Urteil des BVerwG vom 03.07.2007

Soldat, Anweisung, Grad des Verschuldens, Nacht

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 12.06
TDG S 6 VL 21/05
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
gegen
Herrn Oberfeldwebel ...,
.../Luftwaffenausbildungsregiment, M.,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 3. Juli 2007, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier als Vorsitzender,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
sowie
Oberstleutnant Lompa,
Oberfeldwebel Bröse-Bull
als ehrenamtliche Richter,
Rechtsanwalt ...,
als Verteidiger,
Leitender Regierungsdirektor ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Geschäftsstellenverwalterin ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft wird das
Urteil der 6. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom
15. Februar 2006 aufgehoben.
Gegen den Soldaten wird wegen eines Dienstvergehens
ein Beförderungsverbot für die Dauer eines Jahres ver-
hängt.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Soldaten aufer-
legt.
G r ü n d e :
Der 1977 unter seinem damaligen Familiennamen Z. in Rumänien geborene
und 1990 in die Bundesrepublik Deutschland umgesiedelte Soldat erwarb 1994
den mittleren Bildungsabschluss (Versetzung in die Klasse 11) des Gymnasi-
ums und begann danach eine Ausbildung als Industriemechaniker (Geräte- und
Feinwerktechnik), die er jedoch nach zehn Monaten abbrach. Danach war er
zwei Monate arbeitslos und anschließend bis zu seinem 1997 erfolgten Eintritt
in die Bundeswehr als Fahrverkäufer tätig.
Zum 2. Januar 1997 wurde der Soldat zur Ableistung seines Grundwehrdiens-
tes einberufen. Aufgrund seiner Bewerbung für den freiwilligen Dienst in der
Bundeswehr wurde er zum 1. September 1997 in das Dienstverhältnis eines
Soldaten auf Zeit berufen. Seine Dienstzeit wurde zunächst auf zwei Jahre und
acht Monate festgesetzt. Nach weiteren Verpflichtungserklärungen wurde sie
jeweils verlängert und zuletzt auf insgesamt 12 Jahre festgesetzt. Sie wird vor-
aussichtlich mit Ablauf des 31. Dezember 2008 enden.
Ein Antrag des Soldaten auf Übernahme in das Dienstverhältnis eines Berufs-
soldaten wurde am 17. Juni 2004 abgelehnt. Nach seinen Angaben hatten auch
weitere in der Folgezeit gestellte gleichlautende Anträge während des vorlie-
genden gerichtlichen Disziplinarverfahrens keinen Erfolg.
Zum 1. Dezember 1998 war der Soldat zur .../Luftwaffenausbildungsregiment ...
nach M. versetzt worden. Von dort aus absolvierte er nach Zulassung zur Lauf-
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bahn der Unteroffiziere die Laufbahnlehrgänge jeweils mit gutem Erfolg. Er
wurde regelmäßig befördert, zuletzt mit Wirkung vom 20. April 2002 zum Ober-
feldwebel. Seit dem 1. September 2001 wurde er als Ausbildungsfeldwebel und
Gruppenführer sowie ab 1. April 2002 als Lehrfeldwebel, Gruppenführer und
stellvertretender Zugführer in der .../Luftwaffenausbildungsregiment ... in M. ver-
wendet.
Seit September 2006 befindet sich der Soldat im Berufsförderungsdienst.
In der zuletzt über ihn erstellten planmäßigen Beurteilung vom 14. November
2002 beurteilte sein Kompaniechef seine Leistungen zehnmal mit der Stufe „6“
und sechsmal mit der Stufe „5“. Seine „Eignung und Befähigung“ wurden einmal
mit „C“, zweimal mit „D“ und einmal („Verantwortungsbewusstsein“) mit „E“ be-
wertet.
Der nächsthöhere Vorgesetzte stimmte dieser Beurteilung zu und führte ergän-
zend aus:
„Oberfeldwebel Z. ist ein äußerst zuverlässiger und fach-
lich versierter Gruppenführer. Übertragene Aufgaben erle-
digt er stets sehr pflichtbewusst. Menschlich integer und
jederzeit loyal, steht bei ihm die Aufgabe mehr im Vorder-
grund als er selbst. OFw Z. handelt auch unter Belastung
sehr umsichtig und besonnen. Er behält stets die Ruhe,
denkt systematisch und kommt zu folgerichtigen Schlüs-
sen. Aus diesem Grund und in der vergleichenden Be-
trachtung bewerte ich ... (seine) ‚Geistige Befähigung’ ab-
weichend mit ‚D’.“
Seine Förderungswürdigkeit beurteilte der nächsthöhere Vorgesetzte mit „C“.
In der Laufbahnbeurteilung vom 12. November 2003 hielt der Kompaniechef
den Soldaten für die beantragte Umwandlung in das Dienstverhältnis eines Be-
rufssoldaten für „besonders geeignet“.
Der nächsthöhere Vorgesetzte stimmte dieser Beurteilung zu und führte u.a.
aus, der Soldat gehöre „inzwischen zu den Leistungsträgern der Kompanie“. Mit
hoher Einsatzbereitschaft und sichtbarer Freude erziele er in der Ausbildung
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der Rekruten „sehr gute Ergebnisse“. Der Soldat arbeite sehr zuverlässig und
führe seine Soldaten durch Überzeugung. Er behalte auch unter Belastung die
Ruhe und Übersicht, die für ausgewogene Entscheidungen notwendig seien.
Fachlich sei er versiert und menschlich „tadellos“. Für eine Übernahme in das
Dienstverhältnis eines Berufssoldaten sei der Soldat „besonders geeignet“.
In der Sonderbeurteilung vom 17. Mai 2006 bewertete der Kompaniechef
Hauptmann L. die Leistungen des Soldaten dreimal („Eigenständigkeit“, „Zu-
sammenarbeit“, „Organisatorisches Können“) mit der Höchststufe „7“, neunmal
mit der Stufe „6“ und viermal („Durchsetzungsverhalten“, „Urteils- und Entschei-
dungsfindung“, „Ausdruck“, „Beurteilungsverhalten“) mit der Stufe „5“. Die „Eig-
nung und Befähigung“ beurteilte er zweimal mit „D“ und zweimal („Verantwor-
tungsbewusstsein“, „Befähigung zur Einsatz- und Betriebsführung“) mit „E“.
Der nächsthöhere Vorgesetzte stimmte dieser Beurteilung zu und bewertete die
Förderungswürdigkeit des Soldaten mit „D“.
Vor der Truppendienstkammer hat Hauptmann (damaliger Dienstgrad: Ober-
leutnant) L. als Disziplinarvorgesetzter des Soldaten ausgesagt, obwohl das
Ziel, Berufssoldat zu werden, für den Soldaten in weite Ferne gerückt sei, arbei-
te er weiter motiviert. Er sei ein Leistungsträger der Kompanie sowie ein „wich-
tiger Mittelpunkt der Unteroffiziersgemeinschaft“ und eine „tragende Kraft für
den Zusammenhalt“. Allerdings lasse der Soldat die „zivile Ausrichtung“ „schlei-
fen“; sein „Hauptaugenmerk“ gelte dem Militärischen. Er halte ihn als außerge-
wöhnlich geeignet zum Berufssoldaten. Seine Erfahrungen mit dem Soldaten
seien nur positiv. Er ordne den Soldaten in das „erste Drittel“ ein. In der Beru-
fungshauptverhandlung hat der Zeuge L. diese Bewertung der dienstlichen
Leistungen und der Persönlichkeit des Soldaten ausdrücklich bestätigt.
Im Zentralregisterauszug vom 4. April 2006 finden sich keine Eintragungen. Der
Auszug aus dem Disziplinarbuch vom 7. Juni 2006 weist eine förmliche Aner-
kennung wegen vorbildlicher Pflichterfüllung aus, die ihm durch den Kompanie-
chef der .../Luftwaffenausbildungsregiment ... am 24. April 2001 erteilt wurde.
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Der Soldat ist seit dem 22. November 2002 berechtigt, die Schützenschnur in
Gold sowie seit dem 28. Oktober 2003 das Leistungsabzeichen in Gold
(5. Prüfung) zu tragen. Am 18. Dezember 2002 wurde ihm eine Leistungsprä-
mie in Höhe von 1 500 € bewilligt.
Der Soldat ist seit dem 25. Juli 2003 verheiratet. Seine Ehefrau, deren Famili-
ennamen er mit der Heirat angenommen hatte, ist zur Zeit im 7. Monat schwan-
ger.
Nach der Mitteilung der Wehrbereichsverwaltung Süd - Gebührniswesen - vom
4. April 2006 erhält der Soldat Dienstbezüge aus der Besoldungsgruppe A 7
des Bundesbesoldungsgesetzes in der 5. Dienstaltersstufe in Höhe von monat-
lich brutto 2 074,79 €, netto 1 982,45 €. Seine finanziellen Verhältnisse sind
nach seinen Angaben geordnet.
II
1. Mit Strafbefehl vom 13. Dezember 2004 hatte das Amtsgericht B. gegen den
Soldaten eine Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen verhängt und den Ta-
gessatz auf 40 € festgesetzt. Dabei wurde dem Soldaten folgender Sachverhalt
zur Last gelegt:
„Sie sind Oberfeldwebel bei der Bundeswehr und nahmen
am 19.12.2003 in der Kellerbar des .../Luftwaffenausbil-
dungsregiments ... in der ...straße ... in M. mit Ihrer Frau
an einer Weihnachtsfeier teil. Zu vorgerückter Stunde be-
fahlen Sie dem Flieger K. ohne vernünftigen Anlass, in
Stellung zu gehen. Der Soldat K. entschied sich daraufhin,
dem Befehl Folge zu leisten, zumal er keinen Ärger be-
kommen wollte und erwog, möglicherweise selbst länger
bei der Bundeswehr zu dienen. Deshalb ging er auf dem
Boden in Stellung, wo Schmutz und teilweise Scherben
herumlagen. Durch diesen Befehl wollten Sie gegenüber
Ihrer Ehefrau demonstrieren, dass Untergebene Ihnen ge-
genüber Gehorsam zeigen müssen. Für den betroffenen
Soldaten war dieses Verhalten jedoch erniedrigend und
verletzte ihn in seiner Menschenwürde, zumal Sie ihn ge-
genüber den anderen anwesenden Personen der Lächer-
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lichkeit preisgaben.“ („Vergehen der entwürdigenden Be-
handlung gemäß § 31 Abs. 1 WStG“)
Auf den Einspruch des Soldaten hin stellte das Amtsgericht B. mit Beschluss
vom 2. Februar 2005 das Verfahren gemäß § 153a Abs. 2 StPO zunächst vor-
läufig und nach Zahlung der darin gemachten Auflage, einen Betrag von
1 200 € zu zahlen, mit Beschluss vom 9. Februar 2005 endgültig ein.
2. In dem mit Verfügung des Kommandeurs Luftwaffenausbildungskommando
vom 2. Mai 2005 ordnungsgemäß eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfah-
ren legt die Wehrdisziplinaranwaltschaft dem Soldaten mit der Anschuldigungs-
schrift vom 6. September 2005 folgenden Sachverhalt als Dienstvergehen zur
Last:
„1. Der Soldat hat an einem nicht näher bestimmbaren
Abend zwischen dem 8.12.2003 und dem 12.12.2003
während eines Truppenübungsplatzaufenthaltes im Lager
H., ... S., gegen 22:00 Uhr den duschenden Obergefreiten
O. angewiesen, in Stellung zu gehen, obwohl hierfür er-
sichtlich kein Grund bestand. Der Obergefreite O. ging
daraufhin unbekleidet in Stellung.
2. Er hat am 19.12.2003 gegen 08:00 Uhr im Anschluss
an eine Weihnachtsfeier in der Kellerbar der
.../LwAusbRgt ..., Geb. 11, ...straße ..., ... M., nach dem
Genuss einer nicht mehr genau feststellbaren Menge Al-
kohol, aber noch nicht in volltrunkenem Zustand, den Flie-
ger ... K. mehrfach angewiesen, in Stellung zu gehen, ob-
wohl hierfür ersichtlich kein Grund bestand. Der Flieger K.
ging daraufhin einmal in Stellung und berührte kurz den
am Boden liegenden Schmutz, u.a. auch Glasscherben,
die von der vorhergegangenen Weihnachtsfeier noch auf
dem Boden lagen.“
Mit Nachtragsanschuldigungsschrift vom 28. November 2005 wird dem Solda-
ten ergänzend zur Last gelegt:
„Der Soldat versetzte sich in der Nacht vom 18.12.2003
auf den 19.12.2003 zu einer nicht mehr feststellbaren Zeit
anlässlich einer Weihnachtsfeier in der Kellerbar der
.../LwAusbRgt ..., Geb. ..., ... Str. ..., ... M., durch den Ge-
nuss einer nicht mehr feststellbaren Menge Alkohols in ei-
nen seine Schuldfähigkeit ausschließenden Zustand der
Volltrunkenheit, was er zumindest hätte erkennen können,
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und beging dann die unter Ziffer 2.) der Anschuldigungs-
schrift vom 06.09.2005 beschriebene Handlung.“
Die 6. Kammer des Truppendienstgerichts Süd hat mit dem angefochtenen Ur-
teil vom 15. Februar 2006 das Verfahren unter der Feststellung, dass der Soldat
ein Dienstvergehen begangen hat, eingestellt. Der Soldat habe mit seinem Ver-
halten hinsichtlich Anschuldigungspunkt 1 seine Verpflichtung zur Fürsorge ge-
genüber Untergebenen (§ 10 Abs. 3 SG) sowie seinen Pflichten, Befehle nur
zur dienstlichen Zwecken zu erteilen (§ 10 Abs. 4 SG), die Würde, Ehre und
Rechte der Kameraden zu achten (§ 12 Satz 2 SG) und zum achtungs- und
vertrauenswürdigen Verhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) verletzt. Vom Tatvorwurf
hinsichtlich des Anschuldigungspunktes 2 sei er mangels hinreichender Bewei-
se freizustellen. Als erforderliche aber auch ausreichende disziplinare Reaktion
sei für das festgestellte Fehlverhalten eine einfache Disziplinarmaßnahme in
Betracht zu ziehen gewesen. Diese habe jedoch im Hinblick auf den Ablauf der
Verfolgungsverjährungsfrist (§ 17 Abs. 2 WBO) nicht mehr verhängt werden
dürfen.
