Urteil des BVerwG vom 13.09.2011

Soldat, Verbotsirrtum, Stationäre Behandlung, Genehmigung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 15.10
TDG S 5 VL 18/09
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
Herrn Oberfeldwebel …,
geboren am … in …,
…, …,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 13. September 2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Burmeister,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
ehrenamtlicher Richter Oberstleutnant Mihm und
ehrenamtlicher Richter Hauptfeldwebel Hentges,
Leitender Regierungsdirektor …
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Geschäftsstellenverwalterin …
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:
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Auf die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft wird
das Urteil des Truppendienstgerichts Süd vom 1. De-
zember 2009 mit Ausnahme der Kostenentscheidung
aufgehoben.
Gegen den Soldaten wird ein Beförderungsverbot von
zwölf Monaten verhängt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens und die dem
Soldaten darin entstandenen notwendigen Auslagen
werden dem Bund auferlegt.
G r ü n d e :
I
Der 1964 geborene Soldat trat nach dem Hauptschulabschluss und einer Aus-
bildung zum Einzelhandelskaufmann 1984 in die Bundeswehr ein. Im Januar
1985 wurde er in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen und im
Juli 1993 zum Berufssoldaten ernannt. Seine Dienstzeit endet im März 2018.
Der Soldat wurde zuletzt im Oktober 1991 zum Oberfeldwebel befördert.
Nach der Grundausbildung durchlief der Soldat die Ausbildung zum Horchfun-
ker. Den Lehrgang „Auswertemeister Fernmelde/Elektronikaufklärung Luftwaffe“
schloss er mit der Note „2“, den Feldwebellehrgang mit der Note „4“ ab. Nach-
dem er aufgrund familiärer Schwierigkeiten Schulden angehäuft hatte und ihm
ein Dispositionskredit gekündigt worden war, kam es 2005 zur Zwangsverstei-
gerung seines Einfamilienhauses und zum Entzug des Sicherheitsbescheids
der Stufe Ü 3.
Seit Oktober 2005 versieht er als Controller beim … in T. seinen Dienst. In
Zweitfunktion wurde ihm ab Mitte 2006 die Verwaltung des Fuhrparks übertra-
gen. Die Funktionen des S 2 und S 4 beim … wurden zum Zeitpunkt des dem
Soldaten vorgeworfenen Dienstvergehens nicht von Offizieren, sondern von
Unteroffizieren wahrgenommen.
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Der Soldat wurde mehrfach planmäßig beurteilt. In der vorletzten Beurteilung
aus dem Jahre 2003 wurde ihm neunmal die Wertungsstufe „6“ (Leistungen
übertreffen sehr deutlich die Anforderungen) und viermal die Wertungsstufe „5“
(Leistungen übertreffen erheblich die Anforderungen) zuerkannt, wobei die sei-
nerzeit höchste Wertungsstufe „7“ betrug. Unter Eignung und Befähigung wurde
der Soldat durchgehend mit dem Ausprägungsgrad „D“ (Eignung und Befähi-
gung sind besonders vorhanden) beurteilt. In der freien Beschreibung wird der
Soldat als zuverlässiger Portepeeunteroffizier beschrieben, der über ein bei-
spielgebendes berufliches Selbstverständnis verfügt. Seine offene und ehrliche
Art sei die Basis für seine Beliebtheit im Kameradenkreis. Im Einsatz habe er
sich bewährt und hervorragende Ergebnisse in seinem Aufgabenkreis erzielt. Er
sei ein pflichtbewusster Soldat, der für sein Handeln einstehe.
Der seit November 2008 als Kompaniechef für den Soldaten zuständige Leu-
mundszeuge Hauptmann R. hat vor dem Truppendienstgericht im Dezember
2009 ausgesagt, dass der Soldat bei der gegenwärtigen Verwendung keine
großen Möglichkeiten habe, sich zu bewähren und zu zeigen, was in ihm ste-
cke. In der letzten Zeit sei der Soldat durch diverse kleinere Verfehlungen auf-
gefallen. Es sei vorgekommen, dass er unrasiert zum Dienst erschienen sei
oder sich nicht ordnungsgemäß abgemeldet hätte. Der Disziplinarvorgesetzte
hat ausgesagt, man würde gerne versuchen, den Soldaten nach Abschluss des
Disziplinarverfahrens aus seiner gegenwärtigen Verwendung herauszunehmen
und ihm verantwortungsvollere Aufgaben zu übertragen. Der Soldat habe früher
sehr gute Leistungen vorgewiesen.
Der Soldat hat die ihm vorgehaltenen Unregelmäßigkeiten der letzten Zeit mit
den Besonderheiten seiner familiären Situation erklärt. Er müsse, wenn seine
Frau bereits morgens Alkohol getrunken habe und der Junge nicht in die Schule
gehen wolle, die Situation erst klären, bevor er zum Dienst fahre. Zudem habe
er einen Bandscheibenvorfall erlitten und die notwendigen Behandlungen er-
folgten auch morgens.
Die auf der Grundlage von 9 Wertungsstufen erstellte Beurteilung des Soldaten
vom 3. März 2010 schließt mit dem Durchschnittwert „4,28“ („die Leistungen
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wurden erfüllt, teilweise übertroffen“) ab. In der Erläuterung heißt es, die priva-
ten Umstände hätten sich auf das Leistungsbild des Soldaten negativ niederge-
schlagen, wobei das Leistungsvermögen besser sein könne. Der Soldat habe
seine guten fachlichen Kenntnisse und sein praktisches Können in die Aufga-
benerfüllung eingebracht. Die Arbeitsergebnisse würden zunehmen und sicher-
lich werde der Soldat in naher Zukunft zur alten Stärke zurückfinden. Die Zu-
sammenarbeit sei von gegenseitiger Achtung und Wertschätzung geprägt; zu-
nehmend integriere sich der Soldat wieder in den Kameradenkreis. Er verfüge
über klare Wertvorstellungen und zeige wegen teilweise überwältigender per-
sönlicher Probleme phasenweise zwar wenig Selbstantrieb und Ehrgeiz, lasse
jedoch immer wieder positive Tendenzen erkennen. Sein Leistungsbild sei im-
mer wieder von privaten Problemen abhängig. Der nächsthöhere Vorgesetzte
führte aus, der Soldat verfüge über geistige und intellektuelle Eigenschaften, die
ein deutlich besseres Leistungsbild zulassen würden. Er habe das Potenzial,
bis zum Laufbahnziel befördert zu werden.
In der Berufungshauptverhandlung hat vor allem der gegenwärtige Disziplinar-
vorgesetzte Hauptmann E. diese Aussagen und Prognosen bestätigt. Er hat
auch erklärt, es für unproblematisch zu halten, ja zu erwarten, dass die ihm un-
terstellten Soldaten auch während ihres Urlaubs bei Bedarf Entscheidungen
treffen würden.
Der Soldat erhielt im Mai 2000 eine Zulage für die Erbringung besonderer Leis-
tungen und 1999 sowie 2004 jeweils eine Förmliche Anerkennung.
Die Auskunft aus dem Zentralregister vom 28. Januar 2010 enthielt zwei Eintra-
gungen: Am 15. Februar 2006 wurde der Soldat vom Amtsgericht T. rechtskräf-
tig wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 10 Euro
und mit Urteil des Amtsgerichts T. vom 30. März 2006 wegen Hausfriedens-
bruchs in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessät-
zen zu je 40 Euro verurteilt. Sachgleich wurde gegen den Soldaten mit rechts-
kräftigem Urteil des Truppendienstgerichts Süd vom 22. Februar 2007 ein Be-
förderungsverbot für die Dauer von vierzehn Monaten verhängt. Die Auskunft
aus dem Zentralregister vom 7. August 2011 enthält keine Eintragungen mehr.
