Urteil des BVerwG vom 28.01.2004

Soldat, Befehl, Behandelnder Arzt, Strafbare Handlung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
Im Namen des Volkes
Urteil
BVerwG 2 WD 13.03
TDG ...VL .../02
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
gegen
... ,
geboren am ... in ...,
... ..., ...,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der
nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 28. Januar 2004, an der teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Pietzner,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Oberstleutnant Manthey,
Hauptmann Woywod
als ehrenamtliche Richter,
Leitender Regierungsdirektor Mühlbächer
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt Steffgen, Bobingen,
als Verteidiger,
Justizobersekretärin von Förster
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 2 -
Auf die Berufung des Soldaten wird das Urteil der ... Kammer
des Truppendienstgerichts ... vom 1. April 2003 aufgehoben.
Der Soldat hat ein Dienstvergehen begangen.
Das Verfahren wird eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens und die dem Soldaten darin
erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund
auferlegt.
G r ü n d e :
I
Der 38 Jahre alte Soldat erlangte am 29. Mai 1984 das Zeugnis der Allgemeinen
Hochschulreife. Anschließend ließ er sich zum Apothekenhelfer ausbilden. Von
1986 bis 1994 absolvierte er das Studium der Medizin. Mit Wirkung vom 1.
Dezember 1995 wurde ihm durch das Regierungspräsidium S. die Approbation als
Arzt erteilt.
Aufgrund seiner Bewerbung für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr vom 14.
September 1995 wurde er zum 4. Dezember 1995 zum Gebirgsjägerbataillon ... in
B. R. als Sanitätsoffizier Arzt zur Ableistung einer Eignungsübung einberufen und
mit Wirkung vom 4. April 1996 als Stabsarzt in das Dienstverhältnis eines Soldaten
auf Zeit berufen. Seine Dienstzeit wurde zunächst auf drei, sodann auf acht und
schließlich auf neun Jahre festgesetzt; sie endet mit Ablauf des 3. Dezember
2004.
Zum 1. Februar 1999 wurde der Soldat zum Bundeswehrkrankenhaus A. als
Sanitätsstabsoffizier Arzt und in der gleichen Funktion zum 1. August 2000 zum
Standortsanitätszentrum (StOSanZ) B. R. in B. R. versetzt. Er leistete
abwechselnd Dienst in den Standorten B. R. und B.. Zum 1. Oktober 2002 wurde
er zum StOSanZ P. als Sanitätsstabsoffizier Arzt und in derselben Funktion zum 1.
März 2003 zum StOSanZ M. versetzt.
- 3 -
In seiner planmäßigen Beurteilung vom 4. April 2001 wurden die dienstlichen
Leistungen des Soldaten in den Einzelmerkmalen fünfmal mit „6“, neunmal mit „5“
und einmal mit „4“ bewertet. In der Eignungs- und Befähigungsbeurteilung setzte
der Beurteiler für „Verantwortungsbewusstsein“ und „Geistige Befähigung“ die
Stufe „D“ sowie für „Eignung zur Menschenführung/Teambefähigung“ und
„Befähigung zur Einsatz- und Betriebsführung“ die Stufe „C“ fest.
Unter „Herausragende charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches
Selbstverständnis, Bewährung im Einsatz und ergänzende Aussagen“ führte der
beurteilende Vorgesetzte aus:
„SA ... ist ein sensibler, engagierter und in herausragendem Maß um
seine Patienten bemühter Sanitätsoffizier. Besonders eingesetzt hat er
sich neben seiner fachlichen Weiterbildung im Bereich des Unterrichts
an der Krankenpflegeschule der Sanitätsschülerkompanie. Hier hat er
sich auf Grund seines verständnisvollen Wesens und seiner
umgänglichen Art sowie auch seiner didaktischen Fähigkeiten und
seiner Kompetenz im Bereich der Allgemeinmedizin hohe Anerkennung
durch den Lehrstab und die Schüler erworben.
Er steht zu seiner Aufgabe als Offizier und Arzt und ist stets bestrebt,
sich fachlich weiter zu bilden und neue Erfahrungen zu sammeln.“
In der Sonderbeurteilung vom 17. Juli 2003 durch Oberfeldarzt (OFA) Dr. M.
wurden die Leistungen des Soldaten in den Einzelmerkmalen dreimal mit „7“ und
13mal mit „6“ bewertet. Bei Eignung und Befähigung wurde ihm für „Befähigung
zur Einsatz- und Betriebsführung“ die Wertung „D“ und für „Geistige Befähigung“
die Wertung „E“ zuerkannt.
Unter „Herausragende charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches
Selbstverständnis, Bewährung im Einsatz und ergänzende Aussagen“ wurde über
den Soldaten ausgeführt:
„Stabsarzt ... ist ein im hohen Maße engagierter Arzt und durch das
ärztliche Ethos geprägt.
Es gelingt ihm mühelos, diese Priorität seines Denkens und Handelns
dem militärischen Umfeld soweit anzupassen, wie es für das Wohl der
Patienten und die Belange des Dienstherrn erforderlich ist.
Einsätze im Rahmen des neuen Aufgabenspektrums der Bundeswehr
werden von ihm - trotz enger familiärer Bindungen - grundsätzlich
bejaht.
- 4 -
Seine Persönlichkeit ist geprägt durch Sensibilität, Emotionalität und
hohe Fähigkeit zur Emphatie, was ihn als Mensch spürbar und als Arzt
kompetent macht.
Diese Charaktereigenschaften bewirken im Verein mit seiner
grundsätzlich positiven Lebenseinstellung und einem feinen Humor eine
im Wesentlichen fördernde Wirkung auf den Teamgeist.
Seine stete Bereitschaft zu helfen oder Hilfe anzubieten ist gelebte
Kameradschaft und Kollegialität.
Voll den menschlichen und tiefergehenden Problemen zugetan, sind
ihm Äußerlichkeiten weniger wichtig.
In der Diskussion ist er standhaft, aber nicht stur, im Umgang mit
Menschen und Problemen zeigt er sich flexibel und mobil.
Bei erfreulicher Offenheit - auch im Sinne konstruktiver Kritik - gab es
nie geringste Zweifel an seiner Loyalität.
Die Beendigung fachlicher Ziele (Promotionsarbeit und Facharzt für
Allgemeinmedizin, Fachkundenachweis Rettungsdienst) gerieten durch
die Versetzung nach M. etwas in den Hintergrund, werden aber
grundsätzlich weiter angestrebt.
Einer weiteren Verwendung von Stabsarzt ... im Bereich des StOSanZ
M. stehe ich äußerst positiv gegenüber.“
Der nächsthöhere Vorgesetzte, der Leiter des Leitsanitätszentrums ..., Oberstarzt
Dr. S., führte in seiner Stellungnahme u.a. aus:
„Der hier beurteilte SanStOffz Arzt ist mir persönlich bekannt. In
Kenntnis der Person des Beurteilenden bin ich mit den Aussagen und
Wertungen der Beurteilung grundsätzlich einverstanden, ich mache
aber, aufgrund meiner eigenen Erfahrungen, von meinem Recht zur
Abänderung Gebrauch.
Die hier vorliegende überdurchschnittliche Beurteilung betrifft im
wesentlichen die Leistungen, die SA H. im StOSanZ M. erbracht hat.
Diese stehen abgesehen von seiner kurativen Tätigkeit in einer
deutlichen Diskrepanz zu seinem Auftreten im StOSanZ B.R. Vor allem
im Bereich der Menschenführung waren seine Leistungen und
Befähigungen nicht so, wie man es von einen SanOffz Arzt erwarten
muss, und gaben Anlass zu disziplinaren Ermittlungen. Im Bereich des
Verantwortungsbewusstseins und des beruflichen Selbstverständnisses
wurden erhebliche Defizite offenkundig.
Ich ändere daher ab:
Im Feld F I 16 (Fürsorgeverhalten) von 07 auf 04;
Im Feld G 01 (Verantwortungsbewusstsein) von E auf A; im Feld G 03
(Eignung zur Menschenführung/Teambefähigung) von E auf A; im Feld
I 01 (Verwendungsmöglichkeiten) c) u. d) von ‚geeignet’ auf ‚Eignung
nicht erkennbar’.“
Der Soldat verweigerte die Unterschrift unter diese Stellungnahme.
- 5 -
OFA Dr. M. hat als Leumundszeuge vor dem Truppendienstgericht bekundet, er
sei im Wesentlichen mit dem Soldaten sehr zufrieden. Der Soldat mache
konstruktive Vorschläge und bringe sich aktiv ein, sei ein guter Mitarbeiter, der
allerdings auch emotionalen Schwankungen unterliege. Die Behandlung der
Patienten durch ihn sei einwandfrei. Im Vergleich zu anderen Truppenärzten stufe
er den Soldaten im oberen Drittel ein.
Ausweislich des Auszugs aus dem Disziplinarbuch vom 31. Juli 2003 und der
Auskunft aus dem Zentralregister vom 11. Juni 2003 ist der Soldat bislang weder
disziplinar noch strafrechtlich in Erscheinung getreten.
Der Soldat erhielt am 10. Mai 1996 eine förmliche Anerkennung wegen
vorbildlicher Pflichterfüllung und zugleich Sonderurlaub von einem Tag. Darüber
hinaus wurde ihm am 6. Dezember 2001 eine Leistungsprämie in Höhe von 5.250
DM zuerkannt.
Nach Mitteilung der Wehrbereichsverwaltung Süd - Gebührniswesen - vom 18.
