Urteil des BVerwG vom 02.04.2009

Mangel des Verfahrens, Soldat, Begründung des Urteils, Musik

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 WD 11.08
TDG N 7 VL 26/07
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
Herrn Oberleutnant ...,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth,
am 2. April 2009 beschlossen:
Auf die Berufungen des Soldaten und der Wehrdiszipli-
naranwaltschaft wird das Urteil der 7. Kammer des Trup-
pendienstgerichts Nord vom 11. März 2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur nochmaligen Verhandlung und Ent-
scheidung an eine andere Kammer des Truppendienstge-
richts Nord zurückverwiesen.
- 2 -
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung
vorbehalten.
G r ü n d e :
I
Der 29 Jahre alte ledige Soldat trat am 1. Juli 1999 als Grundwehrdienstleis-
tender in die Bundeswehr ein und wurde aufgrund seiner Verpflichtungserklä-
rung mit Urkunde vom 25. Oktober 1999, ausgehändigt am 16. November 1999,
in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Seine Dienstzeit wurde
zuletzt auf zwölf Jahre festgesetzt, sodass sie voraussichtlich mit Ablauf des
30. Juni 2011 enden wird. Der Soldat wurde regelmäßig befördert, zuletzt am
1. Juli 2005 zum Oberleutnant. Ausweislich des Auszugs aus dem Diszipli-
narbuch vom 8. April 2008 ist er mit sechs einfachen Disziplinarmaßnahmen
vorbelastet.
II
1. Der Kommandeur der ... Panzergrenadierdivision „...“ hat gegen den Solda-
ten mit Verfügung vom 9. Oktober 2006, zugestellt am 30. Oktober 2006, das
gerichtliche Disziplinarverfahren eingeleitet. Die Anhörung des Soldaten fand
am 6. September 2006 statt; die Vertrauensperson war nicht angehört worden,
da der Soldat einer Anhörung widersprochen hatte. Das Schlussgehör (§ 97
Abs. 3 WDO) wurde ihm am 6. März 2007 gewährt.
2. Mit Anschuldigungsschrift der Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich
der ... Panzergrenadierdivision vom 30. Juli 2007, zugestellt am 17. August
2007, sowie mit Nachtragsanschuldigungsschrift vom 29. Februar 2008, zuge-
stellt am selben Tag, werden dem Soldaten folgende schuldhafte Verletzungen
seiner Dienstpflichten zur Last gelegt:
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- 3 -
„1a. Der Soldat spielte am 03. März 2006 gegen 03.00 Uhr
in seiner militärischen Unterkunft in der Universität der
Bundeswehr ..., Gebäude ..., Apartment ..., ... das Lied
‚Kreuzberger Nächte’ der Gruppe ‚Zillertaler Türkenjäger’
mit seinem Computer ‚Tower HP Pavillon’ ab, obwohl der
Text des genannten Liedes zum Hass gegen Teile der
Bevölkerung aufstachelt und zu Gewalt- oder Willkürmaß-
nahmen gegen sie auffordert und es gemäß ZDv 10/5
Nr. 311 untersagt ist, Tonträger mit diesem Inhalt auch nur
vorübergehend in den Unterkunftsbereich bzw. den
Bereich der militärischen Dienststelle einzubringen, was er
jeweils erkannte, zumindest hätte erkennen können und
müssen.
1b.
Der Soldat duldete, dass der Robert W. am 03. März 2006
gegen 03.00 Uhr in seiner militärischen Unterkunft in der
Universität der Bundeswehr in ..., Gebäude ..., Apartment
..., ... das Lied ‚Kreuzberger Nächte’ der Gruppe ‚Zillertaler
Türkenjäger’ zunächst auf seinem Computer ‚Tower HP
Pavillon’ abspeicherte und anschließend mindestens ein-
mal abspielte, anstatt dies pflichtgemäß zu verhindern, da
der Text des genannten Liedes zum Hass gegen Teile der
Bevölkerung aufstachelt und zu Gewalt- oder Willkürmaß-
nahmen gegen sie auffordert und es gemäß ZDv 10/5
Nr. 311 untersagt ist, Tonträger mit diesem Inhalt auch nur
vorübergehend in den Unterkunftsbereich bzw. den
Bereich der militärischen Dienststelle einzubringen, was er
jeweils erkannte, zumindest hätte erkennen können und
müssen.
2. Der Soldat besaß am 03. März 2006 in seiner militäri-
schen Unterkunft der Universität der Bundeswehr ..., Ge-
bäude ..., Apartment ..., ... das Lied ‚Die braune Kompa-
nie’ von der CD ‚Das III. Reich 1, SA marschiert’ der
Gruppe ‚Reichsmusikkammer’ als MP3-Datei auf seinem
Notebook Toshiba T 8100, obwohl der Text des genann-
ten Liedes Kennzeichen verfassungswidriger Organisatio-
nen darstellt und enthält und es gemäß ZDv 10/5 Nr. 311
untersagt ist, Tonträger mit diesem Inhalt auch nur vorü-
bergehend in den Unterkunftsbereich bzw. den Bereich
der militärischen Dienststellen einzubringen, was er je-
weils erkannte, zumindest hätte erkennen können und
müssen.
Durch sein Verhalten hat der Soldat die ihm obliegenden
Dienstpflichten verletzt,
− der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen,
− die freiheitlich demokratische Grundordnung im
Sinne des Grundgesetzes anzuerkennen und durch
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sein gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung einzu-
treten,
− seinen Vorgesetzten zu gehorchen und ihre Befeh-
le nach besten Kräften vollständig, gewissenhaft
und unverzüglich auszuführen und
− in seinem Verhalten der Achtung und dem Vertrau-
en gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat er-
fordert,
wobei er als Vorgesetzter in Haltung und Pflichterfüllung
ein schlechtes Beispiel gegeben hat.
Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 Soldatengesetz (SG) in
Verbindung mit §§ 7, 8, 11 Abs. 1 und 17 Abs. 2 Satz 1
SG unter den erschwerenden Voraussetzungen des § 10
Abs. 1 SG.“
3. Die 7. Kammer des Truppendienstgerichts Nord hat durch Urteil vom
11. März 2008 gegen den Soldaten ein Beförderungsverbot für die Dauer von
24 Monaten verhängt und ihm drei Fünftel der Verfahrenskosten auferlegt. Von
den Vorwürfen im Anschuldigungspunkt 1a sowie im Anschuldigungspunkt 1b
(1. Alternative) - soweit der Soldat geduldet haben solle, dass der Zeuge W.
das Lied „Kreuzberger Nächte“ auf seinem, des Soldaten, Computer abgespei-
chert habe - hat es den Soldaten aus tatsächlichen Gründen freigestellt. Im
Übrigen hat die Truppendienstkammer die Vorwürfe als erwiesen angesehen
und - ohne nähere Begründung - als vorsätzliche Verstöße gegen seine
Dienstpflichten gemäß § 7 und § 17 Abs. 2 Satz 1 SG gewertet. Das Dienst-
vergehen mache im Hinblick auf die disziplinarische Vorbelastung des Soldaten
eine nachhaltige Pflichtenmahnung in Form eines zweijährigen Beförde-
rungsverbotes erforderlich; eine zusätzliche Kürzung der Dienstbezüge müsse
nicht ausgesprochen werden.
