Urteil des BVerwG vom 11.09.2014

Soldat, Reserve, Eigentum, Anhörung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 11.13
TDG N 6 VL 42/11
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
Herrn Obergefreiten der Reserve …,
…,
…,
…,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 11. September 2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Burmeister,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
ehrenamtlicher Richter Oberstleutnant i.G. Wilkens und
ehrenamtliche Richterin Hauptgefreiter Sitek,
Leitender Regierungsdirektor …
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwältin …
als Verteidigerin,
Geschäftsstellenverwalterin …
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Berufung des früheren Soldaten gegen das Urteil der
6. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 15. Ja-
nuar 2013 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der
ihm darin erwachsenen notwendigen Auslagen werden
dem früheren Soldaten auferlegt.
G r ü n d e :
I
Der 1967 geborene frühere Soldat leistete Grundwehrdienst zunächst in der
Nationalen Volksarmee und seit dem 3. Oktober 1990 in der Bundeswehr. Aus
ihr schied er im Mai 1991 planmäßig aus. Mit Wirkung vom 8. Mai 1991 war er
zum Obergefreiten der Reserve ernannt worden.
Der frühere Soldat war von Dezember 2003 bis Ende November 2005 befristet
und ist seit Oktober 2006 als Arbeitnehmer unbefristet bei der Bundeswehr be-
schäftigt, zunächst in der ... Im Jahre 2010 wurde er zu dem … versetzt. Nach-
dem er bereits ab 2011 phasenweise im Bereich des … eingesetzt worden war,
wurde er Anfang 2013 zum Munitionsdepot … versetzt. Seit dem 1. September
2014 ist er zum … abgeordnet.
Der frühere Soldat war seit September 2005 dreimal jeweils mehrere Monate
lang als Wehrübender in besonderen Auslandsverwendungen in Afghanistan
eingesetzt, zuletzt von März bis Juli 2008 als Versorgungsfeldwebel im Bereich
…, Außenstelle ...
In dem Beurteilungsbeitrag, der den verfahrensgegenständlichen Zeitraum be-
trifft, ist ausgeführt, der frühere Soldat habe die ihm gestellten Aufgaben im Be-
reich der Ver- und Entsorgung sowie die Tätigkeit als Beauftragter für Gefahrgut
zur Zufriedenheit erledigt, vorhandene Abfallmengen hätten im Kontingentzeit-
raum sukzessive abgebaut werden können. Die Arbeitsweise des früheren Sol-
daten sei besonders gründlich und auf die Erfüllung geltender Vorschriften aus-
gerichtet. Seine Meinung habe er nachhaltig zu vertreten gewusst. Bei der Füh-
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rung und Anleitung ihm zeitweise unterstellter ziviler Ortskräfte habe er das
notwendige Gespür für den Umgang mit Menschen anderer Kulturkreise erken-
nen lassen. Bei der Bewertung der Aufgabenerfüllung erhielt er bei Höchstwer-
tung „9“ die Wertung „6“ (die Leistungserwartungen wurden ständig übertrof-
fen).
Der frühere unmittelbare zivile Vorgesetzte des früheren Soldaten am …, der
Zeuge S., hat erstinstanzlich ausgesagt, der frühere Soldat leiste als Arbeit-
nehmer im Bereich der gärtnerischen Gruppe zufriedenstellende Arbeit. Im Ver-
gleich zu anderen Mitarbeitern erfülle er seine Aufgaben und Aufträge mit gu-
tem Erfolg. Er habe seine Arbeit immer korrekt und ordentlich ausgeführt und
das normale Pensum erfüllt. Er - der Zeuge - sei traurig gewesen, als der frühe-
re Soldat die Gruppe verlassen habe.
Der in der Berufungshauptverhandlung auch als Leumundszeuge vernommene
Vorgesetzte während der letzten Auslandsverwendung, Regierungsamtsrat D.,
hat ausgesagt, der frühere Soldat sei kein einfacher Mitarbeiter gewesen, weil
es ihm an Kompromissbereitschaft fehle. Im Übrigen könne er aber nichts Ne-
gatives über ihn sagen. Der frühere Soldat habe gute Arbeit geleistet und sich
ihm gegenüber loyal verhalten. Der weitere Fachvorgesetzte des früheren Sol-
daten, Regierungsamtmann N., hat ausgeführt, die Zusammenarbeit mit dem
früheren Soldaten sei im Großen und Ganzen zufriedenstellend gewesen. Er
habe ganz ordentliche Arbeit geleistet. Der Zeuge habe sich auf ihn verlassen,
es habe gelegentlich aber unterschiedliche Auffassungen gegeben. Der frühere
zivile Vorgesetzte des früheren Soldaten, Verwaltungsbeamter Sch., hat aus-
weislich der durch Verlesen in die Berufungshauptverhandlung eingeführten
Niederschrift über die Verhandlung vor dem Amtsgericht … ausgesagt, der frü-
here Soldat habe als ziviler Mitarbeiter gute Arbeit geleistet.
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Der frühere Soldat ist bislang weder disziplinar- noch strafrechtlich in Erschei-
nung getreten. Ihm wurde 2005 die Einsatzmedaille der Bundeswehr (ISAF) in
Bronze und 2008 in Silber verliehen.
Das sachgleich gegen den früheren Soldaten geführte Strafverfahren wegen
Diebstahls wurde vom Amtsgericht … durch Beschluss vom 9. September 2010
gemäß § 153a StPO nach Zahlung einer Auflage von 500 € endgültig einge-
stellt.
Der frühere Soldat ist ledig und kinderlos. Er führt mit seiner Mutter einen ge-
meinsamen Hausstand und verdient monatlich ca. 1 650 € netto; Schulden hat
er nach eigenen Angaben nicht.
II
1. Nachdem am 13. August 2008 durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft die
Aufnahme eines disziplinargerichtlichen Ermittlungsverfahrens verfügt worden
war, hat sich der frühere Soldat am 20. August 2008 zu dem gegen ihn erhobe-
nen Vorwurf vor dem Leiter des … näher eingelassen. Über das Recht, einen
Verteidiger konsultieren zu dürfen, war er zuvor nicht belehrt worden.
2. Mit Verfügung des Leiters der … vom 17. Februar 2011, dem früheren Sol-
daten ausgehändigt am 22. Februar 2011, ist das disziplinargerichtliche Verfah-
ren gegen den früheren Soldaten eingeleitet worden. Zuvor ist dem früheren
Soldaten Gelegenheit zur Stellungnahme und der Verteidigerin Akteneinsicht
gewährt worden.
Im Rahmen der abschließenden Anhörung bestritt der frühere Soldat den Vor-
wurf schriftlich unter Hinweis auf seine Einlassungen im Strafverfahren. Eine
Frist zur Abgabe einer ergänzenden Stellungnahme nach erneuter Aktenein-
sicht nutzte die Verteidigerin nicht.
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3. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft hat dem früheren Soldaten mit Anschuldi-
gungsschrift vom 24. November 2011 als Dienstvergehen zur Last gelegt:
„Er packte zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt zwi-
schen dem 01.03.2008 und dem 05.07.2008 während
einer besonderen Auslandsverwendung, für die er den
zeitweiligen Dienstgrad eines Feldwebels der Reserve
verliehen bekommen hatte, im … (…) … in Afghanistan
die nachfolgend aufgeführten und im Eigentum der Bun-
deswehr stehenden Gegenstände im Gesamtwert von ca.
434 Euro in sein Gepäck und versuchte diese an die
Adresse ‚…‘ zu verschicken.
Im Einzelnen:
- zwei Duschköpfe, "hansgrohe", im Wert von jeweils ca.
