Urteil des BVerwG vom 11.06.2015

Soldat, Kompetenz, Pflicht zur Dienstleistung, Dienstverhältnis

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 12.14
TDG N 2 VL 5/14
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
Herrn Oberfeldwebel …,
…,
…,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 11. Juni 2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
ehrenamtlicher Richter Oberstleutnant Wallbaum und
ehrenamtlicher Richter Oberfeldwebel Pfennings,
Regierungsdirektor …
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwältin …
als Pflichtverteidigerin,
Geschäftsstellenverwalterin …
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 2 -
Die Berufung des Soldaten gegen das Urteil der 2. Kam-
mer des Truppendienstgerichts Nord vom 28. Mai 2014
wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der
ihm darin erwachsenen notwendigen Auslagen werden
dem Soldaten auferlegt.
G r ü n d e :
I
Der 28 Jahre alte Soldat absolvierte nach dem Hauptschulabschluss eine Aus-
bildung zur Fachkraft für Lagerlogistik. Mit Wirkung vom 1. Februar 2009 wurde
er in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Seine Dienstzeit
wurde auf zwölf Jahre verlängert. Der Soldat wurde zuletzt mit Wirkung vom
1. Oktober 2012 zum Oberfeldwebel befördert. Sein Antrag auf Übernahme in
das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten blieb ohne Erfolg. Nach einer Ver-
wendung als Transportfeldwebel und Gruppenführer bei der 4./… in D. wurde er
aufgrund einer Organisationsänderung zum 1. August 2013 zum … in K. auf
einen Dienstposten als Transportfeldwebel und Schirrmeister versetzt. Im Feb-
ruar 2014 wurde der Soldat zur …staffel D., … R., zunächst kommandiert und
zum 1. April 2014 versetzt.
Die planmäßige Beurteilung vom 26. März 2013 bewertete die Aufgabenerfül-
lung auf dem Dienstposten im Schnitt mit "5,9". Der beurteilende Vorgesetzte
beschrieb den Soldaten als guten und soliden Unteroffizier mit Portepee, des-
sen Stärken im Bereich seiner Fachkenntnisse im Gefahrgutwesen lägen. Seine
Fähigkeiten im Bereich der allgemeinen Kenntnisse des Transportwesens seien
noch optimierungsfähig. Hier müsse er sich nach der Fachausbildung noch zu-
sätzliche Kenntnisse aneignen. Er habe Kontinuität bei der Entwicklung seiner
Leistungen und Fähigkeiten gezeigt und könne mittlerweile mit sehr guten Ar-
beitsergebnissen überzeugen. Im Persönlichkeitsprofil wurde die funktionale
Kompetenz als "stärker ausgeprägt" und "bestimmendes Merkmal" gewertet.
Gleichfalls "stärker ausgeprägt" sei die geistige Kompetenz, während die kon-
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zeptionelle Kompetenz und die Kompetenz in Menschenführung "ausgeprägt",
die soziale Kompetenz "weniger ausgeprägt" seien. Dies erläuternd wurde er
als fachlich kompetent, ruhig, gelassen und zurückhaltend beschrieben. Als
Vorgesetzter müsse der Soldat noch zu einer größeren Selbstsicherheit finden
und lernen, seine Entscheidungen noch stärker gegenüber Vorgesetzten und
Untergebenen vertreten zu können. Dennoch sei es ihm als jungem Oberfeld-
webel gelungen, den Zugführer erfolgreich über ein gutes dreiviertel Jahr zu
vertreten. Gemessen an seiner Erfahrung sei er dabei zu ansprechenden Er-
gebnissen gekommen, auch wenn es für seine persönliche Entwicklung vorteil-
hafter gewesen wäre, noch über einen längeren Zeitraum von den Erfahrungen
eines gestandenen Zugführers profitieren zu können. Er sei bereit, zusätzliche
Verantwortung zu übernehmen, kameradschaftlich loyal und belastbar. Der
Kompaniechef sah ihn für Lehrverwendungen "außergewöhnlich gut geeignet",
für Führungsverwendungen "besonders gut geeignet" und für Stabsverwendun-
gen "gut geeignet".
Der nächst höhere Vorgesetzte ergänzte, Oberfeldwebel … sei ein grundsolider
Transportgruppenführer, der über sehr gute theoretische Fachkenntnisse verfü-
ge, die er in der Gefahrgutausbildung auch umsetzen könne. Im täglichen
Dienst sei es ihm aber nicht immer gelungen, dieses Fachwissen auch gezielt in
die Praxis umzusetzen. Obwohl im Beurteilungszeitraum eine spürbare Leis-
tungssteigerung noch nicht eindeutig wahrnehmbar sei, seien positive Ansätze
gut erkennbar. Der Bataillonskommandeur sah eine Entwicklungsprognose bis
zur allgemeinen Laufbahnperspektive.
Die Sonderbeurteilung vom 19. August 2014 beurteilte die Aufgabenerfüllung
auf dem Dienstposten im Schnitt mit "6,22". Die Stärken des Soldaten lägen in
seiner Teamfähigkeit. Er agiere eigenständig, binde Vorgesetzte aber in ange-
messener Weise ein. Die ihm unterstellten Soldaten und zivilen Mitarbeiter
brächten ihm ein großes Maß an Vertrauen entgegen. Er pflege einen koopera-
tiven Führungsstil, ohne dabei die nötige Durchsetzungsfähigkeit vermissen zu
lassen. Im Persönlichkeitsprofil wurde die Kompetenz in Menschenführung als
"stärker ausgeprägt" und "bestimmendes Merkmal" gewertet. Gleichfalls "stär-
ker ausgeprägt" sei die funktionale Kompetenz, während die geistige und die
soziale Kompetenz "ausgeprägt", die konzeptionelle Kompetenz "weniger aus-
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geprägt" seien. Der Soldat lege ein sehr ordentliches Berufsverständnis an den
Tag. Im Kameradenkreis sei er geschätzt und sehr gut integriert. Er pflege ei-
nen kooperativen Führungsstil und habe ein kameradschaftliches Miteinander
und eine hohe Motivation bei seinen unterstellten Soldaten und zivilen Mitarbei-
tern etabliert. Er sei durchsetzungsfähig, verfüge über eine ausgeprägte soziale
Kompetenz und sei kritikfähig. Er habe in den letzten Monaten eine positive
Entwicklung gezeigt, der Dienst in der Truppe mache ihm erkennbar Freude
und er überzeuge mit einer positiven Dienstauffassung. Der Soldat habe trotz
für ihn negativer Nachrichten nicht in seinem Elan nachgelassen, sondern als
Zugführer zuverlässig und loyal seinen Dienst versehen. Er solle bis zur allge-
meinen Laufbahnperspektive gefördert werden. Der beurteilende Vorgesetzte
sah den Soldaten für Führungsverwendungen "besonders gut geeignet" sowie
für Stabs- und Lehrverwendungen "geeignet".
Der nächsthöhere Vorgesetzte stimmte der Beurteilung zu. Er beschrieb den
Soldaten als engagiert, leistungswillig und -fähig und hob dessen soziale Kom-
petenz und Fähigkeit zur Menschenführung hervor. Auch er empfahl eine För-
derung bis zur allgemeinen Laufbahnperspektive.
In ihrer mit Einverständnis der Beteiligten in der Berufungshauptverhandlung
verlesenen schriftlichen Stellungnahme vom 21. April 2015 hat die frühere Dis-
ziplinarvorgesetzte, Hauptmann Z., erläutert, der Soldat habe seine Tätigkeit als
Leiter des …dienstes gewissenhaft, akribisch, engagiert und mit erkennbarer
Freude verrichtet. Bereits kurze Zeit nach seiner Übernahme dieser Tätigkeit
hätten sich Bedarfsträger am Standort lobend über ihn geäußert. Auch nach
dem Urteil des Truppendienstgerichts habe er seinen Dienst tadellos und mit
gleichem Engagement verrichtet. Als Staffelchefin sei sie mit seinen Leistungen
sehr zufrieden gewesen.
In der Berufungshauptverhandlung hat der frühere Disziplinarvorgesetzte des
Soldaten, Hauptmann M., ausgeführt, er kenne den Soldaten seit Anfang 2014
und sei mit den Leistungen des Soldaten zunächst sehr zufrieden gewesen.
