Urteil des BVerwG vom 17.04.2008

Soldat, Nacht, Sexuelle Belästigung, Bataillon

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 10.07
TDG N 3 VL 04/06
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung vom 16. und 17. April 2008, an der teilgenommen ha-
ben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth,
ehrenamtlicher Richter Oberstleutnant Rönsch und
ehrenamtlicher Richter Oberleutnant Seitz,
Leitender Regierungsdirektor …
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt …,
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin …
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
am 17. April 2008 für Recht erkannt:
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Auf die Berufung des Soldaten wird das Urteil der
3. Kammer des Truppendienstgerichts Nord
vom
15. November 2006 aufgehoben.
Der Soldat wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens und die dem Soldaten erwach-
senen notwendigen Auslagen werden dem Bund auferlegt.
G r ü n d e :
I
Der 28 Jahre alte Soldat erlangte im Mai 2000 am M…gymnasium in J. die all-
gemeine Hochschulreife.
Am 19. August 1999 bewarb sich der Soldat für den freiwilligen Dienst in der
Bundeswehr. Nach erfolgreicher Bewerbung wurde er aufgrund seiner Ver-
pflichtungserklärung vom 24. April 2000 mit Urkunde vom 5. Juni 2000 unter
Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit zum Funker ernannt.
Seine Dienstzeit wurde mit Bescheid vom 5. Juni 2000 auf zwölf Jahre festge-
setzt. Seine Dienstzeit endet am 30. Juni 2012.
Nachdem der Soldat am 1. Juli 2000 als Offizieranwärter bei der …bataillon …
in L. in die Bundeswehr eingestellt worden war, wurde er nach Beendigung der
Grundausbildung zum 18. September 2000 zur …bataillon … versetzt. Nach er-
folgreicher Ausbildung zum Truppenoffizier - ohne Studium - ist er nach
zwischenzeitlichen Versetzungen zur …bataillon … in R. und zur …bataillon …
in Ro. (…) mit Verfügung vom 26. Oktober 2004 mit Dienstantritt zum 1. No-
vember 2004 zur …bataillon KFOR (10. Einsatzkontingent) ins Kosovo kom-
mandiert worden. Ca. zwei Wochen vor dem vorgesehenen Ende dieser Aus-
landsverwendung wurde der Soldat nach Bekanntwerden der gegenständlichen
Vorfälle vorzeitig nach Deutschland zurückkommandiert und leistet gegenwärtig
Dienst in der …regiment … als Zugführer und Ausbildungsoffizier.
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Der Soldat wurde regelmäßig befördert, zuletzt mit Urkunde vom 6. Mai 2003
mit Wirkung zum 1. Juli 2003 zum Leutnant.
In der planmäßigen Beurteilung vom 6. Juli 2004 erhielt der Soldat bei den Ein-
zelmerkmalen zweimal die Wertung „7“, zwölfmal die Wertung „6“ und zweimal
die Wertung „5“. Hinsichtlich seiner Eignung und Befähigung wurde ihm einmal
die Wertung „E“ und dreimal die Wertung „D“ zuerkannt. Im Hinblick auf „Her-
ausragende charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches Selbstver-
ständnis, Bewährung im Einsatz und ergänzende Aussagen“ sowie die „Stel-
lungnahme des nächsthöheren Vorgesetzten“ hierzu wird im Einzelnen auf die
Ausführungen in der Beurteilung verwiesen.
In der Sonderbeurteilung vom 6. März 2007 erhielt der Soldat bezüglich der
Einzelmerkmale sechsmal die Wertung „7“ und zehnmal die Wertung „6“, mithin
einen Durchschnitt von 6,375. Hinsichtlich seiner Eignung und Befähigung wur-
de ihm dreimal die Wertung „E“ und einmal die Wertung „D“ zuerkannt. Bezüg-
lich der Ausführungen zu den „Ergänzenden Kennzeichnungen zu den Einzel-
merkmalen“, der „Eignung und Befähigung“, der „Herausragenden charakterli-
chen Merkmale, Kameradschaft, berufliches Selbstverständnis, Bewährung im
Einsatz und ergänzende Aussagen“, „Verwendungshinweise“ und der „Stel-
lungnahme des nächsthöheren Vorgesetzten“ wird im Einzelnen auf die Beurtei-
lung verwiesen.
Vor dem Truppendienstgericht äußerte sich der Leumundszeuge, Hauptmann
… P., der zum Tatzeitpunkt Vorgesetzter des Soldaten im Kosovo war, der Sol-
dat sei als junger Leutnant zu ihm gekommen und habe sich sofort bewährt. Er
sei ein Offizier, der den Willen zur Verantwortung mitbrächte. Der Soldat sei im
Einsatz sein Stellvertreter gewesen. Er habe eine sehr hohe Meinung von ihm
und vollstes Vertrauen. Der Vorfall habe sich auf den Dienstbetrieb nicht aus-
gewirkt. Auch außerhalb des Dienstes sei der Soldat ein Mensch, der voll im
Leben stehe. Man könne sagen, dass er ein hohes Selbstbewusstsein habe.
Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Soldaten habe er nicht.
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Der weitere Leumundszeuge, damaliger Kompaniechef des Soldaten, Haupt-
mann … B., bestätigte das Leistungsbild des Soldaten. Im gesamten Zeitraum,
in dem er Kompaniechef gewesen sei, habe der Soldat sein Vertrauen genos-
sen und die ihm übertragenen Aufgaben zu seiner vollsten Zufriedenheit erfüllt.
Auch deshalb sei ihm die Leistungsprämie in Höhe von 1 300 € gewährt wor-
den. Der Soldat habe eine offene und ehrliche Art und verstehe es, mit Kritik
umzugehen. Er stehe zu seinen Fehlern und suche das Gespräch. Seit Be-
kanntwerden des Vorfalls habe es in seinem Leistungsbild keinerlei Verände-
rung und keine Einbußen gegeben. Im Gegenteil habe er noch gebremst wer-
den müssen. Als Berufssoldat sei er definitiv geeignet.
Der Soldat hat u.a. die Erlaubnis, die Ehrenmedaille der Bundeswehr, das Ab-
zeichen für Leistungen im Truppendienst in Gold und die Einsatzmedaille der
Bundeswehrfluthilfe 2002 zu tragen. Während des laufenden gerichtlichen Dis-
ziplinarverfahrens wurde dem Soldaten eine im November 2006 zur Auszahlung
gelangte Leistungsprämie in Höhe von 1 300 € gewährt.
Der Soldat erhielt am 13. Oktober 2004 eine förmliche Anerkennung aufgrund
einer hervorragenden Einzeltat und eine weitere förmliche Anerkennung am
4. April 2005 wegen vorbildlicher Pflichterfüllung.
Der Disziplinarbuchauszug vom 7. März 2008 weist außer den beiden förmli-
chen Anerkennungen keine weiteren Eintragungen auf. Nach Auskunft aus dem
Zentralregister vom 10. März 2008 ist der Soldat in strafrechtlicher Hinsicht
nicht vorbelastet.
Nach Auskunft der Wehrbereichsverwaltung West - Gebührniswesen - vom
2. November 2006 erhält der Soldat in der Besoldungsgruppe A 9, Dienstalters-
stufe 03, Bruttobezüge in Höhe von 2 045,52 €, tatsächlich ausgezahlt werden
ihm 1 623,19 €.
Der Soldat ist seit 2007 verlobt und hat keine Kinder.
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II
In dem mit Verfügung des Kommandeurs …division vom 10. Januar 2006 ord-
nungsgemäß eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren hat die Wehrdis-
ziplinaranwaltschaft für den Bereich der …division dem Soldaten mit Anschuldi-
gungsschrift vom 1. März 2006 folgendes Verhalten als Dienstvergehen zur
Last gelegt:
„In der Nacht vom 2. auf den 3. April 2005 forderte der
Soldat, als Angehöriger des 10. Deutschen Einsatzkontin-
gents KFOR in O./Kosovo, die zu seinem Zug gehörige
HG (w) Bl. auf, ihm einen Kuss auf den Mund und an-
schließend auch auf sein Geschlechtsteil zu geben. Nach-
dem die HG (w) Bl. den Soldaten mehrmals abgewiesen
hatte, entblößte dieser sein Geschlechtsteil und manipu-
lierte in ihrer unmittelbaren Gegenwart daran herum.“
Die 3. Kammer des Truppendienstgerichts Nord hielt den Vorwurf für zutreffend
und verhängte durch Urteil vom 15. November 2006 wegen eines Dienstverge-
hens gegen den Soldaten ein Beförderungsverbot für die Dauer von
15 Monaten zusammen mit einer Kürzung der Dienstbezüge um ein Zwanzigs-
tel für die Dauer von sechs Monaten.
Die Truppendienstkammer hat das Verhalten des Soldaten als vorsätzliche Ver-
letzung der Pflichten für seine Untergebenen zu sorgen (§ 10 Abs 3 SG), die
Würde, Ehre und die Rechte der Kameraden zu achten (§ 12 Satz 2 Halbs. 1
SG) und der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst als
Soldat erfordert (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) und damit als Dienstvergehen nach
§ 23 Abs. 1 SG gewürdigt. Zudem unterliege der Soldat als Vorgesetzter der
verschärften Haftung des § 10 Abs. 1 SG.
