Urteil des BVerwG vom 29.08.2007

Soldat, Strafbare Handlung, Einheit, Dienstzeit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 14.06
TDG S 2 VL 4/06
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
gegen
geboren am ...,
.../Artilleriebataillon ..., S.,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 29. August 2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth,
ehrenamtlicher Richter Oberstleutnant Spiegel und
ehrenamtlicher Richter Stabsfeldwebel Frey
sowie
Leitender Regierungsdirektor Breitwieser
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ..., ...,
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin Kairies
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Berufung des Soldaten gegen das Urteil der 2. Kam-
mer des Truppendienstgerichts Süd vom 5. April 2006
wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Solda-
ten auferlegt.
G r ü n d e :
I
Der 28 Jahre alte Soldat besuchte bis zum Juli 1999 eine Berufsbildende Schu-
le, die er mit dem Fachabitur abschloss. Zum 5. Juli 1999 wurde er zur Ableis-
tung seines Grundwehrdienstes zur 5./Raketenartilleriebataillon ... in E. einberu-
fen. Sein Antrag auf Übernahme als Anwärter in die Laufbahn der Offiziere vom
29. Januar 1999 wurde mit Bescheid des Personalamtes der Bundeswehr vom
31. August 1999 abgelehnt. Aufgrund seiner Verpflichtungserklärung vom
16. Oktober 2000 wurde er mit Wirkung vom 1. November 2000 als Unteroffi-
zieranwärter zugelassen und im Dienstgrad Hauptgefreiter mit Wirkung vom
1. November 2000 in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Sei-
ne Dienstzeit wurde zuletzt auf 12 Jahre festgesetzt, sie endet demnach vor-
aussichtlich am 30. Juni 2011.
Der Soldat wurde regelmäßig befördert, zuletzt mit Wirkung vom 1. Juni 2004
zum Oberfeldwebel. Nach seiner Grundausbildung bei der 5./Raketenartillerie-
bataillon ... in E. wurde er zunächst bei der 3./Raketenartilleriebataillon ... und
später bei der 2./Raketenartilleriebataillon ... eingesetzt, wo er als Raketenartil-
lerieunteroffizier und Raketenunteroffizier MARS eingesetzt wurde. Den Unter-
offizierlehrgang Teil I vom 9. Januar bis 30. März 2001 an der Heeresunteroffi-
zierschule ... in D. absolvierte er mit der Abschlussnote „ausreichend“. Den Un-
teroffizierlehrgang Teil II an der A...schule in I. im Zeitraum vom 14. August bis
5. November 2001 schloss er ebenfalls erfolgreich ab. Den Feldwebellehrgang
an der A...schule in I. absolvierte er im Zeitraum vom 4. November bis
20. Dezember 2002 mit der Abschlussnote „befriedigend“. Zum 1. Januar 2003
wurde der Soldat zur .../Raketenartillerielehrbataillon ... nach H. versetzt, wo er
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bis zu seiner wegen der gegenständlichen Vorwürfe am 15. April 2005 verfüg-
ten Kommandierung zur .../Panzerartillerielehrbataillon ... in H. als Artilleriefeld-
webel und Gruppenführer eingesetzt war. Nach Auflösung des Raketenartillerie-
lehrbataillons ... zum 31. Dezember 2005 wurde der Soldat zunächst bis zum
31. März 2006 von der 7./Raketenartillerielehrbataillon zur 3./Rakenten-
artillerielehrbataillon ... nach S. kommandiert. Derzeit ist er Angehöriger der
.../Artilleriebataillon ... in S.
Der Soldat wurde zuletzt planmäßig am 25. Mai 2004 durch den Batteriechef
.../Raketenartillerielehrbataillon ... im Dienstgrad Feldwebel beurteilt. In der ge-
bundenen Beschreibung erhielt er einmal die Wertung „4“, achtmal die Wertung
„5“ und siebenmal die Wertung „6“. Im Abschnitt „G. Eignung und Befähigung“
erhielt er für „Verantwortungsbewusstsein“ und „Eignung zur Menschenfüh-
rung/Teambefähigung“ jeweils die Wertung „D“. In den anderen Feldern erhielt
er jeweils die Wertung „C“. Im Abschnitt „H. Herausragende charakterliche
Merkmale, Kameradschaft, berufliches Selbstverständnis, Bewährung im Ein-
satz und ergänzende Aussagen“ ist über den Soldaten Folgendes ausgeführt:
„Fw ... ist ein leistungsfähiger, aufrichtiger und geradliniger
Unteroffizier mit Portepee, der mit Ehrgeiz und Selbstbe-
wusstsein an seine Aufgabe als Gruppenführer herange-
gangen ist. Er ist ein gestandener Ausbilder mit guten An-
lagen und erkennbarem Entwicklungspotential, das er der-
zeit aber nicht voll ausschöpft. So klafft bisweilen noch ei-
ne Lücke zwischen eigenem Leistungsanspruch und tat-
sächlichem Ergebnis.
Im Kameradenkreis ist er durch seine offene und hilfsbe-
reite Art geschätzt und anerkannt.
Sportlich ist er leistungsfähig, physisch wie psychisch voll
belastbar.“
Der nächsthöhere Vorgesetzte hat in seiner Stellungnahme Folgendes ausge-
führt:
„Ich schließe mich der treffenden Beurteilung des Batterie-
chefs an.
Feldwebel ... ist ein leistungsstarker und sehr engagierter
Soldat, der den an ihn gestellten Anforderungen auf sei-
nem Dienstposten gerecht wird.
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Zu Beginn des Beurteilungszeitraums überzeugte er durch
beständige Spitzenleistungen auf hohem Niveau. Insbe-
sondere als Ausbilder einer Gruppe überzeugte er durch
Genauigkeit, methodisches Geschick und außerordentli-
ches Fachwissen. Den zwischenzeitlich erfolgten Einbruch
hat er erkannt und überwunden, er arbeitet an sich.