Gegen das ihr am 9. März 2006 zugestellte Urteil hat die Wehrdisziplinaran-
waltschaft mit Schriftsatz vom 5. April 2006, eingegangen am 6. April 2006, Be-
rufung in vollem Umfang eingelegt, die dem Senat am 16. Juni 2006 vorgelegt
worden ist. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen folgendes vorgetragen:
Den Ausführungen der Truppendienstkammer zur Freistellung des Soldaten
von dem Anschuldigungspunkt 2 könne nicht gefolgt werden. Die Beweiswürdi-
gung sei rechtsfehlerhaft.
Es sei verfehlt, wenn die Truppendienstkammer meine, sie habe nicht mit der
erforderlichen Sicherheit feststellen können, dass sich der Zeuge K. auf Wei-
sung des Soldaten auf den Boden gelegt habe. Nach Auffassung der Truppen-
dienstkammer seien die Angaben des Zeugen K., aber auch die des Zeugen E.
zu vage und widersprüchlich gewesen; der Zeuge K. habe bekundet, er habe
sich hinter der Theke auf den Boden begeben, demgegenüber habe der Zeuge
E. den Zeugen K. vor der Theke liegend gesehen. Dem stehe nach Auffassung
der Truppendienstkammer die beeidigte Aussage der Ehefrau des Soldaten
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entgegen, die erklärt habe, dass der Zeuge K. nicht auf dem Boden gelegen,
sondern im „Stillgestanden“ gestanden habe.
Die Fehlerhaftigkeit dieser von der Truppendienstkammer vorgenommenen
Beweiswürdigung ergebe sich daraus, dass die beiden Zeugen K. und E. in der
Hauptverhandlung übereinstimmend ausgesagt hätten, dass der Zeuge K. in
Stellung gegangen sei. Ihren unstreitig divergierenden Aussagen zu dem Ort,
wo genau die Bodenberührung stattgefunden habe, komme demgegenüber
keine entscheidende Bedeutung zu, zumal bei der Würdigung ihrer Aussagen
auch der lange Zeitraum zwischen der Tat (19. Dezember 2003) und der
Hauptverhandlung (15. März 2006) berücksichtigt werden müsse. Darüber hin-
aus habe der Vorsitzende Richter der Truppendienstkammer die Ehefrau des
Soldaten vor der Abnahme des Eides nicht über ihr Recht, den Eid verweigern
zu können, belehrt. Deshalb lasse sich insbesondere nicht ausschließen, dass
das Gericht die Glaubwürdigkeit der Zeugin anders beurteilt hätte, wenn sie es
nach Belehrung abgelehnt hätte, die Aussage zu beschwören.
Das Urteil der Truppendienstkammer sei daher aufzuheben und gegen den
Soldaten sei ein Beförderungsverbot bis zum Dienstzeitende zu verhängen.
III
1. Die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft ist zulässig. Sie ist statthaft,
ihre Förmlichkeiten sind gewahrt (§ 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1,
Abs. 2 WDO). Sie ist insbesondere innerhalb der gesetzlichen Frist eingegan-
gen.
2. Die Berufung ist nach ihrem Wortlaut und ihrer Begründung in vollem Umfang
eingelegt worden. Der Senat hat daher im Rahmen der Anschuldigung (§ 123
Satz 3 i.V.m. § 107 Abs. 1 WDO) eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu tref-
fen, diese rechtlich zu würdigen und die sich daraus ergebenden Folgerungen
zu ziehen sowie über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden. An
das Verschlechterungsverbot ist er dabei nicht gebunden.
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3. Die Berufung hat Erfolg. Das Urteil der Truppendienstkammer ist aufzuhe-
ben. Gegen den Soldaten ist wegen eines Dienstvergehens ein Beförderungs-
verbot von zwölf Monaten zu verhängen.
a) Tatsächliche Feststellungen
Aufgrund der Einlassung des Soldaten, soweit ihr gefolgt werden konnte, der
gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 und § 251 Abs. 1
Nr. 1 und 2 StPO zum Gegenstand der Berufungshauptverhandlung gemachten
Urkunden und Vernehmungsniederschriften sowie der Aussagen der in der Be-
rufungshauptverhandlung vernommenen Zeugen O., Em., K., E., Eg. und St.
hat der Senat folgenden Sachverhalt festgestellt:
Zu Anschuldigungspunkt 1:
Der Soldat wies an einem nicht mehr näher bestimmbaren Abend zwischen
dem 8. Dezember 2003 und dem 12. Dezember 2003 während eines Truppen-
übungsplatzaufenthaltes im Lager ..., ... S., gegen 22:00 Uhr den im Duschraum
nach dem Duschen noch unbekleideten Zeugen O., der zu jenem Zeitpunkt als
zum allgemeinen Grundwehrdienst einberufener Soldat den Dienstgrad eines
Obergefreiten hatte, in Gegenwart des Zeugen Em. (damals Feldwebel) in kräf-
tigem lautem Tonfall dreimal mit Gehorsamsanspruch an, sofort in „Stellung“ zu
gehen, obwohl hierfür ersichtlich kein dienstlicher Grund bestand. Der Zeuge O.
ging daraufhin - nach der dritten Aufforderung - unbekleidet in „Stellung“, indem
er sich nackt auf den feuchten Boden warf, weil er die dreimal erfolgte Anwei-
sung als militärischen Befehl auffasste und ungeachtet seiner durch das Verhal-
ten des Soldaten hervorgerufenen Verärgerung vermeiden wollte, dass ihm der
Vorwurf der Gehorsamsverweigerung mit für ihn aus seiner Sicht möglicherwei-
se negativen dienst- oder strafrechtlichen Folgen oder sonstige nicht näher be-
stimmbare persönliche oder dienstliche Nachteile drohten.
Der Soldat hat das ihm vorgeworfene Verhalten der Sache nach teilweise ein-
geräumt. Er habe sich bei einem nächtlichen Kontrollgang durch das Unter-
kunftsgebäude, den er zusammen mit dem Zeugen Em. unternommen habe,
gewundert, wer um diese Zeit noch dusche. Als er vom Flur aus in den Dusch-
raum gekommen sei, habe er dort den Zeugen O. unbekleidet stehen sehen,
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der bereits abgetrocknet gewesen sei. Daraufhin habe er diesem einmal - nicht
dreimal - laut zugerufen: „Stellung!“. Dies sei jedoch „aus Spaß“ geschehen. Er
habe dem Zeugen O. keinen Befehl erteilen wollen. Dies könne auch der Zeuge
Em. bestätigen, der neben oder hinter ihm gestanden habe. Der Zeuge O. habe
sich dann zu Boden geworfen und, nachdem er vom feuchten Boden wieder
aufgestanden sei, erneut geduscht. Er, der Soldat, habe ihm kurz darauf ein
Handtuch zum Abtrocknen gereicht und ihm gesagt, dass „es“ ihm leid tue und
dass er nicht damit gerechnet habe, dass der Zeuge O. „es wirklich macht“. Er
habe „nur rumgeblödelt“.
Soweit der Soldat mit dieser Einlassung bestreitet, nicht nur einmal, sondern
dreimal „Stellung“ gerufen zu haben und dem Zeugen O. dadurch mit Gehor-
samsanspruch angewiesen zu haben, sich sofort auf den feuchten Boden zu
werfen, handelt es sich dabei um eine unwahre Schutzbehauptung, wobei offen
bleiben kann, ob der Soldat insoweit bewusst die Unwahrheit gesagt hat oder
ob sein aktuelles Erinnerungsvermögen unzureichend ist.
Nach § 261 StPO hat das Gericht (als Tatsacheninstanz) über das Ergebnis der
Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung ge-
schöpften, Überzeugung zu entscheiden. Dies schließt die Möglichkeit eines
anderen, auch gegenteiligen Geschehensablaufes nicht aus; denn im Bereich
der vom Tatrichter zu würdigenden tatsächlichen Umstände ist der menschli-
chen Erkenntnis ein absolut sicheres Wissen über den Tathergang, demgegen-
über andere Möglichkeiten seines Ablaufs unter allen Umständen ausscheiden
müssten, verschlossen. Nach der gesetzlichen Regelung ist es allein Aufgabe
des Tatrichters, ohne Bindung an feste gesetzliche Beweisregeln und nur nach
seinem Gewissen verantwortlich zu prüfen und zu entscheiden, ob er die an
sich möglichen Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt
überzeugen kann oder nicht. Die für die Überführung eines Angeschuldigten
erforderliche (volle) persönliche Gewissheit des Tatrichters erfordert ein nach
der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, demgegenüber ver-
nünftige Zweifel nicht mehr aufkommen (vgl. Urteile vom 12. Februar 2003
- BVerwG 2 WD 8.02 - DVBl 2003, 750, vom 3. Juli 2003 - BVerwG 1 WD 3.03 -
Buchholz 235.01 § 91 WDO Nr. 1 = NZWehrr 2004, 166 und vom 19. Juli 2006
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- BVerwG 2 WD 13.05 - Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 2 = NZWehrr
2007, 35; BGH, Urteil vom 8. Januar 1988 - 2 StR 551/87 - NStZ 1988, 236
<237>; Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl. 2005, § 261 Rn. 2 m.w.N.). Zur Überfüh-
rung eines Angeschuldigten ist dabei keine „mathematische“ Gewissheit erfor-
derlich. Der Beweis muss jedoch mit lückenlosen, nachvollziehbaren logischen
Argumenten geführt sein. Die Beweiswürdigung muss auf einer tragfähigen,
verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruhen und muss erschöp-
fend sein. Der Tatrichter ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsa-
chen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinan-
derzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen so-
wie diese Tatsachen und deren Würdigung in den Urteilsgründen nachvollzieh-
bar darzulegen. Allein damit wird die Unschuldsvermutung widerlegt (vgl. Urteile
vom 12. Februar 2003 a.a.O. und vom 3. Juli 2003 a.a.O.).
Nach Maßgabe dieser Anforderungen hat der Senat die volle persönliche Über-
zeugung gewonnen, dass der Soldat an dem in Rede stehenden Abend zwi-
schen dem 8. und 12. Dezember 2003 während des - auch von ihm nicht in
Zweifel gezogenen - Truppenübungsplatzaufenthaltes im Lager H. den Zeugen
O. im Bereich des Duschraums nicht nur einmal, sondern insgesamt dreimal mit
Gehorsamsanspruch in lautem Ton angewiesen hat, in „Stellung“ zu gehen,
womit gemeint war, sich sofort an Ort und Stelle unbekleidet auf den feuchten
Boden zu werfen. Dies ergibt sich insbesondere aus den glaubhaften Bekun-
dungen des Zeugen O..
Der Zeuge O. hat den in Rede stehenden Geschehensablauf in der Berufungs-
hauptverhandlung nach Maßgabe seines aktuellen Erinnerungsvermögens in
den entscheidungserheblichen Punkten glaubhaft und nachvollziehbar bekun-
det. Insbesondere war er sich sehr sicher, dass der Soldat ihn nicht nur einmal,
sondern insgesamt dreimal „in befehlsmäßigem Ton“ aufforderte, in „Stellung“
zu gehen und dass es sich dabei nach den Umständen des Vorfalls nicht um
einen Scherz, sondern um eine von einem militärischen Vorgesetzten ausge-
hende und an ihn gerichtete Anweisung mit Gehorsamsanspruch handelte.
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Für die Glaubhaftigkeit seiner Bekundungen spricht bereits der authentische
Detailreichtum seiner Aussagen. Der Zeuge hat nachvollziehbar und folgerichtig
den Ablauf der Ereignisse geschildert. Seine Darlegungen waren anschaulich
konkret, farbig und lebendig. Er hat sich ersichtlich noch genau daran erinnern
können, dass er zum Tatzeitpunkt bereits aus der Dusche herausgetreten und
sich schon abgetrocknet hatte, als er - für ihn völlig überraschend - den Solda-
ten hereinkommen sah, der ihm gleich die Anweisung „Stellung“ laut und un-
missverständlich entgegenrief. Er, der Zeuge, habe zunächst geglaubt, es han-
dele sich - schon der Räumlichkeit und der Uhrzeit sowie seines unbekleideten
Zustandes wegen - um einen Scherz. Er habe deshalb einen Moment abgewar-
tet, um zu sehen, ob sich die Situation kläre. Da der Soldat jedoch, anders als
erwartet, die Anweisung „Stellung“ in lautem Ton und unmissverständlich wie-
derholt habe, sei er stark verunsichert gewesen, habe aber dennoch weiterhin
zunächst nicht reagiert, zumal alles sekundenschnell gegangen sei. Für ihn,
den Zeugen, sei weder an den Gesichtszügen noch an Hand der Gestik des
Soldaten zu erkennen gewesen, dass es sich etwa um einen „Spaß“ oder
„Scherz“ gehandelt habe. Er habe deshalb weiter kurz abgewartet, um sich über
die Situation klar zu werden. Daraufhin habe der Soldat den Zeugen Em.
gleichsam als Zeugen für das Geschehen in die Situation einbezogen, sodann
sich wieder ihm, dem Zeugen O., zugewandt und ihm in befehlsmäßigem Ton
und unmissverständlich erneut „Stellung“ zugerufen. Ihm, dem Zeugen, sei da-
bei durch den Kopf gegangen, dass der Soldat hierzu wohl nicht berechtigt ge-
wesen sei. Er habe sich aber in dieser Situation entschlossen, sich dem Willen
des Soldaten dennoch zu beugen und die Anweisung auszuführen. Er habe
sich deshalb, obwohl er sich über das Verhalten des Soldaten geärgert habe,
unbekleidet auf den feuchten Boden geworfen. Dabei sei ihm durch den Kopf
gegangen, dass der Soldat einen Vorgesetztendienstgrad besaß und dass ihm,
dem Zeugen, möglicherweise erhebliche negative Folgen drohten, falls er die
Anweisung des Soldaten nicht befolge. Zudem sei er damals nach der Grund-
ausbildung erst relativ kurze Zeit bei der Bundeswehr gewesen und habe sich
mit den Gepflogenheiten des Umgangs mit Vorgesetzten nicht so genau ausge-
kannt. Er habe nicht gewusst, wie er sich der Anweisung des Soldaten habe
widersetzen sollen und habe nichts falsch machen wollen, um sich nicht der
Gefahr einer disziplinarrechtlichen oder gar strafrechtlichen Verfolgung wegen
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Ungehorsams auszusetzen. Anschließend habe der Soldat ihm zwar ein Hand-
tuch zugeworfen und erklärt, „es“ sei ein Scherz gewesen. Für ihn, den Zeugen,
sei die Unernsthaftigkeit der Befehlserteilung nach den Umständen aber nicht
klar erkennbar gewesen. Anschließend habe er, der Zeuge, erneut geduscht,
da er ja unbekleidet auf dem feuchten und verschmutzten Boden habe in Stel-
lung gehen müssen. Letztlich habe er aus Angst die Anweisung des Soldaten
ausgeführt. Er habe sich aber „schlecht“ gefühlt und sei sauer darüber gewe-
sen, dass der Soldat seine Stellung als Vorgesetzter ihm gegenüber ausgenutzt
habe. Eine Beschwerde habe er zunächst nicht eingereicht, da er darin keinen
rechten Sinn gesehen und zudem befürchtet habe, dass sich eine Beschwerde
für ihn letztlich negativ auswirken könne. Erst als er Monate später erfahren
habe, dass auch noch andere „Sachen“ vorgefallen seien, habe er sich zu
Oberfeldwebel T. begeben und eine „Anzeige“ erstattet und von dem Vorfall
berichtet.