4. Gegen das ihm am 7. April 2008 zugestellte Urteil hat der Soldat durch seine
Verteidiger am 30. April 2008 in vollem Umfang Berufung eingelegt mit dem
Antrag, ihn freizusprechen.
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Die Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich der ... Panzergrenadierdivision
hat gegen das ihr am 2. April 2008 zugestellte Urteil am 30. April 2008 eben-
falls in vollem Umfang Berufung eingelegt - allerdings zuungunsten des Solda-
ten - mit dem Antrag, ihn in den Dienstgrad eines Leutnants herabzusetzen.
Mit beiden Rechtsmitteln wird die erstinstanzliche Entscheidung in tatsächlicher
und rechtlicher Hinsicht angegriffen, im Wesentlichen aber die Würdigung der
von der Truppendienstkammer erhobenen Beweise gerügt.
III
Die nach § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und 2 und Abs. 2 WDO zu-
lässigen Rechtsmittel der unbeschränkten Berufung haben insoweit Erfolg, als
das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Sache an eine andere Kammer
des Truppendienstgerichts Nord zur nochmaligen Verhandlung und Entschei-
dung zurückzuverweisen ist, weil ein schwerer, aber behebbarer Mangel des
Verfahrens vorliegt und weitere Aufklärungen erforderlich sind (§ 120 Abs. 1
Nr. 2 WDO). Die Entscheidung ergeht durch Beschluss außerhalb der Haupt-
verhandlung und in der Besetzung mit drei Richtern (§ 80 Abs. 3 Satz 1
Halbs. 2 WDO).
1. Weitere Aufklärungen sind im Sinne des § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO erforder-
lich, wenn es in dem angefochtenen Urteil des Truppendienstgerichts ganz oder
teilweise an hinreichenden tatsächlichen Feststellungen fehlt, die für die
Entscheidung erheblich sind. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn eine
unbeschränkte Berufung eingelegt worden ist und der Wehrdienstsenat damit
an sich die notwendigen Sachverhaltsfeststellungen selbst treffen könnte (vgl.
dazu Beschluss vom 13. Januar 2009 - BVerwG 2 WD 5.08 - Rn. 15; Dau,
WDO, 5. Aufl. 2009, § 120 Rn. 5 m.w.N.). Ein schwerer Mangel des Verfahrens
im Sinne des § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO liegt vor, wenn gegen eine Verfahrens-
vorschrift verstoßen worden ist, deren Verletzung schwerwiegend und für den
Ausgang des Verfahrens (noch) von Bedeutung ist. Ein schwerwiegender Ver-
stoß gegen eine Verfahrensvorschrift ist regelmäßig dann gegeben, wenn die
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Rechte eines Verfahrensbeteiligten wesentlich beeinträchtigt worden sind oder
wenn der Verfahrensverstoß den Zweck einer Formvorschrift wesentlich verei-
telt. Als schwerwiegender Mangel des Verfahrens im dargelegten Sinne ist in
der Rechtsprechung u.a. das Fehlen von ausreichenden und widerspruchsfrei-
en Feststellungen zur Tat- und Schuldfrage anerkannt (vgl. u.a. Beschlüsse
vom 24. Februar 1966 - BDH 3 D 53/65 - BDHE 7, 37, vom 11. Mai 1978
- BVerwG 2 WD 36.78 - BVerwGE 63, 72 <74> = NZWehrr 1979, 32 und vom 7.
November 2007 - BVerwG 2 WD 1.07 - BVerwGE 130, 12 <19> = Buchholz
450.2 § 120 WDO 2002 Nr. 2; Dau, a.a.O. § 120 Rn. 7).
Im gerichtlichen Disziplinarverfahren muss der Tatrichter den entscheidungser-
heblichen Sachverhalt von Amts wegen erforschen (§ 106 Abs. 1 WDO) und
nach Maßgabe der prozessrechtlichen Vorschriften feststellen sowie diesen und
die daraus gezogenen rechtlichen Schlussfolgerungen in den Urteilsgründen
darlegen. Nach der im Wehrdisziplinarrecht gem.ent-
sprechend anwendbaren Vorschrift dessetzt die freie, aus dem
Inbegriff der Verhandlung geschöpfte Überzeugung des Tatrichters in subjekti-
ver Hinsicht die für die Überführung des Angeschuldigten erforderliche volle
persönliche Gewissheit des Tatrichters voraus. Dies schließt die Möglichkeit
eines anderen, auch gegenteiligen Geschehensablaufes nicht aus; denn im
Bereich der vom Tatrichter zu würdigenden tatsächlichen Umstände ist der
menschlichen Erkenntnis ein absolut sicheres Wissen über den Tathergang,
demgegenüber andere Möglichkeiten seines Ablaufs unter allen Umständen
ausscheiden müssten, verschlossen. Nach der gesetzlichen Regelung ist es
allein Aufgabe des Tatrichters, ohne Bindung an feste gesetzliche Beweisregeln
und nur nach seinem Gewissen verantwortlich zu prüfen und zu entscheiden,
ob er die an sich möglichen Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten
Sachverhalt überzeugen kann oder nicht. Die für die Überführung eines
Angeschuldigten erforderliche (volle) persönliche Gewissheit des Tatrichters
erfordert ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das
vernünftige und nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten gestützte Zweifel
nicht mehr aufkommen lässt (vgl. Urteile vom 12. Februar 2003 -
- BVerwGE 117, 371 = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 48 = NZWehrr 2003,
214, vom 3. Juli 2003 -- Buchholz 235.01 § 91 WDO Nr. 1
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und vom 19. Juli 2006 - BVerwG 2 WD 13.05 - Buchholz
450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 2-
<237>; Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl. 2008, § 261 Rn. 2
m.w.N.).
Zur Überführung eines Angeschuldigten ist dabei keine „mathematische“ Ge-
wissheit erforderlich. Die subjektive Überzeugung des Tatrichters muss aber auf
einer objektiv tragfähigen Tatsachenbasis beruhen. Der Beweis muss mit
lückenlosen, nachvollziehbaren logischen Argumenten geführt sein. Allein damit
wird die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK) widerlegt (vgl. Urteile vom
12. Februar 2003 a.a.O. und vom 3. Juli 2003 a.a.O., Beschluss vom
13. Januar 2009 - BVerwG 2 WD 5.08 - Rn. 17).
Die Beweiswürdigung muss auf eine verstandesmäßig einsichtige Tatsachen-
grundlage gestützt und muss erschöpfend sein. § 91 Abs. 1 WDO i.V.m. § 261
StPO verpflichtet, alle in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise zu würdi-
gen und dem Urteil zugrunde zu legen, sofern nicht im Einzelfall ein Beweis-
verwertungsverbot entgegensteht. Der Tatrichter ist gehalten, sich mit den von
ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Ge-
sichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweiser-
gebnis zugunsten oder zuungunsten des Angeschuldigten zu beeinflussen.