Im Eignungs- und Leistungsvergleich des Bataillons hebe
ich im Bereich F. I. 07 - Ausdruck - den Wert von ‚5’ auf ‚6’
an.
Physisch wie psychisch voll belastbar, zeigt er noch deutli-
che Leistungsreserven.
Hervorzuheben ist seine Mobilität.“
In der Sonderbeurteilung vom 28. Juli 2006 bewertete Hauptmann D. die Leis-
tungen des Soldaten in den Einzelmerkmalen einmal mit „3“, einmal mit „4“,
zwölfmal mit „5“ und zweimal mit „6“. In der Eignungs- und Befähigungsbeurtei-
lung vergab er für “Verantwortungsbewusstsein“, „Geistige Befähigung“, „Eig-
nung zur Menschenführung/Teambefähigung“ und „Befähigung zur Einsatz- und
Betriebsführung“ jeweils die Wertung „C“. Unter „Herausragende charakterliche
Merkmale, Kameradschaft, berufliches Selbstverständnis, Bewährung im Ein-
satz und ergänzende Aussagen“ wird ausgeführt:
„Oberfeldwebel ... ist ein bescheidener und loyaler Unterof-
fizier mit Portepee, ausgestattet mit einer diffizilen und
feingliedrigen Persönlichkeit. Im täglichen Dienst zeichnet
er sich durch sein Pflichtbewusstsein aus. Er verfügt über
einen gesunden Ehrgeiz und zeigt von sich aus den nöti-
gen Willen zum Dienen.
Im persönlichen Umgang tritt er ruhig und zurückhaltend,
ohne dabei negativ zu wirken, auf. Er ist ein lebenserfah-
rener Unteroffizier mit Portepee mit einer positiven und op-
timistischen Einstellung zum Soldatenberuf.
Die hervorgehobene Stellung des Portepeeunteroffiziers
im Unteroffizierkorps muss er noch deutlicher nach außen
darstellen. Im Kameradenkreis ist er integriert und geach-
tet. Er hat sich problemlos in das Unteroffizierkorps einge-
fügt. Sein Persönlichkeitsbild und individueller Charakter
sucht und braucht, trotz attestierter Introvertiertheit, soziale
Kontakte im Kameradenkreis, die sich auch über die
Dienstzeit hinaus erstrecken.
Seine Loyalität und Treue sind verwurzelt in seiner positi-
ven Berufsauffassung. Oberfeldwebel ... verfügt in seinem
Verantwortungsbereich über vorhandene Reserven und
ausbaufähiges Potenzial.
Bisher hat er an keinem Auslandseinsatz teilgenommen.
Einer Teilnahme steht er aufgeschlossen gegenüber.
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Von schlanker Gestalt ist er ein Soldat, der die Leistungen
hinsichtlich der körperlichen Leistungsfähigkeit erfüllt.
Geistig und körperlich ist er im geforderten Maße belast-
bar.
Er verfügt über nutzbare Fremdsprachenkenntnisse in
Englisch. Eine weitere professionelle militärische Schulung
ist allerdings mit Blick auf weitere Einsatzmöglichkeiten
notwendig.
Oberfeldwebel ... verfügt über solide IT-Kenntnisse, die er
im täglichen Leben einsetzen kann.
Der Soldat verfügt derzeit noch nicht über die notwendigen
Voraussetzungen, die an einen Berufssoldaten gestellt
werden. Er muss sich zunächst weiterhin auf seinem
Dienstposten bewähren. In der weiteren Verwendung sehe
ich ihn weiterhin als RakArtFw/RakFw MARS.“
In der Stellungnahme des nächsthöheren Vorgesetzten wird ausgeführt:
„01. zu den Abschnitten F., G. und H.
Ruhiger Portepee, der sichtlich unter den häufigen Verset-
zungen des letzten Jahres leidet. Der Wechsel vom
RakArtBtl ... über das RakArtBtl ... auf seinen jetzigen
Dienstposten und das damit verbundene stete Hineinfin-
den in eine neue Umgebung belasten ihn sichtlich. Ich bin
überzeugt, dass OFw ... ohne diese Belastung ein anspre-
chendes Gesamtbild zeigen würde. Zum jetzigen Zeitpunkt
ist das vom Batteriechef gezeichnete Bild jedoch treffend.
02 zum Abschnitt I. und eigene Verwendungshinweise
(Stufen der Eignung/Verwendungsvorschläge)
Verbleib auf Gruppenführerebene in einer RakArtBttr oder
der künftigen E/U-Batterie des Bataillons. Vor einer evtl.
Verwendung als Erkundungsfeldwebel müsste OFw ... die
entsprechenden Fähigkeiten im Übungsrahmen nachhaltig
unter Beweis stellen.“
Vor dem Truppendienstgericht hat der Leumundszeuge Hauptfeldwebel E. den
Soldaten als ordentlichen Mitarbeiter geschildert, der seinen Dienst normal er-
ledigt hat. Hauptmann Sch., Disziplinarvorgesetzter des Soldaten, hat vor dem
Senat ausgesagt, in der Kompanie habe man „diesen Vorfall“ (Entwenden des
Geldes) mitbekommen. Dienstlich habe er den Soldaten nur ca. eine Woche
gekannt und könne somit keine Beurteilung über ihn abgeben.
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Der Soldat ist berechtigt, die Schützenschnur in Gold sowie das Leistungsab-
zeichen im Truppendienst in Gold zu tragen. Außerdem wurde ihm als Dank
und in Anerkennung für besonders aufopferungsvolle Hilfe bei der Abwehr von
Gefahren und der Beseitigung von Schäden anlässlich der Flutkatastrophe im
August 2002 die „Einsatzmedaille Fluthilfe 2002“ durch den Bundesminister der
Verteidigung verliehen.