Für die Glaubhaftigkeit der den Soldaten belastenden Kernaussagen des Zeu-
gen O. sprechen neben ihrer Detailgenauigkeit ferner auch die Konstanz und
Widerspruchsfreiheit seines Aussageverhaltens. Denn bereits in der Verhand-
lung vor der Truppendienstkammer hat er den damals schon über zwei Jahre
zurückliegenden Vorfall im Kern in gleicher Weise wie nunmehr in der Beru-
fungshauptverhandlung vor dem Senat geschildert. Insbesondere hat er zum
Ablauf bereits damals bekundet, der Soldat habe ihm die Anweisung „Stellung“
mehrfach in lautem Ton zugerufen und auf deren Ausführung unmissverständ-
lich bestanden. Nachdem dieser „Befehl“ zweimal durch den Soldaten erteilt
worden sei, sei der Zeuge Em. vom Soldaten gleichsam hinzugezogen bzw. in
das Geschehen einbezogen worden. Der Soldat habe zu dem Zeugen Em. ge-
sagt, „er solle stehen bleiben und sich das anschauen“; denn er „brauche je-
manden wegen einer Befehlsverweigerung“. Daraufhin habe er, der Zeuge, die
Anweisung „Stellung“ schließlich befolgt und habe sich unbekleidet zu Boden
geworfen. Ihm sei klar gewesen, was es heiße, „einen Befehl zu verweigern und
was dann passiert“.
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Dabei kann der Senat offen lassen, ob der Zeuge O. auf dem Boden liegend
auch noch eine „Drehung“ vorgenommen hat, wovon er vor der Truppendienst-
kammer berichtet hat, während er dies in der Berufungshauptverhandlung nicht
erwähnt hat. Denn die Erteilung eines Befehls zu einer „Drehung“ ist nicht Ge-
genstand der Anschuldigung, wie sie sich aus der Anschuldigungsschrift ergibt.
Entscheidend ist, dass der Zeuge O. sowohl vor der Truppendienstkammer als
auch in der Berufungshauptverhandlung unmissverständlich - auch auf wieder-
holtes eindringliches Befragen hin - bekundet und bestätigt hat, dass der Soldat
ihn mehrfach angewiesen habe, in „Stellung“ zu gehen und dabei insoweit Ge-
horsam von ihm verlangt habe. Anhaltspunkte dafür, dass es sich nicht um eine
Anweisung eines Vorgesetzten, sondern um einen Scherz gehandelt habe, sei-
en nicht ersichtlich gewesen. Bereits vor der Truppendienstkammer hat der
Zeuge zudem erklärt, er wisse nicht, wer das Verhalten des Soldaten lustig fin-
den könne. Er jedenfalls habe es nicht lustig gefunden. Von einer Beschwerde
habe ihn damals nur seine Angst vor nachteiligen Folgen abgehalten. Er sei
schüchtern und „nicht auf Konfrontation“ aus gewesen.
In der Berufungshauptverhandlung ist für den Senat deutlich geworden, dass
dem Zeugen O. bei seiner Aussage die damalige Situation und der in Rede ste-
hende Vorfall lebendig vor Augen standen und dass er, erneut konfrontiert mit
dem Geschehen, sich auch - durchweg glaubhaft - an weitere, ihm zunächst
nicht mehr präsente Einzelheiten hat erinnern können. Er hat diese in der Beru-
fungshauptverhandlung dann ohne Zögern und Unsicherheiten mitgeteilt, ohne
dass sich dabei auch nur ein Anhaltspunkt für die Schlussfolgerung ergeben
hätte, dass die geschilderten Wahrnehmungen von ihm erfunden worden sein
könnten. Zusammenfassend betrachtet fügen sich die verschiedenen Details
seiner Aussagen zu einem stimmigen einheitlichen Ganzen zusammen.
Das Aussageverhalten des Zeugen O. war auch frei von sprachlichen oder in-
haltlichen Strukturbrüchen, die auf unwahre Bekundungen hätten hindeuten
können. Bei der Beantwortung an ihn gestellter Fragen ist er zu keinem Zeit-
punkt ausgewichen oder in bloße Andeutungen oder leere Redensarten ge-
flüchtet. Seine Antworten waren konkret, klar und unmissverständlich. Einwän-
den hat er sich gestellt. Dabei blieb er auch bei konkreten Nachfragen sowie
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dann, als ihm die teilweise abweichenden Einlassungen des Soldaten vorgehal-
ten worden sind. Er wirkte bei seiner Vernehmung durchweg in einem natürli-
chen Sinne selbstsicher und bestimmt. Verbleibende Erinnerungslücken hat er
offen eingeräumt. Er ist hierauf nach Maßgabe seines aktuellen Erinnerungs-
vermögens konkret und nachvollziehbar eingegangen. Dabei hat er sich auch
offen zu Umständen geäußert, die ihn dem Risiko aussetzten, dass seine Per-
sönlichkeit in einem eher ungünstigen Licht erscheinen könnte. So hat er ohne
Umschweife seine Schüchternheit, Unerfahrenheit und Unsicherheit im Umgang
mit Vorgesetzten und seine Schwierigkeiten geschildert, mit seiner Angst vor
möglicherweise negativen Auswirkungen einer von ihm erwogenen Beschwerde
umzugehen. Hinsichtlich der Schilderung des von Anschuldigungspunkt 1 er-
fassten Kerngeschehens war an keiner Stelle erkennbar, dass er seine Aussa-
gebereitschaft etwa davon abhängig machte, ob die jeweiligen Bekundungen
ihm selbst oder anderen eher vorteilhaft oder eher nachteilig erschienen.
Der Zeuge O. hat auch keinerlei „Belastungseifer“ gezeigt. Sein Aussageverhal-
ten ist dadurch geprägt gewesen, dass er ersichtlich durchweg um wahrheits-
gemäße Bekundungen bemüht war und ist. Ebenso haben sich keine Anhalts-
punkte dafür ergeben, dass die inhaltliche Richtigkeit seiner Aussagen etwa
durch persönliche Wut oder nachhaltigen Zorn auf den Soldaten beeinträchtigt
war. Bei aller emotionalen Betroffenheit ist er in der Berufungshauptverhand-
lung durchweg bemüht gewesen, dem Soldaten nicht feindselig gegenüberzu-
treten oder ihn „in Grund und Boden zu verdammen“. Dazu passt auch, dass
das vorliegende gerichtliche Disziplinarverfahren nicht von ihm persönlich initi-
iert wurde. Entsprechend seinem von ihm durchaus selbstkritisch geschilderten
Persönlichkeitsbild eines eher opportunistisch-ängstlichen und auch bei Fehl-
verhalten von Vorgesetzten vor diesen „kuschenden“ Soldaten entschloss er
sich erst dann zur Preisgabe seines Wissens über das in Rede stehende Ver-
halten des Soldaten, als ihm klar geworden war, dass sich auch andere über
Pflichtverletzungen des Soldaten beschwert hatten und dies nicht länger
schweigend auf sich beruhen lassen wollten.
Insgesamt hat der Senat auch aufgrund des von dem Zeugen O. in der Beru-
fungshauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks keine durchgrei-
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fenden Zweifel an dessen persönlicher Glaubwürdigkeit. Es ist nicht ersichtlich
und auch vom Soldat nicht geltend gemacht worden, dass das Aussageverhal-
ten des Zeugen durch persönliche, wirtschaftliche oder sonstige Eigeninteres-
sen bestimmt gewesen oder dass seine Glaubwürdigkeit durch einschlägige
straf- oder disziplinarrechtliche Verurteilungen vorbelastet ist.
Die Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen O. ist auch nicht durch die
Aussagen des Zeugen Em. erschüttert worden. Dieser hat in der Berufungs-
hauptverhandlung zwar erklärt, er habe lediglich wahrgenommen, dass der Sol-
dat dem Zeugen O. einmal, nicht aber dreimal, laut „Stellung“ zugerufen habe.
Für ihn, den Zeugen Em., sei es „ganz klar Flachs“ gewesen. Selbst wenn dies
wirklich seine eigene Wahrnehmung gewesen sein sollte, stünde dies der in-
haltlichen Richtigkeit der Bekundungen des Zeugen O. nicht entgegen. Denn
seine Aussage bezieht sich lediglich auf seine eigene Wahrnehmung, schließt
aber nicht aus, dass er nur einen Teil der Äußerungen des Soldaten am Ort des
Geschehens mitbekommen hatte. Das wäre auch nicht unerklärlich, falls er - so
die Bekundung des Zeugen O. - während der ersten beiden Anweisungen des
Soldaten noch im Flur stand oder wenn er sich - so die Einlassung des Solda-
ten - zwar im Bereich der Tür befand, jedoch nicht der Adressat der Anweisun-
gen des Soldaten zum „in Stellung gehen“ war. Er war davon nicht unmittelbar
betroffen und widmete dem Geschehen zunächst möglicherweise nicht seine
volle Aufmerksamkeit. In der Berufungshauptverhandlung hat er zudem auf
mehrfaches Nachfragen des Senats eingeräumt, dass sein eigenes Erinne-
rungsvermögen unsicher und ungenau ist. Er hat auch ausdrücklich erklärt, er
könne „nicht ausschließen“, dass der Soldat nicht nur einmal, sondern tatsäch-
lich dreimal dem Zeugen O. „Stellung“ zugerufen habe; er „glaube es aber
nicht“. Dies reicht nicht aus, um die Glaubhaftigkeit der gegenteiligen und inso-
weit eindeutigen Bekundungen des Zeugen O. in Zweifel zu ziehen oder gar zu
widerlegen. Abgesehen davon bestehen aber ohnehin gravierende Zweifel an
der Glaubhaftigkeit der diesbezüglichen Aussagen des Zeugen Em.. Er hat auf
nachhaltiges Befragen des Senats schließlich eingeräumt, dass er nach dem
Vorfall wiederholt mit dem Soldaten über den Ablauf gesprochen und dabei
dessen Version des Geschehens im Einzelnen kennengelernt hat. Wie er be-
kundet hat, habe er zuletzt zirka vier bis sechs Wochen vor der Berufungs-
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hauptverhandlung mit dem Soldaten anlässlich einer gemeinsam besuchten
Hochzeitsfeier über jenen Abend im Duschraum gesprochen. Dabei habe man
sich auch „kurz“ darüber ausgetauscht, was damals vorgefallen sei. Der Zeuge
Em. hat über den Inhalt dieses letzten Gespräches mit dem Soldaten - ebenso
wie über frühere - in der Berufungshauptverhandlung nur sehr stockend Aus-
kunft gegeben. Es war ihm ersichtlich unangenehm, hierüber zu sprechen. Sei-
ne Mimik und Gestik sowie seine Redeweise haben dabei ein erhebliches Maß
an Unsicherheit und Unaufrichtigkeit offenbart und kontrastierten deutlich mit
seinem vorherigen Aussageverhalten, sofern dieses auf Umstände bezogen
gewesen ist, die ihm als für den Soldaten eher günstig erschienen. Der Zeuge
Em. hat dabei nach seinem Persönlichkeitsbild, wie es bei seiner Vernehmung
verbal und nonverbal deutlich geworden ist, dem Senat den Eindruck vermittelt,
dass er dem - ebenso wie er selbst - noch im Dienst der Bundeswehr stehen-
den Soldaten kameradschaftlich sehr verbunden ist und alles vermeiden und
„umfahren“ wollte, was sich für diesen nachteilig auswirken könnte. Diese Um-
stände schließen es aus, aus der Aussage des Zeugen Em. zu folgern, der Sol-
dat habe dem Zeugen O. lediglich einmal, nicht aber dreimal laut „Stellung“ zu-
gerufen.
Soweit der Zeuge Em. bekundet hat, er habe nach den Umständen des Ge-
schehens und in Kenntnis der Persönlichkeit des Soldaten dessen Äuße-
rung(en) lediglich als nicht ernst gemeinten „Flachs“, jedoch nicht als Anwei-
sung mit Gehorsamsanspruch verstanden, mag dies sein persönlicher Eindruck
gewesen sein. Darauf kommt es aber nicht entscheidend an. Für die disziplinar-
rechtliche Würdigung ist allein auf den objektiven Empfängerhorizont abzustel-
len, also darauf, wie ein objektiver Dritter in der Situation desjenigen, an den die
Äußerungen des Soldaten gerichtet waren, nach allen Umständen des Einzel-
falles diese verstehen konnte und musste. Im vorliegenden Fall war nach dem
objektiven Empfängerhorizont für den Zeugen nicht hinreichend ersichtlich,
dass die vom Soldaten, der aufgrund seines Dienstgrades eine Vorgesetzten-
stellung gegenüber dem Zeugen O. innehatte, erteilte Anweisung „Stellung“
entgegen ihrem Wortlaut und dem lauten Tonfall nicht ernst gemeint war und
keinen Gehorsamsanspruch beinhaltete. Dafür spricht nicht zuletzt die mehrfa-
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che Wiederholung der Anweisung, die schließlich ihren Adressaten veranlasste,
sein Zögern aufzugeben und sie zu befolgen.
