Urteil des BVerwG vom 05.06.2014

Soldat, Innere Medizin, Anvertrautes Gut, Dienstverhältnis

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 14.13
TDG S 3 VL 23/12
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
Herrn Oberstabsarzt der Reserve …,
zuletzt: …
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 5. Juni 2014, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Burmeister als Vorsitzender,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
ehrenamtlicher Richter Oberstleutnant Rönnau und
ehrenamtliche Richterin Oberfeldarzt Dr. Tillmann,
Leitender Regierungsdirektor …
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt …,
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin …
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:
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Auf die Berufung des früheren Soldaten wird das Urteil der
3. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 18. März
2013 im Ausspruch über die Disziplinarmaßnahme abge-
ändert.
Die Kürzung der Dienstbezüge des früheren Soldaten um
ein Zwanzigstel für die Dauer von zwölf Monaten wird auf-
gehoben.
Das Verfahren wird eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der dem frühe-
ren Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen
werden unter Abänderung des Urteils der 3. Kammer des
Truppendienstgerichts Süd vom 18. März 2013 dem Bund
auferlegt.
G r ü n d e :
I
Der … Jahre alte frühere Soldat wurde nach dem Erwerb der Allgemeinen
Hochschulreife im November 19.. als Sanitätsoffizier-Anwärter in das Dienst-
verhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Er wurde zuletzt im August 20.. zum
Oberstabsarzt befördert. Seine Dienstzeit wurde auf zwanzig Jahre verlängert
und hätte regulär mit dem 31. Dezember 20.. geendet. Mit Wirkung vom 1. Juni
20.. ist er aber wegen Dienstunfähigkeit entlassen worden.
Nach der Allgemeinen Grundausbildung, dem Bestehen der Offizierprüfung und
dem Studium der Humanmedizin war der frühere Soldat auf unterschiedlichen
Dienstposten am Bundeswehrkrankenhaus …, ab April 2004 als Sanitätsstabs-
offizier Arzt, eingesetzt. Zum Januar 2005 erfolgte seine Versetzung zum Sani-
tätszentrum … mit einer Zweitverwendung als Truppenarzt. Dem schlossen sich
Versetzungen ab Juli 2006 zum Flugmedizinischen Institut der Luftwaffe und ab
Juli 2007 zum Bundeswehrkrankenhaus … an. Nach einer zwischenzeitlichen
Verwendung am Bundeswehrkrankenhaus … war er seit Juli 2009 erneut am
Bundeswehrkrankenhaus … in der Abteilung … als Weiterbildungsassistent
eingesetzt.
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In der letzten planmäßigen Beurteilung vom 21. Mai 2010 bewertete der leiten-
de Arzt der Abteilung Innere Medizin die Aufgabenerfüllung auf dem Dienstpos-
ten im Durchschnitt mit „5,6“. Der frühere Soldat sei ein in der Weiterbildung
weit fortgeschrittener Sanitätsstabsoffizier mit einer einwandfreien Einstellung
zum Beruf als Arzt. Der beurteilende Vorgesetzte hob das sehr gute fachliche
Können sowie die Kommunikations- und Teamfähigkeit des früheren Soldaten
hervor. Er verfüge über gute Voraussetzungen für die Tätigkeit als Facharzt im
Bereich der Inneren Medizin. Als Stationsarzt habe er den verantwortlichen
Oberarzt spürbar entlastet. Er habe technisch schwierige Untersuchungen
selbstständig kompetent durchgeführt und großes manuelles Geschick bei di-
agnostischen und therapeutischen Maßnahmen gezeigt. Im Persönlichkeitspro-
fil wurde die funktionale Kompetenz als „stärker ausgeprägt“ und „bestimmen-
des Merkmal“ gewertet. Gleichfalls „stärker ausgeprägt“ sei die geistige Kompe-
tenz, während die soziale Kompetenz und die Kompetenz in Menschenführung
„ausgeprägt“, die konzeptionelle Kompetenz „weniger ausgeprägt“ seien. Der
Erstbeurteiler sah ihn für Fachverwendungen „außerordentlich gut geeignet“, für
Führungs- und Lehrverwendungen „gut geeignet“ und für Stabsverwendungen
und Verwendungen mit besonderer Außenwirkung „geeignet“. Der Chefarzt des
Bundeswehrkrankenhauses … charakterisierte den früheren Soldaten ebenfalls
als erfahrenen, fachlich versierten Sanitätsstabsoffizier in fortgeschrittener Wei-
terbildung zum Facharzt für Innere Medizin mit Stärken in der fachlichen Befä-
higung und der Organisation. Er attestierte eine Entwicklungsprognose bis zur
allgemeinen Laufbahnperspektive.
In seiner in der Berufungshauptverhandlung verlesenen erstinstanzlichen Stel-
lungnahme zur Person des früheren Soldaten hatte der frühere Disziplinarvor-
gesetzte, …., ausgeführt, dass dieser ein guter Arzt und bei den Patienten wie
beim Personal beliebt sei. Er habe medizinisch einen guten Ruf. Einen Aus-
landseinsatz habe der frühere Soldat nicht wahrgenommen. Mit einer „5,6“ sei
er im Vergleich mit anderen Ärzten wegen der fehlenden Einsatztage unter-
durchschnittlich beurteilt. Für eine Beförderung bis zum Dienstzeitende hätte er
zumindest eine „6,78“ haben müssen. Seit den Ermittlungen sei der frühere
Soldat krank zu Hause geschrieben.