60 Euro
- einen Duschschlauch im Wert von ca. 15 Euro
- einen Duschkopf lang im Wert von ca. 80 Euro
- eine Wandhalterung für Schläuche im Wert von ca. 10
Euro
- ein Verlängerungskabel, 25 m, im Wert von ca. 15 Euro
- elf Paar Sicherheitshandschuhen, blau, im Wert von ins-
gesamt ca. 20 Euro
- zwölf Paar Sicherheitshandschuhe, braun, im Wert von
insgesamt ca. 26 Euro
- eine Packung Sicherheitshandschuhe, gelb, im Wert von
ca. 7 Euro
- ein Paar Sicherheitshandschuhe, gefüttert, braun, im
Wert von ca. 10 Euro
- drei Türschilder im Wert von insgesamt ca. 15 Euro
- ein Kombi-Eck-Ventil im Wert von ca. 18 Euro
- ein Karton mit Sicherheitshandschuhe, gelb, sowie
Schlauchverbindungen und Schrauben im Wert von ca. 70
Euro
- eine Schachtel Schrauben 4,0x75 (500 Stück) im Wert
von ca. 5 Euro
- eine Schachtel Schrauben 5,0x90 (500 Stück) im Wert
von ca. 5 Euro
- eine Schachtel Schrauben 3,9x30 (500 Stück) im Wert
von ca. 5 Euro
- eine Schlauchkupplung, zwei Pinsel, zwei Warnschilder
und eine Schachtel Ameisenköder im Wert von insgesamt
ca. 8 Euro
- eine Schachtel "Fischerdübel" (100 Stück) im Wert von
ca. 5 Euro.“
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4. Die 6. Kammer des Truppendienstgerichts Nord hat den früheren Soldaten
mit Urteil vom 15. Januar 2013 in den Dienstgrad eines Gefreiten der Reserve
herabgesetzt.
Das Gericht hat aufgrund der Einlassungen des früheren Soldaten sowie der
durchgeführten Beweisaufnahme, insbesondere der Aussagen der Zeugen M.,
R., H. und S. festgestellt, dass der frühere Soldat als Leiter des Abfallsammel-
platzes für dessen Betreiben als Entsorger zuständig war. Er habe sich nur um
ausgesondertes Material zu kümmern gehabt. Die beim Rücktransport des Ge-
päckes in seiner mit seinem Einverständnis geöffneten Transportkiste gefunde-
nen, in der Anschuldigungsschrift aufgeführten Gegenstände seien mit Aus-
nahme der Sicherheitshandschuhe, die der frühere Soldat möglicherweise in
seinem privaten Gepäck vom Heimatland mitgebracht habe, auf seinem Dienst-
posten nicht benötigt worden und würden auch nicht in den Einsatz mitgenom-
men. Soweit der frühere Soldat die Wegnahme der Gegenstände bestreite und
behaupte, er habe diese vor dem Einsatz zur besseren Versorgung über die
Feldpost vorgeschickt, handele es sich um unglaubwürdige Schutzbehauptun-
gen.
Der frühere Soldat habe mit seinem Verhalten vorsätzlich gegen § 7 SG sowie
§ 17 Abs. 2 S. 1 SG verstoßen. Die Maßnahmebemessung werde im Wesentli-
chen davon bestimmt, dass der vorsätzliche Zugriff auf Eigentum oder Vermö-
gen des Dienstherrn regelmäßig zu einer Dienstgradherabsetzung führe. Ob-
wohl die Gegenstände dem früheren Soldaten nicht anvertraut gewesen seien,
habe er gleichwohl gegen zentrale soldatische Pflichten verstoßen. Der Wert
der entwendeten Gegenstände läge auch bei Ausklammerung der Sicherheits-
handschuhe deutlich über der Bagatellgrenze von 50 €. Milderungsgründe sei-
en nicht ersichtlich. Zu Lasten des früheren Soldaten wiege vielmehr, dass des-
sen Auslandsverwendung vorzeitig habe beendet werden müssen. Entlastend
wirke jedoch, dass er sich jeweils freiwillig für die Auslandseinsätze gemeldet,
dort durchweg gute Leistungen erzielt habe und bislang weder straf- noch diszi-
plinarrechtlich in Erscheinung getreten sei.
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5. Gegen das ihm am 5. Februar 2013 zugestellte Urteil hat der frühere Soldat
am 4. März 2013 unbeschränkt Berufung eingelegt und beantragt, ihn schuldfrei
zu stellen und freizusprechen und ihm unter Aufhebung des erstinstanzlichen
Urteils den Dienstgrad eines Obergefreiten der Reserve zu belassen.
Die Wehrdisziplinarordnung sei nicht mehr anwendbar, weil er inzwischen das
45. Lebensjahr vollendet habe und ihr nicht mehr unterliege. Zudem sei die Be-
setzung des Truppendienstgerichts unrichtig gewesen, weil der Kameradenbei-
sitzer kein Reservist gewesen sei. Die lange Verfahrensdauer begründe zudem
ein Verfahrenshindernis. Das Truppendienstgericht habe auch keine ausrei-
chenden und widerspruchsfreien Tatfeststellungen getroffen. Die für die
Gegenstände veranschlagten Werte seien zudem zu hoch bemessen und er
habe ohne Zueignungsabsicht gehandelt. Bei der Maßnahmebemessung sei
die Kammer unrichtig davon ausgegangen, dass seine Auslandsverwendung
wegen des angeschuldigten Vorfalls vorzeitig habe beendet werden müssen.
Zudem habe sie übergangen, dass er als Arbeitnehmer der Bundeswehr durch
die Dauer des Verfahrens bereits erhebliche berufliche Nachteile erlitten habe.
§ 10 Abs. 1 SG sei fehlerhaft maßnahmeschärfend herangezogen worden, zu-
mal bereits die Ernennung zum Feldwebel und der Heranziehungsbescheid
rechtswidrig gewesen seien. Als bloßer Verwaltungsfeldwebel habe er auch
keine Vorgesetztenstellung innegehabt. Die Gegenstände habe er bereits von
der … ohne Zueignungsabsicht zum Auslandseinsatz mitgenommen.
III
1. Die gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und Absatz 2 WDO
form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig.
a) Die Zuständigkeit der Wehrdienstgerichtsbarkeit (§ 68 WDO) ist gegeben.
Insbesondere ist die WDO auf den früheren Soldaten anwendbar. Gemäß ihrem
§ 1 Abs. 2 gilt die WDO für aktive Soldaten (Satz 1) sowie ausdrücklich auch für
diejenigen, die in einem Wehrdienstverhältnis gestanden haben (Satz 2). Der
Berufungsführer hat zum einen bis zum 7. Mai 1991 Wehrdienst geleistet und
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somit in einem Wehrdienstverhältnis gestanden (vgl. § 1 Abs. 1 SG); zum ande-
ren stand er während seiner letzten Auslandsverwendung und damit zur Zeit
der vorgeworfenen Taten in einem Wehrdienstverhältnis (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1,
§ 59 Abs. 3 Satz 1, § 60 Nr. 2, § 62 SG). Es ist auch durch den in die Beru-
fungshauptverhandlung durch Verlesen eingeführten Bescheid des Kreiswehr-
ersatzamtes … vom 23. Januar 2008 rechtswirksam begründet worden.
Soweit der frühere Soldat die Rechtswidrigkeit des Bescheides damit begrün-
det, dass dieser an ihn nicht als „Obergefreiter der Reserve“ adressiert gewe-
sen sei, ist dieser Einwand schon deshalb unbeachtlich, weil der mit einer ord-
nungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehene Bescheid bestandskräftig
geworden ist. Ungeachtet dessen begründete die unterlassene Bezeichnung
des Dienstgrades keinen Rechtsfehler und schon gar nicht seine Nichtigkeit.