Nachtragsanschuldigung in Verbindung mit Anschuldigungspunkt 2:
Am 18. Dezember 2003 fand eine „Weihnachtsfeier“ des Stammpersonals der
.../Luftwaffenausbildungsregiment ... in M. statt. Hierzu hatte man sich gegen
18.00 Uhr in einer außerhalb des Fliegerhorstes gelegenen Gaststätte zu einem
Abendessen versammelt und dort bis zirka 22.00 Uhr aufgehalten. Danach
wurde die Feier in der Kellerbar des Kompaniegebäudes (Geb. ..., ... Str. ..., ...
M.) fortgesetzt. Auch der Soldat hatte sich in Begleitung seiner Ehefrau, der
Zeugin St., dorthin begeben. In den nachfolgenden Stunden beteiligte er sich
dort am Kickerspielen und konsumierte dabei eine sehr erhebliche - im Einzel-
nen nicht mehr genau feststellbare - Menge alkoholischer Getränke. Nach sei-
nen unwiderlegten Angaben trank er in der Zeit zwischen 19.00 und 22.00 Uhr
zunächst zwei Gläser Sekt sowie drei bis vier Halblitergläser Weizenbier. Im
weiteren Verlauf des Abends und der Nacht nahm er kontinuierlich und unkon-
trolliert eine Vielzahl alkoholischer Mix-Getränke (u.a. Wodka-Bull, Jacky-Cola)
und zahlreiche Gläser Bier zu sich, wobei in den Mix-Getränken jeweils der Al-
kohol-Anteil deutlich den nichtalkoholischen überwog. Nach seinen Angaben
war es ihm „egal“, „was man trank“. Obwohl ihn seine Ehefrau schon in den frü-
hen Morgenstunden drängte, mit ihr nach Hause zu fahren, blieb der Soldat
weiter in der Kellerbar und setzte seinen erheblichen Alkoholkonsum fort, der
nach seinen Angaben dazu führte, dass er - wegen eines „Filmrisses“ - vom
weiteren Ablauf des Geschehens am frühen Morgen des 19. Dezember 2003
später keine eigene Erinnerung mehr hatte. Nach seinen Angaben habe er spä-
ter „nichts mehr“ gewusst, wie er nach Hause gekommen und was passiert sei.
So sei es bis heute.
Am Morgen des 19. Dezember 2003 erschien gegen 8.00 Uhr das aus den da-
maligen Fliegern F., K., Sp. und E. bestehende „Aufräumkommando“ im Unter-
geschoss des Kompaniegebäudes. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich in der
Kellerbar außer dem Soldaten und seiner Ehefrau jedenfalls noch die Zeugen
Obergefreiter Eg. und Flieger K.. Der Zeuge K. war im Bereich des Tresens mit
den Aufräumarbeiten beschäftigt. Dort verwickelte ihn der Soldat in ein Ge-
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spräch. In dessen Verlauf bedauerte der Soldat unter anderem, dass der Zeuge
K. nicht in seinem Zug, sondern im 2. Zug eingesetzt würde. Außerdem ging es
um das Thema Befehl und Gehorsam, insbesondere um die Befugnis des Sol-
daten, dem Zeugen K. zu befehlen, auf dem Boden in „Stellung“ zu gehen. Der
Zeuge Eg. und die Zeugin St., die Ehefrau des Soldaten, brachten zum Aus-
druck, dass der Soldat dem Zeugen K. keine Befehle erteilen dürfe oder könne,
weil er nicht im Dienst sei, keine Uniform trage und zudem betrunken sei. Dies
bestritt der Soldat und berühmte sich, er könne sehr wohl solche Befehle ertei-
len, die dann auch zu befolgen seien. Er gab schließlich dem Zeugen K. in lau-
tem Tonfall die Anweisung, sofort in „Stellung“ zu gehen, womit gemeint war,
sich an Ort und Stelle auf den Boden zu werfen. Der Zeuge K., der diese An-
weisung des Soldaten zunächst nicht genau verstanden hatte, zögerte, ent-
schloss sich dann aber nach erneuter Aufforderung, ihr nachzukommen, weil er
der Auffassung war, er werde sich anderenfalls „Schwierigkeiten“ einhandeln.
Er war der Meinung, ehe er etwas „falsch“ mache, wolle er die Anweisung lieber
ausführen. Er warf sich auf den Boden der Kellerbar, auf dem an verschiedenen
Stellen Glasscherben lagen, wobei nicht mehr feststellbar ist, ob dies vor oder
hinter dem Tresen erfolgte. Der Zeuge K. trug durch das „in Stellung gehen“
keine Verletzungen davon.
Die Feststellungen des Senats beruhen auf den glaubhaften Bekundungen der
Zeugen K. und E. sowie den Einlassungen des Soldaten und den Aussagen der
Zeugin St., soweit ihnen gefolgt werden konnte.
Der von dem Vorfall direkt und unmittelbar betroffene Zeuge K. hat detailliert
geschildert, wie sich die Geschehnisse seit seinem Eintreffen in der Kellerbar
am frühen Morgen des 19. Dezember 2003 entwickelten und wie die verbale
und nonverbale Interaktion zwischen ihm und dem Soldaten ablief. Seine An-
gaben waren in den Kernaussagen in sich widerspruchsfrei und deckten sich
weithin mit seinen früheren Aussagen im Rahmen der von der Wehrdisziplinar-
anwaltschaft durchgeführten Ermittlungen sowie mit seinen Bekundungen vor
der Truppendienstkammer. Da der Vorfall zum gegenwärtigen Zeitpunkt schon
mehr als dreieinhalb Jahre zurückliegt, sind zwischenzeitlich eingetretene Erin-
nerungslücken durchaus nachvollziehbar und verständlich. Von diesen Erinne-
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rungslücken war das disziplinarrechtlich relevante Kerngeschehen jedoch nicht
betroffen. Auch auf wiederholtes Nachfragen hat der Zeuge K. eindeutig und
unmissverständlich seine früheren Aussagen bestätigt, dass ihm der Soldat
nach einer vorhergehenden verbalen Kontroverse (über die Möglichkeiten und
Grenzen seiner Befehlsbefugnis), an der auch die Zeugin St. und der Zeuge E.
beteiligt waren, mit Gehorsamsanspruch nachdrücklich die Anweisung erteilte,
sofort auf dem Boden der Kellerbar in „Stellung“ zu gehen. Der Zeuge K. sah
dabei den Soldaten als Vorgesetzten an, der aufgrund des (höheren) Dienst-
grades als Oberfeldwebel ihm gegenüber zum Erteilen von Befehlen berechtigt
war. Dass es dabei nicht um einen Scherz ging, ergab sich für ihn als Adressa-
ten dieser Anweisung ungeachtet der frühen Morgenstunde und der für eine
Befehlserteilung ungewöhnlichen Örtlichkeit daraus, dass sich der Soldat unmit-
telbar vorher ausdrücklich seiner Befehlsbefugnisse berühmt hatte und diese
ungeachtet aller Einwände seiner Ehefrau und des Zeugen E. erkennbar in An-
spruch nehmen und demonstrieren wollte, um „recht“ zu behalten und sich
- gerade auch vor seiner Ehefrau - in Szene zu setzen.
Dem Umstand, dass der Zeuge K. gemeint hat, er sei auf die Anweisung des
Soldaten hin wahrscheinlich hinter dem Tresen, nicht aber vor diesem, in „Stel-
lung“ gegangen, während der Zeuge E. angegeben hat, diesen Vorgang vor
dem Tresen gesehen zu haben, kommt dabei kein entscheidendes Gewicht zu.
Sowohl für die Bewertung der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen K.
als auch für die disziplinarrechtliche Würdigung des Verhaltens des Soldaten ist
es von nachrangiger Bedeutung, in welchem Bereich der Kellerbar er sich auf
den Boden warf. Entscheidend ist insoweit allein die Frage, ob der Soldat dem
Zeugen K. die ihm vorgeworfene Anweisung mit Gehorsamsanspruch erteilte.
Auch wenn angesichts der vor allem in § 10 Abs. 4 SG normierten rechtlichen
Grenzen der Befehlsbefugnis eines militärischen Vorgesetzten das Verhalten
des Zeugen K. unverständlich und seinerseits kritikwürdig erscheint, ist es je-
doch psychologisch nachvollziehbar. Der Zeuge K. hat glaubhaft bekundet,
dass ihm und seinen Kameraden während der Ausbildung bei der Bundeswehr
- in seiner Wahrnehmung - stets vermittelt worden sei, die lautstarke, an Unter-
gebene adressierte formelhafte Anweisung „Stellung“ durch einen militärischen
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Vorgesetzten sei widerspruchslos zu befolgen. Insoweit bestehe, wie er gelernt
habe, für einen Untergebenen keine Veranlassung und keine Möglichkeit für
Nachfragen oder Widerspruch. Er habe auch weder gewusst noch gelernt, wie
er sich einer solchen Anweisung habe widersetzen können. Angesichts des
persönlichen Eindrucks, den der Senat von dem Zeugen E. in der Berufungs-
hauptverhandlung hat gewinnen können, erscheint diese subjektive Wahrneh-
mung des Zeugen und seine Wiedergabe seiner damaligen Einschätzung der
Lage glaubhaft. Er hat dem Senat verbal und nonverbal den Eindruck insoweit
ungeschminkter Offenheit und uneingeschränkter Ehrlichkeit vermittelt. Das ist
nicht zuletzt auch in der Spontaneität seiner Aussagen zum Ausdruck gekom-
men.
Das Aussageverhalten des Zeugen K. war auch frei von jedem Belastungseifer.
Ersichtlich war er darum bemüht, das, was er gefragt wurde, ehrlich zu beant-
worten, und zwar unabhängig davon, ob es für den Soldaten nachteilig oder
eher von Vorteil ist.
Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Zeuge K. zu seinen den Soldaten be-
lastenden Aussagen durch Dritte, etwa - wie der Soldat angedeutet hat - durch
den Oberfeldwebel T., angestachelt worden ist oder sich gar an einem „Kom-
plott“ gegen den Soldaten und/oder den früheren Kompaniechef beteiligt hat
oder beteiligt, hat der Senat nicht festzustellen vermocht. Auch der Soldat ist
insofern jede Konkretisierung seines geäußerten Verdachts schuldig geblieben.
Zudem hat der Soldat, wie er in dem Schriftsatz seines Verteidigers vom 25.
Juli 2005 hat vortragen lassen, eingeräumt, er vermöge „aus eigener Erinne-
rung nicht auszuschließen, dass es zu dem von Herrn K. genannten Vorfällen
gekommen ist.“
Für die Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen K. und für seine Glaub-
würdigkeit spricht ferner, dass er seine damals in der Kellerbar durchaus vor-
handenen emotionalen und mentalen Zweifel an der Richtigkeit seines Verhal-
tens sowie den inneren Prozess der Zurück- und Verdrängung dieser Zweifel in
der Berufungshauptverhandlung offen und nachvollziehbar geschildert hat, wo-
bei er sich auch nicht gescheut hat, Umstände anzusprechen, die seine innere
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Standfestigkeit und seine Persönlichkeitsstärke in einem eher ungünstigen Licht
erscheinen lassen. Der Zeuge K. hat insoweit keine Hemmungen gezeigt, offen
einzuräumen, dass er lieber „den Mund gehalten“ habe statt zu riskieren, sich
unter Umständen später vorhalten lassen zu müssen, er habe einen möglicher-
weise rechtswidrigen Befehl eines - wenn auch offenkundig stark alkoholisier-
ten - Vorgesetzten nicht befolgt. Er habe damals die Laufbahn eines Offiziers
angestrebt und deshalb befürchtet, widerständiges Verhalten könne sich dabei
für ihn negativ auswirken, und zwar selbst dann, wenn der Befehl rechtswidrig
oder gar unwirksam sei. Er habe in seinem bisherigen Leben - leider - die Er-
fahrung machen und lernen „müssen“, dass sich Widerspruch gegenüber Vor-
gesetzten oder „Höhergestellten“ letztlich nicht auszahle. Falle man durch Wi-
derspruch, auch wenn dieser möglicherweise berechtigt sei, auf, könne dies
nachteilige Folgen für das eigene berufliche Fortkommen haben. Diesem Risiko
habe er sich nicht aussetzen wollen. Mit dem Ausführen der ihm durch den Sol-
daten erteilten Anweisung habe er sich dagegen auf der sicheren Seite gefühlt,
auch wenn er sich über den Soldaten geärgert habe. Diese offene Darlegung
seines inneren Zwiespaltes und seiner - eher opportunistischen - Gründe für
seinen Gehorsam gegenüber der ihm erteilten lautstarken Anweisung des Sol-
daten spricht dafür, dass der Zeuge K. sich bei seinem Bemühen, die an ihn
gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten, nicht geschont hat, sondern
ernstlich bestrebt war, über das von ihm bei dem in Rede stehenden Vorfall
Wahrgenommene in jeder Hinsicht ungeschminkt zu berichten.
Da der Zeuge K. - anders als der Soldat - die Nacht nicht durchgezecht hatte,
kann mit der erforderlichen Gewissheit davon ausgegangen werden, dass sein
Wahrnehmungsvermögen nicht infolge seines Alkoholabusus beeinträchtigt
war. Für eine gegenteilige Annahme fehlt es an jedem Anknüpfungspunkt. Auch
aus den Aussagen der Zeugen E., St. und Eg. ergibt sich kein Anhalt dafür,
dass der Zeuge K. zum Tatzeitpunkt an jenem Morgen des 19. Dezember 2003
z.B. infolge vorhergehenden starken Alkoholgenusses nicht Herr seiner Sinne
gewesen wäre.
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Soweit die Zeugin St. in der Berufungshauptverhandlung ausgesagt hat, sie
habe an jenem Morgen des 19. Dezember 2007 in der Kellerbar zwar „alles ge-
sehen“, jedoch nicht bemerkt, dass der Soldat den Zeugen K. angewiesen ha-
be, in „Stellung“ zu gehen, also sich auf den Fußboden zu werfen, vermag dem
der Senat ebenso wenig zu folgen wie ihrer Bekundung, der Zeuge K. habe sich
gar nicht auf den Fußboden der Kellerbar geworfen, sondern habe sich nur „im
Stillgestanden“ befunden oder „stramm gestanden“. Dabei ist zunächst zu be-
rücksichtigen, dass die Zeugin St. als Ehefrau des Soldaten ein persönliches
Eigeninteresse an dessen Entlastung hat, um eine disziplinare Ahndung seines
Verhaltens zu vermeiden, die nicht nur für ihn, sondern für die Familie mit eher
negativen Auswirkungen verbunden sein kann. Die Zeugin St. hat zwar dem
Senat einen äußerst bestimmten und selbstbewussten Eindruck von ihrer Per-
sönlichkeit zu vermitteln gesucht. Bei konkreten Nachfragen oder Vorhalten hat
sie sich jedoch regelmäßig auf eher vage und diffuse Einlassungen zurückge-
zogen, die nicht haben erkennen lassen, dass sie um eine vollständige Aufklä-
rung des tatsächlichen damaligen Geschehens und insbesondere des Verhal-
tens ihres Ehemannes bemüht war. Dabei kann offenbleiben, ob sie insoweit
bewusst die Unwahrheit gesagt hat oder ob sich ihre Erinnerungen an das Tat-
geschehen - unter Umständen im Gefolge häufiger Gespräche und Erörterun-
gen mit ihrem Ehemann - zwischenzeitlich untrennbar mit dem vermischt ha-
ben, was sie nunmehr - subjektiv wahrhaftig - für das Tatgeschehen hält.