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Der frühere Soldat ist Träger des Leistungsabzeichens Truppendienst in Gold.
Er hat 2005 eine Leistungsprämie erhalten. Der Auszug aus dem Disziplinar-
buch vom 3. April 2014 enthält eine 1996 wegen vorbildlicher Pflichterfüllung
erteilte Förmliche Anerkennung. Die Auskunft aus dem Zentralregister vom
2. April 2014 enthält keinen Eintrag.
Der frühere Soldat ist ledig und kinderlos. Nach der Auskunft des Bundesver-
waltungsamtes, Außenstelle …, vom 18. März 2014 stehen ihm eine Über-
gangsbeihilfe in Höhe von 29 928,72 € und bis zum 31. Mai 2016 Übergangs-
gebührnisse in Höhe von monatlich 3 704,06 € brutto zu. Unter Berücksichti-
gung der gesetzlichen Abzüge werden ihm Übergangsgebührnisse in Höhe von
2 806, 38 € ausgezahlt.
II
1. Das Verfahren ist nach Anhörung des früheren Soldaten am 21. Juni 2011
und Einreichung einer schriftlichen Stellungnahme vom 28. Juli 2011 mit Verfü-
gung des Kommandeurs Sanitätskommando … vom 19. August 2011, dem
früheren Soldaten ausgehändigt am 31. August 2011, eingeleitet worden. Der
Anhörung der Vertrauensperson hatte der frühere Soldat zuvor widersprochen.
Nach Verzicht auf die Gewährung des Schlussgehörs hat die Wehrdisziplinar-
anwaltschaft dem früheren Soldaten mit Anschuldigungsschrift vom 23. Februar
2012, zugestellt am 13. März 2012, ein Dienstvergehen zur Last gelegt.
2. Die 3. Kammer des Truppendienstgerichts Süd hat mit Urteil vom 18. März
2013 gegen den damals noch im aktiven Dienst befindlichen früheren Soldaten
wegen eines Dienstvergehens eine Kürzung seiner Dienstbezüge um ein
Zwanzigstel für die Dauer von zwölf Monaten verhängt.
Die Kammer hat Folgendes festgestellt: Am Nachmittag des 18. November
2010 habe der frühere Soldat den Truppenarzt vertreten. Der Zeuge Ober-
stabsarzt Dr. S. habe wegen seines Antrages auf Übernahme in das Dienstver-
hältnis eines Berufssoldaten ein Attest über seine gesundheitliche Eignung be-
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nötigt und um einen Untersuchungstermin an diesem Tage gebeten, um noch in
der anstehenden Auswahlkonferenz mitbetrachtet werden zu können. Der Zeu-
ge habe wegen der vorher zu absolvierenden Untersuchungen auf die in seiner
Gesundheitsakte befindlichen Ergebnisse hinsichtlich seiner Fallschirmsprung-
diensttauglichkeit verwiesen. Die Frage des früheren Soldaten nach Erkrankun-
gen habe der Zeuge verneint und einen bestehenden Hörfehler nicht mitgeteilt,
da er wegen dieses Hörfehlers keine Probleme gehabt habe. Der frühere Soldat
habe keinen Befragungsbogen ausgefüllt, die Eintragungen in der Gesund-
heitsakte des Zeugen überprüft und diesem die Tauglichkeit zur Übernahme in
das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten attestiert. Nachdem der zuständige
Truppenarzt von der Ernennung des Zeugen zum Berufssoldaten erfahren und
nach dem Vorliegen einer Ausnahmegenehmigung gefragt habe, seien Ermitt-
lungen gegen den früheren Soldaten aufgenommen worden. Zwischen diesem
und dem Zeugen Dr. S. habe keine engere Beziehung bestanden. Der zustän-
dige Truppenarzt habe für den Zeugen Dr. S. in der Folge ein Attest erstellt,
nach dem aus gesundheitlicher Sicht zwar keine Verwendungsfähigkeit als Be-
rufssoldat bestehe, eine Ausnahmegenehmigung jedoch möglich sei und be-
fürwortet werde. In der Gesundheitsakte des Zeugen befänden sich aus den
letzten zwei Jahren vor der in Rede stehenden Begutachtung zwei Bescheini-
gungen der Fallschirmsprungverwendungsfähigkeit, drei Ausnahmegenehmi-
gungen für die Tropendienstverwendung, das Ergebnis eines Tuberkulosetests,
ein Belastungs-EKG, verschiedene Laborbefunde sowie zahn- und augenärztli-
che Befundberichte und ein Audiogramm. Die umfassende Fallschirmsprung-
verwendungsfähigkeitsuntersuchung sei einer für die Übernahme in das Dienst-
verhältnis eines Berufssoldaten erforderlichen Grunduntersuchung gleichzustel-
len. Wegen des Hörschadens des Zeugen sei eine aktuelle Untersuchung durch
einen HNO-Arzt erforderlich gewesen. Wegen dieses Hörschadens hätte ein
Antrag auf Ausnahmegenehmigung gestellt werden müssen, die aber sicher
erteilt worden wäre.