Juni 2003 berechnen sich die Dienstbezüge des Soldaten aus der 8.
Dienstaltersstufe der Besoldungsgruppe A 13 des Bundesbesoldungsgesetzes
und betragen monatlich 3.732,71 € brutto und 3.449,66 € netto einschließlich
Kindergeld für zwei Kinder. Außerdem erzielt der Soldat aus einer genehmigten
Nebentätigkeit monatlich ca. 1.000 €. Seine Ehefrau ist berufstätig und arbeitet
halbtags als Arzthelferin mit einem Nettoeinkommen von monatlich ca. 700 €. Aus
der am 4. Juli 1986 geschlossenen Ehe sind zwei Söhne im Alter von 14 und zwölf
Jahren hervorgegangen.
Die finanziellen Verhältnisse des Soldaten sind geordnet.
- 6 -
II
Aufgrund einer Abgabe an die Staatsanwaltschaft nach § 29 Abs. 3 WDO a.F.
durch den Kommandeur der Gebirgsjägerbrigade (GebJgBrig) ... kam es im März
2002 zu einem Ermittlungsverfahren gegen den Soldaten bei der
Staatsanwaltschaft T. wegen Gehorsamsverweigerung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1
WStG, das durch deren Verfügung vom 20. September 2002 - 510 Js 8097/02 -
nach Zahlung eines Betrages von 400 € gemäß § 153 a Abs. 1 Satz 5 StPO
endgültig eingestellt wurde.
In dem mit Verfügung des Kommandeurs Sanitätskommando ... vom 15. April
2002 ordnungsgemäß eingeleiteten sachgleichen gerichtlichen
Disziplinarverfahren legte der Wehrdisziplinaranwalt dem Soldaten in der
Anschuldigungsschrift vom 18. September 2002 folgendes Verhalten als
schuldhafte Verletzung seiner Dienstpflichten zur Last:
„Der Soldat antwortete am 04.02.2002 in der General-Konrad-Kaserne,
83435 B. R., schriftlich auf die Erinnerung des Leiters StOSanZentrums
B. R., Oberfeldarzt P., zur verpflichtenden Teilnahme an der
Wintervortragsreihe der Gebirgsjägerbrigade ..: ‚Stabsarzt ... nimmt an
Weiterbildung nicht teil’.
Auf den erneuten mündlichen Befehl des Oberfeldarztes P. zur
Teilnahme an der Weiterbildung um die Mittagszeit des 04.02.2002
antwortete er sinngemäß: ‚Das ist mir egal, ich habe es verstanden,
dass es ein Befehl ist, ich habe zeitgerecht davon erfahren, aber ich
werde diesem, auch wenn Sie ihn nochmals wiederholen, nicht Folge
leisten’.
Nachdem er auch dem von ihm hinzu gerufenen OBtsm T. mitgeteilt
hatte, den Befehl zur Teilnahme an der Offizierweiterbildung zur
Kenntnis genommen zu haben, beharrte er ca. 30 Minuten später im
Beisein von Stabsunteroffizier(w) S. gegenüber dem Oberfeldarzt P.
nach wie vor darauf, an der Offizierweiterbildung nicht teilzunehmen.
Im Glauben an eine im weiteren Verlauf des Tages erfolgte Aufhebung
des Befehls nahm der Soldat dann auch am 04.02.2002 an der
entsprechenden Offizierweiterbildung der Gebirgsjägerbrigade ... von
19:30 Uhr bis 22:00 Uhr nicht teil, sondern leistete Dienst als AvD im
StOSanZentrum B. R.“
Die ... Kammer des Truppendienstgerichts ... hat gegen den Soldaten am 1. April
2003 wegen eines Dienstvergehens auf ein Beförderungsverbot für die Dauer von
zwei Jahren erkannt. Aufgrund der von ihr getroffenen tatsächlichen
- 7 -
Feststellungen hat sie den angeschuldigten Sachverhalt als erwiesen angesehen
und das Verhalten des Soldaten disziplinarrechtlich als vorsätzliche Verletzung der
Pflichten zur Achtungs- und Vertrauenswahrung im dienstlichen Bereich (§ 17 Abs.
2 Satz 1 SG) und zum Gehorsam (§ 11 Abs. 1), das Verhalten des Soldaten
insgesamt als ein Dienstvergehen gemäß § 23 Abs. 1 SG gewürdigt.
Zur Maßnahmebemessung hat die Truppendienstkammer im Wesentlichen
ausgeführt, es handele sich um ein schwerwiegendes Dienstvergehen, das durch
wiederholten Ungehorsam im Beisein Untergebener gekennzeichnet sei. Die
Pflicht zum Gehorsam gehöre zu den zentralen Pflichten eines jeden Soldaten.
Das Fehlverhalten des Soldaten erweise sich auch deshalb als besonders
gravierend, weil er es im Beisein von Untergebenen begangen habe.
Ausgangspunkt der Maßnahmebemessung sei angesichts des Dienstgrades des
Soldaten und der Schwere des Dienstvergehens eine Dienstgradherabsetzung. In
der Tat selbst lägen keine Milderungsgründe. Allerdings lägen Milderungsgründe
in der Person vor, die es erlaubten, von einer Dienstgradherabsetzung abzusehen.
In Übereinstimmung mit der Beurteilung des Sachverständigen sei die Kammer zu
der Überzeugung gelangt, dass in Folge einer dauernden und im zeitlichen Verlauf
zunehmenden Stressbelastung im Sinne einer Burn-out-Symptomatik an diesem
Tag die Schuldfähigkeit des Soldaten im Sinne des § 21 StGB vermindert
gewesen sei. Unter Abwägung der für und gegen den Soldaten sprechenden
Umstände habe die Kammer ein Beförderungsverbot für ausreichend, aber auch
notwendig gehalten, um der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens gerecht
zu werden.
Gegen dieses dem Soldaten am 7. April 2003 zugestellte Urteil hat sein
Verteidiger mit Schriftsatz vom 22. April 2003, der am 23. April 2003 bei der
Truppendienstkammer eingegangen ist, Berufung im vollen Umfang eingelegt, mit
dem Antrag, den Soldaten zu einer milderen Disziplinarmaßnahme zu verurteilen.
Zur Begründung hat sein Verteidiger im Wesentlichen vorgebracht:
Die Verurteilung zu zwei Jahren Beförderungsverbot sei unangemessen hoch. Das
Gericht verkenne bereits den rechtlich zulässigen Disziplinarrahmen, da es als
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Ausgangspunkt der Maßnahmebemessung eine Dienstgradherabsetzung nenne.
Von dieser sehe es nur ab, „da Milderungsgründe vorliegen“. Dieser
Ausgangspunkt sei bereits falsch, da Sanitätsoffiziere (§§ 30 ff. SLV) nur zum
Stabsarzt degradiert werden dürften. Durch die Wahl des falschen
Ausgangspunkts sei das Gericht zu einer falschen Maßnahme gelangt. Der Soldat
sei zwar zu der gemäß Brigadebefehl angeordneten Veranstaltung nicht
erschienen. Sein Vorgesetzter P. habe ihn jedoch noch am gleichen Tag in einer
einstündigen Unterhaltung am Nachmittag - wie auch andere Offiziere seiner
Einheit, so z.B. den Kompaniefeldwebel - von der Veranstaltung entbunden. Die
disziplinare Ahndung des Fehlverhaltens des Soldaten sei an § 11 SG zu messen:
Erschöpfe sich ein Befehl darin, dass er eine Verpflichtung wiederhole, die bereits
aus einer anderen Gesetzesnorm folge, sei die Nichtbefolgung des Befehls kein
Ungehorsam, sondern ein Verstoß gegen die andere Gesetzesnorm; handele es
sich hierbei um ein im Soldatengesetz festgelegte Dienstpflicht, gehe diese
insoweit speziellere Pflicht der Gehorsamspflicht vor. Für Verpflichtungen, die
nicht aus Gesetzesnormen, sondern aus einem übergeordneten Befehl stammten,
müsse entsprechendes gelten: Die schriftliche Aufforderung des Vorgesetzten P.,
bei der dienstlichen Veranstaltung am Abend zu erscheinen, habe keinen
eigenständigen Befehl beinhaltet, sondern nur den Brigadebefehl wiederholt.