Der Zentralregisterauszug vom 21. Februar 2007 enthält außer dem im sach-
gleichen Strafverfahren ergangenen Strafurteil die Eintragung einer Geldstrafe
vom 6. November 2006 durch das Amtsgericht K. - Strafbefehl, rechtskräftig seit
19. Dezember 2006 - in Höhe von 45 Tagessätzen zu je 45 € und eine Sperre
der Fahrerlaubnis bis 5. August 2007 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Ver-
kehr. Darüber hinaus befindet sich in den Akten eine Absehensverfügung des
Befehlshabers des Heeres...kommandos vom 23. Januar 2007 in Bezug auf die
Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens. Der Absehensverfügung
(§ 92 Abs. 3 i.V.m. § 23 Abs. 3 WDO) liegt der Sachverhalt des Strafbefehls des
Amtsgerichts K. vom 6. November 2006 zugrunde. Der Befehlshaber des Hee-
res...kommandos sah nach Abschluss der Vorermittlungen von der Einleitung
eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens gegen den Soldaten ab, missbilligte
aber das Verhalten des Soldaten ausdrücklich, stellte ein Dienstvergehen ge-
mäß § 23 Abs. 1 SG fest und ermahnte ihn, „gegenüber dem Alkohol ... künftig
äußerst zurückhaltend zu sein.“
Der Soldat ist ledig und hat keine Kinder. Er erhält Dienstbezüge aus der Be-
soldungsgruppe A 7, 4. Dienstaltersstufe, in Höhe von 1 919,88 € brutto und
1 655,34 € netto. Tatsächlich werden ihm monatlich 1 543,15 € ausbezahlt.
Nach seinen Angaben in der Berufungshauptverhandlung zahlt er monatlich
150 € Unterhalt an seine Eltern und 290 € monatlich für einen Kredit, der ihm
für den Kauf eines Autos gewährt wurde.
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II
Durch Urteil des Amtsgerichts H. vom 7. Dezember 2005, Az.: ..., rechtskräftig
seit dem 15. Dezember 2005, wurde der Soldat wegen versuchten Diebstahls
verwarnt (§ 242 Abs. 1, Abs. 2, §§ 22, 23 StGB). Als Strafe wurde eine Geld-
strafe von 30 Tagessätzen zu 50 € festgesetzt. Die Verurteilung zu dieser Stra-
fe blieb vorbehalten. Die Bewährungszeit wurde auf zwei Jahre festgesetzt.
Gleichzeitig wurde ihm aufgegeben, eine Geldbuße in Höhe von 200 € zuguns-
ten des T. Vereins für Straffällige e.V. zu zahlen.
In dem mit Verfügung des Kommandeurs Heeres...kommando vom 16. Juni
2005 ordnungsgemäß eingeleiteten sachgleichen gerichtlichen Disziplinarver-
fahren erkannte die ... Kammer des Truppendienstgerichts Süd gegen den Sol-
daten am 5. April 2006 wegen eines Dienstvergehens auf Herabsetzung in den
Dienstgrad eines Stabsunteroffiziers. Die ausgesprochene Herabsetzung in den
Dienstgrad eines Stabsunteroffiziers ist nach dem Beschluss der ... Kammer
des Truppendienstgerichts Süd vom 6. April 2006 bei sachgerechter Auslegung
so zu verstehen, dass der Dienstgrad des verurteilten Soldaten in den eines
Stabsunteroffiziers der Besoldungsgruppe A 6 herabgesetzt wurde.
Die Truppendienstkammer stellte folgenden Sachverhalt fest:
„In der Einheit des Soldaten kam es wiederholt zu Dieb-
stählen von Geld aus einer Gemeinschaftskasse der Un-
teroffiziere. Aus diesem Grund legte der Zeuge E. nach
Rücksprache mit der Kriminalpolizei nach einem erneuten
Diebstahl von Geld präparierte Geldscheine in die Geld-
kassette. Nachdem der Zeuge E. am 28. März 2005 erneut
das Fehlen von Geld, Münzen und Scheinen im Wert von
ca. 70,-- € feststellte, rief er die Polizei, die bei der krimi-
naltechnischen Untersuchung an den Händen des Solda-
ten Reste des Fixiermittels der präparierten Geldscheine
nachweisen konnte.
Die gemäß § 84 Abs. 1 WDO bindenden Feststellungen
des sachgleichen Strafurteils lauten:
‚Der Angeklagte war Soldat in der Kaserne in H.
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Am 24.03.2005 verschaffte sich der Angeklagte unter
Verwendung eines Nachschlüssels Zugang zu den
Räumen des Hauptfeldwebels ... E. Den Schlüssel hat-
te er auf unberechtigtem Wege sich verschafft, ohne
dass er ihm von dem Berechtigten zur Verfügung ge-
stellt worden wäre. Mit einem anderen Schlüssel öffne-
te der Angeklagte das Vorhängeschloss zu einer Geld-
kassette, in der sich die Zugkasse befand. Er entnahm
der Kassette in Zueignungsabsicht mindestens 40,00 €.
Wegen vorangegangener Diebstähle war das sich in
der Geldkassette befindliche Geld zumeist zu Teilen
markiert, um den Täter zu überführen.
Der Angeklagte benutzte das von ihm entwendete Geld
noch am selben Tag und bezahlte damit an der Tank-
stelle unterhalb der Kaserne in H. eine Tankrechnung.’
Der Soldat hat den Sachverhalt uneingeschränkt einge-
räumt.
Hinsichtlich des Motivs für sein Handeln hat sich der Sol-
dat dahingehend eingelassen, dass er das Geld für die
Heimfahrt mit seinem Pkw am Wochenende benötigt habe.
