Urteil des BVerwG vom 18.06.2015

Soldat, Aufschiebende Wirkung, Verfügung, Stadt

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 11.14
TDG N 6 VL 23/12
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
Herrn Oberstleutnant a.D. …,
…,
…,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 18. Juni 2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
ehrenamtlicher Richter Oberst i.G. Mirow und
ehrenamtlicher Richter Oberstabsarzt Meissner,
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt …,
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin …
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:
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Auf die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft wird das
Urteil der 6. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom
25. März 2014 im Ausspruch über die Disziplinarmaßnah-
me geändert.
Der frühere Soldat wird wegen eines Dienstvergehens in
den Dienstgrad eines Majors a. D. herabgesetzt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem frühe-
ren Soldaten auferlegt, der auch die ihm darin erwachse-
nen notwendigen Auslagen zu tragen hat.
G r ü n d e :
I
Der … geborene frühere Soldat verfügt über den Realschulabschluss, wurde …
in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen und … zum Berufssol-
daten ernannt. Er wurde zuletzt im Oktober … zum Oberstleutnant befördert.
Seine Dienstzeit endete regulär am 30. Juni ...
Nach zahlreichen Verwendungen wurde er im Oktober … zum Stab … versetzt
und dort als …stabsoffizier und S3-Stabsoffizier eingesetzt. Zum Januar 2008
wurde er in der Verwendung eines Stabsoffiziers z.b.V. zur … und zum Januar
… als …stabsoffizier und S3-Stabsoffizier zum … bei dem … M. versetzt. Im
Stab des … wurde er zuletzt in der Stabsgruppe … als Projektoffizier verwen-
det.
Von Dezember … bis Ende Mai … nahm er am ... Deutschen Einsatzkontingent
SFOR sowie von Dezember … bis Mitte Januar … im Stab des Deutschen Hee-
reskontingents KFOR am internationalen Auslandseinsatz der Bundeswehr teil.
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In der Beurteilung vom 21. März 2007 erhielt er im Durchschnittswert der Auf-
gabenerfüllung "4,555". Die Einzelmerkmale "Funktionale Kompetenz" sowie
"Soziale Kompetenz" werden jeweils als "stärker ausgeprägt" beurteilt, die
"Geistige Kompetenz" sowie "Konzeptionelle Kompetenz" als "ausgeprägt" und
die "Kompetenz in Menschenführung" als "weniger ausgeprägt". Der frühere
Soldat sei offen, ehrlich, korrekt im Auftreten sowie loyal und zuverlässig. Seine
ruhige, zurückhaltende Art mache ihn zu einem angenehmen Stabsmitarbeiter.
Schnell habe er sich in den Aufgabenbereich des …stabsoffiziers in der
..-Abteilung der … eingearbeitet; dieser Aufgabenbereich erfordere ein Höchst-
maß an Eigenständigkeit, die Fähigkeit, technische Zusammenhänge zu durch-
dringen sowie teilstreitkraftübergreifend zu denken und zu handeln. Insgesamt
sei er ein ausgezeichneter Stabsarbeiter. Er sei in der Lage, auch komplexe
Zusammenhänge zu erfassen und zu strukturieren. Insgesamt erfülle er die An-
forderungen des Soldatenberufs. Der nächsthöhere Vorgesetzte beurteilte den
früheren Soldaten als ausgezeichneten Stabsarbeiter, der seinen Aufgabenbe-
reich mit Enthusiasmus und Leistungsbereitschaft schnell in den Griff bekom-
men habe und ihn mittlerweile beherrsche. Er arbeite selbstständig und niemals
eigenmächtig, verfüge über eine rasche Auffassungsgabe, denke klar und ana-
lysiere präzise. Dabei gelinge es ihm, den Überblick zu behalten und das We-
sentliche gezielt einzugrenzen. Die Entwicklungsprognose bestehe bis zur all-
gemeinen Laufbahnperspektive.
Der Leumundszeuge Oberst B. hat erstinstanzlich ausgesagt, der eigenverant-
wortlich tätige frühere Soldat sei handlungssicher und zeige Leistungen, die er
mit "hohe 5 bis niedrige 6" bewerte. Man könne über ihn nichts Negatives, aber
auch nichts Herausragendes sagen. Als Fachmann habe er sich bewährt, aber
ohne zu glänzen. Daher würde er ihn leistungsmäßig im Vergleich zu seinen
Dienstgradgruppenkameraden im zweiten Drittel unten ansiedeln. Die Vorfälle
seien in der Einheit bei den Mannschaftssoldaten nicht bekannt geworden. Er
hätte dem früheren Soldaten die vorgeworfenen Taten nicht zugetraut, da die-
ser ihn nie belogen habe. Aus einer einmaligen Zurechtweisung habe der frühe-
re Soldat gelernt; auch sei er insgesamt kritik- und teamfähig.
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In der vom 25. Juni 2014 datierenden Sonderbeurteilung des Disziplinarvorge-
setzten wird der frühere Soldat im Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung mit
"5,63" beurteilt. Der frühere Soldat sei ein lebens- und diensterfahrener Stabs-
offizier, der seinen Erfahrungsschatz im täglichen Dienstbetrieb einbringe. Im
Auftreten sei er korrekt und zeige eine ausgezeichnete soldatische Grundein-
stellung; er sei auch ein gern gesehener und geschätzter Kamerad. Mit seinem
offenen und ruhigen Wesen stehe er mit Rat und Tat immer zur Verfügung. Ei-
ne überaus gut entwickelte Intelligenz und eine sehr gute Allgemeinbildung lie-
ßen ihn auch bei komplexen Aufgabenstellungen praktikable Lösungen finden;
er habe sich im Laufe der Zeit ein profundes Fachwissen erarbeitet. Seine Stär-
ken lägen in der Stabsarbeit und Organisation. Er könne technische Zusam-
menhänge gut durchdringen und anderen begreifbar erklären. Er sei ein Stabs-
offizier, der die an ihn gestellten Anforderungen stets erfülle.