Gegen die Glaubhaftigkeit der in Rede stehenden Bekundungen der Zeugin St.
spricht zudem ferner, dass der Soldat im Rahmen seiner Vernehmung in der
Berufungshauptverhandlung erklärt hat, seine frühere Aussage im Rahmen sei-
ner im August 2004 erfolgten Vernehmung im Luftwaffenausbildungsregiment
durch Oberstleutnant B. habe sich nicht auf seine eigenen Erinnerungen, son-
dern auf das gestützt, was ihm die Zeugin St., seine Ehefrau, zuvor von dem
Geschehen berichtet habe. Denn er selbst habe wegen seines stark alkoholi-
sierten Zustandes aufgrund eigener Wahrnehmung nicht mehr gewusst, was
sich in der Kellerbar tatsächlich abgespielt habe. Ausweislich der dem Soldaten
- in der Berufungshauptverhandlung vorgehaltenen - Niederschrift über diese
am 2. August 2004 durch Oberstleutnant B. erfolgte Vernehmung sagte der
Soldat zwar bereits damals aus, der Zeuge K. habe, nachdem er, der Soldat,
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sein Bedauern über dessen Nichtzugehörigkeit zu seinem Zug zum Ausdruck
gebracht habe, erklärt: „Das macht nichts, für Sie, Herr Oberfeldwebel, tu ich
alles. Ich gehe auch in Stellung.“ Dementsprechend habe sich der Zeuge dann
auch „freiwillig“ auf den Boden geworfen („aber nicht in dem Scherbenhaufen“).
Demgegenüber hat sich der Soldat nunmehr in der Berufungshauptverhand-
lung, ebenso wie schon in der Verhandlung vor der Truppendienstkammer, da-
hin eingelassen, seine damalige Aussage beruhe auf den Angaben seiner Ehe-
frau. Wäre dies richtig, wäre seiner Ehefrau, der Zeugin St., mithin zumindest
damals bewusst gewesen, dass sich der Zeuge K. - aus welchen Motiven her-
aus auch immer - tatsächlich auf den Boden der Kellerbar geworfen hatte, was
sie aber nunmehr bestreitet bzw. nicht gesehen haben will. Soweit die Angaben
des Soldaten bei seiner am 2. August 2004 erfolgten Vernehmung - wie er zwi-
schenzeitlich ebenfalls geltend gemacht hat - auf einem Missverständnis seiner
Ehefrau hinsichtlich des Bedeutungsgehaltes der Anweisung „Stellung“ beruht
haben sollten, änderte dies freilich nichts daran, dass er auf der Basis der An-
gaben seiner Ehefrau - wie in der Niederschrift über die Vernehmung festgehal-
ten - der Sache nach die Aussage des Zeugen K. bestätigte, dass sich dieser
auf den Boden der Kellerbar - „aber nicht in dem Scherbenhaufen“ - hinlegte.
Diese widersprüchlichen Angaben des Soldaten und seiner Ehefrau, der Zeugin
St., begründen in Verbindung mit ihrem offenkundigen beiderseitigen Eigeninte-
resse an einer spezifischen Darstellung des Geschehens schwerwiegende
Zweifel an der Richtigkeit ihrer diesbezüglichen Einlassungen und Bekundun-
gen in der Berufungshauptverhandlung.
Auch die Aussage des Zeugen Eg. steht der Glaubhaftigkeit der Bekundungen
des Zeugen K. nicht entgegen. Denn der Zeuge Eg. hat in der Berufungshaupt-
verhandlung ausgesagt, er selbst sei zum fraglichen Zeitpunkt in der Kellerbar
„schon richtig betrunken“ gewesen. Er meinte sich lediglich daran erinnern zu
können, dass der Zeuge K. in den „Liegestütz“ gegangen sei. Was dem voraus-
gegangen sei, sei ihm nicht mehr erinnerlich. Demgegenüber hat er in der Ver-
handlung vor der Truppendienstkammer ausgesagt, er habe in Erinnerung,
dass der Soldat zu dem Zeugen K. geäußert habe, dieser „solle Liegestützen
machen“; ob dieser dem nachgekommen sei, wisse er nicht. Allerdings glaubte
er sich daran erinnern zu können, dass er, der Zeuge, zu dem Zeugen K. da-
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mals gesagt habe, der „Oberfeldwebel sei stark betrunken“ und er, der Zeuge
K., „müsse diesen Befehl nicht ausführen.“ Er wisse nicht genau, ob sich „der
Rekrut“, also der Zeuge K., tatsächlich hingelegt habe. Ausschließen könne er
es nicht. Diese widersprüchlichen und unpräzisen Bekundungen des Zeugen
Eg. sind nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit der Aussagen des Zeugen K. zu
erschüttern.
Ferner steht auch die Aussage des Zeugen E. der Glaubhaftigkeit der Bekun-
dungen des Zeugen K. nicht entgegen. Denn der Zeuge E. hat in der Beru-
fungshauptverhandlung ausgeführt, er „nehme an“, dass der Zeuge K. auf dem
Boden gelegen habe. Er, der Zeuge, habe allerdings nicht alle Gespräche zwi-
schen dem Soldaten, der Ehefrau und dem Zeugen K. mitbekommen. Es habe
nach seiner Erinnerung Meinungsverschiedenheiten und „Uneinigkeit“ gegeben.
Dann sei es „irgendwie dazu gekommen“, dass der Zeuge K. auf Veranlassung
des Soldaten „in Stellung gehen sollte“. Er sei sich „zu 80 %“ sicher, dass „K. in
Stellung gehen musste“ und sich dann auf dem Boden befunden habe, auf dem
noch einzelne Scherben gelegen hätten. Dieser Aussage mangelt die erforderli-
che Präzision, sie spricht in ihrem Kern jedoch eher für die inhaltliche Richtig-
keit der Bekundungen des Zeugen K..
Die Bekundungen des von der Truppendienstkammer richterlich vernommenen
Zeugen Sp., die durch Verlesung gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 251
Abs. 1 Nr. 1 StPO zusammen mit dessen schriftlicher Aussage vom
6. September 2004 in die Berufungshauptverhandlung eingeführt worden sind,
haben dagegen wenig Beweiswert. Sie sind in sich widersprüchlich und im ent-
scheidenden Punkt unklar. Denn der Zeuge Sp. hat dort einerseits bekundet,
der Soldat habe dem Zeugen K. wiederholt die Bemerkung „Stellung“ entge-
gengerufen; K. habe in dieser Situation gar nicht mehr gewusst, was er tun soll-
te. Andererseits hat der Zeuge Sp. erklärt: „ob das Wort ‚Stellung’ fiel, weiß ich
nicht“. Angesichts dessen hat der Senat im Einvernehmen mit allen Verfah-
rensbeteiligten von einer nochmaligen Vernehmung des Zeugen Sp. in der Be-
rufungshauptverhandlung Abstand genommen.
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Ungeachtet der verbliebenen Unklarheiten insbesondere in den Aussagen der
Zeugen Eg. und E. hat der Senat aufgrund der Glaubhaftigkeit der Bekundun-
gen des Zeugen K. und dessen Glaubwürdigkeit jedoch keinen ernsthaften
Zweifel daran, dass der Soldat dem Zeugen K. tatsächlich am Morgen des 19.
Dezember 2003 mit Gehorsamsanspruch die Anweisung erteilte, auf dem Bo-
den der Kellerbar, auf dem sich verstreut noch Glasscherben befanden, sofort
in Stellung zu gehen, und dass der Zeuge K. dieser Aufforderung auch nach-
kam.
Die Bekundungen des Zeugen K. werden zudem im Kerngeschehen durch die
in der Berufungshauptverhandlung im Einverständnis mit dem Vertreter des
Bundeswehrdisziplinaranwaltes, der Verteidigung und dem Angeschuldigten
gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 251 Abs. 2 Nr. 1 StPO verlesene
schriftliche Aussage des Zeugen F. (E-mail-Schreiben vom 16. August 2005,
Beiakte I Bl. 9) bestätigt. Darin berichtete dieser davon, der Soldat habe sich in
der Kellerbar an jenem Morgen damit gebrüstet, dass „jeder unter seinem
Kommando jeden Befehl jederzeit ausführen müsse“. Trotz Einwänden seiner
Ehefrau habe der Soldat dann schließlich dem Zeugen K. „befohlen“, in Stellung
zu gehen, „um seine Aussage zu beweisen“. Nachdem K. auf die Glasscherben
am Boden hingewiesen und die Zeugin St. den Soldaten nochmals gebeten
habe, „dieses Thema fallen zu lassen“, habe der Soldat dennoch „den Befehl,
Stellung zu nehmen“ mehrere Mal wiederholt und habe auf seinem Standpunkt
beharrt, „dass sein Befehl ausgeführt werden müsse.“ Um die Situation nicht
eskalieren zu lassen, sei der Zeuge K. schließlich auf dem Boden in Stellung
gegangen.
b) Disziplinarrechtliche Würdigung
Anschuldigungspunkt 1:
Mit seiner dem Zeugen O. im Duschraum mit Gehorsamsanspruch erteilten
Anweisung, in „Stellung“ zu gehen, d.h. sich sofort auf den Boden zu werfen,
hat der Soldat seine Dienstpflicht nach § 10 Abs. 4 SG verletzt.
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Es handelte sich bei dieser Anweisung um einen Befehl. Das Soldatengesetz
definiert den Begriff „Befehl“ nicht, sondern setzt ihn mit dem Inhalt, wie er in
§ 2 Nr. 2 WStG normiert ist, voraus (stRspr, vgl. Beschluss vom 8. November
1990 - BVerwG 1 WB 86.89 - BVerwGE 86, 349 = NZWehrr 1991, 69 und Urteil
vom 21. Juni 2005 - BVerwG 2 WD 12.04 - Buchholz 236.1 § 11 SG Nr. 1 =
EuGRZ 2005, 636 <646> = NJW 2006, 77 <80>). Danach ist als Befehl eine
Anweisung zu einem bestimmten Verhalten anzusehen, die ein militärischer
Vorgesetzter (§ 1 Abs. 5 SG) einem (militärischen) Untergebenen schriftlich,
mündlich oder in sonstiger Weise, allgemein oder für den Einzelfall und mit dem
Anspruch auf Gehorsam erteilt. Dabei ist nicht erforderlich, dass vom Anwei-
senden der Ausdruck „Befehl“ verwendet wird (Beschluss vom 12. Oktober
1983 - BVerwG 1 WB 128.82 - BVerwGE 76, 122 = NZWehrr 1984, 118). Maß-
geblich ist - wie auch bei anderen Erklärungen im Rechtsverkehr - der Erklä-
rungsgehalt nach dem Empfängerhorizont eines objektiven Betrachters (sog.
objektivierter Empfängerhorizont gemäß.
Wie vom Senat festgestellt, handelte es sich in der konkreten Situation, in der
der Soldat den Zeugen O. aufforderte, in „Stellung“ zu gehen, in der Bewertung
nach dem objektivierten Empfängerhorizont um einen Befehl, nicht aber, wie
der Soldat geltend macht, um einen für den Adressaten erkennbaren Spaß,
Scherz oder „Flachs“. Vielmehr konnte und musste der Zeuge O. davon ausge-
hen, dass der während eines Kontrollgangs durch das Unterkunftsgebäude ihm
gegenübertretende Soldat, für ihn ein Vorgesetzter kraft höheren Dienstgrades
(§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VorgV), von ihm mit Gehorsamsanspruch verlangte, die
formelhafte Anweisung „Stellung“ unverzüglich auszuführen. Dafür, dass es
sich etwa lediglich um eine erkennbar nicht ernst gemeinte Äußerung des Sol-
daten handelte, fehlte es nach dem objektivierten Empfängerhorizont für den
Zeugen O. an hinreichenden Anhaltspunkten. Dafür spricht vor allem auch,
dass der Soldat seine Anweisung, nachdem der Zeuge O. zunächst mit der
Ausführung gezögert hatte, noch zweimal wiederholte. Dies konnte und musste
der Zeuge O. bei objektiver Betrachtung dahin verstehen, dass der Soldat sich
mit seinem anfänglichen Zögern nicht abfand, sondern auf der Ausführung be-
stand. Wenn es der Soldat als Vorgesetzter unterließ, sein - wie er nunmehr
behauptet - anderweitiges subjektives Verständnis seiner dreimaligen lautstar-
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ken Aufforderung, in „Stellung“ zu gehen, klar und unmissverständlich zum
Ausdruck zu bringen, muss er sich den objektiven Erklärungsgehalt seiner Äu-
ßerung zurechnen lassen.
Diese somit als Befehl zu qualifizierende Anweisung wurde von dem Soldaten
entgegen § 10 Abs. 4 SG nicht „nur zu dienstlichen Zwecken“ erteilt. Dies wäre
nur dann der Fall gewesen, wenn der militärische Dienst den Befehl erfordert
hätte, um die durch die Verfassung normierten Aufgaben der Bundeswehr zu
erfüllen (stRspr, vgl. u.a. Urteile vom 21. Juni 2005 a.a.O. m.w.N., vom
13. September 2005 - BVerwG 2 WD 31.04 - NZWehrr 2006, 247 und vom
26. September 2006 - BVerwG 2 WD 2.06 - BVerwGE 127, 1 = Buchholz 449
§ 10 SG Nr. 55 = NZWehrr 2007, 79; Scherer/Alff, SG, 7. Aufl 2003, § 10
Rn. 47 und § 11 Rn. 15 jeweils m.w.N.). Allein dieser Zwecksetzung hat der
vom Soldaten dem Zeugen O. erteilte Befehl nicht gedient. Auch der Soldat
macht dies letztlich nicht geltend.