Er habe seine EC-Karte vergessen gehabt und Geld für
Benzin für die Wochenendheimfahrt benötigt. Kameraden,
von denen er Geld hätte leihen können, seien nicht mehr
anwesend gewesen. Die Kammer hat diese Einlassung als
Schutzbehauptung gewertet. Eine Notlage des Soldaten
vermag die Kammer nicht zu erkennen. Nach Überzeu-
gung der Kammer hätte die Möglichkeit bestanden, telefo-
nisch mit Kameraden am Standort Kontakt aufzunehmen,
wenn er tatsächlich ohne Bargeld gewesen wäre. Vielmehr
ist die Kammer nicht zuletzt deshalb, weil der Soldat nicht
nur Geldscheine, sondern auch Geldmünzen an sich ge-
nommen hat, von einer Diebstahlsabsicht überzeugt, die
nicht von einer Notlage getragen war.“
Diesen Sachverhalt würdigte die Kammer als vorsätzlichen Verstoß des Solda-
ten gegen seine Dienstpflichten, der Bundesrepublik Deutschland treu zu die-
nen (§ 7 SG), die Rechte der Kameraden zu achten (§ 12 Satz 2 SG) sowie der
Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat er-
fordert (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG), insgesamt als ein Dienstvergehen gemäß
§ 23 Abs. 1 SG.
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Im Hinblick auf die Maßnahmebemessung wird auf die Seiten 7 bis 8 des trup-
pendienstgerichtlichen Urteils verwiesen.
Gegen dieses dem Soldaten am 12. April 2006 zugestellte Urteil hat sein frühe-
rer Verteidiger mit Schriftsatz vom 24. April 2006, der am 25. April 2006 bei der
Truppendienstkammer eingegangen ist, Berufung eingelegt. Mit weiterem
Schriftsatz vom 11. Mai 2006, eingegangen bei der Truppendienstkammer am
selben Tag, begründete der frühere Verteidiger die Berufung und legte eine auf
das Disziplinarmaß beschränkte Berufung ein mit dem Antrag, den Dienstgrad
des Soldaten lediglich um einen Dienstgrad herabzusetzen.
Zur Begründung hat der frühere Verteidiger im Wesentlichen vorgebracht:
Der Soldat lege Wert auf die Feststellung, den Schlüssel, mit welchem er in die
Räumlichkeiten, in der sich die Geldkassette befand, gelangt sei, nicht auf ille-
gale Weise besorgt zu haben, sondern - dies räume er ein - diesen pflichtwidrig
nicht mehr zurückgegeben zu haben, weswegen es überhaupt zu dem Vorfall
habe kommen können. Die erstinstanzliche Verurteilung sei nicht schuld- und
tatangemessen. Auch wenn es bei der Beurteilung der Schwere eines Kamera-
dendiebstahls nicht unbedingt um die Höhe des entwendeten Betrages gehe,
sei doch zu berücksichtigen, dass der - relativ geringe - Schaden längst ausge-
glichen sei. Es sei nochmals darauf hinzuweisen, dass es zu der bei der Rück-
zahlung erfolgten Überzahlung nicht deswegen gekommen sei, weil der Soldat
hiermit auch noch - ihm nicht vorgeworfene - weitere gestohlene Beträge habe
ausgleichen wollen. Vielmehr habe sich die Differenz auf Rückstände zu Beiträ-
gen zur Kaffeekasse und für gesellige Veranstaltungen bezogen. Die finanziel-
len Einbußen der Dienstgradherabsetzung seien der dem Soldaten vorgeworfe-
nen Tat nicht angemessen. Es gehe nicht allein um die erhebliche Reduzierung
der monatlichen Besoldung, sondern auch um gravierende Auswirkungen auf
Altersversorgung und Übergangsbeihilfe, sodass die Dienstgradherabsetzung
um zwei Dienstgrade sich mit Sicherheit insgesamt im fünfstelligen Euro-
Bereich bewegen würde. Die Herabsetzung um zwei Dienstgrade käme für den
Soldaten fast schon einer Zerstörung seiner beruflichen Zukunft gleich. Bis zum
Ende seiner Dienstzeit hätte er keine Möglichkeit mehr, wiederum zum Feldwe-
bel befördert zu werden, was jeden späteren potentiellen Arbeitgeber - der Sol-
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dat beabsichtige, sich beim Bundesgrenzschutz (Bundespolizei) zu bewerben -
naturgemäß zu der Frage verleiten würde, warum der Soldat nach so langer
Dienstzeit lediglich einen Dienstgrad ohne Portepee innehabe. Nicht außer Acht
gelassen werden sollte ferner auch die Konsequenz für die Bundeswehr selbst:
Bei einer Herabsetzung in den Dienstgrad eines Stabsunteroffiziers könnte der
Soldat die kostspielige Ausbildung zum Oberfeldwebel nicht mehr umsetzen. In
Zeiten knapper Kassen sollte auch dieser Gesichtspunkt nicht unberücksichtigt
bleiben. Die Herabsetzung um lediglich eine „Besoldungsgruppe“ habe für den
Soldaten bereits so weitreichende Konsequenzen, dass dies als schuld- und
tatangemessen anzusehen sei. Es habe sich hier mit Sicherheit um einen ein-
maligen Fall gehandelt. Die kriminelle Energie habe sich im Wesentlichen dar-
auf beschränkt, dass er eine sich bietende Gelegenheit wahrgenommen habe,
ohne von langer Hand eine entsprechende Tat geplant zu haben. Ferner habe
der Soldat sich bisher noch nichts zuschulden kommen lassen. Der Schaden
sei wiedergutgemacht. Insoweit erscheine eine Abänderung des erstinstanzli-
chen Urteils sachgerecht.
Der in der Berufungshauptverhandlung bevollmächtigte Verteidiger des Solda-
ten hat sich dieser Begründung angeschlossen, jedoch vor dem Senat bean-
tragt, gegen den Soldaten lediglich ein Beförderungsverbot für die Dauer von
48 Monaten in Verbindung mit einer Kürzung der Dienstbezüge um zwei Zehn-
tel ebenfalls für 48 Monate zu verhängen.
III
1. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, ihre Förmlichkeiten sind gewahrt
(§ 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 WDO). Von der Berufung des
Soldaten ist der Beschluss der 2. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom
6. April 2006 - ... - („Stabsunteroffizier der Besoldungsgruppe A 6“) zwangsläu-
fig mitbetroffen.
