Urteil des BVerwG vom 22.10.2008

Soldat, Universität, Bedingter Vorsatz, Öffentlichkeit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 1.08
TDG N 7 VL 19/07
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
Herrn Leutnant ...,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 22. Oktober 2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth,
ehrenamtlicher Richter Major Dlugosch und
sowie
Leitender Regierungsdirektor ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ..., ...
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin ...,
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 2 -
Auf die Berufung des Soldaten wird das Urteil der
... Kammer des Truppendienstgerichts ... vom 30. Oktober
2007 im Ausspruch über die Disziplinarmaßnahme geän-
dert.
Gegen den Soldaten wird ein Beförderungsverbot für die
Dauer von dreißig Monaten verhängt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der
außergerichtlichen Kosten des Soldaten werden diesem
zu zwei Dritteln und dem Bund zu einem Drittel auferlegt.
G r ü n d e :
I
Der 25 Jahre alte Soldat erwarb im Jahre 2001 die allgemeine Hochschulreife
und wurde am 4. Juli 2001 auf eigenen Antrag in das Dienstverhältnis eines
Soldaten auf Zeit berufen. Seine Dienstzeit wurde zunächst auf sechs Jahre
festgesetzt, dann auf acht und zuletzt auf 12 Jahre (bis zum 30. Juni 2013) ver-
längert. Zum Leutnant wurde er mit Wirkung vom 1. Juli 2004 ernannt, nachdem
er zuvor den Offizierlehrgang Truppendienst an der Offizierschule des Heeres
in D. vom 25. November 2003 bis 3. Juni 2004 mit der Abschlussnote „gut
bestanden“ absolviert hatte.
Unter vorausgehender Kommandierung wurde er mit Wirkung vom 1. Oktober
2004 zum Studium der Betriebswirtschaftlehre an die .../Universität der Bun-
deswehr in ... (im Folgenden: Bundeswehr-Universität ...) versetzt.
Am 18. Juni 2006 erlitt der Soldat einen Verkehrsunfall, bei dem er u.a. am Kopf
schwer verletzt wurde (massives Schädel-Hirn-Trauma). Nach einem
mehrmonatigen Krankenhausaufenthalt wurde er auf Antrag seiner Disziplinar-
vorgesetzten, der Leiterin der Studentenfachbereichsgruppe ..., auf seine
Dienst- und Verwendungsfähigkeit untersucht. Eine vom Soldaten hinsichtlich
der Umstände seiner Aufnahme in das Bundeswehrkrankenhaus erhobene Be-
schwerde hatte keinen Erfolg (Beschluss vom 29. Januar 2008 - BVerwG 1 WB
4.07 -).
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Im Anschluss an sein erfolgreich absolviertes Studium wurde er zum 1. Mai
2008 zum Stab des Aufklärungslehrbataillons ... in L. versetzt.
Die Auszüge aus dem Zentralregister vom 28. Januar 2008 und aus dem Dis-
ziplinarbuch vom 30. Januar 2008 weisen keine Eintragungen auf.
Ausweislich der Auskunft der Wehrbereichsverwaltung ... vom 29. Januar 2008
hat der Soldat monatliche Bezüge (Besoldungsgruppe A 9) in Höhe von ca.
2 060 € brutto und ca. 1 708 € netto.
Der Soldat ist ledig und hat keine Kinder. Seine finanziellen Verhältnisse sind
nach seinen Angaben geordnet.
II
In dem mit Verfügung des Amtschefs ...amt vom 10. März 2006 ordnungsge-
mäß eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren hat die Wehrdisziplinaran-
waltschaft mit Anschuldigungsschrift vom 31. Mai 2007 dem Soldaten folgendes
Verhalten zur Last gelegt:
„1. Zu einem derzeit nicht näher feststellbaren Zeitpunkt
in der Zeit von September 2004 bis Mai 2005 äußerte
der Soldat in den Räumen der Wohnebene ... der
.../Universität der Bundeswehr ... in ... wiederholt, je-
denfalls aber einmal, im Beisein von Kameraden
- jedenfalls der Zeugen Leutnant ... R., Leutnant zur
See ... Ra., Leutnant ... G., Leutnant ... Ru. und Ober-
fähnrich ... K. - sinngemäß: ‚Zyklon B - Über sechs
Millionen zufriedene Kunden zwischen 1939 und
1945’, wobei er jedenfalls hätte erkennen können und
müssen, dass dieser Ausspruch aufgrund des inneren
Zusammenhangs, des Inhalts und der damit nach
außen dokumentierten, nicht ausreichenden Distan-
zierung von den in der Zeit des sogenannten ‚Dritten
Reichs’ unter Berufung auf eine von Unrecht geprägte
Ideologie begangenen Verbrechen geeignet war, an-
dere zu verunglimpfen, sie in ihrem Ansehen herab-
zusetzen und das allgemeine Schamgefühl zu verlet-
zen.
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2. Am 20. April 2005 äußerte der Soldat im Bereich der
Wohnebene ... der .../Universität der Bundeswehr ...
in ... im Beisein von Kameraden - jedenfalls der Zeu-
gen Leutnant ... R., Leutnant ... G., Leutnant ... H. und
Oberfähnrich ... K. - sinngemäß: ‚So, dann müssen
wir heute mal ein bisschen Geburtstag feiern“, wobei
er damit auf den Geburtstag des am 20. April 1889
geborenen Adolf Hitler anspielte und jedenfalls hätte
erkennen können und müssen, dass sein Ausspruch
aufgrund des inneren Zusammenhangs, des Inhalts
und der damit nach außen dokumentierten, nicht
ausreichenden Distanzierung von den in der Zeit des
sogenannten ‚Dritten Reichs’ unter Berufung auf eine
von Unrecht geprägte Ideologie begangenen
Verbrechen geeignet war, andere zu verunglimpfen,
sie in ihrem Ansehen herabzusetzen und das allge-
meine Schamgefühl zu verletzen.
3. Zu einem derzeit nicht näher feststellbaren Zeitpunkt
in der Zeit von September 2004 bis Mai 2005 äußerte
der Soldat in den Räumen der Wohnebene ... der
.../Universität der Bundeswehr ... in ... im Beisein von
Kameraden - jedenfalls der Zeugen Leutnant ... R.,
Leutnant zur See Ra. und Leutnant ... G. - sinnge-
mäß, dass er eine drogenabhängige Frau über Wo-
chen im Keller an Heizungsrohre fesseln würde, ihr
nur Wasser und Brot geben würde und dass sie dann
nach dieser ‚Entziehungskur’ den Angehörigen der
Wohnebene im Hinblick auf Putzdienste und ‚sexuelle
Gefälligkeiten’ gefügig sein müsste, wobei er jeden-
falls hätte erkennen können und müssen, dass dieser
Ausspruch aufgrund des inneren Zusammenhangs,
des Inhalts und der damit nach außen dokumentierten
allgemeine Herabwürdigung der Frau - unter anderem
zum bloßen Objekt sexueller Befriedigung - geeignet
war, andere zu verunglimpfen, sie in ihrem Ansehen
herabzusetzen und das allgemeine Schamgefühl zu
verletzen.
4. Zu einem derzeit nicht näher feststellbaren Zeitpunkt
in der Zeit von September 2004 bis Mai 2005 äußerte
der Soldat in den Räumen der Wohnebene ...der
.../Universität der Bundeswehr ... in ... im Beisein von
Kameraden - jedenfalls der Zeugen Leutnant ... R.,
Leutnant zur See Ra. und Leutnant ... M. - sinnge-
mäß, dass es das Beste sei, eine Frau ‚von hinten zu
nehmen’, ihr kurz bevor man selbst ‚komme’, in den
Nacken zu schlagen, damit sie sich verkrampfe, und
dass dies die ‚beste Art’ sei ‚zu kommen’, wobei er
jedenfalls hätte erkennen können und müssen, dass
dieser Ausspruch aufgrund des inneren Zusammen-
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hangs, des Inhalts und der damit nach außen doku-
mentierten allgemeinen Herabwürdigung der Frau
- unter anderem zum bloßen Objekt sexueller Befrie-
digung - geeignet war, andere zu verunglimpfen, sie
in ihrem Ansehen herabzusetzen und das allgemeine
Schamgefühl zu verletzen.
5. Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt in der
Zeit von Mitte November bis Ende Dezember 2004
äußerte der Soldat in einem Hörsaal der .../Universität
der Bundeswehr ... in ... im Beisein einer nicht fest-
stellbaren Anzahl von Kameradinnen und Kamera-
den - jedenfalls aber des Zeugen Leutnant ... L. und
des Zeugen Leutnant ... R. - und im Rahmen einer
Diskussion über die Frage, warum hochmotivierte
Mitarbeiter in einem Betrieb trotz ihrer Motivation in-
nerbetrieblichen Spannungen und Problemen unter-
worfen sind, auf die Nachfrage eines Kameraden,
dem die Problematik nicht bewusst geworden war,
sinngemäß: ‚Mensch Junge, guck Dir mal die SA an
- die waren auch hochmotiviert und hatten trotzdem
Konflikte’, wobei er jedenfalls hätte erkennen können
und müssen, dass dieser Ausspruch aufgrund des in-
neren Zusammenhangs, des Inhalts und der damit
nach außen dokumentierten, nicht ausreichenden
Distanzierung von den in der Zeit des sogenannten
‚Dritten Reichs’ unter Berufung auf eine von Unrecht
geprägte Ideologie begangenen Verbrechen geeignet
war, andere zu verunglimpfen, sie in ihrem Ansehen
herabzusetzen und das allgemeine Schamgefühl zu
verletzen.
6. Zu einem derzeit nicht näher feststellbaren Zeitpunkt
in der Zeit von September 2004 bis Mai 2005 hob der
Soldat im Bereich der .../Universität der Bundeswehr
Hamburg in ... gegenüber Kameraden wortlos den
ausgestreckten rechten Arm zum sogenannten Hitler-
gruß.
7. Zu einem derzeit nicht näher feststellbaren Zeitpunkt
in der Zeit von September 2004 bis Mai 2005 äußerte
der Soldat in den Räumen der Wohnebene ... der
.../Universität der Bundeswehr ... in ... im Beisein von
Kameraden - jedenfalls des Zeugen Leutnant zur See
... Ra. - in Bezug auf Vernehmungsmethoden sinn-
gemäß, dass man ein Messer in Eis einfrieren und
dieses dem Opfer anal einführen müsse, so dass das
Opfer, wenn das Eis schmelze, ein ‚Problem’ habe,
wobei er jedenfalls hätte erkennen können und müs-
sen, dass dieser Ausspruch aufgrund des inneren
Zusammenhangs, des Inhalts und der nach außen
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dokumentierten Verharmlosung von Gewalt und Fol-
ter geeignet war, andere zu verunglimpfen, sie in ih-
rem Ansehen herabzusetzen und das allgemeine
Schamgefühl zu verletzen.
Durch sein Verhalten hat der Soldat die ihm obliegenden
Dienstpflichten verletzt, sich so zu verhalten, dass er der
Achtung und dem Vertrauen gerecht wird, die sein Dienst
als Soldat erfordert (Anschuldigungspunkt 1 bis 7), wobei
er als Vorgesetzter in Haltung und Pflichterfüllung ein
schlechtes Beispiel gegeben hat.
Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 SG i.V.m. § 17 Abs. 2
Satz 1 SG unter den erschwerenden Voraussetzungen
des § 10 Abs. 1 SG.“
Das zu den Anschuldigungspunkten 1, 2 und 6 sachgleiche Strafverfahren wur-
de von der Staatsanwaltschaft beim Landgericht ... mit Verfügung vom 15. Mai
2007 gemäß § 170 Abs. 2 StPO mit der Begründung eingestellt, es habe hin-
sichtlich der geprüften Straftatbestände § 86a und § 130 StGB jeweils am Tat-
bestandsmerkmal der Öffentlichkeit gemangelt.