Auch die Äußerungen des Angeschuldigten sind zu würdigen. Steht Aussage
gegen Aussage und hängt die Entscheidung allein davon ab, welchen Angaben
das Gericht folgt, sind besonders strenge Anforderungen an die Beweiswürdi-
gung zu stellen (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O. § 261 Rn. 11a m.w.N.). In einem
solchen Fall müssen, damit es nicht zu einer Verurteilung aufgrund einer sub-
jektiven Fehlbeurteilung der Zeugenaussagen kommt, alle Umstände, denen
eine indizielle Bedeutung für die Schuld oder Unschuld des Angeschuldigten
zukommen kann, in die Beweiswürdigung eingestellt und in den Urteilsgründen
dargelegt werden (vgl. dazu u.a. BGH, Urteil vom 3. Februar 1993 - 2 StR
531/92 - StV 1994, 526 m.w.N. und Beschluss vom 6. März 2002 - 5 StR
501/01 - NStZ-RR 2002, 174 f. m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 3. Juli 2003 a.a.O.
und Beschluss vom 13. Januar 2009 - BVerwG 2 WD 5.08 - Rn. 18 m.w.N.).
Selbst wenn einzelne Indizien jeweils für sich genommen noch keine vernünfti-
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gen Zweifel an der Richtigkeit einer den Angeschuldigten belastenden Aussage
aufkommen lassen, so kann jedoch eine Häufung solcher Indizien bei einer
Gesamtbetrachtung zu solchen Zweifeln führen (vgl. Urteil vom 3. Juli 2003
a.a.O. m.w.N.).
In der Begründung des Urteils müssen die für erwiesen erachteten äußeren und
inneren Tatsachen als das Ergebnis der Beweiswürdigung nachvollziehbar dar-
gelegt werden (§ 91 Abs. 1 WDO i.V.m. § 267 Abs. 1 StPO). Die Einlassung
des Angeschuldigten muss mitgeteilt und unter Berücksichtigung der erhobenen
Beweise eingehend gewürdigt werden. Die bloße Wiedergabe der Aussagen
des Angeschuldigten und der Zeugen genügt dabei nicht. Eine bestreitende
Einlassung des Angeschuldigten und ihre Widerlegung bestimmen Umfang und
Inhalt der Darlegung im Urteil (vgl. dazu u.a. Beschluss vom 13. Januar 2009
- BVerwG 2 WD 5.08 - Rn. 19, Meyer-Goßner, a.a.O. § 267 Rn. 12 m.w.N.). Um
die Beweiswürdigung nachvollziehbar zu machen, muss dargelegt werden, in
welchem Umfang und aus welchem Grund nach der Überzeugung des Gerichts
die Aussage des Zeugen und nicht die Einlassung des Angeschuldigten
glaubhaft ist und warum das Gericht die Glaubwürdigkeit des Zeugen bejaht,
diejenige des Angeschuldigten aber verneint. Hat der Angeschuldigte mit
Tatsachen belegte, nicht eindeutig unerhebliche Bedenken gegen einen Beweis
oder den Wert eines Beweismittels vorgebracht, so muss sich das Gericht auch
damit auseinandersetzen.
Erfüllt ein Urteil nach seinen Entscheidungsgründen diese Anforderungen nicht
(vgl. Urteil vom 1. Juli 2003 - BVerwG 2 WD 34.02 - BVerwGE 118, 262 =
Buchholz 235.01 § 108 WDO 2002 Nr. 2 = NZWehrr 2004, 36), liegt ein Aufklä-
rungsmangel und zugleich ein schwerwiegender Mangel des Verfahrens vor.
2. Ein solcher Fall ist hier gegeben. Die Truppendienstkammer ist den genann-
ten Anforderungen an eine umfassende, objektivierbare und logisch nachvoll-
ziehbare Beweiswürdigung nicht gerecht geworden und hat die den Tatvorwür-
fen zugrunde liegenden entscheidungserheblichen Sachverhalte nicht im erfor-
derlichen Umfang aufgeklärt.
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a) Das Truppendienstgericht hat zu Anschuldigungspunkt 1a und b zunächst
folgende Sachverhaltsfeststellungen getroffen (UA S. 7 bis 10):
„In der Nacht vom 02. auf den 03. März 2006 wurde der
Zeuge OLt P. zwischen 02:30 und 03:30 Uhr in seiner Un-
terkunftsstube auf dem Areal der Universität der Bundes-
wehr ... durch laute Musik aus dem darunterliegenden
Quartier des Soldaten, Gebäude ..., Appartment ..., ge-
stört. Er stand auf, klopfte an die Stubentür seines Kame-
raden und bat den Zeugen OLt O., der ihm geöffnet hatte,
die Musik leiser zu stellen, was auch geschah. Etwa 15 bis
20 Minuten später hörte der Zeuge P. erneut laute Musik
aus der darunterliegenden Unterkunft, und zwar von der
Band ‚Zillertaler Türkenjäger’ den Titel ‚Kreuzberger
Nächte’. Dieses Lied war dem Zeugen aus einer Un-
terrichtung durch Angehörige des MAD an der Offizier-
schule des Heeres in D. als gem. ZDv 10/5 Nr. 311 indi-
ziert bekannt. Etwa 5 bis 10 Minuten später wurde dieses
Lied erneut abgespielt und der Refrain von mindestens
einer Person lautstark mitgesungen. Dies ging dem Zeu-
gen als Angehörigem der Feldjägertruppe (‚Militärpolizei’)
zu weit. Er stand auf und versuchte, in der nächstgelege-
nen Stube den Zeugen OLt L. zu wecken, um einen weite-
ren Zeugen zu gewinnen. Dieser war aufgrund eines grip-
palen Infekts nicht richtig wach zu bekommen, weshalb
der Zeuge einen MP3-Player mit Diktierfunktion holte und
auf dem Flur vor der Stube des Soldaten das dort noch
laufende oder erneut abgespielte Lied der ‚Zillertaler Tür-
kenjäger’ aufnahm. Die Aufzeichnung war naturgemäß
von schlechter Qualität, der ermittelnde nächste Diszipli-
narvorgesetzte des Soldaten, der Zeuge KptLt N., konnte
den Musiktitel jedoch erkennen. Die fragliche MP3-Datei
löschte der Zeuge P. nach Rückgabe seines Gerätes
durch die Polizei, dieses hatte er den Ermittlungsbehörden
zuvor überlassen, weil ihn der Soldat wegen des Ver-
dachts der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes an-
gezeigt hatte.
Aufgrund der Meldung des Zeugen P. erwirkte der Zeuge
KptLt N. beim Vorsitzenden der 10. Kammer des Trup-
pendienstgerichts Süd eine Durchsuchungsanordnung,
durchsuchte die Stube des Soldaten und übergab dem
MAD PC-Turm und Laptop des Soldaten, welche er si-
chergestellt hatte, zur Auswertung der Festplatte. Diese
ergab, dass auf der Festplatte des Turms die Musikdatei
‚Landser - Kreuzberger Nächte.mp3’ am 03. März 2006
mit der Zeitangabe 02:39:05 Uhr abgespeichert und um
03:00:54 Uhr letztmalig auf diese Datei zugegriffen wor-
den ist.