Hinsichtlich der Maßnahmebemessung führte die Kammer im Wesentlichen
aus, dass das Fehlverhalten des Soldaten von „nicht unerheblichem disziplina-
ren Gewicht“ sei. Der Soldat habe die Zeugin Bl. in einer für ihn erkennbaren
Weise durch das Zurschaustellen seines erigierten Geschlechtsteils und der
wiederholten Aufforderung, sie solle ihm einen Kuss nicht nur auf den Mund,
sondern auch auf den Penis geben, in objektiv demütigender Weise sexuell be-
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lästigt. Die Bewertung der Schwere des dienstpflichtwidrigen Verhaltens des
Soldaten könne nicht losgelöst von dem Vorgeschehen betrachtet werden. Zum
einen habe es zwischen dem Soldaten und der Zeugin Bl. im Vorfeld der Tat
sexuelle Kontakte bis hin zur Durchführung eines Geschlechtsverkehrs gege-
ben. Im Ergebnis sei das Verhalten des Soldaten daher auf den Umstand zu-
rückzuführen, dass sich ihm, nachdem er zuvor längere Zeit mit der Zeugin Bl.
und dem Hauptgefreiten D. dienstlich zusammen gewesen sei, nun unverhofft
eine Situation eröffnet habe, wie schon in der Silvesternacht 2004/2005, erneut
in sexuellen Kontakt mit der Zeugin treten zu können. Der Soldat habe zur Tat-
zeit zwar nicht davon ausgehen können, dass sich die Zeugin Bl. erneut auf
sein sexuelles Verlangen einlassen würde, selbst wenn sie in der Vergangen-
heit nach anfänglichem Zögern zweimal einem Geschlechtsverkehr mit ihm zu-
gestimmt habe. Dennoch sei zugunsten des Soldaten davon auszugehen, dass
er auf eine latente Bereitschaft der Soldatin gehofft habe, ihn wiederum oral
sexuell zu stimulieren. Letztlich sei dem Soldaten daher kein gezielt „entwürdi-
gendes“ Fehlverhalten zu Lasten der Zeugin Bl. zum Vorwurf zu machen, son-
dern eine die Grenzen zulässiger sexueller Werbung überschreitende und nach
abweisendem Verhalten der Zeugin auch wiederholt vorgenommene sexuelle
Belästigung. Hinsichtlich weiterer Ausführungen wird auf das Urteil des Trup-
pendienstgerichts verwiesen.
Gegen das dem Soldaten am 8. Januar 2007 zugestellte Urteil hat dieser durch
Schriftsatz seines Verteidigers vom 5. Januar 2007, welcher per Fax am selben
Tag beim Truppendienstgericht Nord, 3. Kammer, einging, Berufung in vollem
Umfang eingelegt. Im Wesentlichen führte er aus:
Die Aussage der Zeugin Bl. sei in weiten Teilen nicht nachvollziehbar und un-
glaubwürdig. Die Glaubwürdigkeit der einzigen Belastungszeugin müsse, schon
aus der Natur des von ihr erhobenen Vorwurfs heraus, mit strengsten Maßstä-
ben beurteilt werden. Sofern die Beurteilung eines Vorwurfs einzig und allein an
den Aussagen der beiden Beteiligten hinge, so müsse dem Grundsatz „im Zwei-
fel für den Angeklagten“ größtmöglichster Raum eingeräumt werden, und zwar
dergestalt, dass schon leichte Zweifel an der Glaubwürdigkeit der einzigen Be-
lastungszeugin zur Anwendung dieses Rechtsgrundsatzes führen müssten. Je-
de Abweichung hiervon würde dazu führen, dass willkürlichen
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Falschanschuldigungen Tür und Tor geöffnet würden. In der Hauptverhandlung
habe die Zeugin Bl. zudem erstmals behauptet, der Soldat habe nicht nur ein-
mal, sondern auch ein zweites Mal mit ihr einvernehmlichen Geschlechtsver-
kehr gehabt. Dies habe sie in sämtlich früheren Aussagen verschwiegen, ob-
gleich sie auch danach gefragt worden sei, ob es weitere „Vorfälle“ im Sinne
des ersten sexuellen Kontakts in der Silvesternacht gegeben habe. Sie habe
unmissverständlich zugegeben, die Information bezüglich des von ihr behaupte-
ten zweiten Geschlechtsverkehrs bewusst nicht geäußert zu haben, da sie ge-
fürchtet habe, die Glaubwürdigkeit ihrer Aussage hätte bei Einräumen eines
zweiten einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs leiden können. Deshalb habe
sie eingeräumt, bewusst relevante Angaben verschwiegen zu haben und habe
sich damit schon eines Dienstvergehens schuldig gemacht. Wenn sie dann
noch unumwunden eingeräumt habe, dies zweckgerichtet getan zu haben und
zwar deshalb, um die Glaubwürdigkeit ihrer Beschuldigung zu steigern, so liege
hierin nicht nur eine Belastungstendenz, sondern das bewusste Gestalten einer
Aussage durch Weglassung zum Zwecke der gesteigerte Belastungswirkung.
Schon allein die sich hierin offenbarende Persönlichkeitsstruktur der Zeugin
schließe die Behauptung der Glaubwürdigkeit von vornherein aus. Weiter habe
die Zeugin Bl. den gesamten Geschehensablauf in sich unterscheidender und
zum Teil widersprechender Art und Weise geschildert. Ihre Schilderung der
Vorgänge in der Vernehmung am 15. April 2005 sei mit der Schilderung im
Rahmen des Hauptverhandlungstermins überhaupt nicht mehr in Einklang zu
bringen. Die Widersprüchlichkeit der Aussagen könne auch nicht mit Erinne-
rungslücken oder ähnlichem erklärt werden. An derart gravierende Unterschie-
de hätte sich die Zeugin, da der Vorfall erst eineinhalb Jahre her sei, auf jeden
Fall erinnern müssen. Die Zeugin habe dann ausgesagt, dass sie sich eines
Tricks bedient habe, um Hilfe herbeiholen zu können. Sie habe dem Soldaten
vorgespiegelt, es komme jemand die Treppe hoch. Der Soldat sei daraufhin
kurz zur Tür gegangen und habe hinausgesehen. Die Zeugin selber habe den
„Abwesenheitszeitraum“ auf 10 bis 15 Sekunden taxiert. Diese Zeit sei viel zu
kurz gewesen, um den Text „
einzutippen, die eingespeicherte Rufnummer des Zeugen R. heraus-
zusuchen und diesem als SMS zu schicken. Ferner habe die Zeugin im Rah-
men der Hauptverhandlung behauptet, dass sie sich nur an eine einzige SMS
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habe erinnern können, nämlich die oben bezeichnete „Hilferuf-SMS“. Aus den
Schilderungen im Rahmen der Ermittlung und aus der Aussage des Zeugen R.
ergab sich jedoch, dass im Verlauf des Abends ein „Gespräch“ mit dem Zeugen
R. über mehr als eine Stunde in Form von Zusendung gegenseitiger SMS ge-
führt wurde. Diese Erinnerungslücke spreche gegen die Zeugin.
Die von der Zeugin angeführten vermeintlichen Erinnerungslücken seien nicht
glaubhaft. Wenn das, was die Zeugin dem Soldaten vorwerfe, sich tatsächlich
ereignet hätte, wüsste die Zeugin wesentlich mehr Details, da sich ein solches
Erlebnis unauslöschlich mit allen Details in die Erinnerung der Zeugin einge-
brannt hätte. Es sei aufgefallen, dass die Zeugin immer versuche, sich jeder
Verantwortung zu entziehen. Immer sei sie im Grunde Spielball äußerer Um-
stände gewesen und quasi zum Sex genötigt worden. Außerhalb jeder Lebens-
erfahrung seien die Schilderungen des sonstigen vermeintlichen Verhaltens der
Zeugin vor Ort. Anstelle eines Hilferufes habe sie eine SMS verschickt. Die
Hauptverhandlung habe aber ergeben, dass es sich bei dem Haus, in dem sich
der Vorfall abgespielt haben soll, um ein uraltes serbisches Haus gehandelt
habe, innerhalb dessen die Türen nicht mehr zu verschließen gewesen seien.