Mit dem im vorliegenden Verfahren angefochtenen Urteil vom 30. Oktober 2007
hat die .... Kammer des Truppendienstgerichts ... in ... gegen den Soldaten we-
gen eines Dienstvergehens ein Beförderungsverbot für die Dauer von 36 Mona-
ten verhängt und ihm die Kosten des Verfahrens zu drei Vierteln auferlegt. Da-
bei hat sie den Soldaten von dem in Anschuldigungspunkt 6 erhobenen Vorwurf
(„Hitlergruß“) mangels hinreichenden Tatnachweises gemäß § 107 Abs. 1 WDO
freigestellt. Die dem Soldaten in den Anschuldigungspunkten 1 bis 5 sowie 7
zur Last gelegten Äußerungen hat die Truppendienstkammer als erwiesen
erachtet und als vorsätzliche Verstöße gegen die ihm obliegenden Pflichten zur
Zurückhaltung bei Äußerungen (§ 10 Abs. 6 SG) und zur Wahrung der Ach-
tungs- und Vertrauenswürdigkeit (§ 17 Abs. 2 S. 2 SG) gewertet.
Gegen das ihm am 4. Dezember 2007 zugestellte Urteil hat der Verteidiger des
Soldaten mit Schriftsatz vom 2. Januar 2008, beim Bundesverwaltungsgericht
eingegangen am 3. Januar 2008, Berufung in vollem Umfang eingelegt und
beantragt,
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das Urteil der Truppendienstkammer aufzuheben und den
Soldaten zu einer milderen Maßnahme zu verurteilen.
In der Berufungshauptverhandlung hat er durch seinen Verteidiger sein Begeh-
ren dahin abgeändert, dass er als angemessene Disziplinarmaßnahme die
Verhängung einer Gehaltskürzung beantrage.
Zur Begründung hat er durch seinen Verteidiger im Wesentlichen vortragen
lassen:
Zu Anschuldigungspunkt 1 (Äußerung in der Zeit von September 2004 bis Mai
2005 in den Räumen der Wohnebene ... der Bundeswehr-Universität ... „Zyklon
B - über 6 Millionen zufriedene Kunden zwischen 1939 und 1945“): Der „äußere
Sachverhalt“ werde eingeräumt. Diese Äußerung sei nicht als Ausfluss einer
rechtsextremen Geisteshaltung zu sehen, sondern als Provokation, als Hinweis
darauf, wohin bestimmte Auffassungen führten. Jedem der Anwesenden sei
klar gewesen, wie dieser Ausspruch vom Soldaten gemeint gewesen sei, näm-
lich als Warnung. Die Äußerung sei im Rahmen einer Diskussion über Terro-
rismus gefallen, in deren Verlauf ein Kamerad eingeworfen habe, ob man sich
nicht präventiv an die Familien halten sollte, die schon Terroristen hervorge-
bracht hätten. Unter Beachtung der Feststellungen der Truppendienstkammer
stelle sich die Frage, ob dem Soldaten insoweit eine Vorsatztat zur Last gelegt
werden könne. Es scheine nicht ausschließbar zu sein, dass der Soldat fahr-
lässig den „Empfängerhorizont“ falsch eingeschätzt habe. Im angefochtenen
Urteil fehlten hierzu Ausführungen.
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Zu Anschuldigungspunkt 2 (Äußerung am 20. April 2005 „So, dann müssen wir
heute mal ein bisschen Geburtstag feiern“): Bereits im Büro des Kapitänleut-
nants M., den der Soldat am 20. April 2005 zuvor aufgesucht habe, sei über
eine Feier zu „Führers Geburtstag“ gesprochen worden. Anschließend sei der
Soldat auf seine Wohnebene gegangen, wo nach Dienstschluss von Kamera-
den schon Bier getrunken worden sei und eine gelöste Stimmung vorgeherrscht
habe. Er, der Soldat, habe in die Bierrunde den Hinweis in Form einer Frage
eingebracht, ob denn hier Hitlers Geburtstag gefeiert werde. Die Truppen-
dienstkammer habe hierzu festgestellt, dass keiner der Anwesenden seine Äu-
ßerung ernst genommen habe; seine Äußerung sei mit Lachen bzw. mit einem
Zensurpfeifton „beantwortet“ worden und zu Recht als Scherz aufgefasst wor-
den. Zudem müsse hier Berücksichtigung finden, dass die Äußerung in einer
fast privaten Atmosphäre, wenn auch im Gemeinschaftsraum der Wohnge-
meinschaft, gefallen sei. Die Truppendienstkammer habe dies im angefochte-
nen Urteil bei der Maßnahmebemessung nicht beachtet.
Zu Anschuldigungspunkt 3 (Äußerung in der Zeit von September 2004 bis Mai
2005 über angebliche Fesselung einer drogenabhängigen Frau und deren
menschenunwürdige Behandlung): Er, der Soldat, räume ein, sich insoweit in
der Wortwahl vergriffen zu haben.
Zu Anschuldigungspunkt 4 (Äußerung in der Zeit von September 2004 bis Mai
2005 in den Räumen der Wohnebene ... der Universität der Bundeswehr ...:
Dass es das Beste sei, eine Frau „von hinten zu nehmen“ ...): Auch diese Äu-
ßerung räume er ein. Er, der Soldat, habe sich insoweit in der Wortwahl vergrif-
fen.
Zu Anschuldigungspunkt 5 (Äußerung in der Zeit von Mitte November bis Ende
Dezember 2004 in einem Hörsaal der Universität der Bundeswehr ... „Mensch
Junge, guck dir mal die SA an - die waren auch hochmotiviert und hatten trotz-
dem Konflikte“): Diese Äußerung habe er getan, allerdings sei sie mit dem Zu-
satz gefallen „und das waren Verbrecher“. Der von der Truppendienstkammer
hierzu vernommene Zeuge L. habe diesen Zusatz zwar weder bestätigen noch
ausschließen können. Das Truppendienstgericht habe dann jedoch nach dem
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Grundsatz „in dubio pro reo“ ihn, den Soldaten, von dem Vorwurf freistellen
müssen.
Zu Anschuldigungspunkt 7 (Äußerung in der Zeit von September 2004 bis März
2005 in den Räumen der Wohnebene ... der Universität der Bundeswehr ...
„Dass man ein Messer in Eis einfrieren und dieses dem Opfer anal einführen
müsse ...“): Diese Äußerung räume er, der Soldat, ein mit der Einschränkung,
dass er die beschriebenen Foltermethoden einem literarischen Werk des Autors
Solschenyzin entnommen habe. Durch seine provokante Äußerung habe er
gerade darauf hinweisen wollen, wozu es führe, wenn Folter staatlicherseits
zugelassen würde. Hintergrund der Diskussion sei gewesen, ob in einer Situati-
on, die dem „Fall Daschner“ zugrunde gelegen habe, staatliche Folter ange-
wandt werden dürfe. Der in der Hauptverhandlung vernommene Zeuge Ra. ha-
be auf Befragen nicht ausschließen können, dass die Äußerung in Bezug auf
ein Buch gefallen sei. Insoweit sei die Feststellung der Truppendienstkammer
falsch, dass die Motivation des Soldaten, der Folter strikt ablehne, für einen
außen stehenden Betrachter nicht erkennbar gewesen sei.
Bei der Maßnahmebemessung habe die Kammer zwar die lange Dauer des
Verfahrens angeführt, jedoch nicht angemessen berücksichtigt. Auch das Leis-
tungsbild des Soldaten und insbesondere seine überdurchschnittliche Nachbe-
währung seien ohne Berücksichtigung geblieben.
III
1. Die fristgerecht eingelegte Berufung des Soldaten ist zulässig. Sie ist statt-
haft, ihre Förmlichkeiten sind gewahrt (§ 115 Abs. 1, § 116 Abs. 1 Satz 2,
Abs. 2 WDO).
2. Die Berufung ist in vollem Umfang eingelegt worden. Der Senat hat daher im
Rahmen der Anschuldigung (§ 123 Satz 3 i.V.m. § 107 Abs. 1 WDO) eigene
Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen, sie rechtlich zu würdigen und über die
angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden, wobei er angesichts der vom
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Soldaten eingelegten Berufung an das Verschlechterungsverbot (§ 91 Abs. 1
Satz 1 WDO i.V.m. § 331 Abs. 1 StPO) gebunden ist.
3. Die Berufung des Soldaten ist nur in dem aus dem Tenor des Urteils ersicht-
lichen Umfang begründet.
a) Aufgrund der Einlassung des Soldaten, soweit ihr gefolgt werden konnte, der
gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 WDO verlesenen
Urkunden und Schriftstücke, der Aussagen der Zeugen Oberleutnant ... R.,
Oberleutnant ... H., Oberleutnant ... Ru., Oberleutnant ... L., Leutnant ... G.,
Leutnant ... K., Oberleutnant zur See der Reserve ... Ra., Oberleutnant der Re-
serve ... M., Frau Korvettenkapitän H. und Oberstleutnant Ro. sowie der gemäß
§ 123 Satz 1 WDO verlesenen Aussage der von der Truppendienstkammer
vernommenen Zeugin ... P. hat der Senat zu den einzelnen Anschuldigungs-
punkten die folgenden tatsächlichen Feststellungen getroffen und diese diszip-
linarrechtlich wie nachstehend dargelegt gewürdigt:
Anschuldigungspunkt 1: Äußerung „Zyklon B - über 6 Millionen zufriedene
Kunden zwischen 1939 und 1945“
(a) Nach dem Ergebnis der Berufungshauptverhandlung steht zur Überzeu-
gung des Senats fest, dass sich der Soldat - wie er selbst eingeräumt hat -
zweimal in der ihm in der Anschuldigungsschrift vorgeworfenen Weise zu nicht
mehr näher feststellbaren Zeitpunkten im Zeitraum von September 2004 bis Mai
2005 im Gemeinschaftsraum der Wohnebene ... in dem auf dem Gelände der
Bundeswehr-Universität ... gelegenen und zu ihr gehörenden Wohnheim
geäußert hat. Der Gemeinschaftsraum diente den etwa dreizehn bis fünfzehn
auf dieser Wohnebene wohnenden und an der Bundeswehr-Universität ... in
den Fächern Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre oder Politikwissen-
schaft studierenden Soldaten als Küche, Aufenthaltsraum sowie als Ess- und
Fernsehzimmer und wurde von ihnen häufig aufgesucht. Die Wohnebene war
durch eine nur mit Schlüssel zu öffnende Tür vom Außenbereich abgetrennt.
Andere, nicht auf dieser Wohnebene wohnende Personen hatten nur dann Zu-
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tritt, wenn sie von einem der Bewohner als Gäste mitgebracht oder eingelassen
wurden.
Das erste Mal erfolgte die in Rede stehende Äußerung des Soldaten im vorge-
nannten Zeitraum in Gegenwart des Zeugen Ra. und dessen damaliger Le-
bensgefährtin, der von der Truppendienstkammer vernommenen Zeugin P., die
keine Soldatin war und nicht hier wohnte. Ob dabei zu diesem Zeitpunkt noch
eine weitere Person im Gemeinschaftsraum anwesend war, hat der Senat nicht
mehr mit der erforderlichen Sicherheit feststellen können. Die Zeugen Ra. und
P. waren gerade beim Kochen oder Abwaschen, als der Soldat plötzlich den
Gemeinschaftsraum betrat und den Anwesenden ohne jede Erläuterung zu-
nächst eine - ihnen unverständliche - chemische Formel und anschließend
sinngemäß den Satz „Zyklon B - über 6 Millionen zufriedene Kunden zwischen
1939 und 1945“ zurief. Dies haben beide Zeugen glaubhaft bekundet. Der Sol-
dat hat seine Äußerung zudem selbst eingeräumt.
