe Woche im Zug gewesen, habe sich
noch nicht richtig zugehörig gefühlt und deshalb ursprünglich nicht mitgehen wol-
len. Der Soldat habe ihr jedoch vermittelt, dass sie „dazu gehöre“, dass der Be-
such Teil der Kameradschaft sei und dass sie mitgehen solle. Da sie sich den Ein-
stand in den Zug nicht habe verderben und nicht als Außenseiter habe dastehen
wollen, habe sie sich an dem Besuch der Altstadt beteiligt. Auf Nachfrage des Se-
nats hat die Zeugin Mü. klar ausgesagt, der Soldat habe ihr den Besuch nicht be-
fohlen.
Da keiner der vom Senat vernommenen Zeugen den Tatvorwurf bestätigte, war
der Soldat von Anschuldigungspunkt 2 b freizustellen.
Anschuldigungspunkt 2 c
Dem Soldaten war seine Einlassung, dem seinen Zug angehörenden Stabsunter-
offizier Mül. am 28. März 2002 gegen 1.00 Uhr im Verlauf des Besuchs der D.er
Altstadt nicht - wie angeschuldigt - befohlen zu haben, die Gruppe der Ausbilder
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und Hilfsausbilder seines Zuges nach dem Verlassen des zunächst besuchten
Lokals „H.“ mit „Sichtzeichen“ zum nächsten Lokal zu führen, nicht mit der für eine
Verurteilung erforderlichen Sicherheit zu widerlegen.
Zwar haben die Zeugen Mül. und F. ausgesagt, der Soldat habe, wie angeschul-
digt, dem Zeugen Mül. den Befehl erteilt, alle Ausbilder zum Verlassen des Lokals
„H.“ zu bewegen und zum nächsten Lokal, der Diskothek „B.“, mit Sichtzeichen zu
führen; vorausgegangen sei die Bemerkung des Zeugen Mül., er sei doch als Pri-
vatperson unterwegs und jeder Ausbilder könne selbst entscheiden, wo er sich
aufhalten wolle. Nachdem der Soldat aber, so die beiden Zeugen weiter, dem
Zeugen Mül. die vorläufige Festnahme angedroht habe, habe dieser den Befehl
ausgeführt. Zweifel an diesen Aussagen ergeben sich jedoch zum einen daraus,
dass der Zeuge Mül. auf Nachfrage des Senats nicht hat ausschließen können,
dass die von dem Soldaten ausgesprochene Androhung einer vorläufigen Fest-
nahme und die Erteilung eines Befehls lediglich „theoretisch“ gemeint gewesen
sein konnten, ohne dass im konkreten Fall ein solcher Befehl erteilt worden und
die Androhung einer vorläufigen Festnahme erfolgt sei. Zum anderen spricht ge-
gen die inhaltliche Richtigkeit der Bekundung der beiden Zeugen, dass die damals
ebenfalls anwesenden Zeugen St., Ho., Sa. und Me. völlig deckungsgleich ausge-
sagt haben, der Soldat habe dem Zeugen Mül. keinesfalls einen Befehl erteilt. Der
Zeuge Ho. hat bekundet, der Zeuge F. habe ohnehin auf keinen Fall das Ge-
spräch des Soldaten mit dem Zeugen Mül. hören können, da er sich mit ihm und
noch einigen anderen Ausbildern ziemlich weit abseits aufgehalten habe. Der
Zeuge e., der direkt neben dem Soldaten und dem Zeugen Mül. stand, hat sehr
bestimmt vor dem Senat ausgesagt, er habe nicht gehört, dass der Soldat dem
Zeugen Mül. einen Befehl erteilt habe. Der Zeuge Me. hat aber wahrgenommen,
dass der Zeuge Mül. unmittelbar nach seinem Gespräch mit dem Soldaten zu den
anderen Ausbildern gegangen sei und diesen mitgeteilt habe, der Leutnant habe
einen Befehl erteilt.
Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen und sich teilweise widersprechenden
Zeugenaussagen ist der Tatvorwurf nicht mit hinreichender Gewissheit belegt. Zu-
sätzliche Zweifel ergeben sich daraus, dass nicht auszuschließen ist, dass erst der
Zeuge Mül. aus den - nach Aussagen der anderen Zeugen keinen Befehl enthal-
tenden - Worten des Soldaten einen Befehl „machte“.
Der Soldat war daher von Anschuldigungspunkt 2 c freizustellen.
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Anschuldigungspunkt 2 d
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das dem Soldaten vorgeworfene
Verhalten nicht erwiesen.
Allerdings hat der Zeuge F. bekundet, er habe, obwohl er damals „marsch- und
sportbefreit“ gewesen sei, gleichwohl die Tanzfläche betreten müssen, was er oh-
ne einen Befehl sicherlich nicht getan hätte. Die Aussage des Zeugen F. ist jedoch
schon deshalb mit Vorsicht zu werten, da er an dem Abend offensichtlich über den
Soldaten verärgert war, weil dieser, wie er vor dem Senat ausgesagt hat, „nur den
Vorgesetzten herausgekehrt habe“. Durchgreifende Zweifel an den Bekundungen
des Zeugen ergeben sich jedoch daraus, dass sie von anderen Zeugen nicht be-
stätigt worden sind.
Die Zeugen Me., Sa. und Ho. haben übereinstimmend und glaubhaft vor dem Se-
nat ausgesagt, der Soldat habe nicht - wie angeschuldigt - einen Befehl zum Tan-
zen gegeben. Der Soldat sei auf die Tanzfläche gegangen und habe die Ausbilder,
die nur an ihrem Tisch gesessen seien, ermuntert und aufgefordert zu tanzen. Ein
Befehl könne es schon deshalb nicht gewesen sein, weil ein Teil der Kameraden
sitzen geblieben sei. Auch der Zeuge Sn. hat bekundet, ihm gegenüber sei das
Wort „Befehl“ nicht geäußert worden. Der Zeuge Mül. und die Zeugin Mü. haben
ebenfalls einen Befehl des Soldaten zum Tanzen nicht bestätigen können. Beide
Soldaten haben ausgesagt, es habe sich nach ihrer Erinnerung um eine nach-
drückliche Aufforderung zum Tanzen gehandelt, mehr jedoch nicht.