Daher hätte die Zeugin nicht einmal laut um Hilfe rufen müssen. Völlig un-
glaubwürdig sei, dass sie vorgegeben habe, auf der einen Seite psychisch ext-
rem belastet gewesen zu sein und darum stundenlang mit einer mit ihr am
Tisch sitzenden Person SMS ausgetauscht zu haben, dann aber wieder nach
oben gegangen sei und sich unbefangen in das Zimmer zum Schlafen gelegt
habe, in dem der Soldat, der vor kurzem angeblich über sie hergefallen sei, ge-
schlafen habe. Die Zeugin hätte auch ein Motiv gehabt. Aufgrund der sexuellen
Kontakte im Vorfeld in der Silvesternacht sei sie erheblich daran interessiert
gewesen, den Kontakt zum Soldaten aufrechtzuerhalten. Als der Soldat die
Zeugin zurückgewiesen habe, sei sie möglicherweise in ihrem Ego verletzt wor-
den. Letztlich seien auch die anderen Zeugen nicht in der Lage gewesen, die
Aussage der Zeugin Bl. zu untermauern. Anders als die Kammer es im Urteil
festgestellt habe, habe kein Zeuge bestätigen können, dass die Soldatin an die-
sem Abend einen verheulten oder gar völlig derangierten Eindruck gemacht
habe. Wenn die Möglichkeit bestehe, dass die Zeugin nur verschlafen ausge-
sehen habe, so hätte nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ davon ausgegan-
gen werden müssen, dass sie einfach nur verschlafen war und nicht verheult.
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III
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, ihre Förmlichkeiten sind gewahrt
(§ 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 WDO).
Das Rechtsmittel des Soldaten ist ausdrücklich und nach dem maßgeblichen
Inhalt seiner Begründung in vollem Umfang eingelegt worden. Der Senat hat
deshalb im Rahmen der Anschuldigung (§ 107 Abs. 1 i.V.m. § 123 Satz 3
WDO) eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen, diese rechtlich zu wür-
digen und gegebenenfalls die angemessene Disziplinarmaßnahme zu finden,
wobei er an das Verschlechterungsverbot (§ 331 Abs. 1 StPO i.V.m. § 91
Abs. 1 Satz 1 WDO) gebunden ist.
Die Berufung des Soldaten ist erfolgreich.
Ein zur Überzeugung des Senats sicherer Nachweis des angeschuldigten Vor-
wurfs ist nicht mit der nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 261 StPO erforder-
lichen Gewissheit erbracht. Nach dieser Regelung hat das Gericht über das
Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Ver-
handlung geschöpften Überzeugung zu entscheiden. Dabei kommt es allein
darauf an, ob der Tatrichter die persönliche Überzeugung von einem bestimm-
ten Sachverhalt erlangt hat oder nicht. Das Gericht muss von der persönlichen
Schuld des Angeschuldigten überzeugt sein. Der Begriff der Überzeugung
schließt die Möglichkeit eines anderen, auch gegenteiligen Geschehensablaufs
nicht aus; denn im Bereich der vom Tatrichter zu würdigenden Tatsachen ist
der menschlichen Erkenntnis ein absolut sicheres Wissen über den Tathergang,
demgegenüber andere Möglichkeiten seines Ablaufs unter allen Umständen
ausscheiden müssten, verschlossen. Nach der gesetzlichen Regelung ist es
allein Aufgabe des Tatrichters, ohne Bindung an feste gesetzliche Beweisregeln
und nur nach seinem Gewissen verantwortlich zu prüfen und zu entscheiden,
ob er die an sich möglichen Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten
Sachverhalt überzeugen kann oder nicht (vgl. BGH, Urteile vom 9. Februar
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1957 - g.M. 2 StR 508/56 - BGHSt 10, 208 <209> und vom 7. Juni 1979 - g.G. 4
StR 441/87 - BGHSt 29, 18 <20>).
Die für die Überführung eines Angeschuldigten erforderliche persönliche Ge-
wissheit des Tatrichters erfordert ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes
Maß an Sicherheit, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen
(BGH, Urteil vom 8. Januar 1988 - 2 StR 551/87 - NStZ 1988, 236 <237>;
Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl. 2006, § 261 Rn. 2 m.w.N.; BVerwG, Urteile vom
12. Februar 2003 - BVerwG 2 WD 8.02 - BVerwGE 117, 371 = Buchholz 236.1
§ 7 SG Nr. 48 = NZWehrr 2003, 214 und vom 11. Oktober 2007 - BVerwG
2 WD 5.06 -). Zwar ist zur Überführung des Angeschuldigten keine „mathemati-
sche“ Gewissheit erforderlich. Der Beweis muss jedoch mit lückenlosen, nach-
vollziehbaren logischen Argumenten geführt sein. Die Beweiswürdigung muss
auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beru-
hen und muss erschöpfend sein. Der Tatrichter ist gehalten, sich mit den von
ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen
Gesichtpunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweiser-
gebnis zu beeinflussen, sowie die Tatsachen und deren Würdigung in den Ur-
teilsgründen darzulegen (Urteile vom 12. Februar 2003 a.a.O. und vom 11. Ok-
tober 2007 a.a.O. im Anschluss an die ständige Rechtsprechung des BGH zu
§ 261 StPO, vgl. u.a. Beschlüsse vom 5. August 1997 - 5 StR 178/97 - NStZ-
RR 1998, 15 m.w.N. und vom 17. Januar 2002 - 3 StR 417/01 - NStZ-RR 2002,
147 m.w.N.). Allein damit wird die Unschuldsvermutung widerlegt (vgl. Urteil
vom 11. Oktober 2007 a.a.O.). Hängt die Entscheidung bei gegensätzlichen
Aussagen des Angeschuldigten und von Zeugen allein davon ab, welchen An-
gaben das Gericht glaubt, dann müssen, damit es nicht zu einer Verurteilung
aufgrund einer subjektiven Fehlbeurteilung der Zeugenaussage(n) kommt, alle
Umstände, denen eine indizielle Bedeutung für die Schuld oder Unschuld des
Angeschuldigten zukommen kann, in die Beweiswürdigung eingestellt und in
den Urteilsgründen dargelegt werden (vgl. dazu BGH, Urteil vom 3. Februar
1993 - 2 StR 531/92 - StV 1994, 526 m.w.N., Beschluss vom 6. März 2002 - 5
StR 501/01 - NStZ-RR 2002, 174 <175> m.w.N. und BVerwG, Urteile vom
12. Februar 2003 a.a.O. und 11. Oktober 2007 a.a.O., Meyer-Goßner, a.a.O.
Rn. 11 f. m.w.N.). Selbst wenn einzelne Indizien jeweils für sich genommen
noch keine vernünftigen Zweifel an der Richtigkeit einer den Angeschuldigten
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belastenden Aussage aufkommen lassen, so kann jedoch eine Häufung solcher
Indizien bei einer Gesamtbetrachtung zu solchen Zweifeln führen (BGH, Urteile
vom 16. Dezember 1987 - 2 StR 495/87 - StV 1988, 511 und vom 19. Juli 1989
- 2 StR 182/89 - StV 1990, 99 m.w.N.; vgl. zur Gesamtbetrachtung BVerwG,
Urteile vom 12. Februar 2003 a.a.O. und 11. Oktober 2007 a.a.O.).
Nach Maßgabe dieser Anforderungen hat der Senat auf der Grundlage der
durchgeführten Beweisaufnahme und der vorgenommenen Gesamtwürdigung
aller be- und entlastenden Beweismittel nicht die erforderliche Gewissheit ge-
winnen können, dass der Soldat das ihm zur Last gelegte Fehlverhalten began-
gen hat, obwohl viel dafür spricht.
Aufgrund der Einlassung des Soldaten, soweit ihr gefolgt werden kann, der ge-
mäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 StPO zum Gegen-
stand der Berufungshauptverhandlung gemachten Urkunden und Schriftstücke,
der Aussagen der in der Berufungshauptverhandlung vernommenen Zeugen
Hauptgefreite d.R. … Bl., Stabsunteroffizier … R., Hauptfeldwebel … Bö.,
Hauptgefreiter d.R. … Bä., Oberstabsgefreiter d.R. … Ko., Oberstleutnant …
Ne., Hauptmann d.R. … P., Oberfeldwebel d.R. … Op., Stabsgefreite … Te.,
Unteroffizier … … St., Stabsgefreiter d.R. … M. und Hauptmann … B… hat der
Senat folgenden Sachverhalt festgestellt:
Der Soldat befand sich von November 2004 bis April 2005 im Auslandseinsatz
der Bundeswehr im Kosovo im Rahmen des 10. Deutschen Einsatzkontingents
der „Kosovo Force“ (KFOR). Dort war er als Staffelführer der mobilen Staffel
…bataillon KFOR eingesetzt. Die Zeugin Bl. gehörte dieser …staffel an. Der
Soldat hatte die Zeugin Bl. schon während der Einsatzvorbereitung im Inland
bei der …bataillon 1 in Ro. (…) kennengelernt. Im KFOR-Feldlager P. waren sie
in unterschiedlichen Unterkunftsgebäuden untergebracht. In der Silvesternacht
2004/2005 kam es zum sexuellen Kontakt zwischen der Zeugin Bl. und dem
Soldaten. Beide hatten zuvor zusammen mit anderen Kameraden in der „…bar“
im Feldlager P. gefeiert. Gegen 0.30 Uhr des 1. Januar 2005 begleiteten die
Zeugin und der Hauptgefreite St. den Soldaten untergehakt in dessen Unter-
kunft. Diese Stube teilte sich der Soldat mit dem Hauptfeldwebel Sch., der
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schlafend im Bett lag. Die Zeugin und der Hauptgefreite St. legten ihre Waffen
auf der Stube ab und tranken zusammen mit dem Soldaten Bier. Nachdem sich
der Hauptgefreite St. abgemeldet hatte und auf seine Stube gegangen war,
kam es zwischen dem Soldaten und der Zeugin Bl. zum einvernehmlichen Ge-
schlechtsverkehr im Bett des Soldaten. Der im Raum schlafende Hauptfeldwe-
bel Sch. erwachte nicht.