Dem disziplinarrechtlich nicht vorbelasteten Soldaten wurden 1980, 1984 sowie
1987 Förmliche Anerkennungen erteilt. Er ist berechtigt, das Abzeichen für
Leistungen im Truppendienst sowie die Schützenschnur und das Tätigkeitsab-
zeichen für Rohrwaffenpersonal - jeweils in Gold - sowie das amerikanische
Fallschirmspringerabzeichen der Stufe 1 zu tragen. … wurde ihm die Einsatz-
medaille der Bundeswehr SFOR verliehen.
Strafrechtlich ist der Soldat wegen des unter Anschuldigungspunkt 1 beschrie-
benen Sachverhalts durch das Amtsgericht K. unter dem 14. März 2011 wegen
Fahrens ohne Fahrerlaubnis in 3 Fällen zu 75 Tagessätzen zu jeweils 85 €
Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden. Darüber hinaus weist die aktuelle
Auskunft aus dem Zentralregister drei rechtskräftige Strafbefehle und den am
10. Juli 2012 erfolgten Widerruf der Waffenbesitzkarte aus. Der frühere Soldat
erhielt hiernach am 16. März 2004 durch das Amtsgericht K. eine Geldstrafe in
Höhe von 10 Tagessätzen zu je 50 € wegen Beleidigung, am 7. November
2006 durch dasselbe Amtsgericht eine Geldstrafe in Höhe von 20 Tagessätzen
zu je 30 € wegen fahrlässiger Körperverletzung und am 7. Dezember 2006
durch das Amtsgericht P. eine Geldstrafe in Höhe von 25 Tagessätzen zu je
40 € wegen Beleidigung.
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Unter dem 20. September 2008 stellte der Kommandeur Division Luftbewegli-
che Operation fest, dass der frühere Soldat durch die mit Strafbefehl des Amts-
gerichts P. geahndete Beleidigung sowie durch einen ebenfalls mit einem Straf-
befehl geahndeten Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz ein Dienst-
vergehen begangen habe, sah aber von einer Disziplinarmaßnahme ab. Die
Verfügung wies den früheren Soldat darauf hin, dass der festgestellten Pflicht-
verletzung ein größeres Gewicht zukommen werde, wenn er erneut straf- oder
disziplinarisch in Erscheinung trete. Der Strafbefehl wegen des Verstoßes ge-
gen das Pflichtversicherungsgesetz wurde später aufgehoben.
Der frühere Soldat ist seit 2005 verwitwet. Seine verstorbene Ehefrau brachte
eine zwischenzeitlich volljährige und nicht mehr in seinem Haushalt lebende
Tochter mit in die Ehe. Er erhält Versorgungsbezüge in Höhe von 2 989,91 €
netto. In der Berufungshauptverhandlung hat der frühere Soldat seine wirt-
schaftlichen Verhältnisse als geordnet bezeichnet. Allerdings hätten sich die
von ihm beim Truppendienstgericht angegebenen Lebenshaltungskosten, ins-
besondere für Miete und Versicherungen, erhöht. In unregelmäßigen Abstän-
den unterstützt er seine Stieftochter mit 500 - 1 000 €.
II
1. Mit seit Mitte September 2010 bestandskräftigem Bescheid der Stadt K. vom
12. Juli 2007 war dem früheren Soldaten die Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge
entzogen und er darauf hingewiesen worden, dass er mit Zustellung der Verfü-
gung im öffentlichen Straßenverkehr keine führerscheinpflichtigen Kraftfahrzeu-
ge mehr führen dürfe und er sich bei einer Zuwiderhandlung strafbar mache.
Darüber hinaus war ihm erläutert worden, dass ein von ihm eingelegter Wider-
spruch keine aufschiebende Wirkung entfalte.
Der vom früheren Soldaten dagegen gestellte Antrag auf Gewährung einstweili-
gen Rechtsschutzes wurde vom Verwaltungsgericht K. durch Beschluss vom
24. September 2007 abgelehnt. In der Entscheidungsbegründung heißt es, un-
geachtet dessen, dass der frühere Soldat nicht mit dem Vortrag gehört werden
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könne, die Eintragung von 6 Punkten im Verkehrszentralregister wegen eines
Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz sei zu Unrecht erfolgt, hätten
sich bereits aufgrund des Urteils des Amtsgerichts K. vom 7. November 2006
mehr als 14 Punkte ergeben.
Seit Mitte Januar 2011 verfügt der frühere Soldat wieder über eine Fahrerlaub-
nis.
2. Nachdem nach Anhörung des früheren Soldaten unter dem 14. September
2011 das disziplinargerichtliche Verfahren eingeleitet worden und der frühere
Soldat abschließend angehört worden war, hat die 6. Kammer des Truppen-
dienstgerichts Nord auf der Grundlage der Anschuldigungsschrift der Wehrdis-
ziplinaranwaltschaft für den Bereich des … vom 21. November 2011 gegen ihn
durch Urteil vom 25. März 2014 ein Beförderungsverbot für die Dauer von vier
Jahren und eine Bezügekürzung von 15 vom Hundert für die Dauer von fünf
Jahren verhängt. Der Anhörung der Vertrauensperson hatte der frühere Soldat
im vorgerichtlichen Verfahren widersprochen.
a) Unter Ausklammerung eines Teilvorwurfs hat das Truppendienstgericht fest-
gestellt:
"2. Zu Anschuldigungspunkt 1.:
Obwohl er wusste, dass ihm die Erlaubnis zum Führen ei-
nes Fahrzeugs durch (die) Fahrerlaubnisbehörde K. mit
Verfügung vom 12. Juli 2007, ihm zugestellt am 14. Juli
2007, entzogen war, befuhr der Soldat:
a) im Rahmen einer Probefahrt mit einem neuen Kraft-
fahrzeug am 03. Mai 2010 gegen 17:51 Uhr mit dem PKW
…, amtliches Kennzeichen …, die B.. in Richtung H. in der
Gemarkung W. und
b) in aus seiner Sicht Ermangelung öffentlicher Verkehrs-
mittel am 17. September 2010 gegen 19:00 Uhr mit dem
PKW …, amtliches Kennzeichen …, in B.; dort befindet
sich eine Polizeidienststelle, bei der er wegen des Führer-
scheinentzugs aus dem Jahr 2007 vorsprechen wollte.