2. Das Rechtsmittel des Soldaten ist ausdrücklich und nach dem maßgeblichen
Inhalt der Begründung auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme be-
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schränkt worden. Der Senat hat daher die Tat- und Schuldfeststellungen sowie
die rechtliche Würdigung der Truppendienstkammer seiner Entscheidung
zugrunde zu legen und unter Berücksichtigung des Verschlechterungsverbots
nur noch über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden (§ 91 Abs. 1
Satz 1 WDO i.V.m. §§ 327, 331 Abs. 1 StPO).
3. Die Berufung des Soldaten hat keinen Erfolg.
Die Truppendienstkammer hat den Soldaten im Ergebnis zu Recht in den
Dienstgrad eines Stabsunteroffiziers (Besoldungsgruppe A 6) herabgesetzt.
Nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO sind bei Art und Maß der Diszipli-
narmaßnahme Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie seine Aus-
wirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und
die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen.
aa) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens
Die „Eigenart und Schwere“ eines Dienstvergehens bestimmen sich nach dem
Unrechtsgehalt der Verfehlung, mithin also nach der Bedeutung der verletzten
Pflichten.
Danach wiegt das Dienstvergehen schwer. Dies ergibt sich bereits daraus, dass
der Soldat kriminelles Unrecht begangen hat und er des versuchten Diebstahls
gemäß § 242 Abs. 1 und 2, §§ 22, 23 StGB für schuldig befunden und verwarnt
wurde. Unter Vorbehalt hat das Amtsgericht H. eine Geldstrafe von 30 Tages-
sätzen zu je 50 € festgesetzt.
Der Senat hat in Bezug auf die Schwere und die disziplinare Einstufung eines
solchen Fehlverhaltens („Griff in die Kameradenkasse“) in seiner Rechtspre-
chung immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass dienstliche wie außerdienst-
liche Verfehlungen eines Vorgesetzten gegen Eigentum und Vermögen von
Kameraden stets als gravierendes Fehlverhalten zu werten sind, das Rück-
schlüsse auf die Persönlichkeit des Soldaten zulässt und die Möglichkeit seiner
dienstlichen Verwendungen berührt (vgl. u.a. Urteile vom 12. Juni 1997
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- BVerwG 2 WD 41.96 - Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 13 = NZWehrr 1997, 256,
vom 17. Oktober 2002 - BVerwG 2 WD 14.02 - Buchholz 236.1 § 12 SG Nr. 19
= NZWehrr 2003, 127, vom 28. Oktober 2003 - BVerwG 2 WD 8.03 - Dok-
Ber 2004, 178 und vom 26. November 2003 - BVerwG 2 WD 7.03 - Buchholz
235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 14). Nach dieser Rechtsprechung ist ein Vermö-
gensdelikt zum Nachteil von Kameraden stets geeignet, das gegenseitige Ver-
trauen und die Bereitschaft, füreinander einzustehen, zu gefährden, sowie die
Kameradschaft und den militärischen Zusammenhalt, auf dem die Bundeswehr
nach § 12 Satz 1 SG beruht, zu untergraben. Nicht selten löst ein solches Ver-
halten, wie hier, Ermittlungen nicht nur des Disziplinarvorgesetzten, sondern
auch der Strafverfolgungsorgane aus. All dies kann zu gegenseitigen Verdäch-
tigungen und Anschuldigungen führen und damit ein Klima der Unruhe und des
Misstrauens schaffen, das dem Dienstbetrieb höchst abträglich ist. Besonders
ins Gewicht fällt ein solches Fehlverhalten bei einem Soldaten in Vorgesetzten-
stellung; denn dieser hat nach § 10 Abs. 1 SG in seiner Haltung und Pflichterfül-
lung ein Beispiel zu geben.
Auch die Verletzung der Pflicht zur Wahrung von Achtung und Vertrauen (§ 17
Abs. 2 Satz 1 SG) wiegt schwer. Diese ist kein Selbstzweck, sondern hat ein-
deutig funktionalen Bezug zur Erfüllung des grundgesetzmäßigen Auftrages der
Streitkräfte und zur Gewährleistung des militärischen Dienstbetriebs. Ein Sol-
dat, und zwar insbesondere ein Vorgesetzter, bedarf der Achtung seiner Kame-
raden und Untergebenen sowie des Vertrauens seines militärischen Vorgesetz-
ten, um seine Aufgabe so zu erfüllen, dass der ordnungsgemäße Ablauf des
militärischen Dienstes gewährleistet ist (vgl. Urteil vom 3. Dezember 1970
- BVerwG 1 WD 4.70 - BVerwGE 43, 149 <150>). Dabei kommt es nach der
Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 6. Dezember 1988 - BVerwG 2 WD
11.88 - BVerwGE 86, 94 <95> = NZWehrr 1989, 166 und vom 29. Januar 1991
- BVerwG 2 WD 18.90 - BVerwGE 93, 30 <33> = NZWehrr 1991, 73 jeweils
m.w.N.) nicht darauf an, ob gegebenenfalls eine ernsthafte Beeinträchtigung
der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit tatsächlich eingetreten ist, sondern nur
darauf, ob das angeschuldigte Verhalten dazu geeignet war.
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Die Eigenart des Dienstvergehens ist weiterhin dadurch gekennzeichnet, dass
der Soldat die Pflicht zur Loyalität gegenüber der Rechtsordnung verletzt hat
(§ 7 SG), indem er im dienstlichen Bereich durch die Entnahme von mindestens
40 € eine strafbare Handlung begangen hat. Die Pflicht zum treuen Dienen ist
gerade bei solchen Vorgängen, die erfahrungsgemäß schwer kontrolliert wer-
den können, von besonderer Bedeutung. Erfüllt ein Soldat die dienstlichen Er-
wartungen nicht und verstößt er in strafbarer Weise im dienstlichen Bereich ge-
gen die Rechtsordnung, so stört er das Vertrauensverhältnis zu seinem Dienst-
herrn nachhaltig und begründet ernsthafte Zweifel an seiner Zuverlässigkeit und
Integrität.
