Urteil des BVerwG vom 26.07.2006

Soldat, Dienstverhältnis, Besitz, Strafbefehl

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 14.05
TDG N 9 VL 1/05
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
gegen
den Oberfeldwebel …,
geboren am … in …,
…,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 26. Juli 2006, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier als Vorsitzender,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth,
sowie
Oberst Landgraf,
Feldwebel Becker
als ehrenamtliche Richter,
Leitender Regierungsdirektor …
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt …,
als Pflichtverteidiger,
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Berufung des Soldaten gegen das Urteil der 9. Kam-
mer des Truppendienstgerichts Nord vom 12. April 2005
wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Solda-
ten auferlegt.
G r ü n d e :
Der jetzt … Jahre alte Soldat absolvierte nach Erreichen des Realschulab-
schlusses eine Ausbildung zum Radio- und Fernsehtechniker, die er … mit be-
friedigendem Ergebnis abschloss. Nach verschiedenen Tätigkeiten im erlernten
Beruf und einer kurzen Phase der Arbeitslosigkeit wurde er zum … 1995 zur
Ableistung des Grundwehrdienstes einberufen. Aufgrund seiner Bewerbung
vom … 1995 wurde er mit Wirkung vom … 1995 in das Dienstverhältnis eines
Soldaten auf Zeit berufen. Seine Dienstzeit wurde zuletzt auf zwölf Jahre fest-
gesetzt und wird am … 2006 enden.
Der Soldat durchlief die für einen Portepeeunteroffizier im Bereich des Waffen-
systems Hawk üblichen Lehrgänge und Ausbildungen und wurde zuletzt als
Fernmeldesystemfeldwebel Flugabwehrraketen eingesetzt. Zum … 2005 wurde
er zum Stab des F…geschwaders … in H. als Schüler bei der Fachschulausbil-
dungskompanie K. zur dienstzeitbeendenden Ausbildung versetzt. Er ist zuletzt
am … 2001 zum Oberfeldwebel befördert worden.
In seiner dienstlichen Beurteilung vom … 2002 erhielt er für seine Leistungen
einmal die Wertung „sechs“, siebenmal die Wertung „fünf“ und achtmal die
Wertung „vier“ zuerkannt; Eignung und Befähigung wurden durchgängig mit „C“
gekennzeichnet. Der nächsthöhere Vorgesetzte führte aus, Oberfeldwebel …
sei ein verantwortungsvoller und gewissenhafter Soldat, der Geschick im Um-
gang mit Untergebenen beweise. Besonders hervorzuheben seien sein profun-
des Fachwissen und sein praktisches Können. Auf dieser Basis sollte es ihm
gelingen, sein Leistungsprofil absehbar zu verbessern und sich für weitere För-
derungen zu empfehlen.
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In der Beurteilung vom 5. August 2003 wurden für seine Leistungen viermal die
Wertung „3“, neunmal die Wertung „4“, zweimal die Wertung „5“ und einmal die
Wertung „6“ vergeben. Unter Eignung und Befähigung erhielt der Soldat für
„Verantwortungsbewusstsein“ und „Eignung zur Menschenführung/Teambe-
fähigung“ die Wertung „B“ sowie für „geistige Befähigung und Befähigung zur
Einsatz- und Betriebsführung“ die Wertung „C“.
Unter „herausragende charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches
Selbstverständnis, Bewährung im Einsatz und ergänzende Aussagen“ wurde
ausgeführt:
„Aufgrund seiner dynamischen und frischen Art ist Ober-
feldwebel … im Kameradenkreis ein gern gesehener Ge-
sprächspartner. Die Einsatzbereitschaft und fachliche
Kompetenz zeichnen ihn im Besonderen aus und sind
wesentliches Merkmal seines Erscheinungsbildes.
Unabhängig davon wird er den Anforderungen meinerseits
an einen Unteroffizier mit Portepee nicht in vollem Umfang
gerecht.
Oberfeldwebel … ist in Bezug auf seine teilweise aus mei-
ner Sicht fehlende charakterliche Eignung auf dem Weg
der Besserung. So ist in den letzten Wochen eine deutli-
che Veränderung in seinem Bewußtsein über die Bedeu-
tung seines Dienstgrades und seiner Funktion zu erken-
nen.
Auch im Interesse des Oberfeldwebel … bleibt zu hoffen,
dass sich dieser Trend fortsetzt.“
Der Leumundszeuge, Hauptmann S., früherer nächster Disziplinarvorgesetzter,
hat den Soldaten vor dem Truppendienstgericht als „etwas schwierig“, mit Defi-
ziten bei Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit beschrieben; das Verantwortungs-
bewusstsein des Soldaten sei unzureichend gewesen. Es habe Vorfälle gege-
ben, die nur knapp nicht zu einer disziplinaren Reaktion geführt hätten. Zu den
Problemen mit seiner Ehefrau habe er sich jedoch trotz Nachfragen nicht ge-
äußert. Im Vergleich zu den anderen acht Oberfeldwebeln der Einheit habe der
Soldat die schlechteste Beurteilung erhalten, trotz seiner fachlichen Kompetenz.