Der frühere Soldat habe die Pflichten aus §§ 7 SG und 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2
SG verletzt, indem er entgegen verbindlichen Weisungen die Befragung des
Zeugen anlässlich der Tauglichkeitsbegutachtung nicht in einem militärärztli-
chen Befragungsbogen dokumentiert, keinen militärärztlichen Untersuchungs-
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bogen erstellt und nicht erkannt habe, dass er nach den in der Gesundheitsakte
befindlichen Facharztbefunden die gesundheitliche Eignung zur Übernahme in
das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten nicht hätte attestieren dürfen. Der
frühere Soldat habe fahrlässig gehandelt, weil er bei Anwendung der von ihm
zu erwartenden Sorgfalt das korrekte Vorgehen hätte erkennen können und
müssen.
Das Dienstvergehen wiege nicht leicht und erfordere insbesondere aus gene-
ralpräventiven Erwägungen eine gerichtliche Disziplinarmaßnahme. Bei der Be-
gutachtung und Dokumentation des Gesundheitszustandes von Soldaten sei
der Dienstherr für Personalentscheidungen auf korrekte ärztliche Bewertungen
angewiesen. Sorgfaltspflichtverstöße in diesem Bereich verletzten die Pflicht
zur gewissenhaften Dienstleistung erheblich. Auch die Pflicht zur Wahrung von
Achtung und Vertrauen habe funktionalen Bezug zur Erfüllung des Auftrages
der Streitkräfte und deshalb einen hohen Stellenwert. Zugunsten des früheren
Soldaten sei sein nur fahrlässiges Handeln und das Fehlen negativer Auswir-
kungen auf die Personalplanung zu berücksichtigen. Erschwerend wirke seine
Vorgesetztenstellung. Schuldminderungsgründe oder Milderungsgründe in den
Umständen der Tat gebe es nicht. Seine Beweggründe ließen das Fehlverhal-
ten nicht in einem milderen Licht erscheinen. Insgesamt sei eine Kürzung der
Dienstbezüge angemessen und erforderlich. Unter Berücksichtigung der guten
dienstlichen Leistungen, der fehlenden Vorbelastung, einer förmlichen Aner-
kennung, des Leistungsabzeichens und der Leistungsprämie, der glaubhaften
Unrechtseinsicht und des guten Leumundszeugnisses, könne die Kürzung am
unteren Rand des gesetzlich Möglichen angesiedelt werden.
3. Gegen das ihm am 27. März 2013 zugestellte Urteil hat der frühere Soldat
am 26. April 2013 beschränkt auf die Maßnahmebemessung Berufung einge-
legt. Bei der Maßnahmebemessung seien die Umstände der Untersuchung,
insbesondere der kurzfristig vertretungsweise erfolgte Einsatz als Truppenarzt,
das Vorliegen der verschiedenen Ausnahmegenehmigungen in der Gesund-
heitsakte und die Verneinung der Frage nach Erkrankungen durch den Zeugen
nicht angemessen berücksichtigt worden. Nach Aussage der Zeugen wäre im
Übrigen die für die Ernennung zum Berufssoldaten erforderliche Ausnahmege-
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nehmigung erteilt worden. Als Folge dieses Vorfalles dürften entsprechende
Begutachtungen nunmehr im Bundeswehrkrankenhaus … nur noch durch den
zuständigen Truppenarzt durchgeführt werden. Das Dienstvergehen des frühe-
ren Soldaten sei mit einer einfachen Disziplinarmaßnahme angemessen zu
ahnden gewesen. Da diese wegen Zeitablaufes nicht mehr verhängt werden
dürfe, sei das Verfahren unter Feststellung eines Dienstvergehens einzustellen.
III
Die gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und Absatz 2 WDO form-
und fristgerecht eingelegte Berufung ist begründet. Die vom Truppendienstge-
richt verhängte Disziplinarmaßnahme ist aufzuheben und das Verfahren nach
§ 108 Abs. 3 Satz 1 WDO einzustellen, weil die tat- und schuldangemessene
Maßnahme nach § 17 Abs. 2 WDO nicht mehr verhängt werden darf.
Das Rechtsmittel des früheren Soldaten ist auf die Bemessung der Disziplinar-
maßnahme beschränkt eingelegt worden. Der Senat hat daher gemäß § 91
Abs. 1 Satz 1 WDO in Verbindung mit § 327 StPO die Tat- und Schuldfeststel-
lungen sowie die disziplinarrechtliche Würdigung des Truppendienstgerichts als
Dienstvergehen seiner Entscheidung zugrunde zu legen und unter Berücksich-
tigung des Verschlechterungsverbotes (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331
StPO) über die Verhängung einer Maßnahme zu entscheiden.