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Das mit dem vorliegenden gerichtlichen Disziplinarverfahren sachgleiche Straf-
verfahren wegen Untreue wurde durch Beschluss des Amtsgerichts T. unter der
Auflage, eine Geldbuße von 500 Euro zu zahlen, gemäß § 153a Abs. 2 StPO im
Juli 2009 endgültig eingestellt. Der Auszug aus dem Disziplinarbuch vom 9. Au-
gust 2011 enthält keine Eintragungen mehr.
Der verheiratete Soldat ist Vater von zwei im November 1994 und Oktober 1998
geborenen Kindern. Er unternahm im Februar 2009 einen Suizidversuch. Es
werden ihm netto etwa 2 720 € Bezüge ausgezahlt. Seit Januar 2010 befindet
sich der Soldat in einem auf sechs Jahre angelegten Privatinsolvenzverfahren,
im Rahmen dessen er monatlich 250 € abzahlt. Seine Schulden belaufen sich
auf etwa 100 000 € und sind auf die Zwangsversteigerung des früheren Eigen-
heims sowie darauf zurückzuführen, dass die Behandlungskosten für die alko-
hol- und zwischenzeitlich auch medikamentenabhängige Ehefrau des Soldaten
in der Vergangenheit nicht vollständig von der Beihilfe und von der Krankenver-
sicherung erstattet worden waren. Der Gesundheitszustand der Ehefrau hat
sich nicht verbessert; eine stationäre Behandlung sowie ein Kuraufenthalt ste-
hen zu erwarten. Das ältere Kind wiederholt die zehnte Klasse, das jüngere
Kind besucht aufgrund einer Lernbehinderung die Förderschule.
II
1. In dem mit Verfügung des Luftwaffenführungskommandos im September
2007 eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren wird dem Soldaten mit An-
schuldigungsschrift der Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich Luftwaffen-
führungskommando vom 17. August 2009 vorgeworfen, seine Dienstpflichten
wie folgt verletzt zu haben:
„1. Er ordnete in seiner Eigenschaft als Fuhrparkbeauftrag-
ter des … der Wahrheit zuwider in der …-Kaserne, …, …
T., mit dem Fahrauftrag 0058/04/07 vom 02.05.2007 für
den Zeitraum vom 02.05.2007 bis 06.05.2007 Wirtschafts-
und Versorgungsfahrten sowie Materialtransport mit Bun-
deswehrfahrzeugen an, obwohl er die Fahrten entgegen
der ihm bekannten ZDv 43/2 Nr. 301 zu privaten Zwecken
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eines Umzuges durchführen wollte und er wegen seines
genehmigten Erholungsurlaubes ab 02.05.2007 zu dieser
Zeit nicht anordnungsbefugt war.
2. Anschließend führte er entgegen der ZDv 43/2 Nr. 301
am 02.05.2007 und am 03.05.2007 mit einem Bundeswehr
Lkw 5 to, Kennzeichen Y - 624 147/9, einen privaten Um-
zugstransport von seiner Wohnung …, … W., zu seiner
neuen Wohnung in der …, … O., durch.
3. Anstatt das unter 2. näher beschriebene Bundeswehr-
fahrzeug gemäß der ihm bekannten ZDv 43/2 Nr. 314 spä-
testens am 06.05.2007 bei seiner Dienststelle abzugeben,
stellte er es am 03.05.2007 unter einer Unterführung auf
der L … nahe der Ortschaft … O. unbeaufsichtigt ab, wo
es am 10.05.2007 durch eine Feldjägerstreife entdeckt
wurde."
2. Die 5. Kammer des Truppendienstgerichts Süd hat auf der Grundlage des
angeschuldigten und als in objektiver Hinsicht zutreffend festgestellten Sach-
verhalts gegen den Soldaten unter Freistellung von den Anschuldigungspunk-
ten 1 und 2 ein Beförderungsverbot für die Dauer von 3 Jahren verhängt und
zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Mit dem Ausfüllen des Fahrauftrages und der Nutzung des Dienstfahrzeugs zu
privaten Umzugszwecken habe der Soldat fahrlässig gegen die Pflicht versto-
ßen, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen (§ 7 SG) sowie der Ach-
tung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat erfordere
(§ 17 Abs. 2 Satz 1, 2. Alternative SG). Dies führe jedoch deshalb zu keiner
disziplinarischen Ahndung, weil die Wehrdisziplinaranwaltschaft diese Handlun-
gen lediglich in der Schuldform des Vorsatzes angeschuldigt habe. Zwar habe
der Soldat einen Bundeswehrführerschein erworben; dies liege jedoch bereits
viele Jahre zurück, so dass ihm die Kenntnis von den seinerzeit einschlägigen
Bestimmungen über die private Nutzung von Dienst-Kfz zum Tatzeitpunkt nicht
zweifelsfrei habe nachgewiesen werden können. Der Soldat habe auch unwi-
derlegt geltend gemacht, nicht im Besitz einer Vorschrift gewesen zu sein und
auch auf entsprechende Nachfragen kein Exemplar von ihr erhalten zu haben.
Zudem habe der Soldat die Eigenschaft als Fuhrparkbeauftragter lediglich in
Zweitfunktion wahrgenommen. Im Übrigen sei auch nachvollziehbar, dass sich
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angesichts der wenig eindeutigen Haltung seines Disziplinarvorgesetzten und
der klaren Aussage des für Material verantwortlichen S 4-0ffizier-Vertreters,
Hauptfeldwebel K., eine positive Vorschriftenkenntnis des Soldaten erheblichen
Erschütterungen ausgesetzt gewesen wäre. Nach den unwiderlegten Angaben
des Soldaten habe Hauptfeldwebel K. ihm gegenüber im Brustton der Überzeu-
gung erklärt, eine derartige Nutzung sei vorschriftenkonform. Er habe dem Sol-
daten sogar zur Einsichtnahme einen Vorgang ausgehändigt, aus dem hervor-
gegangen sei, dass ein früherer Disziplinarvorgesetzter in einem ähnlichen Fall
bereits einmal den Gebrauch von Dienstfahrzeugen zu privaten Zwecken ge-
nehmigt habe. Hauptfeldwebel K. habe dem Soldaten außerdem einen Antrag
zur privaten Nutzung eines Dienstfahrzeugs in die Feder diktiert und sogleich
genehmigt. Ob der dadurch erregte Verbotsirrtum für den Soldaten vermeidbar
gewesen sei, könne dahingestellt bleiben, weil Vorsatz die Kenntnis aller Tat-
umstände voraussetze, was nicht erwiesen sei.
Dadurch, dass der Soldat den Dienst-Lkw nicht spätestens am 6. Mai 2007 bei
seiner Dienststelle zurückgegeben, sondern ihn bis zum 10. Mai 2007 unter ei-
ner Unterführung in der Nähe seiner Wohnung in O. unbeaufsichtigt abgestellt
und den ihm spätestens am 3. Mai 2007 übermittelten Befehl des Oberstleut-
nants S. nicht befolgt habe, das Fahrzeug unverzüglich in die Kaserne zurück-
zuführen, habe der Soldat allerdings vorsätzlich gegen die Pflicht verstoßen,
der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen (§ 7 SG), seinen Vorgesetzten
zu gehorchen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 SG) sowie der Achtung und dem Vertrauen
gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat erfordere (§ 17 Abs. 2 Satz 1
SG).
