Urteil des BVerwG vom 19.02.2004

Soldat, Einstellung des Verfahrens, Verfügung, Gefahr

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
Im Namen des Volkes
Urteil
BVerwG 2 WD 14.03
TDG … VL …/01
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
gegen
… ,
geboren am …, in …,
… …, …,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der öffentlichen
Hauptverhandlung am 19. Februar 2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Pietzner,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Fregattenkapitän Cornelius,
Kapitänleutnant Koslowski
als ehrenamtliche Richter,
Leitender Regierungsdirektor Söllner
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Ministerialrat a.D. Dr. Busch, Wachtberg-Pech,
als Verteidiger,
Justizobersekretärin von Förster
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 2 -
Die Berufung des Soldaten gegen das Urteil der ... Kammer
des Truppendienstgerichts … vom 17. Dezember 2002 wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Soldaten
auferlegt.
G r ü n d e :
I
Der heute 39 Jahre alte frühere Soldat absolvierte nach dem erfolgreichen Besuch
der 10. Klasse Hauptschule und einer einjährigen Höheren Handelsschule eine
Ausbildung zum Bürokaufmann, die er 1986 mit dem Gesamtergebnis „sehr gut“
abschloss. Auf dem sogenannten „Zweiten Bildungsweg“ erwarb er 1994 das
Zeugnis der Reife, studierte Rechtswissenschaften und legte im Juli 1999 die erste
juristische Staatsprüfung (Gesamtnote: „vollbefriedigend“) und später auch die
zweite juristische Staatsprüfung ab. Ferner bestand er im Juni 1999 an der Uni-
versität S. im Fach Rechtswissenschaften die erste Diplomprüfung. Aufgrund sei-
ner Ausbildung im Sanitätsdienst der Bundeswehr darf er die Berufsbezeichnung
Krankenpfleger führen.
Im Januar 1984 wurde er zur Bundeswehr einberufen und aufgrund seiner Ver-
pflichtung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Seine Dienstzeit
wurde zunächst auf sechs Monate, dann auf zwei und schließlich auf vier Jahre
festgesetzt. Sie endete mit Ablauf des 31. Dezember 1987.
Der frühere Soldat nahm nach seiner aktiven Dienstzeit - zum überwiegenden Teil
freiwillig - an zahlreichen Wehrübungen teil. Im Rahmen dieser Wehrübungen be-
stand er am 14. April 1989 den Bootsmannlehrgang mit der Note „sehr gut“ und
am 21. November 1989 den Offizierlehrgang Reserveoffizier mit der Note „befrie-
digend“.
Er wurde regelmäßig befördert, und zwar nach Übernahme in die Laufbahn der
Reserveoffiziere der Marine mit Wirkung vom 1. Dezember 1989 zum Leutnant zur
- 3 -
See der Reserve, am 19. Juni 1992 zum Oberleutnant zur See der Reserve und
schließlich am 17. Juli 1995 zum Kapitänleutnant der Reserve.
Während seiner aktiven Dienstzeit wurde er am 10. Juli 1986 als Sanitätsmaat
sowie danach am 5. Mai 1988 als Maat der Reserve nach einer Wehrübung vom
5. April bis 6. Mai 1988, am 9. September 1988 als Obermaat der Reserve im An-
schluss an eine Wehrübung vom 15. August bis 9. September 1988, am
1. November 1990 und am 21. April 1992 jeweils als Leutnant zur See der Reser-
ve im Anschluss an Wehrübungen vom 2. Oktober bis 2. November 1990 und vom
6. bis 24. April 1992 sowie am 9. August 1993 und am 30. März 1995 als Ober-
leutnant zur See der Reserve im Anschluss an Wehrübungen vom 26. Juli bis
13. August 1993 und vom 5. bis 30. September 1994 beurteilt. In seinem gegen-
wärtigen Dienstgrad als Kapitänleutnant der Reserve erhielt er im Zusammenhang
mit einer vom 10. bis 28. August 1998 dauernden Wehrübung eine weitere Beur-
teilung am 26. August 1998. In der gebundenen Beschreibung wurde er darin
fünfmal - „Einsatzbereitschaft“, „Eigenständigkeit“, „Fürsorgeverhalten“, „Aus-
drucksvermögen (mündlich)“, „Ausdrucksvermögen (schriftlich)“ - mit der Höchst-
wertung „1“ sowie im Übrigen mit „2“ beurteilt. In der freien Beschreibung wird
ausgeführt:
„KptLt … hat sich in den drei Wochen seines Hierseins als Kompanie-
chef sehr gut bewährt. Nicht nur in disziplinarrechtlicher - sondern auch
in allgemein-militärischer Hinsicht hat er überzeugt. Binnen kurzem er-
warb er sich durch sein großes Fachwissen, sein Engagement und sei-
ne Fähigkeit, natürliche Einflussgrenzen zu erkennen und Wesentliches
von Unwesentlichem zu trennen, Respekt bei den ihm unterstellten
Soldaten. Er verfügt über ein klares Urteilsvermögen, denkt differenziert
und logisch, ist sehr redegewandt und hat ein tadelloses Auftreten. Der
schwierigen Aufgabe der Führung einer großen Stabs- und Versor-
gungskompanie zeigt er sich gewachsen.“
Im Rahmen einer vom 6. April bis 2. Juli 1999 dauernden Wehrübung, die er beim
Standortsanitätszentrum (StOSanZ) R. absolvierte, wobei er die Aufgaben eines
Sanitätsdienstoffiziers im Bereich S 1, S 2, S 3 und S 4 wahrnahm, wurden in der
Beurteilung vom 31. Mai 1999 seine Leistungen einmal („Einsatzbereitschaft“) mit
der höchsten Stufe „7“, siebenmal mit der Stufe „6“ und zweimal („Praktisches
Können“, „Dienstaufsicht“) mit der Stufe „5“ beurteilt; nicht bewertet wurde das
- 4 -
„Fürsorgeverhalten“. Der Disziplinarvorgesetzte, der Leiter des StOSanZ R., führte
unter „Ergänzende Kennzeichnungen zu den Einzelmerkmalen“ Folgendes aus:
„Kapitänleutnant … zeigt ein vorbildliches Engagement für die Sache
der Bundeswehr. Sein Einsatz als Wehrübender fußt auf seiner Grund-
haltung: ‚Wenn ich gebraucht werde, dann diene ich!’
Er ist ein begeisterungsfähiger und leistungsbereiter Reserveoffizier,
der aus eigenem Antrieb konsequent die Möglichkeiten ausschöpft, die
ihm sein derzeitiger Dienstposten bietet. Besonders hervorzuheben ist
seine Tätigkeit als Lehrender in der politischen Bildung für die Angehö-
rigen des Standortsanitätszentrums, die er neben seinen sonstigen
Aufgaben durchführt.
Aus diesen Gründen bewerte ich das Einzelmerkmal ‚Einsatzbereit-
schaft’ mit ‚7’.
Durch sein Fachwissen und eine detaillierte Vorschriftenkenntnis zeigte
er sich jederzeit seinen Aufgaben gewachsen. ...“
In der „Freien Beschreibung“ heißt es:
„Kapitänleutnant … hat sich während seiner Tätigkeit als S 1 -
S 4-Offizier am Standortsanitätszentrum R. große Verdienste bei der
Organisation und der Steuerung des zentralen Bereichs erworben.
Er verfügt über eine rasche Auffassungsgabe, Kreativität und große
Flexibilität im Denken und Handeln. Er denkt logisch, folgerichtig und
analysiert klar. Sein Urteil ist ausgewogen und präzise.
Bemerkenswert ist sein Vermögen, den juristischen Sachverstand zur
Optimierung des täglichen Dienstbetriebes einzusetzen.
Kapitänleutnant Loke hat ein tadelloses Auftreten als Offizier. Wegen
seines sympathischen Wesens sowie seiner besonnenen Wesensart
genießt er die Wertschätzung aller Mitarbeiter.
Er überzeugt durch persönliches Beispiel sowie natürliche Autorität.
Kapitänleutnant Loke hat Freude an seiner Tätigkeit als Reserveoffizier
und strebt nach allen Möglichkeiten für eine erfolgreiche Laufbahn in
dieser Funktion.“
Die zu dieser Beurteilung abgegebenen Stellungnahmen des nächsthöheren Vor-
gesetzten wurden mehrfach aufgehoben, zuletzt durch Beschluss des Truppen-
dienstgerichts … (Az.: … BLa …/01) vom 26. März 2003.
Der frühere Soldat ist berechtigt, das Ehrenzeichen der Bundeswehr in Silber und
das Goldene Sportabzeichen zu tragen. Der Auszug aus dem Zentralregister vom
11. Mai 2001 enthält keine Eintragungen. Disziplinar ist der frühere Soldat weder
positiv noch negativ in Erscheinung getreten.
- 5 -
Er ist ledig und seit einiger Zeit als Rechtsassessor bei einem Unternehmen be-
schäftigt, das vor kurzem Insolvenzantrag gestellt hat. Der frühere Soldat bezeich-
net seine wirtschaftlichen Verhältnisse als geordnet. Er verfügt über keine Fahrer-
laubnis für Kraftfahrzeuge.
II
Mit Schreiben vom 26. Juni 2000, dem früheren Soldaten zugestellt am 28. Juni
2000, teilte ihm der Amtschef (AChef) des Personalamtes der Bundeswehr
(PersABw) mit, die disziplinargerichtlichen Vorermittlungen hätten folgendes erge-
ben:
„1. Während Ihrer Wehrübung haben Sie im Mai 1999 Diensträume von
Kameraden nach Ihren ärztlichen Befunden durchsucht, ohne hierzu
befugt gewesen zu sein und die Betroffenen um Erlaubnis gefragt zu
haben. …
2. Sie haben am 27.06.1999 dem Sanitäts-UvD, dem Zeugen SU E.,
befohlen, Sie mit seinem Privat-Pkw an Ihrer Privat-Wohnung in S. ab-
zuholen und Sie zur Dienststelle nach R. zu fahren, um einen dort um
20.12 Uhr eingegangenen Übungsalarmspruch zu bearbeiten. Es han-
delte sich dabei erkennbar um einen Übungsalarmspruch, der Ihre An-
wesenheit in der Dienststelle am Abend des 27.06.1999 nicht zwingend
erforderte, was Sie auch wussten oder zumindest hätten wissen müs-
sen, weil Sie für die Bearbeitung von Alarmsachen nicht eingeteilt wa-
ren; unabhängig davon wäre es möglich und auch zumutbar gewesen,
durch öffentliche Verkehrsmittel, insbesondere die Benutzung eines Ta-
xis, zur Dienststelle zu gelangen. Nach Bearbeitung des Alarmspruches
haben Sie gegen 22.30 Uhr dem UvD befohlen, Sie mit seinem Privat-
Pkw wieder zurück nach S. zu Ihrer Wohnung zu bringen.
Durch dieses Verhalten haben Sie gegen die Ihnen obliegenden
Dienstpflichten verstoßen, Befehle nur zu dienstlichen Zwecken zu er-
teilen (§ 10 Abs. 4 SG), für Ihre Untergebenen zu sorgen (§ 10 Abs. 3
SG) sowie der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die der
Dienst als Soldat erfordert (§17 Abs. 2 Satz 1 und 2 SG). …
Nach Würdigung der konkreten Tatumstände, Ihres persönlichen Wer-
deganges und Ihres bisher gezeigten Engagements als Reserveoffizier
bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass Ihr Fehlverhalten nicht so
schwer wiegt, dass hier eine disziplinargerichtliche Maßnahme geboten
ist. Zu Ihren Lasten war jedoch zu berücksichtigen, dass Sie sich im
Verlauf der Vorermittlungen völlig uneinsichtig gezeigt haben und in Ih-
ren schriftlichen Stellungnahmen jede Selbstkritik vermissen lassen.
- 6 -
Ferner ist festzustellen, dass Sie durch Ihre unbedachte und unzweck-
mäßige Befehlsgebung sowohl bei Ihren Vorgesetzten als auch bei den
Ihnen im Rahmen der Wehrübung unterstellten Soldaten an Achtung
und Vertrauen eingebüßt haben.
Ich missbillige Ihr Verhalten und erwarte von Ihnen künftig die strikte
Einhaltung der Ihnen als Reserveoffizier obliegenden Pflichten.“
Auf die dagegen vom früheren Soldaten eingelegte Beschwerde vom 25. August
2000 wies der Inspekteur der Streitkräftebasis mit Schreiben vom 5. Oktober 2000
den AChef PersABw an, gegen den früheren Soldaten ein „disziplinargerichtliches
Verfahren einzuleiten“. Zur Begründung führte er aus, er bewerte die Vorgehens-
weise des früheren Soldaten ebenfalls als ein schwerwiegendes Fehlverhalten.
Wegen der Schwere des Dienstvergehens halte er die Durchführung eines diszip-
linargerichtlichen Verfahrens für erforderlich.
Daraufhin teilte der AChef PersABw dem früheren Soldaten mit Schreiben vom
19. Oktober 2000 mit, er leite mit der beigefügten Einleitungsverfügung unter dem
Datum 16. Oktober 2000 ein disziplinargerichtliches Verfahren gegen den früheren
Soldaten ein. Vor Einreichung der Anschuldigungsschrift beim Truppendienst-
gericht werde der frühere Soldat Gelegenheit zum rechtlichen Gehör nach der
Wehrdisziplinarordnung erhalten. Den Bescheid vom 26. Juni 2000 hebe er auf,
soweit darin die Feststellung eines Dienstvergehens getroffen worden sei. Die Ein-
leitungsverfügung vom 16. Oktober 2000 wurde dem früheren Soldaten am
23. Oktober 2000 zugestellt.
Nachdem der frühere Soldat aufgrund seines Antrages am 11. Dezember 2000
Einsicht in die Ermittlungsakten genommen hatte, beantragte er unter dem
22. Dezember 2000 beim AChef PersABw, das Verfahren wegen bestehender
Verfahrenshindernisse einzustellen. Er machte geltend, entgegen § 27 Abs. 2
SBG habe die Einleitungsbehörde vor Ergehen der Einleitungsverfügung die Ver-
trauensperson nicht angehört; auch im Übrigen sei die Einleitungsverfügung
rechtswidrig. Am 9. Februar 2001 erhielt der frühere Soldat auf seinen Antrag hin
erneut Akteneinsicht und beantragte unter dem 1. März 2001, das Verfahren ge-
mäß § 95 Abs. 1 Nr. 2, hilfsweise nach § 95 Abs. 1 Nr. 4 der im Tatzeitraum gel-
tenden Fassung der Wehrdisziplinarordnung (im Folgenden: WDO a.F.) mit der
Begründung einzustellen, eine gerichtliche Disziplinarmaßnahme sei nicht zuläs-
- 7 -
sig; ein Dienstvergehen liege nicht vor. Für den Fall, dass bestimmte, ihn entlas-
tende Umstände nicht als wahr unterstellt werden sollten, beantragte er die Ver-
nehmung der Vertragsärztin Dipl. Med. M. und seines Mitbewohners in S. als Zeu-
gen.