1. Das Truppendienstgericht hat festgestellt, dass der frühere Soldat dem Zeu-
gen Oberstabsarzt Dr. S. die gesundheitliche Eignung für die Übernahme in das
Dienstverhältnis eines Berufssoldaten attestiert hat, obwohl er wegen in dessen
Gesundheitsakte befindlicher Facharztbefunde wegen eines Hörschadens zu
dem Begutachtungsergebnis „dienstfähig und verwendungsfähig mit erhebli-
chen Einschränkungen für bestimmte Tätigkeiten“ hätte kommen müssen. Der
korrekte Befund hätte die Notwendigkeit einer Ausnahmegenehmigung erge-
ben, die allerdings erteilt worden wäre. Weiter hat es festgestellt, dass der
frühere Soldat eine internen Anweisungen genügende militärärztliche Befra-
gung des Zeugen nicht dokumentiert hatte. Hierbei habe der frühere Soldat das
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vorschriftenwidrige Unterbleiben einer vollständigen Dokumentation und das
zutreffende Ergebnis einer sorgfältigen Untersuchung erkennen können und
müssen. Das Truppendienstgericht bewertete dieses Verhalten als fahrlässige
Verletzung der Pflichten aus § 7 und § 17 Abs. 2 Satz 1 SG.
Diese Schuldfeststellungen sind eindeutig und widerspruchsfrei und für den Se-
nat damit bindend. Ob die Tat- und Schuldfeststellungen vom Truppendienstge-
richt rechtsfehlerfrei getroffen wurden, darf vom Senat grundsätzlich nicht mehr
überprüft werden. Denn bei einer auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme
beschränkten Berufung wird der Prozessstoff nicht mehr von der Anschuldi-
gungsschrift, sondern nur von den bindenden Tat- und Schuldfeststellungen
des angefochtenen Urteils bestimmt.
wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen.
Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen
Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten („Wiederherstel-
lung und Sicherung der Integrität, des Ansehens und der Disziplin in der Bun-
deswehr“, vgl. dazu Urteil vom 11. Juni 2008 - BVerwG 2 WD 11.07 - Buchholz
450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26 m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinarmaß-
nahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere
des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Per-
sönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des früheren Soldaten
zu berücksichtigen.
a) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Un-
rechtsgehalt der Verfehlungen, d.h. nach der Bedeutung der verletzten Dienst-
pflichten. Danach wiegt das Dienstvergehen nicht ganz leicht, weil wichtige
Dienstpflichten eines Soldaten verletzt wurden.
Die Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG) gehört zu den zentralen Pflichten eines
Soldaten. Ihre Verletzung ist in der Regel schon deshalb von erheblicher Be-
deutung. Die Übernahme eines Soldaten in das Dienstverhältnis eines Berufs-
soldaten ist von hoher wirtschaftlicher Bedeutung für den Bundeshaushalt, so-
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dass der Dienstherr hier auf eine sorgfältige Prüfung der Voraussetzungen
durch seine Bediensteten angewiesen ist. Auch die Verletzung der Pflicht zu
achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) hat Ge-
wicht. Sie hat funktionalen Bezug zur Erfüllung des grundgesetzmäßigen Auf-
trages der Streitkräfte und zur Gewährleistung des militärischen Dienstbetriebs.
Ein Soldat, insbesondere wie hier ein Vorgesetzter, bedarf der Achtung seiner
Kameraden und Untergebenen sowie des Vertrauens seiner Vorgesetzten, um
seine Aufgaben so zu erfüllen, dass der gesamte Ablauf des militärischen
Dienstes gewährleistet ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine Beeinträch-
tigung der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit tatsächlich eingetreten ist, son-
dern nur darauf, ob das festgestellte Verhalten dazu geeignet war (stRspr, z.B.
Urteile vom 13. Januar 2011 - BVerwG 2 WD 20.09 - juris Rn. 27 m.w.N. und
vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - juris Rn. 29). Dies ist bei einer aus
Nachlässigkeit fehlerhaften Dienstleistung der Fall.
Eigenart und Schwere des Dienstvergehens werden zudem auch dadurch be-
stimmt, dass der Soldat aufgrund seines Dienstgrades als Oberstabsarzt in ei-
nem Vorgesetztenverhältnis stand (§ 1 Abs. 3 Sätze 1 und 2 SG i.V.m. § 4 Abs.
1 Nr. 1, Abs. 3 VorgV). Soldaten in Vorgesetztenstellung obliegt eine höhere
Verantwortung für die Wahrung dienstlicher Interessen. Wegen seiner heraus-
gehobenen Stellung ist ein Vorgesetzter in besonderem Maße für die ord-
nungsgemäße Erfüllung seiner Dienstpflichten verantwortlich und unterliegt
damit im Falle einer Pflichtverletzung einer verschärften Haftung, da Vorgesetz-
te in ihrer Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben sollen (§ 10 Abs. 1
SG). Dabei ist nicht erforderlich, dass es der Soldat bei seinem Fehlverhalten
innerhalb eines konkreten Vorgesetztenverhältnisses an Beispielhaftigkeit hat
fehlen lassen. Es reicht - wie hier - das Innehaben einer Vorgesetztenstellung
aufgrund des Dienstgrades aus (vgl. Urteile vom 25. Juni 2009 - BVerwG 2 WD
7.08 - m.w.N., vom 13. Januar 2011 - BVerwG 2 WD 20.09 - juris Rn. 28 und
vom 4. Mai 2011 a.a.O. Rn. 30).