Dieser habe versucht, sich von seiner besten Seite zu zeigen und anfangs eine
sehr positive Entwicklung genommen. Der Soldat sei auch gegenüber Unterge-
benen sehr offen mit seinem Fehlverhalten umgegangen. Er sei menschlich
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sehr gut mit dem Personal am Standort zurecht gekommen. Das positive Bild
des Soldaten in der vom Zeugen verfassten Sonderbeurteilung habe sich in der
Folgezeit daher bestätigt. Gegen Ende 2014 habe der Soldat in seinen Leistun-
gen aber wieder nachgelassen. Der Zeuge habe Anfang 2015 einen strengen
Verweis verhängt, weil der Soldat nicht zu einer von ihm angeordneten Schu-
lung gegangen sei, obwohl der Zeuge ihm dies mehrfach befohlen habe. Das
Ansehen des Soldaten im Kameradenkreis sei unterschiedlich. Mit einigen Ka-
meraden käme er gut zurecht, mit anderen gebe es Animositäten. Der Zeuge
sehe den Soldaten nach dem Nachlassen von dessen Leistungen im mittleren
Drittel der Vergleichsgruppe.
Seit dem 1. April 2015 ist Oberleutnant T. Disziplinarvorgesetzte des Soldaten.
Sie hat in der Berufungshauptverhandlung erläutert, der Soldat erscheine
pünktlich zu seiner Arbeit und verrichtete diese ordentlich. Er leiste weder Her-
ausragendes, noch sei er schlecht. Seine Leistungen seien durchschnittlich und
lägen eher am unteren Rand des mittleren Drittels der Vergleichsgruppe. Bei
Kameraden und Untergebenen sei er nach ihrem Eindruck anerkannt. Er ver-
traue sich diesen auch an.
Der Auszug aus dem Disziplinarbuch vom 4. Mai 2015 verweist auf die zu dem
Anschuldigungspunkt 1 sachgleiche Verhängung einer Geldstrafe in Höhe von
30 Tagessätzen zu je 50 € durch Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 23. Mai
2014 wegen eigenmächtiger Abwesenheit und die Verhängung eines strengen
Verweises am 14. Januar 2015 wegen der Nichtbefolgung eines Befehls. Die
Auskunft aus dem Zentralregister vom 4. Mai 2015 enthält ebenfalls den Hin-
weis auf die seit dem 23. Mai 2014 rechtskräftige Verhängung einer Geldstrafe
durch das Amtsgericht K. am 6. Mai 2014.
Der Soldat ist ledig und kinderlos. Nach Auskunft des Bundesverwaltungsamtes
erhält er laufende Bezüge in Höhe von 2 709,88 € brutto. Unter Berücksichti-
gung der gesetzlichen Abzüge werden ihm tatsächlich 2 002,51 € ausgezahlt. In
der Berufungshauptverhandlung hat der Soldat ergänzend ausgeführt, dass
seine wirtschaftlichen Verhältnisse wieder geordnet seien. Er habe keine
Schulden und die Geldstrafe mittlerweile beglichen.
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II
1. Das Verfahren ist nach Anhörung des Soldaten mit zeitgleich ausgehändigter
Verfügung des Kommandeurs … vom 7. Januar 2014, eingeleitet worden. Eine
Vertrauensperson wurde nicht angehört, weil zum Zeitpunkt der Einleitung noch
keine Personalratswahlen am Standort K. durchgeführt waren.
Nach Gewährung des Schlussgehörs am 12. Februar 2014 hat die Wehrdiszi-
plinaranwaltschaft dem Soldaten mit Anschuldigungsschrift vom 17. Februar
2014, zugestellt am 20. März 2014, folgenden Sachverhalt als vorsätzliches
Dienstvergehen zur Last gelegt:
"1.) Der Soldat erschien im Zeitraum beginnend ab
05. November 2013 nicht zur Kernarbeitszeit um
08.30 Uhr zum Dienst in seiner Einheit …, … in … K.
und blieb dieser bis zu seiner Rückkehr am 16. Dezem-
ber 2013 zur Kernarbeitszeit ab 08.30 Uhr unerlaubt fern.
2.) Überdies teilte der Soldat zur Verschleierung seiner
Abwesenheit
a. an einem nicht mehr bestimmbaren Tag in der 48. Ka-
lenderwoche 2013 von seiner Privatwohnung in … H.
aus oder von anderswo telefonisch dem Oberstabsfeld-
webel … K., Angehöriger des …, in … K. wahrheitswidrig
mit, er würde laufend Anwendungen bzgl. Rehabilitati-
onsmaßnahmen aufgrund einer bei ihm erfolgten Band-
scheibenoperation erhalten,
b. ferner am29. November 2013 dem Dezernatsleiter …,
Oberstleutnant … L., anlässlich eines Krankenbesuchs in
seiner Privatwohnung in … H. wahrheitswidrig mit, er sei
operationsbedingt weiterhin krankgeschrieben und würde
weitere rehabilitationsbedingte Anwendungen wahrneh-
men,
c. sowie am 03. Dezember 2013 von seiner Privatwoh-
nung in … H. aus oder von anderswo telefonisch dem
Kompaniefeldwebel des Stabszuges des … in … K.,
Hauptfeldwebel … P., wahrheitswidrig mit, dass er immer
noch operationsbedingt krankgeschrieben sei und zum
Arzt für eine Nachuntersuchung gehen wolle."
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2. Durch Beschluss vom 7. April 2014 wurde Rechtsanwalt Dr. B. gemäß § 90
Die 2. Kammer des Truppendienstgerichts Nord hat den Soldaten mit Urteil vom
28. Mai 2014 wegen eines Dienstvergehens aus dem Dienstverhältnis entfernt.
Der Soldat habe am 1. August 2013 seinen Dienst im … angetreten und sei
durch den Dezernatsleiter Oberstleutnant i.G. L. in seine Aufgaben eingewiesen
worden. Da er aber in der Folgezeit wiederholt länger urlaubs- und nach einem
Unfall krankheitsbedingt abwesend gewesen sei, sei seine Eingliederung in das
Team schwierig gewesen, zumal dem praktisch veranlagten Soldaten die eher
theoretischen neuen Aufgaben nicht gelegen hätten. Der Soldat habe nach ei-
niger Zeit seine Unterkunft am Standort K. aufgegeben und sei täglich 300 km
nach R. gependelt. Er habe sich in K. unwohl und nicht ausgelastet gefühlt. Als
er darüber mit einem Vorgesetzten gesprochen habe, sei die Möglichkeit einer
Versetzung nach R. für ihn gefunden worden, er habe sich aber noch vorher
entschlossen, keinen Dienst mehr zu leisten und sei diesem ab dem 5. Novem-
ber 2013 ferngeblieben. Dem Angestellten H. habe er wahrheitswidrig mitgeteilt,
er falle wegen einer Bandscheibenoperation für längere Zeit aus. Er habe aber
keinen Krankenmeldeschein vorgelegt und auch keinen Kontakt zu seinem Dis-
ziplinarvorgesetzten aufgenommen. Als Gründe für sein Verhalten habe er den
Tod eines nicht von ihm stammenden Kindes seiner früheren Verlobten im Ok-
tober 2012 und belastende Erbschaftsstreitigkeiten nach dem Tod seines Va-
ters vor zehn Jahren angegeben. Zudem sei er sich in K. überflüssig vorge-
kommen, da sich niemand um seine Rückkehr gekümmert habe. Ihm sei be-
wusst gewesen, dass er zur Rückkehr verpflichtet gewesen wäre, habe dies
aber verdrängt. Am 16. Dezember 2013 sei er in seine Dienststelle zurückge-
kehrt, habe aber auf Aufforderung keine ärztlichen Empfehlungen zu seinem
Krankheitsstatus vorlegen können und seine wahrheitswidrigen Angaben einge-
räumt.
Während seiner Abwesenheit habe der Soldat zwischen dem 25. und dem
29. November 2013 telefonisch gegenüber Oberstabsfeldwebel K. wahrheits-
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widrig angegeben, er sei wegen eines Bandscheibenschadens noch in Behand-
lung. Dem Zeugen L. habe er bei einem Besuch des Zeugen in der Wohnung
des Soldaten am 29. November 2013 wahrheitswidrig erläutert, er sei operati-
onsbedingt weiter krankgeschrieben und nehme Anwendungen wahr. Dies ha-
be er auch in einem den Besuch vorbereitenden Telefonat angegeben. Am 3.
Dezember 2013 habe er dem Kompaniefeldwebel, Hauptfeldwebel P., telefo-
nisch wahrheitswidrig gesagt, er sei operationsbedingt krankgeschrieben und
werde wegen einer Nachuntersuchung zum Arzt gehen.
Der Soldat habe durch das unerlaubte Fernbleiben von seiner Dienststelle sei-
ne Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG) und durch die wahrheitswidrigen Anga-
ben gegenüber den Zeugen K., L. und P. die Wahrheitspflicht (§ 13 SG) ver-
letzt. Alle Pflichtverletzungen verletzten zudem auch die Wohlverhaltenspflicht
aus § 17 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. SG. Der Soldat habe vorsätzlich gehandelt.