Mit Schreiben vom 18. Juni 2001, dem früheren Soldaten zugestellt am 20. Juni
2001, teilte der Wehrdisziplinaranwalt beim Truppendienstgericht … dem früheren
Soldaten mit, nach dem Ergebnis der durchgeführten Ermittlungen habe sich der
in der Einleitungsverfügung vom 16. Oktober 2000 angeführte Sachverhalt bestä-
tigt. Er gab ihm Gelegenheit, sich zu den Vorwürfen zu äußern.
Mit der Anschuldigungsschrift vom 2. Juli 2001, dem früheren Soldaten zugestellt
am 11. Juli 2001, legte der Wehrdisziplinaranwalt dem früheren Soldaten folgen-
des Verhalten als schuldhafte Verletzung seiner Dienstpflichten zur Last:
„1. Während einer Wehrübung, die er vom 06.04.1999 bis 02.07.1999
beim Standortsanitätszentrum R., … Straße 27, … R. absolvierte, be-
fahl er am 27.06.1999 gegen 20:30 Uhr in einem Telefonat dem UvD
des Standortsanitätszentrums, Stabsunteroffizier Mirko E., ihn mit dem
in seinem Eigentum befindlichen Pkw von seiner Privatunterkunft in S.,
…Gasse 5/III, … S., abzuholen und zum Standortsanitätszentrum R. zu
fahren, obwohl der frühere Soldat zumindest hätte wissen müssen,
dass die von ihm vorgeblich bezweckte Bearbeitung eines dort gegen
20:12 Uhr eingegangenen Übungsalarmspruches an diesem Tag nicht
notwendig war und er für die Bearbeitung von Alarmsprüchen nicht ein-
geteilt worden war. Im Anschluss an die Bearbeitung des Alarmspru-
ches ließ sich der frühere Soldat gegen 22:30 Uhr von dem UvD mit
dessen Privat-Pkw zurück nach S. zu seiner Wohnung bringen, ohne
dass dies dienstlich erforderlich war, was der frühere Soldat zumindest
hätte wissen müssen. Die für die Fahrten zwischen R. und S. zurückge-
legte Fahrstrecke betrug insgesamt mindestens 100 km. Während der
Fahrten war der Dienstposten des UvD des Standortsanitätszentrums
nicht besetzt.
2. Während der vorgenannten Wehrübung am Standortsanitätszentrum
R. durchsuchte der frühere Soldat zu einem nicht näher feststellbaren
Zeitpunkt im Mai 1999 in mindestens einem Fall fremde Diensträume
und Schreibtische in der Dienststelle nach ärztlichen Befunden und
Gesundheitsunterlagen, ohne dass ihm dies durch den zugangsberech-
tigten Soldaten, Bootsmann Andreas T., Standortsanitätszentrum R.,
erlaubt worden war.“
- 8 -
Nachdem der frühere Soldat am 31. Juli 2001 erneut Akteneinsicht genommen
und mit Schriftsätzen vom 10. August und 5. September 2001 zum weiteren Gang
des Verfahrens Stellung genommen hatte, hat der Vorsitzende der ... Kammer des
Truppendienstgerichts … mit Verfügung vom 7. September 2001 den Termin zur
Hauptverhandlung auf den 30. Oktober 2001 anberaumt. Daraufhin hat der frühere
Soldat mit Schreiben vom 29. September 2001 beantragt, den anberaumten Ter-
min aufzuheben und das Verfahren auszusetzen, da er bis zum 31. Januar 2002
zum Bezirksgericht E./Schweiz zu Ausbildungszwecken abgeordnet sei; im Febru-
ar 2002 habe er an den Prüfungen des ersten Teils des juristischen
Lizentiatsexamens an der Kantonalen Universität B. teilzunehmen und für die ers-
te Märzhälfte 2002 habe er einen Erholungsurlaub geplant. Auf diesen Antrag hat
der Vorsitzende der ... Kammer des Truppendienstgerichts … mit Beschluss vom
12. Oktober 2001 das disziplinargerichtliche Verfahren gegen den früheren Solda-
ten bis zum Abschluss seiner Referendarausbildungswahlstation in der Schweiz
ausgesetzt. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2001 hat der frühere Soldat bean-
tragt, bis Ende März 2002 keine Hauptverhandlung anzuberaumen, und mit weite-
rem Schriftsatz vom 31. Dezember 2001, ihn durch Disziplinargerichtsbescheid
freizusprechen, hilfsweise das Verfahren durch Disziplinargerichtsbescheid einzu-
stellen. Mit Schreiben vom 8. März 2002 hat der Verteidiger des früheren Soldaten
mitgeteilt, dass er in der Zeit vom 22. März bis zum 2. April, vom 3. bis zum
13. Mai und vom 24. Mai bis zum 10. Juni 2002 in Urlaub sei und für eine Haupt-
verhandlung nicht zur Verfügung stehe. Nachdem der Vorsitzende der ... Kammer
des Truppendienstgerichts … mit Schreiben vom 15. Mai 2002 dem früheren Sol-
daten und dem Wehrdisziplinaranwalt auf dessen Begehren hin mitgeteilt hatte, es
sei beabsichtigt, einen Disziplinargerichtsbescheid mit dem Tenor zu erlassen, der
frühere Soldat habe ein Dienstvergehen begangen, das Verfahren werde einge-
stellt, die Kosten des Verfahrens und die dem früheren Soldaten darin erwachse-
nen notwendigen Auslagen würden dem Bund auferlegt, hat der frühere Soldat mit
Schreiben vom 7. Juni 2002 beantragt, die vom Gericht gesetzte Äußerungsfrist
um eine Woche stillschweigend zu verlängern. Da der Wehrdisziplinaranwalt seine
Zustimmung zum Erlass eines Disziplinargerichtsbescheides im Hinblick auf die
vorgesehene Kostenregelung abgelehnt hatte, hat der Vorsitzende der ... Kammer
des Truppendienstgerichts … mit Verfügung vom 10. Juni 2002 den Termin zur
Hauptverhandlung sodann auf den 6. August 2002 anberaumt. Auf Antrag des
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Verteidigers des früheren Soldaten hat der Vorsitzende der ... Kammer des Trup-
pendienstgerichts … mit Verfügung vom 1. Juli 2002 den Termin zur mündlichen
Hauptverhandlung erneut aufgehoben und als neuen Termin den 24. September
2002 bestimmt. Da der zur Hauptverhandlung als Zeuge geladene Oberfeldarzt
a.D. Dr. A., der frühere Leiter des StOSanZ R., mitgeteilt hatte, dass er aus
Gesundheitsgründen nicht zum angesetzten Termin erscheinen könne, wurde mit
Verfügung vom 6. September 2002 der angesetzte Termin wiederum aufgehoben
und mit Verfügung vom 26. November 2002 als neuer Termin zur Hauptverhand-
lung der 17. Dezember 2002 festgesetzt.
Aufgrund der Hauptverhandlung vom 17. Dezember 2002 hat die ... Kammer des
Truppendienstgerichts … mit Urteil vom selben Tag festgestellt, der frühere Soldat
habe ein Dienstvergehen begangen, gleichzeitig das Verfahren eingestellt sowie
die Kosten des Verfahrens und die dem früheren Soldaten darin erwachsenen
notwendigen Auslagen dem Bund auferlegt. In der Begründung hat sie ausgeführt,
aufgrund der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme habe sie den früheren
Soldaten vom Tatvorwurf 2 insgesamt und vom Tatvorwurf 1 im ersten Teil freige-
stellt. Im Tatvorwurf 2 habe kein einziger Fall festgestellt werden können, in dem
der frühere Soldat - wie angeschuldigt - „mindestens einmal fremde Diensträume
und Schreibtische in der Dienststelle nach ärztlichen Befunden und Gesundheits-
unterlagen“ durchsucht habe. Vom ersten Teil des Anschuldigungspunktes 1 sei
der frühere Soldat freizustellen, da er nach Inhalt und Aufmachung des in Rede
stehenden Alarmfernschreibens von seinem Wohnsitz in S. aus nicht ohne weite-
res habe erkennen können, dass an diesem Sonntagabend kein akuter Hand-
lungsbedarf bestanden habe. Der frühere Soldat habe dem Zeugen Stabsunterof-
fizier (StUffz) E. von S. aus auch keinen Befehl zu nichtdienstlichen Zwecken er-
teilt; denn er habe von S. aus telefonisch keinerlei Befehlsbefugnis gegenüber
dem UvD des StOSanZ R. gehabt.
Anders sei dagegen das Verhalten des früheren Soldaten hinsichtlich seines
Rücktransportes von R. nach S. zu werten. Denn innerhalb geschlossener militäri-
scher Anlagen sei er nunmehr Vorgesetzter des Zeugen E. aufgrund seines
Dienstgrades (§ 4 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 VorgV) gewesen, weil der Dienst als UvD
- anders als der Wachdienst - den Diensthabenden nicht außerhalb des normalen
Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnisses stelle. Zwar habe der Zeuge E. ge-
- 10 -
wusst, dass er nicht verpflichtet gewesen sei, seinen Privat-Pkw für dienstliche
Belange einzusetzen; er habe sich aber darauf verlassen dürfen, dass der erheb-
lich dienstgradhöhere frühere Soldat habe wissen müssen, ob er aus übergeord-
neten Gesichtpunkten einen diensthabenden UvD von seinem Dienstposten abzu-
ziehen berechtigt gewesen sei oder nicht. Der Soldat habe mit seinem Verhalten
hinsichtlich des dem StUffz E. angesonnenen Rücktransportes von R. nach S.
fahrlässig die ihm obliegenden Dienstpflichten zu treuem Dienen (§ 7 SG), zur
Fürsorge für den Untergebenen (§ 10 Abs. 3 SG), zu rechtmäßiger Befehlsgebung
(§ 10 Abs. 4 SG), zu Kameradschaft (§ 12 SG) und zum Wohlverhalten im dienst-
lichen Bereich (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) verletzt. Wegen der weiteren Ausführun-
gen zur Maßnahmebemessung wird auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil
Bezug genommen.
Gegen das dem früheren Soldaten am 7. Januar 2003 zugestellte Urteil hat dieser
mit Schriftsatz vom selben Tag, beim Truppendienstgericht Nord eingegangen am
10. Januar 2003, Berufung in vollem Umfang eingelegt und anschließend erneut
Akteneinsicht beantragt, die ihm am 22. Januar 2003 gewährt wurde. Zur Begrün-
dung der eingelegten Berufung haben der Verteidiger und der frühere Soldat im
Wesentlichen vorgetragen:
Das Truppendienstgericht habe zu Unrecht angenommen, dass der frühere Soldat
dem Zeugen StUffz E. im StOSanZ R. befohlen habe, ihn nach S. zurückzufahren.
Allenfalls habe es sich um eine Bitte gehandelt. Zumindest habe das Gericht die
Frage des Vorliegens eines Verbotsirrtums beim früheren Soldaten klären müs-
sen. Im Übrigen habe das Truppendienstgericht verkannt, dass es sich bei dem
Abholen in S. und dem Rücktransport von R. nach S. um einen einheitlichen Vor-
gang gehandelt habe. Dann aber gelte die in Frageform gekleidete Bitte des frühe-
ren Soldaten um Abholung aus S. auch für die Rückfahrt von R. nach S.. Denn der
Zeuge StUffz E. sei nach seinem eigenen Bekunden davon ausgegangen, er wer-
de den früheren Soldaten nach Entschlüsselung des Alarmspruches auch wieder
nach S. zurückfahren. Damit scheide ein Verstoß gegen § 11 Abs. 1 SG aus. Ein
Verstoß gegen die Kameradschaftspflicht sei nicht erfolgt, da nicht ersichtlich sei,
inwieweit durch die vorgeworfene Tathandlung die Würde, Ehre oder Rechte des
Zeugen StUffz E. verletzt worden seien. Es sei auch nicht ersichtlich, worin ein
- 11 -
Pflichtverstoß gegen § 17 Abs. 2 Satz 1 SG bestanden haben solle. Ein Verstoß
gegen § 7 SG scheide schon deshalb aus, weil die anderen von der Truppen-
dienstkammer angenommenen Pflichtverstöße § 7 SG als speziellere Vorschriften
verdrängten.
Materiell verletze das angefochtene Urteil § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 261
StPO, weil es die Aussage des Zeugen StUffz E. nicht auch unter dem Aspekt
gewürdigt habe, dass dieser ein spezielles Interesse am Ausgang des Verfahrens
gehabt habe. Denn der Zeuge habe selbst noch mit disziplinarer Verfolgung rech-
nen müssen. Das angefochtene Urteil verstoße zudem gegen die Denkgesetze,
weil in den Urteilsgründen einmal ein Fußmarsch von 2 km von der Kaserne in R.
zum Bahnhof als zumutbar angesehen, an anderer Stelle jedoch eine solche Zu-
mutbarkeit verneint worden sei. Gleiches gelte für die Aussagen zur Zumutbarkeit
der Benutzung einer Kraftdroschke, die einmal zumutbar und ein anderes Mal als
unzumutbar eingestuft worden sei. Die Urteilsgründe ließen zudem die vom Ge-
setz vorgesehene und gebotene erschöpfende Beweiswürdigung vermissen und
seien lückenhaft, was einen Verstoß gegen § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 267
Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO darstelle. Insbesondere sei nicht gewürdigt worden,
dass die im Laufe des gesamten Verfahrens getätigten Aussagen des Zeugen
StUffz E. widersprüchlich seien. Es sei auch nicht eindeutig festgestellt worden,
wann der Zeuge genau nach S. gefahren sei, um ihn abzuholen.
Er, der frühere Soldat, habe sich in einem Erlaubnistatbestandsirrtum befunden,
da er nicht gewusst habe, dass an dem fraglichen Abend doch noch Eisenbahn-
verbindungen zwischen S. und R. bestanden hätten. Dies führe zum Wegfall des
Vorsatzes. Sein Irrtum habe auch nicht auf Fahrlässigkeit beruht, sodass noch
nicht einmal ein fahrlässiger Pflichtenverstoß gegen die Fürsorgepflicht vorliege.