Die dennoch in der Beurteilung vergebenen ordentlichen Wertungsstufen seien
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mit Blick auf die allgemeine Noteninflation zu sehen. Der Soldat sei sehr
redegewandt und habe es meisterhaft verstanden, sich „herauszureden“, wenn
etwas „schief gelaufen“ sei. Insoweit passe das Aussageverhalten des Soldaten
in den Vernehmungen vom Herbst 2003 - aber auch vor dem Truppendienstge-
richt - ins Bild. Damals habe der Soldat alles abgestritten und in der zweiten
Vernehmung eine „fragwürdige Geschichte“ erzählt.
Die Auskunft aus dem Zentralregister vom 6. Juli 2006 weist die weitgehend
sachgleichen Strafbefehle aus:
1. Strafbefehl des Amtsgerichts Niebüll vom 16. Oktober 2002 - Az.: 16 Cs
337/02 -, rechtskräftig seit dem 2. November 2002, über eine Gesamtgeld-
strafe von 30 Tagessätzen zu jeweils 25 € wegen Computerbetruges in zwei
Fällen (§§ 263a, 53 StGB).
2. Strafbefehl des Amtsgerichts Niebüll vom 4. Juli 2003 - Az.: 16 Cs 199/93 -,
rechtskräftig seit dem 23. Juli 2003, über eine Geldstrafe von
95 Tagessätzen zu jeweils 30 € wegen Besitzes kinderpornografischer
Schriften gemäß § 184 Abs. 5 Satz 2 StGB.
Der Auszug aus dem Disziplinarbuch vom 13. Juli 2006 enthält keine Eintra-
gungen.
Der verheiratete, aber getrennt lebende und zwei Kindern im Vorschulalter un-
terhaltspflichtige Soldat erhält nach Mitteilung der Wehrbereichsverwaltung Kiel
- Gebührniswesen - vom 27. Juni 2005 monatliche Dienstbezüge in Höhe von
2 384,21 € brutto und 1 986,06 € netto. Vor dem Truppendienstgericht hat er
ausgeführt, dass das Kindergeld nach der Trennung unmittelbar an die Ehefrau
fließe, weshalb er derzeit rund 1 800 € pro Monat an Dienstbezügen überwie-
sen erhalte. Davon habe er insgesamt rund 800 € an Unterhalt, fast 400 €
Warmmiete und nicht ganz 400 € an Zins und Tilgung für einen Kredit zu ent-
richten.
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Der Soldat wurde mit Wirkung vom … 2005 gemäß § 126 Abs. 1 WDO vorläufig
des Dienstes enthoben, gleichzeitig wurde gemäß § 126 Abs. 2 Satz 1 WDO
die Einbehaltung von einem Viertel der Dienstbezüge ab dem … 2005 ange-
ordnet.
II
In dem mit Verfügung des Kommandeurs der ... L…division vom 19. November
2003 durch Aushändigung am 25. November 2003 ordnungsgemäß eingeleite-
ten - mit den Strafbefehlen sachgleichen - gerichtlichen Disziplinarverfahren
fand die 9. Kammer des Truppendienstgerichts Nord, ausgehend von der An-
schuldungsschrift vom 13. September 2004 und der Nachtragsanschuldigungs-
schrift vom 23. März 2005, den Soldaten am 12. April 2005 eines Dienstverge-
hens schuldig und entfernte ihn aus dem Dienstverhältnis. Zugleich wurde die
Gewährung des gesetzlichen Unterhaltsbeitrages auf die Dauer von insgesamt
14 Monaten verlängert.
Die Truppendienstkammer hat folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:
„Zu Anschuldigungspunkt 1:
Am 27. Januar 2002 loggte sich der Soldat in das Compu-
tersystem der Firma N. ein und rief um 02.25 sowie um
03:36 die kostenpflichtige Internetseite http://www....de
auf, wobei jeweils Kosten in Höhe von 111,36 € anfielen.
Um sich der Begleichung dieser Beträge zu entziehen,
hatte der Soldat hierbei falsche Konto-Verbindungsdaten
angegeben, konnte jedoch mit der vom Anbieter gespei-
cherten IP-Adresse Nr. … unter Einschaltung des vom
Soldaten genutzten Providers KomTel zweifelsfrei als
Nutzer ermittelt werden.
Nachdem sich der Soldat weder im Strafverfahren noch
vor der Wehrdisziplinaranwaltschaft zur Sache geäußert,
jedoch den insoweit ergangenen Strafbefehl akzeptiert
hatte, erklärte er in der Hauptverhandlung zunächst, er
habe seine Kontodaten richtig angegeben, es läge kein
Betrug vor. Die Begleichung des offenen Betrages sei
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entweder deshalb nicht erfolgt, weil sein Girokonto damals
keine ausreichende Deckung aufgewiesen, oder weil seine
Frau der Abbuchung widersprochen habe. Der diesbe-
zügliche Strafbefehl sei von ihm nur aus Bequemlichkeit
und Überlastung wegen der Spannungen in seiner Ehe
nicht angefochten worden. Als der Vorsitzende während
der Darlegungen des Soldaten zu Anschuldigungspunk-
ten 2 und 3 auf Unstimmigkeiten hingewiesen und eine
Beratung des Soldaten mit seinem Verteidiger angeregt
hatte, die in einer kurzen Sitzungspause erfolgte, wurde
auch zu Anschuldigungspunkt 1 ein Geständnis abgelegt.
Alle Tatvorwürfe träfen zu.