Das Dienstvergehen, dessen Schwerpunkt im unerlaubten Fernbleiben liege,
wiege außerordentlich schwer. Der Soldat habe im Kernbereich seiner Dienst-
pflichten versagt. Seine Pflichtverletzung berühre die Wurzeln der militärischen
Ordnung und die Funktionsfähigkeit der Truppe und erschüttere die Grundlagen
des Dienstverhältnisses. Ein Verstoß eines Vorgesetzten gegen seine Dienst-
leistungspflicht beeinträchtige das Vertrauen seiner Vorgesetzten in ihn und
seine Autorität bei seinen Untergebenen, denen er ein denkbar schlechtes Bei-
spiel gebe. Bei länger dauernder eigenmächtiger Abwesenheit, von der ab ei-
nem Zeitraum von elf Tagen auszugehen sei, sei regelmäßig auf Entfernung
aus dem Dienstverhältnis zu erkennen. Hier sei der Soldat 41 Tage und damit
eine längere Zeit ferngeblieben. Erschwerend trete die Wahrheitspflichtverlet-
zung hinzu. Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen sei daher die Entfer-
nung aus dem Dienstverhältnis. Auf der zweiten Stufe der Bemessung ergäben
sich keine Umstände, die das Dienstvergehen in einem milderen Licht erschei-
nen ließen. Es handele sich nicht um einen minderschweren Fall. Klassische
Milderungsgründe in den Umständen der Tat lägen nicht vor. Es habe sich nicht
um ein spontanes, einmaliges, persönlichkeitsfremdes Versagen eines sonst
untadeligen und bewährten Soldaten gehandelt. Der Soldat habe auch nicht in
einer psychischen Ausnahmesituation versagt. Nichts deute auf ein Handeln in
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einer unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage hin. Eine Milderung werde auch
nicht durch eine mangelhafte Dienstaufsicht gerechtfertigt. Zugunsten des Sol-
daten seien seine ordentlichen dienstlichen Leistungen zu berücksichtigen, die
aber den Vertrauensverlust nicht aufwögen. Der Soldat habe die Anforderungen
an ihn als Oberfeldwebel, der als Vorgesetzter in Haltung und Pflichterfüllung
ein Beispiel geben müsse, so schwer enttäuscht, dass eine Fortsetzung des
Dienstverhältnisses dem Dienstherrn nicht mehr zumutbar sei.
3. Gegen das ihm am 3. Juli 2014 zugestellte Urteil hat der Soldat am 31. Juli
2014 durch einen Wahlverteidiger unbeschränkt Berufung eingelegt.
Die Sachverhaltsdarstellung sei teilweise unzutreffend. Der Soldat sei nicht
Fachkraft für Lagertechnik, sondern Fachkraft für Lagerlogistik. Er habe in R.
kein eigenes Aufgabengebiet gehabt, in das er sich hätte einfinden können. Ihm
sei auch nicht bekannt gewesen, dass bereits vor seinem Fernbleiben ein Ver-
setzungsantrag nach R. gestellt worden sei. In R. habe der Soldat nur sinnent-
leerte Tätigkeiten - Kaffee kochen, zwei Powerpoint-Präsentationen überarbei-
ten und Fahraufträge überprüfen - wahrnehmen können. Es sei für ihn erniedri-
gend gewesen, die Fahrstrecke von R. nach K. und zurück zurücklegen zu
müssen, ohne am Dienstort etwas Produktives leisten zu können. Er habe zum
Zeugen L. ein schlechtes Verhältnis gehabt. Dieser sei ihm gegenüber vorein-
genommen gewesen und habe schon die Begrüßung durch ihn in K. falsch ge-
schildert. Eigene Aufgaben seien ihm nicht übertragen worden, er habe die
Aufgaben eines Praktikanten erfüllt. Im Falle einer Krankmeldung sei zwar der
Dienststelle ein Krankenmeldeschein vorzulegen, der Disziplinarvorgesetzte sei
aber nicht zu kontaktieren und von ihm auch keine Genehmigung einzuholen
gewesen, dem Dienst fernzubleiben. Einziger Ansprechpartner in K. sei der An-
gestellte H. gewesen. Es treffe zwar zu, dass der Zeuge L. ihn am 29. Novem-
ber 2013 in seiner Wohnung aufgesucht habe. Er habe sich aber gar nicht nach
seinem Gesundheitszustand erkundigt und nur die Versetzungsunterlagen nach
R. ausgehändigt, was die schlechte Beziehung dokumentiere. Ein Gespräch
über die Krankschreibung und weitere nachoperative Anwendungen habe es
bei dieser Gelegenheit nicht gegeben.
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Die Maßnahmebemessung sei fehlerhaft, weil ihr eine unzutreffende Feststel-
lung der Pflichtverletzungen zugrunde liege. Wahrheitswidrige Behauptungen
seien nur gegenüber den Zeugen K. und P., nicht aber gegenüber dem Zeugen
L. gefallen. Den Schwerpunkt dieses Vorwurfes mache aber die wahrheitswidri-
ge Angabe gegenüber dem Zeugen L. aus, weil dieser den höchsten Dienst-
grad innehabe. Der Soldat habe zwar falsch gehandelt, sei aber diensttreu und
zuverlässig. Dass es keine Zweifel an seiner Person gebe, könnten seine aktu-
ellen Dienstvorgesetzten bekunden. Die Maßnahme sei auch wegen der man-
gelhaften Dienstaufsicht durch den Zeugen L. zu mildern. Die Entfernung aus
dem Dienstverhältnis sei wegen ihrer Folgen für den Soldaten keine angemes-
sene Maßnahme. Das Fernbleiben habe auch nicht 41 Tage gedauert, da hier
die Wochenenden mitgezählt worden seien. Die vom Truppendienstgericht her-
angezogenen Urteile des Bundesverwaltungsgerichts beträfen keine vergleich-
baren Sachverhalte. Der Soldat habe keine spezielle Funktion gehabt, so dass
er auch keine signifikante Vorbildfunktion als Vorgesetzter gehabt habe.
Nach Anhörung der Beteiligten ist die Bestellung von Rechtsanwalt Dr. B. zum
Pflichtverteidiger des Soldaten für das Berufungsverfahrens gemäß § 91 WDO,
§ 143 StPO mit Beschluss vom 10. Oktober 2014 zurückgenommen worden,
weil der Soldat einen anderen Verteidiger mandatiert hat. Nachdem der Soldat
in der Berufungshauptverhandlung seinem Wahlverteidiger das Mandat entzo-
gen hatte, ist ihm mit seinem Einverständnis die ursprünglich aufgrund einer
Untervollmacht seines Wahlverteidigers erschienene Rechtsanwältin Riemer
gemäß § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO beigeordnet worden.
III
Die gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und Absatz 2 WDO form-
und fristgerecht eingelegte und damit zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Rechtsmittel ist in vollem Umfang eingelegt worden. Der Senat hat daher
im Rahmen der Anschuldigung eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen,
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diese rechtlich zu würdigen und über die angemessene Disziplinarmaßnahme
zu befinden.
1. Den Sachverhalt, der Gegenstand der Urteilsfindung ist, bestimmt die An-
schuldigungsschrift auch hinsichtlich des Schuldvorwurfes mit der im Interesse
einer effektiven Verteidigung gegen den Vorwurf gebotenen Klarheit (vgl. zu
den Anforderungen: BVerwG, Beschluss vom 11. Februar 2009 - 2 WD
4.08 - BVerwGE 133, 129 <131 ff.>). Der in Anschuldigungspunkt 2 verwendete
Begriff der Mitteilung erfasst hiernach hinreichend deutlich jede Form der Kom-
munikation von Informationsinhalten, auch soweit sie sich für den Gesprächs-
partner aus den konkreten Worten und dem Verhalten des Soldaten vor dem
Hintergrund der bereits zuvor an seine Dienststelle übermittelten Informationen
ergeben. Vorgeworfen wird dem Soldaten in allen Unterpunkten des Anschuldi-
gungspunktes nicht ein bestimmter Wortlaut der unwahren Aussagen, sondern
dass er in den im Einzelnen geschilderten Kommunikationssituationen wahr-
heitswidrig zum Ausdruck gebracht habe, nach einem angeblichen Bandschei-
benvorfall fortwährend erkrankt und wegen noch ausstehender Behandlungen
weiterhin krankgeschrieben zu sein.
2. Zur Überzeugung des Senats steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme
in der Berufungshauptverhandlung folgender Sachverhalt fest:
a) Der Soldat ist zwischen dem 5. November 2013 und dem 16. Dezember
2013 nicht an seinem Dienstort erschienen, obwohl er weder erkrankt war, Ur-
laub oder eine anderweitige Erlaubnis zum Fernbleiben hatte. Das Bestehen
der Pflicht, zum Dienst zu erscheinen, war ihm dabei bekannt.