Für den Fall, dass der erkennende Senat von der Rechtsprechung der Strafsenate
des Bundesgerichtshofs zum Erlaubnistatbestandsirrtum abweichen wolle, werde
beantragt, die Rechtsfrage gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 RsprEinhG dem Gemein-
samen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes zur Entscheidung vorzule-
gen. Zumindest liege ein Verbotsirrtum vor, da der von ihm angerufene Bedienste-
te bei der österreichischen Bundesbahn ihm, dem früheren Soldaten, die Auskunft
gegeben habe, dass am fraglichen Sonntagabend (27. Juni 1999) kein Zugverkehr
mehr zwischen S. und R. stattfinde. Die vom Truppendienstgericht aufgezeigte
Möglichkeit der Bestellung zweier Kraftdroschken habe er, der frühere Soldat, an
- 12 -
dem Abend weder bedacht noch sei dies angezeigt gewesen. Abgesehen davon,
dass jeweils eine Kraftdroschke in R. und eine in S. hätte bestellt werden müssen,
habe die Gefahr bestanden, dass beide Kraftdroschken unterschiedliche Grenz-
übergänge angesteuert hätten, was aufgrund seiner, des früheren Soldaten, Un-
kenntnis der geografischen Gegebenheiten im Bereich des Möglichen gelegen
habe. Dadurch habe die Gefahr bestanden, dass er unter Umständen in der Nacht
an einem nicht mehr bewachten Grenzübergang zwischen Deutschland und
Österreich zurückgelassen worden wäre. Darüber hinaus wäre ihm das Risiko
verblieben, auf den Kosten „sitzen zu bleiben“.
Da eine einfache Disziplinarmaßnahme nicht mehr habe verhängt werden dürfen,
habe das Truppendienstgericht das Verfahren nach § 108 Abs. 3 Satz 1 2. Alt.
WDO einstellen müssen.
Soweit der Senat dem nicht folge, sei das Urteil wegen schwerer Verfahrensfehler
aufzuheben und zur nochmaligen Behandlung und Entscheidung an eine andere
Kammer des Truppendienstgerichts Nord zurückzuverweisen.
Die durch die Einleitungsbehörde vor Einleitung des gerichtlichen Disziplinarver-
fahrens durchzuführende Anhörung der Vertrauensperson sei unterblieben. Für
den Fall, dass der erkennende Senat die Regelungen des § 4 Abs. 1 WDO i.V.m.
§ 27 Abs. 2 SBG für verfassungswidrig halten sollte, hat der frühere Soldat bean-
tragt, das Verfahren gemäß § 123 Satz 2, § 83 Abs. 3 WDO auszusetzen und die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG
einzuholen. Die spätere Nachholung der Anhörung der Vertrauensperson in der
Hauptverhandlung sei zwar nach der alten Rechtsprechung des erkennenden Se-
nats möglich. Diese Rechtsprechung könne aber nach der am 1. Januar 2002 er-
folgten Änderung der WDO keine Gültigkeit mehr haben.
Das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen sei ihm, dem früheren Soldaten, auch
nicht im erforderlichen Umfange bekannt gegeben worden, was gegen § 97 Abs. 3
Satz 1 WDO und § 99 Abs. 1 Satz 3 WDO bzw. § 99 Abs. 3 Satz 1 WDO versto-
ße. Auch sei er vor Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens nicht ange-
hört worden, was einen schweren Verfahrensmangel und Verstoß gegen § 93
Abs. 1 Satz 2 WDO darstelle.
Mit seiner Anweisung zur Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens habe
der Inspekteur der Streitkräftebasis ferner sein Ermessen überschritten und will-
kürlich gehandelt sowie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Ein Er-
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messensmissbrauch liege zudem auch in der schleppenden Behandlung des Ver-
fahrens. Die Verfahrensdauer und die schleppende Behandlung verstießen auch
gegen den Beschleunigungsgrundsatz des § 17 Abs. 1 WDO und gegen Art. 6 der
Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Seit Beginn der Ermittlungen
des Disziplinarvorgesetzten bis zur Verkündung des erstinstanzlichen Urteils seien
insgesamt mehr als 41 Monate vergangen mit entsprechenden beruflichen und
finanziellen Nachteilen für den früheren Soldaten.
Ferner sei gegen den Grundsatz der Doppelbestrafung (§ 18 Abs. 1 Satz 1 WDO)
verstoßen worden, weil derselbe Lebensvorgang sowohl in der
Absehensverfügung des AChefs PersABw vom 26. Juni 2000 als auch in der Ein-
leitungsverfügung aufgegriffen worden sei. Die erneute disziplinare Verfolgung sei
ermessenmissbräuchlich und willkürlich. Aus demselben Grunde liege auch kein
Fall des § 36 Abs. 2 WDO vor, da sich keine neuen Tatsachen oder Beweismittel
ergeben hätten. In der direkten Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens
liege ein Verstoß gegen § 33 Abs. 2 Satz 1 WDO. Es sei von Anfang an klar ge-
wesen, dass ein gerichtliches Disziplinarverfahren bei dem leicht fahrlässigen
Pflichtenverstoß „objektiv übersetzt“ gewesen sei.
Da das angefochtene Urteil ein Dienstvergehen festgestellt habe, in der letztgülti-
gen Fassung der Absehensverfügung die Feststellung eines Dienstvergehens je-
doch aufgehoben worden sei, stelle das Urteil eine Verschärfung der ursprüngli-
chen Entscheidung und somit einen Verstoß gegen § 42 Nr. 4 WDO dar. Ferner
liege ein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 und 2 WDO und § 2 WBO vor, da so-
wohl der Disziplinarvorgesetzte als auch die Einleitungsbehörde von einer diszipli-
naren Reaktion ursprünglich abgesehen hätten und der Inspekteur der Streitkräf-
tebasis nur durch die Beschwerde überhaupt Kenntnis von dem Vorfall erhalten
habe. Gegen § 96 Abs. 1 Satz 2 WDO sei deshalb verstoßen worden, weil die
... Kammer des Truppendienstgerichts … mit der Sache bereits vorher befasst
gewesen sei und darüber entschieden habe. Der die Ladung der Verfahrensbetei-
ligten und Zeugen vornehmende Präsident des Truppendienstgerichts …, Dr. L.,
sei von der Ausübung seines Richteramtes in diesem Verfahren gemäß § 77
Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c WDO ausgeschlossen gewesen, da er bereits zuvor in dem
dieselbe Sache betreffenden Verfahren der …. Kammer des Truppendienstge-
richts … (Az.: … GL …/00), in dem über die Beschwerde gegen die Feststellung
eines Dienstvergehens in der Absehensverfügung entschieden worden sei, tätig
- 14 -
geworden sei und dort einen Beschluss gefasst habe. Der Vorsitzende der Trup-
pendienstkammer habe auf seine, des früheren Soldaten, im Vorfeld des Verfah-
rens getätigten Beweisanträge keinerlei Verfügung erlassen und damit gegen § 91
Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 219 Abs. 1 Satz 2 StPO verstoßen. Da ein entspre-
chender Hinweis in der Hauptverhandlung unterblieben sei, sei auch § 244 Abs. 2
StPO verletzt worden. Auch § 222 Abs. 1 Satz 1 StPO sei nicht beachtet worden.
Denn in der Ladungsmitteilung seien die Zeugen nicht mit Vor- und Zunamen so-
wie mit ihrem Wohn- oder Dienstort bezeichnet worden. § 260 Abs. 5 Satz 1 StPO
sei verletzt worden, da das angefochtene Urteil keine Liste der angewendeten
Vorschriften enthalte. Ein Verstoß gegen § 261 StPO ergebe sich daraus, dass die
Urteilsgründe in mehreren Punkten nicht auf dem Prinzip der Mündlichkeit des
Verfahrens beruhten. Die Feststellungen im angefochtenen Urteil stünden auch
den Feststellungen in der unanfechtbaren Absehensverfügung entgegen.
III
1. Die Berufung des früheren Soldaten ist zulässig. Sie ist statthaft, ihre Förmlich-
keiten sind gewahrt (§ 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 WDO).
2. Das Rechtsmittel ist ausdrücklich und nach dem wesentlichen Inhalt seiner Be-
gründung in vollem Umfang eingelegt worden. Der Senat hat daher im Rahmen
der Anschuldigung (§ 123 Satz 3 i.V.m. § 107 Abs. 1 WDO) eigene Tat- und
Schuldfeststellungen zu treffen, diese rechtlich zu würdigen und die sich daraus
ergebenden Folgerungen zu ziehen, sowie unter Beachtung des Verschlechte-
rungsverbots (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 Abs. 1 StPO) über die ange-
messene Disziplinarmaßnahme zu befinden.
3. Verfahrenshindernisse, die den Senat an einer Sachentscheidung hindern wür-
den, liegen nicht vor.
a) Das gerichtliche Disziplinarverfahren ist wirksam eingeleitet worden. Nach der
WDO a.F. wurde ein disziplinargerichtliches Verfahren gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1
WDO a.F. - ebenso wie der Sache nach seit dem 1. Januar 2002 gemäß § 93
- 15 -
Abs. 1 Satz 1 WDO das gerichtliche Disziplinarverfahren - durch schriftliche Ver-
fügung der Einleitungsbehörde eingeleitet. Die Einleitung wurde mit der Zustellung
an den Soldaten gemäß § 86 Abs. 1 Satz 2 WDO a.F. wirksam. Diese Zustellung
der Einleitungsverfügung des AChefs PersABw vom 16. Oktober 2000 erfolgte am
23. Oktober 2000 an ihn persönlich. Dies wird auch vom früheren Soldaten nicht
bestritten.
Soweit er geltend macht, die Einleitungsverfügung sei unwirksam, weil er unmittel-
bar vor Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens nicht mehr angehört
worden sei, folgt der Senat dem nicht.
Nach der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Regelung des § 86 Abs. 1 WDO
a.F. war - anders als jetzt in § 93 Abs. 1 Satz 2 WDO - eine unmittelbar vor Erge-
hen der Einleitungsverfügung durch die Einleitungsbehörde vorzunehmende Anhö-
rung des Soldaten nicht zwingend vorgeschrieben. Zwar galt schon damals, dass
gegen einen Soldaten keine Disziplinarmaßnahme verhängt werden darf, bevor er
nicht Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Rechtfertigung hatte (vgl. § 28
Abs. 4 und 5 WDO a.F.). Außerdem hatte er nach § 83 Abs. 1 Satz 1 WDO a.F.
jederzeit Anspruch auf Akteneinsicht, soweit dies ohne Gefährdung des Ermitt-
lungszweckes möglich war. Nach Abschluss der Ermittlungen des Wehrdiszipli-
naranwalts war zudem dem Soldaten das wesentliche Ergebnis bekannt zu geben;
ferner war er abschließend zu hören (§ 90 Abs. 3 Satz 1 WDO a.F.).
Dem früheren Soldaten wurde im vorliegenden Fall vor Ergehen der Einleitungs-
verfügung in der von der damals geltenden gesetzlichen Regelung vorgesehenen
Weise hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Davon hat er auch
umfangreich Gebrauch gemacht. Dies wird unter anderem mit seinem an die Ge-
birgsjägerbrigade … in R. gerichteten Schreiben vom 4. August 1999, mit seinem
an den Wehrdisziplinaranwalt gerichteten Schreiben vom 11. Januar 2000 sowie
während seines am 4. Februar 2000 mit dem Wehrdisziplinaranwalt geführten und
in einem Aktenvermerk vom selben Tage dem wesentlichen Inhalt nach festgehal-
tenen Telefonats und schließlich auch mit seinem weiteren an den Wehrdiszipli-
naranwalt gerichteten Schreiben vom 11. April 2000 deutlich. Ferner nahm er mit
seinem an den Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr und Inspek-
- 16 -
teur der Zentralen Militärischen Dienststellen gerichteten Beschwerdeschreiben
vom 25. August 2000, mit dem er sich gegen die Absehensverfügung des AChefs
PersABw vom 26. Juni 2000 wandte, die Gelegenheit wahr, ausführlich zu dem
gegen ihn erhobenen Vorwurf eines Dienstvergehens und zum Sach- und Streit-
stand Stellung zu nehmen. Die Einleitungsbehörde, der AChef PersABw, setzte
ihn auch mit Schreiben vom 19. Oktober 2000 vom Inhalt der geplanten Einlei-
tungsverfügung in Kenntnis und wies ihn darauf hin, dass er, der frühere Soldat,
vor Einreichung der Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht durch den
Wehrdisziplinaranwalt „Gelegenheit zum rechtlichen Gehör“ nach § 90 Abs. 3
WDO a.F. erhalten werde. Auch von dieser Möglichkeit machte der Soldat im wei-
teren Verlauf Gebrauch. So beantragte er nach am 11. Dezember 2000 erfolgter
Einsicht in die Ermittlungsakte unter dem 22. Dezember 2000 bei der Einleitungs-
behörde, das Verfahren wegen bestehender Verfahrenshindernisse einzustellen
und begründete dies ausführlich. Nachdem er am 9. Februar 2001 wiederum auf
seinen Antrag hin Akteneinsicht erhalten hatte, stellte er unter dem 1. März 2001
erneut den Antrag, das gerichtliche Disziplinarverfahren einzustellen. Auf das
Schreiben des Wehrdisziplinaranwalts vom 18. Juni 2001, in dem ihm dieser das
wesentliche Ergebnis der durchgeführten Ermittlungen mitteilte sowie ihm Gele-
genheit zur abschließenden Äußerung nach § 90 Abs. 3 WDO a.F. gab, nahm der
frühere Soldat mit Schreiben vom 27. Juni 2001 zum Sach- und Streitstand ab-
schließend Stellung und bezog sich dabei im Wesentlichen auf seine Anträge auf
Verfahrenseinstellung in den Schreiben vom 22. Dezember 2000 und 1. März
2001. Damit ist dem früheren Soldaten im Sinne des Gesetzes hinreichend Gele-
genheit zur Stellungnahme gegeben worden. Anhaltspunkte dafür, dass das Vor-
bringen des Soldaten nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezo-
gen wurde, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich.
Auf die Vorschrift des § 93 Abs. 1 Satz 2 WDO konnte sich der frühere Soldat
(noch) nicht berufen, da diese erst mit Wirkung ab 1. Januar 2002 in Kraft trat.