Zu Anschuldigungspunkt 2 und zur Nachtragsanschuldi-
gungsschrift (Anschuldigungspunkt 3):
Am 04. Januar 2002 fiel dem Zeugen Kriminaloberkom-
missar A., Bundeskriminalamt, Wiesbaden, im Rahmen
einer anlassunabhängigen Recherche in sogenannten
‚Dalnet’, einem Subnetz des Internet Relay Chat im Kanal
‚…’ das Angebot einer Person mit dem pseudonym ‚…’
auf, die zu einer Tauschrate von 1:1 bytes für den Down-
load von Dateien von ihrem File-Server warb:
‚<… Ratio:1:1 Offering: Lots of Preteen Action and Se-
ries (Upload only Adult Females & preteen Boys or Girls
or you will be banned!!!) [2 of 3 slots in use]’
Über den Aufruf an ‚…’ gelangte der Zeuge um 0:23 Uhr
auf diesen Server, hielt die Verbindung bis 01:12 Uhr und
rief die Adresse erneut von 02:04 Uhr bis 02:29 Uhr auf.
Der Anbieter, als der später der Soldat ermittelt wurde,
stellte folgende Bedingungen:
‚Remember To Read The RULES First! …
Here are my Rules:
It’s allowed to download any kind you find on my Server
but:
It’s not allowed to upload any legal shit …
It’s only allowed to upload Adult Females with PreTeen
in Action
No boys only or 2 boys fucking or masturbating them-
selves …
Remember ONLY ADULT FEMALES WITH PRETEEN
BOYS AND/OR GIRLS IN
If you did not follow the Rules you will be banned with-
out any reason!!!
Have fun
…’
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Als Tauschmaterial überspielte der Zeuge zwei Videoda-
teien ohne strafrechtlich relevanten Inhalt (‚upload’) und
erhielt im Gegenzug aus dem Datenbestand des Soldaten
(‚download’) 17 Bild- und 8 Videodateien mit überwiegend
kinderpornographischem Inhalt. Die Kammer hat einige
der in digitaler Form abgespeicherten Fotographien und
Filmszenen in Augenschein genommen; diese zeigen un-
ter anderem Geschlechts-, Oral und Analverkehr Erwach-
sener mit Kindern.
Ähnliche Bilddateien bot der Soldat auch unter den Kanä-
len
- …,
- …,
- … und
- …
an.
Über IP-Adresse und zugehörige Domäne konnte das
Bundeskriminalamt die Einwahl-e-mail-Adresse ‚…’ sowie
Klarnamen und Anschrift des Soldaten ermitteln.
Die anschließend eingeschaltete Kriminalpolizeiaußenstel-
le N. durchsuchte nach richterlicher Anordnung am
25. Februar 2002 die Wohnung des Soldaten und be-
schlagnahmte u.a. seinen PC. Die Auswertung der Fest-
platte durch den Zeugen Polizeihauptmeister H., Bezirks-
kriminalpolizeiinspektion F., ergab als Inhalt u.a. Bildda-
teien von rund 1 000 kinderpornographischen Fotogra-
phien, die den - zum Teil schweren - sexuellen Miss-
brauch von Kindern zum Gegenstand hatten und vom
Soldaten abgespeichert worden waren. Die von der Kam-
mer in Augenschein genommenen Ausdrucke einiger Da-
teien zeigen u.a. mehrfach Oral- sowie Sexualverkehr mit
Eindringen in die Scheide zwischen etwa 10-jährigen oder
jüngeren Mädchen und erwachsenen Männern.
Der Soldat hat insoweit zunächst angegeben, er habe das
Internet als Kontaktbörse zu anderen Liebhabern von
Computerspielen genutzt. Eines Tages habe er dabei oh-
ne sein Zutun Dateien mit kinderpornographischem Inhalt
überspielt bekommen und diese automatisch abgespei-
chert. Er sei damals eine Art ‚Jäger und Sammler’ gewe-
sen, der sich alles, was es so gab, mit dem Befehl ‚Auto
speichern’ auf die Festplatte geladen hätte. Was Anschul-
digungspunkt 3 anbelange, so habe er aus dieser allge-
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meinen Sammelwut heraus unbewusst auch den Tausch-
angebotstext von einem anderen Internetnutzer über-
nommen und lediglich den ‚Nickname’ geändert. Es sei
ihm nur darum gegangen, alles erdenkliche, möglichst
ausgefallenes zu sammeln, Dinge die andere nicht hätten,
aber nicht speziell Kinderpornographie.
Nach dem vorerwähnten Hinweis des Vorsitzenden, diese
Darstellung sei schwerlich mit dem sehr prägnanten An-
gebotstext in Einklang zu bringen, räumte der Soldat
schließlich ein, seit langem gezielt kinderpornographi-
sches Bild- und Videomaterial gesammelt und weiterge-
geben zu haben. Auf die Nachfrage, wie er sein damaliges
Verhalten aus heutiger Sicht bewerte, erklärte er, dies sei
alles keine Ruhmestat gewesen. Im letzten Wort wie-
derholte er diese Einschätzung und bat den Unterhaltsbe-
darf seiner beiden Kinder bei der gerichtlichen Entschei-
dung zu berücksichtigen.“
Zur rechtlichen Würdigung hat die Truppendienstkammer ausgeführt, der Soldat
habe vorsätzlich gegen die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht (§ 17 Abs. 2
Satz 2 SG) verstoßen, mithin ein Dienstvergehen gemäß § 23 Abs. 1 SG be-
gangen.