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3. Zu Anschuldigungspunkt 2.:
Dem Soldaten war bekannt, dass er nach der ZDv 43/2,
Nr. 405, 6. Spiegelstrich unverzüglich seinem Disziplinar-
vorgesetzten die Entziehung seiner privaten Fahrerlaubnis
zu melden und seinen Dienstführerschein zurückzugeben
hat.
Nachdem ihm mit Verfügung der Fahrerlaubnisbehörde
der Stadt K. vom 12. Juli 2007, ihm zugestellt am 14. Juli
2007, seine private Fahrerlaubnis entzogen worden und
ihm aufgeben worden war, den Führerschein innerhalb der
nächsten acht Tage bei der Behörde abzugeben, meldete
er dies in der Folgezeit seinem nächsten Disziplinarvorge-
setzten nicht.
Der Soldat wandte vor dem erkennenden Gericht ein, er
sei davon ausgegangen, die Sache würde sich schnell klä-
ren in dem Sinne, dass die Entziehung rechtswidrig war
und er seine Fahrerlaubnis schnellstmöglich zurückbekä-
me. Nachdem sich das ganze Verfahren aber zeitlich ver-
zögert hinzog, hat er es unterlassen, diese Entziehung
entsprechend seiner Verpflichtung zu melden.
4. Zu Anschuldigungspunkt 3.:
Obwohl der Soldat wusste, dass der Entzug der zivilen
Fahrerlaubnis durch die entsprechende Fahrerlaubnisbe-
hörde der Stadt K. vom 12. Juli 2007 gemäß ZDv 43/1
Nr. 622 und 623 die amtliche Verwahrung auch des
Dienstführerscheins und damit einhergehend auch die Un-
terbrechung seiner Dienstfahrerlaubnis bis zum Erlös-
chenszeitpunkt nach sich zieht, führte er ohne zivile Fahr-
erlaubnis und ohne berechtigende Dienstfahrerlaubnis fol-
gende Fahrten im öffentlichen Straßenverkehr mit einem
Dienstkraftfahrzeug der Bundeswehr gegen den ausdrück-
lichen Befehl der Vorschrift ZDv 43/2 Nr. 201 durch:
a) Am 09. Juli 2010 fuhr er mit einem weiteren Kameraden
von M. mit dem Dienstkraftfahrzeug …, …, amtliches
Kennzeichen …, zum Flughafen Ha. über eine Fahrstre-
cke von 132 km, da beide gemeinsam in Wi. dienstlich zu
tun hatten und dort hinfliegen mussten.
b) Nach dem Rückflug von Wi. nach Ha. befuhr er mit
demselben Kameraden am 11. Juli 2010 mit dem unter b)
(gemeint a) beschriebenen Dienstkraftfahrzeug als Selbst-
fahrer die Strecke von Ha. nach M. zurück (Fahrstrecke
134 km). Beide Fahrten hat der Soldat als Selbstfahrer
durchgeführt und ist nach eigenem Bekunden vor dem er-
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kennenden Gericht bewusst das Risiko einer Entdeckung
eingegangen.
c) Am 05. Oktober 2010 fuhr er - wiederum als Selbstfah-
rer - mit einem nicht mehr verifizierbaren Dienstkraftfahr-
zeug von M. zum Truppenübungsplatz nach Pu., um dort
Dienstaufsicht bei einem Schießvorhaben durchzuführen
und wahrzunehmen, und wieder zurück nach M. Die ge-
fahrene Strecke betrug zweimal 198 Kilometer. Auch hier
ist er nach eigenem Bekunden vor dem erkennenden Ge-
richt bewusst das Risiko einer Entdeckung des Fahrens
ohne gültige Fahrerlaubnis eingegangen.
Zusammenfassend stellte der Soldat vor dem erkennen-
den Gericht im Hauptverhandlungstermin dar, es sei für
ihn unstrittig, dass er etwas falsch gemacht habe bezüg-
lich der Fahrten im öffentlichen Straßenverkehr ohne
Fahrerlaubnis. 'Ich war mir zu diesem Zeitpunkt klar, ich
mache etwas, was ich nicht machen darf'."
b) Der frühere Soldat habe durch seine teilweise strafrechtlich als vorsätzliches
Fahren ohne Fahrerlaubnis zu wertenden Verhaltensweisen ein Dienstvergehen
begangen.