Der Soldat war daher von Anschuldigungspunkt 2 d freizustellen.
Anschuldigungspunkt 2 e
Der Soldat war auch von diesem Tatvorwurf freizustellen.
Die Zeugen Me., St. und Ho. haben übereinstimmend und unmissverständlich be-
kundet, der Soldat habe die Zeugin Mü. weder auf die Tanzfläche gezogen noch
ihr befohlen, mit ihm zu tanzen oder sie auf der Tanzfläche festgehalten. Die Zeu-
gin Mü. hat diese Aussagen im Kern bestätigt. Der Soldat habe sie zwar öfter zum
Tanzen aufgefordert und sie habe mehrfach mit ihm getanzt. Auch habe sie das
Gefühl gehabt, dass er sie „schon ein wenig zum Tanzen gedrängt“ habe. Der
Soldat habe sie aber zu keinem Zeitpunkt auf die Tanzfläche gezogen und ihr
auch nicht mit einem Befehl gedroht. Das Tanzen mit dem Soldaten sei nicht ge-
- 22 -
gen ihren Willen erfolgt. Im Übrigen sei ihr klar gewesen, dass sie der Aufforde-
rung zum Tanzen nicht hätte nachkommen müssen.
Anschuldigungspunkt 2 f
Der Tatvorwurf ist von dem Soldaten eingestanden.
Der Soldat räumt ein, er habe die Zeugin Mü. wegen dienstlicher Probleme zu sich
gerufen und sie aufgefordert, sich auf sein Bein zu setzen, obwohl auf der Sitz-
ecke noch ein Platz für die Zeugin frei gewesen sei. Die Zeugin Mü. hat dies be-
stätigt und glaubhaft ausgesagt, der Soldat habe sie wiederholt und mit Nachdruck
aufgefordert, sich auf sein Bein zu setzen. Sie habe ca. 5 Minuten auf seinem
Schoß gesessen und der Soldat habe ihr verschiedene dienstliche Dinge erzählt.
Sie hat das Verhalten des Soldaten auf wiederholte Nachfrage des Senats als
„nicht angenehm“, „zudringlich“ und „nicht ihrem Willen entsprechend“ geschildert.
Anschuldigungspunkt 2 g
Der Tatvorwurf konnte dem Soldaten nicht nachgewiesen werden.
Die Zeugin Mü. hat nicht bestätigt, dass der Soldat ihr - wie angeschuldigt - verbo-
ten habe, gemeinsam mit den gerade aufbrechenden Unteroffizieren F. und W.
sowie dem Obergefreiten Ho. zurück in die Kaserne nach H. zu fahren. Die Zeugin
hat lediglich ausgesagt, der Soldat habe sie immer wieder aufgefordert zu tanzen
und während eines Tanzes ihr gegenüber geäußert, sie solle nicht mitfahren. Da-
raufhin habe sie sich nicht getraut wegzugehen. Diese Aussage deckt sich mit der
Bekundung des Zeugen F. Diesem gegenüber hatte die Zeugin Mü. auf seine Fra-
ge, ob sie in die Kaserne mitkommen wolle, nicht von einem Verbot durch den
Soldaten gesprochen, sondern ihm sinngemäß erwidert, sie könne die Diskothek
wegen des „Tanzbärs“ nicht verlassen.
Anschuldigungspunkt 2 h
Der Soldat war von diesem Anschuldigungspunkt freizustellen.
Die Beweisaufnahme hat nicht ergeben, dass der Soldat im Sinne des Tatvorwurfs
die Zeugen Me. und R. lautstark darüber belehrt hat, es sei nicht in Ordnung ge-
wesen, dass sie sich beim Beenden des Altstadtbesuchs bei ihm nicht abgemeldet
hätten. Die Einlassung des Soldaten, er habe die beiden Zeugen am nächsten
Morgen in einem Gespräch und in ganz normalem Tonfall gefragt, weshalb sie
- 23 -
sich nicht abgemeldet hätten, hat ihm nicht widerlegt werden können. Der Zeuge
R. hat ausgesagt, er könne sich an eine lautstarke Belehrung nicht erinnern. Der
Zeuge Me. hat glaubhaft bekundet, der Soldat habe ihnen beiden gegenüber am
nächsten Morgen lediglich geäußert, weshalb sie denn plötzlich verschwunden
seien; für ihn, den Soldaten, sei es sehr enttäuschend gewesen, dass sie beide,
ohne ein Wort zu sagen, sich „abgeseilt“ hätten. Der Zeuge Me. hat weiter ausge-
sagt, als R. und er dem Soldaten die Sachlage geschildert hätten, habe der Soldat
dafür Verständnis gezeigt und sei zufrieden gewesen. Andere Beweismittel zum
Nachweis des angeschuldigten Verhaltens liegen nicht vor.
Anschuldigungspunkt 3
Nach dem Ergebnis der Beeisaufnahme ist der angeschuldigte Sachverhalt durch
die glaubhaften Aussagen der Zeugen S., Mül. und R. erwiesen:
Am 25. April 2002 absolvierten die Zeugen S. und Mül. einen 30 km-
Leistungsmarsch. Nach Erreichen des Kompaniegebäudes gegen 13.30 Uhr ruh-
ten sie sich zusammen mit dem Zeugen R. im Unteroffiziervorbereitungsraum aus.
Nach ca. 10 Minuten betrat der Soldat den Vorbereitungsraum und forderte sie
auf, zu duschen und in 20 Minuten mit der Ausbildung zu beginnen. Die Zeugen S.
und Mül. meldeten dem Soldaten, dass sie den Truppenarzt aufsuchen wollten, da
sie sich an den Füßen schmerzhafte und blutige Wasserblasen zugezogen hätten.