Soweit es Art und Maß der Disziplinarmaßnahme betreffe, stelle sich das ei-
genmächtige Behalten des Dienstfahrzeugs als gravierendes Dienstvergehen
dar. Allerdings liege angesichts der Lebens- und seinerzeitigen Tatumstände
eine charakterfremde Augenblickstat vor, die sich mit der wirtschaftlichen Not-
lage des Soldaten und einem schockartig ausgelösten psychischen Zwang er-
kläre. Dies gebiete, von einer so genannten „reinigenden“ Maßnahme Abstand
zu nehmen und lediglich ein Beförderungsverbot zu verhängen.
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3. Gegen das am 21. Dezember 2009 zugestellte Urteil hat die Wehrdisziplinar-
anwaltschaft am 19. Januar 2010 Berufung zuungunsten des Soldaten in vollem
Umfang eingelegt und beantragt, den Soldaten in den Dienstgrad eines Feld-
webels herabzusetzen.
Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, der Soldat sei von den An-
schuldigungspunkten 1 und 2 fehlerhaft freigestellt worden; fehlerhaft sei somit
auch die Maßnahmebemessung. Selbst wenn beim Soldaten ein Verbotsirrtum
vorgelegen haben sollte, wäre er vermeidbar gewesen. Angesichts der langjäh-
rigen Berufserfahrung des Soldaten würde daran auch das Verhalten des
Hauptfeldwebels K. nichts ändern. Auch wenn die familiäre Situation des Solda-
ten - bereits seinerzeit - angespannt gewesen sei, bleibe der gewichtige Um-
stand, dass der Soldat sich die disziplinargerichtliche Verurteilung im Februar
2007 nicht zur Warnung habe dienen lassen und somit eine Verschärfung der
Disziplinarmaßnahme geboten sei. Schließlich könne das Urteil des Truppen-
dienstgerichts nicht isoliert von dem Urteil des Truppendienstgerichts in dem
Verfahren K. gesehen werden. In ihm heiße es, Hauptfeldwebel K. sei „von dem
beantragenden Nutzer, dem Oberfeldwebel C. vorsätzlich und in krimineller
Weise getäuscht“ worden.
4. Der Senat hat in dem am 21. Dezember 2010 - BVerwG 2 WD 13.09 - ver-
kündeten Urteil zu dem vom Truppendienstgericht in der Sache K. ergangenen
Urteil des Truppendienstgerichts vom 12. Februar 2009 ausgeführt:
„Ebenfalls anders als vom Truppendienstgericht angenom-
men, lag dem Verhalten des Soldaten auch keine vorsätzli-
che und kriminelle Täuschung des Inhalts zugrunde, dass die
Nutzung des Dienst-Lkw bereits (durch den Zeugen Oberst-
leutnant S.) genehmigt sei. …
Dass der Zeuge Oberstleutnant S. eine Genehmigung tat-
sächlich nicht erteilt hat, ist unstreitig. In der Berufungs-
hauptverhandlung haben sich auch keine abweichenden An-
haltspunkte dafür ergeben. Die Beweisaufnahme hat zudem
ergeben, dass der Soldat nicht getäuscht worden ist. Dies
steht nach den Aussagen des Zeugen Oberfeldwebel C., des
Zeugen Oberstleutnant S. in der Berufungshauptverhandlung
sowie nach der durch Verlesen eingeführten Aussage des
Stabsgefreiten S. fest. Oberfeldwebel C. hat bestritten, be-
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hauptet zu haben, die Nutzung des Dienstfahrzeugs sei be-
reits durch den Zeugen Oberstleutnant S. genehmigt worden.
Mag der Aussage des Zeugen Oberfeldwebel C. wegen des
gegen ihn noch anhängigen gerichtlichen Disziplinarverfah-
rens keine durchschlagende Bedeutung beizumessen sein,
so gilt dies nicht in Verbindung mit der Aussage des Zeugen
Oberstleutnant S. Ihr ist zu entnehmen, dass sich der Soldat
in einem nur wenige Tage später mit ihm geführten Ge-
spräch nicht darauf berufen hat, den Fahrauftrag in der An-
nahme einer bereits erteilten Genehmigung unterschrieben
zu haben. Hinzu tritt schließlich, dass auch der Stabsgefreite
S. anlässlich seiner Vernehmung am 11. Mai 2007 nichts da-
von berichtet hat, der Zeuge Oberfeldwebel C. habe dem
Soldaten gegenüber behauptet, er besäße bereits eine Ge-
nehmigung (des Zeugen Oberstleutnant S.).“
III
Die gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 WDO form-
und fristgerecht eingelegte Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft führt zur
Reduzierung des erstinstanzlich verhängten Beförderungsverbots auf zwölf
Monate. Zwar hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft die Berufung zuungunsten
des Soldaten eingelegt; gem. §§ 123 Satz 3, 91 Abs. 1 Satz 1 WDO in Verbin-
dung mit § 301 StPO ist der Senat dadurch jedoch nicht daran gehindert, das
angefochtene Urteil zugunsten des Soldaten zu ändern.
Das Rechtsmittel ist in vollem Umfang eingelegt worden. Der Senat hat daher
im Rahmen der Anschuldigung (1.) eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu
treffen (2.), diese rechtlich zu würdigen und die sich daraus ergebenden Folge-
rungen zu ziehen (3.) sowie über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu
befinden (4.).
1. Hinsichtlich des angeschuldigten Fehlverhaltens bedarf die Anschuldigungs-
schrift der Auslegung.
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a) Für den Senat hat bereits im Berufungsverfahren BVerwG 2 WD 13.09 An-
lass bestanden, nachdrücklich auf die rechtlich herausragende Bedeutung einer
hinreichend konkreten Anschuldigungsschrift hinzuweisen. Unklarheiten über
das konkret angeschuldigte Dienstvergehen begründen deshalb erhebliche
rechtliche Probleme, weil zum Gegenstand der Urteilsfindung gemäß § 123
Satz 3 WDO in Verbindung mit § 107 Abs. 1 WDO nur solche Pflichtverletzun-
gen gemacht werden dürfen, die in der Anschuldigungsschrift dem Soldaten als
Dienstvergehen zur Last gelegt werden. Die Anschuldigungsschrift muss dabei
gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 WDO die Tatsachen, in denen ein schuldhaftes
Dienstvergehen erblickt wird, und die Beweismittel geordnet darstellen. Der
dem Soldaten gegenüber erhobene Vorwurf muss in der Anschuldigungsschrift
so deutlich und klar sein, dass sich der Soldat mit seiner Verteidigung darauf
einstellen kann.