Erschwerend wirkt sich auf den Unrechtsgehalt des Dienstvergehens aus, dass
zur Überführung des Soldaten intensive Aufklärungsmaßnahmen in seiner Ein-
heit erforderlich waren und die Polizei eingeschaltet werden musste. Der Soldat
hat die Tat lange Zeit hartnäckig geleugnet. Selbst in der Einzelbefragung durch
seinen Batteriechef, der die Gruppenführer vor dem Einschalten der Polizei
nach dem Verbleib des Geldes befragte, stand er die Entnahme der 40 € aus
der Geldkassette nicht ein. Sogar als sich das Markierungsmittel der präparier-
ten Geldscheine eindeutig an seinen Händen nachweisen ließ, leugnete er ge-
genüber seinem Zugführer, dem Hauptfeldwebel E., die Tat weiter. Auch in der
Vernehmung durch die Polizei stritt er zunächst weiterhin die Tat ab. Da er nicht
geständig war und angab, keinen Zugang zum Dienstzimmer des Zuges zu ha-
ben, durchsuchte die Polizei anschließend zunächst seine Stube und dann sein
Kraftfahrzeug, wo dann der Dienstzimmerschlüssel als wichtiges Beweismittel
gefunden wurde. Erst während der folgenden ca. zweistündigen Vernehmung in
der Polizeidienststelle räumte der Soldat die Tat schließlich ein, meldete sich
anschließend bei seinem Zugführer und Batteriechef, denen er die Tat ebenfalls
gestand und sich bei ihnen entschuldigte.
Seine bis heute aufrechterhaltene Einlassung, er habe das Geld nur „leihen“
wollen, ist nicht glaubhaft. Gegen seine Einlassung spricht insbesondere, dass
es ihm ohne weiteres möglich gewesen wäre, einen entsprechenden Zettel in
die Geldkassette zu legen. Auch hatte der Soldat, wie er in der Berufungs-
hauptverhandlung bestätigt hat, zu seinem Zugführer ein gutes dienstliches
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Verhältnis. Dies hätte es nahegelegt, seinen Zugführer anzurufen und ihn zu
bitten, ihm das Geld zu leihen bzw. einen entsprechenden Zettel in der Geld-
kassette zu hinterlassen. Auch seine weitere Einlassung, er habe das Geld am
Dienstag nach Ostern zurückgeben oder an diesem Tag wieder in die Geldkas-
sette legen wollen, ist nicht glaubhaft. Dagegen spricht zum einen, dass er, ob-
wohl er am Donnerstag, dem 24. März 2005, nach Hause gefahren ist und dort
mit seiner EC-Karte 100 € abgehoben hat, also im Besitz von Bargeld war, die
40 € dann gleichwohl nicht am Dienstag vor oder nach Dienstbeginn zurückge-
geben hat. Zum anderen spricht gegen seine Einlassung, dass er erst nach
dem von seinem Batteriechef „verordneten“ einwöchigen Urlaub den entwende-
ten Betrag ausglich.
Bei der Wertung der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens ist allerdings
zu berücksichtigen, dass der entwendete Betrag von 40 € dem unteren Bereich
zuzuordnen ist und dass dem Soldaten nicht nachgewiesen werden konnte,
dass er wiederholt Geldbeträge aus der Kassette entnommen hat. Der Senat
hat daher davon auszugehen, dass der Soldat lediglich einmal Geld aus der
Gemeinschaftskasse der Unteroffiziere (Zugkasse) stahl. Betrachtet man die
Höhe des Geldbetrages isoliert von den erschwerenden Gesichtspunkten des
Unrechtsgehalts des Dienstvergehens, so wäre als Ausgangspunkt der Zumes-
sungserwägungen noch keine Dienstgradherabsetzung in Betracht zu ziehen.
Angesichts des Vorliegens der bereits in der Eigenart des Dienstvergehens be-
gründeten Erschwerungsgründe ist jedoch hier nach der Einstufung die Regel-
maßnahme, nämlich eine Dienstgradherabsetzung, als angemessene Diszipli-
narmaßnahme in Betracht zu ziehen.
bb) Auswirkungen
Nach der glaubhaften Aussage des Leumundszeugen Hauptmann Sch. rief das
Fehlverhalten des Soldaten „Ärger bei den Kameraden“ hervor und trug dazu
bei, dass sich die Stimmung im Zug verschlechterte. Diese negativen Auswir-
kungen für den Dienstbetrieb muss sich der Soldat zurechnen lassen.
Zu Lasten des Soldaten fällt ferner ins Gewicht, dass die Pflichtverletzungen in
seiner Einheit bekannt geworden sind und damit deren gutem Ruf objektiv ge-
schadet haben. Auch das Bekanntwerden der Verfehlungen des Soldaten bei
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der Polizei und den sonstigen mit der Strafverfolgung und Durchführung des
Strafverfahrens befassten Organen ist zu Lasten des Soldaten zu berücksichti-
gen (vgl. Urteile vom 13. März 2003 - BVerwG 1 WD 2.03 - Buchholz 235.01
§ 84 WDO 2002 Nr. 2 = NZWehrr 2003, 170 m.w.N. und vom 6. Mai 2003
- BVerwG 2 WD 29.02 - BVerwGE 118, 161 = Buchholz 235.01 § 107 WDO
2002 Nr. 1), da der Vorfall nicht nur den Soldaten, sondern auch die Einheit, in
der solches möglich war, und damit auch deren Angehörige in ein schlechtes
Licht rückten. Außerdem hatte das Dienstvergehen für die Personalplanung und
-führung nachteilige Auswirkungen. Denn der Soldat wurde wegen des Vorfalls
aufgrund eines Antrages seines Batteriechefs und Disziplinarvorgesetzten von
seiner Einheit nach H. wegkommandiert.
cc) Maß der Schuld
Nach den den Senat bindenden Feststellungen des truppendienstgerichtlichen
Urteils hat der Soldat seine Dienstpflichten nach §§ 7, 12 Satz 2 und § 17
Abs. 2 Satz 1 SG vorsätzlich verletzt.
Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass er zum Zeitpunkt des Dienstvergehens in
seiner Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB eingeschränkt oder gar im Sinne
des § 20 StGB schuldunfähig war, sind nicht ersichtlich. Sonstige Schuldmilde-
rungs- oder Schuldausschließungsgründe sind gleichfalls nicht erkennbar. So-
weit sich der Soldat erstmals auf Gedächtnislücken beruft, die nach einem auf
ihn erfolgten Überfall in F. im September 2005 bei ihm eingetreten seien, ist
festzustellen, dass das Dienstvergehen ca. sechs Monate vor dem Überfall be-
gangen wurde und dass der Soldat im Übrigen in der Berufungshauptverhand-
lung sehr wohl in der Lage war, seine Einlassung differenziert darzustellen, so-
dass der Senat keine Veranlassung hatte, der Frage einer zum Tatzeitpunkt
unter Umständen bestehenden verminderten Schuldfähigkeit nachzugehen.
Hinreichende Umstände dafür, dass Milderungsgründe in den Umständen der
Tat, die die Schuld des Soldaten mindern würden, vorlagen, sind nicht ersicht-
lich. Sie wären nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. u.a. Urteile
vom 18. Juni 1996 - BVerwG 2 WD 10.96 - BVerwGE 103, 343 <347> = Buch-
holz 235.0 § 34 WDO Nr. 15, vom 1. Juli 2003 - BVerwG 2 WD 51.02 - und vom
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13. Juni 2006 - BVerwG 2 WD 1.06 -) nur dann gegeben, wenn die Situation, in
der der Soldat versagt hat, von so außergewöhnlichen Besonderheiten gekenn-
zeichnet war, dass ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht
mehr erwartet und daher auch nicht vorausgesetzt werden konnte. Dazu hat der
Senat in seiner gefestigten Rechtsprechung verschiedene - nicht abschließen-
de - Fallgruppen entwickelt, deren Voraussetzungen vorliegend ausnahmslos
nicht erfüllt sind. Als solche Besonderheiten sind z.B. ein Handeln in einer aus-
weglos erscheinenden, unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage, die auf ande-
re Weise nicht zu beheben war, ein Handeln unter schockartig ausgelöstem
psychischem Zwang oder unter Umständen anerkannt worden, die es als unbe-
dachte, im Grunde persönlichkeitsfremde Augenblickstat eines ansonsten tadel-
freien und im Dienst bewährten Soldaten erscheinen lassen, sowie ein Handeln
in einer körperlichen oder psychischen Ausnahmesituation (stRspr, vgl. u.a.
Urteile vom 1. September 1997 - BVerwG 2 WD 13.97 - BVerwGE 113, 128
<129 f.> = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 16 = NZWehrr 1998, 83
veröffentlicht> und vom 1. Juli 2003 a.a.O. m.w.N.). Dass der Soldat in einer
ausweglos erscheinenden, unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage, die auf
andere Weise nicht zu beheben war, gehandelt hätte, ist nicht ersichtlich. Eine
von ihm geltend gemachte „Notsituation“ bezüglich der Entnahme der 40 € ist
nicht glaubhaft. Der Soldat konnte nicht plausibel erklären, weshalb es für ihn
zwingend erforderlich war, an dem Wochenende von der Kaserne aus an einen
anderen Ort zu fahren. Er hat sich vor dem Senat dahin eingelassen, er habe
nach Hause zu seinen Eltern fahren müssen. Auf Nachfrage des Senats hat er
eingeräumt, dass seine Eltern an dem Wochenende gar nicht zu Hause waren,
sondern sich im Osterurlaub befanden. Ebenso wenig ist erkennbar, dass sein
Handeln unter schockartig ausgelöstem psychischen Zwang erfolgte. Sein
Fehlverhalten erfolgte auch nicht unter Umständen, die es als unbedachte per-
sönlichkeitsfremden Augenblickstat (vgl. Urteile vom 9. März 1995 - BVerwG
2 WD 1.95 - BVerwGE 103, 217 = NZWehrr 1995, 161, vom 19. Februar 1997
- BVerwG 2 WD 27.96 - BVerwGE 113, 63 <67> und vom 1. Juli 2003
- BVerwG 2 WD 51.02 -) erscheinen lassen. Der Soldat entschied sich zu sei-
nem Griff in die Gemeinschaftskasse nicht in einem Zustand, in dem er in einer
außergewöhnlichen Situation die rechtlichen und tatsächlichen Folgen seines
Verhaltens nicht bedachte. Sein Fehlverhalten erfolgte nicht spontan und „kopf-
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los“. Dagegen spricht schon, dass er während seines Fehlverhaltens Gelegen-
heit hatte, sein Tun zu überdenken und zu einem rechtmäßigen Verhalten zu-
rückzufinden, denn er musste mehrere Schlüssel zu Hilfe nehmen, u.a. den
Schlüssel für den Raum, in welchem sich die Geldkassette befand (Zugführer-
dienstzimmer) und den Schlüssel zum Öffnen der Geldkassette. Sein Verhalten
lief in mehreren Etappen ab. Von einem „spontanen“ Verhalten kann damit nicht
die Rede sein.
Sonstige Anhaltspunkte für das Vorliegen von Umständen, die von so außer-
gewöhnlichen Besonderheiten gekennzeichnet waren, dass von dem Soldaten
ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und da-
her auch nicht vorausgesetzt werden konnte, sind nicht ersichtlich.
dd) Beweggründe
Der Soldat handelte aus eigennützigen Beweggründen auf Kosten der Gemein-
schaftskasse und damit seiner Kameraden. Er benutzte das von ihm entwende-
te Geld für die Bezahlung einer privaten Tankrechnung. Sonstige Motive, die
ihn entlasten könnten, hat er in der Berufungshauptverhandlung nicht glaubhaft
darlegen können. Das Dienstvergehen beruhte offenkundig letztlich darauf,
dass der Soldat seinem privaten Interesse das größere Gewicht beimaß als
seinen von der Rechtsordnung von ihm verlangten Pflichten, insbesondere der
Kameradschaftspflicht.