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Der Text dieses Liedes der Band ‚Zillertaler-Türkenjäger’
lautet: …
Die Spieldauer des durch die BPjM gem. Bundesanzeiger
Nr. 140 vom 31. Juli 1997 indizierten Liedes beträgt 3
Minuten und 28 Sekunden. Gegen den Titel liegen
allgemeine Beschlagnahme- und Einziehungsbeschlüsse
mehrerer Gerichte vor.
Der Soldat hat sich eingelassen, an jenem Abend habe er
mit den Zeugen OLt O. und Robert W. zunächst das
...bräuhaus in ... und sodann Discotheken im ‚Kunstpark
...’ besucht, wobei sie einige Biere und Mixgetränke zu
sich genommen hätten. Sie wären deshalb angetrunken,
aber nicht betrunken gewesen, am ehesten treffe die
Formulierung ‚angeheitert’ zu. Nach Rückkehr in die Un-
terkunft sei man auf seine Stube gegangen, habe den
Fernseher angemacht, sich unterhalten, noch ein bisschen
getrunken, jeweils ein bis zwei Bier, und sei zu Bett
gegangen. Er habe zwar auch seinen Rechner einge-
schaltet, um Hintergrundmusik zu haben, die fragliche
Musikdatei habe er aber weder heruntergeladen noch ab-
gespielt, oder mitbekommen, wie diese abgespielt worden
sei. Das Lied habe er nicht mitgesungen und nichts davon
bemerkt, dass einer seiner Gäste den Titel mitgesungen
habe. Er habe keine Ahnung, wer in jener Nacht das Lied
aus dem Intranet gezogen habe, es sei entweder O. oder
W. gewesen. Er sei mehrmals kurz draußen gewesen, um
Bier aus dem Keller zu holen oder auf die Toilette zu ge-
hen. Zudem habe man sich gut unterhalten, vielleicht sei
das Lied deshalb untergegangen und von ihm nicht be-
merkt worden.
Der Zeuge OLt O. hat die Angaben des Soldaten zu Vor-
lauf sowie Alkoholisierungsgrad bestätigt und bekundet,
nach dem Discothekenbesuch, in der Stube, habe der
Soldat an seinem Rechner gesessen und für Musik ge-
sorgt. Weder er noch ein Bekannter des Soldaten namens
Robert seien am PC-Turm gewesen, dies könne er be-
schwören. Auf die Nachfrage, ob er sich nach so langer
Zeit insoweit absolut sicher sei, erklärte der Zeuge:
‚Jedenfalls kann ich sagen: Meiner Erinnerung nach war
nur B. am Turm.’
Auf weitere Nachfrage gab er an, man sei fast durchgän-
gig gemeinsam in dem Raum gewesen, es könne höchs-
tens sein, dass der Soldat mal kurz auf Toilette war oder
in den Keller gelaufen sei, um Bier zu holen; längere Ab-
wesenheiten habe es nicht gegeben. Das in Rede ste-
hende Lied sei allerdings nicht gespielt worden, er habe
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nichts, gar nichts davon bemerkt. Auf den Vorhalt der
Aussage des Zeugen OLt P. blieb der Zeuge O. bei seiner
Schilderung, ihm sei insoweit nichts aufgefallen, er könne
diesen Widerspruch nicht auflösen.
Der Zeuge W. hat erklärt, er sei seit rund drei Jahren mit
dem Soldaten befreundet. Er habe diesen Anfang 2006
gefragt, ob dieser ihn für einige Tage aufnehmen könne,
da er sich auf eine Lehrstelle als zahnmedizinischer
Fachangestellter in M. beworben habe und zu einem Pro-
bearbeitstag eingeladen worden sei. In M. sei man an ei-
nem Abend nach Hofbräuhaus und Discos gut ‚gefüllt’
gewesen, sprich angetrunken. O. habe deutlich schlechter
als er ausgesehen und sei schon sehr angetrunken, ja be-
trunken gewesen, während der Soldat ‚einen Tick mehr
als angeheitert’ gewesen sei.
Nach Rückkehr nach N. seien sie zunächst in den Keller
- um Bier zu holen - und dann auf die Stube des Soldaten
gegangen. O., B. und er hätten sich dort unterhalten und
Musik gehört. B. habe dazu den Fernseher und seinen
Computer eingeschaltet. Später habe es wegen der Laut-
stärke an die Tür geklopft, und O. sei hingegangen, weil B.
draußen gewesen sei, um ‚Kippen’ zu holen oder so.
Irgendwann sei O. eingeschlafen und, da B. erneut drau-
ßen gewesen sei, sei ihm langweilig geworden, weshalb
er, W., an den PC gegangen sei. Dort habe er Musik aus
dem Intranet gezogen, und zwar die ‚Kreuzberger Nächte’
von den ‚Zillertalern’ runtergeladen. Die seien dann ein-
oder zweimal, vielleicht auch dreimal durchgelaufen. Er
glaube nicht, dass mitgesungen worden sei, vielleicht ha-
be er mitgesungen, er mache so etwas manchmal, jeden-
falls könne er dies nicht ausschließen. Genauer könne er
dies nicht mehr sagen, das Ganze sei lange her und er sei
zudem angetrunken gewesen. Sicher sei allerdings, dass
B. da jeweils draußen gewesen sei. Auf Befragen erklärte
der Zeuge wörtlich: ‚Zu dem Zeitpunkt, wo die drei Lieder
runtergezogen wurden, war B. nicht im Zimmer! Auch
beim Abspielen dieser Lieder war B. nicht im Zimmer. Wo
er war, ob auf Toilette, Bier holen oder Kippen holen, weiß
ich nicht mehr.’“
aa) Aufgrund dieser - beeidigten - Angaben des Zeugen W. hat die Truppen-
dienstkammer den Soldaten vom Vorwurf im Anschuldigungspunkt 1a unter
Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ freigestellt. Zwar sprächen ei-
nige Gesichtspunkte gegen die Richtigkeit der Aussagen des Zeugen W.. Aber
auch der Zeuge O. sei „nicht die Glaubwürdigkeit in Person“. Letztlich sei ein
plausibles Motiv für einen - massiv mit Kriminalstrafe bedrohten - Meineid, wie
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eine ganz besondere Nähebeziehung zum Soldaten, für die Truppendienst-
kammer hinsichtlich des Zeugen auch nicht ansatzweise erkennbar geworden,
weshalb das Gericht, trotz verbleibender großer Zweifel, den Angaben des
Zeugen W. gefolgt sei (UA S. 11).
Insoweit mangelt es - was auch die Wehrdisziplinaranwaltschaft mit ihrer Beru-
fung eingehend rügt - an einer umfassenden, nachvollziehbaren und wider-
spruchsfreien Würdigung der Beweismittel durch die Truppendienstkammer.