Am nächsten Tag, dem 2. Januar 2005, teilte die Zeugin Bl. dem Soldaten ihre
Handynummer mit, worauf beide, im Abstand von wenigen Tagen, mehrere
SMS austauschten. Diese hatten teilweise dienstlichen Inhalt, wurden aber im
Laufe der Zeit intim. Einige SMS enthielten u.a. Aufforderungen wie „Willst du
ficken?“, „Willst du geblasen werden?“. Dem Zeugen R. zeigte die Zeugin Bl.
eine dieser elektronischen Mitteilungen, die dieser als vom Soldaten stammend
identifizierte.
Anfang April 2005 wurde durch den Kompaniechef der …bataillon KFOR in P.
das Personal für eine Patrouillenfahrt nach O. eingeteilt. Die Aufgabe bestand
in der Sicherung des vornehmlich von Serben bewohnten Viertels für die Dauer
von zwei Tagen. Der Soldat wurde als Zugführer des Sicherungszuges einge-
setzt und ihm wurde die Zeugin Bl. als Fahrerin für das Fahrzeug Typ „Wolf“
zugeteilt. Der Soldat wollte dies nicht und erhielt die Genehmigung, die
Truppeinteilung selbst vorzunehmen. Daraufhin bestimmte er den Zeugen D.
als seinen Fahrer und die Zeugin Bl. als Funkerin. Am Samstag, dem 2. April
2005, trafen die Zeugin Bl. zusammen mit dem Soldaten und dem Hauptgefrei-
ten D. gegen 0.00 Uhr nach einer Patrouillenfahrt im Rahmen des Erkundungs-
auftrages im Gefechtsstand in der „Villa O.“ ein. Das dort untergebrachte Zwi-
schenlager O. bestand aus zwei alten serbischen Häusern, die durch Stachel-
draht-verhaue und einen am Eingangstor befindlichen Wachturm vor unbefug-
tem Zutritt gesichert waren. Das Haus I diente als Unterkunft und Gefechts-
stand, das links daran unmittelbar anschließende Haus II vornehmlich als Un-
terkunft. Der Gefechtsstand befand sich im Erdgeschoss des Hauses I neben
der Küche. Zu den Unterkunftsräumen gelangte man über eine hinter einem
Holzverschlag gelegene Treppe. Ein Unterkunftsraum lag links, der andere
rechts von der Treppe. Die Verteilung des Personals auf die Unterkunftsräume
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war schon im Vorfeld vorgenommen worden. Dabei sollte der Zugtrupp des
Soldaten in dem im Haus I links von der Treppe gelegenen Raum 1 übernach-
ten. Nach der Ankunft in O. meldete sich der Soldat, an diesem Tag der einzige
deutsche Offizier vor Ort, im Gefechtsstand zurück, trank einen Kaffee und
rauchte zwei bis drei Zigaretten. Der Zeuge D. war zu diesem Zeitpunkt mit der
Fahrzeugnachbereitung beschäftigt. Die Zeugin Bl. hatte bereits den für den
Zugtrupp vorgesehenen Raum 1 im Haus I aufgesucht und festgestellt, dass
sich dort zwei österreichische Soldaten befanden. Sie begab sich in den Ge-
fechtsstand und meldete, dass sie in dem ihr eigentlich zugewiesenen Raum 1
nun nicht schlafen könne. Der Zeuge Op. schlug daraufhin vor, die Zeugin Bl.
solle sich in den freien, für eine noch nicht vor Ort befindliche Patrouille reser-
vierten Raum 2, der insgesamt über 12 Schlafplätze verfügte, begeben. Die
Zeugin bezog in diesem Raum das untere Etagenbett, welches ca. 1 bis 2 Me-
ter quer rechts neben der Tür stand. Um nicht vom Licht gestört zu werden und
um eine Sichtbarriere zu ihrem Bett herzustellen, verhängte sie die schmalere
Frontseite des Bettes mit ihrer Feldbluse und etwa die Hälfte der Längsseite
des Bettes (ca. 1 m) mit einer Pferdedecke, sodass ihr Oberkörper weitgehend
verdeckt wurde. Der Soldat begab sich gegen 0.20 Uhr in den Raum 1, in wel-
chem sich seine Ausrüstung befand. Zu diesem Zeitpunkt schliefen dort die
zwei österreichischen Soldaten sowie der Hauptgefreite D. Wegen der nach
Aussage des Soldaten starken Schnarchgeräusche eines der beiden österrei-
chischen Soldaten befürchtete er, nicht einschlafen zu können. Er verließ den
Raum und begab sich erneut in den Gefechtsstand. Den dort anwesenden Ka-
meraden teilte er mit, dass er ebenfalls im Unterkunftsraum 2 übernachten wer-
de, weil er in dem ursprünglich für den Zugtrupp vorgesehenen Raum nicht
schlafen könne. Nachdem der Soldat Teile seiner Ausrüstung aus dem Raum 1
geholt hatte, betrat er den Raum 2, in dem sich die Zeugin Bl. befand. Seit sei-
ner Ankunft gegen 0.00 Uhr in der „Villa O.“ waren zwischen 20 und 40 Minuten
vergangen. Als der Soldat die Stube der Zeugin Bl. betrat, schlief diese noch
nicht, sondern „döste“ vor sich hin. Sie sagte zu ihm, ohne zu wissen, wer den
Raum betreten hatte, er brauche nicht leise zu sein, denn sie schlafe noch
nicht. Das Licht war zu diesem Zeitpunkt eingeschaltet. Der Soldat begab sich
zum Etagenbett, welches in der hinteren rechten Ecke des Raumes stand und
stellte dort seine Sachen ab. Was sich anschließend bis etwa 1.00 Uhr im
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Raum 2 ereignete, konnte der Senat nicht mit der erforderlichen Sicherheit fest-
stellen. Gegen 1.00 Uhr stand die Zeugin Bl. auf, verließ den Raum und begab
sich in den Gefechtsstand. Dort traf sie auf den Zeugen R., der in diesem Mo-
ment ihre SMS, die um 0.41 Uhr mit dem Inhalt:
auf seinem Handy eingegangen war, gelesen
hatte und gerade überlegte, ihr zu antworten. Die Zeugin kam dem Zeugen R.
leicht verängstigt und verstört vor. Weil er sich nicht im Klaren war, wie er auf
diese SMS reagieren sollte und das Gefühl hatte, dass die Zeugin Bl. nicht da-
rüber reden wollte, sprach er sie auf den von ihr geschilderten Vorfall nicht an.
Zu diesem Zeitpunkt waren neben dem Zeugen Op. noch andere Soldaten im
Gefechtsstand anwesend. Die Zeugin Bl. setzte sich dem Zeugen R. gegen-
über. Sie unterhielten sich nicht. Die Zeugin Bl. schrieb dem Zeugen R. in den
folgenden ca. 50 Minuten folgende SMS:
„Der hat seinen hässlichen Schwanz rausgeholt und ich
sollte den in Mund nehmen. dann wollte der mich
anfummeln. Ekel mich. kann nicht ins Bett. der ist da.“
(1:04 Uhr)
„Ich werde nicht schlafen. habe fast geheult und gebettelt,
er soll das lassen, aber dann hat er sich vor mir einen ge-
wichst und wollte, dass ich schlucke.“ (1:12 Uhr)
„Mich umbringen! Ganz ehrlich, ich kann nachts seit lan-
gem nicht mehr schlafen. wache so oft auf: (du kannst
doch eh nix machen!“ (1:29 Uhr)
„Ich gehe jetzt hoch und lege mich in meinen Schlafsack.
Wenn er es noch mal versucht, zieht er seine Bluse aus.
Habe Angst! Na ja, gute Nacht.“ (2:02 Uhr)
Im Zeitraum zwischen 1:00 und 2:00 Uhr suchte der Zeuge R. einmal die außer-
halb des Hauses befindliche Toilette auf, wobei er die sich ebenfalls kurz im Hof
aufhaltende Zeugin Bl. traf. Eine Unterredung zwischen beiden fand jedoch
nicht statt. Kurz nach 2.00 Uhr legte sich die Zeugin Bl. wieder im Raum 2
schlafen. Zuvor hatte sie den Zeugen R. gebeten, hin und wieder nach ihr zu
schauen, was dieser bis ca. 3.00 Uhr auch zweimal tat. Im abgedunkelten
Raum tauschte die Zeugin Bl. weitere SMS aus. Dies störte den Soldaten, da er
das Geräusch der eingehenden SMS hören konnte. Weil er nicht mehr schlafen
konnte, verließ er gegen 3.00 Uhr den Raum und begab sich in den Gefechts-
stand, in dem er sich bis ca. 5.30 Uhr aufhielt. Nachdem er die Zeugin Bl. ge-
weckt hatte bzw. sie wecken ließ, machte man sich dienstfertig und begab sich
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gegen 6.00 Uhr mit dem Fahrzeug „Wolf“ in die Stadt O.. Um 7.16 Uhr erhielt
der Zeuge R. von der Zeugin Bl. eine weitere SMS mit folgendem Inhalt:
Zwei Tage später
erzählte die Zeugin Bl. dem Zeugen Bä., sie sei vom Soldaten sexuell belästigt
worden. Im Wesentlichen gab sie dabei das Geschehen, so wie in ihren SMS
an den Zeugen R. geschildert, wieder. Der Zeuge Bä. riet ihr, ohne selbst etwas
unternehmen zu wollen, den Vorfall zu melden. Später wurden auch die Zeugin
Te. und der Zeuge Ko., die damalige Vertrauensperson der Mannschaften, von
den Geschehnissen unterrichtet. Die Zeugin Bl. bat den Zeugen Ko., den Vorfall
nicht zu melden, zumindest aber überließ sie ihm die Entscheidung darüber.