Ob währenddessen das im Gemeinschaftsraum befindliche Fernsehgerät ein-
geschaltet war und welche Sendung dabei gegebenenfalls lief, hat der Senat
nicht mehr feststellen können. Zwar hatte der Zeuge Ra. bei seiner am
16. November 2005 erfolgten Vernehmung durch die Wehrdisziplinaranwalt-
schaft bekundet, die Äußerung des Soldaten sei während einer im Fernsehen
laufenden Talkshow über „Sozialbetrüger“ gefallen, während er sich hieran in
der Berufungshauptverhandlung nicht mehr hat erinnern können. Das macht
sein Aussageverhalten aber nicht insgesamt unglaubhaft. Denn es ist durchaus
nachvollziehbar, dass ihm knapp drei Jahre nach der im November 2005 ge-
machten Aussage vor der Wehrdisziplinaranwaltschaft und fast vier Jahre nach
dem von Anschuldigungspunkt 1 erfassten Vorfall nicht mehr im Gedächtnis
geblieben ist, ob an jenem Abend im Gemeinschaftsraum der Fernsehapparat
lief und welche Sendung gerade gezeigt wurde. Ersichtlich war dies für den
Zeugen nicht von so entscheidender Bedeutung, dass es unverständlich er-
scheinen müsste, wenn er hieran heute keine Erinnerung mehr hat. Maßgeblich
ist im vorliegenden Zusammenhang allein, dass der Zeuge die von Anschuldi-
gungspunkt 1 erfasste Äußerung des Soldaten in Übereinstimmung mit seinen
früheren Bekundungen unmissverständlich sinngemäß bestätigt hat. Dafür,
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dass der Soldat durch die Zeugen Ra. und P. zu seiner Äußerung provoziert
worden wäre, fehlt es an jedem konkreten Anhaltspunkt. Gegenteiliges hat
letztlich auch der Soldat nicht geltend gemacht. Aus der in der Berufungshaupt-
verhandlung verlesenen Aussage der von der Truppendienstkammer vernom-
menen Zeugin P. ergibt sich zudem, dass diese seinerzeit über die in Rede
stehende Äußerung des Soldaten, die sie zunächst gar nicht einordnen konnte,
völlig überrascht war. Denn sie und der Zeuge Ra. hatten nach ihren Bekun-
dungen dafür keine Veranlassung gegeben. Diese Überraschung schlug dann
bei ihr, nachdem der Zeuge Ra. sie angesichts ihres erklärten Unverständnis-
ses über die Rolle und Bedeutung des Giftgases Zyklon B im Rahmen des vom
NS-Regime an den europäischen Juden während des 2. Weltkrieges verübten
Holocausts informiert hatte, in Empörung und Bestürzung um. Dies ist von dem
Zeugen Ra. in der Berufungshauptverhandlung nochmals ausdrücklich bestätigt
worden. Dem ist der Soldat nicht in einer Weise entgegen getreten, die Zweifel
an der Glaubhaftigkeit der Aussagen beider Zeugen begründen könnte. Seine
Einlassung ist insofern vage und unpräzise geblieben. Sie hat eher den Ein-
druck vermittelt, dass ihm sein damaliges Verhalten - so wie von beiden Zeugen
geschildert - ersichtlich noch bewusst war und dass dieses ihm zwischenzeitlich
mehr als peinlich ist.
Das zweite Mal erfolgte die in Rede stehende Äußerung des Soldaten im vor-
genannten Zeitraum ebenfalls im Gemeinschaftsraum der Wohneinheit in Ge-
genwart mehrerer anderer Soldaten, zu denen zumindest die Zeugen Oberleut-
nant R. und Leutnant (damals: Oberfähnrich) K. gehörten. Der Soldat hat letzt-
lich selbst eingeräumt und erklärt, die in Rede stehende Formulierung habe er
in dem hier relevanten Zeitraum in der Wohnbereichsebene „zwei oder dreimal“
benutzt. Er habe dabei jeweils an ein gleichlautendes Zitat aus einem Cover-
aufdruck einer CD der Band „Kanakenkiller“ angeknüpft. Auf diese CD seien er
und andere Lehrgangsteilnehmer während der Offizierausbildung an der Offi-
zierschule des Heeres durch Bedienstete des MAD bei einer Informationsver-
anstaltung als abschreckendes Beispiel hingewiesen worden.
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Auch der Zeuge R. hat in der Berufungshauptverhandlung nach anfänglichen
- nach dem relativ langen seit dem Vorfall inzwischen verstrichenen Zeitraum
auch durchaus nachvollziehbaren - Gedächtnislücken auf Befragen unter Be-
zugnahme auf seine früheren Aussagen bei den Vernehmungen durch die
Wehrdisziplinaranwaltschaft und durch die Truppendienstkammer ausdrücklich
bestätigt, dass er sich an diese Äußerung des Soldaten erinnern könne. Sie sei
während einer im Fernsehen laufenden Fußballübertragung gefallen. Unter den
im Gemeinschaftsraum anwesenden Soldaten sei es zu rassistischen oder aus-
länderfeindlichen Bemerkungen gekommen. Es seien nicht nur Spielerleistun-
gen abfällig bewertet worden. Darüber hinaus seien mitspielende dunkelhäutige
Fußballer von einem der Soldaten abfällig als „Mulatten“ bezeichnet worden.
Schließlich sei auch die Forderung nach deren Abschiebung erhoben worden.
Im Verlaufe dessen habe der Soldat, der im Küchenbereich gestanden habe,
zynisch geäußert, dass man „das Problem“ doch mit Zyklon B lösen könnte. Er,
der Zeuge, sei darüber zunächst irritiert gewesen. Einerseits habe er gedacht,
der Soldat habe „einen Witz gemacht“. Andererseits habe er überlegt, ob es
sich um den Ausdruck einer „rechtsradikalen Gesinnung“ gehandelt habe und
ob er den Vorfall melden müsse. Er habe zunächst entschieden, noch weiter
abzuwarten. Nach weiterer Überlegung sei er dann zu der Einschätzung ge-
langt, der Soldat sei wohl doch „nicht rechtsradikal“ und er, der Zeuge, habe
deshalb von einer förmlichen Meldung abgesehen. Für die Glaubhaftigkeit die-
ser Bekundungen des Zeugen R. spricht vor allem, dass er bei seinen Äuße-
rungen ersichtlich um eine wahrheitsgemäße Aussage sehr bemüht war. Ge-
dächtnislücken hat er in der Berufungshauptverhandlung freimütig eingeräumt.
Auf konkrete Vorhalte ist er ohne Ausweichversuche eingegangen. Er war frei
von jedem Belastungseifer. Dies kommt nicht zuletzt auch darin zum Ausdruck,
dass er seinen gegenüber dem Soldaten ursprünglich bestehenden Verdacht
eines „rechtsradikalen Hintergrundes“ offengelegt und nachvollziehbar geschil-
dert hat, wie er sich schließlich durch nachfolgendes genaues „Hinschauen“ und
sorgfältiges Überlegen davon innerlich überzeugt habe, dass sein Verdacht un-
begründet sei. Dabei hat er glaubhaft den Eindruck vermittelt, dass es ihm nicht
primär um eine Rechtfertigung seines eigenen Verhaltens ging, nämlich keine
förmliche Meldung bei seinem Diziplinarvorgesetzten erstattet zu haben.
Vielmehr ist deutlich geworden, dass er das in Rede stehende Verhalten des
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Soldaten zwar sehr kritisch betrachtet, dass es ihm aber gerade nicht darum
ging und geht, dem Soldaten zu schaden oder sonstige Nachteile zuzufügen.
Schließlich sprechen auch die Bekundungen des Zeugen K. dafür, dass der
Soldat die von ihm auch eingeräumte Äußerung gemacht hat. Der Zeuge K.,
der damals noch den Dienstgrad eines Oberfähnrichs trug, hat in der Beru-
fungshauptverhandlung ebenfalls bekundet, dass der Soldat im vorgenannten
Zeitraum in der Wohnebene des Studentenwohnheims etwa „zwei- bis dreimal“
Äußerungen des hier in Rede stehenden Inhalts getan hat. Das deckt sich im
Kern mit seinen Bekundungen während seiner Vernehmung durch die Trup-
pendienstkammer. Die Äußerung des Soldaten sei jeweils im Beisein mehrerer
Kameraden, darunter auch er selbst, gefallen. Sein Eindruck sei gewesen, dass
der Soldat damit „extrem“ habe provozieren wollen. Angesichts der „Häufung
von derben Äußerungen mit Bezug zur Nazizeit“ habe der Soldat nach seinem,
des Zeugen, Gefühl auch eine gewisse „Affinität zur Nazi-Zeit“ gehabt, wofür
der Zeuge allerdings über diese Wahrnehmungen hinaus keine konkreten Be-
lege zu benennen vermocht hat. Auch der Zeuge K. war bei seinem Aussage-
verhalten frei von Belastungseifer. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass er den
Soldaten zu Unrecht belasten wollte, sind nicht ersichtlich geworden. Ange-
sichts des Geständnisses des Soldaten hat der Senat damit insgesamt keine
Zweifel an dessen inhaltlicher Richtigkeit.
(b) Mit seinem zu Anschuldigungspunkt 1 festgestellten Äußerungsverhalten
verletzte der Soldat seine soldatischen Pflichten nach § 10 Abs. 6 (dazu (aa))
und § 17 Abs. 2 Satz 1 SG (dazu (bb)), jedoch nicht nach § 7 (dazu (cc)) und
nach § 8 SG (dazu dd)).
(aa) § 10 Abs. 6 SG verpflichtet Unteroffiziere und Offiziere innerhalb und au-
ßerhalb des Dienstes bei ihren Äußerungen die Zurückhaltung zu wahren, die
erforderlich ist, um das Vertrauen als Vorgesetzte zu erhalten. Die Vorschrift
bezieht sich nach ihrem eindeutigen Wortlaut uneingeschränkt auf alle inner-
und außerdienstlichen Äußerungen der Angehörigen dieses Personenkreises.
Dies hat der Senat bereits mehrfach entschieden (vgl. u.a. Urteil vom 9. Januar
2007 - BVerwG 2 WD 20.05 - BVerwGE 127, 293 = Buchholz 450.2 § 38 WDO
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2002 Nr. 20 = NZWehrr 2007, 167 m.w.N.). Von dieser Verpflichtung sind Offi-
ziere (und Unteroffiziere), die an einer Universität der Bundeswehr studieren,
nicht freigestellt.
Dies schränkt das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1
Satz 1 GG) der Offiziere und Unteroffiziere ein. Verfassungsrechtlich ist dies
nach der ständigen Rechtsprechung des Senats und des Bundesverfassungs-
gerichts (vgl. BVerfG, Urteil vom 10. Juli 1992 - BvR 1802/91 - NZWehrr 1992,
205 m.w.N.; Scherer/Alff/Poretschkin, SG, 8. Aufl. 2008, § 10 Rn. 60 m.w.N.) im
Ergebnis nicht zu beanstanden.
Soldaten haben, wie in § 6 Satz 1 SG hervorgehoben wird, die gleichen staats-
bürgerlichen Rechte wie jeder andere Staatsbürger. Ihnen stehen alle Rechte
nach dem Grundgesetz, insbesondere die Grundrechte und damit auch das
Grundrecht der freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) zu. Meinungsäu-
ßerungen auch von Soldaten sollen grundsätzlich frei sein und nur unter be-
stimmten rechtlichen Voraussetzungen beschränkt werden dürfen.
Verfassungsrechtlich zulässige Begrenzungen der Meinungsäußerungsfreiheit
von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr ergeben sich zum einen - wie
für alle Staatsbürger - aus Art. 5 Abs. 2 GG („Vorschriften der allgemeinen Ge-
setze“, „gesetzliche Bestimmungen zum Schutze der Jugend“ und „Recht der
persönlichen Ehre“). Insbesondere die Bestimmungen des Strafgesetzbuches,
die die persönliche Ehre anderer Menschen schützen, enthalten solche Be-
grenzungen. Dazu gehört auch die Vorschrift des § 189 StGB, die die Verun-
glimpfung des Andenkens Verstorbener unter Strafe stellt.