Durch seine zwei Fahrten gemäß Anschuldigungspunkt 1 habe er gegen seine
Dienstpflicht zum treuen Dienen nach § 7 SG verstoßen, da sie von Soldaten
die Wahrung der Rechtsordnung, insbesondere die Beachtung der Strafgesetze
verlange und der frühere Soldat durch das Fahren ohne Fahrerlaubnis § 21
StVG verletzt habe. Gleichzeitig habe er durch sein Verhalten gegen seine
Dienstpflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 2, Alt. 2 SG verstoßen, sich auch außerhalb
des Dienstes so zu verhalten, dass er die Achtung und das Vertrauen, die seine
dienstliche Stellung erfordere, nicht ernsthaft beeinträchtige. Schließlich habe er
dadurch, dass er gemäß Anschuldigungspunkt 2 den Entzug der Fahrerlaubnis
seinem nächsten Disziplinarvorgesetzten nicht gemeldet habe, gegen seine
Dienstpflicht zum Gehorsam nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 SG i.V.m. ZDv 43/2
Nr. 406, 6. Spiegelstrich, verstoßen. Dieses Verhalten begründe zugleich eine
Verletzung seiner Dienstpflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhal-
ten im Dienst nach § 17 Abs. 2 Satz 1, Alt. 2 SG. Indem der frühere Soldat ge-
mäß Anschuldigungspunkt 3 trotz der entzogenen Fahrerlaubnis Dienstkraft-
fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr geführt habe, habe er gegen seine
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Dienstpflicht zum Gehorsam nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 SG i.V.m. ZDv 43/2
Nr. 201 sowie ZDv 43/1 Nr. 622 und 623 verstoßen. Danach sei der Dienstführ-
erschein nach Entzug der zivilen Fahrerlaubnis erloschen. Gleichzeitig habe er
damit die nach § 17 Abs. 2 Satz 1, Alt. 2 SG bestehende Dienstpflicht zu ach-
tungs- und vertrauenswürdigem Verhalten im Dienst verletzt. Da der Soldat je-
weils gewusst habe, was er tue, und er dies auch gewollt habe, habe er durch-
gehend vorsätzlich gehandelt.
c) Bereits das Fahren ohne Fahrerlaubnis im außerdienstlichen Bereich stelle
die dienstliche Zuverlässigkeit eines Soldaten infrage und wiege im dienstlichen
Bereich noch viel schwerer. Die Nichtbeachtung verkehrsrechtlicher Vorschrif-
ten lasse zum Schutz der Allgemeinheit Rückschlüsse auf charakterliche Defizi-
te zu und ziehe die Autorität eines Vorgesetzten erheblich in Zweifel. Höchst-
richterlich werde Fahren ohne Fahrerlaubnis als gravierender bewertet, wenn
die Handlung im dienstlichen Zusammenhang stehe, mit Dienstfahrzeugen er-
folgt und nicht vereinzelt geschehen sei.
Der Verstoß gegen die Gehorsamspflicht wiege bei einem Berufssoldaten, ge-
rade bei einem Oberstleutnant, überragend schwer. Auch die Pflicht zur Wah-
rung von Achtung und Vertrauen im und außerhalb des Dienstes sei kein
Selbstzweck, sondern habe funktionalen Bezug zur Erfüllung des grundgesetz-
mäßigen Auftrags der Streitkräfte.
Bereits das Fahren ohne Fahrerlaubnis im außerdienstlichen Bereich lasse we-
gen seiner strafrechtlichen Relevanz eine erhebliche Beeinträchtigung der Ach-
tungs- und Vertrauenswürdigkeit ernsthaft besorgen. Der frühere Soldat habe in
dem Wissen, keine gültige Fahrerlaubnis zu besitzen, Privatfahrten ohne Fahr-
erlaubnis durchgeführt. Dass er die Entziehung der Fahrerlaubnis für rechtswid-
rig gehalten, er namentlich nicht bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens
gewartet und etwa drei Jahre später mehrfach ein Kraftfahrzeug im öffentlichen
Straßenverkehr geführt habe, offenbare Uneinsichtigkeit und einen bedenkli-
chen Mangel an Rechtsbewusstsein.
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Milderungsgründe in den Umständen der Tat lägen nicht vor. Es belaste viel-
mehr den früheren Soldaten, dass er strafrechtlich mehrfach auffällig geworden
sei, insbesondere fünfmal ohne Fahrerlaubnis Kraftfahrzeuge im öffentlichen
Straßenverkehr geführt habe. Bereits der zu Anschuldigungspunkt 1 ergangene
Strafbefehl zeige die besondere disziplinare Schwere des Dienstvergehens. Die
gegen den früheren Soldaten im September 2008 erlassene Absehensverfü-
gung sei wirkungslos geblieben. Die von dem früheren Soldaten angegebenen
Begründungen für seine Pflichtverletzungen sprächen gegen ihn. Bei allen
Fahrten habe er aus Bequemlichkeit weder öffentliche Verkehrsmittel genutzt
noch um die Gestellung eines Kraftfahrers gebeten. Zu seinen Gunsten spre-
che, dass er disziplinarisch bislang unauffällig gewesen sei, er drei Förmliche
Anerkennungen erhalten, sich zweimal im internationalen Auslandseinsatz be-
währt habe und wegen guter Leistungen schon nach acht Jahren Dienst Offi-
zieranwärter geworden sei. Allerdings sei nach der Stabsoffizierprüfung ein ge-
wisser "Bruch" in den Leistungen festzustellen. Zu seinen Gunsten spreche zu-
dem das allumfassende Geständnis. Nach alledem sei eine Dienstgradherab-
setzung zwar "so gerade eben noch" unverhältnismäßig; gleichwohl habe der
frühere Soldat durch das Dienstvergehen sein dienstliches Ansehen so sehr in
Mitleidenschaft gezogen, dass die ausgeurteilte Disziplinarmaßnahme erforder-
lich sei.
3. Gegen das der Wehrdisziplinaranwaltschaft am 22. April 2014 zugestellte
Urteil hat sie am 19. Mai 2014 zuungunsten des früheren Soldaten maßnahme-
beschränkt Berufung eingelegt und beantragt, ihn in den Dienstgrad eines Ma-
jors a.D. herabzusetzen. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt,
das Truppendienstgericht habe zwar die Schwere des Dienstvergehens zutref-
fend als "beträchtlich" eingestuft, jedoch keine angemessene Disziplinarmaß-
nahme verhängt.
III
1. Die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft ist zulässig, sie wurde insbe-
sondere gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 WDO
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form- und fristgerecht eingelegt. Dass der frühere Soldat während des gerichtli-
chen Disziplinarverfahrens aus dem Dienstverhältnis ausgeschieden ist, steht
dessen Durchführung nicht entgegen (§ 82 Abs. 1 WDO).