Weil sich der Zeuge Ko. zur Meldung „von Amts wegen“ verpflichtet fühlte, teilte
er den Sachverhalt am darauffolgenden Tag dem gemeinsamen Vorgesetzten
mit.
Hinsichtlich des Geschehens, das sich im Raum 2 zwischen etwa 0.40 Uhr und
1.00 Uhr in der Nacht vom 2. zum 3. April 2005 ereignete, hat die Zeugin Bl.
ausgesagt, der Soldat habe sie, als er in den Raum gekommen sei, angespro-
chen und direkt vor ihrem Gesicht gestanden. Er habe sie sofort aufgefordert,
ihn auf den Mund und auf sein Glied zu küssen. Als sie, die Zeugin, dem nicht
nachgekommen sei, habe er seine Hose halb heruntergelassen, sein Ge-
schlechtsteil mit der Hand hervorgeholt und direkt vor ihrem Gesicht mastur-
biert. Dabei habe er sie erneut mehrmals aufgefordert, ihn auf das Glied zu
küssen. Ihr, der Zeugin, sei dies höchst unangenehm gewesen und sie habe
sich geekelt. Um den Soldaten von weiterem Handeln abzuhalten, habe sie
vorgegeben, dass jemand die Treppe heraufkomme. Der Soldat habe dann sei-
ne Hose hochgezogen und sei zur ca. eineinhalb Meter vom Bett entfernten Tür
gegangen. Er habe gehorcht, um festzustellen, ob jemand komme. In diesem
Zeitraum von ca. 10 bis 15 Sekunden habe sie mit dem neben ihrem Kopf ab-
gelegten Handy an den Zeugen R., der sich im Gefechtsstand befand und des-
sen Handynummer sie gespeichert hatte, folgende SMS verfasst und versen-
det: Als der Soldat
bemerkt habe, dass sich niemand vor der Tür befand, habe er Anstalten ge-
macht zurückzugehen, worauf die Zeugin, weil sie mit dem Verfassen der SMS
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noch nicht fertig gewesen sei, ihm noch einmal bedeutet habe, dass jemand
kommen könne. Daraufhin habe der Soldat wiederum kurz nachgehorcht und
sei erst dann zum Bett der Zeugin zurückgegangen. Er habe seine Hose erneut
heruntergelassen und die Zeugin aufgefordert, ihn auf sein Geschlechtsteil zu
küssen. Nachdem sie sich umgedreht und angefangen habe zu weinen, habe
der Soldat von ihr abgelassen und sich in sein Bett gelegt.
Ferner hat die Zeugin in der Berufungshauptverhandlung ausgesagt, es sei im
Vorfeld der Tat, im Januar oder spätestens im Februar 2005, zu einem zweiten
einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zwischen dem Soldaten und ihr im Auf-
enthaltsraum der Staffel gekommen. Der Soldat habe sich im Vorfeld mit ihr per
SMS verabredet, sich an einem Abend gegen 20.00 Uhr mit ihr zu treffen. Sie
sei dabei davon ausgegangen, dass es zu Intimitäten kommen würde. Der Sol-
dat habe sie vor dem Aufenthaltscontainer der Staffel, für den er einen Schlüs-
sel hatte, erwartet, habe das dort befindliche Vorhängeschloss geöffnet und
zusammen mit der Zeugin den Raum betreten. Dort hätten sich u.a. ein Fern-
seher, ein Tisch, Sessel und ein Sofa befunden. Beide hätten sich dort ca. eine
Stunde lang aufgehalten und den Geschlechtsverkehr vollzogen.
Diese den Soldaten belastenden Aussagen der Zeugin Bl. waren in weiten Tei-
len nachvollziehbar. Im Zuge ihrer mehrfachen außergerichtlichen und gerichtli-
chen Einlassungen blieb sich die Zeugin bezüglich der Schilderung des Kern-
geschehens weitgehend treu. Durchgängig hat sie ausgesagt, der Soldat sei,
als sie in der besagten Nacht vom 2. auf den 3. April 2005 im Bett gelegen ha-
be, zu ihr gekommen, habe sie mündlich aufgefordert, ihm einen Kuss auf den
Mund und einen „Gute-Nacht-Kuss“ auf sein Glied zu geben, habe dann die
Hose heruntergezogen und an seinem Glied manipuliert.
Der Soldat hat jedoch bestritten, die Zeugin Bl. in der Nacht vom 2. auf den 3.
April 2005 sexuell belästigt zu haben. Er habe sich, ohne jeden Hintergedan-
ken, nur deswegen auf die Stube der Zeugin begeben, weil er die lauten
Schnarchgeräusche eines österreichischen Soldaten nicht habe ertragen kön-
nen. Er sei im Raum 2 von der Zeugin Bl. sinngemäß gefragt worden, ob sie „so
etwas Schönes“ wie in der Silvesternacht nicht noch einmal wiederholen woll-
ten. Da er diese Aufforderung nicht als Angebot zum sofortigen Geschlechts-
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verkehr, sondern als eine allgemeine Fragestellung aufgefasst habe, habe er
ausweichend entgegnet, dass er es zwar schön gefunden habe, er es aber
nicht mehr wiederholen wolle. Daraufhin habe sich die Zeugin „mürrisch“ zur
Seite gedreht. Er habe den Eindruck gehabt, dass ihr seine Antwort nicht gefal-
len habe. Er habe sich in sein Bett gelegt und die Zeugin Bl. aufgefordert das
Licht zu löschen. Als diese dem nicht nachgekommen sei, sei er aufgestanden
und habe das Licht ausgemacht. Er habe schon damals den sexuellen Kontakt
zur Zeugin Bl. in der Silvesternacht bereut und sei auch heute der Meinung,
dass sein Verhalten nicht richtig gewesen sei. Er habe sich geschämt und des-
halb Abstand davon genommen, die intime Beziehung seinem Vorgesetzten,
dem er ansonsten voll vertraute, zu melden. Erschreckt hätten ihn auch die dis-
ziplinaren Konsequenzen, die ein ihm bekannter Kompaniechef habe erleiden
müssen, weil er eine sexuelle Beziehung zu einer Untergebenen aufgenommen
hatte. Deshalb habe er in der Folgezeit alles versucht, der Zeugin aus dem Weg
zu gehen und nur in Gegenwart Dritter mit ihr zusammenzutreffen. Er habe
deshalb die Zeugin auch nicht als seine Kraftfahrerin auf der Patrouille einset-
zen wollen. Am Abend des 2. April 2005 habe er aber seine Einheit alarmieren
müssen, da nicht auszuschließen gewesen sei, dass sich in dem von ihr zu
kontrollierenden „Serbenviertel“ ein sicherheitsrelevanter Vorfall ereignet hatte.
Er sei später völlig übermüdet, aber dennoch so „aufgekratzt“ gewesen, dass er
überhaupt nicht darüber nachgedacht habe, in dieser Nacht mit der Zeugin al-
leine im Raum zu sein. Es sei dort lediglich zu dem von ihm geschilderten kur-
zen Gespräch gekommen, dessen Inhalt der Zeugin Bl. nicht gefallen habe.
Darum habe sie ihm wohl „eins auswischen wollen“ und nicht bedacht, welche
Folgen daraus entstehen könnten.
Der Soldat hat auch bestritten, dass es im Januar/Februar 2005 oder danach zu
einem zweiten Geschlechtsverkehr mit der Zeugin Bl. gekommen sei. Die Zeu-
gin sage diesbezüglich die Unwahrheit. Es sei unmöglich gewesen, im abseits
der Staffelräume gelegenen Aufenthaltsraum der Staffel unbemerkt intim wer-
den zu können. Der Container habe so nahe an einem Weg gelegen, dass jeder
Vorbeigehende leicht in ihn habe hineinblicken können. Zudem habe sich der
Schlüssel für diesen Bereich im Geschäftszimmer der Staffel befunden, sodass
man ihn nicht unbeobachtet habe an sich nehmen können. Ferner befände sich
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im Eingangsbereich des Containers ein Bewegungsmelder, durch den sich
beim Betreten Licht eingeschaltet hätte, sodass es sofort aufgefallen wäre,
wenn sie sich dort aufgehalten hätten. Im Übrigen hätten sich im Aufenthalts-
raum oft Kameraden aufgehalten, um fernzusehen oder Video-Spiele zu spie-
len.