Darüber hinaus eröffnet Art. 17a GG dem Gesetzgeber die Möglichkeit, für die
Angehörigen der Streitkräfte das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit
- über die sich für alle Bürgerinnen und Bürger aus Art. 5 Abs. 2 GG ergeben-
den Grenzen des Grundrechts hinaus - durch „Gesetze über Wehrdienst“ zu
begrenzen. Dazu gehören auch die Regelungen des Soldatengesetzes (darun-
ter § 10 Abs. 6 SG). Nach der Entscheidung des Gesetzgebers trägt dies zur
Erfüllung der in der Verfassung normierten Aufgaben der Streitkräfte bei (vgl.
BVerfG, Urteil vom 10. Juli 1992 a.a.O. m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 9. Januar
2007 a.a.O. m.w.N.; Walz, in: Walz/Eichen/Sohm, SG, 2006, § 10 Rn. 102;
Scherer/Alff/Poretschkin, a.a.O. m.w.N.). Für weitergehende Grundrechtsein-
schränkungen für Soldaten, etwa aus der „Natur der Sache“ oder aus dem
- 16 -
Wehrdienstverhältnis als solchem, ist daneben kein Raum (vgl. Beschluss vom
11. Februar 1970 - BVerwG 1 WDB 10.69 - BVerwGE 43, 48 <52 f.>; Kokott, in:
Sachs, GG, 4. Aufl. 2007, Art. 17a Rn. 6; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 9. Aufl.
2007, Art. 17a Rn. 1; Walz a.a.O. § 6 Rn.12 m.w.N.).
Bei der Auslegung und Anwendung der unbestimmten und daher konkretisie-
rungsbedürftigen Tatbestandsmerkmale der Vorschrift des § 10 Abs. 6 SG („…
die Zurückhaltung zu wahren, die erforderlich ist, um das Vertrauen als Vorge-
setzte zu erhalten“) dürfen allerdings keine zwingenden Vorgaben missachtet
werden, die sich aus anderen Verfassungsvorschriften ergeben. Ungeachtet der
nach Art. 17a GG möglichen Einschränkbarkeit der in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG
auch für Soldatinnen und Soldaten gewährleisteten Meinungsäußerungsfreiheit
muss die grundlegende Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit für die Per-
sönlichkeitsentfaltung (Art. 2 Abs. 1 GG) und die Demokratie (Art. 20 Abs. 1
GG) beachtet werden. Die Vorschrift des § 10 Abs. 6 SG hindert deshalb Vor-
gesetzte nicht, sich in ihrem dienstlichen Wirkungskreis oder öffentlich grund-
sätzlich auf allen Gebieten und zu allen Themen zu äußern, zu denen sie sich
äußern wollen. Denn der Regelungszweck des § 10 Abs. 6 SG liegt bei verfas-
sungskonformer Auslegung nicht darin, bestimmte Meinungen wegen ihres In-
haltes zu verbieten (vgl. Urteil vom 24. April 2007 - BVerwG 2 WD 9.06 -
BVerwGE 128, 319, 324 = Buchholz 449 § 10 SG Nr. 57 m.w.N.). Die Vorschrift
verpflichtet jedoch Offiziere und Unteroffiziere als Vorgesetzte im Hinblick auf
die Art und Weise ihrer Äußerung zur Zurückhaltung. Konkret verlangt die Vor-
schrift des § 10 Abs. 6 SG von allen Offizieren und Unteroffizieren, ihre Mei-
nung unter Achtung der Rechte anderer besonnen, tolerant und sachlich zu
vertreten (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 18. Februar 1970 - 2 BvR 531/68 -
BVerfGE 28, 36 <47> m.w.N. und vom 10. Juli 1992 a.a.O. <206 f.>; BVerwG,
Beschluss vom 12. April 1978 - BVerwG 2 WDB 24.77 - BVerwGE 63, 37 <38
f.>; Urteile vom 10. Oktober 1985 - BVerwG 2 WD 19.85 - BVerwGE 83, 60
<68>, und vom 9. Januar 2007 a.a.O. m.w.N.). Das erfordert insbesondere, die
Ehre anderer Menschen zu achten und das Andenken Verstorbener nicht zu
verunglimpfen. Insofern stellt die Vorschrift des § 10 Abs. 6 SG eine gesetzliche
Konkretisierung der sich bereits aus Art. 5 Abs. 2 GG ergebenden verfassungs-
rechtlichen Grenze jeder Meinungsäußerung dar. Ob daneben Art. 17a GG eine
zusätzliche verfassungsrechtliche Grundlage für § 10 Abs. 6 SG darstellt, woran
- 17 -
im Hinblick auf das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG Zweifel bestehen
(vgl. dazu u.a. Walz, a.a.O. § 6 Rn. 17 f. m.w.N.) kann deshalb vorliegend da-
hingestellt bleiben.
Die in § 10 Abs. 6 SG von jedem Offizier und Unteroffizier bei dienstlichen und
außerdienstlichen Äußerungen verlangten Beschränkungen (Achtung der
Rechte anderer; Besonnenheit, Toleranz und Sachlichkeit) sind für einen Vor-
gesetzten nach der vom Gesetzgeber getroffenen Regelungsentscheidung un-
erlässlich, um seine dienstlichen Aufgaben erfüllen und seinen Untergebenen
im Sinne von § 10 Abs. 1 SG in Haltung und Pflichterfüllung Vorbild sein zu
können. Dies kann im Einzelfall im Hinblick auf das Gebot der Zurückhaltung
auch erfordern, dass der Soldat bei seiner Meinungsäußerung „im Rahmen der
Erfordernisse des militärischen Dienstes“ (§ 6 Satz 2 SG) von der Verwendung
bestimmter Begriffe, die besonders emotionsgeladen sind und - selbst im Kon-
text ihrer Verwendung - zu erheblichen Missverständnissen und Fehlinterpreta-
tionen führen könnten, unter Umständen absehen muss (vgl. BVerfG, Be-
schluss vom 10. Juli 1992 a.a.O. <207>).
Aus dem systematischen Zusammenhang der Einzelregelungen innerhalb der
Vorschrift des § 10 SG, die nach ihrer Überschrift und nach ihrem Regelungs-
inhalt allein „Pflichten des Vorgesetzten“ zum Gegenstand hat, sowie aus dem
im letzten Halbsatz des Abs. 6 („um das Vertrauen als Vorgesetzte zu erhalten“)
normierten Regelungszweck ergibt sich, dass ein Offizier (oder Unteroffizier) bei
Erfüllung der weiteren Voraussetzungen nur dann tatbestandsmäßig handelt,
wenn er im Zeitpunkt der Tat die Funktion eines militärischen Vorgesetzten im
Sinne von § 1 Abs. 3 SG in Verbindung mit den Regelungen der
Vorgesetztenverordnung inne hat. Die Art der Vorgesetzteneigenschaft ist dabei
unbeachtlich; eine solche aufgrund eines Dienstgrades (§ 4 VorgV) reicht für
eine Tatbestandsverwirklichung aus (vgl. Urteil vom 28. September 1990
- BVerwG 2 WD 27.89 - BVerwGE 86, 321 <324>; Walz, a.a.O. § 10 Rn. 107).
Einen Verstoß gegen § 10 Abs. 6 SG stellen nach der gefestigten Rechtspre-
chung des Senats wegen des Schutzzwecks der Norm, Unteroffizieren und Of-
fizieren das Vertrauen als Vorgesetzte zu erhalten, zudem nur solche Äußerun-
gen dar, die Untergebenen „zu Gehör kommen“ oder „in die Öffentlichkeit drin-
gen“ können (Urteile vom 10. Oktober 1985 a.a.O. <68 f.> m.w.N., vom 20. Mai
34
- 18 -
1983 - BVerwG 2 WD 11.82 - BVerwGE 83, 136 <149>, vom 10. Oktober 1989
- BVerwG 2 WDB 4.89 - BVerwGE 86, 188 <199>; Scherer/Alff/Poretschkin,
SG, 8. Auflage 2008, § 10 Rn. 62 m.w.N.; Walz, a.a.O. § 10 Rn. 109).
Die Freiheit sichernde und für die Demokratie konstitutive Funktion der Mei-
nungsäußerungsfreiheit erfordert - ebenso wie das Grundrecht auf ein faires,
rechtsstaatliches Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und 3 GG) - fer-
ner auch bei Äußerungen von Offizieren und Unteroffizieren, dass bei der An-
wendung des § 10 Abs. 6 SG der Inhalt und der Bedeutungsgehalt der in Rede
stehenden Meinungsäußerung unter Heranziehung des gesamten Kontextes
objektiv und sachlich vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen, sozialen und
politischen Geschehens, in dem sie gefallen ist, ermittelt und der Entscheidung
zugrunde gelegt wird. Daran ändert § 10 Abs. 6 SG nichts. Denn Sinn und Ge-
halt jeder Äußerung werden durch ihren Wortlaut nicht abschließend determi-
niert. Ein und derselbe Wortlaut kann unter verschiedenen Begleitumständen
einen unterschiedlichen Inhalt und damit einen verschiedenen Sinn haben.
Ferner muss berücksichtigt werden, dass Äußerungen in unterschiedlichen
Kommunikationszusammenhängen unterschiedlich verstanden werden können.
In Extremfällen ist es sogar möglich, dass eine Äußerung das Gegenteil dessen
bedeutet, was sie nach ihrem Wortlaut besagt.
Bei der Auslegung der festgestellten Äußerungen ist von deren objektivem
Sinngehalt (Erklärungsinhalt) auszugehen, wie ihn ein unbefangener verständi-
ger Dritter verstehen musste (vgl. BGH, Urteil vom 18. Februar 1964 - 1 StR
572/63 - BGHSt 19, 235 <237> m.w.N.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. Juli
1989 - 5 Ss 250/89 - 101/89 I - NJW 1989, 3030;
Herdegen in: Leipziger
Kommentar, StGB, 10. Aufl. 1985, § 185 Rn. 17 ff.; Fischer, StGB, 55. Aufl.
2008, § 185 Rn. 8 m.w.N.). Maßgebend ist dabei nicht, was der Vortragende
zum Ausdruck bringen wollte, sondern was er bei objektiver Bewertung zum
Ausdruck gebracht hat. Gehalt und Sinn der Äußerung sind nach dem jeweili-
gen Kommunikationszusammenhang zu ermitteln (BVerfG, Beschluss vom
9. Oktober 1991 - 1 BvR 1555/88 - BVerfGE 85, 1, 19 = NJW 1992, 1439;
Grimm, NJW 1995, 1697 <1700>). Nicht ausreichend ist deshalb die Ermittlung
der Motivation des sich Äußernden.
- 19 -
Ist eine Äußerung nicht eindeutig, muss der wahre Erklärungsinhalt aus ihrem
Zweck sowie dem Zusammenhang und ihrem Kontext sorgfältig erforscht wer-
den. Dabei sind alle Begleitumstände bzw. die gesamte konkrete Situation, in
der die Äußerung getätigt wurde, zu berücksichtigen, z.B. auch die Anschauung
und Gebräuche der Beteiligten sowie die sprachliche und gesellschaftliche
Ebene, auf der die Äußerung fiel (vgl. Urteile vom 29. Juni 2006 - BVerwG
2 WD 26.05 - Buchholz 449 § 12 SG Nr. 20 = NZWehrr 2007, 32 und vom 14.
April 2007 - BVerwG 2 WD 9.06 - BVerwGE 128, 319 = Buchholz 449 § 10 SG
Nr. 57 m.w.N.; BayObLG, Urteil vom 7. März 1983 - RReg 2 St 140/82 - NJW
1983, 2040; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. August 1989 - 2 Ss 281/89 -
49/89 III - JR 1990, 345; Fischer, a.a.O.).