Die Erteilung des in Rede stehenden und von Anschuldigungspunkt 1 erfassten
Befehls verstieß ferner gegen die Fürsorgepflicht (§ 10 Abs. 3 SG) des Solda-
ten. Diese beinhaltet die Pflicht jedes militärischen Vorgesetzten, den Unterge-
benen nach Recht und Gesetz zu behandeln (Urteile vom 16. März 2004
- BVerwG 2 WD 3.04 - BVerwGE 120, 193 = Buchholz 235.01 § 93 WDO 2002
Nr. 1 = NZWehrr 2004, 213 und vom 21. Dezember 2006 - BVerwG 2 WD
19.05 -). Die Untergebenen müssen das - berechtigte - Gefühl haben, dass sie
von diesem nicht nur als Befehlsempfänger betrachtet werden, sondern dass er
von den ihm eingeräumten Befehls- und sonstigen Befugnissen nur unter an-
gemessener Berücksichtigung ihrer persönlichen Belange Gebrauch macht,
sich bei allen Handlungen und Maßnahmen von Wohlwollen gegenüber dem
jeweiligen Soldaten leiten lässt und dass er stets bemüht ist, ihn vor Schäden
und unzumutbaren Nachteilen zu bewahren (stRspr, vgl. u.a. Urteil vom
13. Februar 2003 - BVerwG 2 WD 33.02 - Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002
Nr. 1 = NVwZ-RR 2003, 574 sowie die Einzelnachweise bei Scherer/Alff, a.a.O.,
§ 10 Rn. 23). Insbesondere muss der Vorgesetzte die körperliche Integrität so-
wie die Ehre und Würde des Untergebenen strikt achten.
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Dagegen verstieß der Soldat. Denn er nutzte seine ihm als Vorgesetzten
grundsätzlich zustehende Befehlsbefugnis aus, um dem Zeugen O. zu de-
monstrieren, dass er ihn dazu bringen könne, auch dann zu gehorchen, wenn
dies nicht für die Erreichung eines dienstlichen Zweckes erforderlich ist. Es ging
dem Soldaten nach seinen eigenen Angaben subjektiv darum, sich einen Spaß
zu machen. Zu diesem - nichtdienstlichen - Zweck verletzte er seine Dienst-
pflichten und behandelte den Zeugen damit nicht nach Recht und Gesetz. Er
degradierte ihn in demütigender Weise letztlich zu einem bloßen Befehlsemp-
fänger und missachtete dessen Würde als autonome mit Vernunft begabte Per-
sönlichkeit. Zugleich versetzte er den dienstlich noch relativ unerfahrenen Zeu-
gen O. ohne jeden dienstlichen Grund in eine schwierige Situation, so dass von
einem wohlwollenden Umgang mit einem Untergebenen und einer angemesse-
nen Berücksichtigung dessen persönlicher Belange schlechterdings keine Rede
sein konnte. Entweder führte dieser den erteilten Befehl aus und warf sich ohne
jeden dienstlichen Zweck in unbekleidetem Zustand in Gegenwart eines Dritten,
des Zeugen Em., auf den feuchten Boden des Duschraums, was für den Zeu-
gen O. angesichts der konkreten Umstände demütigend sein musste. Als Alter-
native stand dem Zeugen O. zwar die Möglichkeit offen, diesem Befehl des
Soldaten den Gehorsam zu verweigern, sich damit - in seiner subjektiven, frei-
lich rechtsirrigen Vorstellung - allerdings dem Risiko einer disziplinar- oder gar
strafrechtlichen Verfolgung wegen Ungehorsams auszusetzen. Die charakterli-
che Stärke zur Verweigerung der Ausführung des nicht zu dienstlichen Zwe-
cken erteilten und damit nach § 11 Abs. 1 Satz 3 SG unwirksamen Befehls (vgl.
zu den rechtlichen Grenzen des soldatischen Gehorsams u.a. Urteile vom 21.
Juni 2005 a.a.O. und vom 21. Dezember 2006 - BVerwG 2 WD 19.05 -) brachte
der Zeuge O. nicht auf. Ein Vorgesetzter, der einen Untergebenen in eine sol-
che Lage bringt, handelt nicht fürsorglich.
Mit seinem von Anschuldigungspunkt 1 erfassten Verhalten verstieß der Soldat
zugleich gegen seine Pflicht zur Kameradschaft (§ 12 S. 2 SG). Das von ihm
dem Zeugen O. aufgezwungene Verhalten, sich ohne jeden dienstlichen Zweck
unbekleidet - zudem in Gegenwart eines Dritten - auf den feuchten Boden des
Duschraums zu werfen, war für diesen demütigend. Dem Zeugen O. wurde die
Rolle eines bloßen - bedingungslos gehorchenden - Befehlsempfängers zuge-
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mutet und sein menschliches Selbstwertgefühl grob missachtet. Dies verletzte
den personalen und sozialen Geltungswert des Zeugen O. und damit dessen
durch § 12 Satz 2 SG geschützte Ehre.
Ein Vorgesetzter, der - wie der Soldat mit seinem von Anschuldigungspunkt 1
erfassten Verhalten - die Grenzen seiner Befehlsbefugnisse in der festgestellten
Art überschreitet und sich damit nach § 32 WStG („Missbrauch der Befehlsbe-
fugnis zu unzulässigen Zwecken“) auch strafbar macht sowie zudem noch die
Ehre eines Kameraden verletzt, verstößt ferner gegen seine Pflicht zu ach-
tungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG).
Bei seinem von Anschuldigungspunkt 1 erfassten Fehlverhalten handelte der
Soldat durchweg vorsätzlich. Denn er wusste, was er tat und er wollte dies
auch.
Nachtragsanschuldigungschrift in Verbindung mit Anschuldigungspunkt 2:
Auch die vom Soldaten dem Zeugen K. erteilte Anweisung, am Morgen des 19.
Dezember 2003 in der Kellerbar in „Stellung“ zu gehen, d.h. sich an Ort und
Stelle sofort auf den Boden zu werfen, war ein Befehl. Denn sie erfolgte eben-
falls mit Gehorsamsanspruch. Der Zeuge K. konnte und musste nach den kon-
kreten Umständen bei Zugrundelegung des Maßstabes eines objektivierten
Empfängerhorizontes davon ausgehen, dass der Soldat von ihm die Befolgung
der Anweisung verlangte und dafür seine Vorgesetztenstellung in Anspruch
nahm. Dafür spricht nicht nur die vorhergehende Debatte über die Befehlsbe-
fugnisse, derer sich der Soldat in Gegenwart seiner Ehefrau, der Zeugin St.,
berühmte und die er dann gegenüber dem Zeugen K. praktisch zu demonstrie-
ren versuchte. Die Ernsthaftigkeit des Gehorsamsanspruchs des Soldaten wur-
de für den Zeugen K. - bei Zugrundelegung eines objektivierten Empfängerhori-
zontes - auch dadurch augenfällig, dass der Soldat trotz des Widerspruchs der
Zeugin St. und des Zögerns des Zeugen K. auf der Ausführung seiner Anwei-
sung bestand und diese wiederholt zum Ausdruck brachte. Wie schon bei dem
von Anschuldigungspunkt 1 erfassten Fehlverhalten gegenüber dem Zeugen O.
nutzte der Soldat das ihm als Vorgesetzten zustehende militärische Führungs-
instrument des Befehls dazu, sich einen Spaß zu machen und sich in Szene zu
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setzen. Er überschritt dabei die von § 10 Abs. 4 SG gezogenen Grenzen, da die
Befehlserteilung nicht zu einem dienstlichen Zweck erfolgte.
Ebenso wie sein von Anschuldigungspunkt 1 erfasstes Fehlverhalten verstieß
sein dem Zeugen K. erteilter Befehl, in der Kellerbar in Stellung zu gehen, auch
gegen seine dienstlichen Pflichten zur Fürsorge (§ 10 Abs. 3 SG), zur Kame-
radschaft (§ 12 Satz 2 SG) sowie zu achtungs- und vertrauenswürdigem Ver-
halten im Dienst (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG). Insofern wird auf die oben dargeleg-
ten Gründe verwiesen.
Allerdings kann dem Soldaten nicht mit der erforderlichen Gewissheit nachge-
wiesen werden, dass er bei seinem von Anschuldigungspunkt 2 erfassten Fehl-
verhalten mit Vorsatz gehandelt hat, so dass er insoweit von Anschuldigungs-
punkt 2 freizustellen ist. Denn der Soldat hat sich unwiderlegt dahin eingelas-
sen, dass er am Abend und in der Nacht des 18. auf den 19. Dezember 2003
unkontrolliert eine sehr große Menge an alkoholischen Getränken zu sich ge-
nommen habe. Ein solch starker Alkoholgenuss bei den Weihnachtsfeiern sei-
ner Einheit sei für ihn nichts Außergewöhnliches gewesen. Gerade deshalb ha-
be er auch dafür gesorgt, dass seine Ehefrau ihn anschließend nach Hause
fahren würde. Die Zeugin St. hat den erheblichen Alkoholkonsum und seine
unübersehbaren körperlichen und mentalen Ausfallerscheinungen bestätigt,
ohne diese freilich präzise beschreiben zu können.
Im vorliegenden Fall geht der Senat auf der Grundlage der Angaben des Solda-
ten und der Zeugin St. zum erfolgten Alkoholkonsum zugunsten des Soldaten
davon aus, dass das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen des § 20
StGB nicht ausgeschlossen werden kann, so dass dem Soldaten hinsichtlich
des von Anschuldigungspunkt 2 erfassten Fehlverhaltens ein vorsätzliches
Handeln hinsichtlich der objektiv begangenen Pflichtverletzungen (§ 10 Abs. 3
und Abs. 4, § 12 Satz 2 und § 17 Abs. 2 Satz 1 SG) nicht nachgewiesen wer-
den kann.
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Von der Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung der tat-
sächlichen Voraussetzungen einer zum Tatzeitpunkt wegen einer infolge des
starken Alkoholkonsums krankhaften seelischen Störung oder tiefgreifenden
Bewusstseinsstörung fehlenden Schuldfähigkeit des Soldaten (entsprechend
§ 20 StGB) hat der Senat Abstand genommen. Für die Erstellung eines solchen
Sachverständigengutachtens fehlt es an hinreichenden tatsächlichen Grundla-
gen. Denn vom Soldaten ist seinerzeit keine (tatzeitnahe) Blutprobe zur Fest-
stellung der Blutalkoholkonzentration (Tatzeit-BAK) genommen worden. Dar-
über hinaus lassen sich Menge und Art seines Alkoholkonsums nicht mehr ver-
lässlich rekonstruieren. Seine hierzu im Verlaufe des Ermittlungsverfahrens so-
wie vor der Truppendienstkammer und in der Berufungshauptverhandlung ge-
machten Angaben deuten zwar auf eine beträchtliche Menge im Verlaufe der
Nacht fortlaufend konsumierter - zumeist hochprozentiger - alkoholischer Ge-
tränke hin. Diese Einlassungen zur Alkoholmenge und zur Art der konsumierten
Getränke waren jedoch unpräzise und wenig verlässlich, offenbar auch des-
halb, weil der Soldat damals nach seinen eigenen Bekundungen sowie derjeni-
gen der Zeugin St. und des Zeugen Eg. stark alkoholisiert war. Auch zu von
ihnen beim Soldaten beobachteten Ausfallerscheinungen, seinem Erschei-
nungsbild sowie seinem Sprach- und Leistungsverhalten haben die vorgenann-
ten Zeugen keine verlässlichen Angaben machen können. Der Soldat selbst hat
sich in der Berufungshauptverhandlung dahin eingelassen, er habe keine Erin-
nerungen mehr an die genaue Menge seines Alkoholkonsums und an sein Ver-
halten in jenen frühen Morgenstunden, so dass damit seine Angaben ohnehin
keine hinreichende Grundlage für eine verlässliche Tatsachenermittlung bieten.
Auch die Verfahrensbeteiligten haben die Einholung eines Sachverständigen-
gutachtens nicht beantragt.
Geht der Senat mithin zugunsten des Soldaten davon aus, dass dieser sich
zum Tatzeitpunkt am Morgen des 19. Dezember 2003 wegen einer alkoholbe-
dingten krankhaften seelischen Störung oder einer infolge des erheblichen Al-
koholgenusses ausgelösten tiefgreifenden Bewusstseinsstörung unfähig war,
das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, ändert
dies freilich nichts daran, dass dem Soldaten seine von Anschuldigungspunkt 2
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erfassten objektiven Pflichtverletzungen - wie ihm zu Recht in der Nachtragsan-
schuldgungsschrift vorgeworfen worden ist - zuzurechnen sind.
Eine zum Tatzeitpunkt tatsächlich - oder jedenfalls nicht mit der erforderlichen
Gewissheit auszuschließende - fehlende Einsichts- oder Handlungsfähigkeit
des Täters (entsprechend § 20 StGB), die durch den Genuss alkoholischer Ge-
tränke (oder - hier nicht einschlägig - anderer berauschender Mittel) verursacht
worden ist, schließt die Verantwortung für die im Vollrausch begangene objektiv
pflichtwidrige Handlung („Rauschtat“) nicht aus. Dies gilt jedenfalls dann, wenn
der Täter sich vorsätzlich oder fahrlässig in den seine Einsichts- oder Steue-
rungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand versetzt hat. Dies ergibt sich
wegen des für alle materiellrechtlichen Vorschriften geltenden Analogieverbots,
das nicht nur im Strafrecht, sondern im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG auch im
Wehrdisziplinarrecht gilt (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 11. Juni 1969
- 2 BvR 518.66 - BVerfGE 26, 286 <203, 204> m.w.N.; BVerwG, Urteile vom
1. Juli 1992 - BVerwG 2 WD 14.92 - BVerwGE 93, 269 = NZWehrr 1993, 72,
und vom 9. Januar 2007 - BVerwG 2 WD 20.05 -), nicht aus einer entsprechen-
den Anwendung des in § 323a StGB normierten „Rechtsgedankens“ (so
SchererAlff, a.a.O. § 23 Rn. 8 m.w.N.), sondern unmittelbar aus § 23 Abs. 1
SG. Danach begeht ein Soldat ein Dienstvergehen, wenn er „schuldhaft“, mithin
also vorwerfbar seine gesetzlichen Pflichten verletzt. Für den Bereich des
Wehrdisziplinarrechts ist diese Verantwortlichkeit des „Rauschtäters“ in der
diesbezüglichen ständigen Rechtspraxis gewohnheitsrechtlich anerkannt (vgl.
dazu u.a. BDH Wehrdienstsenat, Urteile vom 13. März 1959 - WD 4.59 -
NZWehrr 1960, 124 und vom 28. Januar 1960 - WD 39.59 - NZWehrr 1961,
165; BVerwG, Urteile vom 16. Oktober 1968 - BVerwG 2 WD 7.68 -, vom
25. Oktober 1973 - BVerwG 2 WD 56.72 - und vom 28. Juli 1977 - BVerwG
2 WD 43.76 -; Scherer/Alff, a.a.O. § 23 Rn. 8 m.w.N. ). Auch die Verteidigung
hat dies im vorliegenden Verfahren nicht in Zweifel gezogen.