Mangels anderweitiger Übergangsregelung vermag die Regelung des § 93 Abs. 1
Satz 2 WDO rechtliche Wirkungen erst ab ihrem In-Kraft-Treten zu entfalten. Die
als Art. 1 des Zweiten Gesetzes zur Neuordnung des Wehrdisziplinarrechts und
zur Änderung anderer Vorschriften (2. WehrDiszNOG) vom 16. August 2001
(BGBl I S. 2093) erfolgte und am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Neufassung
- 17 -
der WDO enthält - ebenso wie das 2. WehrDiszNOG im übrigen - keine rückwir-
kenden Regelungen für bereits durchgeführte vorgerichtliche Verfahren. Am 1. Ja-
nuar 2002 war die Einleitungsverfügung bereits ergangen und dem Soldaten wirk-
sam zugestellt worden; auch die Anschuldigungsschrift vom 2. Juli 2001 war beim
Truppendienstgericht … eingegangen und dem Soldaten am 11. Juli 2001 wirk-
sam zugestellt worden. Lediglich das gerichtliche Disziplinarverfahren war zum
Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Neufassung der WDO noch nicht abgeschlos-
sen, sodass es nach Maßgabe der neuen Vorschriften fortzusetzen und einer Ent-
scheidung zuzuführen war. Die von dem früheren Soldaten für seine gegenteilige
Ansicht angeführten Entscheidungen stützen diese nicht. Im Gegenteil wird dort
festgestellt, dass Änderungen des Verfahrensrechts sich nur für die Zukunft aus-
wirken können, nach altem Recht aber wirksam vorgenommene Verfahrenshand-
lungen wirksam bleiben (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Februar 1969 - 4 StR
357/68 - ; Beschluss vom 20. Februar 1976 - 2 StR
601/75 - ; OLG Hamm, Beschluss vom 13. Januar 1975
- 3 Ws 335/74 - ; BVerfG, Beschluss vom 11. März 1975 - 2 BvR
135, 136, 137, 138, 139/75 - ).
Der von dem früheren Soldaten für den Fall, dass der erkennende Senat von der
von ihm angeführten „Rechtsprechung der Strafsenate des Bundesgerichtshofes
abweicht“, gestellte Antrag, die Rechtsfrage dem Gemeinsamen Senat der Obers-
ten Gerichtshöfe des Bundes zur Entscheidung vorzulegen, erübrigt sich daher.
Denn eine Abweichung von der angeführten Rechtsprechung ist nicht ersichtlich.
b) Soweit der frühere Soldat eine „überlange Verfahrensdauer“ rügt, die auf eine
„nachhaltige temporäre Untätigkeit des Wehrdisziplinaranwalts im Vorermittlungs-
verfahren, die Nachvernehmungen … im Ermittlungsverfahren“ sowie auf Verzö-
gerungen im erstinstanzlichen Verfahren vor der Truppendienstkammer und die
„nicht unverzügliche Berufungsvorlage des Wehrdisziplinaranwalts an den Bun-
deswehrdisziplinaranwalt zurückzuführen“ sei, und soweit er daraus die Schluss-
folgerung zieht, das gerichtliche Disziplinarverfahren sei gemäß § 123 Satz 3
i.V.m. § 108 Abs. 4 WDO durch Beschluss einzustellen, folgt dem der Senat nicht.
Dabei kann offen bleiben, ob Art. 6 EMRK im Wehrdisziplinarrecht überhaupt an-
wendbar ist. Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK hat jedermann Anspruch darauf,
- 18 -
dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und „innerhalb einer angemessenen
Frist“ gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Ge-
setz beruhenden Gericht. Das in der Vorschrift normierte Gebot der Einhaltung
einer „angemessenen“ Frist gilt für alle der Vorschrift unterfallenden Verfahrensar-
ten. Ob dazu auch Verfahren des Disziplinarrechts gehören, ist umstritten (vernei-
nend: Urteil vom 9. Mai 1973 - BVerwG 1 D 8.73 -
1973, 287 = DÖD 1973, 204>; Beschluss vom 25. März 1982 - BVerwG 1 DB
2.82 - ; Urteil vom 19. September 1989 - BVerwG 1 D 69.88 -
1989, 315>; bejahend u.a.: Köhler/Ratz, BDO, 3. Aufl. 1994, und BDG, 3. Aufl.
2003, jeweils A.V. RNr. 128 sowie - im Falle der Verhängung der Höchstmaßnah-
me - Widmaier, ZBR 2002, 244 <254>). Der erkennende Senat hat die Frage der
Anwendbarkeit des Art. 6 EMRK auf Verfahren des Wehrdisziplinarrechts bislang
mangels Entscheidungserheblichkeit ausdrücklich offen gelassen, weil im seiner-
zeit zu entscheidenden Verfahren die überlange Verfahrensdauer bereits durch die
Strafgerichte bei der Festsetzung des Strafmaßes berücksichtig worden war (Urteil
vom 27. Februar 2002 - BVerwG 2 WD 18.01 -
= NZWehrr 2002, 211 = ZBR 2003, 98 = NVwZ 2003, 352>).
Vorliegend kann die Frage ebenfalls offen bleiben. Denn die Entscheidung im vor-
liegenden gerichtlichen Disziplinarverfahren ist jedenfalls binnen einer angemes-
senen Frist im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK erfolgt, sodass ein Verstoß gegen
Art. 6 Abs. 1 EMRK schon deshalb nicht vorliegen kann. Aus diesem Grund ist
auch ein Verfassungsverstoß nicht ersichtlich.
Feste Zeitgrenzen, deren Überschreitung automatisch eine Verletzung des Gebots
der Angemessenheit der Verfahrensdauer darstellt, lassen sich weder der bisheri-
gen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR)
noch der des Bundesverfassungsgerichts entnehmen. Bei der Prüfung, ob die
Dauer eines Verfahrens im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK noch angemessen ist
oder nicht, stellt der EGMR in erster Linie auf den Umfang und die Schwierigkeit
des Falles, dessen Behandlung durch die mit ihm befassten Behörden und Gerich-
te, das Verhalten des Beschwerdeführers sowie die Bedeutung des Ausgangs des
Verfahrens für den Betroffenen ab (vgl. dazu die Einzelnachweise bei Fro-
wein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl., Art. 6
RNr. 144 ff.; EGMR, Beschlüsse vom 31. Mai 2001 - Nr.: 37591/97 -
- 19 -
2856 [f.] = NVwZ 2002, 1355>; vom 26. Oktober 2000 - Nr.: 30210/96 -
2001, 2694 [ff.]>; vom 18. Oktober 2001 - Nr.: 42505/98 - und
vom 6. Dezember 2001 - Nr.: 31178/96 - ; Meyer-
Ladewig, EMRK, 1. Aufl. 2003, Art. 6 RNr. 77 ff.).
Nach diesen Kriterien liegt hier keine überlange Verfahrensdauer vor. Zwischen
dem Ergehen des Bescheides des AChefs PersABw vom 26. Juni 2000
(„Absehensverfügung“) und der aufgrund des Schreibens des Inspekteurs der
Streitkräftebasis vom 5. Oktober 2000 erfolgten Einleitungsverfügung vom
16. Oktober 2000 lagen knapp vier Monate. Darin kann keine unangemessene
Verzögerung bei der erforderlichen Sachprüfung gesehen werden, zumal der frü-
here Soldat zudem gegen die Absehensverfügung vom 26. Juni 2000 eine gericht-
liche Entscheidung durch das Truppendienstgericht … beantragt hatte, die von
diesem mit Beschluss vom 22. August 2000 als unzulässig zurückgewiesen wur-
de. Bereits diese Verfahrensgestaltung war mit einem nicht unerheblichen zusätz-
lichen Zeitaufwand verbunden. Unmittelbar im Anschluss daran reichte der frühere
Soldat beim Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr und Inspekteur
der Zentralen Militärischen Dienststellen unter dem 25. August 2000 außerdem
noch eine Beschwerde ein, zu der der AChef PersABw unter dem 18. September
2000 Stellung nahm und über die der Inspekteur der Streitkräftebasis dann am
5. Oktober 2000 durch die Anordnung entschied, gegen den früheren Soldaten ein
disziplinargerichtliches Verfahren einzuleiten. Auch insoweit ist eine verzögerliche
Behandlung nicht ersichtlich.
Der Zeitraum zwischen der am 23. Oktober 2000 erfolgten Zustellung der Einlei-
tungsverfügung des AChef PersABw vom 16. Oktober 2000 und der Zustellung
der Anschuldigungsschrift vom 2. Juli 2001 an den früheren Soldaten am 11. Juli
2001 lässt ebenfalls eine unangemessene behördliche Verfahrensverzögerung
nicht erkennen. Die Verfahrensdauer von etwa achteinhalb Monaten war zu einem
nicht unerheblichen Teil nicht zuletzt gerade auch darauf zurückzuführen, dass der
frühere Soldat wiederholt Anträge auf Einstellung des Verfahrens stellte, die einen
zusätzlichen Prüfaufwand erforderten. Zudem beantragte er wiederholt Aktenein-
sicht und reichte umfangreiche Schriftsätze ein, die eine sorgfältige behördliche
Prüfung notwendig machten, was naturgemäß mit einem entsprechenden Zeitauf-
wand verbunden war.
- 20 -
Auch die Dauer zwischen der am 11. Juli 2001 erfolgten Zustellung der Anschuldi-
gungsschrift und der Hauptverhandlung vor dem Truppendienstgericht am
17. Dezember 2002 war nicht unangemessen lang; jedenfalls ist keine
verzögerliche Sachbehandlung erkennbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es
der frühere Soldat selbst gewesen ist, der nach der mit Verfügung vom
7. September 2001 auf den 30. Oktober 2001 erfolgten Terminierung der Haupt-
verhandlung vor dem Truppendienstgericht beantragt hat, den Termin aufzuheben
und das Verfahren einstweilen bis Ende März 2002 auszusetzen. Eine weitere
Verzögerung ist dadurch eingetreten, dass der Verteidiger des früheren Soldaten
mit Schreiben vom 8. März 2002 begehrt hat, während seines Urlaubs, der am
10. Juni 2002 endete, keinen Hauptverhandlungstermin anzuberaumen. Zudem
hat sich der Vorsitzende der ... Kammer des Truppendienstgerichts … wiederholt
bemüht, die Zustimmung der Beteiligten zu einer gerichtlichen Entscheidung durch
Disziplinargerichtsbescheid zu erreichen. Da sich die Verfahrensbeteiligten dazu
unterschiedlich äußerten, ist mit Verfügung vom 10. Juni 2002 sodann der Termin
zur Hauptverhandlung auf den 6. August 2002 anberaumt worden, der jedoch auf
Antrag des Verteidigers des früheren Soldaten erneut hat aufgehoben und auf den
24. September 2002 neu festgesetzt werden müssen. Auch diesen Termin hat der
Vorsitzende der Truppendienstkammer wegen Erkrankung eines Zeugen mit Ver-
fügung vom 6. September 2002 aufheben müssen, sodass die Truppendienst-
kammer schließlich erst am 17. Dezember 2002 die Hauptverhandlung hat durch-
führen können. Es fehlt an jedem Anhaltspunkt dafür, dass der Vorsitzende der
Truppendienstkammer oder diese selbst das Verfahren unangemessen
verzögerlich behandelt hätte.
Eine unangemessene Verzögerung des Verfahrens kann auch für die Folgezeit
nicht festgestellt werden. Nachdem der frühere Soldat gegen das ihm am
7. Januar 2003 zugestellte Urteil am 10. Januar 2003 Berufung eingelegt und nach
erneuter Akteneinsicht durch einen siebenseitigen Schriftsatz seines Verteidigers
und einen weiteren eigenen Schriftsatz, der 53 Seiten umfasst, begründet hatte,
sind die Gerichtsakten nebst der Berufungserwiderung des Bundeswehrdiszipli-
naranwalts vom 29. Juli 2003 am selben Tage dem Senat vorgelegt worden. Eine
verzögerliche unangemessen lange Dauer der Bearbeitung des Verfahrens durch
den Wehrdisziplinaranwalt und den Bundeswehrdisziplinaranwalt ist nicht ersicht-
lich. Denn es liegt auf der Hand, dass die detaillierten insgesamt ca. 60 Seiten um-
- 21 -
fassenden Berufungsbegründungen, die eine Vielzahl von Unterpunkten behandel-
ten, einen umfangreichen Prüfungsaufwand erforderlich machten. Ein Bearbei-
tungszeitraum von ca. fünfeinhalb Monaten ist angesichts dessen unter Berück-
sichtigung der bei den Beteiligten vorhandenen sonstigen Arbeitsbelastung sowie
von möglichen Krankheits- und Urlaubszeiten rechtlich vertretbar.
Auch die Dauer des Berufungsverfahrens lässt eine verzögerliche Sachbehand-
lung nach der Überzeugung des Senats nicht erkennen. Zwischen dem 15. August
2003 und dem 2. Oktober 2003 haben wesentliche Teile der Verfahrensakten dem
Senat nicht zur Verfügung gestanden, da diese über den Bundeswehrdisziplinar-
anwalt an den Wehrdisziplinaranwalt zur Vervollständigung und Herbeiführung
einer chronologischen Ordnung zunächst haben zurückgesandt werden müssen.
Nach erfolgter Prüfung der Vollständigkeit ist ausweislich der Verfügung vom
27. Oktober 2003 senatsintern mit der Erarbeitung eines Votums begonnen wor-
den, dessen Entwurf am 5. Januar 2004 durch den Wissenschaftlichen Mitarbeiter
des Senats vorgelegt worden ist. Unmittelbar darauf ist unter dem 14. Januar 2004
Termin zur Berufungshauptverhandlung auf den 19. Februar 2004 anberaumt
worden. Auch der frühere Soldat hat letztlich nicht dargetan, dass das Berufungs-
verfahren eine unangemessen lange Verfahrensdauer aufweist.
Angesichts dessen ist auch nicht erkennbar, dass eine mit dem Rechtsstaatsgebot
des Grundgesetzes nicht im Einklang stehende Verfahrensverzögerung (vgl. dazu
BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 1980 - 2 BvR 419/80 -
[369] zur Dauer eines verwaltungsgerichtlichen Revisionsverfahrens, vom
24. November 1983 - 2 BvR 121/83 - zu einer von den Strafver-
folgungsorganen zu verantwortenden erheblichen Verzögerung eines Strafverfah-
rens und Beschluss der 3. Kammer des 2. Senats vom 25. Juli 2003 - 2 BvR
153/03 - zur nicht genügenden Berück-
sichtigung der überlangen Dauer eines Strafverfahrens beim Rechtsfolgenaus-
spruch) vorliegt.