Dies hat der Soldat in der Berufungshauptverhandlung ebenso wie in der
Hauptverhandlung vor dem Truppendienstgericht ausdrücklich auch hinsichtlich
des in Rede stehenden zeitlichen Rahmens zugestanden. Er hat seine Motiva-
tion erläutert und damit detaillierte Angaben gemacht, die über ein bloßes For-
malgeständnis hinausgehen. Anlass zu weiteren Aufklärungen bestand daher
nicht.
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b) aa) Der Soldat hat in einem Telefonat mit dem Oberstabsfeldwebel K. zwi-
schen dem 25. und dem 29. November 2013 bewusst wahrheitswidrig angege-
ben, er sei wegen einer Bandscheibenoperation krankgeschrieben und könne
deshalb nicht zum Dienst erscheinen. Auch in einem weiteren Telefonat mit
dem Hauptfeldwebel P. am 3. Dezember 2013 hat er bewusst wahrheitswidrig
angegeben, er sei nach der Operation immer noch krankgeschrieben und müs-
se noch einen Arzttermin absolvieren. Durch die Falschangaben wollte er je-
weils die Aufdeckung des Fehlverhaltens verhindern.
Dass diese Teilvorwürfe des Anschuldigungspunktes 2, die Unterpunkte a und
c, den Tatsachen entsprechen, hat der Soldat in der Berufungshauptverhand-
lung wie auch beim Truppendienstgericht eingeräumt. Die Berufungsbegrün-
dung gesteht ebenfalls ausdrücklich zu, dass in diesen Telefonaten unwahre
Angaben über eine fortbestehende gesundheitliche Beeinträchtigung und noch
ausstehende weitere Behandlungen gemacht wurden. Daher hat der Senat kei-
ne Zweifel an der Richtigkeit der entsprechenden Schilderungen der Anschuldi-
gungsschrift.
c) Zur Überzeugung des Senates steht schließlich fest, dass der Soldat dem
Zeugen Oberstleutnant i.G. L. anlässlich eines Besuches des Zeugen in der
Wohnung des Soldaten am 29. November 2013 in der Absicht, sein Fehlverhal-
ten zu verschleiern, bewusst wahrheitswidrig berichtet hatte, er müsse noch
einen weiteren Arzttermin absolvieren, bevor er wieder in den Dienst zurück-
kehren könne. Da der Zeuge zuvor bereits erfahren hatte, dass der Soldat sich
wegen eines Bandscheibenvorfalles krank gemeldet und eine Krankschreibung
behauptet hatte, suggerierte der Soldat durch den Hinweis auf den noch aus-
stehenden Arzttermin bewusst wahrheitswidrig das Fortbestehen einer Krank-
schreibung bis zu der Überprüfung des Genesungsfortschrittes durch den Arzt
und machte dies, wie er erkannt hatte, auch zum Gegenstand seiner Mitteilung.
Die Überzeugung des Senats stützt sich auf die glaubhafte Aussage des Zeu-
gen L. Dieser hat in der Berufungshauptverhandlung ausgeführt, den Soldaten
nach einer telefonischen Terminabstimmung am 29. November 2013 einen Be-
such in dessen Privatwohnung abgestattet zu haben. Er selbst wohne nicht weit
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entfernt und habe nach dem Soldaten sehen wollen. Der Zeuge habe von Ka-
meraden zuvor erfahren, dass der Soldat einen Bandscheibenvorfall erlitten
habe. Er habe ihm außerdem bei dieser Gelegenheit Unterlagen über die Ver-
setzung nach R. ausgehändigt. Der Soldat selbst habe ihn bei diesem Besuch
informiert, dass er noch einen ausstehenden Arzttermin habe, bevor er in den
Dienst zurückkehren könne. Dies habe der Zeuge zum Anlass genommen, den
Soldaten darauf hinzuweisen, dass er einen Bandscheibenvorfall nicht auf die
leichte Schulter nehmen dürfe, und ihm empfohlen, vor allem die Frage der
Reisefähigkeit und die Möglichkeit der Fahrt zur Dienststelle mit dem eigenen
Kfz mit dem Arzt noch zu klären. Er wisse nämlich aus eigenem Erleben im
Familienkreis, wie vorsichtig man nach einem Bandscheibenvorfall sein müsse
und wie sehr man auch in einfachsten Verrichtungen eingeschränkt sei.
Der Senat hat keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen L. Dieser hat
die damalige Gesprächssituation in der Berufungshauptverhandlung detailreich
geschildert. Seine Angaben im Laufe des Verfahrens weisen keine erheblichen
Widersprüche oder Brüche auf. Die Schilderung war nachvollziehbar und nach
der Gesamtsituation stimmig. Es entspricht allgemeinüblichen Gepflogenheiten
der Höflichkeit und der Kameradschaft, einen erkrankten Kameraden bei einem
Besuch, selbst wenn dieser Besuch auch oder gar in erster Linie der Aushändi-
gung von Versetzungsunterlagen dient, nach dem Befinden zu fragen. Dass der
Zeuge dem Soldaten gegenüber elementare Gebote der Mitmenschlichkeit und
Höflichkeit außer Acht gelassen haben könnte, erscheint dem Senat nach sei-
nem Eindruck des Zeugen in der Berufungshauptverhandlung nicht vorstellbar.
Der Senat konnte keine Voreingenommenheit des Zeugen dem Soldaten ge-
genüber oder gar Belastungseifer erkennen. Der Zeuge hat zudem plausibel
und nachvollziehbar mit Erlebnissen aus dem Familienkreis erläutert, wieso er
den Hinweis des Soldaten auf den Arzttermin aufgriff und wie er auf diesen rea-
gierte.
Durch diese glaubhafte Zeugenaussage ist das Bestreiten des Anschuldi-
gungspunktes 2 b durch den Soldaten zur Überzeugung des Senates widerlegt.
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Zwar hat der Soldat in der Berufungsbegründung und in der Berufungshaupt-
verhandlung in Abrede gestellt, mit dem Zeugen L. anlässlich dessen Besuchs
er am 29. November 2013 über seinen Gesundheitszustand gesprochen zu ha-
ben. Diese Frage sei bei der Gelegenheit gar nicht berührt worden. Der Besuch
habe lediglich der Aushändigung der Versetzungsunterlagen gedient. Seine
Aussage war aber bereits deshalb nicht glaubhaft, weil er in seinen Verneh-
mungen durch die Disziplinarvorgesetzte und durch den Wehrdisziplinaranwalt
jeweils andere Angaben gemacht hatte und die Widersprüche auf Vorhalt in der
Berufungshauptverhandlung nicht nachvollziehbar aufklären konnte. In seiner
Vernehmung vom 17. Dezember 2013 hatte der Soldat der Disziplinarvorge-
setzten gegenüber eingeräumt, er habe dem Zeugen L. gesagt, er sei noch
krank und müsse am 2. Dezember 2013 wieder zum Arzt. Auch in seiner Ver-
nehmung am 23. Dezember 2013 hat er angegeben, dem Zeugen L. gegenüber
seinen Krankheitsstatus angesprochen zu haben, auch wenn er sich an seine
genauen Worte nicht mehr erinnern könne.
Der Senat ist überzeugt, dass der Soldat auch erkannte, dass er dem Zeugen
gegenüber sinngemäß mitteilte, er sei wegen des Bandscheibenvorfalles wei-
terhin krankgeschrieben. Denn dass ein Gesprächspartner, der nach einem
Hinweis auf einen ausstehenden Arzttermin die langwierigen gesundheitlichen
Beeinträchtigungen einer derartigen Erkrankung anspricht und zur Vorsicht
mahnt, genau diesen Schluss gezogen hat, drängt sich auf. Der Senat hat kei-
nen Grund anzunehmen, der sich in der Berufungshauptverhandlung kommuni-
kativ gewandt und intelligent darstellende Soldat habe einen sich aufdrängen-
den Schluss nicht gezogen. Ebenso wenig gibt es Anlass zu bezweifeln, dass
der Soldat wie schon bei den von ihm eingeräumten Falschangaben in Täu-
schungsabsicht gehandelt hat.
3. Damit hat der Soldat vorsätzlich ein Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 SG
begangen.