Dieser habe nicht nochmals angeordnet werden müssen, sondern sei aus sich
heraus grundsätzlich verbindlich, bis er aufgehoben worden sei. Dem
Vorgesetzten sei es im System der militärischen Hierarchie erlaubt, Untergebene
von einem übergeordneten Befehl zu entbinden. Dies habe der Vorgesetzte P.
zum einen in der einstündigen Unterhaltung mit dem Soldaten am Nachmittag
desselben Tages getan. Zum anderen habe er ihm daraufhin noch eine SMS
geschickt, die dem Soldaten nochmals bestätigt habe, dass er von der
dienstlichen Veranstaltung entbunden sei. Der Unrechtsgehalt der Handlung des
Soldaten erschöpfe sich somit in der Äußerung gegenüber seinem Vorgesetzten
P. und der Untergebenen S., dass er zu der Veranstaltung nicht erscheinen
werde. Der Zeuge Thaler habe in der Verhandlung vor dem Truppendienstgericht
glaubhaft dargetan, dass er sich an eine Aussage des Soldaten, dass er den
Befehl nicht befolgen könne, nicht erinnere. Der Zeuge habe jedoch ausgesagt,
dass der Soldat seinen Vorgesetzten gefragt habe, ob er nicht mithelfen könne,
- 9 -
die Patienten zu versorgen. In diesem Zusammenhang habe das
Truppendienstgericht nicht hinreichend gewürdigt, dass bei dem Soldaten zu
diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen der verminderten Schuldfähigkeit nach §
21 StGB vorgelegten hätten. Ungehorsam im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 3 SG sei
auch auszuschließen, da der Soldat unter den Voraussetzungen der verminderten
Schuldfähigkeit des § 21 StGB einem Irrtum erlegen sei. Soldaten könnten
Irrtümer im Sinne des § 11 SG dann nicht vermeiden, wenn sie trotz Anspannung
all ihrer geistigen Erkenntniskräfte und ihrer sittlichen Wertvorstellungen
annähmen, der Befehl sei unverbindlich. Der Soldat habe sich hierzu aufgrund des
ungewöhnlichen Patientenaufkommens, mit welchem er allein konfrontiert
gewesen sei,
und seines diesem Montagsdienst vorausgegangenen
Wochenenddienstes außerstande gesehen. Zu den medizinischen Einzelheiten
werde auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. B. Bezug genommen. Die
Verhängung eines Beförderungsverbots sei zumindest durch die Dauer des
laufenden Verfahrens unverhältnismäßig geworden, da der Soldat seit Einleitung
des Disziplinarverfahrens am 15. April 2002 von Beförderungen und der von ihm
angestrebten Weiterverpflichtung über sein derzeitiges Dienstzeitende am 3.
Dezember 2004 ausgeschlossen sei. Der Soldat habe infolge des Vorfalls sowohl
psychisch als auch physisch in hohem Maße gelitten. Der Sachverständige Dr. B.
habe dem Soldaten attestiert, auch psychologischerseits stehe seinem Bestreben,
die Dienstzeit bei der Bundeswehr zu verlängern, nichts im Wege. Der
Sachverständige schätze die Prognose sowohl von nervenärztlicher wie auch von
klinisch-psychologischer Seite als günstig ein. Sein jetziger Vorgesetzter Dr. M.
ordne den Soldaten „im Vergleich zu anderen Truppenärzten im oberen Drittel“
ein. „Beurteilungsmäßig“ wolle er „ihm schon den Weg zur Beförderung ebnen,
wenn er die Möglichkeit habe und es gerechtfertigt sei“. Angesichts dieser
Beurteilungen voneinander unabhängiger Bundeswehrärzte sei die Urteils- und
Strafmaßfindung durch die .... Kammer des Truppendienstgerichts ... als
unangemessen hoch einzustufen. Die Kammer habe den Antrag des Soldaten und
der Verteidigung auf Vereidigung des Zeugen P. zu Unrecht abgelehnt. Er habe
ausgesagt, dass der Soldat keine überdurchschnittlichen Leistungen erbracht
habe. Gleichwohl habe er ihm eine Leistungsprämie zuerkannt und eine gute
Beurteilung erstellt. Eine Vereidigung hätte den Zeugen zum Widerruf der im
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Übrigen lückenhaften und widersprüchlichen Aussage bewogen. Das Gericht wäre
dann zu einer anderen Beurteilung gelangt. Angesichts der geschilderten
Umstände sei die Verhängung eines Beförderungsverbots unangemessen. Da der
Soldat bereits 400 € zur Einstellung des entsprechenden Strafverfahrens gezahlt
habe, seien gerichtliche Disziplinarmaßnahmen nicht mehr erforderlich und
angezeigt. Allenfalls sei eine einfache Disziplinarmaßnahme in Form eines
Verweises verhältnismäßig, aufgrund der aufgezeigten eingetretenen Folgen für
den Soldaten jedoch nicht mehr erforderlich.
III
1. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, ihre Förmlichkeiten sind gewahrt (§
115 Abs. 1, § 116 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 WDO).
2. Das Rechtsmittel des Soldaten ist ausdrücklich und nach dem wesentlichen
Inhalt seiner Begründung in vollem Umfang eingelegt worden. Der Senat hat daher
im Rahmen der Anschuldigung (§ 123 Satz 3 i.V.m. § 107 Abs. 1 WDO) eigene
Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen, diese rechtlich zu würdigen und die sich
daraus ergebenden Folgerungen zu ziehen, gegebenenfalls unter Beachtung des
Verschlechterungsverbots (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 Abs. 1 StPO)
über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden.
3. Die Berufung hat Erfolg.
a) Aufgrund der Einlassung des Soldaten, soweit ihr gefolgt werden kann, der in
der Berufungshauptverhandlung vernommenen Zeugen OFA P. und Frau H. sowie
des in der Berufungshauptverhandlung erstatteten Gutachtens des
Sachverständigen OFA Dr.
B.,
ferner
des
zum Gegenstand der
Berufungshauptverhandlung gemachten Inhalts der Verfahrensakte der
Staatsanwaltschaft Traunstein - .... ... .../02 - und des Inhalts der
Personalstammakte/-nebenakte des Soldaten hat der Senat folgenden
Sachverhalt festgestellt:
- 11 -
Vom 1. bis 4. Februar 2002 waren die Soldaten fast aller Dienstgrade des
StOSanZ B. R.l ab Unteroffizier aufwärts zur Winterkampf- und Skiausbildung auf
der Reiteralpe. Oberstabsarzt S. und der Soldat nahmen hieran nicht teil. Der
Soldat war an diesem Wochenende als Arzt vom Dienst (AvD) im StOSanZ in B.
R. eingesetzt. In diesem Zeitraum wurde auch ein Patient mit Verdacht auf
Blinddarmentzündung in die Station verlegt. Der Soldat leistete seinen Arztdienst
auch am Montag, 4. Februar 2002, beginnend ab 7.00 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt
warteten bereits die ersten Patienten. An diesem Tag waren ca. 100 Patienten zu
behandeln. Der Soldat musste die Arbeit trotz eigener gesundheitlicher Probleme
alleine bewältigen. Er war der einzige für die Patientenversorgung zur Verfügung
stehende Arzt. Die Vertragsärztin M. befand sich zu dieser Zeit in Urlaub, und
OFA P., der Leiter des StOSanZ und nächste Disziplinarvorgesetzter des
Soldaten, der am Vormittag von der Reiteralpe zurückkehrte, übernahm erst nach
dem Mittagessen die Untersuchung und Behandlung einiger Patienten. Nicht nur
am 4. Februar 2002, sondern schon Wochen zuvor stand der Soldat durch hohen
Arbeitsanfall im ärztlichen Bereich unter erheblichem Arbeitsdruck. Hinzu kam
seine Tätigkeit als Personalratsvorsitzender ab dem Jahre 2001, die ihn zeitlich
stark beanspruchte.
Am 4. Februar 2002 ab 19.00 Uhr fand bei der GebJgBrig ... eine
Informationsveranstaltung mit dem Referenten Generalleutnant Dr. O. zum Thema
„Die Entwicklung des nordatlantischen Bündnisses und die deutsche
Interessenlage“ statt.
Hierzu waren gemäß Befehl des Kommandeurs GebJgBrig ... am 15. Januar 2002
als Teilnehmer u.a. Offiziere und Offiziersanwärter des Standortes B..R. befohlen
worden. Der Befehl hatte u.a. folgenden Wortlaut:
„Leitung:
Brigadekommandeur
Projektoffizier:
S 1 - Stabsoffizier
Teilnehmer:
- Offiziere, Offizieranwärter
der Standorte Bad Reichenhall, Berchtesgaden
- jeweils 5 Offiziere und alle Offizieranwärter
GebJgBtl ... und GebArtBtl ...
- 12 -
- StOPfarrer Bad Reichenhall
- Unteroffiziere m. P. vom Brigadekommando
- KpFw Standort B..R., B.,
- Sprecher VP, Personalrat
- die Damen sind herzlich eingeladen.
- geladene Gäste aus dem zivilen und
militärischen Bereich.
bis 28.01.2002
Durchführung:
Ort:
Standortoffizierheim B. R.
Zeit:
04. Februar 2002, ab 19.00 Uhr ...“
OFA P. hatte die Zahnärzte Stabsarzt (StA) D. und StA F. wegen ihrer Teilnahme
an der Winterkampf- und Skiausbildung auf der Reiteralpe von der Teilnahme an
der Informationsveranstaltung am 4. Februar 2002 befreit.
Auf die am 4. Februar 2002 vormittags gegen 9.30 Uhr erteilte Erinnerung durch
OFA P. zur verpflichtenden Teilnahme an der Weiterbildungsmaßnahme der
Brigade antwortete der Soldat schriftlich: „Teilnahme Stabsarzt ... nein!“ Auf den
gegen Mittag (12.00 Uhr) erneut durch den OFA P. persönlich erfolgten Hinweis
auf den gültigen Brigadebefehl zur Teilnahme antwortete er: „Das ist mir egal, ich
habe es verstanden, dass es ein Befehl ist, ich habe zeitgerecht davon erfahren,
aber ich werde diesem, auch wenn Sie ihn nochmals wiederholen, nicht Folge
leisten.“
Auf den von OFA P. vorgebrachten Hinweis, dass dies die Ankündigung einer
Befehlsverweigerung sei, öffnete er die Tür zum Behandlungszimmer, rief den im
Nebenzimmer befindlichen damaligen Oberbootsmann (OBtsm) T. herein und
wiederholte in dessen Beisein: „Ich habe den Befehl zur Teilnahme an der durch
den Brigadekommandeur befohlenen Weiterbildung am 04.02.2002, ab 19.30 Uhr,
verstanden.“ Darauf entließ er den OBtsm T. wieder. Ca. 30 Minuten später
forderte OFA Podehl den Soldaten im Beisein von Stabsunteroffizier (w) S. erneut
zur Teilnahme auf. Der Soldat antwortete, er werde nicht teilnehmen. Zu diesem
Zeitpunkt befand sich auch OBtsm T. im Eingangsbereich des Zimmers.