Das Ende des Wehrdienstverhältnisses steht der Einleitung des Verfahrens
wegen eines während der Dienstzeit begangenen Dienstvergehens nicht ent-
gegen (§ 82 Abs. 3 WDO).
b) Ein Verfahrenshindernis liegt nicht vor. Es leitet sich insbesondere nicht aus
einer den Anforderungen des Art. 6 EMRK nicht mehr genügenden Verfahrens-
dauer ab (vgl. dazu Urteil vom 6. September 2012 - BVerwG 2 WD 26.11 -
NZWehrr 2014, 32 = juris Rn. 34 f.).
Eine Verfahrenseinstellung wegen einer unangemessenen Verfahrensdauer
kommt nur in extrem gelagerten Fällen in Betracht. Davon ist lediglich dann
auszugehen, wenn unter Berücksichtigung des bisherigen und des noch zu er-
wartenden Verfahrensverlaufs, des noch im Raum stehenden Vorwurfs und ge-
gebenenfalls besonderer persönlicher Umstände des Beschuldigten dessen
weitere Belastung mit dem Verfahren selbst unter der Voraussetzung, dass sich
die Tatvorwürfe später bestätigen, nicht mehr verhältnismäßig wäre (Urteil vom
6. September 2012 - BVerwG 2 WD 26.11 - a.a.O. und juris Rn. 39 f. m.w.N.).
Ein solch extrem gelagerter Fall liegt jedoch nicht vor. Es fehlt bereits an einer
unangemessen langen Verfahrensdauer.
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Angesichts der Komplexität der notwendigen Ermittlungen, der Bedeutung des
Verfahrens für den früheren Soldaten und der zur Wahrung seiner prozessualen
Rechte erforderlichen mehrfachen Versendung der Akten an seine Verteidigerin
war die Verfahrensdauer nicht unangemessen lang. Das Verfahren ist durch die
zuständigen Stellen kontinuierlich betrieben worden. Schwerwiegende Belas-
tungen gerade durch das Verfahren trafen den früheren Soldaten nicht, weil der
Bestand seines Arbeitsverhältnisses hierdurch nicht betroffen wurde. Seine
häufigen Abordnungen begründeten sich zumindest auch aus der Notwendig-
keit, für einen Arbeitnehmer im Personalüberhang eine angemessene Beschäf-
tigung zu finden. Dies war nicht primär Folge des vorliegenden Verfahrens.
2. Die Berufung ist unbegründet.
Das Rechtsmittel ist von dem früheren Soldaten in vollem Umfang eingelegt
worden. Der Senat hat daher im Rahmen der Anschuldigung (a) auf der Grund-
lage eines ohne wesentliche Verfahrensmängel durchgeführten Verfahrens (b)
eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen (c), diese rechtlich zu würdigen
und die sich daraus ergebenden Folgerungen zu ziehen (d) sowie unter Be-
rücksichtigung des Verschlechterungsverbotes (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m.
§ 331 StPO) über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden (e).
a) Die angeschuldigte Pflichtverletzung ist der Anschuldigungsschrift noch hin-
reichend deutlich zu entnehmen.
Die Anschuldigungsschrift muss hinsichtlich des Schuldvorwurfs hinreichend
bestimmt sein und die Sachverhaltselemente, aus denen sich die vorgeworfene
Pflichtverletzung ergibt, so deutlich und klar beschreiben, dass sich der Soldat
für seine Verteidigung darauf einstellen und das Gericht den Gegenstand seiner
Urteilsfindung eindeutig eingrenzen kann (Beschluss vom 11. Februar 2009
- BVerwG 2 WD 4.08 - BVerwGE 133, 131 = Buchholz 450.2 § 99 WDO 2002
Nr. 2 jeweils Rn. 12, 14). Bei Zweifeln über Gegenstand und Umfang des in der
Anschuldigungsschrift zur Last gelegten Fehlverhaltens ist die Anschuldigungs-
schrift aus der Sicht des Empfängers, wie sie bei objektiver Betrachtungsweise
zu verstehen ist, auszulegen. Zur Auslegung kann das wesentliche Ergebnis
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der Ermittlungen ergänzend herangezogen werden (Urteil vom 18. September
2003 - BVerwG 2 WD 3.03 - BVerwGE 119, 76 <80> = Buchholz 235.01 § 38
WDO 2002 Nr. 11 S. 41 m.w.N.). Hiernach ergibt sich sowohl aus der Auflistung
der Gegenstände, die nicht typischerweise zu den Ausrüstungsgegenständen
gehören, welche von einem Soldaten aus einem Auslandseinsatz mit zurückge-
bracht werden, als auch aus der Bezugnahme auf das sachgleiche Strafverfah-
ren im Ermittlungsergebnis noch hinreichend deutlich, dass dem früheren Sol-
daten der vorsätzliche Zugriff auf im Eigentum des Dienstherrn stehende
Gegenstände in Zueignungsabsicht vorgeworfen wird.
b) Verfahrensmängel stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht ent-
gegen.
aa) Das Truppendienstgericht war ordnungsgemäß besetzt. Anders als von
dem früheren Soldaten behauptet, musste an der Entscheidung des Truppen-
dienstgerichts kein Angehöriger der Reserve als ehrenamtlicher Richter mitwir-
ken.
Die Voraussetzungen des § 75 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 WDO lagen nicht vor. Er
verlangt die Mitwirkung eines Angehörigen der Reserve nur wegen eines Ver-
haltens, das als Dienstvergehen „gilt“. Mit dieser Formulierung bezieht sich § 75
Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 WDO auf § 23 Abs. 2 SG, der definiert, welche „nach
(dem) Ausscheiden“ eines Soldaten aus dem Wehrdienst begangenen Hand-
lungen disziplinarisch relevant sind. § 75 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 WDO stellt so-
mit für die Bestimmung der Zugehörigkeit eines angeschuldigten früheren Sol-
daten zur Gruppe der Angehörigen der Reserve und folglich auch derjenigen
des betreffenden ehrenamtlichen Richters nicht auf den Zeitpunkt der Haupt-
verhandlung vor den Wehrdienstgerichten, sondern auf den Zeitpunkt der Tat
ab (Beschluss vom 11. Mai 2006 - BVerwG 2 WD 25.05 - Buchholz 11 Art. 101
Nr. 22 = juris jeweils Rn. 8). Da sich die vorliegend angeschuldigte Pflichtverlet-
zung auf einen Zeitraum bezieht, in dem der frühere Soldat als Wehrdienstleis-
tender in einem aktiven Soldatenverhältnis stand, mithin keine nach seinem
Ausscheiden aus dem Wehrdienst begangene Handlung im Raum steht, findet
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§ 23 Abs. 1 SG, nicht aber § 23 Abs. 2 SG und somit auch nicht § 75 Abs. 3
Satz 3 Halbs. 1 WDO Anwendung.
Die Besetzung richtete sich somit nach § 75 Abs. 2 Satz 1 WDO. Aus ihm folgt,
dass die erstinstanzliche Heranziehung eines Mannschaftsdienstgrades - eines
Hauptgefreiten - als ehrenamtlicher Richter zwingend war, weil dieser zu der
Dienstgradgruppe zählt, der der frühere Soldat als Obergefreiter d.R. zum Zeit-
punkt der Hauptverhandlung angehörte (vgl. zum Zweck der zwischen § 75
Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 und Abs. 2 Satz 1 WDO divergierenden Zeitpunkte: Be-
schluss vom 11. Mai 2006 a.a.O. Rn. 8).
bb) Keinen Verfahrensmangel begründet des Weiteren, dass keine Anhörung
einer Vertrauensperson stattfand.