2. Die Berufung ist auch begründet.
Das von der Wehrdisziplinaranwaltschaft zuungunsten des früheren Soldaten
eingelegte Rechtsmittel ist auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme be-
schränkt worden. Der Senat hat daher gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO in Ver-
bindung mit § 327 StPO die Tat- und Schuldfeststellungen sowie die disziplinar-
rechtliche Würdigung des Truppendienstgerichts seiner Entscheidung zugrunde
zu legen (a)) und auf dieser Grundlage über die angemessene Disziplinarmaß-
nahme zu befinden (b)).
a) Das Truppendienstgericht hat festgestellt, der frühere Soldat habe vorsätzlich
ein Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 SG begangen.
Er habe durch zwei außerdienstliche Fahrten ohne Führerschein vorsätzlich
gegen § 7 SG i.V.m. § 21 StVG und § 17 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 SG verstoßen.
Durch die unterbliebene Meldung des Verlustes des privaten Führerscheins bei
seinem Disziplinarvorgesetzten habe er vorsätzlich gegen § 11 Abs. 1 Satz 1
und 2 sowie § 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG verstoßen. Durch die drei dienstlichen
Fahrten ohne Führerschein habe er vorsätzlich gegen § 11 Abs. 1 Satz 2 und
Abs. 2 SG sowie § 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG verstoßen.
Diese Schuldfeststellungen sind eindeutig und widerspruchsfrei und für den Se-
nat damit bindend. Ob die Tat- und Schuldfeststellungen vom Truppendienstge-
richt rechtsfehlerfrei getroffen wurden, darf von ihm nicht überprüft werden.
Denn bei einer auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkten Be-
rufung wird der Prozessstoff nicht mehr von der Anschuldigungsschrift, sondern
nur von den bindenden Tat- und Schuldfeststellungen des angefochtenen Ur-
teils bestimmt.
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b) Der frühere Soldat, der sich als Berufssoldat im Ruhestand befindet, ist im
Dienstgrad herabzusetzen (§ 58 Abs. 2 Nr. 3 WDO i.V.m. § 62 WDO). Das Ur-
teil des Truppendienstgerichts ist insoweit abzuändern. Zu Unrecht hat es an-
genommen, von einer Herabsetzung im Dienstgrad "gerade eben noch" abse-
hen zu können.
Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs we-
gen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen.
Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen
Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten (vgl. BVerwG,
Urteil vom 11. Juni 2008 - 2 WD 11.07 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26
Rn. 23 m.w.N.).
Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38
Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkun-
gen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die
Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen.
aa) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Un-
rechtsgehalt der Verfehlung. Danach wiegt das Dienstvergehen schwer.
aaa) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens werden zunächst durch die
Verstöße gegen die Gehorsamspflicht sowie die Pflicht zum innerdienstlichen
Wohlverhalten bestimmt. Sie bilden wegen ihres unmittelbaren dienstlichen Be-
zugs den Schwerpunkt des Dienstvergehens und wiegen auch deshalb beson-
ders schwer, weil sie die Kernpflicht des soldatischen Gehorsams betreffen. Die
Pflicht zum Gehorsam (§ 11 Abs. 1 SG) gehört zu den zentralen Dienstpflichten
eines jeden Soldaten. Gegen sie hat der frühere Soldat mehrfach verstoßen.
Alle Streitkräfte beruhen auf dem Prinzip von Befehl und Gehorsam. Vorsätzli-
cher Ungehorsam stellt daher stets ein sehr ernstzunehmendes Dienstvergehen
dar. Fehlt die Bereitschaft zum Gehorsam, kann die Funktionsfähigkeit der
Bundeswehr in Frage gestellt sein (BVerwG, Urteil vom 8. Mai 2014 - 2 WD
10.13 - Rn. 64). Erschwerend hinzu kommt des Weiteren, dass der frühere Sol-
dat trotz der - seinerzeit - manifesten Zweifel an seiner Eignung, Kraftfahrzeuge
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im öffentlichen Straßenverkehr zu führen, einen anderen Kameraden mitge-
nommen und damit jedenfalls einer abstrakten Gefährdung ausgesetzt hat. Hin-
zu treten die Vielzahl und die Intensität der Pflichtverletzungen, die dadurch
dokumentiert werden, dass der frühere Soldat mehrere hundert Kilometer ohne
Fahrerlaubnis zurückgelegt hat. Darüber hinaus hat sich der Verstoß gegen die
Gehorsamspflicht über Jahre erstreckt. Auch der Verstoß gegen die Pflicht zum
treuen Dienen in Gestalt der Wahrung der Rechtsordnung begründet einen
Verstoß gegen eine zentrale soldatische Pflicht.
Mit allen festgestellten Pflichtverletzungen ging ein Verstoß gegen § 17 Abs. 2
SG einher, der sich darüber hinaus überwiegend im innerdienstlichen Bereich
(§ 17 Abs. 2 Satz 2 SG) bewegte. Die Pflicht zur Wahrung von Achtung und
Vertrauen ist kein Selbstzweck, sondern hat funktionalen Bezug zur Erfüllung
des grundgesetzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und zur Gewährleistung des
militärischen Dienstbetriebs. Ein Soldat, insbesondere - wie hier - ein Vorge-
setzter, bedarf der Achtung seiner Kameraden und Untergebenen sowie des
Vertrauens seiner Vorgesetzten, um seine Aufgaben so zu erfüllen, dass der
gesamte Ablauf des militärischen Dienstes gewährleistet ist.