Der Tatvorwurf muss insbesondere erkennen lassen, ob eine vorsätzliche oder
fahrlässige Begehungsweise angeschuldigt wird (Urteil vom 18. September
2003 - BVerwG 2 WD 3.03 - BVerwGE 119, 76 <79 f.> = Buchholz 235.01 § 38
WDO 2002 Nr. 11), weil die Schuldform nicht nur für die Bemessung der Diszip-
linarmaßnahme, sondern zugleich auch - als sogenannter doppelrelevanter
Umstand - für den subjektiven Tatbestand des Dienstvergehens von konstituti-
ver Bedeutung ist (Beschluss vom 24. März 2010 - BVerwG 2 WD 10.09 - juris
Rn. 12 m.w.N. und Urteil vom 18. November 2010 - BVerwG 2 WD 25.09 - juris
Rn. 23). Bei Zweifeln über Gegenstand und Umfang des dem Soldaten durch
die Anschuldigungsschrift zur Last gelegten Fehlverhaltens ist die Anschuldi-
gungsschrift auszulegen, um ihren exakten Regelungsinhalt zu ermitteln. Dabei
sind die für die Auslegung von empfangsbedürftigen Willenserklärungen des
bürgerlichen Rechts geltenden Rechtsgrundsätze (§§ 133, 157 BGB) entspre-
chend anzuwenden. Danach kommt es nicht auf den inneren Willen des Erklä-
renden, sondern darauf an, wie die abgegebene Erklärung aus der Sicht des
Empfängers bei objektiver Betrachtungsweise zu verstehen ist. Verbleiben in-
soweit Zweifel, fehlt es an einer Anschuldigung im Sinne des § 99 Abs. 1 WDO
(BVerwG, Urteil vom 28. April 2005 - BVerwG 2 WD 25.04 - NZWehrr 2007,
28).
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b) Nach Maßgabe dessen bestehen Defizite, weil in den Anschuldigungsfor-
meln nicht ausdrücklich eine vorsätzliche oder fahrlässige Begehungsweise be-
schrieben ist (dazu bereits Urteil vom 16. März 2011 - BVerwG 2 WD 40.09 -).
Zudem ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, ob die gemäß Anschuldigungs-
punkt 1 „der Wahrheit zuwider“ erfolgte Anordnung eines Fahrauftrags einen
weiteren - selbständigen - Anschuldigungsvorwurf bildet oder lediglich un-
terstreichen soll, dass der Soldat vorsätzlich „entgegen der ihm bekannten ZDv
43/2 Nr. 301“ gehandelt hat. Der Auslegung bedürftig ist schließlich auch, ob
der Vorwurf, trotz Kenntnis einer während des Urlaubs (angeblich) nicht beste-
henden Anordnungsbefugnis den Fahrauftrag erteilt zu haben, isoliert im Raum
steht oder kumulativ zur Kenntnis der fehlenden Genehmigungsfähigkeit treten
soll.
aa) § 99 Abs. 1 Satz 1 WDO verlangt allerdings nicht, dass die Begriffe „Vor-
satz“ und „Fahrlässigkeit“ ausdrücklich genannt werden müssen. Es genügt,
dass sich die angeschuldigte Handlungsweise bzw. Schuldform aus der Fas-
sung des Tatvorwurfs oder aber jedenfalls aus der Darlegung des wesentlichen
Ermittlungsergebnisses, die zur Auslegung eines unklaren Anschuldigungs-
punktes herangezogen werden kann (vgl. Urteil vom 18. September 2003,
a.a.O. S. 80), ergibt. Nach Maßgabe dessen folgt aus der Formulierung in An-
schuldigungspunkt 1 „entgegen der ihm bekannten ZDv 43/2 Nr. 301“ und hin-
sichtlich des Anschuldigungspunkts 2 durch Bezugnahme auf den Anschuldi-
gungspunkt 1 („Anschließend …“) noch hinreichend deutlich, dass insoweit nur
ein vorsätzliches Verhalten angeschuldigt wurde. Soweit es den Anschuldi-
gungspunkt 3 betrifft, ist ebenfalls ein vorsätzliches Fehlverhalten angeschuldigt
worden. Zwar war bei diesem Tatkomplex denkbar, dass der Soldat es schlicht
(krankheitsbedingt) vergessen hatte, den Dienst-LKW wieder zurückzubringen;
aus der Begründung in der Anschuldigungsschrift folgt jedoch noch hinreichend
deutlich, dass dem Soldaten vorgehalten wird, vorsätzlich gehandelt zu haben.
Dies leitet sich daraus ab, dass auf den Anruf des Hauptgefreiten S. hingewie-
sen und daraus gefolgert wird, dem Soldaten sei jedenfalls ab diesem Zeitpunkt
präsent gewesen, das Fahrzeug wieder zurückbringen zu müssen.
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bb) Soweit es den Vorwurf in Anschuldigungspunkt 1 betrifft, „der Wahrheit zu-
wider … Wirtschafts- und Versorgungsfahrten sowie Materialtransport“ ange-
ordnet zu haben, ist die Anschuldigungsschrift nicht mehr in der Weise ausle-
gungsfähig, dass dem Soldaten auch insoweit eine dienstliche Verfehlung vor-
geworfen worden wäre. Auf Seite 2 der Anschuldigungsschrift ist weder er-
wähnt, dass der Soldat dadurch gegen die Wahrheitspflicht verstoßen hätte
noch findet sich ein Verweis auf § 13 SG. Selbst wenn dies jedoch von der
Wehrdisziplinaranwaltschaft anders gemeint gewesen sein sollte, würde das
Verhalten des Soldaten aus den noch darzulegenden Gründen nicht als Dienst-
vergehen zu werten sein; Entsprechendes gilt, wenn der Soldat gesondert an-
geschuldigt worden sein sollte, den Fahrauftrag während seines Urlaubs erteilt
zu haben.
2. Die im Rahmen dieser Anschuldigung vorgenommene Beweisaufnahme hat
ergeben:
a) Der Soldat ist vom Truppendienstgericht im Ergebnis zu Recht von den An-
schuldigungspunkten 1 und 2 freigesprochen worden.
Zur Überzeugung des Gerichts steht auf der Grundlage der insoweit geständi-
gen Einlassungen des Soldaten der in der Anschuldigungsschrift unter An-
schuldigungspunkten 1 und 2 beschriebene Sachverhalt in objektiver Hinsicht
fest. Danach hat der Soldat sich am 2. Mai 2007 den Fahrauftrag 0058/04/07
für einen Dienst-LKW der Bundeswehr zum Zwecke einer privaten Nutzung
vom 2. Mai bis 6. Mai 2007 selbst erteilt, wobei dies schon deshalb rechtswidrig
war, weil die Genehmigungsvoraussetzungen nach Nr. 433 der ZDv 43/2 - aus
noch darzulegenden Gründen - objektiv nicht vorlagen. Dabei steht zur Über-
zeugung des Senats auf der Grundlage der im Verfahren BVerwG 2 WD 13.09
erfolgten und vorliegend in das Verfahren eingeführten Beweisaufnahme ferner
fest, dass der Soldat vom Hauptfeldwebel K. bereits zuvor einen vom 30. April
2007 datierenden Fahrauftrag für einen anderen LKW erhalten hatte, obwohl
Hauptfeldwebel K. um die private Nutzungsabsicht des Soldaten wusste und
obwohl bei ihm durch den Soldaten nicht der Eindruck erweckt worden war,
Oberstleutnant S. habe dies bereits genehmigt.