Da mithin hier eine unangemessen lange Verfahrensdauer, die auf eine schuldhaft
verzögerliche Behandlung der Verfahrensbearbeitung durch die Ermittlungsbehör-
den oder durch die beteiligten Gerichte zurückzuführen ist, nicht ersichtlich ist,
bedarf es auch keiner näheren Prüfung und Entscheidung der Frage, ob eine
rechtsstaatswidrig oder gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK verstoßende überlange
- 22 -
Verfahrensdauer ein Verfahrenshindernis darstellt, das zur Einstellung des Verfah-
rens führt, oder ob sie „lediglich“ bei dem Rechtsfolgenausspruch und ggf. der
Maßnahmebemessung berücksichtigt werden muss.
c) Soweit der frühere Soldat geltend macht, das vorliegende Verfahren sei gemäß
§ 123 Satz 3, § 108 Abs. 4 WDO wegen Verstoßes gegen das Verbot der mehrfa-
chen disziplinaren Ahndung (§ 18 Abs. 1 Satz 1 WDO) oder der „Doppelbestra-
fung“ (Art. 103 Abs. 3 GG und Art. 4 Abs. 2 des Zusatzprotokolls Nr. 7 zur EMRK)
oder wegen eines drohenden Verstoßes gegen das "Verbot einer reformatio in
peius“ einzustellen, trifft dies nicht zu.
Die Absehensverfügung des AChefs PersABw vom 26. Juni 2000 erlangte weder
formelle noch materielle Rechtskraft, sodass wegen desselben Sachverhalts ein
neues gerichtliches Disziplinarverfahren zulässig blieb (vgl. dazu u.a. Dau, WDO,
3. Aufl. 1998, § 10 RNr. 3 und 4. Aufl. 2003, § 18 RNr. 3 m.w.N.). Dies gilt zumin-
dest dann, wenn die Einleitungsbehörde - wie hier - aufgrund einer Ermessensent-
scheidung von der Einleitung eines förmlichen gerichtlichen Disziplinarverfahrens
Abstand genommen hatte (vgl. Urteil vom 25. Juni 1969 - BVerwG II WD 71.68 -
). In einer solchen Absehensverfügung ist weder ein Verzicht
auf eine künftige Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens zu sehen
noch wurde dadurch die entsprechende Befugnis der Einleitungsbehörde verwirkt
(stRspr.: vgl. u.a. Urteil vom 25. Juni 1969 - BVerwG 2 WD 71.68 -
sowie Beschluss vom 6. Juli 1984 - BVerwG 1 DB 21.84 - ).
Einen Verzicht könnte rechtswirksam allenfalls der Bundesminister der Verteidi-
gung selbst aussprechen (vgl. Urteil vom 26. Februar 1988 - BVerwG 2 WD
37.87 - m.w.N.;
Beschlüsse vom 27. November 1969 - BVerwG II WD 64.69 -
35 [f.]> und vom 16. September 1996 - BVerwG 2 WD 30.96 -
386>). Die Voraussetzungen für eine Verwirkung liegen nicht vor, weil durch die
Absehensverfügung jedenfalls kein Rechtsschein erzeugt und kein Vertrauenstat-
bestand des Inhalts geschaffen worden war, dass künftig eine anderweitige Ent-
scheidung der Einleitungsbehörde rechtswirksam ausgeschlossen sei.
Bei der Entscheidung der höheren Einleitungsbehörde, den AChef PersABw als
Einleitungsbehörde anzuweisen, gegen den früheren Soldaten ein gerichtliches
- 23 -
Disziplinarverfahren einzuleiten, handelte es sich um einen behördeninternen Vor-
gang ohne eigene Außenwirkung (vgl. Beschluss vom 16. September 1996
- BVerwG 2 WD 30.96 - ). Ob dann eine gerichtliche Disziplinar-
maßnahme aufgrund eines festgestellten Dienstvergehens zur verhängen war,
wurde nicht durch die Weisung der höheren Einleitungsbehörde entschieden, son-
dern blieb der Entscheidung der Wehrdienstgerichte vorbehalten.
Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats könnte die auf Weisung des
höheren Disziplinarvorgesetzten erfolgte nachträgliche Einleitung des gerichtlichen
Disziplinarverfahrens durch die Einleitungsbehörde allenfalls dann unwirksam sein
oder ein Verfahrenshindernis darstellen, wenn die Neuentscheidung ermessens-
missbräuchlich, also willkürlich wäre (Urteile vom 25. Juni 1969 - BVerwG 2 WD
71.68 - und vom 16. September 1996 - BVerwG 2 WD 30.96 -
[388]>). Ermessensmissbräuchlich oder willkürlich handelt eine Einleitungsbehör-
de dann, wenn sie keinerlei Überlegungen anstellt, die geeignet oder als geeignet
anzusehen sind, die getroffene Entscheidung rechtlich zu stützen. Dies ist etwa
dann der Fall, wenn andere als disziplinare Zwecke verfolgt werden oder wenn
Verstöße gegen die Unparteilichkeit vorliegen (so Dau, a.a.O., 3. Aufl. 1998, § 7
RNr. 13 und 4. Aufl. 2002, § 15 RNr. 13 m.w.N.). So liegt es hier jedoch nicht.
Zwar wollte die Einleitungsbehörde in Gestalt des AChefs PersABw ursprünglich
„nach Würdigung der konkreten Tatumstände“, des „persönlichen Werdegangs“
und des „bisher gezeigten Engagements (des früheren Soldaten) als Reserveoffi-
zier“ von der Einleitung eines disziplinargerichtlichen Verfahrens absehen. Der
Inspekteur der Streitkräftebasis setzte jedoch als übergeordnete Einleitungsbe-
hörde befugtermaßen sein Ermessen an die Stelle desjenigen der Einleitungsbe-
hörde. Die Auffassung des früheren Soldaten, ein erneutes Verfahren dürfe nur
dann eingeleitet werden, wenn erhebliche neue Tatsachen bekannt geworden sei-
en, findet im Disziplinarrecht keine Grundlage. Diese Einschränkung galt zwar im
Falle des § 32 Abs. 2 WDO a.F. für einen Disziplinarvorgesetzten, der zunächst
entschieden hatte, dass eine Ahndung nicht in Betracht kommt, und der danach
die Tat erneut verfolgen wollte. Die Vorschrift bezog sich jedoch nur auf die Ver-
hängung einfacher Disziplinarmaßnahmen durch den zuständigen Disziplinarvor-
gesetzten. Sie galt aber nicht für die erneute Einleitung des Verfahrens durch die
Einleitungsbehörde. Denn für die Verhängung gerichtlicher Disziplinarmaßnahmen
verwies § 54 Abs. 5 WDO a.F. lediglich auf die §§ 34, 35 WDO a.F.; für die Einlei-
- 24 -
tungsbehörde gab es keine dem § 32 Abs. 2 WDO a.F. entsprechende Bestim-
mung. Für das Verhältnis zwischen Disziplinarvorgesetztem und Einleitungsbe-
hörde war § 32 Abs. 2 WDO a.F. gemäß § 89 Abs. 1 Satz 1 WDO a.F. ausge-
schlossen (vgl. Beschluss vom 16. September 1996 - BVerwG 2 WD 30.96 -
). Die Wehrdisziplinarordnung in der hier maßgeblichen
Fassung vor dem 1. Januar 2002 enthielt auch keine Bestimmung, wonach die
zuständige Einleitungsbehörde nicht durch eine übergeordnete Einleitungsbehörde
angewiesen werden durfte, bei der vorliegenden Fallkonstellation ein disziplinarge-
richtliches Verfahren einzuleiten. Insoweit galt der allgemeine Grundsatz, dass
jede Behörde der ihr nachgeordneten Behörde im Rahmen ihrer Zuständigkeiten
und des geltenden Rechts Weisungen erteilen kann und darf (stRspr.: vgl. u.a.
Urteil vom 26. April 1973 - BVerwG 2 WD 26.72 -; Beschlüsse vom 25. November
1986 - BVerwG 1 WB 151.86 -
und vom 16. September 1996 - BVerwG 2 WD 30.96 - ). Die
Wehrdisziplinarordnung erwähnte zwar den Begriff der „höheren Einleitungsbe-
hörde“ nicht ausdrücklich. Die Vorschrift des § 87 WDO a.F. ging aber erkennbar
von der militärischen Hierarchie aus. Darüber hinaus konnte die Vorschrift des
§ 31 Abs. 1 WDO a.F., wonach der zuständige Disziplinarvorgesetzte alleinver-
antwortlich entscheidet und ihm nicht befohlen werden kann, ob und wie er ahn-
den soll, mangels feststellbarer Regelungslücken auf Einleitungsbehörden auch
nicht analog angewandt werden (stRspr.: vgl. u.a. Beschlüsse vom 26. April 1973
- BVerwG 2 WD 26.72 - und vom 16. September 1996 - BVerwG 2 WD 30.96 -
). Der Inspekteur der Streitkräftebasis ging bei der gebotenen Prü-
fung der damals vorliegenden Ermittlungsergebnisse zudem von einem hinrei-
chenden Verdacht eines Dienstvergehens aus, das hinsichtlich der Eigenart und
Schwere die Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens aus seiner Sicht
notwendig machte. Diese Entscheidung des Inspekteurs der Streitkräftebasis war
bei der gebotenen Ex-ante-Betrachtung weder willkürlich noch ermessensmiss-
bräuchlich oder unverhältnismäßig. Denn seine Weisung war nicht darauf gerich-
tet, über das „Ob“ und „Wie“ einer disziplinaren Ahndung verbindlich zu entschei-
den, sondern lediglich auf die Herbeiführung der gerichtlichen Klärung eines be-
gründeten Verdachts eines Dienstvergehens. Auf der Grundlage der damaligen
Ermittlungsergebnisse konnte jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass der
frühere Soldat im Tatzeitraum Bundeswehrpersonal zu privaten Zwecken einge-
- 25 -
setzt und rechtswidrige Befehle gegeben hatte. Pflichtverletzungen dieser Art
konnten (und können) empfindliche disziplinargerichtliche Reaktionen nach sich
ziehen (vgl. dazu die Nachweise bei Dau, a.a.O., 3. Aufl. 1998, § 34 RNr. 48
und 4. Aufl. 2002, § 38 RNr. 48 ). Die Auffassung des frü-
heren Soldaten, die beiden angeschuldigten Sachverhalte hätten unter keinen
Umständen eine Dienstgradherabsetzung rechtfertigen können und sowohl der
Einleitungsbehörde als auch der höheren Einleitungsbehörde hätte dies offensicht-
lich sein müssen, geht fehl. Denn sie beruht auf einer Ex-post-Betrachtung.
d) Das Verfahren war auch nicht gemäß § 123 Satz 3 i.V.m. § 108 Abs. 4 WDO
wegen eines sonstigen Verfahrenshindernisses einzustellen.
Gegenteiliges folgt nicht daraus, dass die Vertrauensperson vor Ergehen der Ein-
leitungsverfügung nicht angehört wurde. Zwar ist in der seit dem 1. Januar 2002
geltenden Neufassung der WDO in § 4 WDO nunmehr geregelt, dass „bei Ent-
scheidungen nach diesem Gesetz“, also auch bei gerichtlichen Disziplinarverfah-
ren gegen frühere Soldaten, für die Beteiligung der Vertrauensperson die Vor-
schriften der §§ 27 und 28 SBG gelten und dass das Ergebnis der Anhörung der
Vertrauensperson dem Soldaten vor dessen Anhörung nach § 93 Abs. 1 Satz 2
WDO bekannt zu geben ist. Diese Neuregelung erfasst jedoch nicht (mehr) die vor
ihrem In-Kraft-Treten wirksam ergangenen vorgerichtlichen Entscheidungen. Am
1. Januar 2002 waren hier - wie in anderem Zusammenhang bereits dargelegt -
die Verfügung zur Einleitung des disziplinargerichtlichen Verfahrens gegen den
früheren Soldaten bereits ergangen und die Anschuldigungsschrift wirksam zuge-
stellt worden.
Vor dem 1. Januar 2002 war in § 27 Abs. 2 SBG geregelt, dass die Vertrauens-
person zur Person des Soldaten und zum Sachverhalt anzuhören war, wenn die
Einleitungsbehörde beabsichtigte, „gegen einen Soldaten“ ein disziplinargerichtli-
ches Verfahren einzuleiten, sofern der Soldat nicht widersprach. Bei disziplinarge-
richtlichen Verfahren gegen einen früheren Soldaten entfiel damit die Beteiligung
der Vertrauensperson (vgl. Dau, a.a.O., 3. Aufl. 1998, § 86 RNr. 14 b). Dies ergab
sich unmittelbar aus dem Wortlaut der Regelung („gegen einen Soldaten“), die
gerichtliche Disziplinarverfahren gegen einen früheren Soldaten nicht einschloss.
Angesichts des klaren Wortlauts war auch weder für eine verfassungskonforme
- 26 -
Auslegung der Vorschrift noch für eine analoge Anwendung des § 27 Abs. 2 SBG
auf frühere Soldaten Raum. Eine verfassungskonforme Auslegung kommt ohnehin
nur in Betracht, wenn der Wortlaut mehrere Auslegungsmöglichkeiten eröffnet,
was hier aber nicht der Fall war. Für eine analoge Anwendung fehlte es an einer
gesetzlichen Regelungslücke, also an einer planwidrigen Unvollständigkeit der
gesetzlichen Regelung, ohne dass dagegen durchgreifende verfahrensrechtliche
Bedenken bestehen. Das Gesetz nahm sogar bei aktiven Soldaten hin, dass ein
gerichtliches Disziplinarverfahren ohne Anhörung einer Vertrauensperson eingelei-
tet werden durfte, wenn keine Vertrauensperson gewählt worden war oder wenn
der Soldat einem Bereich angehörte, in dem eine Vertrauensperson nicht gewählt
wurde (vgl. Wolf, SBG, § 27 RNr. 3). Abgesehen davon sind im vorliegenden Fall
am 10. Dezember 2002 die Vertrauensperson der Offiziere der Gebirgsjägerbriga-
de …, Hauptmann K., und am 17. Dezember 2002 Hauptmann A., die seit 1999
amtierende Vertrauensperson der Offiziere des gemischten Lazarettregiments …,
also des Stammtruppenteils des früheren Soldaten, angehört worden. Diese Anhö-
rungen erfolgten zwar erst durch das Truppendienstgericht, also nach Ergehen der
Einleitungsverfügung und nach der Zustellung der Anschuldigungsschrift. Nach
der gefestigten Rechtssprechung des Senats zur damaligen Rechtslage stellte die
unterbliebene Anhörung der Vertrauensperson aber selbst bei aktiven Soldaten
keinen schweren Verfahrensmangel dar, da der Mangel durch Anhörung der Ver-
trauensperson durch das Truppendienstgericht geheilt werden konnte (vgl. u.a.
Beschluss vom 8. Januar 1992 - BVerwG 2 WDB 17.91 -
NZWehrr 1992, 74 [76] = ZBR 1992, 179>; Dau, a.a.O., 3. Aufl. 1998, § 86
RNr. 14 f.).