Soweit mithin auf der Grundlage der Angaben des Soldaten zu dessen Gunsten
zum Tatzeitpunkt vom Vorliegen der tatsächlichen und rechtlichen Vorausset-
zungen des § 20 StGB und damit vom Zustand der Unzurechnungsfähigkeit
auszugehen ist, hat der Soldat im vorliegenden Falle seine in Rede stehenden
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Dienstpflichten (§ 10 Abs. 3 und 4, § 12 Satz 2 sowie § 17 Abs. 2 Satz 1 SG)
vorwerfbar und damit schuldhaft verletzt. Dies ergibt sich daraus, dass er sich
im Verlaufe des Abends und der Nacht vom 18. auf den 19. Dezember 2003
durch seinen ausgiebigen unkontrollierten Alkoholkonsum in einen seine Ein-
sichts- und Handlungsfähigkeit im Sinne des § 20 StGB ausschließenden
Rauschzustand versetzte, in dem er dann die festgestellten objektiven Pflicht-
verletzungen beging. Er war für die Art und die Menge der von ihm konsumier-
ten alkoholischen Getränke verantwortlich. Denn er allein traf die diesbezügli-
chen Entscheidungen. Soweit Vorgesetzte möglicherweise während der Weih-
nachtsfeier oder während der im Anschluss daran in der Kellerbar des Unter-
kunftsgebäudes fortgesetzten „Feier“ Kontroll- und Aufsichtspflichten verletzt
haben sollten, vermag dies den Soldaten nicht zu entlasten. Denn als erfahre-
ner Unteroffizier mit Portepee konnte und musste er wissen, welche negativen
Folgen der unkontrollierte Konsum einer großen Menge alkoholischer Getränke
hat.
Anhaltspunkte dafür, dass der Soldat darüber hinaus im Sinne der im Strafrecht
weithin anerkannten Rechtsfigur der „actio libera in causa“ (vgl. dazu u.a. Tröd-
le/Fischer, StGB, 53. Aufl. 2006, § 20 Rn. 49 ff. m.w.N.) gehandelt hat, indem er
vorsätzlich oder fahrlässig durch seinen Alkoholgenuss einen Zustand herbei-
geführt hat, in dem er die Tat bzw. die Pflichtverletzungen beging, wobei er mit
ihrer Begehung zumindest rechnete und einverstanden war oder - im Falle der
Fahrlässigkeit - darauf vertraute, es werde zu diesen Tathandlungen nicht
kommen, liegen nicht vor.
Sofern der starke Alkoholkonsum des Soldaten in der Nacht vom 18. auf den
19. Dezember 2003 lediglich dazu geführt hätte, dass bei diesem im Tatzeit-
punkt die tatsächlichen Voraussetzungen einer verminderten Schuldfähigkeit
entsprechend § 21 StGB vorlagen, würde sich dies nicht zugunsten des Solda-
ten auswirken. Der Senat würde in einem solchen Fall von der ihm bei Vorlie-
gen der Voraussetzungen des § 21 StGB eingeräumten Befugnis zur Milderung
der Maßnahmebemessung keinen Gebrauch machen. Denn nach seiner gefes-
tigten Rechtsprechung kommt eine solche Milderung nach § 21 StGB nur dann
in Betracht, wenn die alkoholbedingte Minderung der Schuldfähigkeit von dem
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Angeschuldigten nicht schuldhaft verursacht worden ist (vgl. dazu u.a. Urteile
vom 28. Oktober 2003 - BVerwG 2 WD 10.03 - DokBer B 2004, 193 = Blutalko-
hol 2005, 179, vom 24. November 2005 - BVerwG 2 WD 32.04 - NZWehrr
2006, 137, und vom 16. Mai 2006 - BVerwG 2 WD 3.05 -). Angesichts der
- freilich wenig verlässlichen - Angaben des Soldaten sowie der Zeugin St. und
des Zeugen Eg. zum Umfang des Alkoholgenusses bestehen keinerlei Anhalts-
punkte für die Schlussfolgerung, dass die Alkoholaufnahme und eine dadurch
bewirkte Minderung seiner Schuldfähigkeit ohne Verschulden erfolgt wären.
c) Maßnahmebemessung
Entgegen der Auffassung der Truppendienstkammer reicht es im vorliegenden
Falle nicht aus, ein Dienstvergehen des Soldaten festzustellen und das Verfah-
ren einzustellen. Zu Recht hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft geltend ge-
macht, dass vor allem angesichts der Schwere des Dienstvergehens und des
Maßes der Schuld des Soldaten eine gerichtliche Disziplinarmaßnahme in Ges-
talt eines Beförderungsverbotes zur Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen
Dienstbetriebes - gerade auch aus generalpräventiven Gründen - unverzichtbar
ist.
Art und Maß der zu verhängenden Disziplinarmaßnahme sind abhängig von der
Eigenart und Schwere des Dienstvergehens, seinen Auswirkungen, dem Maß
der Schuld, der Persönlichkeit, der bisherigen Führung sowie den Beweggrün-
den des Soldaten (§ 38 Abs. 1 i.V.m. § 58 Abs. 7 WDO).
aa) Die „Eigenart und Schwere“ eines Dienstvergehens bestimmen sich nach
dem Unrechtsgehalt der Verfehlung, mithin also nach der Bedeutung der ver-
letzten Pflichten.
Der Schwerpunkt des Dienstvergehens des Soldaten hinsichtlich des von An-
schuldigungspunkt 1 erfassten Fehlverhaltens liegt in der - mehrfachen - vor-
sätzlichen Erteilung eines Befehls zu nichtdienstlichen Zwecken und der damit
verbundenen Demütigung des Zeugen O., eines Untergebenen, sowie hinsicht-
lich des von der Nachtragsanschuldigungschrift in Verbindung mit Anschuldi-
gungspunkt 2 erfassten Fehlverhaltens, d.h. in den durch Herbeiführung eines
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Vollrausches bewirkten objektiven Pflichtverletzungen zum Nachteil des Zeugen
K.. Schon das Herbeiführen des Vollrausches wiegt für einen Soldaten in Vor-
gesetztenstellung äußerst schwer, da er ein schlechtes Beispiel in seiner Hal-
tung und Pflichterfüllung (§ 10 Abs. 1 SG) gibt (vgl. dazu u.a. Urteile vom 21.
Juni 1989 - BVerwG 2 WD 49.88 - DokBer B 1990, 23, und vom 8. November
2000 - BVerwG 2 WD 15.00 -). Bei der Maßnahmebemessung ist jedoch nicht
nur das Verschulden des Soldaten an der Herbeiführung des Rauschzustandes
zu berücksichtigen. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind - ebenso
wie im Strafrecht - auch Art und Schwere der im Rauschzustand begangenen
objektiven Pflichtverletzung zu würdigen (vgl. Urteile vom 25. Oktober 1973
a.a.O. und vom 21. Mai 1981 - BVerwG 2 WD 3.81 -).
Die Erteilung eines Befehls zu nichtdienstlichen Zwecken ist nach der ständigen
Rechtsprechung des Senats (vgl. u.a. Urteil vom 26. September 2006 - BVerwG
2 WD 2.06 - BVerwGE 127, 1 = Buchholz 449 § 10 SG Nr. 55 = NZWehrr 2007,
79) regelmäßig ein besonders schwerwiegender Verstoß gegen eine zentrale
Dienstpflicht eines Vorgesetzten. Denn die Einhaltung der durch § 10 Abs. 4 SG
gezogenen Grenzen seiner Befehlsbefugnis gehört zu seinen wesentlichen sol-
datischen Pflichten. Dies gilt unabhängig davon, ob mit der Erteilung des Be-
fehls, für den der Vorgesetzte in jedem Fall nach § 10 Abs. 5 SG die Verantwor-
tung trägt, im Einzelfall zugleich ein Straftatbestand, etwa nach § 32 WStG,
verwirklicht wurde oder nicht. Die strikte Beachtung dieser Begrenzung der Be-
fehlsbefugnis eines militärischen Vorgesetzten ist im demokratischen Rechts-
staat des Grundgesetzes von fundamentaler Bedeutung, und zwar sowohl im
Hinblick auf die verfassungsrechtliche Stellung der bewaffneten Streitkräfte, die
als Teil der vollziehenden Gewalt gemäß Art. 20 Abs. 3 GG in jeder Hinsicht an
Recht und Gesetz gebunden sind, als auch im Hinblick auf die durch Art. 1
Abs. 3 GG gebotene Beachtung der Grundrechte der (als Untergebene) betrof-
fenen Soldaten. Der besondere Unrechtsgehalt einer Überschreitung der Gren-
zen der Befehlsbefugnis kommt auch darin zum Ausdruck, dass der militärische
Vorgesetzte mit einem solchen Befehl Untergebene in eine äußerst schwierige
Situation bringt. Diese sind nach § 11 Abs. 1 SG grundsätzlich verpflichtet, ih-
rem Vorgesetzten zu gehorchen (Satz 1) und ihnen erteilte Befehle nach besten
Kräften vollständig, gewissenhaft und unverzüglich auszuführen (Satz 2). Sie
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sind zwar berechtigt, bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Satz 3
Halbs. 1 SG einen ihnen - nicht zu dienstlichen Zwecken - erteilten Befehl oder
aus vergleichbar schwerwiegenden anderen Gründen nicht zu befolgen (vgl.
dazu u.a. Urteil vom 21. Juni 2005 - BVerwG 2 WD 12.04 - Buchholz 236.1 § 11
SG Nr. 1 = NJW 2006, 77 <80 f.>). Dabei besteht für untergebene Soldaten in
der Praxis aber subjektiv meist die Schwierigkeit, bei Entgegennahme eines
Befehls nicht immer hinreichend sicher entscheiden zu können, ob die Voraus-
setzungen des § 11 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 SG oder ein anderer Grund, der sie
von der Gehorsamspflicht entbindet, im konkreten Fall wirklich vorliegen oder
nicht. Damit ist ein Untergebener in einem solchen Fall angesichts der Strafan-
drohung im Falle des Nichtbefolgens eines (verbindlichen) militärischen Befehls
(Gehorsamsverweigerung nach § 20 WStG, Ungehorsam nach § 19 WStG) er-
heblichen Risiken ausgesetzt. Ein Irrtum über das Vorliegen der Voraussetzun-
gen der genannten Vorschrift befreit ihn lediglich unter bestimmten Vorausset-
zungen (vgl. etwa § 11 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 SG) von seiner strafrechtlichen
und disziplinarrechtlichen Verantwortlichkeit. Ein militärischer Vorgesetzter, der
Untergebene in eine solche Situation bringt, handelt damit in grobem Maße
pflichtwidrig (vgl. dazu u.a. Urteile vom 19. September 2001 - BVerwG 2 WD
9.01 - Buchholz 236.1 § 10 SG Nr. 48 = NVwZ-RR 2002, 514 und vom 26. Sep-
tember 2006 a.a.O. m.w.N.).
Hinzu kommt das besondere Gewicht einer ehrverletzenden und entwürdigen-
den Behandlung eines Untergebenen durch einen Vorgesetzten. Es entspricht
der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass eine unwürdige oder ehrver-
letzende Behandlung Untergebener für einen Soldaten in Vorgesetztenstellung
stets ein sehr ernst zu nehmendes Fehlverhalten ist. Nach Art. 1 Abs. 1 GG ist
die Würde des Menschen unantastbar; sie zu achten und zu schützen ist Ver-
pflichtung aller staatlichen Gewalt. Dieses Gebot gilt auch für die Streitkräfte als
Teil der Exekutive und bedarf im militärischen Bereich mit seiner streng hierar-
chischen Gliederung sogar besonderer Beachtung. Welche Bedeutung der Ge-
setzgeber dem Schutz Untergebener beimisst, ergibt sich aus der Tatsache,
dass die entwürdigende Behandlung und die Misshandlung Untergebener mit
Freiheitsstrafe bedroht sind (§§ 30, 31 WStG). Vor diesem Hintergrund hat der
Senat in Fällen einer Misshandlung oder einer entwürdigenden oder demüti-
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genden Behandlung von Untergebenen - auch aus generalpräventiven Grün-
den - eine reinigende Maßnahme, in der Regel die Herabsetzung im Dienst-
grad, zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen gemacht (vgl. Urteile
vom 12. Juli 1990 - BVerwG 2 WD 4.90 - BVerwGE 86, 305 <307>, vom
12. Juni 1991 - BVerwG 2 WD 53.90, 54.90 - BVerwGE 93, 108 <113>, vom
18. März 1997 - BVerwG 2 WD 29.95 - BVerwGE 113, 70 = NZWehrr 1997,
212, vom 23. November 1999 - BVerwG 2 WD 19.99 - ZBR 2000, 246 m.w.N.
und vom 8. November 2000 a.a.O.).
bb) Durch das Dienstvergehen des Soldaten wurden zwar weder bei dem Zeu-
gen O. noch beim Zeugen K. konkrete gesundheitliche Schäden verursacht. Die
Ehre und die Würde beider Zeugen wurden jedoch durch diese demütigenden
Pflichtverletzungen verletzt.
cc) Die Schuld des Soldaten wiegt schwer. Dies ergibt sich schon daraus, dass
er das von Anschuldigungspunkt 1 erfasste Fehlverhalten mit Vorsatz beging.
Auch das von der Nachtragsanschuldigungsschrift in Verbindung mit Anschul-
digungspunkt 2 erfasste Herbeiführen eines Vollrausches, in dessen Folge es
zu den festgestellten objektiven Pflichtverletzungen gegen den Zeugen K. kam,
erfolgte vorsätzlich. Denn er wusste und wollte was er tat.