Im Hinblick auf die Maßnahmebemessung wird auf die Seiten 6 bis 8 des Urteils
der Truppendienstkammer verwiesen.
Gegen dieses dem Soldaten am 22. April 2005 zugestellte Urteil hat sein
Pflichtverteidiger mit Schriftsatz vom 13. Mai 2005, bei der Truppendienstkam-
mer eingegangen am 17. Mai 2005, eine auf die Disziplinarmaßnahme be-
schränkte Berufung eingelegt und beantragt, den Soldaten zu einer milderen
Disziplinarmaßnahme zu verurteilen.
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Zur Begründung hat der Pflichtverteidiger im Wesentlichen vorgetragen:
Das angefochtene Urteil gehe bei der Maßnahmebemessung davon aus, dass
von einer Entfernung aus dem Dienstverhältnis nur dann abgesehen werden
könne, wenn gewichtige Milderungsgründe in der Tat oder außergewöhnliche
Milderungsgründe in der Person dies ausnahmsweise zuließen. Dies sei nach
Auffassung der Kammer nicht der Fall. In der Würdigung der Maßnahmebe-
messungsgründe falle auf, dass Milderungsgründe keine Erwähnung fänden.
Infolgedessen gelange das angefochtene Urteil zu einer scharfen Disziplinar-
maßnahme. Die Kammer habe verschiedene Milderungsgründe nicht oder nicht
hinreichend berücksichtigt. Der Soldat stehe im 11. Dienstjahr. In disziplinarer
und strafrechtlicher Hinsicht sei er - mit Ausnahme der sachgleichen Strafver-
fahren - unbelastet. Die Beurteilungen bescheinigten ihm Einsatzbereitschaft
und fachliche Kompetenz; es handele sich um einen dynamischen und mit fri-
scher Art auftretenden Soldaten. Die Aussage des in der Hauptverhandlung vor
dem Truppendienstgericht vernommenen Leumundszeugen, des Hauptmanns
S., passe zu diesen Feststellungen nicht recht. Zu Unrecht habe die Kammer
eine Nachbewährung verneint. Sogar der den Soldaten recht reserviert schil-
dernde Leumundszeuge habe bestätigt, dass der Soldat keinen Einbruch in
seinen Leistungen erlitten habe. Dies sei durchaus als Nachbewährung zu ver-
stehen, insbesondere angesichts des ganz erheblichen Vorwurfs, der über den
Zeitraum von drei Jahren über dem Soldaten geschwebt habe. Ein weiterer
mildernder Faktor stelle der Umstand dar, dass der Soldat sich derzeit nicht
mehr im aktiven Dienst, sondern im Berufsförderungsdienst befinde. Auswir-
kungen auf die Truppe gebe es nicht. Zu wenig berücksichtigt habe das ange-
fochtene Urteil auch den Umstand, dass die kriminelle Energie, die der Soldat
aufzubringen gehabt habe, um die Straftaten zu verwirklichen, recht gering ge-
wesen sei und dass eine nur niedrige Hemmschwelle zu überschreiten gewe-
sen sei. Ein gewichtiger Milderungsgrund sei auch darin zu sehen, dass der
Soldat geständig gewesen sei und den ihm vorgeworfenen Sachverhalt einge-
räumt habe. Die Kammer messe dem Geständnis keine große Bedeutung bei,
da es erst spät in einer aussichtslosen Beweislage erfolgt sei. Dabei verkenne
die Kammer indessen die besonderen Umstände. Dem Soldaten sei es schwer
gefallen, angesichts der ihm gegenüber erhobenen Vorwürfe seine Gedanken
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in Worte zu fassen. Er habe in der Hauptverhandlung reinen Tisch gemacht und
Reue sowie Einsicht gezeigt. Dies sei ihm zugute zu halten. Würdige man diese
für den Soldaten sprechenden Umstände, so sei die Entfernung aus dem
Dienstverhältnis eine zu harte Maßnahme. Der Soldat sei zu einer milderen Dis-
ziplinarmaßnahme zu verurteilen.
III
1. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, ihre Förmlichkeiten sind gewahrt
(§ 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 WDO).
2. Das Rechtsmittel des Soldaten ist ausdrücklich und nach dem maßgeblichen
Inhalt seiner Begründung auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme be-
schränkt worden. Der Senat hat daher die Tat- und Schuldfeststellungen sowie
die rechtliche Würdigung der Truppendienstkammer seiner Entscheidung
zugrunde zu legen und unter Beachtung des Verschlechterungsverbots nur
noch über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden (§ 91 Abs. 1
Satz 1 WDO i.V.m. §§ 327, 331 Abs. 1 StPO).
Das Ausbleiben des Soldaten in der Berufungshauptverhandlung hat deren
Durchführung nicht entgegengestanden, da der Soldat in der Ladung vom
21. Juni 2006 ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, dass auch in seiner
Abwesenheit verhandelt werden kann (§ 124 WDO).
3. Die Berufung des Soldaten ist als unbegründet zurückzuweisen.
Nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO sind bei Art und Maß der Diszipli-
narmaßnahme Eigenart und Schwere des Dienstvergehens, seine Auswirkun-
gen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die
Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen.
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Der Soldat hat ein sehr schwerwiegendes Dienstvergehen begangen, das die
Truppendienstkammer zu Recht mit der Höchstmaßnahme geahndet hat.