Die gemäß § 27 Abs. 2 SBG vor Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarver-
fahrens grundsätzlich vorgeschriebene Anhörung der Vertrauensperson stellt
eine zwingende Verfahrensvorschrift dar. Anzuhören ist die Vertrauensperson,
die zum Zeitpunkt der Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens für den
Soldaten zuständig ist (vgl. Beschluss vom 31. Januar 2012 - BVerwG 2 WD
4.11 - Buchholz 449.7 § 27 SBG Nr. 9 Rn. 11 und 24). Da es für frühere Sol-
daten keine Vertrauensperson gibt und der frühere Soldat zu dem Zeitpunkt, zu
dem gegen ihn das Disziplinarverfahren eingeleitet wurde, nicht mehr in einem
Wehrdienstverhältnis stand, konnte eine Vertrauensperson nicht angehört wer-
den und damit die Anhörung auch nicht rechtswidrig unterbleiben (Dau, WDO,
6. Aufl. 2013, § 4 Rn. 26).
cc) Ein Verfahrensfehler liegt allerdings darin, dass der frühere Soldat am
20. August 2008 und damit nach Aufnahme der Vorermittlungen am 13. August
2008 von dem Leiter des … zu den Vorwürfen angehört wurde, ohne vorher
über sein Recht, einen Verteidiger zu konsultieren, belehrt worden zu sein. Die-
ser Verfahrensfehler stellt aber kein Verfahrenshindernis dar und führt auch
nicht zur Zurückverweisung, sondern zu einem Verwertungsverbot der ohne
korrekte Belehrung getätigten Aussage (grundlegend dazu BVerwG, Urteil vom
28. Juni 2008 - BVerwG 2 WD 34.10 - Buchholz 450.2 § 91 WDO 2002 Nr. 6
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Rn. 32 ff. <34>). Die Einlassung des früheren Soldaten in dieser Anhörung
musste, da er einer Verlesung auch nicht zugestimmt hatte, deshalb unberück-
sichtigt bleiben.
c) In tatsächlicher Hinsicht steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur
Überzeugung des Senats fest, dass der frühere Soldat zwischen dem 1.
März
2008 und dem 5. Juli 2008 während einer besonderen Auslandsverwendung,
für die er den zeitweiligen Dienstgrad eines Feldwebels der Reserve verliehen
bekommen hatte, im … (…) … in Afghanistan (im Folgenden: …) jedenfalls
- zwei Duschköpfe, "hansgrohe",
- einen Duschschlauch,
- einen Duschkopf lang,
- eine Wandhalterung für Schläuche,
- ein Verlängerungskabel, 25 m,
- drei Türschilder
- ein Kombi-Eck-Ventil
- Schlauchverbindungen und Schrauben
- eine Schachtel Schrauben 4,0x75 (500 Stück)
- eine Schachtel Schrauben 5,0x90 (500 Stück)
- eine Schachtel Schrauben 3,9x30 (500 Stück)
- eine Schlauchkupplung,
- zwei Pinsel, zwei Warnschilder
- eine Schachtel Ameisenköder sowie
- eine Schachtel "Fischerdübel" (100 Stück),
welche im Eigentum der Bundeswehr standen und einen Gesamtwert von
jedenfalls mehr als 50 € aufwiesen, wissentlich und willentlich sowie in der Ab-
sicht, sie sich rechtswidrig zuzueignen, in seine Transportkiste gepackt und
versucht hat, sie an die Adresse „…“ zu verschicken. Soweit der frühere Soldat
angeschuldigt wird, sich auch Sicherheitshandschuhe rechtswidrig angeeignet
zu haben, hat der Senat ebenso wie das Truppendienstgericht dies nicht als er-
wiesen angesehen und den früheren Soldaten insoweit freigestellt.
Der Senat stützt seine Überzeugung auf folgende Erwägungen:
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Dass die in der Transportkiste aufgefundenen Gegenstände von dem früheren
Soldaten hineingelegt wurden, entnimmt der Senat den Ausführungen der Ver-
teidigerin in der Berufungshauptverhandlung. Sie hat in Fortführung ihres Beru-
fungsvortrags (Schriftsatz vom 4.
März
2013, Seite 5) und der Einlassung vor
dem Amtsgericht … am 8. Juli 2010 vorgetragen, der frühere Soldat habe die
streitbefangenen Gegenstände mit zurücknehmen wollen, weil er sie bereits in
das Lager … mitgebracht bzw. vorgeschickt habe, um eine Duschmöglichkeit
einzurichten; er habe sie dort nicht entwendet. Fest steht angesichts dessen
ebenso, dass die Gegenstände im Eigentum der Bundeswehr standen. Der frü-
here Soldat hat nichts Gegenteiliges vortragen lassen und insbesondere keine
Belege vorgelegt, die den Erwerb der Gegenstände durch ihn dokumentierten.
Zur Überzeugung des Senats steht ferner fest, dass der frühere Soldat die
Gegenstände im Wert von jedenfalls mehr als 50 € nicht bereits von der seiner-
zeitigen … mitgenommen, sondern sie erst im … vorsätzlich und mit Zueig-
nungsabsicht an sich gebracht hat.
Zwar vermochte der Zeuge M. nicht auszuschließen, dass in der … Gegen-
stände der Art vorrätig waren, wie sie in der Transportkiste des früheren Sol-
daten gefunden wurden; insbesondere hinsichtlich der Duschköpfe hat er aus-
geführt, er sei damit überfragt. Die Ausgabe solcher Gegenstände hätte dann
jedoch seiner Genehmigung bedurft, die er nicht erteilt habe. Über die Lagerbe-
stände werde Buch geführt. Im Handvorrat auf dem Abfallsammelplatz in … sei-
en vielleicht Handschuhe vorhanden gewesen, Duschköpfe jedoch nicht. Der
Abfallsammelplatz liege außerhalb des Bereichs, in dem sich das Lager für
Gegenstände dieser Art befinde. Ein Zugriff durch den früheren Soldaten auf sie
sei wohl faktisch, jedoch nicht regulär möglich gewesen. Die Ausgabe neuer
Gegenstände erfolge in Originalverpackung.
Der Senat hat keine Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen,
der keinerlei Belastungseifer zeigte und außer bei der Anhörung am 20. August
2008 keinen Kontakt zum früheren Soldaten hatte. Seine Aussage korrespon-
diert zu der des Zeugen Sch., dessen Aussage vor dem Amtsgericht … am 8.
Juli
2010 durch Verlesen in die Berufungshauptverhandlung eingeführt worden
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ist; dieser hatte zudem ausgesagt, er sei als (ziviler) Vorgesetzter des früheren
Soldaten nicht in der Lage gewesen, ihm etwas zu genehmigen. Man müsse
jedes Material schriftlich beantragen. Von dem früheren Soldaten sei er wegen
Gegenständen der streitgegenständlichen Art nicht um eine Genehmigung ge-
beten worden.
Der Zeuge H., dessen Aussage vor dem Amtsgericht … durch Verlesen in die
Berufungshauptverhandlung eingeführt worden ist, hat bestätigt, dass auf dem
Abfallsammelplatz in … Handschuhe vorhanden gewesen seien, man das Ma-
terial jedoch nicht aus Deutschland in den Einsatz mitnehmen dürfe.