Will sich ein Straf- oder Disziplinargericht unter mehreren möglichen Deutungen
einer Äußerung für die zur Verurteilung führende entscheiden, muss es dafür
besondere Gründe angeben, d.h. es muss sich mit allen in Frage kommenden,
insbesondere den sich aufdrängenden anderweitigen Deutungsmöglichkeiten
auseinandersetzen und in rechtsfehlerfreier Weise diejenigen ausscheiden, die
nicht zur Verurteilung führen würden (vgl. u.a. BVerfG, Beschlüsse vom
19. April 1990 - 1 BvR 40, 42/86 -<50 f.> und vom 25. August
1994 - 1 BvR 1423/92 - NJW 1994, 2943; Grimm, a.a.O. <1700>; BVerwG, Ur-
teil vom 29. Juni 2006 a.a.O. m.w.N.). Da es auf den objektiven Sinngehalt an-
kommt, kann bei der Auslegung nur der Wortlaut der Äußerung selbst und der
Kontext, in dessen Zusammenhang sie steht, herangezogen werden. Vom ob-
jektiven Sinngehalt abweichende Erklärungen, Absichten und Vorstellungen des
Betreffenden können nur insoweit Bedeutung erlangen, als sie in der Äußerung
und in deren Kontext Ausdruck gefunden haben.
Nach diesen Maßstäben verstieß die vom Soldaten nach den vom Senat getrof-
fenen Feststellungen zweimal getätigte Äußerung („Zyklon B - über 6 Millionen
zufriedene Kunden zwischen 1939 und 1945“) gegen das ihm nach § 10 Abs. 6
SG obliegende Zurückhaltungsgebot. Sie achtete nicht die Ehre und Würde
anderer und war weder sachlich noch besonnen. Sie erfüllte den objektiven
Tatbestand des § 189 StGB, der die Verunglimpfung des Andenkens Verstor-
bener unter Strafe stellt.
35
- 20 -
§ 189 StGB schützt auch die über den Tod hinaus fortwirkende (postmortale)
Menschenwürde. Es würde mit dem verfassungsverbürgten Gebot der Unan-
tastbarkeit und damit Unverletzlichkeit der Menschenwürde unvereinbar sein,
wenn der Mensch, dem die Würde kraft seines Personseins zukommt, in die-
sem allgemeinen Achtungsanspruch nach seinem Tode herabgewürdigt oder
erniedrigt werden dürfte. Dementsprechend endet die in Art. 1 Abs. 1 GG aller
staatlichen Gewalt auferlegte Verpflichtung, dem Einzelnen Schutz gegen An-
griffe auf seine Menschenwürde zu gewähren, nicht mit dem Tode (vgl. BVerfG,
Beschluss vom 24. Februar 1971 - 1 BvR 435/68 - BVerfGE 30, 173 <194>;
Dreier, in: Dreier , GG, 2. Aufl. 2004, Art. 1 Abs. 1 Rn. 74; Pabst, NJW
2002, 999). Eine Verunglimpfung, d.h. eine besonders grobe und schwerwie-
gende Herabsetzung des personellen, sozialen oder sittlichen Geltungswerts
der betroffenen Personen, kann sich auch auf eine Gruppe von Personen be-
ziehen, deren Gemeinsamkeit sich gerade aus den Umständen ihres Verster-
bens ergibt (vgl. Fischer, a.a.O. § 189 Rn. 3; BGH, Urteil vom 15. März 1994
- 1 StR 179/93 - BGHSt 40, 97 <105>; BayObLG, Urteil vom 17. Dezember
1996 - 2 St RR 178/96 - NStZ 1997, 284; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss
vom 17. März 2006 - 1 S 26.06 - juris). Untrennbarer Bestandteil der Würde
eines Menschen können auch die besonderen Umstände seines Todes sein.
Hat er ohne persönliche Schuld etwa allein aufgrund seiner Abstammung durch
staatlich organisierte und gelenkte Gewaltmaßnahmen auf grausame Weise
sein Leben verloren, so prägt dieses schwere Schicksal seine individuelle Wür-
de und damit zugleich und unmittelbar auch sein Andenken unter den Leben-
den. Die Art. 1 Abs. 1 GG insoweit konkretisierende Vorschrift des § 189 StGB
schützt damit auch die postmortale Würde der unter anderem mit dem Giftgas
Zyklon B während der NS-Herrschaft ermordeten Menschen sowie das Pietät-
sempfinden, mit dem außer den Angehörigen auch die Allgemeinheit des/der
Verstorbenen gedenkt (vgl. dazu OLG Düsseldorf, Urteil vom 16. März 1967 - 1
Ss 840/66 - NJW 1967, 1142 f. m.w.N.). Kränkende Äußerungen im Sinne von
§ 189 StGB bleiben rechtswidrige und strafbare Handlungen auch dann, wenn
ein Strafantrag (§ 194 Abs. 2 StGB) nicht gestellt ist und ohne diese Prozess-
voraussetzung der Täter nicht verfolgt werden kann (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil
vom 16. März 1967 a.a.O. m.w.N.).
- 21 -
Die ohne jeden nachvollziehbaren Anlass zweimal erfolgte Äußerung des Sol-
daten stellt nach ihrem Wortlaut eine zynisch-makabre und von Geschmacklo-
sigkeit übelster Art geprägte Missachtung der Leiden der Millionen von
NS-Opfern dar, die unter anderem mit Hilfe von Zyklon B in Gaskammern des
NS-Regimes während des 2. Weltkrieges umgebracht wurden. Die gewählten
Formulierungen verletzten die über den Tod hinaus fortwirkende (postmortale)
Menschenwürde der mit diesem Giftgas während der NS-Herrschaft ermorde-
ten Menschen sowie das Andenken und das Pietätsempfinden ihrer Angehöri-
gen und der Allgemeinheit in schwerwiegendster Weise. Denn mit einer solchen
nicht näher erläuterten oder relativierten Äußerung wird nicht nur zum Ausdruck
gebracht, die Ermordeten seien „Kunden“, hätten also gleichsam um die
Dienstleistung ihrer Ermordung nachgesucht. Darüber hinaus wird ihnen nach
der gewählten Formulierung auch noch nachgesagt, sie seien mit ihrer
Ermordung „zufrieden“. Aus Opfern schlimmster Verbrechen werden so zufrie-
den gestellte Dienstleistungsempfänger, die letztlich - so diese Diktion - nichts
anderes als die erlittene Ermordung verdient hätten. Ihr Existenz- und Lebens-
recht als Menschen und damit auch ihre personale Würde werden so postmor-
tal nicht nur angetastet und in Frage gestellt, sondern in fundamentaler Weise
negiert. Mit einem Scherz, mit Humor oder Ironie hat dies schlechterdings
nichts zu tun. Die Ermordeten und ihre Angehörigen werden durch eine solche
Äußerung in brutalster Weise verhöhnt.
Anhaltspunkte dafür, dass die zweimalige hier in Rede stehende Äußerung des
Soldaten nach dem objektiven Empfängerhorizont in einem anderen Sinne als
der Wortlaut der gewählten Formulierung nahelegt zu verstehen war, sind nicht
ersichtlich. Soweit der Soldat in der Berufungshauptverhandlung angeführt hat,
es habe sich bei seinen Formulierungen nach seiner damaligen Vorstellung um
eine von ihm kritisch gemeinte „Provokation“ und um einen „Hinweis“ darauf
gehandelt, „wohin bestimmte Auffassungen führten“, vermag ihn dies nicht zu
entlasten. Er hat diese behauptete Intention zum Tatzeitpunkt in keiner Weise
zum Ausdruck gebracht, sondern im Gegenteil bei den Anwesenden gerade
den Eindruck erweckt, er mache sich diese - wie ihm bewusst war - offenkundig
neonazistische Formulierung und die dieser zugrunde liegenden Bewertung(en)
zu eigen. Gerade wenn der Soldat, wie er berichtet hat, im Rahmen einer Ver-
anstaltung an der Offizierschule des Heeres auf eine CD mit einem wortglei-
36
- 22 -
chen Cover-Aufdruck als Beispiel für neonazistische Agitationsmittel hingewie-
sen worden war und wenn ihm dies zur Tatzeit präsent war, musste ihm be-
wusst sein, welche Wirkungen seine damit wort- und inhaltsgleichen Äuße-
rung(en) auslösen konnte(n), ja auslösen musste(n). Der Umstand, dass der
Soldat selbst dargelegt hat, er habe damit provozieren wollen, belegt, dass es
ihm offenkundig auf die objektiv schockierende Wirkung seiner Äußerungen
gerade ankam. Dass er dies - wie er selbst eingeräumt hat - mehrfach tat, of-
fenbart zudem, dass von einer einmaligen Entgleisung oder von einer zufällig
erfolgten missverständlichen Gelegenheitsäußerung nicht die Rede sein kann.
Die Umstände, in denen die ihm zur Last gelegten Äußerungen jeweils erfolg-
ten, machen deutlich, dass der Soldat sich in seiner Rolle als schlagfertiger und
gerne Aufmerksamkeit erregender „Provozierer“ offenkundig gefiel, auch wenn
er sich subjektiv nicht als „Neonazi“, der die Massenverbrechen des NS-
Regimes verharmloste oder gar glorifizierte, verstanden hat. Auch nachdem er
die betroffenen Reaktionen seiner Zuhörer zur Kenntnis genommen hatte,
machte er keinen adäquaten Versuch, unmittelbar gegenüber diesen seine Äu-
ßerung zu korrigieren und dem entstandenen Eindruck entgegenzutreten sowie
für sein Verhalten zeitnah in geeigneter Weise um Entschuldigung zu bitten.
An dieser rechtlichen Beurteilung der in Rede stehenden Äußerung(en) würde
sich auch dann nichts ändern, wenn diese, wie der Soldat im Berufungsverfah-
ren geltend gemacht hat - wofür sich allerdings nach den vom Senat getroffe-
nen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte haben feststellen lassen -,
im Rahmen einer „Diskussion über Terrorismus“ gefallen wäre(n), in deren Ver-
lauf zuvor ein Kamerad die Frage aufgeworfen habe, ob man sich „nicht prä-
ventiv an die Familien halten“ sollte, die Terroristen „hervorgebracht“ hätten.
Denn auch dann konnte nach dem Kontext und nach dem Kommunikationszu-
sammenhang ein unbefangener und verständiger Dritter das Bezeichnen der
mit Hilfe des Giftgases Zyklon B in den Konzentrationslagern des NS-Regimes
millionenfach Ermordeten als „zufriedene Kunden“ nur als blanke Verhöhnung
dieser Opfer verstehen und empfinden. Im Übrigen hat keiner der vom Senat
vernommenen Zeugen bestätigen können, dass der Soldat etwa durch erläu-
ternde Bemerkungen deutlich gemacht hatte, dass seine Äußerungen abwei-
chend vom Wortlaut in einem ganz anderen Sinne gemeint und zu verstehen
waren. Die Zeugen Ra. und P. haben eine solche begleitende Erläuterung des
- 23 -
Soldaten ausdrücklich in Abrede gestellt und wiederholt hervorgehoben, dass
der Soldat zunächst eine für sie unverständliche „chemische Formel“ und dann
den inkriminierten Satz in den Gemeinschaftsraum hinein gerufen habe, ohne
zum Ausdruck zu bringen oder zumindest konkludent deutlich zu machen, wes-
halb er sich in dieser für sie schockierenden Weise verhielt. Auch die anderen
vom Senat vernommenen Zeugen haben hinsichtlich der auch bei einer ande-
ren Gelegenheit getätigten gleich lautenden Äußerung des Soldaten von kei-
nen, den Wortlaut der Formulierung relativierenden oder diese erläuternden
Bemerkungen des Soldaten berichten können. Der Soldat selbst hat zudem
auch nicht einmal in der Berufungshauptverhandlung eine schlüssige Erklärung
dafür zu geben vermocht, warum er seine angeblich geltend gemachte kritische
Einstellung zu „Sippenhaft“ oder zu einem rechtswidrigen Umgang mit „Terroris-
ten“ oder deren Familien gerade in dieser die Würde und das Andenken der
Opfer und ihrer Angehörigen brutal verletzenden Art und Weise zum Ausdruck
brachte. Von einem besonnenen, sachlichen und die Rechte anderer achtenden
Äußerungsverhalten des Soldaten kann angesichts dessen bei seinen von
Anschuldigungspunkt 1 erfassten Äußerungen schlechterdings nicht die Rede
sein.