Der Schwerpunkt des Dienstvergehens liegt in dem Fehlverhalten des Soldaten
zu den Anschuldigungspunkten 2 und 3.
a) In Bezug auf die Anschuldigungspunkte 2 und 3 ergeben sich Eigenart und
Schwere des Dienstvergehens daraus, dass der Soldat mit dem Besitzver-
schaffen und zusätzlich der Weitergabe von Bildern, die den sexuellen Miss-
brauch von Kindern zum Gegenstand haben, kriminelles Unrecht nach § 184
Abs. 5 StGB beging.
Der Senat hat in Bezug auf Eigenart und Schwere sowie die disziplinare Einstu-
fung eines solchen Fehlverhaltens - Besitzverschaffen kinderpornografischer
Darstellungen und Weitergabe an Dritte - u.a. folgende grundsätzliche Erwä-
gungen angestellt und zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen eine
so genannte „reinigende Maßnahme“ genommen (vgl. Urteil vom 6. Juli 2000
- BVerwG 2 WD 9.00 - BVerwGE 111, 291 = Buchholz 236.1 § 17 SG Nr. 33 =
NZWehrr 2001, 36):
„… Durch das 27. Strafrechtsänderungsgesetz vom
23. Juli 1993 (BGBl. I S. 1346) sind die Besitzverschaffung
und der Besitz kinderpornografischer Darstellungen unter
den Voraussetzungen des neu eingefügten § 184 Abs. 5
StGB unter Strafe gestellt worden; des Weiteren wurde die
Einziehung von kinderpornografischen Darstellungen
durch Einfügung von § 184 Abs. 7 StGB erleichtert. Durch
die Beschränkung auf Schriften, die ein tatsächliches
Geschehen von sexuellem Kindesmissbrauch zum
Gegenstand haben, ist in § 184 Abs. 5 StGB als be-
sonderer Strafgrund der mittelbare Schutz der miss-
brauchten kindlichen ‚Darsteller’ normiert worden, der da-
durch erreicht werden soll, dass das Schaffen und Auf-
rechterhalten eines entsprechenden ‚Marktes’ mit authen-
tischen kinderpornografischen Darstellungen verhindert
wird (vgl. Lenckner in: Schönke/Schröder, StGB, 25. Aufl.,
§ 184 RdNr. 2; Tröndle, StGB, 48. Aufl., § 184 RdNr. 3 a);
damit hat der Gesetzgeber dem ‚Realkinderpornomarkt’
- hier vor allem den ‚Konsumenten’ - den Kampf angesagt,
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um den sexuellen Missbrauch von Kindern als ‚Darsteller’
zu verhindern (vgl. Lenckner, a.a.O., § 184 RdNr. 63).
Bildmaterial, das das tatsächliche Geschehen eines sexu-
ellen Missbrauchs von Kindern durch skrupellose Erwach-
sene wiedergibt, die die Kinder für die Erregung eines se-
xuellen Reizes beim Betrachter ausnutzen, steht nicht mit
den allgemeinen Wertvorstellungen von sexuellem An-
stand in Einklang (vgl. die Gesetzesmaterialien zu § 184
StGB, BT-Drucks. VI/3521 S. 50). Kinderpornografische
Darstellungen zielen unabhängig davon, auf welchem
Bildträger sie wiedergegeben sind, beim Betrachter gene-
rell auf die Erregung eines sexuellen Reizes ab und de-
gradieren die sexuell missbrauchten kindlichen ‚Darsteller’
zum bloßen (auswechselbaren) Objekt geschlechtlicher
Begierde oder Erregung. Sie verstoßen damit gegen die
unantastbare Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1
GG, die dem Menschen nur in seiner personellen Ganz-
heit zukommt (Urteile vom 17. März 1989 - BVerwG 2 WD
40.88 - und
vom 15. Juni 1999 - BVerwG 2 WD 34.98 -
1999, 258 = DokBer B 1999, 297>) und auf deren Ge-
währleistung er nach höchstrichterlicher Rechtsprechung
(Urteile vom 3. Februar 1998 - BVerwG 2 WD 16.97 -
und vom
15. Juni 1999 - BVerwG 2 WD 34.98 - m.w.N.)
nicht zulässigerweise verzichten kann.
Wenngleich die Anschauungen über geschlechtsbezogene
Handlungen und deren Darstellung in den letzten Jahr-
zehnten liberaler geworden sind, geht Kinderpornografie
eindeutig über die nach den gesellschaftlichen Anschau-
ungen und Wertvorstellungen des sexuellen Anstandes
gezogenen, dem Menschenbild des Grundgesetzes ent-
sprechenden Grenzen hinaus. Nach der ständigen Recht-
sprechung des Senats (vgl. Urteile vom 27. November
1981 - BVerwG 2 WD 25.81 -
1982, 1660>, vom 17. Oktober 1986 - BVerwG 2 WD
21.86 - , vom 17. Mai 1990 - BVerwG
2 WD 21.89 - , vom 29. Januar 1991
- BVerwG 2 WD 18.90 - und vom
14. April 1994 - BVerwG 2 WD 8.94 -) ist der sexuelle
Missbrauch eines Kindes oder Jugendlichen in hohem
Maße persönlichkeits- und sozialschädlich. Denn er greift
in die sittliche Entwicklung eines jungen Menschen ein und
gefährdet die harmonische Entwicklung seiner
Gesamtpersönlichkeit sowie seine Einordnung in die
Gemeinschaft, da ein Kind oder Jugendlicher wegen
seiner fehlenden bzw. noch nicht hinreichenden Reife in-
tellektuell und gefühlsmäßig das Erlebte in der Regel gar
nicht oder nur schwer verarbeiten kann. Zugleich benutzt
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der Täter die Person eines Kindes oder Jugendlichen als
‚Mittel’ zur Befriedung seines Geschlechtstriebes, auch
wenn er sich an dem jeweiligen Opfer nicht selbst unmit-
telbar vergreift. Wer als Soldat in dieser Weise versagt,
beweist erhebliche Persönlichkeitsmängel mit der Folge
einer nachhaltigen Ansehensschädigung oder gar des völ-
ligen Ansehensverlustes, weil er das Vertrauen, das der
Dienstherr in seine Selbstbeherrschung, Zuverlässigkeit
und moralische Integrität setzt, von Grund auf erschüttert
oder zerstört hat.