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aa) Der Senat hat bereits im Urteil vom 21. Dezember 2010 - BVerwG 2 WD
13.09 - zu den materiellen Voraussetzungen, unter denen von Ziffer 301 der
ZDv 43/2 abgewichen werden kann, ausgeführt:
„Gemäß Ziffer 301 der - erst durch Anweisung vom
26. Februar 2008 außer Kraft gesetzten - ZDv 43/2 sind
Dienstfahrzeuge grundsätzlich nur zu dienstlichen Zwe-
cken einzusetzen. Für Ausnahmen verweist die Vorschrift
auf die Nummern 401 bis 437. Nummer 433, Spiegelstrich
3, bestimmt insoweit: ‚Bei dienstlichen Arbeitseinsätzen
von Soldaten bei öffentlichen oder privaten Veranstaltun-
gen Dritter und bei Einsätzen der Bundeswehr … auf so-
zialen und karikativen Gebieten können Dienstfahrzeuge
eingesetzt werden.’ Dabei wird im 3. Spiegelstrich durch
Fn. 4 auf das VMBl 1988, S. 275 verwiesen, in dem ‚Hilfe-
leistungen der Bundeswehr auf sozialen und karitativen
Gebieten’ geregelt sind. In A. 2. des Erlasses ist ausge-
führt, ‚Die Hilfeleistungen der Bundeswehr auf sozialen
und karikativen Gebieten beschränken sich auf die Unter-
stützung von Maßnahmen Dritter für behinderte, kranke
oder sonst hilfebedürftige Personen …’.“
bb) Ein Dienstvergehen liegt gemäß § 23 Abs. 1 SG jedoch nur dann vor, wenn
der Soldat seine Pflichten auch schuldhaft verletzt hat. Daran fehlt es. Zwar teilt
der Senat nicht die Auffassung des Truppendienstgerichts, gegen einen Vorsatz
des Soldaten spreche, dass bei ihm die Erteilung des Bundeswehrführerscheins
bereits viele Jahre zurückliege, ihm nicht die einschlägige Vorschrift zur Verfü-
gung gestanden, er die Tätigkeit als Fuhrparkbeauftragter lediglich in Zweitfunk-
tion wahrgenommen und er sich zudem in einer persönlich wie finanziell prekä-
ren Lage befunden habe, welche „die positive Kenntnis vom Verbotensein pri-
vater Nutzung … subjektiv verhinderte“; der Soldat hat sich jedoch auch in der
Berufungshauptverhandlung glaubhaft dahingehend eingelassen, angesichts
des vom Truppendienstgericht zutreffend beschriebenen Verhaltens des Haupt-
feldwebels K. habe er die Fahrt für genehmigungsfähig gehalten.
Der beim Soldaten durch den Hauptfeldwebel K. erregte Irrtum über die Ge-
nehmigungsfähigkeit der zivilen Fahrzeugnutzung stellt sich als Verbotsirrtum
nach § 17 StGB und nicht als Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB
dar, der - wie vom Truppendienstgericht angenommen - beim Soldaten den
Vorsatz hätte entfallen lassen. Beide Irrtumsformen erlangen auch im Diszipli-
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narrecht Bedeutung (vgl. Urteil vom 28. Januar 2004 - BVerwG 2 WD 13.03 -
BVerwGE 120, 105 <109> = Buchholz 236.1 § 10 SG Nr. 53 und Beschluss
vom 21. Dezember 2010 - BVerwG 2 B 29.10 - NVwZ-RR 2011, 413 <415 f.>).
Die Abgrenzung, ob ein Irrtum über die Genehmigungsfähigkeit einen Tatbe-
stands- oder Verbotsirrtum darstellt, nimmt der Senat in Übereinstimmung mit
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs danach vor, ob die Tat ihren Un-
wert nur aus dem Fehlen der Genehmigung eines im Allgemeinen sozialadä-
quaten Verhaltens herleitet - dann Tatbestandsirrtum - oder ob es sich um ein
grundsätzlich wertwidriges Verhalten handelt, das im Einzelfall nur aufgrund
einer Genehmigung erlaubt ist - dann Verbotsirrtum - (BGH, Urteil vom 11. Sep-
tember 2002 - 1 StR 73/02 - NStZ-RR 2003, 55 - juris Rn. 12). Nach Maßgabe
dessen lag beim Soldaten ein Verbotsirrtum vor, weil - auch auf Seiten des Sol-
daten seinerzeit - kein Zweifel daran besteht, dass Dienstfahrzeuge - so aus-
drücklich auch Nr. 301 der ZDv 43/2 - „grundsätzlich nur zu dienstlichen Zwe-
cken“ einzusetzen sind.
cc) Anders als vom Truppendienstgericht angenommen, kann auch nicht offen
bleiben, ob der Soldat diesen Verbotsirrtum hätte vermeiden können. Denn nur
bei einem unvermeidbaren Irrtum entfällt die Schuld als Element, das den Tat-
bestand des Dienstvergehens konstituiert (Urteil vom 22. Juni 2006 - BVerwG
2 C 11.05 - Buchholz 235.1 § 34 BDG Nr. 2), während bei einem vermeidbaren
Irrtum der Tatbestand eines Dienstvergehens unberührt bleibt und er lediglich
beim „Maß der Schuld“ (§ 38 Abs. 1 WDO) Berücksichtigung finden kann (vgl.
Urteil vom 28. Januar 2004, a.a.O. S. 110).
Ob ein Verbotsirrtum vermeidbar oder unvermeidbar war, bestimmt sich nach
der vom Soldaten nach seiner Amtsstellung (Status, Dienstposten) und seinen
persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten (Vorbildung, dienstlicher Werde-
gang) zu fordernden Sorgfalt unter Berücksichtigung ihm zugänglicher Informa-
tionsmöglichkeiten. Das Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit setzt dabei in der Re-
gel keine juristisch genaue Kenntnis der verletzten Rechtsvorschriften und Ver-
waltungsanordnungen voraus. Es genügt, wenn der Soldat Umfang und Inhalt
seiner auf diese Regelungen beruhenden Dienstpflichten im weitesten Sinne
erfasst. Davon ist im Regelfall aufgrund der Ausbildung des Soldaten auszuge-
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hen. Im Zweifel wird von einem Soldaten erwartet, dass er sich bei seiner
Dienststelle rechtzeitig über Umfang und Inhalt seiner Dienstpflichten erkundigt
(vgl. Urteil vom 22. Juni 2006, a.a.O.). Gerade dieser Obliegenheit ist der Sol-
dat jedoch nachgekommen. Er hat sich nicht nur beim Oberstleutnant S. nach
der Genehmigungsfähigkeit einer zivilen Nutzung eines Dienst-LKW erkundigt,
sondern sich auf dessen Anraten auch an Hauptfeldwebel K. als dem in diesen
Angelegenheiten zuvörderst zuständigen und kompetenten Amtswalter (S4-
Offizier-Vertreter) gewandt. Hauptfeldwebel K. hat dem Soldaten gegenüber
zudem nicht nur seine rechtliche Einschätzung zum Ausdruck gebracht, son-
dern durch den von ihm unterzeichneten Fahrauftrag darüber hinaus dokumen-
tiert, für sie auch rechtlich einstehen zu wollen. Vom Soldaten gleichwohl zu
verlangen, die rechtliche Bewertung des zuständigen S 4-(Unter-)Offiziers sei-
nerseits zu überprüfen oder gar durch Dritte überprüfen zu lassen, würde der
hierarchischen, auf eine zügige Entscheidungsfindung angelegten Struktur der
Streitkräfte widersprechen. Zudem würde sich der Nachweis eines unvermeid-
baren Verbotsirrtums dadurch zunehmend einer nur noch theoretischen
Rechtsoption nähern.
dd) War der Irrtum über die Genehmigungsfähigkeit der zivilen Nutzung für den
Soldaten unvermeidbar, würde dies somit auch für die (etwaige) Anschuldigung
gelten, er habe der Wahrheit zuwider eine Materialfahrt eingetragen. Die Anga-
ben in dem vom Soldaten selbst ausgestellten Fahrauftrag entsprechen - abge-
sehen von dem Nutzungszeitraum - nämlich denen des vom Hauptfeldwebel K.