Auch die für § 10 Abs. 6 SG des Weiteren relevante Tatbestandsvorausset-
zung, dass die in Rede stehenden Äußerungen Untergebenen zu Gehör kom-
men oder in die Öffentlichkeit dringen konnten (vgl. Urteile vom 10. Oktober
1985 - BVerwG 2 WD 19.85 - BVerwGE 83, 60 <68 f.> m.w.N., vom 20. Mai
1983 - BVerwG 2 WD 11.82 - BVerwGE 83, 136 <149>, vom 10. Oktober 1989
- BVerwG 2 WD 4.89 - BVerwGE 86, 188 <199>; Scherer/Alff/Poretschkin, SG,
8. Aufl. 2008, § 10 Rn. 62; Walz, in: Walz/Eichen/Sohm, SG, 2006, § 10
Rn.109), ist erfüllt.
Bei der einen Äußerung war der damalige Oberfähnrich K. anwesend, der einen
niedrigeren Dienstgrad als der Soldat hatte. Der Soldat, der damals bereits zum
Leutnant ernannt worden war, war kraft Dienstgrades (§ 4 VorgV) Vorgesetzter.
Darüber hinaus war die Äußerung aufgrund ihrer besonderen Brisanz ohnehin
geeignet, über andere Soldaten oder gar die Öffentlichkeit Untergebenen zu
Gehör zu kommen, was die weitere Entwicklung dann auch zeigte.
37
38
- 24 -
Auch die andere - in Gegenwart der Zeugen Ra. und P. getätigte - Äußerung
konnte jedenfalls in die Öffentlichkeit dringen. Die Zeugin P. gehörte nicht der
Bundeswehr an, wohnte außerhalb der dienstlichen Unterkunft und war
- nachvollziehbar und zu Recht - über die Äußerung irritiert, wütend und scho-
ckiert. Es lag nahe, jedenfalls bestand die ernsthafte Möglichkeit, dass sie über
das von ihr in einer dienstlichen Unterkunft der Bundeswehr-Universität ... Er-
lebte anderen berichten würde. Dies reicht für eine Tatbestandserfüllung aus.
Da der Soldat wusste, was er sagte und dies auch wollte, handelte er vorsätz-
lich.
(bb) Das von Anschuldigungspunkt 1 erfasste Verhalten des Soldaten verstieß
auch gegen § 17 Abs. 2 Satz 1 SG.
Die in Rede stehenden Äußerungen des Soldaten fielen innerhalb einer dienst-
lichen Unterkunft, nämlich in einem Wohnheim auf dem Campus der Bundes-
wehr-Universität ..., so dass nicht § 17 Abs. 2 Satz 2, sondern Satz 1 SG ein-
schlägig ist. Die tatbestandlichen Voraussetzungen sind erfüllt, wenn dem fest-
gestellten Verhalten unabhängig von anderen Pflichtverstößen die Eignung zur
Ansehensminderung innewohnt. Die Achtungswürdigkeit und die Vertrauens-
würdigkeit eines Soldaten können durch sein Verhalten schon dann Schaden
nehmen, wenn dieses Zweifel an seiner Zuverlässigkeit weckt oder seine Eig-
nung für die jeweilige Verwendung in Frage stellt (vgl. Urteile vom 2. April 1974
- BVerwG 2 WD 5.74 - BVerwGE 46, 244 <248> = NZWehrr 1975, 69 <71 f.>
und vom 21. Juni 2005 - BVerwG 2 WD 12.04 - NJW 2006, 77 <108>). Für die
Feststellung eines Verstoßes gegen § 17 Abs. 2 Satz 1 SG kommt es nicht
darauf an, ob eine Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr oder der
Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit im konkreten Fall tatsächlich eingetreten
ist. Es reicht vielmehr aus, dass das Verhalten des Soldaten geeignet war, eine
solche Wirkung auszulösen. Denn die Vorschrift stellt allein auf das Verhalten
des Soldaten ab, ohne dass es für das Vorliegen einer Dienstpflichtverletzung
auf den konkreten Eintritt einer solchen Beeinträchtigung ankommt (vgl. z.B.
Urteil vom 25. September 2007 - BVerwG 2 WD 19.06 -
fentlicht in Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 23> m.w.N., stRspr).
39
40
41
- 25 -
Ob die tatbestandlich sehr weite Fassung des § 17 Abs. 2 Satz 1 SG unter
rechtsstaatlichen Gesichtspunkten in jeder Hinsicht bedenkenfrei ist, bedarf hier
keiner abschließenden Entscheidung. Denn die tatbestandliche Unbestimmtheit
der Vorschrift wird im vorliegenden Zusammenhang jedenfalls durch die vom
Gesetzgeber in § 189 StGB getroffene Regelung „kompensiert“. Ein Offizier, der
mit seinen Äußerungen in dienstlichen Einrichtungen der Bundeswehr in
Gegenwart anderer die in den Vernichtungsmaschinerien des NS-Regimes
unter anderem mit dem Giftgas Zyklon B Ermordeten als „zufriedene Kunden“
bezeichnet und damit in einer jedenfalls den objektiven Tatbestand des § 189
StGB erfüllenden Weise die postmortale Würde und das Andenken
Verstorbener verunglimpft, stellt seine Achtungswürdigkeit und seine Vertrau-
enswürdigkeit in fundamentaler Weise in Frage. Denn sein Verhalten weckt
gravierende Zweifel an seiner charakterlichen Reife, seiner Gesetzestreue und
damit an seiner Zuverlässigkeit. Er stellt deshalb seine Eignung für seine weite-
re dienstliche Verwendung als Vorgesetzter in Frage. Der Soldat hatte zur Tat-
zeit am Tatort als Leutnant eine Vorgesetztenstellung inne (§ 1 Abs. 5 SG
i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 VorgV). Daran änderte nichts, dass er sich in
dem Gemeinschaftsraum des dienstlichen Wohnbereichs befand und in dieser
Zeit unmittelbar keine dienstlichen Aufgaben wahrnahm. Nach § 10 Abs. 1 SG
soll der Vorgesetzte in seiner Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben.
Diese Pflicht ist nicht auf den dienstlichen Bereich beschränkt, sondern erfasst
auch das außerdienstliche Verhalten, zumal innerhalb dienstlicher Einrichtun-
gen der Bundeswehr. Dagegen verstieß der Soldat in besonders schwerwie-
gender Weise.
Da der Soldat wusste, was er sagte und dies auch wollte, handelte er vorsätz-
lich.
(cc) Dagegen verletzte der Soldat mit seiner zweimaligen Äußerung nicht seine
Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG).
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Die in § 7 SG normierte allgemeine Pflicht zum „treuen Dienen“, die durch die in
den §§ 8 ff. SG aufgestellten Dienstpflichten ihre speziellere gesetzliche Aus-
formung erhalten hat und durch diese in deren Anwendungsbereich konkreti-
siert wird, gebietet jedem Soldaten, seine Dienstpflichten gewissenhaft, sorgfäl-
tig und loyal gegenüber dem Dienstherrn zu erfüllen sowie innerhalb und au-
ßerhalb des Dienstes mit den ihm zur Verfügung stehenden Kräften dazu bei-
zutragen, dass die Streitkräfte der Bundeswehr ihre durch die Verfassung fest-
gelegten Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen können, sowie alles zu unterlas-
sen, was diese bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben in unzulässiger Weise
schwächen könnte. Sie kommt bei der Prüfung von Dienstpflichtverletzungen
nur insoweit zur Anwendung, als die in den §§ 8 ff. SG normierten Dienstpflich-
ten für ihren jeweiligen Anwendungsbereich ihr nicht als speziellere Vorschrift
vorgehen.
Zwar gehört zu der in § 7 SG normierten Pflicht zum „treuen Dienen“ insbeson-
dere die Verpflichtung zur Loyalität gegenüber der geltenden Rechtsordnung
(vgl. z.B. Urteil vom 22. August 2007 - BVerwG 2 WD 27.06 - BVerwGE 129,
181 = Buchholz 449 § 11 SG Nr. 2 = NZWehrr 2008, 76 m.w.N., stRspr). Denn
die Anforderungen an die insoweit von den Soldatinnen und Soldaten geforder-
te „Treue“ - zum Dienstherrn Bundesrepublik Deutschland - werden in der
rechtsstaatlich parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes in erster Li-
nie durch den vom Volk gewählten Gesetzgeber und innerhalb dieses Rahmens
von der parlamentarisch verantwortlichen Exekutive festgelegt. Verstößt ein
Soldat gegen ein Strafgesetz und begeht er damit kriminelles Unrecht, so liegt
darin regelmäßig eine Verletzung von § 7 SG. Das war hier indes nicht der Fall.
(aaa) Die von Anschuldigungspunkt 1 erfassten Äußerungen des Soldaten ver-
letzten zwar, wie dargelegt, den objektiven Tatbestand des § 189 StGB. Dem
Soldaten konnte aber nicht mit der erforderlichen Gewissheit nachgewiesen
werden, dass er die Tatbestandsverwirklichung wollte. Für eine strafbare Hand-
lung nach § 189 StGB ist aber zumindest bedingter Vorsatz erforderlich.
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Ein bedingt vorsätzlich Handelnder hält die Tatbestandsverwirklichung für mög-
lich und ist mit dem Eintreten des Taterfolges in dem Sinne einverstanden, dass
er ihn billigt oder zumindest billigend in Kauf nimmt (stRspr des BGH: vgl. u.a.
Beschluss vom 23. Juni 1983 - 4 StR 293/83 - NStZ 1984, 19 und Urteil vom
25. November 1987 - 3 StR 449/87 - NStZ 1988, 175 sowie die Nachweise u.a.
bei Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 15
Rn. 81a und 83; Fischer, StGB, 55. Aufl. 2008, § 15 Rn. 9b). Auch nach
neueren Entscheidungen des BGH ist bedingter Vorsatz dann anzunehmen,
wenn der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht
ganz fernliegend erkennt und billigt, vgl. Urteil vom 6. April 2000 - 1 StR
280/99 - BGHSt 46, 30 <35>; ebenso Urteile vom 18. September 2003
- BVerwG 2 WD 3.03 - BVerwGE 119, 76 = Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002
Nr. 11 = NZWehrr 2005, 122 und vom 25. September 2007 - BVerwG 2 WD
19.06 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 23). Dies ist nicht nur dann der Fall,
wenn der Täter mit dem von ihm für möglich gehaltenen Erfolg ausdrücklich
oder konkludent einverstanden ist, sondern auch dann, wenn er sich mit einem
an sich unerwünschten, aber notwendigerweise eintretenden Erfolg um seines
erstrebten Zieles willen abfindet (vgl. dazu u.a. BGH, Urteile vom 22. April 1955
g.K. u.a. - 5 StR 35/55 - BGHSt 7, 363 <369>, vom 4. November 1988 g.B.
- 1 StR 262/88 - BGHSt 36, 1 <9> und vom 14. Juli 1994 - 4 StR 335/94 - NStZ
1994, 584; Fischer, a.a.O. m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs ist es sogar ausreichend, wenn dem Täter der als möglich
erkannte Handlungserfolg gleichgültig ist (vgl. BGH, Urteil vom 2. November
1994 g.M. - StR 449/94 - BGHSt 40, 304 <306>; Fischer, a.a.O.; Cramer/
Sternberg-Lieben, a.a.O. § 15 Rn. 84, 86 f. m.w.N.; vgl. auch BVerwG, Urteil
vom 18. September 2003 a.a.O.). Zur Feststellung dieser Voraussetzungen ist
eine Gesamtwürdigung aller objektiven und subjektiven Tatumstände geboten
(vgl. BGH, Urteil vom 4. November 1988 a.a.O. <10>). Ist der Täter dagegen
mit der als möglich erkannten Folge seines Handelns nicht einverstanden und
vertraut er deshalb auf ihren Nichteintritt, liegt lediglich (bewusste)
Fahrlässigkeit vor (vgl. die Nachweise zur Rechtsprechung des BGH bei Fi-
scher, a.a.O. § 15 Rn. 9a). Im Hinblick auf den subjektiven Tatbestand des §
189 StGB muss der Täter jedenfalls Kenntnis davon haben, dass seine Äuße-
rungen nach ihrem objektiven Sinn geeignet waren, eine (grobe) Missachtung
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der postmortalen Würde der in der Zeit des Nazi-Terrors Ermordeten und ihres
Andenkens bei Angehörigen und/oder der Allgemeinheit auszudrücken.