Eigenart und Schwere des Dienstvergehens werden des Weiteren dadurch be-
stimmt, dass der frühere Soldat aufgrund seines Dienstgrades als Oberstleut-
nant und somit als Stabsoffizier in einem exponierten Vorgesetztenverhältnis
stand (§ 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 SG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 VorgV). Sol-
daten in Vorgesetztenstellung obliegt eine höhere Verantwortung für die Wah-
rung dienstlicher Interessen. Wegen seiner herausgehobenen Stellung ist ein
Vorgesetzter in besonderem Maße für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner
Dienstpflichten verantwortlich und unterliegt damit im Falle einer Pflichtverlet-
zung einer verschärften Haftung, da Vorgesetzte in ihrer Haltung und Pflichter-
füllung ein Beispiel geben sollen (§ 10 Abs. 1 SG). Dabei ist nicht erforderlich,
dass es der Soldat bei seinem Fehlverhalten innerhalb eines konkreten Vorge-
setztenverhältnisses an Beispielhaftigkeit hat fehlen lassen. Es reicht das Inne-
haben einer Vorgesetztenstellung aufgrund des Dienstgrades aus (vgl.
BVerwG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 WD 2.10 - juris Rn. 30).
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Einzubeziehen in die Bestimmung der Schwere des Dienstvergehens ist
schließlich, dass der frühere Soldat bereits im September 2008 vom Komman-
deur … darauf hingewiesen worden war, bei einem erneuten disziplinarisch re-
levanten Verstoß werde dem nur festgestellten Pflichtenverstoß ein größeres
Gewicht zukommen. Der frühere Soldat hat sich diese Ermahnung nicht zur
Warnung reichen lassen.
Von den mehrfachen Fahrten ohne Führerschein hat ihn auch nicht der unmiss-
verständliche Hinweis in der Verfügung der Stadt K. vom 12. Juli 2007 abgehal-
ten, sich strafbar zu machen, wenn er trotz des sofort vollziehbaren Führer-
scheinentzugs im öffentlichen Verkehrsraum Kraftfahrzeuge führe. Diesem Um-
stand kommt besondere Bedeutung zu, weil sein Antrag, die aufschiebende
Wirkung eines Widerspruchs gegen die Verfügung der Stadt K. anzuordnen,
vom Verwaltungsgericht K. abgelehnt worden ist und der frühere Soldat somit
auch einer gerichtlichen Entscheidung den Gehorsam verweigert hat. In ihr war
er zudem darauf hingewiesen worden, dass die von ihm als ungerecht empfun-
dene Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsge-
setz für den Entzug der Fahrerlaubnis unerheblich war.
bb) Das Dienstvergehen hatte auf den Dienstbetrieb allerdings nur überschau-
bare nachteilige Auswirkungen. Abgesehen davon, dass die Pflichtverletzungen
auf Seiten des Dienstherrn Verwaltungsaufwand nach sich zogen, wurden sie in
der Einheit jedenfalls bei den Mannschaftsdienstgraden nicht bekannt. Zudem
war für die Wahrnehmung des Dienstpostens des früheren Soldaten nicht der
Besitz einer Fahrerlaubnis notwendig. Nicht zu dessen Lasten ist zu berücksich-
tigen, dass der Vorfall den mit der Durchführung des (Wehr)Strafverfahrens be-
fassten Organen bekannt wurde (BVerwG, Urteil vom 7. Februar 2013 - 2 WD
36.12 - juris Rn. 43).
cc) Das Maß der Schuld wird dadurch bestimmt, dass der uneingeschränkt
schuldfähige frühere Soldat vorsätzlich gehandelt hat. Klassische Milderungs-
gründe in den Umständen der Tat sind von ihm weder geltend gemacht worden
noch ersichtlich.
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Auch jenseits solcher Milderungsgründe liegen keine mildernden Umstände vor.
Die Befragung des früheren Soldaten in der Berufungshauptverhandlung hat
bestätigt, dass er die Fahrten ohne Führerschein zum Teil aus Bequemlichkeit
unternommen und den Führerscheinverlust aus Scham nicht gemeldet hatte,
ungeachtet dessen zudem wenig Unrechtseinsicht und Bereitschaft zum Ge-
horsam gegenüber der Rechtsordnung gezeigt hat. Letzteres gereicht ihm zum
Nachteil, weil er sich wegen der die Fahrerlaubnisentziehung bestätigenden
Entscheidung des Verwaltungsgerichts K. nicht in einem Rechtsirrtum befinden
konnte. Dem entspricht, dass er erstinstanzlich ausgeführt hat, er sei das mit
dem Fahren ohne Fahrerlaubnis verbundene Risiko einfach eingegangen. Der
frühere Soldat hat sich damit rechtsstaatlichen Anforderungen gegenüber in
besonderem Maße als renitent erwiesen. Sie verlangen gerade von einem
Amtswalter, behördliche wie gerichtliche Entscheidungen zu befolgen. Soweit er
erstmalig in der Berufungshauptverhandlung vorgetragen hat, er habe hinsicht-
lich zweier der dienstlichen Fahrten ohne Führerschein zuvor vergeblich einen
Fahrer beantragt, mag deshalb auch dies seinem Verhalten nicht das Gewicht
zu nehmen. Dies kann schon deshalb nicht zu seinen Gunsten berücksichtigt
werden, weil der Dienstherr von der fehlenden Fahrerlaubnis und den damit
verbundenen Risiken gerade wegen der Täuschungshandlung des früheren
Soldaten keine Kenntnis hatte und auch nicht haben musste und so auch keine
Veranlassung hatte, ihm, zumal kurzfristig, einen Fahrer bereitzustellen.
dd) Die Beweggründe des früheren Soldaten waren demnach eigennützig und
sprechen gegen ihn.
ee) Im Hinblick auf die Zumessungskriterien Persönlichkeit und bisherige Füh-
rung sticht das Leistungsbild des früheren Soldaten nicht so deutlich positiv
hervor wie die Vorinstanz angenommen hat.
Förmliche Anerkennungen wurden ihm nur vor Jahrzehnten verliehen. Dass er
wegen besonderer Leistungen nach nur acht Jahren Dienst als Unteroffizier für
die Offizieranwärterlaufbahn zugelassen wurde, kann ebenfalls nicht mehr be-
sonderes Gewicht beigemessen werden, weil auch dies bereits Jahrzehnte zu-
rückliegt. Die Auslandseinsätze, die das Truppendienstgericht ebenfalls zu-
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gunsten des Soldaten in die Bemessungsentscheidung hat einfließen lassen,
liegen zudem mindestens eineinhalb Jahrzehnte zurück.