erteilten Fahrauftrags. Entsprechendes gilt, soweit der Soldat angeschuldigt
worden sein sollte, sich während des Urlaubs den Fahrauftrag erteilt zu haben.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob für den Soldaten während des Urlaubs
tatsächlich ein solches Anordnungsverbot bestand. Denn selbst wenn dies der
Fall wäre, hätte er sich jedenfalls auch insoweit in einem unvermeidbaren Ver-
botsirrtum befunden. Dies folgt aus den Aussagen der in der Berufungshaupt-
verhandlung als Leumundszeugen vernommenen Disziplinarvorgesetzten des
Soldaten. Zum einen hat sich zwischen den Dienstvorgesetzten zu dieser
Rechtsfrage ein disparates Meinungsbild ergeben; zum anderen hat die Aussa-
ge des gegenwärtigen Disziplinarvorgesetzten, Hauptmann E., gezeigt, dass
sich der Soldat unter seinem Kommando der Gefahr disziplinarischer Maßnah-
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men eher dann aussetzen würde, wenn er sich im Bedarfsfall weigerte, unauf-
schiebbare und nicht durch Andere zu erledigende dienstliche Tätigkeiten auch
während des Urlaubs auszuüben.
b) Das unter Anschuldigungspunkt 3 angeschuldigte Fehlverhalten des Solda-
ten steht zur Überzeugung des Gerichts auf der Grundlage der geständigen
Einlassungen des Soldaten fest. Dies gilt auch hinsichtlich des angeschuldigten
Vorsatzes. Spätestens seitdem dem Soldaten der Befehl des Oberstleutnant S.
übermittelt worden war, war ihm klar, das Dienstfahrzeug wieder zurückbringen
zu müssen. Der Soldat hat auch dies uneingeschränkt eingestanden und inso-
weit lediglich eingewandt, dazu nach dem Umzug psychisch und physisch nicht
mehr in der Lage gewesen zu sein.
3. Der Soldat hat mit dem unter Anschuldigungspunkt 3 beschriebenen Verhal-
ten gegen § 7 und 17 Abs. 2 Satz 1 SG verstoßen und somit ein Dienstverge-
hen nach § 23 Abs. 1 SG begangen. Auf der Grundlage der Anschuldigungs-
schrift liegt jedoch kein Verstoß gegen § 11 SG vor.
a) Wie vom Truppendienstgericht zutreffend festgestellt, gehört zur Pflicht des
Soldaten nach § 7 SG, in loyaler Weise alles Erforderliche zu veranlassen und
zu unternehmen, damit Personal und Material der Bundeswehr nur zu dienstli-
chen Zwecken in Anspruch genommen werden. Denn die Bundeswehr kann
den ihr erteilten Aufgabenzuweisungen nur dann entsprechen, wenn einerseits
ihre Angehörigen, ihr Gerät und ihre Mittel jederzeit präsent und voll einsatzfä-
hig sind und andererseits das innere Gefüge der Streitkräfte so gestaltet ist,
dass sie ihren militärischen Aufgaben gewachsen sind. Die Vorenthaltung von
Material der Bundeswehr, das bereits rechtswidrig in den eigenen Besitz ver-
bracht wurde, ist damit unvereinbar. Dies gilt auch, wenn - wie vorliegend beim
Soldaten - keine Zueignungsabsicht bestand (Urteil vom 13. Januar 2011
- BVerwG 2 WD 20.09 - juris). Ferner hat der Soldat durch sein Verhalten ge-
genüber dem Dienstherrn auch seine Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdi-
gem Verhalten im Dienst vorsätzlich verletzt, § 17 Abs. 2 Satz 1 SG. Der Soldat
hat das Vermögen der Bundeswehr geschädigt und damit Zweifel an seiner
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Redlichkeit und Zuverlässigkeit geweckt sowie seine Eignung für die jeweilige
Verwendung in Frage gestellt.
b) Gegen die Gehorsampflicht nach § 11 SG hat der Soldat nicht in disziplina-
risch ahnbarer Weise verstoßen. Das Truppendienstgericht hat einen solchen
Verstoß damit begründet, dass der Soldat das Dienstfahrzeug nicht zurückge-
bracht habe, obwohl ihm dies Oberstleutnant S. - vermittelt über den Hauptge-
freiten S. - ausdrücklich befohlen habe. Das Truppendienstgericht bewegt sich
damit nicht mehr innerhalb des durch die Anschuldigungsschrift gezogenen
Rahmens, weil in ihr ausdrücklich festgestellt ist: „Der insoweit für den Vorwurf
einschlägige Befehl in der Nr. 314 der ZDv 43/2 lautet …“. Da sich das Trup-
pendienstgericht zu diesem Vorwurf nicht verhält, hat es zum tatsächlich ange-
schuldigten Verhalten unter Verstoß gegen § 106 Abs. 1 WDO keine Feststel-
lungen getroffen und den Soldaten unter Verstoß gegen § 107 Abs. 1 WDO
wegen eines nicht angeschuldigten Verhaltens verurteilt.
Trotz dieses Mangels hat der Senat von einer Zurückverweisung zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung an das Truppendienstgericht nach § 121 Abs. 2
WDO abgesehen, weil ihm eine abschließende Sachverhaltsaufklärung möglich
war und das Disziplinarverfahren den Soldaten bereits seit Jahren belastet (vgl.
Urteil vom 24. März 2010 - BVerwG 2 WD 10.09 - juris). Der Senat hat im Rah-
men seiner Ermessensentscheidung insoweit dem Beschleunigungsgebot (§ 17
Abs. 1 WDO) Vorrang eingeräumt (vgl. Urteil vom 18. November 2010
- BVerwG 2 WD 25.09 - juris Rn. 34 ff.)
Gegen Nr. 314 der ZDv 43/2 hat der Soldat nicht verstoßen. Dabei kann dahin-
gestellt bleiben, ob es sich auch bei dieser Regelung der ZDv 43/2 um einen
Befehl handelt. Selbst wenn dem so wäre, setzt sie jedenfalls voraus, dass die
Fahrt beendet ist. Tatsächlich beendet war sie indes nicht, weil sich das Fahr-
zeug noch immer im Gewahrsam des Soldaten befand und das im Fahrauftrag
genannte Ende der Fahrtstrecke - T. Standort - noch nicht wieder erreicht war.
Deshalb braucht auch nicht geklärt zu werden, ob selbst bei anderer Auslegung
die Verpflichtungen nach dieser Regelung sich nicht auf die dort ausdrücklich
erwähnten Handlungen - Rückmeldung des Soldaten, Rückgabe der Begleitun-
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terlagen sowie des Schlüssels - beschränken, die die Rückgabe des Fahrzeugs
selbst nicht einschließen.
4. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs
wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen.
Diese besteht darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb
wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten. Bei der Bestimmung der Art
und des Maßes der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 in Verbindung
mit § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine
Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung
und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen.
a) Eigenart und Schwere des vom Senat festgestellten Dienstvergehens
bestimmen sich nach dem Unrechtsgehalt der Verfehlung, das heißt nach der
Bedeutung der verletzten Dienstpflichten. Danach wiegt der festgestellte Ver-
stoß nicht leicht.
Die Pflicht zum treuen Dienen ist gerade bei dienstlichen Vorgängen, die erfah-
rungsgemäß schwer kontrolliert werden können, von besonderer Bedeutung.