- 13 -
Gegen 17.00 Uhr desselben Tages kam es dann zu einer Unterredung zwischen
dem Soldaten und OFA P. Der Soldat erklärte zunächst, weshalb er am Vormittag
und Mittag überreagiert habe und entschuldigte sich bei OFA P., der die
Entschuldigung annahm. OFA P. wirkte auf den Soldaten nach seinen Angaben
„sehr väterlich“. Der Soldat konnte seine Überreaktion selbst nicht verstehen,
musste deshalb heftig weinen und hatte den Eindruck, dass OFA P. ihm in der
Aussprache „nicht als Vorgesetzter“ begegnete. OFA P. versuchte, dem Soldaten
klar zu machen, dass er vor Untergebenen auf die Einhaltung gegebener Befehle
bestehen müsse, auch wenn die Argumente des Soldaten für eine Nichtteilnahme
durchaus verständlich seien. Der Soldat hatte während der Aussprache das
Gefühl, dass OFA P. ihm gegenüber an dem Brigadebefehl zur Teilnahme an der
Informationsveranstaltung ab 19.00 Uhr nicht mehr festhalte, sondern gewann in
dem Gespräch den Eindruck, OFA P. habe fürsorglich zur Kenntnis genommen,
dass er, der Soldat, aufgrund der Überlastung während des Tages und der vielen
Patienten auf Station, eine Regeneration am Abend benötige, um am Morgen
wieder einsatzfähig zu sein. Der Soldat bat jedoch OFA P., ihn für das Verhalten
am Mittag zu „bestrafen“, zumal Mitarbeiter sein Fehlverhalten miterlebt hätten.
OFA P. erwiderte, er könne doch „seinen besten Mann“ nicht bestrafen; den
Brigadebefehl wiederholte er nicht. Für den Soldaten war damit die Sache erledigt.
Er berichtete in dem Gespräch dann noch von einem Patienten, der am
Wochenende eingeliefert worden sei und mit Verdacht auf „Blinddarmentzündung“
auf Station liege und dass er als AvD noch abends nach ihm schauen müsse. Da
der Soldat den Patienten nicht aus den Augen verlieren wollte und bis zu diesem
Zeitpunkt noch nichts gegessen hatte, rief er seine Frau an, die ihn kurz darauf mit
den beiden Söhnen zum Essen bei „Burger King“ abholte. Dort erreichte den
Soldaten eine SMS des OFA P., der ihm u.a. schrieb, dass er, OFA P., als
Vertreter des StOSanZ an der Abendveranstaltung teilnehmen müsse. Aufgrund
des Gesprächs und der SMS stellte sich für den Soldaten die Situation dann so
dar, dass er von der Teilnahme an der Veranstaltung befreit sei. Im Laufe des
Abends begab sich der Soldat als AvD dann nochmals in das StOSanZ, blieb dort
bis etwa 20.30 Uhr, nachdem sich der Gesundheitszustand des mit Verdacht auf
Blinddarmentzündung eingelieferten Patienten stabilisiert und er noch eine
„Kurvenvisite“ bei den restlichen 24 stationären Patienten gemacht hatte.
- 14 -
Der Soldat räumt den Sachverhalt im Wesentlichen ein und hat sich darüber
hinaus glaubhaft dahin eingelassen, dass er sich zu der Zeit in einer äußersten
Stresssituation befunden, sich von seinem Vorgesetzten OFA P. im Stich gelassen
gefühlt habe, und dass in dem Gespräch um 17.00 Uhr aus seiner Sicht für die
Annahme einer Befreiung von der Abendveranstaltung zum einen seine damals
seinem Vorgesetzten bekannte hohe Überbeanspruchung, zum anderen die
Gewährleistung der Patientenversorgung am Abend maßgeblich gewesen sei,
zumal er an diesem Tag der einzige behandelnde Arzt gewesen sei und sich als
AvD am Abend insbesondere um die stationären Patienten habe kümmern
müssen. Auch sei es erforderlich gewesen, das Pflegepersonal bei der Ausgabe
der richtigen Medikamente und der Dokumentation zu überwachen. Im Übrigen sei
nicht nachvollziehbar, dass die beiden Zahnärzte StA D. und StA F., die sich am
Wochenende auf Fortbildung auf der Reiteralpe befunden hätten, von OFA P. von
der Teilnahme an der Abendveranstaltung befreit worden seien, während er, der
Soldat, am Wochenende und dem darauf folgenden Montag als allein
behandelnder Arzt in hohem Maße beansprucht worden sei. Aus den
Bekundungen des Zeugen OFA P. ergibt sich im Ergebnis nichts anderes. Der
Zeuge hat zwar bestritten, den Soldaten während des Gesprächs am Nachmittag
oder bei der späteren SMS-Kontaktaufnahme von der Pflicht zur Teilnahme an der
Fortbildungsveranstaltung entbunden zu haben. Er hat jedoch ausdrücklich
eingeräumt, er könne nicht ausschließen, dass der Soldat möglicherweise den
gegenteiligen Eindruck gewonnen habe oder jedenfalls habe gewinnen können.
b) Da der - auch für den Soldaten verbindliche - Wochendienstplan für das
StOSanZ B. R. für den 4. Februar 2002 von 19.30 Uhr bis 22.00 Uhr gemäß dem
„Befehl für die Informationsveranstaltung am 04. Februar 2002“ des
Kommandeurs der GebJgBrig ... vom 15. Januar 2002 die Teilnahme u.a. der
Sanitätsoffiziere des Standorts B. R. verpflichtend vorsah, der Soldat sich jedoch
ungeachtet der am Morgen des 4. Februar 2002 im Auftrag seines
Dienstvorgesetzten OFA P. erfolgten telefonischen und am Mittag desselben
Tages durch diesen persönlich erfolgten mündlichen Erinnerung seiner Teilnahme
an der Veranstaltung schriftlich und mündlich widersetzte, lehnte er sich im Sinne
- 15 -
des § 20 Abs. 1 Nr. 1 WStG gegen einen ihm erteilten Befehl auf. Mit diesem
Verhalten am Vormittag und am Mittag verletzte er zwar noch nicht die Pflicht zum
Gehorsam (§ 11 Abs. 1 SG), jedoch die Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG).
Die Pflicht zum Gehorsam konnte am Vormittag bzw. Mittag des 4. Februar 2002
noch nicht verletzt werden, weil § 11 Abs. 1 Satz 2 SG auf den Zeitpunkt der
Ausführung des Befehls abstellt, der Brigadebefehl jedoch erst am Abend -
Teilnahme an der Informationsveranstaltung ab 19.00 Uhr - auszuführen war.
Ungehorsam im Sinne des § 11 Abs. 1 SG liegt nur dann vor, wenn ein
Untergebener einen ihm erteilten verbindlichen Befehl nicht (nach besten Kräften
vollständig, gewissenhaft und unverzüglich) ausführt (Urteil vom 31. Juli 1996 -
BVerwG 2 WD 21.96 -
NZWehrr 1997, 117 = NJW 1997, 536 = DVBl 1997, 356> m.w.N.). Gleichwohl
stellte die Ankündigung des Soldaten, den Brigadebefehl nicht zu befolgen, eine
Verletzung der Pflicht zum treuen Dienen dar. Die für das Dienstverhältnis aller
Soldaten grundlegende Verpflichtung zum treuen Dienen gebietet jedem Soldaten,
zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr als eines militärischen
Verbandes beizutragen und alles zu unterlassen, was diese in ihrem durch die
Verfassung festgelegten Aufgabenbereich schwächen könnte (vgl. Urteil vom 31.
Juli 1996 - BVerwG 2 WD 21.96 - ). Die Pflicht zum treuen Dienen
umfasst auch die Pflicht zur Loyalität gegenüber dem Staat, seinen Organen und
seiner Rechtsordnung (Urteil vom 28. September 1990 - BVerwG 2 WD 27.89 -
;
Scherer/Alff, SG, 7. Aufl. 2003, § 7 RNr. 19). Mit der Erfüllung dieser Pflicht ist es
nicht vereinbar, dass ein Soldat in dienstlichen Räumen eine - hier nach § 20 Abs.
1 Nr. 1 WStG - strafbare Handlung begeht (vgl. Urteil vom 26. November 2003 -
BVerwG 2 WD 7.03 -). Es handelte sich um einen - auch vom Empfängerhorizont
des Soldaten her betrachtet - insoweit inhaltlich eindeutigen, verbindlichen, zu
einem dienstlichen Zweck erteilten Befehl, nämlich die Anweisung zu einem
bestimmten Verhalten, die ihm von seinem Vorgesetzten OFA P. wiederholt
mündlich übermittelt wurde. Sowohl der nächste als auch der nächsthöhere
Disziplinarvorgesetzte, der Kommandeur der GebJgBrig ..., gingen von einem für
den Soldaten verbindlichen Befehl aus. Eventuelle Zweifel an der
- 16 -
Adressateneigenschaft des Soldaten, weil nach dem schriftlichen Wortlaut des
Befehls nicht von allen Offizieren, sondern nur von „Offizieren“ - darüber hinaus
von „jeweils 5 Offizieren“ - die Rede ist, sind spätestens zu dem Zeitpunkt durch
den Disziplinarvorgesetzten OFA P. ausgeräumt worden, als er den Soldaten zu
den betroffenen Offizieren zählend bestimmte und insoweit einen ihm
verbliebenen Ermessensspielraum in dieser Weise ausübte.