Der Zeuge Mül. klagte außerdem über Schmerzen im Knie. Nach den glaubhaften
Aussagen der Zeugen Mül. und S. nahm der Soldat wahr, dass die beiden Zeugen
„humpelten“. Der Soldat meinte jedoch, die knapp bemessene Zeit ließe das Auf-
suchen des Truppenarztes nicht zu, die Zeugen sollten sich nicht „so anstellen“
und wiederholte seinen Befehl, in 20 Minuten mit der Ausbildung zu beginnen. Da-
raufhin gingen die beiden Zeugen - ohne ärztliche Versorgung - zum Duschen und
zogen sich um, um mit der Ausbildung der Rekruten zu beginnen. Wenige Minuten
später versuchte Stabsunteroffizier H. notdürftig, die Blasen des Zeugen S. zu
versorgen. Zu dem Zeitpunkt erschien der Zeuge R., dem der Soldat befohlen hat-
te, den Zeugen S. zur Ausbildung zu holen. Nach Abschluss der Ausbildung gegen
17.00 Uhr wurde eine kurze Ausbilderbesprechung abgehalten. In einem Vier-
Augen-Gespräch fragte der Soldat den Zeugen S., weshalb er sich denn „so an-
gestellt“ habe, ein Befehl sei ein Befehl.
- 24 -
Darüber hinaus hat der Zeuge Me. in der Berufungshauptverhandlung bekundet,
er habe gehört, dass der Soldat zu den Zeugen Mül. und S. gesagt habe, im
Lichthof der Kompanie befinde sich doch ein Sanitäter, sie müssten deshalb nicht
zum Truppenarzt in den Sanitätsbereich gehen. Der Soldat hat diese Aussage
nach anfänglichem Nichterinnern bestätigt. Daran ändert auch nichts, dass die
Zeugen Mül. und S. übereinstimmend ausgesagt haben, persönlich einen Sanitä-
ter im Lichthof nicht gesehen zu haben. Denn dies bedeutet noch nicht, dass kein
Sanitäter vorhanden war. Auf Nachfrage des Senats hat der Soldat erklärt, dass
eine ordnungsgemäße Rekrutenausbildung an diesem Tage ohne die Zeugen Mül.
und S. hätte durchgeführt werden können.
Anschuldigungspunkt 4
Der Soldat befahl am 9. Mai 2002 gegen 19.00 Uhr beim Kompaniebiwak auf dem
Standortübungsplatz Sch. bei E. alle Kameraden des II. Zuges der .../F…Rgt …,
auch den stellvertretenden Zugführer des ... Zuges, den Zeugen E., zu einer ge-
selligen Runde. Der Zeuge E. sagte ihm, er möge sich mit seiner Ansprache beei-
len, da seine Freundin sich aus Anlass des Elterntages im Biwak noch unter den
Gästen befinde. Darauf antwortete der Soldat nach der glaubhaften Aussage des
Zeugen E. vor den Rekruten und Unteroffizieren: „Der Oberfeldwebel hat dahinten
noch seinen Stich sitzen. Darum ziehe ich meine Ansprache vor“. Wie der Zeuge
E. weiter ausgesagt hat, haben hierauf fast alle anwesenden Funker gelacht. Eini-
ge der Unteroffiziere hätten eine versteinerte Miene gezeigt.
Der Soldat räumt den Sachverhalt ein und hat sich im Übrigen dahin eingelassen,
er sei zu diesem Zeitpunkt genervt gewesen und habe nicht lange nachgedacht,
was er sage. Er habe sich später bei dem Zeugen E. entschuldigt, der die Ent-
schuldigung angenommen habe. Der Zeuge E. hat dies bestätigt.
b) Das Verhalten des Soldaten ist disziplinarrechtlich wie folgt zu würdigen:
In Anschuldigungspunkt 1 (Trinkspiel „Captain Hook“) hat der Soldat durch das
Verleiten der mitspielenden Rekruten zum Genuss erheblicher Mengen Alkohols
vorsätzlich gegen seine Kameradschaftspflicht (§ 12 Satz 2 SG) verstoßen. Denn
er trug durch sein Verhalten während des Zugabends wesentlich dazu bei, dass
seine Kameraden durch das wettkampfähnliche Trinken unter seiner Duldung und
aktiven Mitwirkung zum Alkoholgenuss animiert und veranlasst wurden. Vor den
- 25 -
damit verbundenen Nachteilen und Risiken hat sie der Soldat - obwohl ihr Zugfüh-
rer - nicht bewahrt. Erhebliche alkoholbedingte Ausfälle stellten sich ein und beein-
trächtigten die körperliche Unversehrtheit. Die davon betroffenen Soldaten gelang-
ten so in einen menschenunwürdigen Zustand, in dem sie ihr Verhalten nicht mehr
oder jedenfalls nur noch sehr bedingt überblicken und steuern konnten. Soweit die
Soldaten im Einzelfall damit einverstanden gewesen sein sollten, ändert dies
nichts daran, dass sie durch den Soldaten zu einem solchen - mit der unverzicht-
baren Menschenwürde (vgl. Urteil vom 17. Oktober 2000 - BVerwG 2 WD 12.00,
13.00 -
DokBer B 2001, 16>) unvereinbaren - Fehlverhalten im Rahmen einer dienstlichen
Veranstaltung verleitet wurden. Zugleich verletzte der Soldat damit seine Fürsor-
gepflicht gemäß § 10 Abs. 3 SG, da er als Zugführer unmittelbarer Vorgesetzter
nach § 1 VorgV war. Denn nach Nr. 403 ZDv 10/5 ist die Vermeidung von Alko-
holmissbrauch in der militärischen Gemeinschaft Aufgabe aller Vorgesetzten. Für
die Feststellung eines Dienstvergehens kommt es im Übrigen nicht darauf an, in
welcher Form ein Soldat den Tatbestand der unwürdigen oder ehrverletzenden
Behandlung Dritter verwirklicht hat (vgl. Urteile vom 10. November 1998 - BVerwG