Die in § 7 SG normierte allgemeine Pflicht zum "treuen Dienen" umfasst im
elementaren Kernbereich die Pflicht zur Anwesenheit und Erbringung einer
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Dienstleistung. Da der Soldat in Kenntnis seiner Möglichkeit und Verpflichtung
Dienst zu leisten, mithin wissentlich und willentlich dem Dienst ferngeblieben ist,
ist diese Pflicht vorsätzlich verletzt. Zudem schließt § 7 SG auch die Verpflich-
tung zur Loyalität gegenüber der geltenden Rechtsordnung, vor allem die Be-
achtung der Strafgesetze, ein (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Juni
2009 - 2 WD 7.08 - juris Rn. 33 und vom 1. Februar 2012 - 2 WD
1.11 - Rn. 50 ff.). Gegen diese Loyalitätspflicht hat der Soldat verstoßen, weil er
nach den Feststellungen des Senats aufgrund eigenen Entschlusses und damit
eigenmächtig ohne Erlaubnis seines Disziplinarvorgesetzten mehr als drei Tage
wissentlich und willentlich seinem Dienst ferngeblieben ist und damit vorsätzlich
eine Wehrstraftat nach § 15 Abs. 1 WStG begangen hat.
Durch die drei bewusst wahrheitswidrigen Mitteilungen gegenüber Oberstabs-
feldwebel K., Hauptfeldwebel P. und Oberstleutnant i.G. L. hat der Soldat wis-
sentlich und willentlich falsche Angaben zu den Gründen seines Fernbleibens
vom Dienst und damit in einer dienstlichen Angelegenheit getätigt und somit
jeweils vorsätzlich die Pflicht, in dienstlichen Angelegenheiten die Wahrheit zu
sagen (§ 13 SG), verletzt.
Jeder Verstoß eines Soldaten gegen eine gesetzliche Dienstpflicht, die dem
§ 17 SG vorangestellt ist, enthält einen Verstoß gegen § 17 Abs. 2 Satz 1 SG,
wenn dem festgestellten Verhalten unabhängig von anderen Pflichtverstößen
die Eignung zur Ansehensminderung innewohnt. Die Achtungs- und die Ver-
trauenswürdigkeit eines Soldaten können durch sein Verhalten schon dann
Schaden nehmen, wenn dieses Zweifel an seiner Zuverlässigkeit weckt oder
seine Eignung für die jeweilige Verwendung in Frage stellt. Für die Feststellung
eines Verstoßes gegen diese Vorschrift kommt es nicht darauf an, ob eine An-
sehensschädigung im konkreten Fall tatsächlich eingetreten ist. Es reicht viel-
mehr aus, dass das Verhalten des Soldaten geeignet war, eine ansehensschä-
digende Wirkung auszulösen (vgl. BVerwG, Urteile vom 22. Januar
1997 - 2 WD 24.96 - BVerwGE 113, 48, <54>, vom 13. Januar 2011 - 2 WD
20.09 - juris Rn. 27 m.w.N. und vom 4. Mai 2011 - 2 WD 2.10 - juris Rn. 29).
Diese Voraussetzungen sind hier sowohl durch die unerlaubte Abwesenheit als
35
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- 16 -
auch die mehrfachen Falschangaben zu seinen Gründen erfüllt. Auch dies ge-
schah aus den genannten Gründen vorsätzlich.
4. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs
wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen.
Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen
Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten ("Wiederherstel-
lung und Sicherung der Integrität, des Ansehens und der Disziplin in der Bun-
deswehr", vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 11. Juni 2008 - 2 WD 11.07 - Buchholz
450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26 Rn. 23 m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinar-
maßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwe-
re des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die
Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu
berücksichtigen.
aa) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Un-
rechtsgehalt der Verfehlungen, d.h. nach der Bedeutung der verletzten Dienst-
pflichten. Danach wiegt das Dienstvergehen außerordentlich schwer.
Das Schwergewicht der Verfehlung liegt in der Verletzung der Pflicht zum treu-
en Dienen (§ 7 SG). Sie gehört zu den zentralen Pflichten eines Soldaten, de-
ren Verletzung von erheblicher Bedeutung ist. Der besondere Unrechtsgehalt
des Dienstvergehens folgt daraus, dass der Soldat nicht nur gegen seine solda-
tische Pflicht zur Dienstleistung, sondern auch gegen seine Pflicht zur Loyalität
gegenüber der Rechtsordnung, vor allem der Beachtung der Strafgesetze, in
erheblichem Umfang verstoßen und kriminelles Unrecht im Sinne von § 15
Abs. 1 WStG begangen hat. Ein Soldat, der der Truppe unerlaubt fernbleibt,
versagt im Kernbereich seiner Dienstpflichten. Die Bundeswehr kann die ihr
obliegenden Aufgaben nur dann hinreichend erfüllen, wenn nicht nur das innere
Gefüge der Streitkräfte so gestaltet ist, dass sie ihren militärischen Aufgaben
gewachsen ist, sondern auch ihre Angehörigen im erforderlichen Maße jeder-
zeit präsent und einsatzbereit sind. Der Dienstherr muss sich darauf verlassen
können, dass jeder Soldat seinen Pflichten zur Verwirklichung des Verfas-
sungsauftrages der Bundeswehr nachkommt und alles unterlässt, was dessen
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- 17 -
konkreter Wahrnehmung zuwiderläuft. Dazu gehören insbesondere die Pflich-
ten zur Anwesenheit und gewissenhaften Dienstleistung (vgl. BVerwG, Urteile
vom 26. Januar 2006 - 2 WD 2.05 - Buchholz 449 § 7 SG Nr. 50 S. 1 und vom
4. Mai 2011 - 2 WD 2.10 - juris Rn. 27). Die Verletzung der Pflicht zur militäri-
schen Dienstleistung berührt nicht nur die Einsatzbereitschaft der Truppe, sie
erschüttert auch die Grundlagen des Dienstverhältnisses selbst (vgl. BVerwG,
Urteil vom 4. September 2009 - 2 WD 17.08 - BVerwGE 134, 379 Leitsatz).
Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sind auch durch die Verletzungen
der dienstlichen Wahrheitspflicht (§ 13 Abs. 1 SG) gekennzeichnet (vgl. dazu
insb. BVerwG, Urteil vom 31. Mai 2011 - 2 WD 4.10 - Buchholz 450.2 § 58
WDO Nr. 6 Rn. 23). Ein Soldat, der gegenüber Vorgesetzten und Dienststellen
der Bundeswehr in dienstlichen Angelegenheiten unwahre Erklärungen abgibt,
büßt hierdurch allgemein seine Glaubwürdigkeit ein. Die Bedeutung der Wahr-
heitspflicht (§ 13 Abs. 1 SG) kommt schon darin zum Ausdruck, dass
se - anders als z.B. bei Beamten - für Soldaten gesetzlich ausdrücklich geregelt
ist. Eine militärische Einheit kann nicht ordnungsgemäß geführt werden, wenn
sich die Führung und die Vorgesetzten nicht auf die Richtigkeit abgegebener
Meldungen, Erklärungen und Aussagen Untergebener verlassen können. Denn
auf ihrer Grundlage müssen im Frieden und erst recht im Einsatzfall gegebe-
nenfalls Entschlüsse von erheblicher Tragweite gefasst werden (stRspr, vgl.
u.a. BVerwG, Urteil vom 11. Juni 2008 - BVerwG 2 WD 11.07 - Buchholz 450.2
§ 38 WDO 2002 Nr. 26 Rn. 27). Wer als Soldat in dienstlichen Äußerungen und
Erklärungen vorsätzlich unrichtige Angaben macht, lässt unmissverständlich
erkennen, dass seine Bereitschaft zur Erfüllung der Wahrheitspflicht nicht im
gebotenen Umfang vorhanden ist. Eine solche Dienstpflichtverletzung und die
daraus folgende Beschädigung seiner persönlichen Integrität haben damit er-
hebliche Bedeutung für die militärische Verwendungsfähigkeit eines Soldaten
(vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 31. Mai 2011 - 2 WD 4.10 - Buchholz 450.2 § 58
WDO Nr. 6 Rn. 23. m.w.N.).
Hierfür kommt es entgegen der Einschätzung der Berufungsbegründung nicht
darauf an, welchen Dienstgrad der Adressat der unwahren Angaben hat. Die
Pflichtverletzung gegenüber Oberstleutnant i.G. L. wiegt nicht schwerer als die
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- 18 -
Wahrheitspflichtverletzungen gegenüber den Feldwebeldienstgraden und bildet
auch nicht den Schwerpunkt des Anschuldigungspunktes 2.