ee) Bisherige Führung und Persönlichkeit
Positiv ist zu werten, dass er bis zu seinem Dienstvergehen weder strafrechtlich
noch disziplinar in Erscheinung getreten ist. Des Weiteren sind seine Auszeich-
nungen positiv zu berücksichtigen. Demgegenüber sind seine dienstlichen Leis-
tungen eher als durchschnittlich bzw. nur teilweise überdurchschnittlich zu be-
werten. Sein früherer Batteriechef, der Leumundszeuge Hauptmann Sch., hat
den Soldaten zwar als „sehr zurückhaltend“ und „ruhig“ beschrieben, aber auch
hervorgehoben, der Soldat wisse sehr wohl, was er sage und tue. Eine beson-
dere dienstliche Bewährung oder gar Nachbewährung kann dem Soldaten nicht
zugute gehalten werden. Zuungunsten des Soldaten spricht auch, dass er sein
Fehlverhalten in der Berufungshauptverhandlung bis zuletzt bagatellisiert und
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wenig Einsicht gezeigt hat. Er hat zwar von „Reue“ gesprochen. Erwähnt hat er
in diesem Zusammenhang aber nur die von ihm bedauerten und beklagten ne-
gativen Folgen für seine Person, sodass der Senat von einer aufrichtigen Reue
des Soldaten nicht überzeugt ist. Der Soldat hat jedes Bemühen vermissen las-
sen, sich mit den Gründen seines festgestellten Fehlverhaltens und insbeson-
dere den Folgen für die Kameradschaft hinreichend auseinanderzusetzen, so-
dass der spezialpräventive Zweck des Disziplinarrechts, den Soldaten durch die
Pflichtenmahnung zur zukünftigen Erfüllung seiner Dienstpflichten anzuhalten,
eine spürbare gerichtliche Disziplinarmaßnahme erfordert. Weiterhin fällt bei der
disziplinarrechtlichen Würdigung seiner Persönlichkeit sein Verhalten nach der
Tat erheblich ins Gewicht. Der Soldat hat sich weder das Urteil des Amtsge-
richts H. vom 7. Dezember 2005 noch das (sachgleiche) Urteil des Truppen-
dienstgerichts Süd vom 5. April 2006 zur Warnung dienen lassen. Kurze Zeit
danach ist er erneut negativ in Erscheinung getreten. Denn durch Strafbefehl
des Amtsgerichts K. vom 6. November 2006 wurde gegen ihn wegen fahrlässi-
ger Trunkenheit im Verkehr eine Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu je 45 € ver-
hängt. Durch Verfügung des Befehlshabers des Heeres...kommandos vom
23. Januar 2007 wurde zwar von der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinar-
verfahrens gegen den Soldaten wegen der Trunkenheitsfahrt abgesehen, je-
doch sein Verhalten missbilligt und ein Dienstvergehen gemäß § 23 Abs. 1 SG
festgestellt.
ff) Gesamtwürdigung
Bei der Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände ist im Hinblick
auf die Eigenart und Schwere des Dienstvergehens, seine Auswirkungen und
das Maß der Schuld des Soldaten eine Dienstgradherabsetzung unerlässlich.
Die Herabsetzung im Dienstgrad stellt die notwendige Konsequenz seines
Fehlverhaltens dar. Soweit sich aus der Dienstgradherabsetzung für den Solda-
ten persönliche Härten ergeben, sind diese schon deshalb nicht unangemessen
hart, weil sie im Risikobereich eines für sein Handeln verantwortlichen Soldaten
liegen, der sich bewusst sein muss, dass er bei einem erheblichen Verstoß ge-
gen seine Dienstpflichten unter Umständen mit schwerwiegenden dienstrechtli-
chen Nachteilen zu rechnen hat. Eine Dienstgradherabsetzung ist in einem sol-
chen Falle auch deshalb geboten, weil sie über ihren (engeren) Zweck hinaus
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anerkanntermaßen auch pflichtenmahnende Wirkung auf die Angehörigen der
Bundeswehr im Allgemeinen hat. Durch eine solche Ahndung wird seiner Um-
gebung nachhaltig die Schwere der Verfehlung vor Augen geführt. Jedem Sol-
daten, der sich eine Pflichtverletzung der hier in Rede stehenden Art zuschul-
den kommen lässt, muss klar sein, dass er dafür zur Wiederherstellung und
Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Dienstbetriebes regelmäßig nach-
haltig zur Verantwortung gezogen wird. Jeder Eindruck einer Bagatellisierung
des Fehlverhaltens im Hinblick auf die Kameradschaft muss vermieden werden.
Angesichts dessen ist im vorliegenden Fall nach Überzeugung des Senats eine
Dienstgradherabsetzung um zwei Stufen zur Pflichtenmahnung des Soldaten
und aus generalpräventiven Gründen erforderlich; auch aus Gründen der
Gleichbehandlung ist eine weitergehende Dienstgradherabsetzung als um eine
Stufe geboten. Der Senat hat in seiner jüngeren Rechtsprechung in ähnlich ge-
lagerten Fällen („Griff in die Kameradenkasse“) eine Dienstgradherabsetzung
um nur eine Stufe lediglich dann als angemessen angesehen, wenn z.B. eine
Nachbewährung des Soldaten vorlag (vgl. Urteil vom 26. November 2003
- BVerwG 2 WD 7.03 - Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 14) oder aufgrund
der besonderen Umstände der Zweck des Disziplinarrechts keine weitergehen-
de Maßnahme erforderte (vgl. Urteil vom 28. Oktober 2003 - BVerwG 2 WD
8.03 - DokBer 2004, 178).
4. Da die Berufung des Soldaten keinen Erfolg hatte, waren ihm gemäß § 139
Abs. 2 WDO die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen. Die ihm darin
erwachsenen notwendigen Auslagen ganz oder teilweise dem Bund aufzuerle-
gen, ist gemäß § 140 Abs. 5 Satz 2 WDO unzulässig.
Golze Prof. Dr. Widmaier Dr. Deiseroth
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