Da der Soldat bei seiner am Vormittag und Mittag des 4. Februar 2002 erfolgten
Auflehnung gegen den ihm erteilten Befehl auch wusste und wollte, was er tat,
handelte er vorsätzlich. Er verletzte damit zugleich auch vorsätzlich seine Pflicht
zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten im dienstlichen Bereich (§ 17
Abs. 2 Satz 1 SG). Für die Feststellung eines Verstoßes gegen diese Vorschrift
kommt es nicht darauf an, ob eine Ansehensschädigung im konkreten Fall
tatsächlich eingetreten ist. Es reicht vielmehr aus, dass das Verhalten des
Soldaten geeignet war, eine ansehensschädigende Wirkung auszulösen (stRspr.:
u.a. Beschluss vom 12. Oktober 1993 - BVerwG 2 WDB 15.92 -
12 = NZWehrr 1994, 27> m.w.N.). Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit eines
Soldaten können durch sein Verhalten dabei schon dann Schaden nehmen, wenn
dieses Zweifel an seiner Zuverlässigkeit weckt oder seine Eignung für die jeweilige
Verwendung in Frage stellt (vgl. Urteil vom 2. April 1974 - BVerwG 2 WD 5.74 -
). Dies ist jedenfalls bei einem
strafbaren Auflehnen eines Soldaten gegen einen Befehl der Fall.
Mit seinem Nichterscheinen zur Informationsveranstaltung am Abend des 4.
Februar 2002 führte der Soldat den ihm erteilten Befehl zur Teilnahme nicht aus
und verletzte damit objektiv seine Gehorsamspflicht nach § 11 Abs. 1 Satz 2 SG.
Dieser zu einem dienstlichen Zweck erteilte Befehl war für ihn verbindlich.
Zwar soll nach § 1 Abs. 2 VorgV ein unmittelbarer Vorgesetzter im Sinne des § 1
Abs. 1 VorgV, also auch der Kommandeur eines militärischen Verbandes (hier:
der GebJgBrig ...) in den ärztlichen oder anderen Fachdienst der Untergebenen,
die - wie der Soldat - der Leitung und Dienstaufsicht eines Fachvorgesetzten - hier
des Leiters des StOSanZ B. R. - unterstehen, nicht eingreifen; dabei stellt der
- 17 -
Ausdruck „soll“ klar, dass ein solches Eingreifen grundsätzlich verboten ist (vgl.
dazu auch Scherer/Alff, SG, 7. Aufl. 2003, § 1 RNr. 63), sofern nicht ein
besonderer Ausnahmegrund für ein gegenteiliges Handeln vorliegt.
Ob der vom Kommandeur der GebJgBrig ... unter dem 15. Januar 2002 erteilte
„Befehl für die Informationsveranstaltung am 04. Februar 2002“ in diesem Sinne
„in“ den ärztlichen Fachdienst des StOSanZ, an dem der Soldat als
Sanitätsstabsoffizier eingesetzt war, tatsächlich „eingriff“, kann hier offen bleiben.
Denn jedenfalls hatte der zuständige Fachvorgesetzte OFA P. als Leiter des
StOSanZ von seiner Befugnis nach § 2 VorgV Gebrauch gemacht, seinerseits auf
der Teilnahme des Soldaten an der Informationsveranstaltung am 4. Februar 2002
zu bestehen und damit den Befehl des Kommandeurs der GebJgBrig ... auch aus
fachdienstlicher Sicht zu bekräftigen.
Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der dem Soldaten erteilte Befehl zur
Teilnahme an der Informationsveranstaltung die Grenzen des § 10 Abs. 4 SG oder
des § 11 Abs. 1 Satz 3 oder Abs. 2 SG überschritten hätte, liegen nicht vor.
Insbesondere hat der Senat in der Berufungshauptverhandlung nicht feststellen
können, dass der Soldat etwa zur Abwendung einer Gesundheitsgefahr eines
Patienten im Hinblick auf § 323 c StGB gehindert war, an der
Informationsveranstaltung teilzunehmen. Zwar befand sind an jenem Tage auf der
Station des StOSanZ ein Patient, der dort zunächst wegen bestehender
Verdachtsmomente für eine „Bilddarmentzündung“ aufgenommen worden war.
Der Soldat hat jedoch in der Berufungshauptverhandlung selbst bestätigt, dass
aus diesem Grunde seine ununterbrochene Anwesenheit insbesondere während
der Dauer der Informationsveranstaltung nicht erforderlich war. Demzufolge sah
der Soldat auch keinen Hinderungsgrund, zwischen 18.30 Uhr und 20.00 Uhr das
StOSanz zu verlassen, um mit seiner Ehefrau und seinen Kindern in einem
Restaurant in Bad Reichenhall zu essen und erst anschließend zurückzukehren
und bei den 24 stationär aufgenommenen Patienten eine „Kurvenvisite“ zu
machen. Abgesehen davon hat der Soldat ferner bestätigt, dass bereits vor
seinem Verlassen des StOSanZ gegen 18.30 Uhr kein konkreter Verdacht auf
eine akute „Bilddarmentzündung“ bei jenem Patienten mehr bestand, da er
- 18 -
anderenfalls bereits zu diesem Zeitpunkt eine unverzügliche Verlegung des
Patienten in eine für die weitere Behandlung hinreichend ausgestattete Klinik hätte
veranlassen müssen.
Die damit durch die Nichtteilnahme des Soldaten an der Informationsveranstaltung
bewirkte Verletzung seiner Gehorsamspflicht nach § 11 Abs. 1 SG erfolgte auch
vorsätzlich, da der Soldat den Befehl zur Teilnahme sowie seine Verpflichtung
zum Gehorsam kannte und ungeachtet dessen nicht teilnehmen wollte.
Ein Tatbestandsirrtum, der im Sinne des § 16 Abs. 1 StGB den Vorsatz
ausgeschlossen hätte, liegt nicht vor. Denn der Soldat irrte nicht über die Existenz
des vom Kommandeur der Brigade erteilten und von seinem unmittelbaren
Fachvorgesetzten bekräftigten Befehls zur Teilnahme an der
Informationsveranstaltung. Ihm war die Existenz und Verbindlichkeit dieses
Befehls bekannt. Aus diesem Grunde räumte er auch bereits bei seinem Gespräch
mit seinem unmittelbaren Vorgesetzten, OFA P., das am selben Tage zwischen
17.00 Uhr und 18.00 Uhr stattfand, unmissverständlich ein, dass er sich am
Vormittag und Mittag mit seinem wiederholten Auflehnen gegen den Befehl
pflichtwidrig verhalten habe und „bestraft“ werden müsse. Auch danach ging er
nicht davon aus, der Befehl des Kommandeurs sei aufgehoben worden.
Der Soldat befand sich jedoch bei seinem Fernbleiben von der
Informationsveranstaltung in einem Verbotsirrtum im Sinne des § 17 StGB. Denn
er war im Tatzeitraum der Auffassung, sein unmittelbarer Vorgesetzter OFA P.
habe ihn aufgrund des zwischen 17.00 Uhr und 18.00 Uhr erfolgten Gesprächs
von einer Teilnahme „freigestellt“ und ihm damit das Fernbleiben erlaubt. Er ging
also davon aus, dass sein dem Befehl des Brigadekommandeurs
widersprechendes Verhalten ausnahmsweise aufgrund der - vermeintlich - durch
OFA P. erteilten „Freistellung“ erlaubt sei (vgl. allgemein zur Abgrenzung von
Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum: BGH, Urteil vom 11. September 2002 - 1
StR 73.02 -, m.w.N.; Cramer/Sternberg-Lieben in:
Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl., § 17 RNr. 12 a). Dieser Verbotsirrtum war für
den Soldaten vermeidbar. Denn der Soldat hätte sich nicht auf seinen subjektiven
- 19 -
Eindruck verlassen dürfen, ihm sei das Fernbleiben von der
Informationsveranstaltung durch eine Einzelfallentscheidung von OFA P.
konkludent erlaubt worden. Vielmehr hätte er sich bei seinem unmittelbaren
Vorgesetzten OFA P. oder gegebenenfalls bei dem Befehlsgeber, dem
Kommandeur der GebJgBrig ..., unmittelbar rückversichern müssen, dass ihm
eine solche Erlaubnis tatsächlich erteilt worden war und er von der befohlenen
Teilnahme Abstand nehmen durfte. Dies ergibt sich bereits aus § 11 Abs. 1 Satz 2
SG, der einen Untergebenen u.a. dazu verpflichtet, den Befehl eines Vorgesetzten
nach besten Kräften und gewissenhaft auszuführen. Dem Untergebenen wird
damit abverlangt, seine ganze Kraft einzusetzen, um das (in den Grenzen des §
10 Abs. 4 und § 11 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 SG) Befohlene auszuführen und
dabei größtmögliche Sorgfalt walten zu lassen. Wenn auch der Vorgesetzte nach
§ 10 Abs. 5 Satz 1 SG die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit und
Zweckmäßigkeit seiner Befehle zu tragen hat, folgt aus der Verpflichtung, einen
erteilten Befehl gewissenhaft auszuführen sowie aus der in § 7 SG normierten
Pflicht zum treuen Dienen (vgl. dazu Beschluss vom 10. Mai 1988 - BVerwG 2 WD
6.87 - ) nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht,
Gegenvorstellungen zu erheben (vgl. dazu u.a. Scherer/Alff, a.a.O., § 11 RNr. 7
m.w.N.), wenn er schwerwiegende Bedenken gegen die Durchführbarkeit des
Befehls hat. Bestehen Unklarheiten über Inhalt und Umfang eines erteilten
Befehls, hat ein Untergebener das Recht (vgl. dazu auch u.a. Beschluss vom 10.