Soweit der frühere Soldat geltend macht, ihm sei nicht Gelegenheit gegeben wor-
den, zum wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen in hinreichendem Maße Stellung
zu nehmen, so trifft dies nicht zu. Denn der Wehrdisziplinaranwalt teilte ihm mit
Schreiben vom 18. Juni 2001 mit, nach dem Ergebnis weiterer Ermittlungen im
Rahmen des disziplinargerichtlichen Verfahrens habe sich der in der Einleitungs-
verfügung vom 16. Oktober 2000 angeführte Sachverhalt bestätigt. Zur Unterrich-
tung des früheren Soldaten fügte er die Stellungnahmen der von diesem benann-
ten Zeugen M. und M. in Kopie bei. Gleichzeitig gab er ihm Gelegenheit, erneut
Akteneinsicht zu nehmen und sich zu den Vorwürfen zu äußern, wovon der frühe-
- 27 -
re Soldat mit Schreiben vom 27. Juni 2001 in Kenntnis der gegen ihn erhobenen
Vorwürfe und der Aussagen aller vernommenen Zeugen Gebrauch machte.
e) Soweit der frühere Soldat Mängel des erstinstanzlichen gerichtlichen Diszipli-
narverfahrens geltend macht, kommt eine Zurückverweisung gemäß § 121 Abs. 2
WDO ebenfalls nicht in Betracht. Denn der Senat würde jedenfalls im vorliegenden
Verfahren selbst bei Vorliegen von Verfahrensmängeln von dem ihm durch § 121
Abs. 2 WDO eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch machen, das Urteil des
Truppendienstgerichts allein deshalb aufzuheben und die Sache an eine andere
Kammer desselben Truppendienstgerichts zur nochmaligen Verhandlung und Ent-
scheidung zurückzuverweisen. Da der frühere Soldat gegen die Entscheidung des
Truppendienstgerichts Berufung im vollen Umfang eingelegt hat, ist die Sach- und
Rechtslage durch den Senat ohnehin in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in
vollem Umfang neu zu überprüfen; auf dieser Grundlage hat der Senat dann im
Hinblick auf die festzusetzende gerichtliche Disziplinarmaßnahme die notwendigen
Schlussfolgerungen zu ziehen. An die tatsächlichen Feststellungen und die rechtli-
che Würdigung der Truppendienstkammer ist der Senat nicht gebunden. Es würde
dem in § 17 Abs. 1 WDO normierten Grundsatz, Disziplinarsachen beschleunigt
zu behandeln, zuwider laufen, wollte der Senat im Falle einer Aufhebung der erst-
instanzlichen Entscheidung wegen schwerer Verfahrensmängel die Sache an das
Truppendienstgericht zurückverweisen, obwohl er selbst die notwendigen Prüfun-
gen und Entscheidungen im vorliegenden Verfahren zu treffen ohne weiteres in
der Lage ist. Angesichts dessen bedarf es keiner näheren Prüfung und Entschei-
dung, ob die vom früheren Soldaten geltend gemachten Mängel des Verfahrens
vor dem Truppendienstgericht im Einzelnen überhaupt vorliegen.
4. Die Berufung des früheren Soldaten hat keinen Erfolg.
Die Truppendienstkammer hat im angefochtenen Urteil zu Recht festgestellt, dass
der frühere Soldat ein Dienstvergehen begangen hat. Dabei kann hier dahinge-
stellt bleiben, wie das vom ersten Teil des Anschuldigungspunktes 1 erfasste Ver-
halten des früheren Soldaten, also sein von S. aus an den Zeugen E. gerichtetes
Ansinnen rechtlich zu bewerten ist, ihn mit dem Privat-Kfz aus S. abzuholen und
nach R. zu bringen. Denn jedenfalls sein (anschließendes) Verhalten gegenüber
dem Zeugen E. im StOSanZ R. stellt ein Dienstvergehen dar.
- 28 -
a) Der Senat hat aufgrund der Einlassung des früheren Soldaten, soweit ihr ge-
folgt werden kann, der gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1
StPO zum Gegenstand der Berufungshauptverhandlung gemachten Urkunden
und Schriftstücke sowie der Aussagen des in der Berufungshauptverhandlung
vernommenen Zeugen StUffz Mirco E. folgenden Sachverhalt festgestellt:
Der frühere Soldat leistete im Zeitraum vom 6. April bis 2. Juli 1999 in dem der
Gebirgsjägerbrigade 23 in R. unterstellen StOSanZ auf der Grundlage des Einbe-
rufungsbescheides des Kreiswehrersatzamtes F. vom 22. Februar 1999 eine Ein-
zelwehrübung. Auf Weisung des Leiters des StOSanZ R. nahm er Aufgaben in
den Führungsgrundgebieten 1 bis 4 wahr, weil sich der Dienstposteninhaber im
Auslandseinsatz befand. Für den Zeitraum der Wehrübung hatte sich der frühere
Soldat ein Privatquartier in S./Österreich genommen, weil er an der Universität S.
Prüfungen im österreichischen Recht ablegen wollte.
Vom 27. auf den 28. Juni 1999 war der Zeuge StUffz E. im StOSanZ R. dienstha-
bender Unteroffizier („Unteroffizier Sanitätsbereitschaft des Standortsanitätszent-
rums R.“ - UvD StOSanZ) -. Am 27. Juni 1999 gegen 20.12 Uhr - einem Sonntag -
ging dort per Fernschreiben ein Alarmspruch ein, der mit dem Stempelaufdruck
„Flash sofort vorlegen!“ versehen war. Da der Text des Alarmspruchs verschlüs-
selt war, der Zeuge E. jedoch keine Unterlagen zur Entschlüsselung zur Verfü-
gung hatte, erinnerte er sich an einen Zettel, der sich bei den UvD-Unterlagen
oder an einer Pinnwand befand, wobei ungeklärt geblieben ist, wer diesen Zettel
beschrieben und dort hinterlassen hatte. Auf dem Zettel befand sich der hand-
schriftliche Hinweis, wonach im Falle des Eingehens eines Alarmspruchs der frü-
here Soldat unter einer Telefonnummer in S. verständigt werden könne oder solle.
Entsprechend verfuhr der Zeuge E.. Der frühere Soldat ließ sich am Telefon den
Inhalt des Fernschreibens vorlesen, u.a. auch die Formulierung „Exercise Schnel-
ler Zug“. Da auch er mit den vom Zeugen E. vorgelesenen Buchstabenkombinati-
onen nichts anfangen und den Alarmspruch am Telefon nicht entschlüsseln konn-
te, entschied er, dass er ins StOSanZ nach R. fahren müsse, um den Alarmspruch
vor Ort zu dechiffrieren. Nachdem der Zeuge E. die Frage des früheren Soldaten,
ob ihm ein Dienstkraftfahrzeug zur Verfügung stehe, verneint hatte, beendete der
- 29 -
frühere Soldat zunächst das Telefongespräch und versprach dem Zeugen E., ihn
in Kürze zurückzurufen. Da er keine Fahrerlaubnis besaß, erkundigte er sich tele-
fonisch bei der österreichischen Bahn nach einer Zugverbindung von S. nach R.
an diesem Sonntagabend. Nach seinen Angaben wurde ihm dabei mitgeteilt, dass
kein Zug mehr fahre. Sodann rief er den Zeugen E. zurück und fragte diesen, ob
er einen Privat-Pkw zur Verfügung habe und ihn, den früheren Soldaten, in S. ab-
holen könne. Der Zeuge E. bejahte die erste Frage und machte im Übrigen gel-
tend, er habe UvD-Dienst und dürfe in Uniform nicht über die Grenze nach Öster-
reich fahren. Daraufhin erklärte ihm der frühere Soldat, dies sei kein Problem; er,
der Zeuge, könne einen Pullover überziehen oder seine Schulterklappen ablegen,
sodass er mit seinem Diensthemd nicht als Soldat der Bundeswehr erkennbar sei.
Der Zeuge E. verstand das an ihn vom früheren Soldaten gerichtete Ansinnen als
Weisung, der er sich angesichts des Dienstgrades des früheren Soldaten nicht
entziehen oder verweigern dürfe. Trotz seiner Bedenken entschloss er sich, dem
Ansinnen des früheren Soldaten nachzukommen und bat den Gefreiten vom
Dienst (GvD), ihn im UvD-Dienst zu vertreten und im Notfall über Mobiltelefon an-
zurufen. Er fuhr sodann mit seinem Privat-Pkw die ca. 40 km Fahrstrecke nach S.,
nahm dort den früheren Soldaten am verabredeten Treffpunkt auf und fuhr mit
diesem dann zurück ins StOSanZ nach R..
Dort dechiffrierte der frühere Soldat unter Rückgriff auf die vorhandenen Hilfsmittel
den Alarmspruch und stellte fest, dass es sich um einen Übungs-Alarmspruch
handelte und dass kein unmittelbarer Handlungsbedarf bestand. Sodann richtete
er an den Zeugen E. das Ansinnen, ihn nach S. zurückzufahren. Dabei gab er an,
an diesem Abend führen keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr nach S.. Er müs-
se jedoch noch nach S. zurück, da er dort am anderen Morgen einen wichtigen
Termin habe, den er nicht versäumen dürfe. Der Zeuge E. sah sich in einer für ihn
unangenehmen Situation. Einerseits verstand er das an ihn gerichtete Ansinnen
des früheren Soldaten angesichts dessen Dienstgrades als Weisung, der er sich
nicht entziehen dürfe. Andererseits hatte er „gemischte Gefühle“, weil er (erneut)
seinen Dienstposten als UvD verlassen sollte und nicht wusste, ob dies „so richtig“
war. Schließlich entschloss er sich, den früheren Soldaten mit seinem Privat-Pkw
nach S. zurückzufahren, wobei er die Hoffnung hatte, dass er letztlich „das Richti-
ge tue“. Der Gedanke, den Leiter des StOSanZ Dr. A., den amtierenden Kompa-
- 30 -
niefeldwebel oder seinen Disziplinarvorgesetzten, Hauptmann E., anzurufen, kam
ihm nicht. Da er keine Möglichkeit sah, sich dem Ansinnen des früheren Soldaten
zu verweigern, wollte er die Rückfahrt „so schnell wie möglich“ hinter sich bringen;
er fuhr den früheren Soldaten mit dem Privat-Kfz nach S. und begab sich sodann
wieder zurück ins StOSanZ in R..
Soweit sich der frühere Soldat dahingehend eingelassen hat, er habe den Zeugen
E. von S. aus und später auch in R. lediglich unverbindlich „gefragt“, ob dieser ihn
in S. abholen und später wieder nach S. zurückbringen könne, so kann dem der
Senat aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht folgen.
Der Zeuge E. hat nachvollziehbar und unmissverständlich in der Berufungshaupt-
verhandlung bekundet, der frühere Soldat habe ihn, den Zeugen, sowohl von S.
aus als auch später nach der erfolgten Dechiffrierung des Alarmspruches im
StOSanZ R. ausdrücklich um Abholung bzw. um Rücktransport mit dem Privat-
Pkw gebeten. Dieses Ansinnen des früheren Soldaten sei für ihn damals eindeutig
eine „Weisung“ gewesen. Denn der frühere Soldat sei für ihn, den Zeugen, auf-
grund des Dienstgrades als Kapitänleutnant Vorgesetzter gewesen, zumal dieser
im StOSanZ R. die Aufgaben eines Stabsoffiziers wahrgenommen habe. Der Zeu-
ge hat ferner unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er angesichts des
an ihn gerichteten Ansinnens des früheren Soldaten Bedenken im Hinblick auf
seinen UvD-Dienst hatte, und dass er ferner geltend gemacht habe, er dürfe doch
in Uniform als im Dienst befindlicher Soldat der Bundeswehr die Grenze nach Ös-
terreich nicht passieren. Er habe jedoch schließlich angesichts des Dienstranges
des früheren Soldaten für sich keine andere Möglichkeit gesehen, als dem Ansin-
nen zu entsprechen. Bei diesen Bekundungen ist der Zeuge E. auch auf wieder-
holtes Befragen durch den Senat geblieben und hat sie im Kern stets wiederholt.
Ungereimtheiten oder Widersprüche sind dabei nicht zu Tage getreten. Der Zeuge
hat sich auch nicht in Widerspruch zu früheren Aussagen gesetzt. So hatte er be-
reits bei seiner Vernehmung durch den Disziplinarvorgesetzten Hauptmann Engel
am 30. August 1999 ausgesagt, der frühere Soldat habe ihm bereits am Telefon
„befohlen“, die „Schulterklappen abzumachen und ihn so abzuholen“. Da nach den
Worten des früheren Soldaten zu jener Zeit kein Zug mehr von S. nach R. verkehrt
habe, habe dieser ihm „befohlen“, ihn zu Hause mit dem Privat-Fahrzeug abzuho-
len, nachdem er ihm, dem Zeugen, die Adresse durchgegeben habe. Er, der Zeu-
- 31 -
ge, habe zwar schon überlegt, „ob das alles so richtig und zulässig“ sei, wenn er
seinen Dienstposten über längere Zeit verlasse und den früheren Soldaten mit
dem privaten Kraftfahrzeug in S. abhole. Er habe sich jedoch zu jenem Zeitpunkt
darüber keine weiteren Gedanken gemacht, da ihn der frühere Soldat „dazu ge-
drängt“ habe. Diese Aussage wiederholte er im Kern bei seiner Vernehmung als
Zeuge durch den Wehrdisziplinaranwalt am 9. November 2000. Er führte dabei
zwar aus, der frühere Soldat habe nicht ausdrücklich gesagt „ich befehle ihnen
…“. Für ihn, den Zeugen, seien die Aussagen des früheren Soldaten jedoch „ein
dienstlicher Auftrag und Befehl“ gewesen, sodass er sich verpflichtet gefühlt habe,
den Auftrag so schnell wie möglich auszuführen. Für ihn sei das Ansinnen des
früheren Soldaten hinsichtlich des Abholens und des Zurückbringens „vom Auftre-
ten und Wortlaut her ein Befehl“ gewesen. Zwar hat der Zeuge E. bei seiner Ver-
nehmung durch das Truppendienstgericht am 17. Dezember 2002 bekundet, er
wisse nicht genau, ob es sich wirklich um einen „Befehl“ gehandelt habe, der ihn
veranlasst habe, den früheren Soldaten aus S. abzuholen und anschließend wie-
der dorthin zurückzubringen; ihm, dem Zeugen, sei keine Strafe angedroht worden
für den Fall, dass er den früheren Soldaten nicht abhole oder nicht zurückfahre.
Damit hat er jedoch lediglich zum Ausdruck gebracht, dass er sich nicht sicher
war, ob das Ansinnen des früheren Soldaten im Rechtssinne ein Befehl war oder
nicht. Darauf kommt es aber im vorliegenden Zusammenhang ohnehin nicht an.