Die Leistungen, die der frühere Soldat in den letzten Jahren bis zum Eintritt in
den Ruhestand erbracht hat, waren auch nicht überdurchschnittlich. Die plan-
mäßige Beurteilung aus dem Jahr 2007 weist als Durchschnittsnote "4,555" aus
und der letzte Disziplinarvorgesetzte hat den früheren Soldaten im zweiten Drit-
tel unten angesiedelt. Die Sonderbeurteilung aus dem Jahre 2014 bescheinigt
dem früheren Soldaten mit "5,63" durchschnittliche Leistungen.
Zu Lasten des früheren Soldaten wirkt, dass er mehrfach strafrechtlich vorbe-
lastet ist und ihn die in der Absehensverfügung vom 20. September 2008 ent-
haltene Mahnung nicht beeindruckt hat. Hinzu tritt die besondere Renitenz, die
er gegenüber einer gerichtlich bestätigten Behördenentscheidung zu Tage ge-
legt hat. Ihr ist auch deshalb besondere Bedeutung beizumessen, weil für den
früheren Soldaten aus dem Beschluss des Verwaltungsgerichts K. eindeutig zu
entnehmen war, dass unabhängig von der - von ihm als ungerecht empfunde-
nen, später wieder aufgehobenen - Verurteilung wegen Verstoßes gegen das
Pflichtversicherungsgesetz die Voraussetzungen für den Entzug der Fahrer-
laubnis vorlagen.
Für den früheren Soldaten spricht, dass er die Pflichtverletzungen nach ihrer
Aufdeckung nicht in Abrede gestellt, zuvor fast 40 Jahre beanstandungsfrei sei-
nen Dienst mit vor 2007 jedenfalls deutlich besseren Leistungen versehen und
in der Berufungshauptverhandlung Reue gezeigt hat.
ff) Nach Maßgabe dessen ist die nach § 58 Abs. 2 Nr. 3, § 62 WDO zulässige
Herabsetzung im Dienstgrad geboten und angemessen. Bei der konkreten Be-
messung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in seiner gefestigten Recht-
sprechung von einem zweistufigen Prüfungsschema aus (BVerwG, Urteil vom
10. Februar 2010 - 2 WD 9.09 - juris Rn. 35 ff.):
aa) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbe-
handlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen
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Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regel-
maßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als "Ausgangspunkt der Zu-
messungserwägungen".
Nach der Rechtsprechung des Senats bildet die Herabsetzung im Dienstgrad
dann den Ausgangspunkt der Zumessungserwägung, wenn das Fahren ohne
Fahrerlaubnis in dienstlichem Kontext steht, mit Dienstfahrzeugen erfolgt und
nicht vereinzelt geschieht (BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2012 - 2 WD 5.11 -
Buchholz 450.2 § 121 WDO 2002 Nr. 2 Rn. 16; vgl. auch BVerwG, Urteil vom
11. März 1999 - 2 WD 29.98 - Buchholz 236.1 § 17 SG Nr. 26).
Im Übrigen hat der Senat Verletzungen der Gehorsamspflicht - je nach Schwere
des Verstoßes - mit einer Gehaltskürzung, einem Beförderungsverbot oder
auch einer Dienstgradherabsetzung geahndet (vgl. BVerwG, Urteile vom
22. August 2007 - 2 WD 27.06 - BVerwGE 129, 181 Rn. 85 und vom 23. Juni
2011 - 2 WD 21.10 - Buchholz 449 § 7 SG Nr. 56 Rn. 49 m.w.N.) und bei einer
Kombination von Pflichtverletzungen den Umständen des Falles auf der zweiten
Stufe der Zumessungserwägungen einzelfallbezogen Rechnung getragen
(BVerwG, Urteil vom 8. Mai 2014 - 2 WD 10.13 - Rn. 87 ff.). Dabei hat er das
disziplinare Gewicht eines Ungehorsams umso höher eingestuft, je größer die
dadurch drohenden Gefahren für ein bedeutsames Rechtsgut, insbesondere
Leib und Leben von Kameraden, sind (BVerwG, Urteil vom 23. April 2015
- 2 WD 7.14 - juris Rn. 51 ff. m.w.N.).
Da der frühere Soldat Dienstfahrzeuge nicht nur zu dienstlichen Zwecken, son-
dern darüber hinaus mehrfach und über eine Strecke von mehreren hundert
Kilometern ohne Fahrerlaubnis im öffentlichen Straßenverkehr bewegt hat, bil-
det den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen somit die Herabsetzung
im Dienstgrad nach § 58 Abs. 2 Nr. 3 WDO, § 62 WDO. Dies gilt umso mehr,
als er im Range eines Stabsoffiziers gehandelt hat.
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bb) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im Einzelfall im Hinblick auf die Be-
messungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zwecksetzung des Wehrdis-
ziplinarrechts Umstände vorliegen, die die Möglichkeit einer Milderung oder die
Notwendigkeit einer Verschärfung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz
gebrachten Regelmaßnahme eröffnen. Dabei ist vor allem angesichts der
Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie dessen Auswirkungen zu
klären, ob es sich im Hinblick auf die be- und entlastenden Umstände um einen
schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung han-
delt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor,
ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die zu ver-
hängende Disziplinarmaßnahme nach "oben" bzw. nach "unten" zu modifizie-
ren. Zusätzlich sind die gesetzlich normierten Bemessungskriterien für die Be-
stimmung der konkreten Sanktion zu gewichten, wenn die Maßnahmeart, die
den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet, dem Wehrdienstge-
richt hinsichtlich des Disziplinarmaßes einen Spielraum eröffnet (BVerwG, Urteil
vom 12. Februar 2015 - 2 WD 2.14 - juris Rn. 56).