August 1983 - BVerwG 1 WB 64.82 - ) und die Pflicht (so
Scherer/Alff, a.a.O., § 11 RNr. 11), Fragen zu stellen, Gegenvorstellungen zu
erheben sowie auf Klärung zu dringen. Daran ließ es der Soldat fehlen.
Der - vermeidbare - Verbotsirrtum des Soldaten schließt den Vorsatz nicht aus,
kann jedoch bei der Maßnahmebemessung Berücksichtigung finden (vgl. § 17
Satz 2 StGB).
c) Auch wenn der Soldat damit ein Dienstvergehen gemäß § 23 Abs. 1 SG
begangen hat, ist das gerichtliche Disziplinarverfahren einzustellen. Nach § 58
Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO sind bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme
Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß
- 20 -
der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des
Soldaten zu berücksichtigen.
aa) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens
Die „Eigenart und Schwere“ des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem
Unrechtsgehalt der Verfehlungen, mithin also nach der Bedeutung der verletzten
Pflichten.
Danach wiegt das Dienstvergehen des Soldaten schwer. Dies ergibt sich bereits
daraus, dass gegen ihn ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen
Gehorsamsverweigerung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 WStG eingeleitet werden
musste. Auch wenn die Staatsanwaltschaft schließlich von der Erhebung der
öffentlichen Klage abgesehen und das Verfahren gemäß § 153 a Abs. 1 StPO
gegen Zahlung eines Geldbetrages von 400 € einstellte, ändert dies nichts an dem
Umstand, dass ein strafbares kriminelles Verhalten des Soldaten vorlag, weil
dieser sich gegen den Brigadebefehl gegenüber OFA P. am Vormittag mit den
Worten „Teilnahme Stabsarzt ... nein!“ und am Mittag des 4. Februar 2002 mit den
Worten aufgelehnt hatte: „Das ist mir egal, ich habe es verstanden, dass es ein
Befehl ist, ich habe zeitgerecht davon erfahren, aber ich werde diesem, auch
wenn Sie ihn nochmals wiederholen, nicht Folge leisten.“
Die Eigenart des Dienstvergehens ist dadurch gekennzeichnet, dass der Soldat
mit der Verletzung seiner Pflicht zur Loyalität gegenüber der Rechtsordnung -
Verstoß gegen § 20 Abs. 1 Nr. 1 WStG - die an ihn zu stellenden dienstlichen
Erwartungen nicht erfüllte und damit das Vertrauensverhältnis zu seinem
Dienstherrn nachhaltig störte. Er begründete so ernsthafte Zweifel an seiner
Zuverlässigkeit und Integrität. Fehlt nämlich die Bereitschaft zum Gehorsam, kann
die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte in erheblicher Weise gelähmt oder in Frage
gestellt werden.
Auch die Pflicht zur Wahrung von Achtung und Vertrauen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG)
hat keinen Selbstzweck, sondern eindeutig funktionalen Bezug zur Erfüllung des
grundgesetzmäßigen Auftrags der Streitkräfte und zur Gewährleistung des
- 21 -
militärischen Dienstbetriebs. Ein Soldat, und zwar insbesondere ein Vorgesetzter,
bedarf der Achtung seiner Kameraden und Untergebenen sowie des Vertrauens
seiner militärischen Vorgesetzten, um seine Aufgabe so zu erfüllen, dass der
geordnete Ablauf des militärischen Dienstes gewährleistet ist (vgl. Urteil vom 3.
Dezember 1970 - BVerwG 1 WD 4.70 - ). Sein Verhalten
muss dem Bild eines pflichtgetreu handelnden Soldaten entsprechen und geeignet
sein, sein dienstliches Ansehen zu wahren und zu festigen (stRspr.: vgl. u.a. Urteil
vom 10. Juli 1996 - 2 WD 5.96 -
= NVwZ-RR 1997, 239> m.w.N.). Die Stellung des Soldaten als Stabsarzt hätte es
erfordert, dass er als Vorgesetzter in Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel gibt
(§ 10 Abs. 1 SG). Denn nur wer selbst ein beispielhaftes Verhalten zeigt, kann von
seinen Untergebenen erwarten, dass sie sich am Vorbild ihres Vorgesetzten
orientieren und ihre Pflichten nach besten Kräften und aus innerer Überzeugung
erfüllen. Unter diesem Blickwinkel war sein Fehlverhalten geeignet, seine
Zuverlässigkeit und sein persönliches Ansehen in Frage zu stellen. Je höher ein
Soldat in den Dienstgradgruppen steigt, umso größer sind dann auch die
Anforderungen, die an seine Zuverlässigkeit, sein Pflichtgefühl und sein
Verantwortungsbewusstsein gestellt werden müssen, und umso schwerer wiegt
eine Pflichtverletzung, die er sich zuschulden kommen lässt (vgl. Urteile vom 9.
Juli 1991 - BVerwG 2 WD 41.90 -
254> und vom 24. Juni 1992 - BVerwG 2 WD 62.91 -
NZWehrr 1993, 76 = NVwZ-RR 1993, 91>).
Erschwerend wirkt sich auf den Unrechtsgehalt des Dienstvergehens ferner aus,
dass der Soldat das Nichbefolgen des Befehls zur Teilnahme an der
Informationsveranstaltung nicht nur einmal, sondern wiederholt, nämlich am
Vormittag und Mittag, ankündigte. Zudem erfolgte die Auflehnung gegen den
Befehl nicht nur gegenüber seinem Vorgesetzten, sondern auch vor einer ihm
unterstellten Soldatin. Dieses Fehlverhalten war geeignet, die dienstliche Autorität
seines Vorgesetzten, OFA P., zu mindern.
Andererseits ist zu berücksichtigen, dass der Unrechtsgehalt des Dienstvergehens
dadurch gemindert wird, dass nach den Bekundungen des als Zeugen in der
- 22 -
Berufungshauptverhandlung vernommenen Dienstvorgesetzten OFA P. eine
Nichtteilnahme des Soldaten an der Informationsveranstaltung hätte erlaubt
werden können und dass er eine solche Erlaubnis nach heutigem Stand seiner
Bewertung angesichts der dienstlichen Belastung des Soldaten auch erteilt hätte.
Auch die Verletzung der Gehorsamspflicht wiegt nicht leicht.
bb) Auswirkungen
Zu Lasten des Soldaten fällt ins Gewicht, dass seine Pflichtverletzung nicht nur bei
seinen Kameraden im StOSanZ, sondern auch in der Brigade bekannt geworden
ist, was nicht unerhebliche Auswirkungen für sein persönliches Ansehen und seine
Vorbildfunktion als Vorgesetzter haben konnte. Das Dienstvergehen hatte ferner
Auswirkungen für die Personalplanung des Dienstherrn. Der Soldat wurde
aufgrund der Vorfälle, die Gegenstand dieses gerichtlichen Disziplinarverfahrens
waren, zum 1. März 2002 zum StOSanZ B. R., Außenstelle B. - S. - versetzt und
zum 25. Juni 2002 erfolgte die Kommandierung zur Dienstleistung zum StOSanZ
M. Diese für die Personalplanung und -führung nachteiligen Auswirkungen seines
Dienstvergehens muss sich der Soldat zurechnen lassen (vgl. Urteil vom 2. April
2003 - BVerwG 2 WD 21.02 -
47>).
cc) Maß der Schuld
Der Soldat handelte zwar vorsätzlich.
Allerdings war er nach den vom Senat getroffenen Feststellungen zum Zeitpunkt
seines Fehlverhaltens in seiner Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB
eingeschränkt.
Aufgrund der glaubhaften Einlassung des Soldaten ist davon auszugehen, dass er
zum Tatzeitpunkt und in den Wochen zuvor bei Ausübung seiner ärztlichen
Tätigkeit und auch durch sein Amt als Personalratsvorsitzender hohen dienstlichen
Belastungen ausgesetzt war. Wegen des Ärztemangels im StOSanZ musste er zu
einem großen Teil die anfallende ärztliche Arbeit allein bewältigen. Der von ihm
glaubhaft geschilderte Zustand seiner damaligen psychischen Verfassung, dass
- 23 -
ihm bei Tatbegehung am 4. Februar 2002 die „Sicherungen durchgebrannt“ seien,
weil er sich von OFA P. bei der Patientenversorgung im Stich gelassen fühlte,
entsprach nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen OFA Dr.