2 WD 4.98 -
1999, 78 [f.] = NVwZ 1999, 659 [ff.] = ZBR 1999, 343 [f.]> und vom 13. Februar
2003 - BVerwG 2 WD 33.02 -
veröffentlicht>), entscheidend ist, ob er hierzu einen wesentlichen Tatbeitrag ge-
leistet hat. Dies ist hier der Fall. Ferner hat der Soldat damit auch seine Pflicht zu
achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten im dienstlichen Bereich (§ 17 Abs. 2
Satz 1 SG) vorsätzlich verletzt. Für die Feststellung eines Verstoßes gegen diese
Vorschrift kommt es nach der Rechtsprechung des Senats nicht darauf an, ob eine
Ansehensschädigung im konkreten Fall tatsächlich eingetreten ist. Es reicht viel-
mehr aus, dass das Verhalten des Soldaten geeignet war, eine ansehensschädi-
gende Wirkung auszulösen (stRspr.: u.a. Beschluss vom 12. Oktober 1993
- BVerwG 2 WDB 15.92 - m.w.N., Urtei-
le vom 6. Dezember 1998 - BVerwG 2 WD 11.88 -
NZWehrr 1989, 166> und von 29. Oktober 2002 - BVerwG 2 WD 9.03 -). Acht-
ungs- und Vertrauenswürdigkeit eines Soldaten können durch sein Verhalten da-
bei schon dann Schaden nehmen, wenn dieses Zweifel an seiner Zuverlässigkeit
weckt oder seine Eignung für die jeweilige Verwendung in Frage stellt (vgl. Urteil
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vom 2. April 1974 - BVerwG II WD 5.74 - BVerwGE 46, 244 [248] = NZWehrr
1975, 69 [71 f.]>). Dies ist jedenfalls bei einem Zugführer der Fall, der Rekruten
seines Zuges zu einem Trinkwettspiel verleitet, mit welchem der Genuss erhebli-
cher Mengen von Alkohol verbunden ist.
In Anschuldigungspunkt 2 a hat der Soldat in seiner Dienststellung als Zugführer
durch den Ausspruch gegenüber den Gruppenführern, diese sollten die Rekruten
„noch etwas lang machen“, wobei die Rekruten lautstark befragt wurden, ob sie
sich denn die Litzen verdient hätten, sowie durch die Verwendung des Ausspru-
ches „rund gelutscht“ gegenüber dem Zeugen S. vorsätzlich die Achtungs- und
Vertrauenswahrungspflicht im dienstlichen Bereich (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) ver-
letzt.
Dagegen hat der Soldat mit dem Ausspruch „Jetzt seid ihr keine Maden mehr, jetzt
seid ihr Würmer“ (Anschuldigungspunkt 2 a) keine Dienstpflichtverletzung began-
gen. Der Inhalt einer Meinungsäußerung ist unter Heranziehung des gesamten
Kontextes der Erklärung, in dem sie erfolgt ist, zu ermitteln (vgl. BVerfG, Be-
schlüsse vom 19. April 1990 - 1 BvR 40, 42/86 - und vom
10. Juli 1992 - 2 BvR 1802/91 - ; Urteile vom 25. November
1987 - BVerwG 2 WD 16.87 - und vom 9. März 1994
- BVerwG 2 WD 30.93 -
1994, 312 = NVwZ 1996, 68 = DokBer B 1994, 245>). Danach handelte es sich
hier eindeutig um ein Zitat aus einem Film, das der Soldat wiedergab und das den
Rekruten auch bekannt war. Die Äußerung war nicht darauf gerichtet, die persön-
liche Ehre oder Würde der Soldaten zu verletzen. Er wollte vielmehr erkennbar
- wenn auch verunglückt - zum Ausdruck bringen, dass die Rekruten nach Ab-
schluss der Grundausbildung in seinen Augen ein „höheres Stadium“ erreicht hät-
ten.
In Anschuldigungspunkt 2 f hat er vorsätzlich gegen die Achtungs- und Vertrau-
enswahrungspflicht im außerdienstlichen Bereich (§ 17 Abs. 2 Satz 2 SG) versto-
ßen, als er eine Ausbilderin seines Zuges, nämlich die Zeugin Mü., in zudringlicher
Weise aufforderte, sich auf sein Bein zu setzen, was diese dann auch gegen ihren
Willen tat.
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In Anschuldigungspunkt 3 hat der Soldat, obgleich die Zeugen S. und ül. in der
Ausbildung entbehrlich waren, durch Verweigerung der von ihnen erbetenen trup-
penärztlichen Versorgung im Hinblick auf ihre gesundheitliche Beeinträchtigung
durch den 30 km-Leistungsmarsch vorsätzlich die Fürsorgepflicht (§ 10 Abs. 3
SG), die Kameradschaftspflicht (§ 12 Satz 2 SG) und die Achtungs- und Vertrau-
enswahrungspflicht im dienstlichen Bereich (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) verletzt.
Ferner hat der Soldat in Anschuldigungspunkt 4 durch seine herabwürdigende
Äußerung über die Freundin des Zeugen E. vorsätzlich gegen seine Pflichten zur
Kameradschaft (§ 12 Satz 2 SG) und - als Zugführer - zur Achtungs- und Vertrau-
enswahrungspflicht im dienstlichen Bereich (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) verstoßen.
Der Soldat hat somit insgesamt ein Dienstvergehen gemäß § 23 Abs. 1 SG be-
gangen.
c) Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38
Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkun-
gen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung sowie die Be-
weggründe des Soldaten zu berücksichtigen.
Das Dienstvergehen wiegt nach seiner Eigenart, seinen Auswirkungen und dem
Maß der Schuld nicht leicht.