Diese Einlassungen des Soldaten sind wenig glaubhaft. Sie können ihm jedoch
nicht mit der erforderlichen Gewissheit widerlegt werden.
Die mangelnde Glaubhaftigkeit der Einlassungen des Soldaten ergibt sich be-
reits aus dem Umstand, dass er hinsichtlich seines Verhältnisses zur Zeugin Bl.
erkennbar nicht die Wahrheit gesagt hat. Nach der Überzeugung des Senats ist
nämlich davon auszugehen, dass es, entgegen den Bekundungen des Solda-
ten, nach der Silvesternacht 2004/2005 im Januar/Februar 2005 zu einem zwei-
ten Geschlechtsverkehr mit der Zeugin Bl. kam. In der Berufungshauptverhand-
lung hat die Zeugin dies zwar erst nach zweimaliger intensiver Nachfrage ein-
geräumt. Das begründet Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit. Die diesbezüglich
von ihr zu Protokoll gegebenen konkreten, anschaulichen und detailreichen
Schilderungen der Ereignisse an diesem Abend sind jedoch dennoch glaubhaft.
Dies gilt auch für die Beschreibung der in Rede stehenden Örtlichkeiten im
Feldlager P. Der Soldat ist diesen nicht konkret entgegengetreten, sondern hat
sich auf wenig glaubhafte allgemein gehaltene Schutzbehauptungen be-
schränkt. Die Einlassung des Soldaten, es sei unmöglich gewesen, im Aufent-
haltsraum der Staffel unbeobachtet sexuellen Kontakt zu haben, ist widerlegt.
Tatsächlich war es nach den vom Senat festgestellten Gesamtumständen für
den Soldaten und die Zeugin relativ leicht möglich, dort unbemerkt intim zu
werden. Der Aufenthaltsbereich war zwar am Tage für Jedermann zugänglich.
Bis ca. 19.00 Uhr hielt sich dort ein Posten auf, anschließend wurde der Bereich
mit einem Vorhängeschloss verschlossen und der Schlüssel im Geschäftszim-
mer der Staffel hinterlegt. Jeder Staffelangehörige war aber berechtigt, den
Schlüssel an sich zu nehmen und sich damit jederzeit Zutritt zum Aufenthalts-
raum zu verschaffen. Der Soldat hat auf mehrfaches Befragen hin eingeräumt,
dass es für ihn kein Problem gewesen sei, in den Besitz des Schlüssels zu
kommen. Selbst wenn dies ein im Geschäftszimmer befindlicher Kamerad be-
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merkt hätte, hätte dieser daran nichts Ungewöhnliches gefunden, da der Auf-
enthaltsraum gelegentlich für Videospiele und Fernsehen auch innerhalb der
Verschlusszeiten von Staffelangehörigen genutzt wurde. Niemanden hätte es
daher gewundert, wenn gegen 20.00 Uhr in diesem Bereich Licht eingeschaltet
worden wäre. Wie die Zeugin Bl. bekundet hat, habe der Geschlechtsverkehr
ohnehin nach 20.00 Uhr im Dunkeln stattgefunden. Somit wäre es auch schwie-
rig gewesen, das Geschehen von außen durch das Fenster zu beobachten.
Ferner dürfte den Soldaten eine theoretisch bestehende Entdeckungsmöglich-
keit nicht von seinem Vorhaben abgeschreckt haben. Schon in der Silvester-
nacht war er das Risiko eingegangen, beim Intimverkehr jederzeit durch den im
Raum befindlichen Hauptfeldwebel Sch. beobachtet werden zu können. Zudem
hatte sich der Soldat zu diesem Zeitpunkt, Ende Januar/Anfang Februar 2005,
nachweislich noch nicht von der Zeugin Bl. abgewandt. Er selbst hat einge-
räumt, nach dem Geschlechtsverkehr in der Silvesternacht sei es zum Aus-
tausch intimer SMS gekommen, was für einen Fall auch vom Zeugen R. bestä-
tigt worden ist. Gegen die Einlassung des Soldaten spricht auch, dass die Zeu-
gin Te. wiederholt, konkret und widerspruchsfrei bestätigt hat, im angegebenen
Zeitraum Januar/Februar 2005 mit der Zeugin Bl. über ein bevorstehendes Tref-
fen mit dem Soldaten gesprochen zu haben. Als die Zeugin Bl. zurückgekom-
men sei, habe sie angedeutet, mit dem Soldaten erneut intim geworden zu sein;
das Gesicht der Zeugin Bl. sei leicht errötet gewesen.
Wenig glaubhaft sind die Einlassungen des Soldaten noch aus weiteren Grün-
den. Bezüglich des Kerngeschehens ist es für den Senat schwer nachvollzieh-
bar, warum der Soldat in der Nacht vom 2. auf den 3. April 2005 ohne zu zö-
gern den Raum 2 des Hauses I als Schlafplatz wählte, obwohl er wusste, dass
sich dort nur die Zeugin Bl. aufhielt. Nach eigenen Angaben hatte er nach dem
ersten Geschlechtsverkehr in der Silvesternacht 2004/2005 bis zum Zeitpunkt
des angeschuldigten Vorfalls stets peinlich genau darauf geachtet, mit der Zeu-
gin Bl. nicht alleine zu sein. Obwohl der Soldat also - aus Angst vor persönli-
chen Nachteilen - über einen relativ langen Zeitraum immer wieder versucht
haben will, der Zeugin Bl. auszuweichen und nur in Anwesenheit Dritter mit ihr
zusammen zu sein, stellte er nun ohne Not alle bisherigen Bedenken hinten an
und begab sich ausgerechnet in die sehr verfängliche Situation, mit der ihm
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damals direkt unterstellten Zeugin alleine in einem Raum zu übernachten. Sei-
ne diesbezügliche Einlassung, er sei übermüdet gewesen und nach der Alar-
mierung der Einheit wegen eines möglichen Vorfalls im „Serbenviertel“ so in
Anspruch genommen worden, dass er sich keine Gedanken darüber gemacht
habe, überzeugt nicht. Nachdem der Soldat von der Patrouille zurückgekom-
men und die Alarmierung beendet worden war, hielt er sich noch ca. 20 Minuten
rauchend im Gefechtsstand auf. Er ging dann in den Schlafraum 1, holte seine
Sachen und informierte seine Kameraden über seine Absicht, nun im Raum 2
schlafen zu wollen. Er hatte genügend Zeit, sich über die Situation Gedanken
zu machen. Zudem war er nicht gezwungen, im Raum 2 zu übernachten, da
anderweitige Ausweichmöglichkeiten vorhanden waren. Das Haus II verfügte
ebenfalls über zwei Schlafräume. Auch dort wäre der Soldat in einem Notfall
augenblicklich erreichbar gewesen. Schließlich schlief er in dieser Nacht ohne-
hin nicht, sondern stand bereits um 3.00 Uhr wieder auf und verblieb bis zum
Wecken im Gefechtsstand.
Ferner spricht gegen die Einlassung des Soldaten, dass die Zeugin Bl. nach-
weislich mehrere SMS an den Zeugen R. sendete, die das dem Soldaten zur
Last gelegte Verhalten relativ genau beschreiben. Die erste SMS erhielt der
Zeuge R. um 0.41 Uhr. Es handelte sich dabei um einen Hilferuf der Zeugin Bl.,
wonach sie der Soldat gerade belästige - also zu einem Zeitpunkt, als die Zeu-
gin Bl. sich nachweislich zusammen mit dem Soldaten im Raum 2 des Hauses I
aufhielt. Auch die Aussage des Zeugen R., wonach die Zeugin Bl., als sie ca.