B. am Tattag einer akuten psychophysischen Dekompensation in Folge einer
dauernden und im zeitlichen Verlauf zunehmenden Stressbelastung im Sinne
einer Burn-out Symptomatik. Der Sachverständige hat weiter überzeugend
dargelegt, dass der Soldat zu diesem Zeitpunkt gedanklich eingeengt, hochgradig
erregt und überspannt war. Vor diesem Hintergrund ist der Sachverständige zu
der Beurteilung gelangt, dass der Soldat in seiner Fähigkeit, das Unrecht seiner
Handlungsweise im Sinne des § 21 StGB zu erkennen, erheblich beeinträchtigt
war, vor allem auch in seiner Möglichkeit, entsprechende Erkenntnisse in
sinngerichtete Handlungen umzusetzen. Der Senat hat daher dem Soldaten den
Schuldmilderungsgrund des § 21 StGB zugebilligt. Der Senat hat keine
durchgreifenden Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Darlegungen des
Sachverständigen. Dieser verfügt aufgrund seiner Ausbildung und beruflichen
Tätigkeit als Facharzt für Psychiatrie und Nervenheilkunde sowie Leiter der
Abteilung Neurologie und Psychiatrie des Bundeswehrkrankenhauses Ulm über
die erforderliche Sachkunde in diesen Fragen. Seine gutachterlichen Darlegungen
waren in sich schlüssig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei. Anhaltspunkte
dafür, dass etwa sachfremde Erwägungen in die Gutachtenerstattung
eingeflossen wären, sind nicht ersichtlich und auch von den Beteiligten des
Verfahrens in der Berufungshauptverhandlung nicht geltend gemacht worden.
Darüber hinaus lagen Milderungsgründe in den Umständen der Tat vor. Solche
sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 9. März 1995
- BVerwG 2 WD 1.95 - m.w.N., vom
24. Januar 1996 - BVerwG 2 WD 26.95 - , vom 18. Juni
1996 - BVerwG 2 WD 10.96 -
WDO Nr. 15 = NVwZ-RR 1997, 238> m.w.N., vom 18. März 1997 - BVerwG 2 WD
29.95 -
212>, vom 17. Oktober 2002 - BVerwG 2 WD 14.02 -
= NZWehrr 2003, 127> und vom 13. März 2003 - BVerwG 1 WD 4.03 -
235.01 § 38 WDO Nr. 2; insoweit nicht veröffentlicht>) dann gegeben, wenn die
- 24 -
Situation, in der der Soldat versagt hat, von so außergewöhnlichen
Besonderheiten gekennzeichnet war, dass ein an normalen Maßstäben
orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher auch nicht vorausgesetzt
werden konnte. Als solche Besonderheiten sind - unter anderem - ein Handeln in
einer ausweglos erscheinenden unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage, die auf
andere Weise nicht zu beheben war, ein Handeln unter schockartig ausgelöstem
psychischen Zwang oder unter Umständen, die es als unbedachte, im Grunde
persönlichkeitsfremde Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und im Dienst
bewährten Soldaten erscheinen lassen, oder der Umstand, dass sich der Soldat
bei seinem Fehlverhalten unverschuldet einer außergewöhnlichen
situationsgebundenen Erschwernis bei der Erfüllung eines dienstlichen Auftrages
gegenübersah (vgl. dazu u.a. Urteile vom 28. Januar 1999 - BVerwG 2 WD 17.98 -
, vom 6. Mai 2003 -
BVerwG 2 WD 29.02 -
2004, 46; insoweit nicht veröffentlicht> und vom 2. Juli 2003 - BVerwG 2 WD
47.02 - ), anerkannt worden.
Zwar lag hier eine ausweglos erscheinende, unverschuldete wirtschaftliche
Notlage schon deshalb nicht vor, weil der Soldat in geordneten finanziellen
Verhältnissen lebt. Auch Anhaltspunkte dafür, dass er zum Tatzeitpunkt unter
schockartig ausgelöstem psychischen Zwang handelte, fehlen. Ferner liegt auch
der Milderungsgrund einer unbedachten persönlichkeitsfremden Augenblickstat
nicht vor. Denn der Soldat handelte, als er sich gegen den Brigadebefehl
auflehnte, nicht in einem Zustand, in dem er in einer außergewöhnlichen Situation
die rechtlichen und tatsächlichen Folgen seines Verhaltens nicht bedachte.
Obwohl er Gelegenheit hatte, sein Tun zu überdenken, wiederholte er am Mittag
seine Ankündigung, den Befehl nicht auszuführen, zudem noch im Beisein einer
Untergebenen. Von einer unbedachten Augenblickstat kann deshalb nicht die
Rede sein.
Der Senat ist jedoch zu der Überzeugung gelangt, dass das Fehlverhalten in eine
Zeitspanne fiel, in der der Soldat sich damals unverschuldet einer
außergewöhnlichen situationsgebundenen Erschwernis bei der Erfüllung seiner
- 25 -
dienstlichen Aufgaben gegenübersah. Diese für ihn schwierige Situation, die durch
eine starke dienstliche Überforderung geprägt war, war zu seinen Gunsten als auf
die Umstände der Tat bezogener Milderungsgrund („Tatmilderungsgrund“) zu
berücksichtigen (vgl. dazu u.a. Urteil vom 6. Mai 2003 - BVerwG 2 WD 29.02 -
). Nach seiner glaubhaften Einlassung stellte sich das Spannungsfeld, in
welchem er sich damals befand, aus seiner Sicht im Wesentlichen wie folgt dar:
Durch seine Tätigkeit als Truppenarzt und durch die laufende Umstrukturierung
des Sanitätsbereichs sowie die zusätzlichen Verpflichtungen als Mitglied und dann
Vorsitzender des Personalrats war er in hohem Maße gefordert und belastet. Er
stand ständig unter Druck, wenn er im gleichen Gespräch zunächst in seiner
Funktion als Mitglied des Personalrats an dem Leiter des StOSanZ, OFA P., Kritik
üben musste und diesem danach wieder als Dienstvorgesetztem unterstand. Es
wurden immer wieder Klagen über seinen Vorgesetzten an ihn herangetragen, und
er erlebte sich dann häufig in der Rolle als Vermittler oder Schlichter. Dabei
musste er heftige innere Konflikte mit sich selbst ausfechten. Die Situation spitzte
sich mit der Zeit derart zu, dass er kaum noch zur Ruhe kam, „keinerlei
Regenerationszeit“ mehr fand und stützende psychotherapeutische Gespräche
brauchte. Der Soldat fühlte sich - wie der Sachverständige überzeugend dargelegt
hat - nervlich am Ende. Was insbesondere den Tatzeitraum am 4. Februar 2002
angeht, so hatte für den Soldaten der Dienst - als einzig anwesender
behandelnder Arzt - schon am Vorabend, also am Sonntag, begonnen. In
Absprache mit OFA P. wollte er schon sonntagabends die Sprechstunde für sich
bereits krank meldende Soldaten durchführen. Diese Planung ließ sich jedoch nur
in geringem Umfang durchführen, weil offensichtlich Informationen nicht richtig
weitergeleitet wurden. Darüber hinaus kümmerte er sich um Patienten, die im
StOSanZ B. R. für sechs Wochen eine kurähnliche Behandlung absolvierten.
Bereits freitagabends hatte er mit einem depressiven „Kurpatienten“ ein fast
zweistündiges Gespräch geführt, was ihn emotional sehr stark berührte. Er war
das ganze Wochende über dienstlich sehr angespannt, während die meisten
Angehörigen der Sanitätsgruppe, darunter auch OFA P., sich zu dieser Zeit zu
einer Winterkampfausbildung auf der Reiteralpe befanden. Am Montagmorgen sah
sich dann der Soldat, obwohl aufgrund der Fortbildungsveranstaltung auf der
Reiteralpe ein personeller Engpass bei der Patientenversorgung bestand, mit einer
- 26 -
Vielzahl von Patienten - annähernd 100 - konfrontiert. Sein Vorgesetzter hatte ihm
vor Aufbruch zur Winterkampfausbildung zwar versprochen, am Montagvormittag
mitzubehandeln, stand jedoch nicht zur Verfügung. Um ca. 7.00 Uhr begann der
Soldat mit der Sprechstunde; gegen 8.30 Uhr herrschte immer noch ein sehr
großer Patientenandrang. Der Soldat war frustriert und verärgert, weil so wenige
Patienten von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hatten, bereits sonntagabends
zu erscheinen. Bis gegen 10.00 Uhr hatte er noch ca. 35 ambulante Patienten im
Wartebereich. Zu diesem Zeitpunkt erhielt er die Mitteilung seines Vorgesetzten,
er solle entsprechend dem Brigadebefehl an der Abendveranstaltung mit
allgemeinmilitärischem Weiterbildungscharakter teilnehmen. Als OFA P. dann
gegen 11.30 Uhr zu dem Soldaten ins Dienstzimmer kam, warteten noch etwa 15
ambulante Patienten auf Behandlung, außerdem waren auf der Station etwa 20
Patienten medizinisch zu betreuen, darunter ein Patient mit noch unklaren
Unterbauchbeschwerden. OFA P. half bei der Behandlung der Patienten nicht
unmittelbar mit, sondern ging zunächst zum Mittagessen, bevor er einige
Patienten selbst untersuchte und Visite machte. Der Senat hat keine
Anhaltspunkte, feststellen können, aus denen sich insoweit Zweifel an der
inhaltlichen Richtigkeit der Einlassung des Soldaten ergeben könnten, zumal sie
der Sache nach von dem Zeugen OFA P. bestätigt worden ist.
Der Senat hat daher bezüglich des Fehlverhaltens des Soldaten am Vormittag
bzw. Mittag des 4. Februar 2002 den Tatmilderungsgrund der „unverschuldeten
außergewöhnlichen situationsgebundenen Erschwernis bei der Erfüllung eines
dienstlichen Auftrages“ als gegeben erachtet.
Darüber hinaus sind konkrete Anhaltspunkte für ein den Soldaten teilweise
entlastendes Mitverschulden von Vorgesetzten - hier im Hinblick auf eine nicht
hinreichende Wahrnehmung der Dienstaufsicht (vgl. dazu Urteile vom 19.