Dass auch im … Gegenstände der Art, wie sie in der Transportkiste des frühe-
ren Soldaten gefunden wurden, vorrätig waren, folgt aus den übereinstimmen-
den Aussagen der Zeugen D. und L. sowie aus den durch Verlesung in die Be-
rufungshauptverhandlung eingeführten Stellungnahmen der Hauptleute E. und
G. Während es in der Stellungnahme des Hauptmanns G. eher vage heißt, die
oben bezeichneten Gegenstände seien voraussichtlich von der Bundeswehr
dienstlich beschafft worden bzw. seien aus Bundeswehrbestand und könnten
an die Einsatzwehrverwaltung …, …, zurückgeführt werden, enthält die Mail
des - seinerzeit in … Dienst leistenden - Hauptmanns E. die eindeutige Aussa-
ge, die Materialien stammten größtenteils aus den Vorräten des … (…). Dass
sich der frühere Soldat, aufgrund des räumlichen Zusammenhangs und der en-
gen Zusammenarbeit sowie der damit verbundenen Ortskenntnis regelmäßig
ohne weiteres Zugang zu den Gegenständen verschaffen konnte, folgt zusätz-
lich aus der E-Mail des Hauptmanns E. Der Aussage des Zeugen D. sowie der
durch Verlesen in die Berufungshauptverhandlung eingeführten Aussage des
Zeugen M. vor dem Truppendienstgericht ist schließlich zu entnehmen, dass
der frühere Soldat mit diesen Gegenständen dienstlich nicht befasst war.
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Auch die in der Berufungsverhandlung vernommenen Zeugen D. und L. haben
nach Inaugenscheinnahme der Fotografien von den streitbefangenen Gegen-
ständen bestätigt, dass insbesondere Duschköpfe, Schläuche, die Wandhalte-
rung und Ventile dieser Art originalverpackt im … vorgehalten worden seien.
Die Verwertung dieser Fotos ist dem Senat nicht deshalb verboten, weil die
Transportkiste ohne richterliche Entscheidung geöffnet worden ist. Soweit die
Verteidigung dies geltend macht, verkennt sie, dass eine richterliche Entschei-
dung wegen des vom früheren Soldaten zuvor abgegebenen Einverständnisses
rechtlich nicht geboten war.
Der Zeuge L. hat zudem und insoweit sachlich übereinstimmend mit der Infor-
mation des Hauptmanns E. ausgesagt, der Magazincontainer, in dem sich
Gegenstände dieser Art befunden hätten, sei nicht durchgehend bewacht ge-
wesen. Jeder habe sich benötigtes Material nehmen können. Die Entsorger hät-
ten zwar keinen Zugang dazu gehabt, aber die Möglichkeit eines Zugriffs habe
bestanden. Tagsüber habe das Materiallager offen gestanden und es sei nicht
immer beaufsichtigt gewesen. Das Lagergebäude habe auf dem Weg vom Bü-
rogebäude des Technischen Betriebsdienstes, in dem sich damals auch die von
den Mitarbeitern des Abfallsammelplatzes zu benutzenden Toiletten befunden
hätten, zum Abfallsammelplatz gelegen. Laufende Überprüfungen des Ist- und
Soll-Bestandes hätten nicht stattgefunden. Bei einer Inventur wäre ein eventuel-
ler Mangel feststellbar gewesen, er habe dafür aber keine Zeit gehabt. Den
Wert eines Duschkopfs schätze er auf etwa 20 - 25 €, den eines Eckventils auf
10 - 15 €.
Der Zeuge ist glaubwürdig und seine ohne Belastungseifer getätigte Aussage
ist glaubhaft. Er hat klar differenziert, wo er infolge des Zeitablaufs Erinnerungs-
lücken hat und wo er sich seiner Erinnerung sicher ist. Seine Schätzung der
Werte stimmt annähernd mit den Angaben in der E-Mail des Hauptmanns E.
überein, welche - insbesondere, soweit es die Duschköpfe betrifft - sich von den
Angaben des Regierungsamtsrats D. in seiner ebenfalls durch Verlesen in die
Berufungshauptverhandlung eingeführten Stellungnahme vom 10.
Oktober
2008 (mit der Preisangabe von 120 € für zwei Duschköpfe) deutlich abhebt.
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Nach dem auch im gerichtlichen Wehrdisziplinarverfahren gemäß § 123 Satz 3,
§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO anwendbaren § 261 StPO hat das Gericht über das
Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Ver-
handlung geschöpften Überzeugung zu entscheiden. Die für die Überführung
eines Angeschuldigten erforderliche Gewissheit erfordert ein nach der Lebens-
erfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, demgegenüber vernünftige Zweifel
nicht mehr aufkommen. Zwar ist zur Überführung des Angeschuldigten keine
„mathematische Gewissheit“ erforderlich; der Beweis muss jedoch mit lückenlo-
sen, nachvollziehbaren logischen Argumenten geführt sein. Die Beweiswürdi-
gung muss auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachen-
grundlage beruhen. Allein dadurch wird die Unschuldsvermutung (vgl. Art. 6
Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention) widerlegt (Urteil vom 12.
Februar 2003 - BVerwG 2 WD 8.02 - BVerwGE 117, 371 <376> m.w.N.).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze begründet die Aussage des Zeugen M., er
wolle nicht ausschließen, dass es auch in der … die streitbefangenen Gegen-
stände gegeben habe, keinen vernünftigen Zweifel daran, dass sie mit Aus-
nahme der Handschuhe aus dem … stammen und der frühere Soldat sie erst
dort in Zueignungsabsicht in seinen Gewahrsam gebracht hat. Dies steht für
den Senat mit einem nach der Lebenserfahrung ausreichenden Maß an Sicher-
heit aufgrund folgender Erwägungen fest:
Die Zugriffsmöglichkeiten waren für den früheren Soldaten unterschiedlich risi-
koreich. Der Zugriff auf das Lager der … stellte sich nach der Beschreibung des
Zeugen M. aufgrund der räumlichen Distanz zwischen Materialverwaltung und
dem dortigen Abfallsammelplatz risikoreicher dar als im …, in dem der Material-
container auf dem vom früheren Soldaten regelmäßig zurückgelegten Weg zwi-
schen dem Bürogebäude des Technischen Betriebsdienstes und dem von ihm
verwalteten Abfallsammelplatz lag. Hinzu kommt, dass die Zugriffsmöglichkei-
ten für den früheren Soldaten im … schon deshalb wesentlich risikoloser waren,
weil der Container dort nach Aussage des Zeugen L. tagsüber offen stand und
nicht regelmäßig beaufsichtigt wurde. Darüber hinaus liegt bei der Persönlich-
keitsstruktur des früheren Soldaten, der durch seine besondere Vorschriften-
treue hervorsticht, die Annahme fern, er habe sich in der … unter gezielter Um-
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gehung des Antragserfordernisses Gegenstände zu dienstlichen Zwecken
rechtswidrig verschafft und das Risiko erheblicher arbeitsrechtlicher Folgen -
wie etwa die Kündigung seines unbefristeten Arbeitsvertrags - in Kauf genom-
men. Dem gegenüber war die Materialausgabe im … deutlich formloser.
Der Zeuge M. hat zudem lediglich nicht ausschließen wollen, dass es in der …
Gegenstände dieser Art gegeben hat. Dass es solche Gegenstände dort sei-
nerzeit gab, hat er somit nicht bestätigen können. Anderes gilt für die Hand-
schuhe, bei denen er es für möglich hielt, dass der frühere Soldat sie in einem
Handvorrat gehalten hat. Im Gegensatz dazu haben die Zeugen D. und L. un-
eingeschränkt bestätigt, dass Gegenstände dieser Art im … vorgehalten wur-
den. Dem entspricht inhaltlich auch die E-Mail des Hauptmanns E.