20 Minuten später wieder in den Gefechtsstand heruntergekommen sei, ver-
ängstigt und verstört gewirkt habe, indiziert das Vorliegen eines für sie „uner-
freulichen Ereignisses“. In den weiteren zwischen dem Zeugen R. und der Zeu-
gin Bl. bis ca. 2.02 Uhr ausgetauschten vier SMS, legte diese zwar bruchstück-
haft, jedoch relativ detailliert dar, was sich im Raum 2 ereignet haben soll. Die
Einlassung des Soldaten, die Zeugin Bl. habe sich dies ausgedacht, weil sie
über die Zurückweisung weiteren Geschlechtsverkehrs verärgert gewesen sei,
ist wenig glaubhaft. Nach eigenen Angaben ist er davon ausgegangen, die
Zeugin Bl. wolle nicht sofort Geschlechtsverkehr haben, sondern sei nur daran
interessiert gewesen, zu erfahren, ob dies zu einem späteren Zeitpunkt möglich
wäre. Seine ablehnende Antwort sei höflich formuliert und nicht zwingend als
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„abschließend“ zu verstehen gewesen. Wenn dem so war, hätte es näher gele-
gen, den Soldaten nicht zu verärgern, sondern sich im Gegenteil weiterhin „gut“
mit ihm zu stellen, um das angestrebte Ziel möglicherweise später doch noch
erreichen zu können. Gegen eine ungerechtfertigte Belastungsabsicht der Zeu-
gin spricht auch, dass ihr die Zeit dafür gefehlt haben dürfte, sich den anschlie-
ßenden Geschehensablauf ausgedacht zu haben. Weil es durch die Zeugin Bl.
nie zu einer Meldung des Vorfalls kam, hätte sie, sofern sie den Soldaten
ungerechtfertigterweise belasten wollte, in wenigen Minuten vorausplanen müs-
sen, dass andere Kameraden ihren Schilderungen Glauben schenken und an-
schließend ihrerseits tätig werden würden. Dementsprechend hätte sie wollen
und voraussehen müssen, dass der Zeuge R. trotz der von ihr versandten „Hil-
feruf-SMS“ „still“ hielte und die erst später informierten Zeugen Te., Ko. und Bä.
ihrer ausdrücklich erklärten Bitte, den Vorfall nicht zu melden, zuwiderhandeln
würden. Zudem spricht gegen ein geplantes Vorgehen, dass die Zeugin Bl.
nicht wissen konnte, dass der Zeuge R. ihre um 0.41 Uhr versandte SMS erst
wesentlich später lesen würde. Sie hätte im Gegenteil damit rechnen müssen,
dass dieser ihr sofort zu Hilfe kommen würde, womit der Plan aber gescheitert
wäre. Auch die äußeren Umstände sprechen für eine Täterschaft des Soldaten.
Er war mit der Zeugin Bl. allein im Raum. Die im benachbarten Unterkunftsraum
befindlichen beiden Österreicher und der Hauptgefreite D. schliefen fest. Die
Zeugin Bl. war dem Soldaten in sexueller Hinsicht nicht unbekannt; sie hatten
im Vorfeld miteinander einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gehabt. Somit ist
es nicht unwahrscheinlich, dass der Soldat in der Nacht vom 2. auf den 3. April
2005 die sich ihm bietende Gelegenheit nutzte und versuchte, einen dritten In-
timverkehr einzufordern. Das diesbezügliche Risiko war für ihn als gering ein-
zuschätzen, da er durchaus damit rechnen konnte, die Zeugin würde auch ein
weiteres Mal ihr Einverständnis erteilen. Zumindest musste der Soldat nicht da-
von ausgehen, die Zeugin Bl. würde den Vorfall melden. Auch die Einlassung
der Verteidigung, die Ausübung des Sexualverkehrs im Raum 2 sei viel zu „ge-
fährlich“ gewesen, da im Gefechtsstand andere Kameraden anwesend und die
Wände nicht schalldicht gewesen seien, vermag nicht zu überzeugen. Bereits in
der Silvesternacht 2004/2005 ließ sich der Soldat nicht davon abschrecken,
während neben ihm ein Kamerad schlafend im Bett lag, den Geschlechtsver-
kehr mit der Zeugin Bl. zu vollziehen. Auch beim zweiten intimen Kontakt im
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Aufenthaltsraum der Staffel bestand nach Angaben des Soldaten die Möglich-
keit der Entdeckung. Darum ist nicht auszuschließen, dass der Soldat in O. ein
vergleichbares Risiko ein drittes Mal auf sich nahm. Insbesondere musste er,
sofern er anfangs eine Einwilligung der Zeugin Bl. in den Intimverkehr erwartet
hatte, aufgrund der Erlasslage, die dies zumindest außerhalb des Dienstes
nicht untersagt, mit keinen oder zumindest nicht mit erheblichen dienstrechtli-
chen Konsequenzen rechnen.
Trotz der dargelegten, für eine Täterschaft des Soldaten sprechenden Anhalts-
punkte und Umstände ist im Rahmen der Gesamtwürdigung aller zur Verfügung
stehenden Beweismittel dennoch nicht gänzlich auszuschließen, dass der Sol-
dat die Tat, zumindest so wie angeschuldigt, nicht beging.
Nicht ausräumbare vernünftige Zweifel am Wahrheitsgehalt der den Soldaten
belastenden Aussagen der Zeugin Bl. liegen vor allem in deren Aussageverhal-
ten und ihrer daraus resultierenden mangelnden Glaubwürdigkeit begründet.
Die Tatsache, dass die Zeugin Bl. den Senat in der Berufungshauptverhandlung
bewusst belogen hat, lässt sie nicht in dem Maße glaubwürdig erscheinen, wie
es für eine letztlich auf ihren Aussagen basierende Verurteilung des Soldaten
notwendig gewesen wäre. In der Verhandlung vor dem Truppendienstgericht
hat die Zeugin Bl. erstmals bekundet, im Januar/Februar 2005 sei es zwischen
ihr und dem Soldaten zu einem zweiten Geschlechtsverkehr gekommen. Sie
hat dabei angegeben, sie habe diese Tatsache in der ersten Vernehmung durch
den Disziplinarvorgesetzten nicht erwähnt, da sie ihr unangenehm gewesen sei,
wolle aber nun aussagen, um ihre ins Wanken geratene Glaubwürdigkeit zu
erhöhen. In der Berufungshauptverhandlung, nachdem die Zeugin mehrfach zur
Wahrheit belehrt worden war, hat sie hingegen zunächst bekundet, nach Silves-
ter 2004/2005 habe kein weiterer Geschlechtsverkehr mit dem Soldaten stattge-
funden. Trotz des Vorhalts ihrer vor dem Truppendienstgericht davon abwei-
chenden Aussage hat die Zeugin Bl. jedoch weiter den zweiten Intimverkehr
sinngemäß mit den Worten abgestritten, es stimme nicht und sie könne sich
nicht daran erinnern, dieses vor dem Truppendienstgericht zu Protokoll gege-
ben zu haben. Erst auf den nachdrücklichen Hinweis des Senats, durch die
Aussage der Zeugin Te., die im Laufe der Berufungshauptverhandlung noch
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vernommen werde, könne unter Umständen der Nachweis eines zweiten Intim-
kontakts erbracht werden, hat die Zeugin Bl. eingeräumt, es sei im Januar oder
Februar 2005 tatsächlich zu einem weiteren Geschlechtsverkehr mit dem Sol-
daten gekommen. Somit steht fest, dass die Zeugin ausweislich ihrer eigenen
Angaben bewusst vor Gericht zunächst die Unwahrheit gesagt hat. Zwar muss
nicht jede Lüge eines Zeugen automatisch zu einem vollständigen Verlust sei-
ner Glaubwürdigkeit führen. Hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass die in Re-
de stehende unwahre Aussage zwar das Kerngeschehen nicht direkt betrifft, es
aber zumindest mittelbar berührt. Sowohl bei dem zweiten Geschlechtsverkehr
als auch bei der angeschuldigten Tat handelt es sich um intime Kontakte zwi-
schen der Zeugin Bl. und dem Soldaten während desselben Einsatzes und un-
ter ähnlich gelagerten äußeren Umständen. Der Frage, ob und wie oft es vor
dem angeschuldigten Ereignis zum einvernehmlichen Geschlechtsverkehr kam,
kommt insofern eine indizielle Bedeutung für ihre Glaubwürdigkeit zu, als da-
raus Rückschlüsse für die Bewertung der Persönlichkeit und der grundsätzli-
chen Verhaltensweisen der Beteiligten gezogen werden können. Folglich kann
der Senat nicht ausschließen, dass eine Zeugin, die trotz Nachfrage und Vor-
halts früherer einschlägiger Aussagen vorsätzlich über eine den konkreten Fall
tangierende Tatsache falsches Zeugnis ablegt, nicht auch in Bezug auf das
Kerngeschehen nicht in vollem Umfang die Wahrheit gesagt hat.
Zudem hat die Zeugin Bl. weitere Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit dadurch be-
gründet, dass sie, obwohl ihre durchaus von einer gewissen Originalität und
Individualität geprägten Einlassungen ansonsten nicht auf einen Belastungsei-
fer schließen ließen, immer dann bemüht gewesen ist, neue, den Soldaten be-
lastende Umstände „nachzulegen“, wenn sie vermutet hat, sonst unglaubwürdig
zu wirken. So hat sie, solange sie davon ausgegangen ist, das Verschweigen
des zweiten Intimverkehrs sei ihr nicht nachzuweisen, diesen nicht offenbart.
Erst als sie befürchten musste, die Lüge könne im Rahmen einer noch folgen-
den Zeugenvernehmung offenkundig werden, hat sie sich berichtigt. Auf den
Vorhalt, für das Verfassen der „Hilferuf-SMS“ an den Zeugen R. nur sehr kurze
Zeit zur Verfügung gehabt zu haben, hat sie in der Berufungshauptverhandlung
erstmalig ausgesagt, sie habe dem Soldaten, nachdem er kurz an der Treppe
gehorcht habe und zu ihr zurückkehren wollte, erneut bedeutet, etwas gehört zu
haben, worauf dieser wieder zur Tür und erst danach zur ihr zum Bett zurück-
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gegangen sei. Somit sei ihr genügend Zeit für die Versendung der SMS geblie-
ben. Ferner hat sie - nach dem genauen Tatverlauf befragt - nicht hinreichend
bestimmt darlegen können, wo der Soldat zum Zeitpunkt der vorgeblichen Tat-
ausführung an ihrem Bett gestanden hat. Stattdessen hat sie erstmalig und
spontan angegeben, den Geruch, der vom Geschlechtsteil des Soldaten aus-
gegangen sei, „noch genau in der Nase zu haben“.