Auch wenn, wie oben in anderem Zusammenhang dargelegt, die beiden in Re-
de stehenden Äußerungen des Soldaten nach ihrem objektiven Sinn und Gehalt
den objektiven Tatbestand des § 189 StGB erfüllten, ist dem Soldaten mit den
dem Senat zur Verfügung stehenden Beweismitteln jedenfalls nicht nach-
zuweisen gewesen, dass er die Tatbestandsverwirklichung subjektiv wollte. Der
Soldat wusste zwar, was er sagte, und er wollte diese Äußerungen auch täti-
gen. Es konnte aber nicht mit der erforderlichen Gewissheit der Nachweis er-
bracht werden, dass er sichere Kenntnis davon hatte, dass seine Äußerungen
nach ihrem objektiven Sinn geeignet waren, das Andenken Verstorbener (hier:
der in den Konzentrationslagern des NS-Regimes mit dem Giftgas Zyklon B
Ermordeten) zu verunglimpfen. Ebenso wenig ist ihm nachzuweisen gewesen,
dass er die festgestellte objektive Wirkung seiner Äußerungen für möglich hielt
und ausdrücklich oder konkludent damit einverstanden war oder dass er sich
mit einem solchen an sich unerwünschten, aber notwendigerweise eintretenden
Effekt um seines erstrebten Zieles willen abgefunden hatte. Ihm war auch seine
- allerdings nicht nachvollziehbare - Einlassung nicht zu widerlegen, dass er in
ironischer Form vor dem Schicksal dieser Ermordeten habe warnen wollen,
dass es ihm subjektiv aber nicht darum gegangen sei, die postmortale Ehre und
Würde der mit dem Giftgas Zyklon B millionenfach ermordeten Menschen zu
verletzen. Möglicherweise beruhte dies auf Naivität oder charakterlicher Unrei-
fe. Wenn er den negativen objektiven Erklärungsgehalt seiner Äußerungen vor-
ab realisiert hätte, hätte er sie, so der Soldat, unterlassen. Die vom Soldaten für
seine Ausdrucksweise geltend gemachte und in der Berufungshauptverhand-
lung letztlich eingeräumte grobe Unsensibilität und seine zur Tatzeit offenbar
vorhandene erschreckende Gedankenlosigkeit reichen nicht aus, um den Nach-
weis des Wissens und Wollens der Tatbestandsverwirklichung zu erbringen.
(bbb) Auch eine Straftat nach § 130 Abs. 3 StGB ist dem Soldaten nicht nach-
zuweisen. Nach dieser Vorschrift wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft
des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völker-
strafgesetzbuches (VStGB) vom 26. Juni 2002 (BGBl I 2002, 2254) bezeichne-
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ten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öf-
fentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost. Zwar wur-
den durch die zweimalige Äußerung des Soldaten die im NS-Regime mit Zyklon
B begangenen Massenmorde, die als Völkermord im Sinne von § 6 Abs. 1
VStGB zu qualifizieren sind, durch die Bezeichnung der Opfer als „zufriedene
Kunden“ objektiv verharmlost. Dies geschah aber nicht „öffentlich“ oder „in einer
Versammlung“.
„Öffentlich“ erfolgt eine Äußerung nur dann, wenn sie mit der Möglichkeit der
Kenntnisnahme durch unbestimmt viele Personen erfolgt und von einem nach
Zahl und Individualität unbestimmten oder durch nähere Beziehung nicht ver-
bundenen Personenkreis unmittelbar wahrgenommen werden kann. Für die
Annahme des öffentlichen Verwendens ist nach der Rechtsprechung Voraus-
setzung, dass die Äußerung durch mindestens drei nicht durch nähere Bezie-
hung verbundene Hörer wahrnehmbar war (OLG Hamm, Urteil vom 28. Sep-
tember 1979 - 4 Ss 1584/79 - MDR 1980, 159 f.; OLG Celle, Urteil vom 10. Mai
1994 - 1 Ss 71/94 - NStZ 1994, 440 f.; BayObLG, Beschluss vom 12. März
2003 - 5St RR 20/03, 5St RR 20/03 a, 5St RR 20/03 b - NStZ-RR 2003, 233 f.).
Daran fehlt es hier. Denn beide Äußerungen fielen jeweils in dem Gemein-
schaftsraum der Wohnebene ... der zirka elf bis fünfzehn dort wohnenden an
der Bundeswehr-Universität ... studierenden Soldaten. Diese waren durch das
gemeinsame Wohnen und Zusammenleben auf dieser Wohnebene miteinander
verbunden und waren füreinander jeweils keine Angehörigen der allgemeinen
Öffentlichkeit. Der Gemeinschaftsraum dieser Wohnebene wurde von ihnen
gemeinsam fast täglich vor allem zum Kochen, Essen, Fernsehen und
Kommunizieren genutzt. Sie kannten einander und hatten, wenn auch unter-
schiedlich, zueinander persönliche Beziehungen, die sich aus diesem relativ en-
gen Zusammenleben entwickelten. Zugang zu dieser - durch eine Tür von dem
übrigen Gebäude abgetrennten - Wohnebene und zu diesem Gemein-
schaftsraum hatten nur sie als dort lebende Bewohner sowie ihre Gäste.
(ccc) Auch ein Verstoß der Äußerungen des Soldaten gegen die Strafvorschrift
des § 130 Abs. 4 StGB hat sich nicht feststellen lassen. Nach dieser durch Ge-
setz vom 24. März 2005 (BGBl I 969) in Kraft gesetzten Strafvorschrift ist straf-
bar, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer
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die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalso-
zialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt.
Die Tathandlung kann u.a. dadurch erfolgen, dass etwa ein Verantwortungsträ-
ger oder eine Symbolfigur des NS-Regimes angepriesen oder in besonderer
Weise hervorgehoben wird. Denn dadurch wird „konkludent eine positive Ein-
schätzung der unter der NS-Herrschaft begangenen Menschenrechtsverletzun-
gen“ ausgedrückt (so ausdrücklich die Begründung des Gesetzentwurfs, vgl.
BTDrucks 15/5051 S. 5). Die Regelung ist als Erfolgsdelikt ausgestaltet und
setzt eine vollendete Störung des öffentlichen Friedens voraus. Eine „abstrakte
Gefährdung des öffentlichen Friedens“ (z.B. Gefahr des Auftretens von Unru-
hen, der Beunruhigung größerer Bevölkerungskreise, der „Klimavergiftung“)
reicht nicht aus (vgl. BTDrucks 15/5051 S. 5; Fischer, a.a.O. § 130 Rn. 40
m.w.N.).
Eine Tatbestandsverwirklichung scheidet hier jedoch bereits deshalb aus, weil
die Äußerung im Gemeinschaftsraum der Wohnebene ... der dienstlichen Un-
terkunft des Soldaten und damit aus den zuvor bereits dargelegten Gründen
weder öffentlich noch in einer Versammlung erfolgte. Außerdem hat die Äuße-
rung keine vollendete Störung des öffentlichen Friedens bewirkt.
(dd) Der Soldat verstieß mit seinem Verhalten auch nicht gegen seine in § 8
SG normierte Pflicht, die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne
des Grundgesetzes anzuerkennen und durch sein gesamtes Verhalten für ihre
Erhaltung einzutreten.
Diese Pflicht, gegen deren Verfassungsmäßigkeit nach der gefestigten Recht-
sprechung des Bundesverfassungsgerichts und des erkennenden Senats (vgl.
dazu die Nachweise bei Scherer/Alff/Poretschkin, SG, 8. Aufl. 2008, § 7
Rn. 1 f.) im Grundsatz keine durchgreifenden Bedenken bestehen, verlangt
nicht, dass ein Soldat sich mit den Zielen oder einer bestimmten Politik der je-
weiligen Bundesregierung oder der im Deutschen Bundestag vertretenen Par-
teien identifiziert und diese unterstützt. Die Vorschrift verpflichtet jedoch jeden
Soldaten, die durch Art. 79 Abs. 3 GG jeder Verfassungsänderung entzogenen
„Grundsätze“ der Art. 1 und 20 GG (vor allem: Bindung aller staatlichen Gewalt
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an die im Grundgesetz konkretisierten Grund- und Menschenrechte, Volkssou-
veränität, Mehrparteiensystem, Chancengleichheit für alle Parteien mit dem
Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung der Opposition, Gewal-
tenteilung, Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament, Ge-
setzmäßigkeit von Regierung und Verwaltung, Unabhängigkeit der Gerichte) zu
bejahen, sie als schützenswert anzuerkennen und aktiv für sie einzutreten. Mit
dieser Pflicht hat der Gesetzgeber sicherstellen wollen, dass nur diejenigen
Personen Soldaten und damit Angehörige der Streitkräfte werden und bleiben
dürfen, die sich von allen Bestrebungen fernhalten, die die freiheitliche demo-
kratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekämpfen, und die dar-
über hinaus aktiv und aus Überzeugung für deren Erhaltung eintreten. Es sollte
damit ausgeschlossen oder jedenfalls erschwert werden, dass die Streitkräfte
zu einer Macht werden, die die freiheitliche demokratische Grundordnung ge-
fährdet, oder dass sie gegen sie eingesetzt werden. Mit der in § 8 SG normier-
ten soldatischen Kernpflicht ist insbesondere ein Verhalten unvereinbar, das
objektiv geeignet oder gar darauf angelegt ist, die Ziele des verbrecherischen
NS-Regimes zu verharmlosen sowie Kennzeichen, Symbole oder sonstige Be-
standteile der NS-Ideologie (wieder) gesellschaftsfähig zu machen (vgl. Urteil
vom 12. Februar 2003 - BVerwG 2 WD 8.02 - BVerwGE 117, 371 = Buchholz
236.1 § 7 SG Nr. 48 = NZWehrr 2003, 214 und Beschluss vom 29. August 2002
- BVerwG 2 WDB 6.02 -). Denn das NS-Regime, das zur Durchsetzung und
Aufrechterhaltung seiner Diktatur die Menschenrechte systematisch missachte-
te und verletzte sowie zur Realisierung seiner Eroberungs-, Raub- und
Ausrottungspläne mit Weltherrschaftsvisionen Angriffskriege entfesselte, in de-
ren Verlauf Millionen Menschen Leben, Gesundheit sowie Hab und Gut verlo-
ren, ist mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des
Grundgesetzes schlechthin unvereinbar. Dies gilt auch für die zentralen Be-
standteile seiner Ideologie und politischen Zielvorstellungen sowie alle Bestre-
bungen, die objektiv oder subjektiv darauf angelegt sind, im Sinne der „natio-
nalsozialistischen Sache“ zu wirken. Dementsprechend hat der Senat in seiner
gefestigten Rechtsprechung mehrfach entschieden, dass eine Verletzung der in
§ 8 SG normierten Pflicht nicht nur dann vorliegt, wenn ein Soldat Propagan-
damaterial einer verfassungswidrigen Organisation wie einer NSDAP-Aus-
landsorganisation verbreitet (Urteil vom 1. Juni 1983 - BVerwG 2 WD 48.82 -).