Nicht nachvollziehbar bleibt ferner, warum der frühere Soldat für den Bau nur
einer „Notdusche“ derart viele Duschköpfe und entsprechendes Zusatzmaterial
mitgenommen haben will und - wofür die Aussage des Zeugen N. sprechen
mag - nach dem Bau einer Notdusche überflüssig gewordene Gegenstände
dann nicht im Lager … zurückgelassen hat. Gerade wenn, wie er es vorträgt, ei-
ne Übergabe mit seinem Nachfolger nicht stattgefunden hat, hätte er diesem
nicht aus seiner Sicht relevantes Arbeitsmaterial vorenthalten dürfen.
Darüber hinaus haben die Zeugen L. und D. ausgesagt, dass der vom früheren
Soldaten behauptete Mangel an Arbeitsmaterial im Lager … jedenfalls 2008
nicht (mehr) bestanden hat. Es war auch keineswegs üblich, entsprechendes
Material aus dem Heimatland mitzubringen. Alle zur Lage vor Ort befragten
Zeugen haben betont, sie hätten - von einer wärmeren Unterwäsche für den
Zeugen N. abgesehen - kein Arbeitsmaterial aus Deutschland mitbringen müs-
sen und mitgebracht. Die Versorgungslage sei recht gut gewesen. Dies ent-
spricht auch den - durch Verlesung der Niederschrift des Amtsgerichts … vom
8. Juli 2010 - in die Berufungshauptverhandlung eingeführten Aussagen des
Zeugen M. in der Verhandlung vor dem Amtsgericht ...
Ferner steht nach den Aussagen der Zeugen D. und L. fest, dass dem früheren
Soldaten jedenfalls bis zum Einbau einer Damentoilette Anfang März 2008 eine
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Dusche in dem vom Abfallsammelplatz nur 20 bis 30 m entfernt liegenden Ge-
bäude des Technischen Betriebsdienstes zur Verfügung gestanden hat. Dass
diese Dusche nach den Aussagen des Zeugen L. während des Aufenthalts des
früheren Soldaten zur Damentoilette umgebaut wurde, konnte dieser zu dem
Zeitpunkt, zu dem er herangezogen und angeblich vorsorglich tätig wurde, noch
nicht wissen. Den Wunsch, auf dem Abfallsammelplatz eine Dusche zu installie-
ren, hat der frühere Soldat nach der Aussage des Zeugen D. ihm gegenüber
nicht geäußert.
In der Gesamtschau dieser Umstände spricht nach allgemeiner Lebenserfah-
rung somit alles dafür, dass der frühere Soldat die in der Transportkiste aufge-
fundenen, nicht der Erfüllung der ihm im … übertragenen Aufgabe dienenden
Gegenstände unter Bruch des Gewahrsams des Bundes an ihnen in seinen
Gewahrsam gebracht hat. Anlass, an der Richtigkeit der weitgehend überein-
stimmenden Zeugenaussagen zu zweifeln, bestand nicht. Die Einlassung des
früheren Soldaten, er habe die Gegenstände aus dem Heimatland mitgebracht
und deshalb wieder zurückführen wollen, wertet der Senat als Schutzbehaup-
tung.
Aus der Ansichnahme der Gegenstände und dem Versuch, sie in der persönli-
chen Transportkiste, deren Inhalt in der Zollerklärung als „Bekleidung und pers.
Ausrüstung“ und damit unwahr deklariert war, ins Heimatland zu senden, ergibt
sich die Zueignungsabsicht des früheren Soldaten. Durch die Inhaltsangabe
und die Adressierung an ihn persönlich („…“) gerierte er sich als Eigentümer
der Gegenstände. Der Annahme der Zueignungsabsicht steht nicht entgegen,
dass die Transportkiste an die postalische Anschrift des Kreiswehrersatzamtes
… adressiert war. Denn die Rückführung von unbegleitetem Gepäck wie Trans-
portkisten und Transporttaschen von im Auslandseinsatz befindlichen Beschäf-
tigten ist stets nur an eine Dienststelle der Bundeswehr, nicht aber an eine Pri-
vatadresse möglich. Mit dem Kreiswehrersatzamt … - an seinem Wohnsitz -
hatte der frühere Soldat vereinbart, dass er seine persönlichen Gegenstände
nach dem Auslandseinsatz dort abholen kann. Den Vortrag des früheren Sol-
daten, die Gegenstände wieder zu seiner Dienststelle in … zurückführen zu
wollen, hält der Senat auch deshalb für eine unglaubhafte Schutzbehauptung,
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weil der frühere Soldat nach eigenem Vortrag angenommen hatte, im An-
schluss an den Auslandseinsatz an das … abgeordnet zu sein und nicht mehr
nach … zurückzukehren.
d) Der frühere Soldat hat damit vorsätzlich ein Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1
SG begangen.
Durch den mit Wissen und Wollen, somit vorsätzlich begangenen Zugriff auf die
Gegenstände und damit das Vermögen des Dienstherrn hat er gegen § 7 SG
verstoßen. Die Pflicht zum treuen Dienen umfasst auch die Pflicht, das Vermö-
gen des Dienstherrn zu schützen (Urteil vom 8. Mai 2014 - BVerwG 2 WD
10.13 - Rn. 47).
Der frühere Soldat hat durch die Aneignung der Gegenstände zusätzlich gegen
§ 7 SG unter dem Gesichtspunkt der Verpflichtung zur Loyalität gegenüber der
Rechtsordnung verstoßen, die die Begehung von Straftaten untersagt (Urteil
vom 13. Dezember 2012 - BVerwG 2 WD 29.11 - BVerwGE 145, 269 = Buch-
holz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 42, jeweils Rn. 49). Dabei muss es sich um
einen Rechtsverstoß von Gewicht handeln, der zudem in einem Zusammen-
hang mit dem Dienstverhältnis steht. Ein solcher Verstoß liegt vor, weil der frü-
here Soldat vorsätzlich und mit Zueignungsabsicht unmittelbar auf das Eigen-
tum des Bundes zugegriffen und dadurch den Straftatbestand des § 242 Abs. 1
StGB verwirklicht hat (vgl. Urteil vom 20. März 2014 - BVerwG 2 WD 5.13 - Rn.
47 f.).
Mit dem Zugriffsdelikt verstieß er zugleich vorsätzlich gegen die Pflicht zu ach-
tungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG). Jeder Ver-
stoß eines Soldaten gegen eine gesetzliche Dienstpflicht, die dem § 17 SG vo-
rangestellt ist, enthält (zugleich) einen Verstoß gegen § 17 Abs. 2 SG, wenn
dem festgestellten Verhalten unabhängig von anderen Pflichtverstößen die Eig-
nung zur Ansehensminderung innewohnt. Die Achtungs- und die Vertrauens-
würdigkeit eines Soldaten können durch sein Verhalten schon dann Schaden
nehmen, wenn dieses Zweifel an seiner Zuverlässigkeit weckt oder seine Eig-
nung für die jeweilige Verwendung in Frage stellt. Für die Feststellung eines
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Verstoßes gegen diese Vorschrift kommt es nicht darauf an, ob eine Ansehens-
schädigung im konkreten Fall tatsächlich eingetreten ist. Es reicht vielmehr aus,
dass das Verhalten des Soldaten geeignet war, eine ansehensschädigende
Wirkung auszulösen (vgl. Urteile vom 22. Januar 1997 - BVerwG 2 WD 24.96 -
BVerwGE 113, 48 <54> = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 12 S. 46, vom 13. Januar
2011 - BVerwG 2 WD 20.09 - juris Rn. 27 m.w.N. und vom 4. Mai 2011
- BVerwG 2 WD 2.10 - juris Rn. 29).
e) Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs
wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen.
Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen
Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten (stRspr, vgl.
Urteil vom 11. Juni 2008 - BVerwG 2 WD 11.07 - Buchholz 450.2 § 38 WDO
2002 Nr. 26 Rn. 23 m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind
nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienst-
vergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit,
die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen.
aa) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Un-
rechtsgehalt der Verfehlungen, d.h. nach der Bedeutung der verletzten Dienst-
pflichten. Danach wiegt die Verfehlung schwer.
Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sind durch die festgestellte Verlet-
zungen der Pflicht zum achtungs- und vertrauensvollen Verhalten im Dienst
(§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) und der Pflicht zum treuen Dienen gekennzeichnet (§ 7
SG). Die Pflicht zum treuen Dienen gehört zu den zentralen Pflichten eines Sol-
daten. Ihre Verletzung ist in der Regel schon deshalb von erheblicher Bedeu-
tung. Der besondere Unrechtsgehalt des Dienstvergehens ergibt sich auch da-
raus, dass der frühere Soldat gegen seine Pflicht zur Beachtung der Strafgeset-
ze verstoßen und kriminelles Unrecht begangen hat. Auch die Pflicht zur Wah-
rung von Achtung und Vertrauen ist kein Selbstzweck, sondern hat funktionalen
Bezug zur Erfüllung des grundgesetzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und zur
Gewährleistung des militärischen Dienstbetriebs. Ein Soldat, insbesondere - wie
hier - ein Vorgesetzter, bedarf der Achtung seiner Kameraden und Untergebe-
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- 21 -
nen sowie des Vertrauens seiner Vorgesetzten, um seine Aufgaben so zu erfül-
len, dass der gesamte Ablauf des militärischen Dienstes gewährleistet ist. Da-
bei kommt es nicht darauf an, ob eine Beeinträchtigung der Achtungs- und Ver-
trauenswürdigkeit tatsächlich eingetreten ist, sondern nur darauf, ob das fest-
gestellte Verhalten dazu geeignet war (stRspr, z.B. Urteile vom 13. Januar 2011
- BVerwG 2 WD 20.09 - juris Rn. 27 m.w.N. und vom 4. Mai 2011 - BVerwG
2 WD 2.10 - juris Rn. 29). Dies ist hier der Fall.
Eigenart und Schwere des Dienstvergehens werden des Weiteren dadurch be-
stimmt, dass der frühere Soldat aufgrund seines für die Dauer der Verwendung
als Verwaltungsfeldwebel verliehenen Dienstgrades als Feldwebel d.R. in
einem Vorgesetztenverhältnis stand (§ 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 SG i.V.m. § 4
Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 VorgV). Der Dienstgrad des Feldwebels der Reserve war
ihm rechtswirksam verliehen worden. Aus § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Satz 3 i.V.m.
§ 1 Satz 1 Nr. 3 SLV, § 59 Abs. 3 Satz 1 SG ergibt sich, dass ein höherer
Dienstgrad auch zeitweilig für die Dauer der Verwendung verliehen werden
kann. Für die Förmlichkeiten sind §§ 41, 42 SG entsprechend anzuwenden.
Danach war dem früheren Soldaten eine Ernennungsurkunde auszuhändigen,
deren notwendiger Inhalt sich aus § 42 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, § 41
Abs. 2 SG ergibt. Diese Anforderungen sind erfüllt, da die vom Leiter der
Stammdienststelle der Bundeswehr im Auftrag des Bundesministers der Vertei-
digung in Köln am 21. Januar 2008 erstellte Urkunde mit dem Willen der aus-
stellenden Behörde (unstreitig) am 28. Februar 2008 in den Gewahrsam des
früheren Soldaten gelangte. Soweit er meint, die mit dem Dienstsiegel beglau-
bigte Unterschrift des Amtsinhabers auf der Ernennungsurkunde müsse für ihn
lesbar dokumentiert sein, trifft dies nicht zu. Eine Rechtsnorm, die dies verlang-
te, besteht nicht. Dass die Aushändigung nach Angabe des früheren Soldaten
durch einen unteren Dienstgrad und erst auf dem Flughafen erfolgte, ist un-
schädlich, da für die Art und Weise der Aushändigung keine bestimmte Form
vorgeschrieben ist.
Dass der frühere Soldat den Vorgesetzten-Dienstgrad nach dem Abschluss der
Auslandsverwendung nicht weiter innehatte, ist für die Bewertung des Dienst-
vergehens ohne Bedeutung, weil für die disziplinarische Würdigung der Dienst-
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grad maßgeblich ist, in dem sich der (frühere) Soldat zum Zeitpunkt der Pflicht-
verletzung befand.
Soldaten in Vorgesetztenstellung obliegt eine höhere Verantwortung für die
Wahrung dienstlicher Interessen. Wegen seiner herausgehobenen Stellung ist
ein Vorgesetzter in besonderem Maße für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner
Dienstpflichten verantwortlich und unterliegt damit im Falle einer Pflichtverlet-
zung einer verschärften Haftung, da Vorgesetzte in ihrer Haltung und Pflicht-
erfüllung ein Beispiel geben sollen (§ 10 Abs. 1 SG). Dabei ist nicht erforderlich,
dass es der frühere Soldat bei seinem Fehlverhalten innerhalb eines konkreten
Vorgesetztenverhältnisses an Beispielhaftigkeit hat fehlen lassen. Es reicht das
Innehaben einer Vorgesetztenstellung aufgrund des Dienstgrades aus (vgl.
Urteil vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - juris Rn. 30). Der Einwand der
Verteidigung, der frühere Soldat sei lediglich als Versorgungsfeldwebel ohne
besondere Vorgesetztenfunktionen eingesetzt gewesen, greift deshalb nicht.
bb) Soweit es die Auswirkungen des Dienstvergehens betrifft, muss sich der
frühere Soldat zumindest eine Vermögensgefährdung des Dienstherrn ent-
gegenhalten lassen, wobei der Wert der entwendeten Gegenstände deutlich
über der Bagatellgrenze von 50 € lag. Anders als vom Truppendienstgericht
angenommen, wurde jedoch weder der Auslandseinsatz wegen der Pflichtver-
letzung noch die Wehrübung vorzeitig abgebrochen.
cc) Die Beweggründe des früheren Soldaten sind, soweit erkennbar, durch fi-
nanziellen Eigennutz charakterisiert.
dd) Das Maß der Schuld wird durch das vorsätzliche Handeln des voll schuldfä-
higen früheren Soldaten bestimmt. Auf Milderungsgründe sowohl in den Um-
ständen der Tat als auch der Person (vgl. dazu Urteil vom 18. April 2013
- BVerwG 2 WD 16.12 - Rn. 55 ff.) hat er sich nicht berufen; sie sind auch nicht
ersichtlich.
ee) Im Hinblick auf die Zumessungskriterien „Persönlichkeit“ und „bisherige
Führung“ spricht für den früheren Soldaten, dass er sich dreimal freiwillig für
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Auslandsverwendungen zur Verfügung gestellt und - jedenfalls beim verfah-
rensgegenständlichen Einsatz - die Leistungserwartungen ständig übertroffen
hat. Hinzu tritt, dass sich das Dienstvergehen angesichts der Beurteilung und
der Bekundungen von Vorgesetzten über die Zuverlässigkeit des früheren Sol-
daten als persönlichkeitsfremd darstellt. Reue und Unrechtseinsicht konnten bei
ihm nicht festgestellt werden, nachdem er von seinem Aussageverweigerungs-
recht Gebrauch gemacht hat.
f) Nach einer Gesamtwürdigung aller vorgenannten be- und entlastenden Um-
stände ist im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und
die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts die Herabsetzung um einen
Dienstgrad nicht unverhältnismäßig.
Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in sei-
ner gefestigten Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 10. Februar 2010 - BVerwG
2 WD 9.09 - juris Rn. 35 ff.) von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:
aa) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbe-
handlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen
Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regel-
maßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als „Ausgangspunkt der Zu-
messungserwägungen“.
Vergreift sich ein Soldat in Vorgesetztenstellung vorsätzlich an Eigentum oder
Vermögen seines Dienstherrn, so indiziert ein solch schweres Fehlverhalten
regelmäßig eine Dienstgradherabsetzung. Erfolgt der vorsätzliche Zugriff im
Bereich der dienstlichen Kernpflichten des Soldaten, ist in der Regel die Entfer-
nung aus dem Dienstverhältnis Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen
(vgl. z.B. Urteile vom 25. Juni 2009 - BVerwG 2 WD 7.08 - Buchholz 450.2 § 38
WDO 2002 Nr. 29 Rn. 53 m.w.N. und vom 13. Januar 2011 - BVerwG 2 WD
20.09 - juris Rn. 44). Eine Kernpflichtverletzung liegt hier nicht vor, weil die
streitbefangenen Gegenstände dem früheren Soldaten nicht anvertraut waren.
Als Leiter des Abfallsammelplatzes war er nur für die Entsorgung ausgesonder-
ten Materials zuständig, nicht für die Versorgung mit neuwertigem Material. Vor-
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liegend bildet somit die Herabsetzung im Dienstgrad den Ausgangspunkt der
Zumessungserwägungen. Diese Disziplinarmaßnahme kann auch grundsätzlich
gegen den früheren Soldaten nach § 58 Abs. 3 Nr. 1 WDO verhängt werden,
weil er als früherer Soldat der Bundeswehr, der seinen Dienstgrad nicht verlo-
ren hat, gem. § 1 Nr. 1 ResG Reservist ist.
bb) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im Hinblick
auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die Zweckset-
zung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die die Möglichkeit einer
Milderung oder die Notwendigkeit einer Verschärfung gegenüber der auf der
ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme eröffnen. Dabei ist vor al-
lem angesichts der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie dessen
Auswirkungen zu klären, ob es sich angesichts der be- und entlastenden Um-
stände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflicht-
verletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer
Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwä-
gungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach „oben“ bzw. nach
„unten“ zu modifizieren. Zusätzlich sind die gesetzlich normierten Bemessungs-
kriterien für die Bestimmung der konkreten Sanktion zu gewichten, wenn die
Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet,
dem Wehrdienstgericht einen Spielraum eröffnet (vgl. Urteil vom 13. Februar
2014 - BVerwG 2 WD 4.13 - Rn. 73). Wegen des Verschlechterungsverbotes
(§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 StPO) wäre hier nur eine Milderung zu-
lässig. Umstände, die ein Abweichen von der Regelmaßnahme gebieten, liegen
aber nicht vor.
aaa) Dass der Soldat wegen des Zugriffs auf die Gegenstände bereits straf-
rechtlich verfolgt und dieses Verfahren nach Zahlung von 500 € nach § 153a
StPO eingestellt wurde, begründet keinen mildernden Umstand. Weder § 16
Abs. 1 noch § 17 Abs. 2 bis 4 WDO verbieten die Regelmaßnahme. Steht im
Einzelfall - wie hier - § 16 WDO der Zulässigkeit des Ausspruchs einer Diszipli-
narmaßnahme nicht entgegen, ist die Art oder Höhe einer Kriminalstrafe oder
sonstigen Strafsanktion für die Gewichtung der Schwere des sachgleichen
Dienstvergehens regelmäßig nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Straf-
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verfahren und Disziplinarverfahren verfolgen unterschiedliche Zwecke. Die Kri-
minalstrafe unterscheidet sich nach Wesen und Zweck grundlegend von der
Disziplinarmaßnahme. Während erstere neben Abschreckung und Besserung
der Vergeltung und Sühne für begangenes Unrecht gegen den allgemeinen
Rechtsfrieden dient, ist die disziplinarische Ahndung darauf ausgerichtet, unter
Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes einen geordneten und integren
Dienstbetrieb aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen (vgl. Urteile vom
13. Januar 2011 - BVerwG 2 WD 20.09 - juris Rn. 49 m.w.N. und vom 4. Mai
2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - juris Rn. 51).
bbb) Die Vermögensgefährdung bewegte sich auch nicht unterhalb der „Baga-
tellgrenze“ von 50 € (vgl. Urteile vom 16. März 2011 - BVerwG 2 WD 40.09 -
juris Rn. 30 m.w.N. und vom 13. Dezember 2012 - BVerwG 2 WD 29.11 -
BVerwGE 145, 269 = Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 42, jeweils Rn. 82
m.w.N.). Dabei geht der Senat zugunsten des früheren Soldaten von einem ge-
ringeren Wert aus als von der Wehrdisziplinaranwaltschaft in ihrer Anschuldi-
gungsschrift beziffert. Dies gilt insbesondere für den Wert der Duschköpfe.
Selbst wenn jedoch in Anlehnung an die von den Zeugen L. und E. überzeu-
gend niedriger bezifferten Werte für Duschköpfe mit jeweils 20 bis 25 € und
eines Eckventils mit 10 -15 € ausgegangen wird, überschreitet die Vermögens-
gefährdung allein schon wegen dieser Gegenstände eindeutig die „Bagatell-
grenze“.
ccc) Eine Milderung unter dem Gesichtspunkt einer überlangen Verfahrensdau-
er kommt aus den bereits (unter 1. b) dargelegten Gründen nicht in Betracht.
Dort wurde auch bereits ausgeführt, dass die häufigen Abordnungen des frühe-
ren Soldaten in seinem zivilen Arbeitsverhältnis nicht primär auf dieses Verfah-
ren zurückzuführen sind.
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ddd) Das Persönlichkeitsfremde der Pflichtverletzung und die überdurchschnitt-
lichen Leistungen des früheren Soldaten gebieten ebenfalls nicht, von der Maß-
nahmeart abzuweichen, weil das Gewicht mildernder Umstände umso größer
sein muss, je schwerer - wie vorliegend - das Dienstvergehen wiegt (Urteil vom
15. März 2013 - BVerwG 2 WD 15.11 - juris Rn. 43; vgl. auch Urteil vom
23. Februar 2012 - BVerwG 2 C 38.10 - NVwZ-RR 2012, 479 = juris Rn. 15).
Diesen Umständen war beim Umfang der Herabsetzung im Dienstgrad Rech-
nung zu tragen. Ob sie über ein Gewicht verfügten, das die disziplinarische
Ahndung des Dienstvergehens mit der Herabsetzung um nur einen Dienstgrad
rechtfertigte, kann angesichts des Verschlechterungsverbots dahingestellt blei-
ben. Jedenfalls ist die erstinstanzlich ausgesprochene Mindestdegradierung
nicht unangemessen hart.
3. Da die Berufung des früheren Soldaten erfolglos war, waren ihm gemäß
§ 139 Abs. 2 WDO die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen. Gemäß
§ 140 Abs. 5 Satz 2 WDO trägt er damit auch die ihm im Berufungsverfahren
erwachsenen notwendigen Auslagen.
Dr. von Heimburg
Dr. Burmeister
RinBVerwG
Dr. Eppelt
ist wegen Urlaubs
verhindert zu unter-
schreiben.
Dr. von Heimburg
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