Auch die Verletzung der Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhal-
ten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) wiegt schwer. Die Pflicht zur Wahrung von Achtung
und Vertrauen ist kein Selbstzweck, sondern hat funktionalen Bezug zur Erfül-
lung des grundgesetzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und zur Gewährleis-
tung des militärischen Dienstbetriebs. Ein Soldat, insbesondere - wie hier - ein
Vorgesetzter, bedarf der Achtung seiner Kameraden und Untergebenen sowie
des Vertrauens seiner Vorgesetzten, um seine Aufgaben so zu erfüllen, dass
der gesamte Ablauf des militärischen Dienstes gewährleistet ist. Dabei kommt
es nicht darauf an, ob eine Beeinträchtigung der Achtungs- und Vertrauenswür-
digkeit tatsächlich eingetreten ist, sondern nur darauf, ob das festgestellte Ver-
halten dazu geeignet war (stRspr, BVerwG, Urteile vom 13. Januar
2011 - 2 WD 20.09 - juris Rn. 27 m.w.N. und vom 4. Mai 2011 - 2 WD
2.10 - juris Rn. 29). Dies war hier der Fall.
Eigenart und Schwere des Dienstvergehens werden hier des Weiteren dadurch
bestimmt, dass der Soldat aufgrund seines Dienstgrades als Oberfeldwebel in
einem Vorgesetztenverhältnis stand (§ 1 Abs. 3 Sätze 1 und 2 SG i.V.m. § 4
Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 VorgV). Soldaten in Vorgesetztenstellung obliegt eine hö-
here Verantwortung für die Wahrung dienstlicher Interessen. Wegen seiner
herausgehobenen Stellung ist ein Vorgesetzter in besonderem Maße für die
ordnungsgemäße Erfüllung seiner Dienstpflichten verantwortlich und unterliegt
damit im Falle einer Pflichtverletzung einer verschärften Haftung, da Vorgesetz-
te in ihrer Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben sollen (§ 10 Abs. 1
SG). Dabei ist nicht erforderlich, dass es der Soldat bei seinem Fehlverhalten
innerhalb eines konkreten Vorgesetztenverhältnisses an Beispielhaftigkeit hat
fehlen lassen. Es reicht das Innehaben einer Vorgesetztenstellung aufgrund
des Dienstgrades aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Juni 2009 - 2 WD
7.08 - Rn. 53 m.w.N., vom 13. Januar 2011 - 2 WD 20.09 - juris Rn. 28 und vom
4. Mai 2011 - 2 WD 2.10 - juris Rn. 30). Daher kommt es nicht darauf an, ob der
Soldat eine mit Vorgesetztenaufgaben ausgestattete spezielle Funktion hatte.
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bb) Das Dienstvergehen hatte nachteilige Auswirkungen für den Dienstbetrieb,
weil dem Dienstherrn über den Zeitraum des Fernbleibens des Soldaten dessen
Dienstleistung trotz der Fortzahlung der Bezüge nicht zur Verfügung stand.
Obwohl das Dienstvergehen im Kameradenkreis bekannt geworden ist, hat dies
nach den Aussagen der Disziplinarvorgesetzten in der Berufungshauptverhand-
lung allerdings nicht zu weiteren Störungen der Betriebsabläufe oder zu einer
Zunahme disziplinarer Probleme geführt.
cc) Die Beweggründe des Soldaten sprechen nicht für ihn. Nach seinen Anga-
ben in der Berufungshauptverhandlung hat er aus Frustration über die für ihn
unbefriedigende dienstliche Situation und unter dem Eindruck familiärer Belas-
tungen gehandelt. Der Dienstherr kann aber erwarten, dass ein Soldat trotz Un-
zufriedenheit über sein dienstliches Umfeld und privater Sorgen elementare
Kernpflichten erfüllt. Der Soldat hat eigennützig gehandelt, weil er private Ange-
legenheiten über dienstliche Interessen stellt.
dd) Das Maß der Schuld des uneingeschränkt schuldfähigen Soldaten wird vor
allem dadurch bestimmt, dass er vorsätzlich gehandelt hat.
Milderungsgründe in den Umständen der Tat, die die Schuld des Soldaten min-
dern könnten (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 23. September 2008 - 2 WD
18.07 - UA Rn. 59 m.w.N.), liegen nicht vor.
aaa) Das eigenmächtige Fernbleiben vom Dienst stellt schon wegen seines
Dauercharakters keine einmalige, persönlichkeitsfremde Augenblickstat eines
ansonsten tadelfreien und im Dienst bewährten Soldaten dar. Die unwahren
Angaben über die Gründe desselben wertet der Senat wegen der mehrfachen
Wiederholung nicht als persönlichkeitsfremdes Verhalten.
bbb) Ein Mitverschulden von Vorgesetzten in der Form einer mangelhaften
Dienstaufsicht liegt schon deshalb nicht vor, weil der Soldat keines hilfreichen
Eingreifens seiner Dienstaufsicht bedurft hätte, um zu erkennen, dass er zur
Dienstleistung und damit zum Erscheinen am Dienstort verpflichtet ist und über
die Gründe eines Fernbleibens keine unwahren Angaben machen darf. Dieser
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Milderungsgrund steht einem Soldaten nämlich nur dann zur Seite, wenn er der
Dienstaufsicht bedarf, z.B. in einer Überforderungssituation, die ein hilfreiches
Eingreifen des Vorgesetzten erforderlich macht (vgl. BVerwG, Urteile vom
13. März 2003 - 1 WD 4.03 - Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 2 S. 10 und
vom 13. Januar 2011 - 2 WD 20.09 - juris Rn. 37).
Es gibt zudem entgegen dem Vortrag der Berufungsbegründung kein schuld-
haftes Verhalten von Dienst- oder Fachvorgesetzten, das für das Versagen mit-
kausal geworden wäre. Vielmehr sind ausreichende Bemühungen unternom-
men worden, um dem Soldaten eine Einarbeitung in das für ihn neue Aufgaben-
feld der Stabsarbeit bzw. den Wechsel auf einen seinen Neigungen und Talen-
ten entsprechenden anderen Dienstposten zu ermöglichen.
Die Zeugin Hauptmann H. hat in der Berufungshauptverhandlung erläutert, sie
habe Ende August/Anfang September 2013 ein Einführungsgespräch mit dem
Soldaten geführt. Sie habe in dieser Zeit viele Einführungsgespräche geführt,
weil das Zentrum sich im Aufbau befunden habe und sehr viele Soldaten neu
zuversetzt worden seien. Sie habe ihm erläutert, dass er mit Sorgen und Prob-
lemen jederzeit auch zu ihr kommen könne. Sie sei aber nur für allgemein mili-
tärische Fragen zuständig, während spezifisch fachliche Fragen über die Abtei-
lungen laufen würden. Sie habe den Soldaten nach konkreten Problemen ge-
fragt. Diese Frage habe er aber verneint. Er habe durchaus gesagt, dass der
Dienstposten für ihn neu sei und ihm Stabsarbeit wohl nicht liege. Dies sei aber
noch kein Anlass zum Tätigwerden für sie gewesen.
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Der Zeuge L. hat in der Berufungshauptverhandlung das Einführungsgespräch
mit dem Soldaten und den Ablauf der Einarbeitungsphase nach der Zuverset-
zung eines neuen Mitarbeiters geschildert. Hiernach hat er den Soldaten in ei-
nem Einführungsgespräch in der Abteilung begrüßt. Er habe sich dem Soldaten
vorgestellt und auch ihn nach seinem Werdegang gefragt, um sich ein Bild von
dem Soldaten machen zu können. Er habe ihm die Aufgaben des Zentrums
allgemein erläutert und ihn darauf hingewiesen, dass seine Tür für den Solda-
ten bei Problemen immer offen stehe. Das gesamte Aufgabenfeld seines
Dienstpostens habe er mit dem Soldaten noch nicht besprochen, da dieser erst
durch eine Einarbeitungsphase Stück für Stück an die Aufgaben herangeführt
werden müsse. Es sei in der Stabsarbeit nicht ungewöhnlich, dass neu zuver-
setzte Soldaten die notwendigen Kenntnisse noch gar nicht besäßen und erst
ausgebildet werden müssten. Jeder neu zum Zentrum versetzte Soldat müsse
zunächst einige Tage lang einen "Laufzettel" mit organisatorischen Punkten
abarbeiten und werde dann in individuell unterschiedlicher Zeit eingearbeitet,
indem ihm zunächst nur einzelne, leichte Aufgaben übertragen würden. Der
Soldat habe dem Stellvertreter des Zeugen, Oberstleutnant B., gegenüber sehr
bald signalisiert, dass ihm die Stabsarbeit nicht liege. Man habe seinen Wech-
selwunsch dann unterstützt und für ihn sehr schnell eine Möglichkeit zur Ver-
setzung nach R. gefunden.
Der Senat hat keine Zweifel an der Richtigkeit der detaillierten, widerspruchs-
freien und ohne Belastungseifer vorgetragenen, daher glaubhaften Schilderun-
gen der Zeugen H. und L.
Hiernach sind Versäumnisse der Dienst- oder Fachaufsicht in der Wahrneh-
mung von Fürsorgepflichten nicht erkennbar.