Eine Kernpflichtverletzung steht allerdings nicht in Rede, denn der frühere Sol-
dat war nicht auf einem Dienstposten als Truppenarzt eingesetzt, sondern hat
nach den zutreffenden Feststellungen des Truppendienstgerichts vielmehr als
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für den zuständigen Truppenarzt für den fraglichen Nachmittag kurzfristig im
Einzelfall bestimmter Vertreter versagt.
Eine Kernpflichtverletzung, die eine höhere Sanktionsandrohung rechtfertigen
könnte, setzt voraus, dass ein Soldat in dem regulären Aufgabenkreis auf sei-
nem Dienstposten versagt hat (vgl. für das Kernbereichsversagen in der Form
eines Zugriffes auf anvertrautes Gut: Urteil vom 18. April 2013 - BVerwG 2 WD
16.12 - Rn. 39). Steht - wie hier - ein Versagen in den Aufgaben eines Vertre-
ters in Rede, liegt ein Kernbereichsversagen allenfalls vor, wenn die Wahrneh-
mung der Vertretung zu den regulären Hauptaufgaben des Dienstpostens ge-
hört hat. Denn nur in diesem Fall stellt die Aufgabenübertragung die Übertra-
gung einer Vertrauensstellung durch den Dienstherrn dar, die eine gravierende
Sanktion rechtfertigt. Aufgaben, die einem Soldaten zur Wahrnehmung im Ein-
zelfall übertragen werden, prägen seinen Dienstposten nicht und gehören daher
nicht zum Kernbereich seiner Pflichten.
Vorliegend war der frühere Soldat mit Versetzungsverfügung vom 8. Juni
2009 zum 1. Juli 2009 an das Bundeswehrkrankenhaus … versetzt worden.
In dieser Verfügung waren die Erstverwendung als „Sanitätsstabsoffizier
Arzt“ und die Zweitverwendung „ZWB Notfallmedizin“ festgelegt. Von einer
Verwendung als Truppenarzt war dort - anders als noch in der Vorverwen-
dung beim Sanitätszentrum … - nicht die Rede. Die auf diesem Dienstposten
beim Bundeswehrkrankenhaus … ausgeführten Tätigkeiten charakterisiert
die letzte planmäßige Beurteilung durch die Bezeichnung als „Weiterbil-
dungsassistent“. Erläuternd wird auf folgende ausgeführte Aufgaben und Tä-
tigkeiten verwiesen:
„Diagnostik und Therapie internistischer Erkrankungen, die
Vorbereitung und Durchführung von Visiten, das Legen von
peripher-venösen und zentral-venösen Zugängen, die Inter-
pretation von Röntgen-, Labor- und EKG-Befunden. Regelmä-
ßige Teilnahme an Röntgenbesprechungen und am Bereit-
schaftsdienst der Abteilung … (BwKrhs … und BwKrhs …).
Regelmäßig nahm OStArzt Dr. … an abteilungsinternen Fort-
bildungsveranstaltungen teil und führte diese auch selber
durch. Stationsbegleitend war er im Bereich der Ultraschalldi-
agnostik (abdominelle und peripher-venöse, arterielle und
hirnzuführende Gefäße) tätig. Vom 02.01.09 bis 30.06.09 war
er im Bereich der gastroenterologischen Endoskopie einge-
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setzt. Hier erlernte er die Methoden der gastroenterologischen
Endoskopie und der Bronchoskopie.“
Von einer den Dienstposten inhaltlich prägenden Tätigkeit als Truppenarzt oder
Vertreter desselben ist dort nichts dokumentiert. Es gibt keinen Hinweis darauf,
dass sich die regulären Tätigkeitsschwerpunkte des früheren Soldaten nach
dem Erstellen der letzten planmäßigen Beurteilung bis zum Zeitpunkt der
Pflichtverletzung geändert haben könnten. Vielmehr hat der frühere Soldat in
der Berufungshauptverhandlung glaubhaft erläutert, der Dienstposten des
Truppenarztes sei im Bundeswehrkrankenhaus … organisatorisch der Abteilung
für … zugeordnet gewesen. Daher sei aus den gerade anwesenden Ärzten der
Abteilung im Vertretungsfall jeweils ein Vertreter bestimmt worden. An dem
fraglichen Tag sei ihm kurzfristig auf dem Flur die Vertretung für Dr. G. an die-
sem Nachmittag übertragen worden. Hiernach ist der Senat davon überzeugt,
dass die vertretungsweise Wahrnehmung von Aufgaben des Truppenarztes, die
vorliegend auch nach den Feststellungen des Truppendienstgerichts nur kurz-
zeitig für einen Nachmittag erfolgte, nicht zu den originären Aufgaben des
Dienstpostens des früheren Soldaten gehörte.