Entscheidend ist, dass der Zeuge E. an jenem 27. Juni 1999 durch den früheren
Soldaten zu seinem Handeln veranlasst wurde und sich ihm trotz seiner Stellung
als UvD nicht zu entziehen wusste. Genau davon ist nach den Bekundungen des
Zeugen E. jedoch auszugehen. Ebenso wie in der Berufungshauptverhandlung hat
der Zeuge E. bereits vor dem Truppendienstgericht zum Ausdruck gebracht, der
frühere Soldat habe ihm gesagt, er „solle“ ihn abholen und später wieder nach S.
zurückfahren. Aus seiner, des Zeugen, Sicht sei es keine bloße „Bitte“ des frühe-
ren Soldaten gewesen. Er habe das Ansinnen als Weisung aufgefasst, zumal der
frühere Soldat gesagt habe, dass er das Alarmfernschreiben entschlüsseln „müs-
se“. Er habe dabei den früheren Soldaten „als Vorgesetzten angesehen“.
Auch der persönliche Eindruck, den der Senat in der Berufungshauptverhandlung
von dem Zeugen hat gewinnen können, spricht für die Glaubhaftigkeit seiner Be-
kundungen. Der Zeuge ist bei seiner Vernehmung ersichtlich darum bemüht ge-
wesen, alle an ihn gerichteten Fragen korrekt zu erfassen und mit Sorgfalt zu be-
- 32 -
antworten. Seine Antworten waren bestimmt, klar und frei von Unsicherheit. Auch
unter Berücksichtigung des relativ langen Zeitraums, der seit den Vorfällen zwi-
schenzeitlich vergangen ist, waren sie detailreich und von dem Bemühen getra-
gen, eher Erinnerungslücken zu offenbaren als etwas Falsches auszusagen. Der
Senat hat auch keinerlei Anhaltspunkte dafür erkennen können, dass der Zeuge
aus unsachlichen oder eigennützigen Gründen den früheren Soldaten zu Unrecht
belasten oder ihm hat schaden wollen. Angesichts dessen hat der Senat insge-
samt keine durchgreifenden Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Bekundun-
gen des Zeugen und dessen Glaubwürdigkeit.
b) Indem der frühere Soldat am Abend des 27. Juni 1999 im StOSanZ R. nach der
Dechiffrierung des Alarmspruchs den Zeugen E. dazu veranlasste, ihn mit dem
Privat-Kfz zu seinem Wohnsitz nach S. zu fahren, verstieß er jedenfalls gegen
seine Fürsorgepflicht (§ 10 Abs. 3 SG) und gegen seine Kameradschaftspflicht
(§ 12 Satz 2 SG).
Aufgrund seiner in § 10 Abs. 3 SG normierten Fürsorgepflicht hat jeder Vorgesetz-
te den Untergebenen nach Recht und Gesetz zu behandeln. Die Vorschrift ver-
pflichtet den Vorgesetzten darüber hinaus, von seinen Befugnissen unter ange-
messener Berücksichtigung der persönlichen Belange des Untergebenen Ge-
brauch zu machen. Er muss sich bei allen Handlungen vom Wohlwollen dem Un-
tergebenen gegenüber leiten lassen und stets bemüht sein, den Soldaten vor
Nachteilen und Schäden zu bewahren (stRspr.: vgl. u.a. Urteile vom 6. Juli 1976
- BVerwG II WD 11.76 - , vom 13. Februar 2003
- BVerwG 2 WD 33.02 -
574>, vom 27. Januar 2004 - BVerwG 2 WD 2.04 - m.w.N. sowie die Einzelnach-
weise bei Scherer/Alff, SG, 6. Aufl. 1988, § 10 RNr. 21 sowie 7. Aufl. 2003, § 10
RNr. 21 jeweils m.w.N.). Ein Vorgesetzter darf seine Untergebenen nicht der Ge-
fahr einer disziplinaren Maßregelung aussetzen. Zur Pflicht des Vorgesetzten ge-
genüber einem Untergebenen gehört es gerade auch, ihn vor der Begehung von
Dienstpflichtverletzungen und vor der Gefahr einer disziplinaren Maßregelung zu
bewahren (stRspr.: vgl. u.a. Beschluss vom 6. März 1987 - BVerwG 2 WDB
11.86 - m.w.N., Urteile vom 4. April 1989 - BVerwG
2 WD 26.88 - und vom 25. Oktober 1995 - BVerwG
2 WD 12.95 -
- 33 -
1996, 33 = ZBR 1996, 57 = DokBer B 1996, 79 = NVwZ 1997, 185, insoweit nicht
veröffentlicht>; Scherer/Alff, SG, 6. Aufl. 1988, § 10 RNr. 32 m.w.N. und 7. Aufl.
2003, § 10 RNr. 32 m.w.N.).
Dieser Verpflichtung handelte der frühere Soldat zuwider, indem er an jenem
Abend des 27. Juni 1999 im StOSanZ R. den ihm unterstellten Zeugen E. veran-
lasste, den Posten als UvD zu verlassen und damit gegen zentrale Pflichten eines
UvD zu verstoßen. Er war zum Tatzeitpunkt im StOSanZ Vorgesetzter des Zeugen
E. Dies ergibt sich aus § 4 Abs. 3 sowie Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 VorgV. Da-
nach können innerhalb umschlossener militärischer Anlagen Soldaten einer höhe-
ren Dienstgradgruppe den Soldaten einer niedrigeren Dienstgradgruppe in und
außer Dienst Befehle erteilen. Der frühere Soldat setzte den Zeugen E. im
StOSanZ R., also innerhalb einer umschlossenen militärischen Anlage, durch sein
Verhalten der Gefahr einer disziplinaren Maßregelung aus, auch wenn der Diszip-
linarvorgesetzte des Zeugen E. später von einer solchen Maßregelung letztlich
absah. Der UvD überwacht von seinem Dienstantritt an bis zum Ende des UvD-
Dienstes nach Nr. 225 ZDv 10/5 die Durchführung der Anordnungen und Maß-
nahmen für den Innendienst in einer oder mehreren Einheiten. Er ist Vorgesetzter
mit besonderem Aufgabenbereich (§ 3 VorgV) gegenüber allen Soldaten der Ein-
heit bzw. der Einheiten, für die er eingeteilt ist, die der eigenen oder einer niedrige-
ren Dienstgradgruppe angehören, seine unmittelbaren Vorgesetzten ausgenom-
men. Nach der Anlage 3 Abschnitt IV Ziff. 2 zu Nr. 225 ZDv 10/5 darf er sich „nur
mit Genehmigung des Kompaniefeldwebels vertreten lassen“. Das Nähere regelt
die jeweilige UvD-Dienstanweisung. Nach der für das StOSanZ R. erlassenen
Dienstanweisung darf sich der UvD „nur mit Genehmigung des Arztes vom Dienst
bzw. Standortarztes, in dringenden Fällen des Führers Sanitätsbereitschaftsdienst,
vertreten lassen. Die Dauer der Vertretung und der Name des Genehmigenden
sind im Dienstbuch zu vermerken“ (Ziff. 2 Abschnitt „Zeichenbefugnis und Vertre-
tung“). Der UvD übt seinen Dienst an Wochenenden und Feiertagen von 8.00 Uhr
bis zum darauf folgenden Tag 8.00 Uhr aus (Ziff. 7 Abschnitt „Besonderheiten“).
Das Dienstzimmer ist „ständig besetzt zu halten“; es „darf nur abwechselnd und
zur Wahrnehmung der Aufgaben und in dringenden Fällen verlassen werden“
(Ziff. 2 und 4 Abschnitt „Besonderheiten“). Indem der Zeuge E. vor Ende seines
Dienstes als UvD sich aus dem Dienstzimmer und dem StOSanZ R. entfernte,
ohne über die nach den genannten Vorschriften erforderliche Genehmigung dazu
- 34 -
zu verfügen, handelte er pflichtwidrig und setzte sich der Gefahr disziplinarer Maß-
regelung aus. Zu seinem Fehlverhalten wurde der Zeuge E., der selbst erhebliche
Bedenken gegen das Verlassen seines Dienstzimmers und des StOSanZ R. hatte,
durch den früheren Soldaten veranlasst.
Indem der frühere Soldat den Zeugen E. an jenem Abend des 27. Juni 1999 im
StOSanZ veranlasste, ihn mit dem Privat-Kraftfahrzeug nach S. zu fahren, setzte
er diesen darüber hinaus auch den mit dem Betrieb und dem Führen eines Kraft-
fahrzeuges verbundenen typischen Gefahren des Straßenverkehrs aus, was unter
Umständen mit erheblichen haftungsrechtlichen Risiken für den Zeugen hätte ver-
bunden sein können.
Das Verhalten des früheren Soldaten gegenüber dem Zeugen E. an jenem Abend
des 27. Juni 1999 im StOSanZ R. verstieß auch gegen seine in § 12 Satz 2 SG
normierte Pflicht zur Kameradschaft. Die Feststellung einer Pflichtverletzung nach
§ 12 Satz 2 SG ist durch die gleichzeitige Feststellung eines Verstoßes gegen die
Fürsorgepflicht nicht ausgeschlossen (stRspr.: u.a. Urteil vom 6. Juli 1976
- BVerwG II WD 11.76 - ). Nach § 12 Satz 2 SG sind alle Soldaten ver-
pflichtet, nicht nur die Würde, die Ehre und die Rechte des Kameraden zu achten,
sondern diesem auch „in Not und Gefahr beizustehen“. Diese Pflicht beinhaltet für
jeden Soldaten u.a., alles ihm Zumutbare zu tun, um einen Kameraden aus einer
Gefahr zu retten oder ihn vor einer erkannten Gefahr zu bewahren. Er muss prü-
fen, ob und in welcher Weise ein dem Kameraden drohender Schaden abgewen-
det werden kann und wie er die erforderliche und ihm mögliche und zumutbare
Hilfe leisten kann (vgl. u.a. Scherer/Alff, a.a.O., 6. Aufl. 1988 und 7. Aufl. 2003,
jeweils § 12 RNr. 13 m.w.N.). Im vorliegenden Falle musste es mithin der frühere
Soldat jedenfalls unterlassen, diesen durch das angesonnene Verhalten der Ge-
fahr einer disziplinaren Maßregelung sowie haftungsrechtlichen Risiken und Ge-
fahren und einem damit drohenden Schaden auszusetzen.
Für sein Verhalten kann sich der Soldat nicht auf Rechtfertigungsgründe berufen,
die das Vorliegen einer Pflichtverletzung ausschlössen. Insbesondere lag kein
rechtfertigender Notstand im Sinne des § 34 StGB (vgl. dazu u.a. Scherer/Alff,
a.a.O., 6. Aufl. 1988 und 7. Aufl. 2003, jeweils § 23 RNr. 4) vor. Nach § 34 Satz 1
- 35 -
StGB handelt nicht rechtswidrig, wer in einer gegenwärtigen, nicht anders ab-
wendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes
Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzu-
wenden, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der be-
troffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das ge-
schützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt nach § 34
Satz 2 StGB allerdings nur, wenn die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr
abzuwenden. Im vorliegenden Falle handelte der frühere Soldat bei seinem am
27. Juni 1999 im StOSanZ R. erfolgten Verstoß gegen § 10 Abs. 3 SG und § 12
Satz 2 SG nicht in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für die
in § 34 Satz 1 StGB genannten Rechtsgüter, sodass es auf die darüber hinaus
erforderliche Interessenabwägung nicht ankommt. Eine Gefahr der in der Vor-
schrift vorausgesetzten Art für ein schutzbedürftiges Rechtsgut bestand an jenem
Abend im StOSanZ R. nicht. Der frühere Soldat wollte mit seinem an den Zeugen
E. gerichteten Verlangen, ihn vom StOSanZ R. nach S. mit dem Privat-Kfz zurück-
zufahren, lediglich erreichen und sicherstellen, dass er noch am Abend seinen
privaten Wohnsitz wieder erreichte, um am nächsten Morgen wie beabsichtigt ei-
nen für ihn wichtigen Termin wahrnehmen zu können. Diese persönliche Interes-
senlage des früheren Soldaten stellte kein „anderes Rechtsgut“ im Sinne des § 34
Satz 1 StGB dar, ohne dass dies näherer Darlegung bedarf, zumal auch der frühe-
re Soldat selbst nichts Gegenteiliges geltend macht. Auch sonstige Rechtferti-
gungsgründe sind nicht ersichtlich.
Der frühere Soldat hat die festgestellten Pflichtverletzungen im StOSanZ R. am
27. Juni 1999 schuldhaft begangen. Ein Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 SG
begeht der Soldat, wenn er schuldhaft seine Pflichten verletzt; d.h. vorsätzlich
oder fahrlässig. Sofern für einzelne Vorschriften etwas anderes gelten soll, muss
die betreffende Vorschrift, wie z.B. § 17 Abs. 4 Satz 2 SG, bezüglich der Schuld-
form eine Einschränkung enthalten. Weder § 10 Abs. 3 SG noch § 12 Satz 2 SG
enthalten eine solche Einschränkung. Nach der ständigen Rechtsprechung des
Senats kann daher die Kameradschaftspflicht (§ 12 Satz 2 SG) ebenso wie die
Fürsorgepflicht des Vorgesetzten (§ 10 Abs. 3 SG) auch in der fahrlässigen Bege-
hungsform verletzt werden (vgl. u.a Urteile vom 30. Januar 1968 - BVerwG I WD
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37.67 - und vom 15. April 1977 - BVerwG II WD 34.76 -
[274 ff.]>).
Der frühere Soldat hat fahrlässig gehandelt.