Obwohl sie zutreffend erkannt hatte, dass der Nachweis einer „Täterschaft“ des
Soldaten - angeschuldigt ist im Anschuldigungspunkt 1a ausschließlich das Ab-
spielen des Liedes - nicht durch den Zeugen P., der das Lied nur gehört hatte,
sondern allein durch die Aussagen der in der Stube anwesend gewesenen
Zeugen O. und W. in Verbindung mit der Einlassung des Soldaten geführt wer-
den konnte, hat sich die Kammer mit den Einlassungen und Zeugenaussagen
nur oberflächlich auseinandergesetzt. Das Ergebnis der Beweiswürdigung, den
Angaben des Zeugen W. - „trotz verbleibender großer Zweifel“ hinsichtlich ihrer
Richtigkeit - müsse letztlich deshalb gefolgt werden, da dieser vereidigt worden
sei und kein Motiv für einen Meineid gehabt habe, ist insgesamt fehlerhaft zu-
stande gekommen.
Eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung (§ 91 Abs. 1 WDO i.V.m. § 261 StPO)
erfordert nicht nur die umfassende Ausschöpfung aller in der Hauptverhandlung
verwendeten Beweismittel, sondern bei der Bewertung von Zeugenaussagen
auch eine Gesamtwürdigung aller für und gegen die Richtigkeit einer Aussage
sprechenden Umstände (vgl. zu den für die Würdigung des Wahrheitsgehalts
von Zeugenaussagen bedeutsamen Kriterien u.a. Urteil vom 19. Juli 2006
- BVerwG 2 WD 13.05 -
WDO 2002 Nr. 2 und NZWehrr 2007, 35>; Bender/Nack/Treuer, Tatsachen-
feststellung vor Gericht, 3. Aufl. 2007, S. 52 ff., 68 ff., 72 ff.). Dies gilt auch für
den Fall, dass der Zeuge unter den Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 WDO
- hier mit Rücksicht auf die Bedeutung seiner Aussage - vereidigt worden ist.
Denn ob der Eid tatsächlich in jedem Fall geeignet ist, den Wahrheitsgehalt
einer Aussage zu fördern, ist zweifelhaft; zumindest fehlen empirische Belege
für diese Annahme (vgl. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 6. Aufl. 2008,
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Rn. 1133). Auch wenn der Eid des Zeugen ein „wertvolles Mittel zur Wahrheits-
erforschung“ darstellt (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 7. Juni 1951 g.B. - 3 StR
299/51 - BGHSt 1, 360 <362>, Beschluss vom 9. Januar 1957 g.H. - 4 StR
523/56 - BGHSt 10, 65 <67> und Urteil vom 15. Februar 1957 g.M. u.a. - 1 StR
471/56 - BGHSt 10, 142 <143>), handelt es sich im Rahmen der Beweiswürdi-
gung doch nur um ein - wenn auch nicht unwesentliches - Kriterium für die Be-
urteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage bzw. der persönlichen Glaubwürdig-
keit des Zeugen. Die Vereidigung eines Zeugen entbindet das Gericht deshalb
nicht von der Verpflichtung, dessen Aussage inhaltlich auf ihre Glaubhaftigkeit
zu überprüfen und nachvollziehbar zu würdigen. Der Richter braucht dem ver-
eidigten Zeugen nicht zu glauben und ist umgekehrt nicht gehindert, der Aus-
sage eines unvereidigt gebliebenen Zeugen Glauben zu schenken (vgl. BGH,
Beschluss vom 9. Januar 1957 a.a.O. <70>).
Es stellt deshalb einen Verstoß gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdi-
gung dar, wenn sich das Gericht bei der Bewertung einer Zeugenaussage im
Ergebnis maßgeblich an den unzutreffenden Erfahrungssatz hält, einem verei-
digten Zeugen sei grundsätzlich zu glauben, anstatt sich anhand aller Beweis-
mittel einschließlich der Einlassungen des Soldaten selbst ein umfassendes Bild
über den Wahrheitsgehalt der entscheidungserheblichen Äußerungen, ins-
besondere der Zeugen, zu machen. Ein solcher Fall ist hier - wie bereits darge-
legt - gegeben. Gerade weil die Aussagen des Soldaten und der Zeugen O. und
W. widersprüchlich sind und alle drei Personen ein Motiv haben könnten, die
Unwahrheit zu sagen, hätte sich die Truppendienstkammer anhand der für die
Aussagenanalyse maßgeblichen Kriterien (vgl. dazu u.a. Urteil vom 19. Juli
2006 a.a.O.; Bender/Nack/Treuer, a.a.O., S. 52 ff., 72 ff.), insbesondere auch
näher mit der Persönlichkeit des Soldaten und der Zeugen sowie ihrer Motivati-
on auseinandersetzen müssen, was unterblieben ist; hinsichtlich des Zeugen
W. ist dies von der Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft ausdrücklich ge-
rügt worden. Erst nach Abschluss der Beweiswürdigung, wenn sich keine Über-
zeugung hat gewinnen lassen und weitere Beweismittel nicht mehr zur Verfü-
gung stehen, können die verbliebenen Zweifel nach dem Grundsatz „in dubio
pro reo“ unter Umständen zugunsten des Soldaten gewertet werden (vgl. dazu
20
- 14 -
z.B. Urteil vom 3. Juli 2003 - BVerwG 1 WD 3.03 - Buchholz 235.01 § 91 WDO
2002 Nr. 1 m.w.N.).
bb) Im Anschuldigungspunkt 1b (Nachtragsanschuldigung) stützt die Truppen-
dienstkammer hinsichtlich des zweiten Vorwurfs - vom ersten Vorwurf (Duldung
der Abspeicherung des Liedes) war der Soldat ebenfalls freigestellt worden -
ihren Schuldspruch auf die ihrer Meinung nach erwiesene Tatsache, dass der
Soldat das wenigstens zweimal abgespielte Lied „Kreuzberger Nächte“ zumin-
dest einmal gehört hat - was der Soldat substanziiert bestreitet -, ohne dagegen
eingeschritten zu sein (UA S. 12 f.). Insoweit hat die Vorinstanz den entschei-
dungserheblichen Sachverhalt nicht im erforderlichen Umfang aufgeklärt.
Die Truppendienstkammer ist davon ausgegangen, der Soldat habe das Lied
gehört, weil er sich in räumlicher Nähe zu seiner Stube entweder im Keller
(bzw. auf dem Weg dorthin oder zurück) oder auf der Toilette seines Apparte-
ments befunden habe und auszuschließen sei, dass er innerhalb kurzer Zeit
seine Stube zweimal zum Zigarettenholen verlassen habe. Auch wenn eine
Verurteilung auf alternativer Grundlage im Disziplinarrecht grundsätzlich mög-
lich ist (vgl. Urteil vom 21. Juli 1992 - BVerwG 1 D 27.91 - DokBer B 1993, 91),
setzt dies voraus, dass die angeschuldigte Tat nach Ausschöpfung aller Be-
weismöglichkeiten nicht so eindeutig aufgeklärt werden kann, dass sich ein be-
stimmter Tatverlauf feststellen lässt, aber feststeht, dass der Soldat einen von
mehreren möglichen Tatverläufen verwirklicht hat und andere, disziplinarisch
irrelevante Handlungen ausgeschlossen sind (vgl. dazu Fischer, StGB,
56. Aufl. 2009, § 1 Rn. 19). Die in Betracht kommenden Tatalternativen (bei
gleichartiger Wahlfeststellung) muss der Richter im Einzelnen feststellen (vgl.