Die „Eigenart und Schwere“ eines Dienstvergehens bestimmen sich nach dem
Unrechtsgehalt der Verfehlung, mithin also nach der Bedeutung der verletzten
Pflichten. Der besondere Unrechtsgehalt des Dienstvergehens ist dadurch ge-
kennzeichnet, dass der Soldat in seiner Dienststellung als Zugführer wiederholt
gegen die Pflichten zur Fürsorge gegenüber Untergebenen, zur Kameradschaft
und zur Achtungs- und Vertrauenswahrung im dienstlichen Bereich verstoßen hat,
so etwa in unwürdiger Weise Rekruten seines Zuges zu einem Trinkwettspiel und
zum Trinken erheblicher Mengen von Alkohol ermunterte bis hin zu deren Erbre-
chen, zwei Ausbildern seines Zuges die erforderliche truppenärztliche Versorgung
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nach einem 30 km-Leistungsmarsch untersagte oder sich über die Freundin sei-
nes stellvertretenden Zugführers in ehrverletzender Weise äußerte.
Allerdings ist in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass in An-
schuldigungspunkt 1 die Rekruten zu Beginn freiwillig entscheiden konnten, ob sie
an dem Trinkspiel „Captain Hook“ mitspielen oder aufhören wollten, der Soldat in
Anschuldigungspunkt 3 davon ausging, dass ein anwesender Sanitäter die beiden
Ausbilder versorgen konnte, er ihnen also nicht etwa böswillig den Dienst er-
schwerte, und der Soldat in Anschuldigungspunkt 4 sich gegenüber dem Ober-
feldwebel E. entschuldigte.
Eine unwürdige, demütigende oder ehrverletzende Behandlung Untergebener
(Anschuldigungspunkte 1, 3 und 4) ist für einen Soldaten in Vorgesetztenstellung
stets ein sehr ernst zu nehmendes Fehlverhalten; sie verstößt gegen die Wehrver-
fassung der Bundesrepublik Deutschland und gegen die Prinzipien der Inneren
Führung der Bundeswehr. Nach Art. 1 Abs. 1 GG ist die Würde des Menschen
unantastbar; sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Ge-
walt. Dieses Gebot gilt auch für die Streitkräfte als Teil der Exekutive und bedarf
im militärischen Bereich mit seiner streng hierarchischen Gliederung sogar beson-
derer Beachtung. Welche Bedeutung der Gesetzgeber dem Schutz Untergebener
beimisst, ergibt sich aus der Tatsache, dass die entwürdigende Behandlung Un-
tergebener mit Freiheitsstrafe bedroht ist (§ 31 WStG). Ein Vorgesetzter, der Un-
tergebene entwürdigend behandelt, begeht nicht nur eine Wehrstraftat, sondern
auch eine schwerwiegende Dienstpflichtverletzung (vgl. Urteile vom 2. Juli 1987
- BVerwG 2 WD 19.87 - , vom 6. Mai 1992 - BVerwG
2 WD 49.91 - , vom 21. Juli 1993 - BVerwG 2 WD
13.93 -, vom 28. Januar 1999 - BVerwG 2 WD 17.98 -
Nr. 8>, vom 19. Juli 2000 - BVerwG 2 WD 6.00 - und vom 17. Oktober 2000
- BVerwG 2 WD 12.00, 13.00 - ).
Die Fürsorgepflicht (§ 10 Abs. 3 SG) gehört zu den vornehmsten Pflichten eines
Vorgesetzten gegenüber seinen Untergebenen, die das berechtigte Gefühl haben
müssen, dass sie vom Vorgesetzten nicht nur als Befehlsempfänger betrachtet,
sondern in ihrer Personenwürde geachtet und mit menschlicher Rücksichtnahme
behandelt werden. Dies gilt insbesondere im Verhältnis zu Rekruten. § 10 Abs. 3
SG verpflichtet den Vorgesetzten, sich bei allen Handlungen vom Wohlwollen ei-
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nem Untergebenen gegenüber leiten zu lassen, diesen bei seiner dienstlichen Tä-
tigkeit und in seiner dienstlichen Stellung zu schützen, ihn vor Nachteilen und
Schäden zu bewahren und alles zu unterlassen, dass er seine Stellung als Vorge-
setzter zum Nachteil des Untergebenen ausnutzt (stRspr.: vgl. u.a. Urteile vom
13. Februar 2003 - BVerwG 2 WD 33.02 -
NVwZ-RR 2003, 574> und vom 27. Januar 2004 - BVerwG 2 WD 2.04 - jeweils
m.w.N. sowie die Nachweise bei Scherer/Alff, SG, 7. Aufl. 2003, § 10 RNrn. 21,
22). Die Kameradschaftspflicht ist nicht minder wichtig; denn der Zusammenhalt
der Bundeswehr beruht wesentlich auf Kameradschaft (§ 12 Satz 1 SG). Die
dienstlichen Aufgaben erfordern im Frieden und in noch höherem Maße im Vertei-
digungsfall gegenseitiges Vertrauen und das Bewusstsein, sich bedingungslos
aufeinander verlassen zu können. Ein Vorgesetzter, der die Rechte, die Ehre oder
die Würde seiner Kameraden verletzt, untergräbt den dienstlichen Zusammenhalt,
stört den Dienstbetrieb und beeinträchtigt damit letztlich auch die Einsatzbereit-
schaft der Truppe (vgl. Urteile vom 23. November 1989 - BVerwG 2 WD 50.86 -
, vom 18. Juli 1995 - BVerwG 2 WD 32.94 -
103, 257 [f.] = Buchholz 236.1 § 12 SG Nr. 2 = NZWehrr 1996, 34> und vom
10. November 1998 - BVerwG 2 WD 4.98 - ). Ein derartiges Fehlverhalten
gegenüber Kameraden hat nichts mit militärisch notwendiger Härte oder mit Ka-
meradschaft zu tun, sondern zerstört die Autorität des Vorgesetzten, das gegen-
seitige Vertrauen und die Bereitschaft, füreinander einzustehen (vgl. Urteil vom
2. Juli 1987 - BVerwG 2 WD 19.87 - ). Jeder „Spaß“ endet dort, wo er die
Würde, Ehre oder körperliche Unversehrtheit eines Kameraden beeinträchtigt. Nur
auf Überzeugung und Vertrauen baut der Gehorsam auf, dessen die Bundeswehr
im Allgemeinen bzw. ein Vorgesetzter innerhalb des militärischen Gefüges im Be-
sonderen bedarf. Wer Disziplin fordert und für ihre Einhaltung verantwortlich ist,
hat zuallererst Selbstdisziplin zu üben, da Gehorsam das Vertrauen der Unterge-
benen voraussetzt. Ein Vorgesetzter im Dienstgrad eines Offiziers und in der
Dienststellung eines Zugführers, der in seiner Verhaltensweise und in seinen Äu-
ßerungen die notwendige Zurückhaltung gegenüber seinen Untergebenen vermis-
sen lässt und wiederholt deren unantastbare Würde oder Ehre verletzt, missachtet
damit das Gebot zur Wahrung der Disziplin in den Streitkräften und stört deren
Funktionsfähigkeit.