Hauptmann H. hatte nach dem Einführungsgespräch weder Grund daran zu
zweifeln, dass der Soldat nach einer Einarbeitung durch die Fachabteilung die
für die Stabsarbeit notwendigen Kenntnisse erwerben und ohne unzumutbare
Erschwernisse seine Dienstpflichten erfüllen könnte, noch hatte sie Anlass zu
vermuten, der Soldat würde sich durch eine vorgetäuschte Krankheit seinen
Dienstpflichten entziehen.
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Oberstleutnant i.G. L. hatte nicht nur hinreichende Voraussetzungen dafür ge-
schaffen, dass der Soldat an seine neuen Aufgaben herangeführt werden konn-
te, er ist seinen Fürsorgepflichten auch durch den ungewöhnlich schnell ermög-
lichten Dienstpostenwechsel des Soldaten nachgekommen. Der Soldat ist nach
seiner Versetzung nach K. unstreitig unterbrochen von Erholungsurlaub und
Krankheitstagen nur 29 Tage an seinem Dienstort anwesend gewesen. Damit
befand er sich nach der Abarbeitung des "Laufzettels" in der Einarbeitungspha-
se, die bei ihm nachvollziehbar schon deshalb länger dauern musste, weil die
Arbeit an dieser Dienststelle weder seiner bisherigen Ausbildung noch seinen
Neigungen entsprach. Dass ihm in dieser Zeit nur wenige leichte Aufgaben
übertragen worden waren, war aus Fürsorgegründen geboten.
Ein Mitverschulden von Vorgesetzten in der Form unterbliebener oder verspäte-
ter Krankenbesuche oder unterbliebener Nachfragen nach seinem Verbleiben
und Befinden liegt hier entgegen den Ausführungen der Berufungsbegründung
fern. Wer - wie der Soldat hier - eine Erkrankung vortäuscht, handelt treuwidrig,
wenn er auch noch das Fehlen von Krankenbesuchen seines Fachvorgesetzten
oder intensiverer Erkundigungen nach seiner nicht vorhandenen Krankheit mo-
niert. Hier haben verschiedene Kameraden nach der angeblichen Erkrankung
des Soldaten Kontakt mit ihm aufgenommen, nach der Fortdauer seiner Er-
krankung gefragt und um Übersendung von Nachweisen gebeten. Damit ist al-
les getan, was von der Dienstaufsicht erwartet werden kann. Dass man ihm bei
mehr detektivischem Spürsinn von Vorgesetzten auch eher auf die Schliche
hätte kommen können, lässt die Verfehlung des Soldaten nicht in einem milde-
ren Licht erscheinen.
ccc) Der Soldat hat auch nicht in einer seelischen Ausnahmesituation versagt
(vgl. zu diesem Milderungsgrund z.B. BVerwG, Urteil vom 16. Oktober
2002 - 2 WD 23.01, 32.02 - BVerwGE 117, 117 <124> m.w.N.). Die Belastungs-
faktoren, auf die sich der Soldat vorliegend beruft, begründen keine außerge-
wöhnlichen Besonderheiten seiner Situation zum Zeitpunkt der vorgeworfenen
Handlungen. Diese Umstände erreichen keinen so hohen Grad an Zuspitzung,
dass ein normgemäßes Verhalten kaum noch erwartet werden kann (BVerwG,
Urteil vom 8. Mai 2014 - 2 WD 10.13 - UA Rn. 78). Dies gilt sowohl für die Um-
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stände aus seinem privaten Umfeld als auch für die von ihm behaupteten Be-
lastungsfaktoren aus dem dienstlichen Bereich.
Die von dem Soldaten vorgetragenen belastenden Erlebnisse aus dem sozialen
Umfeld liegen nach seinen in der Berufungshauptverhandlung auf Nachfrage
bestätigten Angaben längere Zeit zurück: der Tod seines Vaters ca. zehn Jahre,
der Beginn der Erbschaftsstreitigkeiten zwischen seiner Mutter und seinem
Bruder ca. zwei Jahre, der Tod des Kindes seiner ehemaligen Verlobten und
die Trennung von dieser ca. ein Jahr. Vor dem Fehlverhalten war er zur Dienst-
leistung trotz dieser Erlebnisse ohne Weiteres in der Lage. Er hatte nach der
Trennung von seiner Verlobten auch nach eigenen Angaben bereits eine neue
Freundin gefunden. Der Senat glaubt ihm daher nicht, dass ihn die genannten
Erlebnisse, mögen sie bei ihrem Eintritt auch niederdrückend gewirkt haben,
zum Zeitpunkt der Pflichtverletzungen noch erheblich beeinträchtigten.
Dies gilt auch für die von ihm angeführten dienstlichen Belastungen. Auf dem
Dienstposten, auf dem es zu den Pflichtverletzungen kam, war er vor seinem
Fehlverhalten wegen Urlaubszeiten und Erkrankungen bzw. der Folgen eines
Unfalles nur kurze Zeit anwesend gewesen. Die theoretischen Anforderungen
der Stabsarbeit entsprachen unstreitig nicht seinem bisherigen Einsatz und sei-
ner eher praktischen Veranlagung, sodass eine Einarbeitungsphase, in der ihm
schon aus Fürsorgegründen weniger und leichtere Aufgaben zu übertragen wa-
ren, notwendig war. Ihm waren auch nach eigenen Angaben einzelne Aufgaben
(Überarbeitung von Power-Point-Präsentationen und die Überprüfung von
Fahraufträgen) übertragen worden. Dass er selbst diese Tätigkeiten nicht für
sinnvoll hielt und sie nicht seinen Neigungen entsprachen, begründet keine
schwere psychische Belastung. Von einem Soldaten muss erwartet werden,
dass er die ihm übertragenen Aufgaben auch dann erfüllt, wenn er der Ein-
schätzung seiner Vorgesetzten zum Sinn der Aufgabe nicht folgen kann (vgl.
BVerwG, Urteil vom 12. Februar 2015 - 2 WD 2.14 - UA Rn. 43).
ee) Im Hinblick auf die Zumessungskriterien "Persönlichkeit" und "bisherige
Führung" sind dem Soldaten seine vor dem Fehlverhalten ordentlichen Leistun-
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gen und auch die guten Leistungen nach dem Vorfall bis Ende 2014, die vor
allem die Zeugen Z. und M. bekundet haben, zugute zu halten.
Eine Nachbewährung kann der Senat allerdings nicht feststellen, weil im Laufe
des anhängigen Verfahrens ein strenger Verweis gegen den Soldaten wegen
eines Ungehorsams verhängt wurde. Eine Nachbewährung setzt nicht nur eine
Steigerung der Leistungen in fachlicher Hinsicht voraus. Zusätzlich ist erforder-
lich, dass der Soldat sich während des Verfahrens in jeder Hinsicht ohne Anlass
zu Beanstandungen durch seine Vorgesetzten führt. Denn von einer Nachbe-
währung kann nur dann gesprochen werden, wenn durch das Gesamtverhalten
des Soldaten im Laufe des gerichtlichen Disziplinarverfahrens deutlich wird,
dass das Verfahren selbst nachhaltig pflichtenmahnend auf den Soldaten wirkt
und dieser unter dem Eindruck des Verfahrens durch seine dienstliche Führung
in jeder Hinsicht dokumentiert, dass er die durch die Dienstpflichtverletzungen
begründeten Zweifel an seiner charakterlichen Integrität und fachlichen Eignung
durch besonders korrekte Pflichterfüllung ausräumen will (BVerwG, Urteil vom
29. November 2012 - 2 WD 10.12 - juris Rn. 48). Außerdem zeigt die Leis-
tungskurve des Soldaten seit Ende des Jahres 2014 nach den glaubhaften Be-
kundungen der Zeugen M. und T. auch wieder nach unten.
Für den Soldaten spricht die fehlende disziplinäre und strafrechtliche Vorbelas-
tung, auch wenn diesem Umstand kein großes Gewicht zukommt, da er hiermit
nur die Mindesterwartungen seines Dienstherrn pflichtgemäß erfüllt, aber keine
Leistung erbringt, die ihn aus dem Kreis der Kameraden heraushebt.
Der Senat hält dem Soldaten zugute, dass er sich ganz überwiegend von An-
fang an geständig eingelassen und Reue bekundet hat.
ff) Bei der Gesamtwürdigung aller vorgenannten be- und entlastenden Umstän-
de ist im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die
Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts die Entfernung aus dem Dienstver-
hältnis gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 5 WDO tat- und schuldangemessen. Denn ange-
sichts des Gewichts der Pflichtverletzung ist dem Dienstherrn die Fortsetzung
des Dienstverhältnisses nicht mehr zumutbar.