Diese letztere Einlassung begründet aber auch in der Sache Zweifel an der
Glaubhaftigkeit ihrer Aussage. Die Zeugin Bl. hat bekundet, die schmalere
Frontseite ihres ca. 2 m langen Bettes mit einer Feldbluse und die Längsseite
zur Hälfte mit einer Pferdedecke verhängt zu haben. Sie habe dabei mit dem
Oberkörper hinter der Decke gelegen. Wiederholt, auch auf Nachfrage, hat sie
angegeben, sie habe sich nur zur Seite gedreht und sofort den Soldaten er-
kannt, der direkt vor ihrem Gesicht gestanden habe. Ihre Darstellung des Tat-
geschehens, insbesondere ihre Aussage, sie habe den Geruch seines Ge-
schlechtsteils noch genau in der Nase, wäre aber nur nachvollziehbar, wenn
sich die körperlich große Zeugin Bl., die im unteren Etagenbett lag, weit nach
vorne aus dem Bett heraus gebeugt oder die Pferdedecke entfernt bzw. zur Sei-
te geschoben hätte. Hätte die Zeugin Bl. sich, wie sie immer wieder angegeben
hat, lediglich zur Seite gedreht, hätte sie auf die Pferdedecke geschaut, sodass
sich der Soldat bzw. dessen Geschlechtsteil unmöglich direkt vor ihrem Gesicht
hätte befinden können. Trotz Hinweises auf die Widersprüchlichkeit ihrer Aus-
sage hat die Zeugin Bl. daran festgehalten. Sie war sich sicher, dass die Decke
nicht abgenommen worden war, hat sich aber auch nicht daran erinnern kön-
nen, ob diese zur Seite geschoben wurde. Auf weitere Nachfrage hat sie erklärt,
dass man die Decke sicher hätte wegschieben „können“, ob es so war, wisse
sie nicht. Die Zeugin Bl. wirkte in diesem Moment unsicher, sagte ausweichend
und abwartend aus und vermochte nicht zwischen tatsächlich Geschehenem
und von ihr lediglich Vermutetem zu unterscheiden. Offensichtlich bemüht, sich
nicht weiter in Widersprüche zu verstricken, hat sie es zunehmend vermieden
sich festzulegen; stattdessen hat sie mehrfach Fragen mit Gegenfragen „be-
antwortet“. Auch wenn nicht auszuschließen ist, dass die Zeugin Bl. durch tat-
sächlich gegebene Erinnerungslücken verunsichert gewesen sein könnte, las-
sen sich aufgrund der Widersprüchlichkeit und Lückenhaftigkeit des von ihr
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mehrfach geschilderten Tatverlaufs sowie ihres diesbezüglichen Aussagever-
haltens letzte Zweifel an der Täterschaft des Soldaten nicht ausräumen.
Schließlich liegen nach Auffassung des Senats weitere Umstände vor, die zu-
mindest geeignet sind, Zweifel am Wahrheitsgehalt der belastenden Aussagen
hervorzurufen. Fraglich bleibt zunächst, ob die Zeugin Bl. die „Hilferuf-SMS“ von
0.41 Uhr in dem ihr zur Verfügung stehenden kurzen Zeitraum, von ihr selbst
mit 15 Sekunden eingeschätzt, faktisch überhaupt schreiben und versenden
konnte. Das Bett der Zeugin Bl. befand sich ca. 1,5 m von der Tür entfernt.
Demnach musste der Soldat, als er nachsehen wollte, ob jemand die Treppe
hochkam, lediglich zwei bis drei Schritte machen. Dafür benötigte er allenfalls 2
bis 3 Sekunden. Unterstellt, er habe noch weitere 5 Sekunden an der Tür zur
Treppe gehorcht und sei weitere 2 bis 3 Sekunden später wieder bei der Zeugin
gewesen, hätte er ca. 10 bis 15 Sekunden für diesen Vorgang gebraucht.
Selbst wenn er, wie die Zeugin Bl. behauptet hat, noch einmal kurz zur Tür zu-
rückgekehrt sein sollte, oder erneut an der Tür verweilt hätte, dürfte es insge-
samt nicht länger als 20 bis 30 Sekunden gedauert haben, bis er wieder vor
dem Bett der Zeugin stand. In dieser Zeit hätte die Zeugin ihr neben dem Kopf
abgelegtes Handy in die Hand nehmen, einen aus 12 Worten bestehenden Text
schreiben, die Telefonnummer des Zeugen R. suchen, die SMS versenden und
dabei vermeiden müssen, vom Soldaten „ertappt“ zu werden. Letztlich lässt sich
allerdings nicht mit hineichender Sicherheit feststellen, wie viel Zeit die Zeugin
Bl. tatsächlich zur Verfügung hatte, um den Text zu verfassen und zu versen-
den, sodass eine Überprüfung ihrer praktischen Fähigkeiten im Umgang mit
dem Mobiltelefon in der Hauptverhandlung wenig sinnvoll gewesen wäre.
Wenig nachvollziehbar ist zudem, dass sich die Zeugin Bl. gegen 2.00 Uhr,
nachdem sie sich per SMS mit dem Zeugen R. über die vorgebliche Tat des
Soldaten ausgetauscht hatte, erneut in den Raum 2 begab, in dem sich der
Soldat noch immer befand. Kurz zuvor hatte sie dem Zeugen R. geschrieben:
Hätte sie
Angst vor dem Soldaten gehabt und hätte sie sich von seinem Handeln nach-
haltig betroffen gefühlt, wäre es zumindest naheliegend gewesen, sie wäre im
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„sicheren“ Gefechtsstand geblieben oder hätte sich ins Haus II begeben. Zu-
dem schlief sie, nachdem sie in den Raum 2 zurückgekehrt war, sofort ein, was
weniger auf eine Ängstlichkeit hindeutet, sondern mehr für eine gewisse Unbe-
kümmertheit der Zeugin angesichts des von ihr bekundeten Vorverhaltens des
Soldaten und ihrer dadurch möglicherweise ausgelösten Ängste spricht.
Ferner werden Zweifel am Wahrheitsgehalt der Bekundungen der Zeugin Bl.
dadurch begründet, dass sie mit dem Zeugen R. ausschließlich per SMS kom-
munizierte. Sofern man der Zeugin glaubte, sie habe nicht in Gegenwart der
anderen Kameraden, wie z.B. dem Zeugen Op., über den Vorfall reden wollen,
bleibt ungeklärt, warum sie nicht mit dem Zeugen R., den sie um Hilfe ersucht
hatte, nach draußen ging, um sich mit ihm zu unterhalten. Sie hat dafür keine
plausible Erklärung zu geben vermocht. Nach Aussage des Zeugen Op. be-
stand dazu jederzeit die Möglichkeit und es wäre auch nicht auffällig gewesen,
etwa unter dem Vorwand, rauchen oder die Toilette benutzen zu wollen, auf
den Hof zu gehen. Zudem trafen sich beide vor dem Gebäude ohnehin, als der
Zeuge R. die Toilette aufsuchte, nutzten aber auch diese Gelegenheit nicht zur
Erörterung des Vorgefallenen.
Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme vermag der Senat bei einer
Gesamtwürdigung der den Soldaten be- und entlastenden Beweismittel und
Umstände nicht die im Sinne des § 261 StPO erforderliche Gewissheit von der
Täterschaft des Soldaten zu gewinnen. Denn insgesamt verbleiben aus den
dargelegten Gründen trotz der den Soldaten erheblich belastenden Umstände
nicht ausgeräumte vernünftige Zweifel daran, dass der Soldat die ihm in der
Anschuldigungsschrift zur Last gelegte Tat begangen hat. Da andere Beweis-
mittel zum Nachweis des angeschuldigten Verhaltens nicht ersichtlich sind, ist
der Soldat daher nach dem gemäß Art. 20 Abs. 1 und 3 GG (Rechtsstaatsge-
bot) auch im Wehrdisziplinarrecht geltenden (stRspr, siehe auch Urteile vom
12. Februar 2003 - BVerwG 2 WD 8.02 - BVerwGE 117, 371 <375> = Buchholz
236.1 § 7 SG Nr. 48 = NZWehrr 2003, 214 und vom 16. Mai 2006 - BVerwG
2 WD 3.05 - NZWehrr 2006, 252 ) rechtsstaatli-
chen Zweifelssatz („in dubio pro reo“) von dem Vorwurf eines Dienstvergehens
freizusprechen.
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Da die Berufung des Soldaten damit Erfolg hatte, sind die Kosten des Verfah-
rens gemäß § 139 Abs. 1 Satz 1 WDO und die dem Soldaten erwachsenen
notwendigen Auslagen gemäß § 140 Abs. 1 WDO dem Bund aufzuerlegen.
Golze Prof. Dr. Widmaier Dr. Deiseroth
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