Beim Umgang mit Geld und Gut ist die Bundeswehr in hohem Maße auf die
Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Soldaten angewiesen. Erfüllt ein Soldat
diese zentrale dienstliche Pflicht nicht, erschüttert er das Vertrauensverhältnis
zu seinem Dienstherrn nachhaltig und begründet schwerste Zweifel an seiner
Zuverlässigkeit und persönlichen Integrität. Ein solches Fehlverhalten bedarf
einer nachdrücklichen Disziplinarmaßnahme. Erschwerend kommt die Verant-
wortung des Soldaten als Portepeeunteroffizier hinzu. Je höher ein Soldat in
den Dienstgradgruppen steigt und je mehr Verantwortung ihm dadurch übertra-
gen wird, um so größer sind dann auch die Anforderungen, die an seine Zuver-
lässigkeit, sein Pflichtgefühl und sein Verantwortungsbewusstsein gestellt wer-
den müssen und um so schwerer wiegt folglich ein Dienstvergehen. Dass das
sachgleiche Strafverfahren nach § 153a Abs. 2 StPO eingestellt worden ist,
nimmt dem Dienstvergehen nicht seine Relevanz (Urteil vom 6. Oktober 2010
- BVerwG 2 WD 35.09 - Rn. 33 = Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 5).
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Anders als vom Truppendienstgericht und von der Wehrdisziplinaranwaltschaft
angenommen, hat das Dienstvergehen nicht die behauptete Schwere. Zum ei-
nen stellen die unter Anschuldigungspunkte 1 und 2 beschriebenen Verhal-
tensweisen wegen des unvermeidbaren Verbotsirrtums keine schuldhaften Ver-
fehlungen dar; zum anderen ging mit dem unter Anschuldigungspunkt 3 be-
schriebenen Fehlverhalten kein Verstoß gegen die Gehorsampflicht einher.
b) Das Dienstvergehen hatte nachteilige Auswirkungen. Das Fahrzeug stand
der Bundeswehr über mehrere Tage nicht zur Verfügung. Dadurch kam es al-
lerdings nicht zu Beeinträchtigungen des Dienstbetriebes. Dies zeigt sich hin-
reichend deutlich daran, dass den Verantwortlichen erst Tage später der Entzug
des Fahrzeugs auffiel. Zulasten des Soldaten schlägt jedoch durch, dass sich
die Vorgesetzten mit dem Vorfall intensiv befassen mussten, zumal er auch
nach außen in Erscheinung trat. Denn erst auf Mitteilung des Ordnungsamtes
wurden die Feldjäger und dann die Vorgesetzten des Soldaten aktiv.
c) Die Beweggründe des Soldaten waren eigennützig. Eigennützigkeit ist schon
dann gegeben, wenn der Soldat aus persönlichen Gründen handelt (Urteil vom
10. Februar 2010 - BVerwG 2 WD 9.09 - juris, m.w.N.).
d) Das Maß der Schuld wird dadurch bestimmt, dass der Soldat vorsätzlich
handelte. Soweit das Truppendienstgericht in Anlehnung an die vom Senat an-
erkannten (typischen) Milderungsumstände (Urteil vom 25. Juni 2009 - BVerwG
2 WD 7.08 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 29 m.w.N.) beim Soldaten ei-
ne persönlichkeitsfremde Augenblickstat, ein Handeln aus einer wirtschaftlichen
Notlage und aus einem schockartigen Zwang heraus angenommen hat, trifft
dies nicht zu.
aa) Die Annahme einer persönlichkeitsfremden Augenblickstat verbietet sich
bereits wegen der disziplinarischen Vorbelastung des Soldaten, der dadurch
kein tadelfreier und im Dienst bewährter Soldat mehr ist (Urteil vom 13. Januar
2011 - BVerwG 2 WD 20.09 - juris Rn. 36). Zwar befand sich der Soldat ange-
sichts der im Mai 2007 erheblich reduziert ausgezahlten Dienstbezüge in einer
wirtschaftlichen Notlage; sie war von ihm jedoch verschuldet worden, so dass er
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sich auch auf diesen Milderungsgrund nicht berufen kann. Hätte der Soldat die
mehrfachen Hinweise der Wehrbereichsverwaltung bezüglich seiner Steuerkar-
te beachtet, hätte er sich auch nicht gezwungen sehen müssen, aus Ersparnis-
gründen auf das Dienst-Kfz zurückzugreifen.
bb) Die vom Truppendienstgericht beschriebenen Lebensumstände, in denen
sich der Soldat bewegt, vermögen schließlich deshalb keinen schockartig aus-
gelösten psychischen Zwang zu begründen, weil sie bereits seit Jahren beste-
hen und somit nicht „schockartig“, also plötzlich, eingetreten sind.
Dies ändert allerdings nichts daran, dass der Soldat sich über einen langen
Zeitraum in einem psychischen Ausnahmezustand befindet, der - ausweislich
des im Februar 2009 unternommenen Suizidversuchs - auch das Gewicht eines
Tatmilderungsgrundes erlangt (Urteile vom 1. September 1997 - BVerwG 2 WD
13.97 - BVerwGE 113, 128 <130> = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 16 und vom
27. Januar 2011 - BVerwG 2 A 5.09 - juris Rn. 39). Der erstinstanzlich vernom-
mene Psychologe K. hat insoweit festgestellt, der Soldat kämpfe seit Jahren um
das Überleben seiner Familie und befinde sich in einer permanenten Stresssi-
tuation, die es erstaunlich erscheinen lasse, dass er über diesen langen Zeit-
raum die Beziehungen in der Familie habe aufrecht erhalten können. Die ange-
sichts der aktenkundigen Krankschreibung des Soldaten (vom 8. bis 13. Mai
2007) glaubhafte Einlassung des Soldaten, er habe sich nach dem Umzug psy-
chisch und physisch außerstande gesehen, das Fahrzeug wieder zurückzubrin-
gen, erhält dadurch ihre rechtliche Bedeutung.
e) Im Hinblick auf die Zumessungskriterien Persönlichkeit und bisherige Füh-
rung wirkt sich zulasten des Soldaten aus, dass seine zunächst mit zwei förmli-
chen Anerkennungen gewürdigten außergewöhnlichen Leistungen im Laufe der
Jahre kontinuierlich und beträchtlich nachgelassen haben, sie nach den Aussa-
gen der Leumundszeugen in der Berufungshauptverhandlung auch gegenwärtig
trotz steigender Tendenz noch schwanken und eine disziplinarische Vorbelas-
tung besteht.