Bei einem Soldaten in Vorgesetztenstellung ist ein solches
Verhalten als so gravierend anzusehen, dass er im Allge-
meinen für die Bundeswehr untragbar wird und nur in min-
derschweren Fällen oder bei besonderen Milderungsgrün-
den in seinem Dienstverhältnis, jedoch grundsätzlich nicht
mehr als Vorgesetzter, verbleiben kann. Denn Verstöße
gegen einschlägige strafrechtliche Schutzbestimmungen,
die zugunsten von Kindern und Jugendlichen erlassen
sind, werden jedenfalls nach wie vor als verabscheu-
ungswürdig angesehen und setzen den Täter kritischer
Resonanz und Missachtung aus (vgl. Urteil vom 19. Juni
1996 - BVerwG 2 WD 3.96 -
= NZWehrr 1996, 255 = NVwZ 1997, 579>).
Dies gilt grundsätzlich auch für Fehlverhalten, das der Be-
schaffung und dem Besitz von kinderpornografischen
Schriften für sich oder einen Dritten dient. Denn auch der
Konsument, der sich kinderpornografische Filme, Fotogra-
fien, Videofilme oder authentische Tonaufnahmen be-
schafft, trägt dazu bei, dass Kinder sexuell missbraucht
werden. Daraus erwächst eine mittelbare Verantwortlich-
keit des Verbrauchers für die Existenz eines entsprechen-
den Marktes und den mit seiner Versorgung verbundenen
sexuellen Kindesmissbrauch (vgl. Tröndle, a.a.O.,
RdNr. 42). Denn gerade die Nachfrage schafft erst den
Anreiz, kinderpornografische Bilder herzustellen und die
betroffenen Kinder bzw. Jugendlichen zu missbrauchen.
Soweit sich ein Soldat den Besitz solcher Darstellungen
dadurch verschafft hat, dass er über das Internet Dateien
mit kinderpornografischem Inhalt abgerufen und auf Dis-
kette bzw. Festplatte überspielt hat, sind in die Maßnah-
mebemessung eines solchen Fehlverhaltens generalprä-
ventive Erwägungen einzubeziehen. Denn Kinderporno-
grafie stellt sich insbesondere im Zusammenhang mit der
Globalisierung des Datenaustausches und der Datennut-
zung im Rahmen des Internet als ein sehr ernst zu neh-
mendes Gefahrenpotenzial dar, wie sich in vielen Einzel-
fällen, insbesondere in dem in Belgien aufgetretenen Fall
Dutroux, erwiesen hat. Im vorliegenden Fall sind als gene-
ralpräventive Erwägungen vor allem die Warn- und Ab-
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schreckungswirkung zu berücksichtigen, die aus der Sicht
eines vorurteilsfreien und besonnenen Betrachters die
Ahndung nicht nur des unmittelbaren, sondern auch des
mittelbaren rechts- und sittenwidrigen sexuellen Miss-
brauchs eines Kindes oder Jugendlichen im Wege der
Beschaffung und des Besitzes von kinderpornografischen
Schriften durch einen Soldaten erfordert.
Handelt es sich dabei um einen nach § 10 Abs. 1 SG zu
vorbildlicher Haltung und Pflichterfüllung aufgerufenen
Vorgesetzten, so ist sein Versagen regelmäßig geeignet,
sein Ansehen bei Vorgesetzten, Gleichgestellten und Un-
tergebenen zu zerstören. Denn ein Vorgesetzter büßt
auch im Dienst, insbesondere gegenüber Wehrpflichtigen,
auch wenn es sich nur um wenige Untergebene handelt,
die ihm zeitweise unterstellt sind, sowie gegenüber deren
Familienangehörigen zwangsläufig seine Achtungs- und
Vertrauenswürdigkeit ein…“
Diese grundsätzlichen Erwägungen hat der Senat in weiteren Urteilen (vgl. u.a.
Urteile vom 8. November 2002 - BVerwG 2 WD 29.01 - Buchholz 236.1 § 17
SG Nr. 36, vom 11. Februar 2003 - BVerwG 2 WD 35.02 - Buchholz 236.1 § 17
SG Nr. 39 = NVwZ-RR 2003, 573 und vom 27. August 2003 - BVerwG 2 WD
39.02 - Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 9) bestätigt. Hieran hält der Senat
fest.
b) Das Dienstvergehen hatte ganz erhebliche Auswirkungen. Es führte zu
schwerwiegenden Verletzungen der Menschenwürde und des allgemeinen Per-
sönlichkeitsrechts der in den Bildern dargestellten Kinder.