September 2001 - BVerwG 2 WD 9.01 -
RR 2002, 514, insoweit nicht veröffentlicht>, vom 17. Oktober 2002 - BVerwG 2
WD 14.02 - , vom 13.
März 2003 - BVerwG 2 WD 4.03 - und vom 17. September 2003 -
BVerwG 2 WD 49.02 -) - erkennbar geworden, was sich ebenfalls tatmildernd
- 27 -
zugunsten des Soldaten auswirken musste. Mangelnde Dienstaufsicht kann als
Ursache einer dienstlichen Verfehlung bei der Bemessung der
Disziplinarmaßnahme dann mildernd berücksichtigt werden, wenn
Kontrollmaßnahmen durch Vorgesetzte aufgrund besonderer Umstände
unerlässlich waren und pflichtwidrig unterlassen wurden. In einem solchen Fall
kann dem Soldaten eine Minderung der Eigenverantwortung zugebilligt werden
(vgl. Urteile vom 19. September 1985 - BVerwG 2 WD 63.84 -
[57]> und vom 21. Mai 1996 - BVerwG 2 WD 22.95 -
Hier ist dem Dienstherrn bzw. dem Disziplinarvorgesetzten des Soldaten
ersichtlich ein dienstaufsichtliches Versäumnis vorzuwerfen. Der Leiter des
StOSanZ B. R. hat trotz der damals infolge hohen Patientenaufkommens ganz
erheblichen beruflichen Dauerbelastung des Soldaten und dessen in dieser Zeit
offenkundig gewordenen Selbstüberforderung, die im Wesentlichen auf
mangelnde gleichmäßige Verteilung ärztlicher Belastungen durch die „Führung“ (s.
hierzu die Stellungnahme des Kommandeurs der GebJgBrig ... vom 5. März 2002
„zum Verhalten des Stabsarztes ... am 4.2.2002“) und ständige Unterbesetzung
des StOSanZ mit Ärzten zurückzuführen war, keine Abhilfe geschaffen und auch
keinen erkennbaren nachdrücklichen Versuch in dieser Richtung unternommen.
Für ihn war am 4. Februar 2002 ohne weiteres ersichtlich, dass hier aufgrund der
hohen Arbeitsbelastung, die der Soldat bewältigen musste, ein hilfreiches
Eingreifen geboten war. Er hätte deshalb allen Anlass gehabt, dafür zu sorgen,
dass der Soldat an diesem Tag mit der ärztlichen Patientenbehandlung nicht allein
gelassen, sondern für ihn rechtzeitig eine wirksame - ärztliche - Entlastung bei der
Patientenversorgung geschaffen wurde. Eine solche Entlastung hätte am
Vormittag auch durch den Disziplinarvorgesetzten selbst - unabhängig von der
tatsächlichen Gestaltung des Dienstplanes -, spätestens nach seiner vor 9.30 Uhr
erfolgten Rückkehr von der Reiteralpe, erfolgen können. Auch wenn durch die
mangelnde Dienstaufsicht nicht die Eigenverantwortung des Soldaten für sein
Fehlverhalten in Frage gestellt wird, hätte jedoch nach Überzeugung des Senats
bei rechtzeitigem und nachdrücklichem Einschreiten des Disziplinarvorgesetzten
die außerordentlich hohe berufliche Belastung am 4. Februar 2002, seine
Stresssituation an diesem Tage und damit wichtige Mit-Ursachen für das
Fehlverhalten des Soldaten vermieden werden können.
- 28 -
Darüber hinaus hat der Senat den - vermeidbaren - Verbotsirrtum des Soldaten
hinsichtlich des Gehorsamsverstoßes nach den Grundsätzen des § 17 Satz 2
StGB maßnahmemildernd berücksichtigt, da insoweit das Maß der Schuld deutlich
gemindert war.
dd) Bisherige Führung, Persönlichkeit
Für den Soldaten sprechen auch Milderungsgründe in seiner Person. Er ist bisher
weder strafrechtlich noch disziplinar in Erscheinung getreten. Zudem erhielt er
eine förmliche Anerkennung wegen vorbildlicher Pflichterfüllung sowie eine
Leistungsprämie. Zu seinen Gunsten ist auch zu berücksichtigen, dass er über
Jahre hinweg überdurchschnittliche dienstliche Leistungen erbrachte und, wie aus
der Sonderbeurteilung vom 25. September 2003 hervorgeht, ein in hohem Maße
engagierter Arzt ist. Der Kommandeur der GebJgBrig ... hebt in seiner
Stellungnahme vom 5. März 2002 hervor, dass der Soldat ein äußerst engagierter,
pflichtbewusster Truppenarzt sei, der sich in sehr professioneller und fürsorglicher
Weise für die ihm anvertrauten Soldaten einsetze, dabei aber auch die
berechtigten Belange des Dienstherrn im Auge behalte. Seiner Initiative und
seinem Engagement sei es zu danken, dass viele Soldaten nicht „krank zu Hause“
geschrieben, sondern stationär aufgenommen würden. Dieses Vorgehen führe
dazu, die wirklich Not leidenden Patienten optimal zu behandeln, was allerdings
erhebliche zusätzliche Arbeit bedeute. Der Soldat habe es sich nicht leicht
gemacht. Der derzeitige Disziplinarvorgesetzte des Soldaten, OFA Dr. M., ist mit
den Leistungen des Soldaten sehr zufrieden, stuft ihn im Vergleich zu anderen
Truppenärzten im oberen Drittel ein und sieht Qualitäten des Soldaten im Umgang
mit dem Personal. Für den Soldaten spricht weiter, dass er glaubhaft Einsicht in
sein Fehlverhalten und Reue zeigt.
ee) Soweit der Verteidiger darauf abhebt, gerichtliche Disziplinarmaßnahmen
seien schon deshalb nicht mehr erforderlich und angezeigt, weil der Soldat bereits
400 € bei Einstellung des entsprechenden Strafverfahrens gezahlt habe, ist
allerdings
grundsätzlich darauf hinzuweisen, dass Strafverfahren und
Disziplinarverfahren unterschiedliche Zwecke verfolgen. Das Wehrdisziplinarrecht
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ist Dienstordnungsrecht; es sichert die Aufrechterhaltung eines geordneten
Dienstbetriebes, dient somit der Aufrechterhaltung der inneren Ordnung der
Streitkräfte und der Verwirklichung ihres verfassungsmäßigen Auftrages (vgl.
Urteil vom 5. Juni 1985 - BVerwG 2 WD 3.85 -). Sein Zweck liegt nicht - wie im
Strafrecht - darin, gegen einen Soldaten Sanktionen zu verhängen, um ihn für
begangenes Unrecht zu bestrafen.
Bei der Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände des Falles,
insbesondere in Würdigung des Schuldmilderungsgrundes des § 21 StGB und des
Vorliegens der dargestellten Milderungsgründe, hielt der Senat ein
Beförderungsverbot für unverhältnismäßig und nicht erforderlich. Eine Kürzung der
Dienstbezüge (§ 59 WDO) ist der Maßnahmeart nach ausreichend und
angemessen. Hierbei war aber das Verhängungsverbot des § 16 Abs. 1 Nr. 2
WDO zu beachten. Danach kann eine Kürzung der Dienstbezüge - neben der hier
gegen eine Geldauflage von 400 € erfolgten Einstellung des Strafverfahrens
gemäß § 153 a Abs. 1 Satz 5 StPO - nur verhängt werden, wenn dies zusätzlich
erforderlich ist, um die militärische Ordnung aufrecht zu erhalten, oder wenn durch
das Fehlverhalten das Ansehen der Bundeswehr ernsthaft beeinträchtigt worden
ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Was die Aufrechterhaltung der
militärischen Ordnung anbelangt, so ist zu beachten, dass selbst eine Störung der
militärischen Ordnung durch das Fehlverhalten allein nicht genügt. Es kommt
vielmehr stets darauf an, ob die militärische Ordnung ohne zusätzliche
Disziplinarmaßnahme nicht aufrechterhalten werden kann oder ob die
Unterlassung einer zusätzlichen Maßregelung die militärische Ordnung
mindestens gefährden würde. Nur unter diesen Voraussetzungen ist eine
zusätzliche Maßnahme „erforderlich“ (Urteil vom 26. Juni 1974 - BVerwG 2 WD
49.73 - ). Danach ist eine zusätzliche Ahndung des Soldaten
im Hinblick auf seine Persönlichkeit, der für ihn eingetretenen Folgen und auch
deshalb nicht „erforderlich“, weil die Berufungshauptverhandlung ergeben hat,
dass er aufgrund der vorliegenden Beurteilungen das volle Vertrauen seiner
früheren und jetzigen Disziplinarvorgesetzten besitzt. Dem Soldaten kann aber
auch nicht zur Last gelegt werden, dass durch sein Fehlverhalten das Ansehen
der Bundeswehr ernsthaft beeinträchtigt wurde. Der Nachweis, dass zu Lasten der
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Bundeswehr, nämlich zu Lasten ihres guten Rufs bei außenstehenden Personen,
eine Ansehensschädigung tatsächlich eingetreten ist, und zwar eine konkrete
Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr, konnte im vorliegenden Fall
nicht geführt werden.
Das Verfahren war daher nach § 108 Abs. 3 Satz 1 WDO einzustellen.
4. Da das Verfahren eingestellt wurde, waren die Kosten des Verfahrens gemäß §
138 Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 WDO dem Bund aufzuerlegen, der auch die dem
Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen gemäß § 140 Abs. 1 WDO zu
tragen hat.
Prof. Dr. Pietzner
Prof. Dr. Widmaier
Dr. Deiseroth