b) Das Dienstvergehen hatte keine nachteiligen Auswirkungen für den Dienst-
betrieb oder die Personalführung des Dienstherrn. Nach den in der Berufungs-
hauptverhandlung verlesenen erstinstanzlichen Aussagen der sachverständi-
gen Zeugen Oberstabsarzt Dr. G. und Oberfeldarzt L. hätte es für die Ernen-
nung des Zeugen Oberstabsarzt Dr. S. zum Berufssoldaten zwar einer Aus-
nahmegenehmigung bedurft, diese wäre aber erteilt worden. Der Fehler des
früheren Soldaten hat folglich nicht dazu geführt, dass ein gesundheitlich hierfür
nicht tauglicher Soldat den Status eines Berufssoldaten erlangt hätte. Der frühe-
re Soldat ist wegen des Fehlverhaltens von seinem Dienstposten auch nicht
abgelöst worden. Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass das Dienstvergehen
über den Kreis der unmittelbar Beteiligten und der mit den Ermittlungen befass-
ten Personen hinaus bekannt geworden wäre und dass dies zu Unruhe oder
Störungen im Dienstablauf geführt hätte.
c) Die Beweggründe des früheren Soldaten beeinflussen die Maßnahmebe-
messung nicht zu seinen Ungunsten. Er hat weder eigennützige Zwecke ver-
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folgt noch den ihm persönlich nicht näher bekannten Zeugen Oberstabsarzt Dr.
S. privilegieren wollen. Ein einmaliger, fachlicher Fehler in einer Entscheidung
außerhalb des originären Zuständigkeitsbereiches eines Soldaten erlaubt kei-
nen Rückschluss auf charakterliche Mängel oder eine grundsätzliche Sorglosig-
keit im Umgang mit Dienstpflichten.
d) Das Maß der Schuld des uneingeschränkt schuldfähigen früheren Soldaten
wird dadurch bestimmt, dass er nach den bindenden Feststellungen des Trup-
pendienstgerichts fahrlässig gehandelt hat.
Milderungsgründe in den Umständen der Tat, die die Schuld des früheren Sol-
daten mindern könnten (vgl. z.B. Urteil vom 23. September 2008 - BVerwG
2 WD 18.07 - m.w.N.), liegen nicht vor. Insbesondere handelt es sich nicht um
eine persönlichkeitsfremde Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und im
Dienst bewährten Soldaten, weil mit der Prüfung und Bescheinigung der ge-
sundheitlichen Eignung zum Berufssoldaten ein mehraktiges, komplexes Ge-
schehen in Rede steht. Es liegt auch kein Mitverschulden des Dienstherrn vor.
Die zusätzlich zu den eigenen Aufgaben erfolgte Übertragung einer Vertretung
für einen Nachmittag begründet keine Überlastungssituation, in der es zusätzli-
cher Unterstützung durch die Dienstaufsicht bedarf. Der frühere Soldat hätte
trotz der übertragenen Vertretung die Möglichkeit gehabt, den Zeugen Dr. S.
auf die Rückkehr des zuständigen Truppenarztes zu verweisen, wenn er sich
durch die Erstellung des Attestes überfordert gesehen hätte.
Dennoch sind die Umstände des Versagens - wenn auch mit minderem Ge-
wicht als im Falle eines in der Rechtsprechung anerkannten klassischen Milde-
rungsgrundes in den Umständen der Tat - zugunsten des früheren Soldaten in
die Bemessungsentscheidung einzustellen. Der frühere Soldat hat als kurzfristig
bestellter Vertreter des zuständigen Truppenarztes versagt und damit in einem
Aufgabenkreis, der ihm zwar in einer fast vier Jahre zurückliegenden Phase für
etwa ein Jahr lang selbst einmal übertragen gewesen war, in dem er aber zum
Zeitpunkt seiner Fehlentscheidung nicht mehr über die Routine verfügte, die
eine regelmäßige Befassung gewährleistet. Zudem stand er wegen der zu sei-
nen originären Aufgaben als Stationsarzt in der Ambulanz hinzutretenden Ver-
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tretung und der Erwartung des Zeugen Oberstabsarzt Dr. S., im Hinblick auf die
anstehende Auswahlkonferenz eine zügige Entscheidung zu erreichen, unter
Zeitdruck. Hinzu kommt, dass der zu untersuchende Kamerad gleichfalls Arzt
und damit zum einen als Soldat in dienstlichen Angelegenheiten nach § 13
Abs. 1 SG zur Wahrheit verpflichtet und zum anderen fachlich kompetent war,
das Vorliegen von Bedenken gegen seine gesundheitliche Eignung zum Be-
rufssoldaten zu beurteilen. Wenn ein solcher fachkundiger Patient - wie hier
vom Truppendienstgericht festgestellt - Fragen nach Erkrankungen verneint,
begründet diese Selbsteinschätzung für den Untersuchenden subjektiv einen
ersten Anschein der Richtigkeit, der für ihn eine erhebliche Versuchung schafft,
auf diese Einschätzung zu vertrauen, sie weniger gründlich als nach Vorschrif-
tenlage geboten zu hinterfragen und die knappe Ressource seiner Zeit auf
problematischer erscheinende Fragen zu verwenden. Hinzu kam weiter, dass
diese bereits erteilten Ausnahmegenehmigungen gerade für die an die gesund-
heitliche Eignung besondere Anforderungen stellende Fallschirmsprungver-
wendungsfähigkeit das Vorliegen durchgreifender gesundheitlicher Bedenken
fernliegend und die Selbsteinschätzung des zu Untersuchenden plausibel er-
scheinen ließen. Dass dies auch objektiv plausibel war, ergibt sich schon dar-
aus, dass keiner der vom Truppendienstgericht vernommenen sachverständi-
gen Zeugen Zweifel daran geäußert hat, dass die für den Statuswechsel not-
wendige Ausnahmegenehmigung zu erteilen gewesen wäre.