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Pflichtverletzungen der vorliegenden Art sind daher dem militärischen Zusammen-
halt und der Funktionsfähigkeit der Truppe abträglich und werden von der Öffent-
lichkeit regelmäßig mit Befremden zur Kenntnis genommen. Dies gilt auch für ei-
nen Vorgesetzten, der entgegen der Regelung des § 17 Abs. 2 Satz 1 SG seine
Dienstpflicht zur Achtungs- und Vertrauenswahrung im Dienst aufs Spiel setzt und
gegebenenfalls verletzt. Die Pflicht zur Wahrung von Achtung und Vertrauen (§ 17
Abs. 2 Satz 1 SG) ist kein Selbstzweck, sondern hat funktionalen Bezug zur Erfül-
lung des grundgesetzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und zur Gewährung des
militärischen Dienstbetriebs. Ein Soldat, insbesondere ein Vorgesetzter, bedarf der
Achtung seiner Kameraden und Untergebenen sowie des Vertrauens seiner militä-
rischen Vorgesetzten, um seine Aufgabe so zu erfüllen, dass der gesamte Ablauf
des militärischen Dienstes gewährleistet ist (vgl. Urteil vom 3. Dezember 1970
- BVerwG 1 WD 4.70 - ).
Ein Offizier, der einen Untergebenen entwürdigend oder ehrverletzend behandelt
oder ihm in vorwerfbarer Weise den Dienst erschwert, lässt als Vorgesetzter die
von ihm nach § 10 Abs. 1 SG geforderte beispielhafte Haltung und Pflichterfüllung
außer Acht und verstößt gegen die Grundregeln der Menschenführung in der
Bundeswehr. Der Soldat hat hier durch sein Fehlverhalten als Offizier und Zugfüh-
rer ein schlechtes Beispiel gegeben.
Zwar ist, soweit es um das Fehlverhalten des Soldaten gegenüber seinem Kame-
raden E. geht, festzustellen, dass nicht jede unfreundliche, unangemessene, ge-
schmacklose Bemerkung oder jeder „lockere“ Spruch, die die gebotene Zurückhal-
tung vermissen lassen, bereits Ausdruck der Missachtung des Wertes, der dem
Menschen kraft seines Personseins zukommt, ist und damit den sozialen Wert-
und Achtungsanspruch des Betroffenen verletzt. Jedoch ist vorliegend durch die
subjektive Zielrichtung der Äußerung des Soldaten eine ehrverletzende Behand-
lung seines Untergebenen und Kameraden erkennbar geworden, der zudem diese
Behandlung auch nicht etwa als „witzig“ empfand, sondern betroffen reagierte (vgl.
BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1970 - 2 BvF 1/69, 2 BvR 629/68 und 308/69 -
, Zippelius in: Bonner Kommentar, Art. 1 Abs. 1 und 2 GG,
RNr. 62), indem er die Runde des II. Zuges verließ.
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Zu Lasten des Soldaten fallen nicht nur die Auswirkungen der von ihm begange-
nen Verfehlungen gegenüber seinen Untergebenen ins Gewicht, sondern auch der
Umstand, dass er von seinem Dienstposten abgelöst wurde und damit nachteilige
Auswirkungen auf die Personalplanung verursachte (vgl. Urteile vom 10. Juli 1996
- BVerwG 2 WD 5.96 -
und vom 23. April 1997 - BVerwG 2 WD 42.96 -
Nr. 29>).
Den Soldaten belastet im Hinblick auf das Zumessungskriterium „Maß der Schuld“,
dass er seine Pflichten wiederholt vorsätzlich verletzt hat. Konkrete Anhaltspunkte
dafür, dass er zum Zeitpunkt des Dienstvergehens in seiner Schuldfähigkeit im
Sinne des § 21 StGB eingeschränkt oder gar im Sinne des § 20 StGB schuldunfä-
hig war, sind nicht ersichtlich.
Schuldmildernde Umstände bei Begehung der Tat vermag der Senat nicht festzu-
stellen. Solche Milderungsgründe in der Tat sind nach der ständigen Recht-
sprechung des Senats nur dann gegeben, wenn die Situation, in der der Soldat
versagt hat, von so außergewöhnlichen Umständen gekennzeichnet war, dass ein
an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher
auch nicht vorausgesetzt werden konnte. Hierunter fallen u.a. die unbedachte, im
Grunde persönlichkeitsfremde Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und im
Dienst bewährten Soldaten (vgl. Urteile vom 9. März 1995 - BVerwG 2 WD 1.95 -
1995, 244 = NVwZ 1996, 402> m.w.N., vom 24. Januar 1996 - BVerwG 2 WD
26.95 - und vom 18. März 1997 - BVerwG 2 WD 29.95 -
ZBR 1998, 38 = NVwZ-RR 1998, 320, insoweit nicht veröffentlicht>) sowie ein
Handeln in einer körperlichen oder seelischen Ausnahmesituation (vgl. Urteile vom
15. Oktober 1986 - BVerwG 2 WD 30.86 -, vom 14. November 1996 - BVerwG
2 WD 31.96 - und
vom 1. September 1997 - BVerwG 2 WD 13.97 -
insoweit nicht veröffentlicht>) bzw. eine außergewöhnliche situationsbedingte Er-
schwernis der Erfüllung des Auftrags (Urteile vom 28. Januar 1999 - BVerwG
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2 WD 17.98 - ). Die Voraussetzungen für das Vorliegen solcher Milde-
rungsgründe sind hier nicht erfüllt.