Das Beschaffen, der Besitz und das Verbreiten kinderpornografischer Bilder
durch den Soldaten tragen nicht nur mittelbar dazu bei, dass Kinder durch die
Existenz eines entsprechenden Marktes sexuell missbraucht werden; es wird
auch bewirkt, dass durch die Veröffentlichung und Verbreitung der Bilder in das
Persönlichkeitsrecht der betroffenen abgebildeten Kinder nach Art. 1 Abs. 1
i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG fortlaufend eingegriffen wird, ohne dass sich diese da-
gegen wirksam wehren können. Das Grundrecht des allgemeinen Persönlich-
keitsrechts schützt gerade die Intimsphäre und die engere persönliche Lebens-
sphäre (BVerfG, Beschlüsse vom 3. Juni 1980 - 1 BvR 185/77 - BVerfGE 54,
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148 <153> und vom 13. Mai 1986 - 1 BvR 1542/84 - BVerfGE 72, 155 <170>).
Es schützt ferner die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entschei-
den, wann und innerhalb welcher Grenzen seine personenbezogenen Daten
und persönlichen Lebenssachverhalte offenbart werden sollen (BVerfG, Be-
schluss vom 14. September 1989 - 2 BvR 1062/87 - BVerfGE 80, 367 <373>).
Durch sein Verhalten hat der Soldat zu dieser schwerwiegenden Rechtsverlet-
zung aktiv beigetragen, wobei erschwerend zu berücksichtigen ist, dass es je-
weils um eine sehr große Zahl von Bildern kinderpornografischen Inhalts ging.
Zu Lasten des Soldaten wirkt es sich hier auch aus, dass er mit Wirkung vom
18. Juli 2005 vorläufig des Dienstes enthoben wurde. Eine solche Maßnahme
führt zwangsläufig zu nicht unerheblichen Änderungen in der Personalplanung
des Dienstherrn. Diese für die Personalplanung und -führung nachteiligen Aus-
wirkungen seines Dienstvergehens muss sich der Soldat zurechnen lassen (vgl.
Urteil vom 11. Februar 2003 - BVerwG 2 WD 35.02 - a.a.O.).
c) Das Maß der Schuld als Richtlinie für die Bemessung der Disziplinarmaß-
nahme bestimmt sich vorliegend nach der vorsätzlichen Begehungsweise des
Soldaten. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass er zum Zeitpunkt des Dienstver-
gehens in seiner Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB eingeschränkt oder
gar im Sinne des § 20 StGB schuldunfähig war, sind nicht ersichtlich. Sonstige
Schuldmilderungs- und Schuldausschließungsgründe sind gleichfalls nicht er-
kennbar.
Den Soldaten belastet neben der großen Zahl von kinderpornografischen, oft-
mals schwerste Missbrauchshandlungen zeigenden Bilddateien, die sich in sei-
nem privaten Besitz befanden, vor allem auch sein unverblümtes Tauschange-
bot über mehrere Wege im Internet sowie die Weitergabe solchen Bildmaterials
über dieses Medium. Dies kennzeichnet das besondere Gewicht des Dienst-
vergehens. Bei einer derartigen Fallgestaltung, bei der keinerlei Anhaltspunkte
für einen minderschweren Fall vorliegen, kann von der Entfernung aus dem
Dienstverhältnis nur abgesehen werden, wenn gewichtige Milderungsgründe in
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den Umständen der Tat oder außergewöhnliche Milderungsaspekte in der Per-
son dies ausnahmsweise zulassen. Dies ist hier nicht der Fall.
Milderungsgründe in den Umständen der Tat liegen nicht vor. Sie sind nach der
ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. u.a. Urteile vom 18. Juni 1996
- BVerwG 2 WD 10.96 - BVerwGE 103, 343 <347> = Buchholz 235.0 § 34 WDO
Nr. 15 m.w.N., vom 18. März 1997 - BVerwG 2 WD 29.95 - BVerwGE 113, 70
= Buchholz 235.0 § 34 WDO Nr. 28 = NZWehrr 1997, 212
veröffentlicht> und vom 6. Mai 2003 - BVerwG 2 WD 29.02 - BVerwGE 118,
161 = Buchholz 235.01 § 107 WDO 2002 Nr. 1 = NZWehrr 2004, 31) dann
gegeben, wenn die Situation, in der der Soldat versagt hat, von so außerge-
wöhnlichen Besonderheiten gekennzeichnet war, dass ein an normalen Maß-
stäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher auch nicht voraus-
gesetzt werden konnte; als solche Besonderheiten sind u.a. ein Handeln in ei-
ner ausweglos erscheinenden, unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage, die
auf andere Weise nicht zu beheben war, ein Handeln unter schockartig ausge-
löstem psychischem Zwang oder unter Umständen anerkannt worden, die es
als unbedachte, im Grunde persönlichkeitsfremde Augenblickstat eines an-
sonsten tadelfreien und im Dienst bewährten Soldaten erscheinen lassen, sowie
ein Handeln in einer körperlichen oder seelischen Ausnahmesituation (stRspr,
vgl. u.a. Urteile vom 1. September 1997 - BVerwG 2 WD 13.97 - BVerwGE 113,
128 <129 f.> = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 16 = NZWehrr 1998, 83
nicht veröffentlicht> und vom 6. Mai 2003 a.a.O.). Die Voraussetzungen für das
Vorliegen solcher Milderungsgründe sind hier ersichtlich nicht erfüllt. Der Soldat
hat insbesondere weder in einer psychischen Ausnahmesituation, etwa unter
Schock, gehandelt, noch lagen Anhaltspunkte für eine persönlichkeitsfremde
Augenblickstat vor. Sein Fehlverhalten erfolgte gerade nicht in einer
Augenblickssituation, in der er spontan und kopflos gehandelt hätte. Auch sind
keine konkreten Anhaltspunkte für ein ihn teilweise entlastendes Mitverschulden
von Vorgesetzten - etwa im Hinblick auf eine nicht hinreichende Wahrnehmung
der Dienstaufsicht (vgl. dazu Urteil vom 17. Oktober 2002 - BVerwG 2 WD
14.02 - Buchholz 236.1 § 12 SG Nr. 19 = NZWehrr 2003, 127) - erkennbar.