Umstände, die eine Abweichung von der Maßnahmeart verlangen, liegen nicht
vor, wobei das Gewicht mildernder Umstände umso größer sein muss, je
schwerer das Dienstvergehen wiegt (BVerwG, Urteil vom 11. September 2014
- 2 WD 11.13 - juris Rn. 79 m.w.N.). Hier erhöht sich die Schwere des Dienst-
vergehens dadurch, dass der frühere Soldat über die für die Bestimmung des
Ausgangspunktes der Zumessungserwägungen herangezogenen dienstlichen
Fahrten ohne Führerschein hinaus die vom Truppendienstgericht weiter festge-
stellten Pflichtverletzungen begangen hat. Ferner ist die über Jahre hinweg un-
terlassene Meldung des Führerscheinverlustes durch ihre besondere Dauer und
sind die dienstlichen Fahrten ohne Führerschein durch ihr zumindest abstraktes
Gefährdungspotenzial charakterisiert. Als erschwerenden Umstand muss sich
der frühere Soldat zudem entgegenhalten lassen, dass ihn weder die Warnung
in der Absehensverfügung noch der Hinweis in dem Fahrerlaubnisentziehungs-
bescheid der Stadt K. davon abgehalten haben, die Pflichtverletzungen zu be-
gehen. Er hat vielmehr seine Rechtsauffassung selbst über die des Verwal-
tungsgerichts gesetzt, welches ihn zudem darauf hingewiesen hatte, dass die
von ihm als ungerecht empfundene Einbeziehung von Punkten wegen Versto-
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ßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz für die Führerscheinentziehung letzt-
lich bedeutungslos war. Schon deshalb liegt - anders als von der Verteidigung
behauptet - keine atypische Situation vor, in der zugunsten des früheren Solda-
ten mildernd eingestellt werden müsste, er sei das Opfer einer offensichtlichen
behördlichen Fehlentscheidung gewesen.
Die für den früheren Soldaten sprechenden Umstände sind angesichts dieses
Ausgangsbefundes nicht geeignet, eine mildere Maßnahmeart als noch ange-
messen anzusehen.
Dass ein Teil der Pflichtverletzungen bereits strafrechtlich geahndet worden ist,
begründet keinen mildernden Umstand. Weder § 16 Abs. 1 noch § 17 Abs. 2
bis 4 WDO verbieten, den früheren Soldaten im Dienstgrad herabzusetzen.
Steht im Einzelfall - wie hier - § 16 WDO der Zulässigkeit des Ausspruchs einer
Disziplinarmaßnahme nicht entgegen, ist die Art oder Höhe einer Kriminalstrafe
oder sonstigen Strafsanktion für die Gewichtung der Schwere des sachgleichen
Dienstvergehens regelmäßig nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Straf-
verfahren und Disziplinarverfahren verfolgen unterschiedliche Zwecke. Die Kri-
minalstrafe unterscheidet sich nach Wesen und Zweck grundlegend von der
Disziplinarmaßnahme. Während erstere neben Abschreckung und Besserung
der Vergeltung und Sühne für begangenes Unrecht gegen den allgemeinen
Rechtsfrieden dient, ist die disziplinarische Ahndung darauf ausgerichtet, unter
Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes einen geordneten und integren
Dienstbetrieb aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen (vgl. BVerwG, Urteil
vom 12. März 2015 - 2 WD 3.14 - juris Rn. 91).
Auch die Leistungen des früheren Soldaten wirken nicht in ausreichendem Ma-
ße mildernd. Soweit sie überdurchschnittlich waren, liegen sie ebenso wie sei-
ne erfolgreichen Auslandseinsätze bereits Jahrzehnte zurück. Die aktuellen
Leistungen waren allenfalls durchschnittlich.
Die finanziellen Schäden, die sich nach Aussage des früheren Soldaten auf
etwa 60 000 € belaufen und sich aus dem Verlust der Waffenbesitzkarte erge-
ben, wirken ebenfalls nicht mildernd. Es handelt sich um Schäden, mit denen
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sich das von dem früheren Soldaten bewusst eingegangene Risiko realisiert
hat und um rechtliche Folgen, die allein er sich zurechnen lassen muss (vgl.
BVerwG, Urteil vom 15. Mai 2014 - 2 WD 3.13 - juris Rn. 45 m.w.N.). Entspre-
chendes gilt für den mit dem Entzug der Waffenbesitzkarte verbundenen Ver-
lust an Sozialkontakten. Die Auswirkungen ordnungsrechtlicher Verwaltungs-
verfahren, die an die Pflichtverletzungen anknüpfen, gehören ebenso wenig zu
den nach § 38 Abs. 1 WDO bemessungsrelevanten Aspekten wie die Auswir-
kungen der Disziplinarmaßnahme selbst (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 21. Ju-
ni 2011 - 2 WD 10.10 - juris Rn. 46).
c) Die fehlende disziplinarische Vorbelastung ist zwar nicht geeignet, die
Schwere des Dienstvergehens erheblich zu reduzieren, weil der frühere Soldat
damit nur den Anforderungen gerecht wird, die ein Dienstherr regelmäßig er-
warten darf. Dies gilt ebenso für den zu seinen Gunsten wirkenden Umstand,
dass er fast 40 Jahre beanstandungsfrei und mit anerkennenswerten Leistun-
gen Dienst versehen hat. Diese Umstände sowie vor allem seine geständige
und reuige Einlassung gebieten jedoch, das Maß der Herabsetzung auf einen
Dienstgrad zu beschränken, sind damit aber auch angemessen erfasst.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 139 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 WDO,
§ 140 Abs. 2 Satz 1 WDO, da keine Gründe vorliegen, die es unbillig erschei-
nen ließen, dem verurteilten früheren Soldaten seine notwendigen Auslagen
tragen zu lassen.
Dr. von Heimburg
Prof. Dr. Burmeister
Dr. Eppelt
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