Fischer a.a.O. § 1 Rn. 25). Diesen Anforderungen ist die Kammer nicht gerecht
geworden. Die im Urteil enthaltenen Ausführungen zu Alternativörtlichkeiten
stellen lediglich Behauptungen dar. Weder ist versucht worden aufzuklären, wo
sich der Soldat zum Anschuldigungszeitpunkt tatsächlich befand, noch, ob er
von dort aus objektiv und subjektiv in der Lage war, den Liedtext - nicht nur die
Melodie - zu hören und zu verstehen. Die nicht näher belegte Feststellung im
Urteil, das vom Soldaten bewohnte Unterkunftsgebäude sei sehr hellhörig ge-
wesen, reicht dafür nicht aus. Auch die Aussage des Zeugen P., er habe den
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22
- 15 -
Liedtext verstehen können und zum Teil mitgeschnitten, hat nur geringen Be-
weiswert. Soweit dieser den Liedtext in seiner Stube verstanden hatte, lässt
dies keine Rückschlüsse auf andere Örtlichkeiten im Gebäude zu; soweit dieser
das Lied vom Flur aus mit dem MP3-Player mitgeschnitten hat, bleibt offen, ob
sich der Soldat tatsächlich an derselben Stelle oder zumindest in einer ver-
gleichbaren Entfernung zu seinem Appartement befand. Eine Kopie des Mit-
schnitts, die über den Zeugen Nommensen in den Besitz des MAD gelangt sein
soll, ist von der Kammer nicht beigezogen und ausgewertet worden.
Ferner ist nicht geklärt worden, ob es dem Soldaten, falls er den Liedtext - wie
angeschuldigt - tatsächlich verstanden haben sollte, objektiv möglich war, das
Abspielen der Musikdatei in seiner Stube durch den Zeugen W. (noch) zu ver-
hindern. Wäre dem Soldaten dies nicht (mehr) möglich gewesen, weil zum Bei-
spiel das Abspielen des Liedes beim Betreten der Stube bereits beendet war,
so hätte kein pflichtwidriges Unterlassen des Einschreitens vorgelegen; der
Soldat wäre vom Vorwurf freizustellen.
Außerdem ist die Truppendienstkammer in diesem Zusammenhang auch der
Frage nicht nachgegangen, ob der Soldat, soweit er pflichtwidrig nicht einge-
schritten ist, den Liedtext mit den von Nr. 311 ZDv 10/5 erfassten Inhalten in
Verbindung gebracht hat oder zumindest hätte bringen müssen, ob er sich also
eines vorsätzlichen oder nur fahrlässigen Fehlverhaltens schuldig gemacht hat.
Zweifel an einem vorsätzlichen Verstoß gegen die Bestimmungen der Nr. 311
ZDv 10/5 könnten schon deshalb gegeben sein, weil die Aufnahmefähigkeit des
Soldaten zur Tatzeit alkoholbedingt reduziert gewesen sein könnte und nicht
geklärt worden ist, ob er hinsichtlich des Liedtextes über einen vergleichbaren
Wissensstand verfügte wie der Zeuge P.. Dieser hat vor dem Truppendienstge-
richt ausgesagt, er habe das Lied vor allem deshalb dem Anwendungsbereich
der Nr. 311 ZDv 10/5 zugeordnet, weil er während eines Lehrganges an der
Offizierschule des Heeres seitens eines Vertreters des MAD das Lied als an-
schauliches Beispiel für rechtsradikale Musik kennengelernt habe. Schließlich
ist die Kammer nach ihren Feststellungen ohne nähere Begründung davon
ausgegangen, dass das Lied vom Intranet der Bundeswehr heruntergeladen
worden war, ohne dann aber den Fragen nachzugehen, ob es sich insoweit
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- 16 -
überhaupt um einen „Ton- oder Datenträger“ im Sinne der Nr. 311 ZDv 10/5
oder ein von der Vorschrift erfasstes anderes Medium handelte. Ferner ist un-
geklärt geblieben, ob sich die Lied-Datei in diesem Fall bereits im „Unterkunfts-
bereich bzw. im Bereich der militärischen Dienststelle“ befand, sodass ggf. ein
„auch nur vorübergehendes Einbringen“ im Sinne der Nr. 311 ZDv 10/5 jeden-
falls durch den Soldaten ausscheiden würde. Es wurde auch nicht ermittelt, ob
die Möglichkeit bestand, die fragliche Lied-Datei aus dem Internet herunterzu-
laden und ob dies durch den Soldaten oder mit seiner Duldung geschehen ist,
wovon die Wehrdisziplinaranwaltschaft ausgegangen ist. Auch in dieser Hin-
sicht besteht noch tatsächlicher und rechtlicher Klärungsbedarf.
b) Zu Anschuldigungspunkt 2 hat das Truppendienstgericht folgende Sachver-
haltsfeststellungen getroffen und diese wie folgt gewürdigt (UA S. 13 bis 15):
„Auf der Festplatte des Laptops des Soldaten, den er in
seine Unterkunftsstube eingebracht hatte, befand sich am
03. März 2006 die Musikdatei ‚German - Die Braune
Kompanie (mp3provbr60).mp3’ von der CD ‚Das III. Reich,
SA marschiert’ der Band ‚Reichsmusikkammer’. Der Titel
ist gem. Bundesanzeiger Nr. 64 vom 30. März 1996 durch
die BPjM indiziert worden, ein allgemeiner Beschlagnah-
mebeschluss ist seitens des Amtsgerichts B. 1995 erlas-
sen worden. Der Text der zweiten Strophe lautet: ...
Der Soldat hat sich eingelassen, er habe keine Kenntnis
davon gehabt, dass diese Musikdatei auf seinem Laptop
abgespeichert gewesen sei. Er habe den Laptop an sei-
nen Kameraden Sch. für vier bis fünf Monate ausgeliehen
gehabt, weil dessen Rechner defekt gewesen sei und ihm
selbst sein PC-Turm zur Verfügung gestanden habe. Sch.
habe ein PC-Spiel installiert, zu dem dieser Titel als Hin-
tergrundmusik gehöre. Sch. habe ihm den Laptop dann
ca. im Dezember 2005 zurückgegeben, worauf er diesen
gleich ‚eingemottet’ unter dem Bett verstaut und bis zur
Durchsuchung nicht mehr in Betrieb genommen habe.