Auch konkrete Anhaltspunkte für ein den Soldaten teilweise entlastendes Mitver-
schulden von Vorgesetzten im Hinblick auf eine nicht hinreichende Wahrnehmung
der Dienstaufsicht (vgl. dazu Urteile vom 19. September 2001 - BVerwG 2 WD
9.01 -
öffentlicht>, vom 17. Oktober 2002 - BVerwG 2 WD 14.02 -
SG Nr. 19 = NZWehrr 2003, 127 = NVwZ-RR 2003, 366> und vom 6. Mai 2003
- BVerwG 2 WD 29.02 -
veröffentlicht>) hat der Senat nicht feststellen können. Im Übrigen kann mangeln-
de Dienstaufsicht als Ursache einer dienstlichen Verfehlung bei der Bemessung
der Disziplinarmaßnahme nur dann mildernd berücksichtigt werden, wenn Kont-
rollmaßnahmen durch Vorgesetzte aufgrund besonderer Umstände unerlässlich
waren und pflichtwidrig unterlassen wurden. Der Senat hat jedoch in der Beru-
fungshauptverhandlung keine gesicherten Erkenntnisse gewonnen, dass dem Dis-
ziplinarvorgesetzten in diesem Sinne ein Versäumnis vorzuwerfen ist. Der Soldat
war sich in seiner Dienststellung als Zugführer jeweils der Tragweite seines Tuns
und Fehlverhaltens sowie seiner Eigenverantwortung bewusst. Zwar ist in der Be-
rufungshauptverhandlung durch die Aussagen der Zeugen S., Lo. und Me. deut-
lich geworden, dass Hauptfeldwebel F.
über seine Stellung als
Kompanietruppführer hinaus Kompetenzen in der Kompanie ausgeübt hat, die ihm
Kraft seiner Dienststellung nicht zustanden. Auch ist es ungewöhnlich, dass der
Kompaniechef, Hauptmann L., wie er vor dem Truppendienstgericht ausgesagt
hat, erst durch die inhaltlich fast gleichlautenden Beschwerden der Ausbilder bzw.
Hilfsausbilder des ... Zuges vom 13. Mai 2002 von dem Fehlverhalten des Solda-
ten erfahren hat. Andererseits hat der Kompaniechef vor dem Truppendienstge-
richt auch ausgesagt, dass zuvor kein Unterführer oder Rekrut sich bei ihm be-
schwert habe.
Zu Gunsten des Soldaten spricht in seiner Person, dass er, nach Aussage seines
früheren Disziplinarvorgesetzten Hauptmann L. vor dem Truppendienstgericht,
ordentliche dienstliche Leistungen erbracht hat. Der vom Senat vernommene Zeu-
ge Hauptmann P. hat als früherer Fachvorgesetzter des Soldaten (bis zum
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31. März 2003) in der Berufungshauptverhandlung ausgesagt, der Soldat habe
sich nach der Ablösung von seinem Dienstposten - trotz seiner Ausbildung zum
Fernmelder - in den Bereich der Materialbewirtschaftung gut eingearbeitet und
seine Aufgaben eigenverantwortlich erfüllt sowie sich rasch in die Abteilung inte-
griert. Der Zeuge Major o., früherer Dezernatsleiter des Soldaten, hat vor dem Se-
nat ausgesagt, er habe sich „zu Hundert Prozent“ auf den Soldaten verlassen
können, dieser habe selbständig mit Dritten verhandelt und sein Verhalten als Of-
fizier sei einwandfrei gewesen. Er habe den Soldaten ganz anders kennen gelernt
als dies in der Sonderbeurteilung vom 8. August 2003 durch Major von der H. zum
Ausdruck komme. Er habe absolut keine Bedenken, den Soldaten in einem Be-
reich zu verwenden, in dem Führungsverantwortung verlangt werde. Der Zeuge
Major von der H., derzeit Kompaniechef des Soldaten, hat seine Bewertung des
Soldaten in der Sonderbeurteilung vom 8. August 2003 relativiert und in der Beru-
fungshauptverhandlung ausgeführt, er habe sich bei der Sonderbeurteilung
schwerpunktmäßig auf den Beurteilungsbeitrag des Hauptmann L. verlassen. Auf-
grund der Beweisaufnahme habe er aber ein neues, positives Beurteilungsbild von
dem Soldaten gewonnen. Der Zeuge von der H. hat nicht ausschließen wollen,
dass der Beurteilungsbeitrag des Hauptmann L. durch den Kompanietruppführer
Hauptfeldwebel F. in starkem Maße beeinflusst worden sei, der zu dem Soldaten
in einem starken Spannungsverhältnis gestanden habe, wie er, der Zeuge von der
H., nunmehr aufgrund der Berufungshauptverhandlung erfahren habe. Gegen den
Soldaten spricht andererseits, dass er bereits mit einem Beförderungsverbot we-
gen pflichtwidriger Behandlung von Untergebenen gemaßregelt werden musste
und sich diese gerichtliche Disziplinarmaßnahme offensichtlich nicht zur Warnung
hat dienen lassen.