Unter diesen Umständen kann von grober Fahrlässigkeit, die das Truppen-
dienstgericht auch mit Recht nicht festgestellt hat, nicht die Rede sein. Denn
dem früheren Soldaten hätte sich nicht aufdrängen müssen, dass sein Attest
fehlerhaft war und dass eine gründlichere Prüfung oder die korrekte Ausfüllung
weiterer Untersuchungsbögen zu einem anderen Ergebnis geführt hätte.
e) Im Hinblick auf die Zumessungskriterien „Persönlichkeit“ und „bisherige Füh-
rung“ sind dem früheren Soldaten seine guten Leistungen in ärztlichen Aufga-
ben und die besonderen Leistungen, die in der Vergangenheit zu der förmlichen
Anerkennung, zu der Zubilligung einer Leistungsprämie sowie zu der Verlei-
hung des Leistungsabzeichens geführt haben, zugute zu halten. Für ihn spricht
auch die fehlende disziplinäre und strafrechtliche Vorbelastung, auch wenn die-
sem Umstand kein großes Gewicht zukommt, da der Soldat hiermit nur die
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Mindesterwartungen seines Dienstherrn pflichtgemäß erfüllt, aber keine Leis-
tung erbringt, die ihn aus dem Kreis der Kameraden heraushebt. Hinzu kommt
weiter, dass der frühere Soldat sich durchgängig geständig eingelassen hat. Er
hat auch in der Berufungshauptverhandlung angegeben, einen ihm selbst
höchst peinlichen Fehler begangen zu haben. Unrechtseinsicht und Reue
glaubt der Senat ihm.
f) Bei der Gesamtwürdigung aller vorgenannten be- und entlastenden Umstän-
de wäre im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die
Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts der Ausspruch einer einfachen Maß-
nahme aus dem Katalog nach § 58 Abs. 6, § 22 Abs. 1 WDO tat- und schuld-
angemessen gewesen. Da eine solche hier nach § 17 Abs. 2 WDO nicht mehr
verhängt werden darf, ist das Verfahren nach § 108 Abs. 3 Satz 1 WDO einzu-
stellen.
Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in sei-
ner gefestigten Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 10. Februar 2010 - BVerwG
2 WD 9.09 - juris) von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:
handlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen
Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regel-
maßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als „Ausgangspunkt der Zu-
messungserwägungen“.
Hier hat der frühere Soldat ein fehlerhaftes Arbeitsergebnis abgeliefert, weil er
durch Nachlässigkeit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen hat, die eine
gründliche Prüfung und dadurch zuverlässige Ergebnisse sicherstellen sollen.
Er hat damit vorwerfbar eine Schlechtleistung erbracht.
Eine fahrlässige, nicht aber grob fahrlässige, einmalige Schlechtleistung, die
ohne nachteilige Folgen für den Dienstherrn oder Kameraden geblieben ist,
kann grundsätzlich angemessen mit einer einfachen Disziplinarmaßnahme ge-
ahndet werden.
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Auch ein zuverlässiger und fachlich kompetenter Soldat arbeitet nicht ununter-
brochen fehlerlos. Müsste ein Soldat schon bei jeder nicht grob fahrlässig
schlechten Erledigung einer Aufgabe mit der Einleitung eines gerichtlichen Dis-
ziplinarverfahrens rechnen, würde dies die Zügigkeit der Erledigung der Dienst-
geschäfte, das Engagement, die Entschlussfreudigkeit und die Bereitschaft,
auch unter engen zeitlichen Vorgaben situationsangepasst schnell zu reagie-
ren, beeinträchtigen. Auch unter generalpräventiven Aspekten ist eine derart
scharfe Sanktionsdrohung nicht geboten und im Lichte der effektiven wie effi-
zienten Erfüllung der Aufgaben der Streitkräfte kontraproduktiv.
Für eine mildere Sanktion sprechen auch folgende Umstände (vgl. Urteil vom
30. August 2012 - BVerwG 2 WD 21.11 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002
Nr. 38 Rn. 48 - 50): Die Pflichtverletzung hatte keine strafrechtliche Relevanz,
sie war nicht von Eigennutz geprägt und das Risiko, um dessentwillen ein sorg-
fältigeres Vorgehen im Interesse des Dienstherrn geboten gewesen wäre, hat
sich nicht in einem Schaden verwirklicht. Fahrlässige Pflichtverletzungen sind
grundsätzlich milder zu ahnden als vorsätzliche (vgl. Urteil vom 14. April 2011
- BVerwG 2 WD 7.10 - juris Rn. 14 = NZWehrr 2012, 35).