Diese Sachdarstellung des Soldaten ist durch die Aussage
des glaubwürdigen Zeugen Leutnant Sch. und dem
Auswertebericht des MAD widerlegt. Der Soldat hat sehr
wohl von dem Vorhandensein der fraglichen Musikdatei
auf seinem Laptop gewusst.
Der Zeuge Leutnant Sch. hat ruhig, besonnen, sehr
glaubhaft ausgesagt und erklärt, der Soldat habe zwei
25
- 17 -
schrottreife Geräte gehabt, die er - der Zeuge - für ihn zu
einem funktionierenden Laptop zusammengesetzt und
diesen ihm im Februar 2005 übergeben habe. Als dann
sein eigener Rechner Mitte/Ende April 2005 kaputtgegan-
gen sei, habe er sich vom Soldaten für die Dauer der Re-
paratur von etwa sieben Wochen, dessen Laptop wieder
ausgeliehen. Die Rückgabe sei Anfang Juni 2005 erfolgt,
da sei er sich sicher. Es sei allerdings richtig, dass er in
dieser Phase das PC-Spiel ‚Hearts of Iron’ installiert habe
und dazu aus dem Internet noch einige ‚Patches’ von der
‚Hersteller-Site’ heruntergeladen habe. Da ihn die Hinter-
grundmusik beim Spielen störe, schalte er diese aber im-
mer aus, weshalb er auch nicht wisse, ob insoweit ‚braun
Angehauchtes’ dabei gewesen sei.
Der Auswertebericht des MAD enthält folgenden Auszug
aus dem Ordner ‚C:\Programme\Paradox Entertainment\
Hearts of Iron\music\’ des Laptops:
German - Unser Rommel (mp3provbr60).mp3
Last Accessed 01/03/06 15:00:07
File Created 03/06/05 11:37:38
German - Badenweiler Marsch (mp3provbr60).mp3
Last Accessed 13/12/05 11:41:01
File Created 03/06/05 11:38:11
German - Die Braune Kompanie (mp3provbr60).mp3
Last Accessed 14/12/05 11:32:40
File Created 03/06/05 11:38:14
German - Erika (mp3provbr60).mp3
Last Accessed 01/03/06 15:22:10
File Created 03/06/05 11:38:17
German - Koenigraetzer Marsch (mp3provbr60).mp3
Last Accessed 01/03/06 15:16:05
File Created 03/06/05 11:38:23
German - Panzerlied (mp3provbr60).mp3
Last Accessed 22/12/05 22:45:41
File Created 03/06/05 11:38:26’
Dieser Bericht bestätigt somit die Angaben des Zeugen
Sch. insoweit, als die MP3-Dateien für die Hintergrundmu-
sik des Spiels am 03. Juli (richtig: Juni) 2005 installiert
worden sind (‚File created“). Darüber hinaus belegt diese
Aufstellung aus dem Unterverzeichnis ‚\music\’ dass der
Soldat entgegen seiner Darstellung, am 13., 14. und 22.
Dezember 2005 sowie am 01. März 2006 entweder bei
- 18 -
der Nutzung des Spieles oder separat via ‚Mediaplayer’
o.ä. diese MP3-Dateien aufgerufen hat.
Auf den Vorhalt des Auswerteberichts nach der Aussage
des Zeugen Lt Sch. reagierte der Soldat ausweislich des
Hauptverhandlungsprotokolls wie folgt:
‚... Der Vorsitzende hielt dem Soldaten den Auswerte-
bericht des MAD zum Laptop des Soldaten hinsichtlich
der Zugriffsdateien auf ‚Die braune Kompanie’ und die
Angaben des Zeugen zum Rückgabedatum vor. Ob er
seine Einlassung korrigieren wolle?
Der Soldat stotternd: ‚Es kann doch sein, dass ich mei-
nen Laptop, nachdem ich ihn von Sch. zurückbekom-
men hatte, noch mal benutzt habe, um die Diplomarbeit
zu schreiben.
Dabei hatte ich aber keine Kenntnis von der darauf be-
findlichen indizierten Datei ‚Die braune Kompanie’. Der
Vorsitzende ordnete die wortwörtliche Protokollierung
der Antwort des Soldaten an. So geschehen, v.u.g.
Der Vorsitzende fasste nach: Haben Sie den Laptop
aus der Einmottung hervorgeholt oder nicht, Sie hatten
doch Ihren PC-Turm? Haben sie die MP3-Datei mit ‚Die
braune Kompanie’ aufgerufen oder nicht? Der Soldat
schwieg kurz, worauf der Verteidiger um eine Pause
bat.
Die Hauptverhandlung wurde um 14:40 Uhr unterbro-
chen und um 14.50 Uhr in gleicher Besetzung fortge-
setzt.
Der Verteidiger erklärte sodann für den Soldaten, dass
keine Erklärung abgegeben wird. Er fragte den Solda-
ten, ob er - der Soldat - Kenntnis von ‚braunem’ Liedgut
auf seinem Laptop gehabt habe. Der Soldat verneinte
dies ...’
Der Soldat hat zwar im Hauptverhandlungstermin nicht
behauptet, auch er habe, so wie Sch., die Hintergrundmu-
sik stumm geschaltet, der Vollständigkeit halber ist jedoch
anzumerken, dass bei der Wahl dieser Option des Spiel-
programms die Musikdateien gar nicht aufgerufen worden
wären.“
- 19 -
Auch hinsichtlich des Anschuldigungspunktes 2 fehlt es an einer ausreichenden
Sachaufklärung und einer umfassenden, nachvollziehbaren und widerspruchs-
freien Beweiswürdigung durch die Truppendienstkammer.
Zunächst ist nicht ausdrücklich festgestellt worden, ob der Liedtext, insbeson-
dere die zweite Strophe (vgl. Anschuldigungsschrift vom 30. Juli 2007, S. 7),
überhaupt auf dem Notebook gespeichert war oder nur ein Instrumentaltitel
(ohne Text). Der Zeuge Sch., dem das Truppendienstgericht hinsichtlich seiner
sonstigen Aussagen gefolgt ist, hat in der Hauptverhandlung u.a. ausgesagt:
„Ich habe mal ein Spiel mit Hintergrundmusik aufgespielt,
und das war ‚Hearts of Iron’. Das Spiel ist ganz normal im
Handel erhältlich. Die zugehörige Musik bestand aus rein
instrumentalen Marschliedern. Zu dem Spiel habe ich
Patches installiert von der Herstellerseite. Das Spielen von
‚Hearts of Iron’ ist auch ohne Hintergrundmusik möglich.
Ich schalte die Hintergrundmusik immer aus, weil sie mich
beim Spielen am Computer stört. Deshalb weiß ich auch
nicht, ob da was ‚Braunes’ dabei war oder nicht.“
Diese Aussage ist im Urteil teilweise zitiert, allerdings ohne den Hinweis des
Zeugen auf die Instrumentalversion. Handelte es sich in Wahrheit um eine sol-
che, hätte der Soldat keine Kenntnis vom Text des Musikstückes nehmen kön-
nen. Das Truppendienstgericht ist dem nicht weiter nachgegangen. Gegebe-
nenfalls hätte ein Vertreter des MAD in der Hauptverhandlung dazu gehört
werden müssen.