Nach der Rechtsprechung des Senats kann ein Soldat wegen einer im Voll-
rausch begangenen Handlung im Allgemeinen zwar nicht in der gleichen Weise
disziplinar zur Verantwortung gezogen werden als wenn er das Dienstvergehen
in schuldfähigem Zustand begangen hätte (vgl. dazu die Nachweise bei Dau,
WDO, 4. Aufl. 2002, § 38 Rn. 33). Bei einer im Vollrausch begangenen Pflicht-
verletzung liegt der eigentliche Schuldvorwurf darin, dass sich der Soldat
schuldhaft in diesen Zustand versetzt hat. Er muss deshalb für eine Rauschtat
einstehen (vgl. u.a. Urteil vom 28. Juli 1977 - BVerwG 2 WD 43.76 -, a.a.O.;
Dau, a.a.O. § 38 Rn. 33 m.w.N.). Für die Schwere der Schuld ist bei der
Rauschtat auf den Grad des Verschuldens an der Herbeiführung des Vollrau-
sches und auf die Vorhersehbarkeit derartiger Handlungen im Vollrausch abzu-
stellen.
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Nach den hierzu getroffenen Feststellungen des Senats hat die Schuld des
Soldaten insoweit erhebliches Gewicht. Denn der Soldat konsumierte unkontrol-
liert in der Kellerbar, wo es dann zu den Pflichtverletzungen kam, kontinuierlich
vom Abend des 18. Dezember bis in die frühen Morgenstunden des 19. De-
zember 2003 hinein erhebliche Mengen an alkoholischen Getränken, wobei ihm
bewusst war, dass dadurch seine Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit stark in
Mitleidenschaft gezogen, wenn nicht ausgeschaltet würde. Auf Befragen hat er
sich in der Berufungshauptverhandlung dahin eingelassen, dass er auch bei
früheren Weihnachtsfeiern seiner Einheit in starkem Maße Alkohol konsumiert
habe. Gerade im Hinblick auf die für ihn erkennbaren Folgen des von ihm auch
in der Nacht vom 18. auf den 19. Dezember 2003 beabsichtigten Alkoholkon-
sums hatte er deshalb von vornherein nicht vor, mit seinem Pkw nach Hause
zurückzufahren. Um dies sicherzustellen, nahm auf sein maßgebliches Betrei-
ben hin seine Ehefrau, die Zeugin St., an der Weihnachtsfeier und dem an-
schließenden geselligen nächtlichen Beisammensein in der Kellerbar teil, um
dann nach dessen Beendigung für seinen Rücktransport Sorge tragen zu kön-
nen. Der Soldat war in dieser Nacht über viele Stunden hinweg zu keinem Zeit-
punkt darauf bedacht, seinen Alkoholkonsum einzuschränken, um seine Ein-
sichts- und Steuerungsfähigkeit zu wahren und alkoholbedingtes Fehlverhalten
der hier festgestellten Art auszuschließen. Selbst als seine Ehefrau ihn im Ver-
laufe der Nacht mehrfach und nachhaltig drängte, nicht weiterhin so viel Alkohol
zu trinken, setzte er sich darüber hinweg. Er hat damit zumindest bedingt vor-
sätzlich seinen Vollrausch herbeigeführt, in dessen Verlauf und Folge die fest-
gestellten objektiven Pflichtverletzungen erfolgten. Das hat er auch nicht in
Zweifel gezogen.
Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen von Milderungsgründen in den Um-
ständen der Tat (vgl. dazu u.a. Urteile vom 1. September 1997 - BVerwG 2 WD
13.97 - BVerwGE 113, 128 <129 f.> = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 16
nicht veröffentlicht>, vom 1. Juli 2003 - BVerwG 2 WD 51.02 - und vom 26. Ja-
nuar 2006 - BVerwG 2 WD 2.05 - Buchholz 449 § 7 SG Nr. 50
veröffentlicht> jeweils m.w.N.) sind nicht ersichtlich. Auf eine möglicherweise
mangelnde Dienstaufsicht kann sich der Soldat zu seinen Gunsten schon des-
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halb nicht berufen, weil von ihm als erfahrenen Soldaten mit dem Dienstgrad
eines Oberfeldwebels erwartet werden musste, dass er auch ohne eine hinrei-
chende Dienstaufsicht ein solches Fehlverhalten nicht an den Tag legte.
dd) Zu den Beweggründen des Soldaten hat der Senat die Feststellung getrof-
fen, dass er den Zeugen O. und K. die (mehrfachen) Befehle zum sofortigen „in
Stellung gehen“ offenkundig deshalb erteilte, um sich in Szene zu setzen und
sein Bedürfnis nach Späßen zu Lasten Untergebener zu befriedigen. Auch das
vorsätzliche Herbeiführen des Vollrausches, in dessen Folge es zu den objekti-
ven Pflichtverletzungen zum Nachteil des Zeugen K. kam, erfolgte eigennützig
zur Befriedigung bei ihm vorhandener entsprechender emotionaler Bedürfnisse.
ee) Zugunsten des Soldaten sprechen seine sowohl vor als auch nach den
Pflichtverletzungen positiv bewerteten dienstlichen Leistungen, wie sie insbe-
sondere in der eingangs zitierten planmäßigen Beurteilung vom 14. November
2002, der Laufbahnbeurteilung vom 12. November 2003, der Sonderbeurteilung
vom 17. Mai 2006 sowie den Bekundungen des Zeugen L. in der Verhandlung
vor der Truppendienstkammer und in der Berufungshauptverhandlung zum
Ausdruck gekommen sind.
Bei der Beurteilung der Persönlichkeit des Soldaten fällt allerdings zu seinem
Nachteil ins Gewicht, dass er bis zuletzt in weitem Maße uneinsichtig geblieben
ist. Sein Verhalten hat er noch in der Berufungshauptverhandlung damit zu
rechtfertigen versucht, er habe doch „nur“ einen „Spaß“ oder einen „Flachs“
machen wollen, weshalb er auch - anders als ihm vorgeworfen worden sei -
keine „Befehle“ an die Zeugen O. und K. gerichtet habe. Ihm ist offenkundig
trotz seiner jahrelangen großen Diensterfahrung als Unteroffizier mit Portepee
mit dem gegenwärtigen Dienstgrad eines Oberfeldwebels und der zuvor genos-
senen entsprechenden Ausbildung nicht eingängig, dass militärische Vorge-
setzte bei ihren an Untergebene mit Gehorsamsanspruch gerichteten Anwei-
sungen die im Soldatengesetz ihrer Befehlsbefugnis gezogenen Grenzen strikt
beachten müssen, und zwar unabhängig davon, ob die Befehlserteilung für den
Befehlenden mit Spaß oder Lustgewinn verbunden ist.
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ff) Aufgrund einer Gesamtwürdigung aller zugunsten und zu Lasten des Solda-
ten sprechenden Umstände hat der Senat die Verhängung eines Beförderungs-
verbotes für die Dauer eines Jahres für erforderlich und angemessen gehalten.
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist bei einer durch einen Vorge-
setzten begangenen ehrverletzenden oder entwürdigenden Behandlung von
Untergebenen eine „reinigende Maßnahme“, also im Regelfall eine Dienstgrad-
herabsetzung, in schweren Fällen sogar die Höchstmaßnahme verwirkt (vgl.
u.a. Urteile vom 29. April 1981 - BVerwG 2 WD 17.81 -, vom 9. April 1986
- BVerwG 2 WD 52.85 - BVerwGE 83, 183 , vom 12. Juli 1990 - BVerwG
2 WD 4.90 - BVerwGE 86, 305 <306 f.>, vom 18. März 1997 a.a.O., vom
17. März 1999 - BVerwG 2 WD 28.98 - BVerwGE 113, 311 <312> = Buchholz
236.1 § 7 SG Nr. 27 = NZWehrr 1999, 169 und vom 19. Juli 2000 - BVerwGE
2 WD 6.00 - jeweils m.w.N. und vom 17. März 2004 - BVerwG 2 WD 17.03 -
NZWehrr 2005, 38).
Im vorliegenden Falle handelt es sich nach den vom Senat getroffenen Feststel-
lungen allerdings um Fehlverhaltensweisen des Soldaten, die keine Gesund-
heitsverletzungen oder sonstige nachhaltige Schäden bei den Opfern verur-
sachten; zudem erfolgten die Pflichtverletzungen zwar eigennützig, jedoch ohne
eine böswillige oder gar menschenverachtende Zielrichtung. Das Dienstverge-
hen hat daher schon nach seiner Schwere und Eigenart, nach den Auswirkun-
gen und - im Hinblick auf die Beweggründe des Soldaten - nach dem Maß der
Schuld ein gegenüber dem „Durchschnittsfall“ geringeres Gewicht und erfordert
daher lediglich ein Beförderungsverbot (ohne gleichzeitige Kürzung der Dienst-
bezüge). Da das Gesetz bei der Maßnahmebemessung eine Differenzierung
insbesondere nach der „Eigenart und Schwere“ des Dienstvergehens verlangt,
muss eine solche nicht nur nach „oben“, sondern im Einzelfall gegebenenfalls
auch nach „unten“ erfolgen. Dies rechtfertigt es, gerade auch im Hinblick auf
den auch im Disziplinarrecht geltenden verfassungsrechtlich gewährleisteten
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. dazu auch die neuere Rechtsprechung
des Senats für die Fälle eines Zugriffs auf Eigentum und Vermögen des Dienst-
herrn
Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 10 und vom 18. September 2003
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- BVerwG 2 WD 3.03 - BVerwGE 119, 70 = Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002
Nr. 11 = NZWehrr 2005, 122 oder von Kameraden
2003 - BVerwG 2 WD 7.03 - Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 14>) in „un-
terdurchschnittlichen“ Fällen schon im Ausgangspunkt („Einstufung“) der Zu-
messungserwägungen von einer bei unwürdiger Behandlung im Regelfall an
sich gebotenen Dienstgradherabsetzung abzusehen (so schon Urteile vom
16. März 2004 - BVerwG 2 WD 3.04 - BVerwGE 120, 93 = Buchholz 235.01
§ 93 WDO 2002 Nr. 1 = NZWehrr 2004, 213 und
vom 17. März 2004 a.a.O.).
Hinzu kommt im vorliegenden Fall allerdings bei dem von Anschuldigungs-
punkt 1 erfassten Fehlverhalten die schwerwiegende Pflichtverletzung der (wie-
derholten) Erteilung eines Befehls zu nichtdienstlichen Zwecken sowie (hin-
sichtlich der von der Nachtragsanschuldigungsschrift in Verbindung mit An-
schuldigungspunkt 2 erfassten Pflichtverletzungen) die vorsätzliche Herbeifüh-
rung eines Vollrausches, in dessen Verlauf es erneut zur (wiederholten) Ertei-
lung eines Befehls zu nichtdienstlichen Zwecken kam.
Angesichts dessen erschien dem Senat eine noch mildere Maßnahme als die
Verhängung eines Beförderungsverbotes nicht als angemessen. Auch wenn
sich der Soldat zwischenzeitlich im Berufsförderungsdienst befindet und seine
Dienstzeit voraussichtlich mit Ablauf des 31. Dezember 2008 enden wird, sah
sich der Senat nicht zuletzt wegen der hartnäckigen Uneinsichtigkeit des Solda-
ten sowie aus generalpräventiven Gesichtspunkten gehalten, durch die Art der
verhängten gerichtlichen Disziplinarmaßnahme deutlich zu machen, dass das
Verhalten (von Vorgesetzten gegenüber Untergebenen) der in Rede stehenden
Art im Interesse der Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Dienstbetrie-
bes keinesfalls hingenommen werden kann und dass jedem Eindruck einer Ba-
gatellisierung deutlich entgegengetreten werden muss. Der Soldat hat bis heute
nicht begriffen, dass mit dem militärischen Führungsinstrument des Befehls
nicht „gespaßt“ werden darf.
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Im Hinblick auf die dargelegten und durchweg recht positiv bewerteten dienstli-
chen Leistungen des Soldaten sowie das voraussichtliche Ende der Dienstzeit
(mit Ablauf des 31. Dezember 2008) hielt es der Senat jedoch für angezeigt und
vertretbar, ein Beförderungsverbot lediglich für die vom Gesetz vorgesehene
Mindestdauer von 12 Monaten zu verhängen.
Dass das von Anschuldigungspunkt 2 erfasste Fehlverhalten des Soldaten in
dem Strafverfahren vor dem Amtsgericht B. gemäß § 153a Abs. 2 Satz 2 StPO
nach Erfüllung einer Auflage (Zahlung eines Geldbetrages von 1.200 Euro an
eine gemeinnützige Einrichtung) endgültig eingestellt wurde, steht der Verhän-
gung eines Beförderungsverbotes nicht entgegen. Das Verhängungsverbot des
§ 16 Abs. 1 Nr. 2 WDO würde lediglich im Falle einer beabsichtigten Kürzung
der Dienstbezüge greifen. Diese käme dann in Betracht, wenn dies zusätzlich
(zur vom Strafgericht erteilten und vom Soldaten erfüllten Auflage) erforderlich
wäre, um die militärische Ordnung aufrechtzuerhalten oder wenn durch das
Fehlverhalten das Ansehen der Bundeswehr ernsthaft beeinträchtigt wurde.
Hinsichtlich des von Anschuldigungspunkt 1 erfassten Tatvorwurfs greift die
Sperrwirkung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 WDO dagegen ohnehin schon
deshalb nicht ein, weil das diesbezügliche Verhalten nicht Gegenstand des
Strafverfahrens, des Strafbefehls und des Einstellungsbeschlusses war.
4. Die Kosten des ersten Rechtszuges hat gemäß § 138 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1
WDO der Soldat zu tragen. Da die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft
mit dem Ziel einer Verschärfung der Disziplinarmaßnahme Erfolg hatte, waren
dem Soldaten nach § 139 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 WDO auch die Kosten des
Berufungsverfahrens aufzuerlegen. Es bestand kein Anlass, ihn aus Billigkeits-
gründen gemäß § 138 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2, § 139 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2
WDO ganz oder teilweise von den Kosten der beiden Rechtszüge oder gemäß
§ 140 Abs. 2 WDO von den ihm darin erwachsenen notwendigen Auslagen zu
entlasten.
Prof. Dr. Widmaier Dr. Deiseroth Dr. Langer
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