Unter Abwägung aller be- und entlastenden Umstände des Fehlverhaltens des
Soldaten ist der Senat zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Beförderungsverbot für
die Dauer von 18 Monaten zur Ahndung der festgestellten Pflichtverletzungen des
Soldaten tat- und schuldangemessen ist. Neben den dargelegten besonderen Mil-
derungsgründen in der Person ist hierbei zu berücksichtigten, dass der Soldat in
sechs von insgesamt elf Anschuldigungspunkten freizustellen war.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist bei einer durch einen Vorgesetzten
begangenen körperlichen Misshandlung oder ehrverletzenden oder entwürdigen-
den Behandlung von Untergebenen eine „reinigende Maßnahme“, also im Regel-
fall die Dienstgradherabsetzung, in schweren Fällen sogar die Höchstmaßnahme
verwirkt (vgl. u.a. Urteile vom 29. April 1981 - BVerwG 2 WD 17.81 -, vom 9. April
1986 - BVerwG 2 WD 52.85 - , vom 12. Juli 1990
- BVerwG 2 WD 4.90 - , vom 18. März 1997 - BVerwG
2 WD 29.95 - , vom 17. März 1999 - BVerwG 2 WD 28.98 -
113, 311 [312] = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 27 = NZWehrr 1999, 169> und vom
19. Juli 2000 - BVerwGE 2 WD 6.00 - jeweils m.w.N.).
Im vorliegenden Falle handelt es sich nach den vom Senat getroffenen Feststel-
lungen allerdings um Fehlverhaltensweisen des Soldaten, die keine gravierenden
Gesundheitsverletzungen oder sonstige nachhaltige Schäden beim Opfer verur-
sachten; zudem erfolgte die Tat ohne eine böswillige oder gar menschenverach-
tende Zielrichtung. Das Dienstvergehen hat daher schon nach seiner Schwere und
Eigenart, nach den Auswirkungen und - im Hinblick auf die Beweggründe des Sol-
daten - nach dem Maß der Schuld ein gegenüber dem „Durchschnittsfall“ geringe-
res Gewicht und erfordert daher lediglich ein Beförderungsverbot. Da das Gesetz
bei der Maßnahmebemessung eine Differenzierung insbesondere nach der „Ei-
genart und Schwere“ des Dienstvergehens verlangt, muss eine solche nicht nur
nach „oben“, sondern im Einzelfall gegebenenfalls auch nach „unten“ erfolgen.
Dies rechtfertigt es, gerade auch im Hinblick auf den auch im Disziplinarrecht gel-
tenden verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
(vgl. dazu auch die neuere Rechtsprechung des Senats für die Fälle eines Zugriffs
auf Eigentum und Vermögen des Dienstherrn (Urteil vom 27. August 2003
- BVerwG 2 WD 5.03 - und vom 18. September 2003 - BVerwG 2 WD 3.03 -) oder
von Kameraden (Urteil vom 26. November 2003 - BVerwG 2 WD 7.03 -) in „unter-
durchschnittlichen“ Fällen schon im Ausgangspunkt („Einstufung“) der Zumes-
sungserwägungen von einer bei körperlicher Misshandlung oder unwürdiger Be-
handlung im Regelfall gebotenen Dienstgradherabsetzung abzusehen (so schon
Urteil vom 16. März 2004 - BVerwG 2 WD 3.04 -). Der Senat hat deshalb seine
frühere - insbesondere nach dem spezifischen Unrechtsgehalt nach „unten“ nicht
hinreichend differenzierende - Rechtsprechung modifiziert.
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Bei der Bemessung der Dauer des Beförderungsverbots hat der Senat hier zu be-
rücksichtigen, dass die dargelegten erheblichen Milderungsgründe in der Person
des Soldaten zu seinen Gunsten sprechen, insbesondere hat er das in ihn von
seinem Disziplinarvorgesetzten gesetzte Vertrauen in der Folgezeit nach der Tat
durch eine deutliche Steigerung seiner dienstlichen Leistungen sowie durch eine in
jeder Hinsicht ordnungsgemäße Erfüllung seiner Dienstpflichten gerechtfertigt.
Auch nach dem persönlichen Eindruck, den der Senat vom Soldaten in der Beru-
fungshauptverhandlung hat gewinnen können, erscheint ein Beförderungsverbot
für die Dauer von 18 Monaten ausreichend. Der Soldat hat schon kurze Zeit nach
dem Dienstvergehen den Zeugen E. um Entschuldigung gebeten. Er hat sich von
seinem Fehlverhalten insgesamt glaubhaft distanziert und sich nachhaltig damit
auseinandergesetzt. Er bedauert es aufrichtig und hat daraus für sich die notwen-
digen und vom Gesetz geforderten Konsequenzen für eine in jeder Hinsicht ord-
nungsgemäße Dienstausübung gezogen. Das ergibt sich insbesondere aus den
Bekundungen des Zeugen Ro., aber auch aus denen des Zeugen von der H., der
in der Berufungshauptverhandlung seine frühere negative Beurteilung vom
8. August 2003 relativiert und korrigiert hat. Zur Wiederherstellung und Aufrecht-
erhaltung eines ordnungsgemäßen Dienstbetriebes erscheint - auch unter Berück-
sichtigung generalpräventiver Zwecke - eine weitergehende Disziplinarmaßnahme
als das verhängte Beförderungsverbot nicht erforderlich.
4. Die Kosten des ersten Rechtszuges hat angesichts des Fehlens von Billigkeits-
gründen gemäß § 138 Abs. 1 Satz 1 WDO der Soldat in voller Höhe zu tragen. Da
die Berufung des Soldaten mit der erreichten Milderung der Disziplinarmaßnahme
teilweise Erfolg hatte, waren nach § 139 Abs. 3 WDO die Kosten des Berufungs-
verfahrens zu einem Viertel ihm und zu drei Vierteln dem Bund aufzuerlegen, der
gemäß § 140 Abs. 5 Satz 1 WDO i.V.m. § 139 Abs. 3 WDO auch drei Viertel der
dem Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen hat.
Prof. Dr. Pietzner Prof. Dr. Widmaier Dr. Deiseroth