Unterstellt man, der Liedtext wäre gespeichert gewesen, könnte zwar nach der
Auswertung des Notebooks durch den MAD davon ausgegangen werden, dass
der letzte Zugriff auf die Musikdatei am 14. Dezember 2005 um 11:32:40 Uhr
erfolgt war (Abspielzeitpunkt). Damit wäre aber noch nicht erwiesen, dass der
Soldat auch Kenntnis vom Liedtext nahm und vorsätzlich handelte. Die zeitlich
späteren Zugriffe auf den Computer, bei denen die hier in Rede stehende Datei
nachweislich nicht aufgerufen wurde, belegen ebenfalls nur, dass der Soldat
das Notebook bediente, aber gerade nicht, dass er dabei den Inhalt der Datei
„Die braune Kompanie“ zur Kenntnis nahm. Die Kammer hat, trotz vorliegender
Anhaltspunkte, weder aufgeklärt, ob das Spiel „Hearts of Iron“ stets automatisch
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auf die Tondateien im Unterordner „music“ zugreift - dies wird im Urteil lediglich
behauptet -, oder ob dies manueller Einstellung bedarf, noch ob das Notebook
beim Abspielen über eingeschaltete und ausreichend laut eingestellte
Lautsprecher verfügte und ob die Abspieldauer des Liedes ausreichte, um vom
Text der zweiten Liedstrophe - sofern er überhaupt in der Datei gespeichert
war - Kenntnis nehmen zu können. Eine Begründung dafür, warum die Kammer
davon ausgegangen ist, dass der Soldat die Datei auch über den Mediaplayer
abgespielt haben könnte, fehlt ebenfalls und verbleibt daher im spekulativen
Bereich. Ein Schuldspruch im Anschuldigungspunkt 2 setzt voraus, dass zuvor
der Sachverhalt auch in technischer Hinsicht - einschließlich der Benut-
zungsmöglichkeiten des Notebooks - vollständig aufgeklärt worden ist. Auch
daran mangelt es hier.
3. Diese schwerwiegenden Mängel der Beweiswürdigung und damit der Sach-
verhaltsaufklärung führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache an eine andere Kammer des Truppendienstge-
richts Nord.
Zwar steht die Entscheidung darüber, ob der Senat bei Vorliegen eines Aufklä-
rungsmangels oder eines schweren Verfahrensmangels ungeachtet dessen in
der Sache selbst entscheidet oder ob er das Urteil der Truppendienstkammer
aufhebt und die Sache an eine andere Kammer desselben Truppendienstge-
richts oder eines anderen Truppendienstgerichts zur nochmaligen Verhandlung
und Entscheidung zurückverweist, nach § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO in seinem ge-
richtlichen Ermessen. Bei der pflichtgemäßen Ausübung dieses Ermessens
kommt jedoch dem Normzweck regelmäßig eine entscheidende Bedeutung zu.
Wurde eine Sachverhaltsaufklärung erstinstanzlich gar nicht erst begonnen (vgl.
dazu Beschlüsse vom 28. April 1993 - BVerwG 2 WD 68.91 - und vom
16. September 1996 - BVerwG 2 WD 30.96 -) oder war sie weitgehend unzu-
länglich (vgl. dazu u.a. Beschlüsse vom 14. September 1988 - BVerwG 2 WD
17.88 -, vom 15. April 1992 - BVerwG 2 WD 13.92 - und vom 25. März 1997
- BVerwG 2 WD 4.97 -), ist in der Regel wegen Vorliegens eines schweren
Mangels des Verfahrens eine Zurückverweisung durch das Berufungsgericht
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- 21 -
geboten (vgl. auch Beschluss vom 13. Januar 2009 - BVerwG 2 WD 5.08 -). Es
ist nach den Regelungen der Wehrdisziplinarordnung nicht Aufgabe des
Rechtsmittelgerichts, anstelle der dazu berufenen Truppendienstkammer not-
wendige gerichtliche Feststellungen zum entscheidungserheblichen Sachverhalt
erstmals zu treffen. Sowohl der angeschuldigte Soldat wie auch die Wehr-
disziplinaranwaltschaft haben zudem Anspruch darauf, dass bereits im ersten
Rechtszug nach Maßgabe der prozessrechtlichen Vorschriften alle erforderli-
chen Maßnahmen zur hinreichenden Aufklärung der Sach- und Rechtslage
ordnungsgemäß getroffen werden und die erhobenen Beweise nachvollziehbar
gewürdigt werden und dass das Ergebnis der Beweiswürdigung in den Urteils-
gründen niedergelegt wird. Denn nur bei einer auf dieser Grundlage ergehen-
den, die Instanz abschließenden Entscheidung der Truppendienstkammer wer-
den der Soldat und die Wehrdisziplinaranwaltschaft in die Lage versetzt, ver-
antwortlich darüber zu befinden, ob Berufung eingelegt werden soll oder nicht.
Angesichts dessen macht der Senat von seinem Ermessen gemäß § 120
Abs. 1 Nr. 2 WDO Gebrauch und verweist die Sache unter Aufhebung des erst-
instanzlichen Urteils an eine andere Kammer des Truppendienstgerichts Nord
zurück. Das Beschleunigungsgebot (§ 17 Abs. 1 WDO) steht einer Zurückver-
weisung schon deshalb nicht entgegen, weil diese zur Sicherstellung des An-
spruchs auf ein faires rechtsstaatliches Disziplinarverfahren (speziell zum ge-
richtlichen Wehrdisziplinarverfahren BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Juni
2000 - 2 BvR 993/94 - ZBR 2001, 208) unvermeidbar ist; immerhin verfolgt die
Wehrdisziplinaranwaltschaft mit ihrer Berufung das Ziel einer Degradierung des
Soldaten. Zudem hat dieser im Rahmen der gemäß § 120 Abs. 2 WDO erfolg-
ten Anhörung einer Zurückverweisung zugestimmt; der Bundeswehrdisziplinar-
anwalt ist einer solchen Verfahrensweise ausdrücklich „nicht entgegengetreten“.
Aus gegebenem Anlass weist der Senat darauf hin, dass es für eine ordnungs-
gemäße Begründung nicht ausreicht, wenn im Urteil einzelne Dienstpflichten
bezeichnet werden. Vielmehr bedarf es einer näheren Darlegung der konkreten
Erfüllung der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen anhand der einzelnen
Tatbestandsmerkmale. Auch der subjektive Dienstvergehenstatbestand
- insbesondere Vorsatz oder Fahrlässigkeit, je nach Anschuldigungsvorwurf
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- 22 -
(vgl. dazu Beschluss vom 11. Februar 2009 - BVerwG 2 WD 4.08 -) - ist näher
dazulegen.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bleibt der endgültigen Ent-
scheidung in dieser Sache vorbehalten (§ 141 Abs. 1 und 2 WDO).
Golze
Dr. Müller
Dr. Deiseroth
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