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Als Erschwerungsgrund fällt hier die herausgehobene Stellung des Soldaten als
Oberfeldwebel ins Gewicht. Vor diesem Hintergrund hat er in erheblicher Weise
versagt. Je höher ein Soldat in den Dienstgradgruppen steigt, umso mehr Ach-
tung und Vertrauen genießt er; umso größer sind dann auch die Anforderungen,
die an seine Zuverlässigkeit, sein Pflichtgefühl und sein Verantwortungs-
bewusstsein gestellt werden müssen, und umso schwerer wiegt eine Pflichtver-
letzung, die er sich zu schulden kommen lässt (vgl. Urteile vom 9. Juli 1991
- BVerwG 2 WD 41.90 - BVerwGE 93, 126 <131> = NZWehrr 1994, 254 und
vom 21. Juni 2000 - BVerwG 2 WD 19.00 - Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 37 =
NZWehrr 2001, 33 = ZBR 2001, 53). Von ihm als Portepeeunteroffizier konnte
und musste aufgrund seiner erhöhten Verantwortung erwartet werden, dass er
bei der Wahrung der Persönlichkeitsrechte, zumal der von Kindern, in erster
Linie selbst mit gutem Beispiel voranging. Die Stellung des Soldaten erforderte
es, dass er als Vorgesetzter in Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel hätte
geben müssen (§ 10 Abs. 1 SG). Denn nur, wenn er dieses Beispiel gibt, kann
er von seinen Untergebenen erwarten, dass sie sich am Vorbild ihres Vorge-
setzten orientieren und ihre Pflichten nach besten Kräften und aus innerer Ü-
berzeugung erfüllen. Durch sein Fehlverhalten, das geeignet war, zur erhebli-
chen Minderung seiner Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit und des Ansehens
der Bundeswehr beizutragen, hat der Soldat ein außerordentlich schlechtes
Beispiel gegeben. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Aussage des
Wehrbeauftragten in seiner Unterrichtung des Deutschen Bundestages vom
11. März 2003 zu verweisen, in der es u.a. heißt (Jahresbericht 2002 - Druck-
sache 15/500, Nr. 2.1, 5.8): „Kinderpornographie ist verabscheuungswürdig. Die
Bundeswehr muss sie weiterhin mit aller gebotenen Härte bekämpfen und
Vorsorge dafür treffen, dass sie sich nicht in den Streitkräften festsetzt.“
d) Im Hinblick auf die bisherige Führung und die Persönlichkeit des Soldaten ist
zu berücksichtigen, dass seine dienstlichen Leistungen, wie insbesondere die
Beurteilung vom 5. August 2003 zeigt, eher als unterdurchschnittlich zu bewer-
ten sind. Auch der Leumundszeuge Hauptmann S. hat sich vor dem Truppen-
dienstgericht in diesem Sinne geäußert. Eine besondere dienstliche Bewährung
oder gar Nachbewährung kann dem Soldaten deshalb nicht zugute gehalten
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werden. Zuungunsten des Soldaten spricht auch die von dem Leumundszeugen
dargestellte Tendenz des Soldaten, sich durch Ausreden und Lügen „da-
vonzustehlen“.
Im Übrigen erfolgte das Geständnis des Soldaten sehr spät und nicht aus freien
Stücken, sondern in einer für ihn aussichtslosen Beweislage.
e) Bei der Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände ist zu be-
rücksichtigen, dass hier zu Besitzverschaffung, Besitz und Verbreitung von kin-
derpornografischen Bild- und Videodateien in besonders gravierender Form
auch noch zwei Vermögensdelikte unter Nutzung der Möglichkeiten des Internet
hinzutreten. Insbesondere im Hinblick auf die Eigenart und Schwere des
Fehlverhaltens zu den Anschuldigungspunkten 2 und 3, seine Auswirkungen,
das Maß der Schuld und auch aus generalpräventiven Erwägungen sowie aus
Gründen der Gleichbehandlung ist die Entfernung des Soldaten aus dem
Dienstverhältnis angemessen und erforderlich.
4. Da die Berufung des Soldaten keinen Erfolg hatte, waren ihm gemäß § 139
Abs. 2 WDO die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen. Die ihm darin
erwachsenen notwendigen Auslagen ganz oder teilweise dem Bund aufzuerle-
gen, ist gemäß § 140 Abs. 5 Satz 2 WDO unzulässig.
Prof. Dr. Widmaier Dr. Deiseroth Dr. Frentz
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