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Die schwankenden Leistungen wie auch die Vorfälle, die zur disziplinarischen
Vorbelastung des Soldaten führten, erklären sich jedoch ebenso wie das aktuell
angeschuldigte Fehlverhalten mit den familiären Umständen. Das Truppen-
dienstgericht hat sie bereits im Urteil vom 22. Februar 2007 (auf Seite 7) als
Grund dafür angesehen, warum es trotz „… der ruhigen zurückhaltenden We-
sensart des Soldaten“ zu den seinerzeit strafrechtlich und auch disziplinarisch
relevanten Verfehlungen kam. Der Soldat versucht offensichtlich, die bereits
seit Jahren familiär desaströsen Umstände, insbesondere die Auswirkungen der
nach wie vor bestehenden Alkoholerkrankung seiner Ehefrau auf die Kinder,
aufzufangen, die zudem schulische Probleme haben. Das Bemühen des Solda-
ten, trotz dieser chronischen, im Februar 2009 zu einem Suizidversuch führen-
den Überforderungssituation sowohl der dienstlichen als auch der familiären
Verantwortung gerecht zu werden, spricht - wie auch vom Gutachter festgestellt
und aus der Beurteilung des Jahres 2003 entnehmbar - für ein im Grundsatz
ausgeprägtes Verantwortungsgefühl und somit in besonderem Maße für ihn
(Urteil vom 27. Juli 2010 - BVerwG 2 WD 5.09 - Buchholz 450.2 § 38 WDO
2002 Nr. 30). Hinzu tritt, dass der Soldat das Unrecht seines Handelns einge-
sehen hat.
f) Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat von
einem zweistufigen Prüfungsschema aus (Urteil vom 10. Februar 2010
- BVerwG 2 WD 9.09 - juris). Es führt dazu, dass die Dauer des erstinstanzlich
verhängten Beförderungsverbotes auf ein Jahr zu reduzieren ist.
aa) Auf der ersten Stufe ist im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung
vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssi-
cherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme
für die in Rede stehende Fallgruppe als „Ausgangspunkt der Zumessungserwä-
gungen“ zu bestimmen. Dabei entspricht es der Rechtsprechung des Senats,
dass im Fall der Inanspruchnahme von Personal oder dienstlichen Materials der
Bundeswehr zu privaten Zwecken Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen
je nach Gewicht des Dienstvergehens eine Gehaltskürzung und/oder ein Beför-
derungsverbot, in schweren Fällen eine Herabsetzung um einen oder mehrere
Dienstgrade ist. Betrifft der Verstoß den Kernbereich der dienstlichen Tätigkeit,
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kommt die Entfernung aus dem Dienst in Betracht (Urteil vom 25. Juni 2006
- BVerwG 2 WD 7.08 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 29). Da dem Solda-
ten keine Verletzung seiner Kernpflichten, darüber hinaus lediglich das unter
Anschuldigungspunkt 3 beschriebene Fehlverhalten vorzuhalten ist und auch
insoweit kein Gehorsamsverstoß vorliegt, bildet Ausgangspunkt der Zumes-
sungserwägungen eine Gehaltskürzung.
bb) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im Einzelfall im Hinblick auf die in
§ 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien Umstände vorliegen, die die
Möglichkeit einer Verschärfung oder Milderung gegenüber der auf der ersten
Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme eröffnen. Dabei ist vor allem an-
hand der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie dessen Auswir-
kungen zu klären, ob es sich angesichts der be- und entlastenden Umstände
um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverlet-
zung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schwe-
regrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die
zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach „oben“ bzw. nach „unten“ zu modi-
fizieren. Für die „Eigenart und Schwere des Dienstvergehens“ kann z.B. von
Bedeutung sein, ob der Soldat eine herausgehobene Dienststellung hatte, ein-
malig oder wiederholt oder in einem besonders wichtigen Pflichtenbereich ver-
sagt hat. Bei den Auswirkungen des Fehlverhaltens sind die konkreten Folgen
für den Dienstbetrieb sowie schädliche Weiterungen für das Außenbild der Bun-
deswehr in der Öffentlichkeit zu berücksichtigen. Hinsichtlich des Zumessungs-
kriteriums „Maß der Schuld“ hat der Senat neben der Schuldform und der
Schuldfähigkeit das Vorliegen von Erschwerungs- und Milderungsgründen in
den Tatumständen in Betracht zu ziehen.
Nach diesen Kriterien ist hier eine Verschärfung der regelmäßig zu verhängen-
den Disziplinarmaßnahme (Gehaltskürzung) geboten, weil gegen den Soldaten
bereits im Februar 2007 eine gerichtliche Disziplinarmaßnahme verhängt wor-
den ist. Die nun erneute disziplinare Verfehlung bewirkt, dass abweichend vom
Ausgangspunkt der Zumessungserwägung ein Beförderungsverbot zu verhän-
gen ist (§§ 58 Abs. 1 Nr. 2, 60 WDO).
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cc) Den Soldaten - wie von der Wehrdisziplinaranwaltschaft beantragt - im
Dienstgrad herabzusetzen wäre unverhältnismäßig. Eine solche Disziplinar-
maßnahme rechtfertigt sich insbesondere nicht damit, dass gegen den Soldaten
bereits im Jahre 2007 ein Beförderungsverbot verhängt worden ist. Zum einen
hat der Senat diesem erschwerenden Umstand bereits auf der zweiten Stufe
der Maßnahmebemessung zulasten des Soldaten Rechnung getragen. Zum
anderen besteht eine Gesetzmäßigkeit des Inhalts, dass eine disziplinarische
Vorbelastung bei einem erneuten Dienstvergehen zwingend zu einer schwere-
ren als der zuvor verhängten Disziplinarmaßnahmeart (§ 58 Abs. 1 WDO) führt,
nicht. Dies widerspräche dem § 38 Abs. 1 WDO zu entnehmenden Erfordernis
einer jeweils einzelfallbezogenen Würdigung des Dienstvergehens, bei dem die
„bisherige Führung“ nur einen Bemessungsparameter von mehreren darstellt.
dd) § 38 Abs. 1 WDO verbietet ebenfalls, das Beförderungsverbot für einen
Zeitraum auszusprechen, der losgelöst von der konkreten
Schwere
des
Dienstvergehens und trotz erheblicher Milderungsgründe in der Person des
Soldaten über den Zeitraum des früheren Beförderungsverbots hinausreicht. Da
die Anforderungen, die an entlastende Umstände zu stellen sind, durch die
Schwere des Dienstvergehens bestimmt werden (Urteil vom 16. März 2011
- BVerwG 2 WD 40.09 - juris Rn. 70), ist hier zu beachten, dass erhebliche Mil-
derungsgründe bei einem Dienstvergehen vorliegen, das ohne die disziplinari-
sche Vorbelastung als nicht besonders schwer einzustufen und bereits mit einer
Gehaltskürzung ausreichend geahndet wäre. Der disziplinarischen Vorbelas-
tung ist mithin bereits durch eine Heraufzonung bei der Regelmaßnahme Rech-
nung getragen worden, ohne dass bei der Maßnahmeart nun noch zusätzlich
über deren Mindestmaß von einem Jahr (§ 60 Abs. 2 Satz 1 WDO) hinausge-
gangen werden müsste. Der Senat kann deshalb dahingestellt lassen, ob es
rechtlich nicht ohnehin geboten gewesen wäre, bei erfolglosen Berufungen der
Wehrdisziplinaranwaltschaft, die zuungunsten des Soldaten gegen erstinstanz-
lich verhängte Beförderungsverbote eingelegt werden, den Zeitraum der damit
für den Soldaten faktisch verbundenen Beförderungssperre auf den förmlich
angeordneten Zeitraum der Beförderungssperre in Ansatz zu bringen.
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g) Zusätzlich zum Beförderungsverbot nach § 58 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz
WDO eine Kürzung der Dienstbezüge auszusprechen, ist schon deshalb nicht
geboten, weil der Soldat - ausweislich der aktuellen Beurteilung - sein Lauf-
bahnziel noch nicht erreicht hat und sich das Beförderungsverbot damit voraus-
sichtlich auf seinen weiteren Werdegang auch auswirken wird.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 139 Abs. 2, 140 Abs. 3 Satz 1 WDO.
Golze
Dr. Burmeister
Dr. Eppelt
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