Ein fahrlässiges Handeln liegt dann vor, wenn der Täter den Tatbestand rechts-
widrig verwirklicht, indem er eine objektive Pflichtwidrigkeit begeht, die er nach
seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten vorhersehen und vermeiden
konnte. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Denn der frühere Soldat war nach
seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten in der Lage vorherzusehen, dass
er mit seinem an den Zeugen E. gerichteten Ansinnen, ihn von R. mit dem Privat-
Kfz nach S. zurückzufahren, in die Situation brachte, gegen die Dienstpflichten als
UvD StOSanZ zu verstoßen und sich damit der Gefahr disziplinarer Maßregelung
auszusetzen. Denn nach seiner aktiven Dienstzeit hatte er eine Vielzahl von
Wehrübungen geleistet und in deren Rahmen sowohl den Bootsmannlehrgang mit
der Note „sehr gut“ als auch den Offizierlehrgang Reserveoffizier mit der Note „be-
friedigend“ bestanden. In den ihm erteilten Beurteilungen wurde ihm regelmäßig
attestiert, dass er über ein großes Fachwissen verfügt und dieses stets im Rah-
men seiner militärischen Verwendungen (darunter u.a. auch im Rahmen einer
Wehrübung als Kompaniechef) einzusetzen verstand (vgl. u.a. Beurteilung vom
26. August 1998). Auch in der Beurteilung durch den Leiter des StOSanZ R. vom
31. Mai 1999 war dem früheren Soldaten - unmittelbar vor dem Tatzeitraum - ins-
besondere bescheinigt worden, „durch sein Fachwissen und eine detaillierte Vor-
schriftenkenntnis“ habe er sich „jederzeit seinen Aufgaben gewachsen“ gezeigt; er
verfüge über eine rasche Auffassungsgabe, Kreativität und große Flexibilität im
Denken und Handeln; er denke logisch, folgerichtig und analysiere klar; bemer-
kenswert sei sein „Vermögen, den juristischen Sachverstand zur Optimierung des
täglichen Dienstbetriebes einzusetzen“. Angesichts dieser ihm bescheinigten Qua-
litäten musste von dem früheren Soldaten im Tatzeitraum erwartet werden zu er-
kennen, dass er durch sein an den Zeugen E. herangetragenes Ansinnen, den
UvD-Posten zu verlassen und ihn nach S. zu fahren, diesen zu einer Pflichtverlet-
zung veranlasste, die diesen in die Gefahr disziplinarer Maßregelung brachte.
Auch wenn der Senat nicht mit der erforderlichen Gewissheit hat feststellen kön-
nen, dass der frühere Soldat seine Pflichtverletzung vorsätzlich beging, hätte der
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frühere Soldat diese jedoch bei hinreichendem Nachdenken sowie durch hinrei-
chende Berücksichtigung der Situation des Untergebenen vermeiden können.
Denn niemand zwang ihn, sein persönliches Ziel, noch an jenem Abend von R. zu
seiner Wohnung in S. zu gelangen, unter objektiver Missachtung seiner Kamerad-
schaftspflicht und seiner Fürsorgepflicht gegenüber einem Untergebenen zu ver-
folgen. Der Wunsch, zu einer bestimmten Zeit den eigenen Wohnort zu erreichen,
berechtigt einen Soldaten nicht zu Verstößen gegen Dienstpflichten.
Abgesehen davon standen dem früheren Soldaten auch reale Handlungsalternati-
ven zur Verfügung, um rechtzeitig zu dem für ihn wichtigen Termin am nächsten
Morgen zu erscheinen. Auch wenn ihm einige Stunden zuvor bei einer telefoni-
schen Auskunft durch einen Bediensteten der Österreichischen Bundesbahn tat-
sächlich gegen 21.00 Uhr mitgeteilt worden sein sollte, an jenem Abend verkehr-
ten keine Züge mehr zwischen S. und R., hätte er sich damit jedenfalls im
StOSanZ nach Dechiffrierung des Alarmspruchs nicht zufrieden geben dürfen. Als
erfahrenem Bahnfahrer, der zudem damals nahezu täglich zwischen seinem
Dienstort R. und seinem Wohnort S. pendelte, war es für ihn nahe liegend und
zumutbar, sich selbst durch Einsichtnahme in einen ausgehängten oder über In-
ternet zugänglichen Fahrplan der Deutschen Bahn oder durch einen kurzen Tele-
fonanruf bei der Bahnauskunft über bestehende Zugverbindungen zu vergewis-
sern. Wie sich aus der zum Gegenstand der Berufungshauptverhandlung gemach-
ten Fahrplanauskunft der Deutschen Bahn ergibt, verkehrten am Abend des
27. Juni 1999 von R. nach S. durchaus noch öffentliche Verkehrsmittel (Abfahrt R.:
23.09 Uhr, Ankunft in S.: 23.34 Uhr). Auch am nächsten Morgen hätte der frühere
Soldat mit öffentlichen Verkehrsmitteln in weniger als einer halben Stunde von R.
nach S. gelangen können (Abfahrt in R.: 6.07 Uhr, Ankunft in S.: 6.36 Uhr). Der
Umstand, dass sich der frühere Soldat auf die von ihm angeführte telefonische
Auskunft eines österreichischen Bahnbediensteten in S. verließ und ohne weitere
eigene Nachprüfung meinte, ab ca. 21.00 Uhr führen keine öffentlichen Verkehrs-
mittel mehr zwischen R. und S., berechtigte ihn jedenfalls nicht, den festgestellten
Pflichtenverstoß zu begehen.
Selbst wenn er - objektiv und subjektiv vermeidbar - auf diese Vergewisserung
verzichtete, hätte er sein persönliches Ziel, möglichst noch an jenem Abend zu
seinem Wohnsitz in S. zu gelangen, durchaus auch auf andere Weise erreichen
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können. Insbesondere stand ihm die Möglichkeit offen, ein Taxi für die Fahrt von
R. nach S. in Anspruch zu nehmen, falls er nicht mit dem Frühzug von R. nach S.
fahren wollte. Zwar meint der frühere Soldat, die Benutzung eines Taxis von R.
nach S. sei „nicht angezeigt“ gewesen. Dabei beruft er sich zum einen sinngemäß
darauf, ein in R. bestelltes Taxi habe nicht über die Grenze bis nach S. fahren dür-
fen; vielmehr hätte er - wie er meint - mit dem in R. bestellten Taxi lediglich bis zur
Grenze fahren können und von dort aus von einem „österreichischen Taxi“ abge-
holt werden „müssen“. Zum anderen macht er geltend, es habe das für ihn unzu-
mutbare Risiko bestanden, „auf den Kosten sitzen zu bleiben“. Beides trägt jedoch
nicht die Schlussfolgerung, der erfolgte Pflichtenverstoß sei für ihn unvermeidbar
und damit nicht fahrlässig gewesen. Hinsichtlich der Benutzung eines Taxis von R.
nach S. geht er von unzutreffenden rechtlichen Voraussetzungen aus. Nach § 52
Abs. 1 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) gelten für die Beförderung
von Personen im grenzüberschreitenden Verkehr mit Kraftfahrzeugen durch Un-
ternehmer, die ihren Betriebssitz im Inland oder Ausland haben, die Vorschriften
des PBefG und die hierzu erlassenen Rechtsverordnungen, soweit nichts anderes
bestimmt ist. Nach § 52 Abs. 3 Satz 1 PBefG bedarf es einer Genehmigung für
den grenzüberschreitenden Gelegenheitsverkehr von Unternehmern, die ihren
Betriebssitz im Ausland haben, nicht, soweit entsprechende Übereinkommen mit
dem Ausland bestehen. Die zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der
Republik Österreich abgeschlossene völkerrechtliche Vereinbarung („Verfahrens-
grundsätze für die Genehmigung und die Durchführung des grenzüberschreiten-
den gewerblichen Straßenpersonenverkehrs zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Republik Österreich“, abgedruckt in: Bidinger, Personenbe-
förderungsrecht, P 250) regelt in Nr. 8 Abs. 1, dass „Unternehmen, die zur ge-
werblichen Beförderung von Personen mit Pkw berechtigt sind, … Fahrgäste in …
den anderen Staat befördern“ dürfen, sofern „die Rückfahrt ohne Fahrgäste oder
mit denselben Fahrgästen … erfolgt“. Innerhalb der in dem Abkommen definierten
Grenzzonen (u.a. Stadt S. und Landkreis … Land) dürfen auch „österreichische
Taxis“ nach Maßgabe der Regelung in Nr. 8 Abs. 2 Buchst. c i.V.m. Abs. 3
Buchst. a und b auf Bestellung Fahrten durchführen, wenn die Fahrgäste in
Deutschland aufgenommen und in Österreich abgesetzt werden. Damit wäre es
also dem früheren Soldaten rechtlich nicht verwehrt gewesen, entweder mit einem
„deutschen Taxi“ von R. nach S. zurückzufahren oder aber in R. ein „österreichi-
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sches Taxi“ zu bestellen, um mit diesem dann von R. nach S. zu gelangen. Ange-
sichts dessen bedarf es keines näheren Eingehens auf die Frage, ob Regelungen
des Europäischen Gemeinschaftsrechts eine noch weitergehende Liberalisierung
des Verkehrs mit Taxen bewirken. Die Befürchtung des früheren Soldaten, für die-
se Taxikosten selbst aufkommen zu müssen, ist insoweit rechtlich ohne Bedeu-
tung. Wenn der Soldat ein Taxi bestellte, musste er die Kosten seiner Beförderung
von R. nach S. auch tragen. Ob er ggf. einen Ersatzanspruch gegen Dritte hatte,
bedarf im vorliegenden Fall keiner näheren Prüfung und Entscheidung. Denn dies
berührt die Vermeidbarkeit der hier in Rede stehenden Pflichtverstöße nicht.
Der frühere Soldat war bei Begehung des Pflichtenverstoßes auch nicht wegen
einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseins-
störung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abar-
tigkeit unfähig, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu han-
deln (§ 20 StGB). Es fehlt ferner an jedem Anhaltspunkt dafür, dass seine Fähig-
keit, das Unrecht der Tat einzusehen (Einsichtsfähigkeit) oder nach dieser Einsicht
zu handeln (Steuerungsfähigkeit) aus einem der in § 20 genannten Umstände im
Sinne des § 21 StGB gemindert war. Dies machen auch weder der frühere Soldat
noch sein Verteidiger geltend.
Die Einsichtsfähigkeit des früheren Soldaten in die Pflichtwidrigkeit seines Verhal-
tens war auch nicht durch einen unvermeidbaren Verbotsirrtum im Sinne des § 17
Satz 1 StGB ausgeschlossen. Sowohl bei dem von ihm von S. aus geführten Tele-
fonat mit dem Zeugen E. als auch bei dem im Zusammenhang mit dem Dechiffrie-
ren des Alarmspruches erfolgten Gespräch im StOSanZ R. wurde der frühere Sol-
dat von dem Zeugen E. unbestrittenermaßen mit dessen Bedenken gegenüber
dem angesonnenen Verhalten konfrontiert. Ihm war bewusst, dass sich der Zeuge
E. im UvD-Dienst befand. Aufgrund seiner ihm in den Beurteilungen mehrfach be-
scheinigten hervorragenden Vorschriftenkenntnis und seiner juristischen Ausbil-
dung im deutschen und im österreichischen Rechtskreis dürfte ihm nach der
Überzeugung des Senats auch bewusst gewesen sein, dass der Zeuge E. als UvD
sein Dienstzimmer nicht ohne Genehmigung des zuständigen Vorgesetzten ver-
lassen durfte. Aus den gleichen Gründen war nach der Überzeugung des Senats
dem früheren Soldaten auch der wesentliche Inhalt seiner Fürsorgepflicht (§ 10
- 40 -
Abs. 3 SG) und der Kameradschaftspflicht (§ 12 Satz 2 SG) bewusst. Es kann ihm
freilich nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden, dass er einen
solchen Pflichtverstoß auch wollte.
Selbst wenn sich der frühere Soldat im Tatzeitpunkt im StOSanZ R. über die
Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens in einem Verbotsirrtum befunden haben sollte,
wäre dieser Irrtum im Sinne des § 17 Satz 2 StGB vermeidbar gewesen. Vermeid-
bar ist ein Verbotsirrtum dann, wenn dem Täter sein Vorhaben unter Berücksichti-
gung seiner Fähigkeiten und Kenntnisse hätte Anlass geben müssen, über dessen
mögliche Rechtswidrigkeit nachzudenken oder sich zu erkundigen, und er auf die-
sem Wege zur Unrechtseinsicht gekommen wäre (vgl. dazu u.a Tröndle/Fischer,
StGB, 51. Aufl. 2003, § 17 RNr. 7 m.w.N.). Aufgrund seiner militärischen Ausbil-
dung, seiner langjährigen Erfahrung als Reserveoffizier mit dem Dienstgrad eines
Kapitänleutnants der Reserve sowie aufgrund seiner langjährigen juristischen
Ausbildung hatte er Veranlassung, sich im Zweifelsfall jedenfalls etwa anhand der
einschlägigen ZDv 10/5 und/oder der Dienstanweisung für den UvD-Dienst, die
sich bei den UvD-Unterlagen befand, oder auch durch telefonische Rücksprache
mit seinem Disziplinarvorgesetzten zu vergewissern, ob der Zeuge E. als UvD be-
rechtigt war, vor Ablauf des UvD-Dienstes das StOSanZ zu verlassen, um ihn
nach S. zu fahren. Der Dienstanweisung für den UvD StOSanZ hätte er ohne wei-
teres entnehmen können, dass sich der UvD „nur mit Genehmigung des Arztes
vom Dienst bzw. Standortarztes, in dringenden Fällen des Führers Sanitätsbereit-
schaftsdienst, vertreten lassen“ darf und dass der UvD StOSanZ das Dienstzim-
mer nur „zur Wahrnehmung der Aufgaben und in dringenden Fällen verlassen“
darf. Indem der frühere Soldat diese real vorhandenen Erkundigungsmöglichkeiten
nicht nutzte, hat er jedenfalls nicht alles ihm Mögliche und Zumutbare getan, um
einen Verbotsirrtum zu vermeiden.
Auch soweit sich der frühere Soldat in einem - vermeidbaren - Verbotsirrtum be-
fand, ändert dies nichts daran, dass er fahrlässig seine Fürsorgepflicht (§ 10
Abs. 2 SG) und seine Kameradschaftspflicht (§ 12 Satz 2 SG) gegenüber dem
Zeugen E. verletzt hat. Allerdings kann das Gericht bei einem vermeidbaren Ver-
botsirrtum das Disziplinarmaß nach den Grundsätzen des § 17 Satz 2 StGB mil-
dern (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Februar 1980 - BVerwG 2 WD 44.79 - und Be-
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schluss vom 14. Dezember 1983 - BVerwG 2 WDB 13.83 - ;
Scherer/Alff, a.a.O., 6. Aufl. 1988 und 7. Aufl. 2003 jeweils § 23 RNr. 9).
c) Über die Art und die Höhe der angesichts des festgestellten Dienstvergehens
erforderlichen Disziplinarmaßnahme hat der Senat nicht (mehr) zu befinden, da
das Truppendienstgericht eine gerichtliche Disziplinarmaßnahme nicht für geboten
gehalten hat, sodass deshalb zugunsten des früheren Soldaten das Verschlechte-
rungsverbot eingreift, das eine gerichtliche Disziplinarmaßnahme vorliegend aus-
schließt.
5. Da die Berufung des früheren Soldaten keinen Erfolg hat, sind ihm die Kosten
des Berufungsverfahrens gemäß § 139 Abs. 2 WDO aufzuerlegen. Gemäß § 140
Abs. 5 Satz 2 WDO hat er auch seine notwendigen Auslagen zu tragen.
Prof. Dr. Pietzner Prof. Dr. Widmaier Dr. Deiseroth