Anders läge der Fall allerdings bei grob fahrlässiger, erst recht (bedingt) vor-
sätzlichen Schlechtleistungen oder wiederholter, dauerhafter Nachlässigkeit in
der Wahrnehmung der Aufgaben des eigenen Dienstpostens. In einem solchen
Fall, wäre - erst recht, wenn das Dienstvergehen für Kameraden oder den
Dienstherrn nachteilige Folgen hat (vgl. Urteil vom 17. Januar 1991 - BVerwG
2 WD 16.90 -, BVerwGE 93, 14 = NZWehrr 1991, 165) - der Ausgangspunkt der
Zumessungserwägungen in einer der Maßnahmen des gerichtlichen Diszipli-
narverfahrens zu sehen. Wie ausgeführt liegen diese Umstände hier aber nicht
vor.
bb) Auf der zweiten Stufe ist dann zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im Hin-
blick auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die
Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die die Möglich-
keit einer Milderung oder die Notwendigkeit einer Verschärfung gegenüber der
auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme eröffnen. Dabei ist
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vor allem angesichts der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie
dessen Auswirkungen zu klären, ob es sich im Hinblick auf die be- und entlas-
tenden Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuld-
haften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw.
niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumes-
sungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach „oben“ bzw.
nach „unten“ zu modifizieren. Zusätzlich sind die gesetzlich normierten Bemes-
sungskriterien für die Bestimmung der konkreten Sanktion zu gewichten, wenn
die Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet,
dem Wehrdienstgericht einen Spielraum eröffnet.
Hier liegen keine Umstände von solcher Art und solchem Gewicht vor, dass von
einer schweren Form der fahrlässigen Schlechtleistung auszugehen wäre, die
angemessen nur mit einer der Maßnahmen des gerichtlichen Disziplinarverfah-
rens geahndet werden könnte. Vielmehr wäre zusätzlich mildernd den Umstän-
den in der Person des früheren Soldaten Rechnung zu tragen. Es bedarf hier
allerdings keiner Entscheidung, welche Maßnahme aus dem Katalog des § 22
Abs. 1 i.V.m. § 58 Abs. 6 WDO im Rahmen der Einzelfallbetrachtung angemes-
sen ist.
Einer Verhängung einer einfachen Disziplinarmaßnahme steht nämlich § 17
Abs. 2 WDO entgegen, weil die Hemmung nach § 17 Abs. 5 WDO durch die
Einleitung des Verfahrens erst mit dem Wirksamwerden der Einleitungsverfü-
gung durch Aushändigung an den Soldaten am 31. August 2011 eingetreten ist.
Das Dienstvergehen ist aber bereits am 18. November 2010 begangen worden,
weil ein Dienstvergehen beendet ist, wenn alle Umstände verwirklicht sind, die
zu einer Pflichtwidrigkeit der Handlung oder der Unterlassung führen (Dau,
Wehrdisziplinarordnung, 4. Aufl. 2002, § 17 Rn. 10); Dienstvergehen sind keine
Erfolgsdelikte.
Dass der frühere Soldat ein Dienstvergehen begangen hat, war infolge der Be-
schränkung der Berufung auf das Disziplinarmaß nicht durch den Senat festzu-
stellen. Vielmehr ist dies - verbindlich auch für den Senat - bereits durch das
truppendienstgerichtliche Urteil festgestellt worden. Daher ist dieses auch nicht
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aufzuheben, sondern nur im Ausspruch über die Disziplinarmaßnahme abzuän-
dern.
3. Bei einer Einstellung nach § 123 Satz 3 in Verbindung mit § 108 Abs. 3
Satz 1 und § 17 Abs. 2 WDO sind die Kosten des Verfahrens gemäß § 138
Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 4 WDO dem Bund aufzuerlegen, der auch die
dem früheren Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen nach § 140
Abs. 1 WDO zu tragen hat.
Dr. Burmeister
Dr. Frentz
Dr. Eppelt
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Wehrdisziplinarrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
WDO
§ 38 Abs. 1; § 58 Abs. 6 und 7
Stichworte:
Bemessungsentscheidung; Dienstpflichtverletzung; Dienstvergehen; fahrlässige
Schlechtleistung; folgenlos; fahrlässig; grob fahrlässig; einmalig; einfache Dis-
ziplinarmaßnahme; gerichtliches Disziplinarverfahren.
Leitsatz:
Eine fahrlässige, nicht aber grob fahrlässige, einmalige Schlechtleistung, die
ohne nachteilige Folgen für den Dienstherrn oder Kameraden geblieben ist,
kann grundsätzlich angemessen mit einer einfachen Disziplinarmaßnahme ge-
ahndet werden.
Urteil des 2. Wehrdienstsenats vom 5. Juni 2014 - BVerwG 2 WD 14.13
I. TDG Süd vom 18. März 2013 - Az.: TDG S 3 VL 23/12