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Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in sei-
ner gefestigten Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar
2010 - 2 WD 9.09 - juris Rn. 35 ff.) von einem zweistufigen Prüfungsschema
aus:
handlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen
Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regel-
maßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als "Ausgangspunkt der Zu-
messungserwägungen".
Für Fälle des (vorsätzlichen) eigenmächtigen Fernbleibens eines Soldaten von
der Truppe ist aus spezial- und generalpräventiven Gründen bei kürzerer uner-
laubter Abwesenheit nach der Rechtsprechung des Senats Ausgangspunkt der
Zumessungserwägungen grundsätzlich eine Dienstgradherabsetzung, gegebe-
nenfalls bis in den Mannschaftsdienstgrad; bei länger dauernder, wiederholter
eigenmächtiger Abwesenheit oder Fahnenflucht ist das Dienstvergehen so
schwerwiegend, dass es regelmäßig die Entfernung aus dem Dienstverhältnis
oder den Ausspruch der sonst gebotenen Höchstmaßnahme indiziert (vgl.
BVerwG, Urteile vom 4. September 2009 - 2 WD 17.08 - Buchholz 450.2 § 13
WDO 2002 Nr. 1 S. 9 m.w.N. und vom 25. Oktober 2012 - 2 WD 32.11 - juris
Rn. 40 ff.).
Von einer Entfernung aus dem Dienstverhältnis als Ausgangspunkt der Zumes-
sungserwägungen auszugehen, setzt voraus, dass durch das in Rede stehende
Dienstvergehen regelmäßig die Vertrauensgrundlage zwischen dem Dienst-
herrn und dem Soldaten unheilbar zerstört ist und dem Dienstherrn deshalb die
Fortsetzung des Dienstverhältnisses grundsätzlich nicht mehr zugemutet wer-
den kann. Wird ein solches Gewicht des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst
allein aus seiner Dauer abgeleitet, dann muss diese für einen objektiven Be-
obachter den äußeren Anschein begründen, der Soldat habe sich innerlich vom
Dienstherrn und seinen Dienstpflichten gelöst. In diesem Fall indiziert nämlich
die reine Dauer des Fernbleibens eine Haltung eines Soldaten, die der die
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Strafbarkeit als Fahnenflucht begründenden Absicht an Schwere gleichkommt
und deshalb auch in gleicher Weise das Vertrauen in die Zuverlässigkeit und
Integrität eines Soldaten zerstört (BVerwG, Urteil vom 12. Februar 2015 - 2 WD
2.14 - UA Rn. 55).
Wer über einen Zeitraum von fast sechs Wochen dem Dienst fernbleibt, indiziert
damit eine innere Abkehr vom Dienstherrn, der diesem die Fortsetzung des
Dienstverhältnisses in aller Regel unzumutbar macht. Damit ist bereits wegen
der Verfehlungen nach dem Anschuldigungspunkt 1 die Entfernung aus dem
Dienstverhältnis Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen.
bbb) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im Hinblick
auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die Zweckset-
zung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die die Möglichkeit einer
Milderung oder die Notwendigkeit einer Verschärfung gegenüber der auf der
ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme eröffnen. Dabei ist vor al-
lem angesichts der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie dessen
Auswirkungen zu klären, ob es sich im Hinblick auf die be- und entlastenden
Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften
Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedri-
gerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungs-
erwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach "oben" bzw. nach
"unten" zu modifizieren. Zusätzlich sind die gesetzlich normierten Bemessungs-
kriterien für die Bestimmung der konkreten Sanktion zu gewichten, wenn die
Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet,
dem Wehrdienstgericht einen Spielraum eröffnet.
Je schwerer das Dienstvergehen wiegt, desto gewichtiger müssen auch die
Milderungsgründe sein, die es erlauben, von der im Ausgangspunkt der Zu-
messungserwägungen vorgesehenen Regelmaßnahme abzusehen (vgl.
BVerwG, Urteile vom 15. März 2013 - 2 WD 15.11 - juris Rn. 43 und vom
20. Februar 2014 - 2 WD 35.11 - juris Rn. 95).
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Nach Maßgabe dieser Grundsätze sind keine Umstände ersichtlich, deren Art
und Gewicht ein Abgehen von der Regelmaßnahme erlauben würden. Derarti-
ges Gewicht erreichen die für den Soldaten sprechenden Aspekte schon dann
nicht, wenn man in die Abwägung nur die Pflichtverletzung nach dem Anschul-
digungspunkt 1 einstellen würde. Teil des einheitlichen Dienstvergehens bilden
hier aber auch die Pflichtverletzungen nach dem Anschuldigungspunkt 2. Diese
sind bei der Bestimmung des Ausgangspunktes der Zumessungserwägungen
noch gar nicht berücksichtigt und müssen daher auf der zweiten Stufe der Be-
messungserwägung erschwerend den mildernden Aspekten gegenüber gestellt
werden.
Die dem Soldaten seitens der Leumundszeugen bescheinigten Leistungen rei-
chen nicht aus, um von der Höchstmaßnahme absehen zu können:
Die persönliche Integrität eines Soldaten steht gleichberechtigt neben dem Er-
fordernis der fachlichen Qualifikation, sodass gravierende Defizite an der per-
sönlichen Integrität, die bei objektiver Betrachtung zu einem endgültigen Ver-
trauensverlust des Dienstherrn führen müssen (BVerwG, Urteil vom 13. Januar
2011 - 2 WD 20.09 - juris Rn. 51 m.w.N.), auch nicht durch fachliche Kompe-
tenz ausgeglichen werden können (BVerwG, Urteile vom 16. Juni 2011 - 2 WD
11.10 - juris Rn. 40 - und vom 6. September 2012 - 2 WD 26.11 - juris Rn. 73).
Nichts anderes gilt, wenn man die geständigen Einlassungen und die Reue des
Soldaten zusätzlich einstellt.
Gegen den vollständigen Vertrauensverlust spricht auch nicht der Umstand,
dass der Soldat während des Ermittlungsverfahrens und des Verfahrens vor der
Vorinstanz nicht vorläufig des Dienstes enthoben oder nicht deswegen wegver-
setzt worden ist (BVerwG, Urteil vom 21. Mai 2014 - 2 WD 7.13 - juris Rn. 69).
Die Verhängung einer milderen Disziplinarmaßnahme ist auch nicht mit Rück-
sicht auf die teilweise sachgleiche strafrechtliche Ahndung des Fehlverhaltens
des Soldaten geboten. Steht im Einzelfall - wie hier - § 16 WDO der Zulässigkeit
des Ausspruchs einer Disziplinarmaßnahme nicht entgegen, ist die Art oder
Höhe einer Kriminalstrafe oder sonstigen Strafsanktion für die Gewichtung der
Schwere des sachgleichen Dienstvergehens regelmäßig nicht von ausschlag-
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gebender Bedeutung. Strafverfahren und Disziplinarverfahren verfolgen unter-
schiedliche Zwecke. Die Kriminalstrafe unterscheidet sich nach Wesen und
Zweck grundlegend von der Disziplinarmaßnahme. Während erstere neben Ab-
schreckung und Besserung der Vergeltung und Sühne für begangenes Unrecht
gegen den allgemeinen Rechtsfrieden dient, ist die disziplinarische Ahndung
darauf ausgerichtet, unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes einen
geordneten und integren Dienstbetrieb aufrechtzuerhalten oder wiederherzu-
stellen, indem sie denjenigen, der die ihm obliegenden Dienstpflichten schuld-
haft verletzt hat, entweder durch eine erzieherische Maßnahme zu künftig
pflichtgemäßem Verhalten mahnt oder ihn aus dem Dienstverhältnis entfernt
bzw. die sonst gebotene Höchstmaßnahme ausspricht (vgl. BVerwG, Urteile
vom 13. Januar 2011 - 2 WD 20.09 - juris Rn. 49 m.w.N. und vom 4. Mai
2011 - 2 WD 2.10 - juris Rn. 51).
Die vom Soldaten vorgetragenen Umstände der Tatbegehung haben, wenn
man sie mit geringerem Gewicht als klassische Milderungsgründe in den Um-
ständen der Tat überhaupt in die Gesamtabwägung einstellen würde (vgl.
BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 - 2 WD 14.13 - juris Rn. 28), so geringes Ge-
wicht, dass sie der Annahme eines vollständigen Verlustes des Vertrauens in
seine Integrität und Zuverlässigkeit ebenfalls nicht entgegenstehen.
5. Da die Berufung des Soldaten erfolglos geblieben ist, sind ihm gemäß § 139
Abs. 2 WDO die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen. Nach § 140
Abs. 5 Satz 2 WDO trägt der Soldat damit auch die ihm im Berufungsverfahren
erwachsenen notwendigen Auslagen.
Dr. von Heimburg
Prof. Dr. Burmeister
Dr. Eppelt
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