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Vielmehr ist dies auch dann der Fall, wenn ein Soldat das „Horst-Wessel-Lied“
singt (Urteil vom 4. September 1980 - BVerwG 2 WD 74.79 -), wenn er
NS-Gesten und -Äußerungen verwendet, in dem er z.B. „Sieg Heil“ ruft (Urteil
vom 25. Januar 2000 - BVerwG 2 WD 43.99 - BVerwGE 111, 45 = Buch-
holz 236.1 § 7 SG Nr. 34 = NZWehrr 2000, 255) oder in der Öffentlichkeit den
„Hitler-Gruß“ ausführt (Urteil vom 25. Januar 2000 a.a.O. und Beschluss vom
29. August 2002 - BVerwG 2 WDB 6.02 -), wenn er die Massenmorde an Men-
schen jüdischen Glaubens während des NS-Regimes ernsthaft in Zweifel zieht
und den Angriff des Deutschen Reichs auf Polen leugnet (Urteil vom
20. Oktober 1999 - BVerwG 2 WD 9.99 - BVerwGE 111, 25 = Buchholz 236.1
§ 7 SG Nr. 32 = NZWehrr 2000, 126 m.w.N.), wenn er im Unterkunftsbereich
vor der NS-Hakenkreuzfahne oder anderen NS-Symbolen posiert und sich fo-
tografieren lässt (Urteil vom 12. Februar 2003 a.a.O.), im Dienst Ausdrücke
verwendet, die auf Sympathien zum NS-Regime und zur Waffen-SS schließen
lassen (Urteil vom 21. November 2000 - BVerwG 2 WD 27.00 - Buchholz 236.1
§ 17 SG Nr. 34 = NZWehrr 2001, 171), wenn er die Erschießung und Verga-
sung von in Deutschland lebenden „Nichtariern“ und damit Gewalttaten im Sin-
ne der NS-Ideologie propagiert (Urteil vom 22. Januar 1997 - BVerwG 2 WD
24.96 - BVerwGE 113, 48, <51> = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 12 NZWehrr
1997, 161) oder wenn er einzelnen in Deutschland lebenden Bevölkerungs-
gruppen das Existenzrecht abspricht (Urteil vom 24. Januar 1984 - BVerwG
2 WD 40.83 - NZWehrr 1984, 167 ). Ruft ein Soldat durch sein dienstliches
oder außerdienstliches Verhalten (z.B. durch die Verwendung menschenver-
achtender Formulierungen, vgl. Urteil vom 22. Januar 1997 a.a.O.) eine Erinne-
rung an die Verbrechen und Ideologien des NS-Regimes wach oder gerät er
sonst in den Verdacht, dass er das NS-Regime und dessen verbrecherische
Ideologie und Politik rechtfertigt oder als Vorbild hinstellt, und hält er dies für
unbegründet, ist er gehalten, glaubhaft diesem Eindruck aktiv entgegenzuwir-
ken und unzweideutig darzutun, dass dieser Verdacht ungerechtfertigt ist
(BVerfG, Urteil vom 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 - BVerfGE 39, 334 <348> =
NJW 1975, 1641). Nur dann erfüllt er seine Pflicht, durch sein gesamtes Ver-
halten für die Erhaltung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im
Sinne des Grundgesetzes aktiv einzutreten.
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Dem Soldaten hat jedoch vorliegend nicht nachgewiesen werden können, dass
er mit seiner von Anschuldigungspunkt 1 erfassten (zweimal getätigten) Äuße-
rung eine positive Einstellung oder Erinnerung an die Verbrechen und Ideologie
des NS-Regimes propagieren oder das NS-Regime und dessen verbrecheri-
sche Ideologie und Politik rechtfertigen oder als Vorbild hinstellen wollte. Er hat
jedenfalls im Rahmen der nachfolgenden Vernehmungen und auch im gerichtli-
chen Disziplinarverfahren unmissverständlich und glaubhaft dargetan, dass ihm
der verbrecherische Charakter des NS-Regimes in vollem Umfang bewusst ist
und dass er dieses Herrschaftssystem aus Überzeugung ablehnt. Das haben
auch seine Kameraden, die vom Senat vernommenen Zeugen R., H., Ru., L.,
G., K., Ra. und M. sowie die Leumundszeugen H. und Ro. übereinstimmend
und glaubhaft bestätigt. Der Senat hat keine Veranlassung, dies in Zweifel zu
ziehen.
Anschuldigungspunkt 2: Äußerung am 20. April 2005 „So, dann müssen wir
heute mal ein bisschen Geburtstag feiern“
(a) Am 20. April 2005 äußerte der Soldat im Bereich der Wohnebene ... der
Bw-Universität ... im Beisein von „bei einem Bier“ im Gemeinschaftsraum zu-
sammensitzenden Kameraden, zu denen jedenfalls die Zeugen Leutnant R.,
Leutnant G., Leutnant H. und Leutnant (damals: Oberfähnrich) K. gehörten,
sinngemäß: „So, dann müssen wir heute mal ein bisschen Geburtstag feiern“.
Dabei spielte er auf den Jahrestag des Geburtstags von Adolf Hitler (geboren
am 20. April 1889) an. Eine ähnliche Äußerung hatte er kurz zuvor bereits ge-
genüber seinem Vorgesetzten Kapitänleutnant M., dem Leiter der Studenten-
fachbereichsgruppe ..., in dessen Dienstzimmer getan, auf Nachfrage allerdings
versichert, das sei von ihm nicht so ernst gemeint gewesen.
Der Soldat hat die ihm zur Last gelegte Äußerung im Kern eingeräumt. Er hat
zwar geltend gemacht, es habe sich dabei um einen für alle Anwesenden deut-
lich erkennbaren „Scherz“ gehandelt. In den sechziger und siebziger Jahren
seien solche „Feiern“ aus Anlass des „Führer-Geburtstages“ in den Streitkräften
der Bundeswehr, insbesondere bei der Infanterie, häufig vorgekommen. Darauf
habe er anspielen wollen. Niemand der Anwesenden habe am 20. April 2005
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ernsthaft annehmen können, dass er zu einer Feier aus Anlass des Geburtsta-
ges von Adolf Hitler habe aufrufen wollen. Diese Einlassungen des Soldaten
ändern jedoch nichts daran, dass er sich tatsächlich in der ihm zur Last geleg-
ten Weise geäußert hat.
Auch die Bekundungen der Zeugen R., G., Ru., H. und K. bestätigen dies. Nach
ihrem Eindruck handelte es sich bei der von ihnen deutlich und unmiss-
verständlich wahrgenommenen Äußerung des Soldaten um eine „rhetorische
Frage“ (so der Zeuge R.), um einen „äußerst derben Scherz“ (so der Zeuge G.)
oder um eine „Art“ von in Anspruch genommener „Narrenfreiheit“ (so der Zeuge
Ru.). Der Soldat habe es offenbar darauf absehen, wie auch bei anderen Gele-
genheiten durch provokante Äußerungen auf sich aufmerksam zu machen (so
der Zeuge H.), Aufsehen zu erregen und sich in gewisser Weise bei den anwe-
senden Kameraden in den Mittelpunkt zu stellen. Der Zeuge K. hat zudem be-
kundet, die Äußerung stehe mit ähnlichen Verhaltensweisen des Soldaten im
Zusammenhang, der z.B. wiederholt die Stimme Adolf Hitlers imitiert und durch
provokante Erklärungen und „Sprüche“ den Eindruck einer besonderen „Affini-
tät“ zum NS-Regime hervorgerufen habe. Der Senat hat angesichts des Ges-
tändnisses des Soldaten insgesamt keine Veranlassung, an der inhaltlichen
Richtigkeit der Bekundungen der Zeugen zu zweifeln.
(b) Mit seinem zu Anschuldigungspunkt 2 festgestellten Äußerungsverhalten
verletzte der Soldat seine soldatischen Pflichten nach § 10 Abs. 6 (dazu (aa))
und § 17 Abs. 2 Satz 1 SG (dazu (bb)), dagegen verstieß er nicht gegen § 7 SG
(dazu (cc)) und gegen § 8 SG (dazu (dd)).
(aa) Die am 20. April 2005 vom Soldaten gegenüber den „bei einem Bier“ im
Gemeinschaftsraum der Wohnebene ... zusammensitzenden Kameraden getä-
tigte sinngemäße Äußerung („So, dann müssen wir heute mal ein bisschen Ge-
burtstag feiern“) enthielt nach ihrem Wortlaut die eindeutige und auch von ihm
eingeräumte Anspielung auf den Jahrestag des Geburtstages (20. April 1889)
von Adolf Hitler. In der-Regimes war der "Führergeburtstag" ein
„besonders begangener Tag“. Jährlich war a dem Geburtstag des
staatlicherseits Beflaggung („Beflag-
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gungstag“) angeordnet ( vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 4 der Zweiten Verordnung zur
Durchführung des Reichsflaggengesetzes vom 28. August 1937, RGBl I S.
917). An diesem Tag wurden jährlich Parteifeiern und Gedenkstunden im gan-
zen Reichsgebiet und in den annektierten Gebieten abgehalten. Bei diesen wa-
ren neben Reden über die Bedeutung des „Führers“ und seine Rolle in der Ge-
schichte auch antisemitische Hetzreden an der Tagesordnung. Üblich war auch
das Singen von nationalsozialistischen Liedern, so genannten „Liedern der Be-
wegung“, und der „Lieder der Nation“ als offiziell
als inoffizielle Nationalhymne). Der 20. April Hitlers
50. Geburtstag, war darüber hinaus ein staatlich verordneter(vgl. Ver-
ordnung vom 17. April 1939, RGbl I S. 763, 764) mit besonders ausgedehnten
Feierlichkeiten (vgl. dazu auch Roland Kopp, Die Wehrmacht feiert. Komman-
deurs-Reden zu Hitlers 50. Geburtstag am 20. April 1939, in: Militärgeschichtli-
che Zeitschrift 62 (2003) S. 471 ff.). Auch nach dem Ende des NS-Regimes
wurde und wird in neonazistischen Kreisen der „Führer-Geburtstag“ gefeiert. In
der Bundeswehr kam es seit den 60er Jahren wiederholt zu solchen Vorfällen,
in denen Soldaten am 20. April den Jahrestag des Geburtstages von Adolf Hit-
ler zum Anlass von „Feiern“ und Trinkgelagen nahmen, worüber auch in den
Berichten des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages berichtet wurde
(vgl. u.a. Jahresbericht 2004, BT-Drucks 15/5000 S. 40, 47). Diese Vorge-
schichte war dem Soldaten zur Tatzeit bekannt. In der Berufungshauptverhand-
lung hat er auch ausdrücklich auf solche „Feiern“ in der Bundeswehr, die sich
vor allem in den 60er und 70er Jahren ereignet hätten, Bezug genommen, und
erklärt, daran habe er mit seiner Äußerung scherzhaft anknüpfen wollen, wie er
es zuvor schon am selben Tag gegenüber seinem damaligen Vorgesetzten Ka-
pitänleutnant M. getan habe. Allerdings sei es ihm nur um einen Kalauer oder
Scherz gegangen. Er habe keinesfalls vorgehabt, mit seinen Kameraden tat-
sächlich an jenem 20. April 2005 „Führers Geburtstag“ zu feiern. Dass seine
Kameraden seine Äußerung mit Lachen quittiert hätten, habe gezeigt, dass
diese Botschaft auch angekommen sei.
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Nach den vom Senat getroffenen Feststellungen war die vom Soldaten gewähl-
te Formulierung nach ihrem Wortlaut und angesichts der vom Soldaten auch
intendierten und von den Adressaten auch so verstandenen historischen An-
knüpfung nach ihrem Sinn und Gehalt objektiv durchaus geeignet, den Eindruck
zu erwecken, er wolle seine Kameraden zum „Feiern“ des Jahrestages von
Hitlers Geburtstag animieren oder gar auffordern. Es kann dem Soldaten zwar
nicht nachgewiesen werden, dass er wirklich das meinte und wollte, was er
objektiv verbal zum Ausdruck brachte. Für einen unbefangenen verständigen
Dritten war aber auch nicht sicher, dass der Soldat seine Äußerung keinesfalls
ernst meinte und dass er „nur“ einen geschmacklosen Scherz machen wollte,
um zu provozieren oder jedenfalls Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Denn der
Soldat knüpfte mit seiner Äußerung, wie er in der Berufungshauptverhandlung
selbst dargelegt hat, gerade daran an, dass es in der Bundeswehr über Jahre
hinweg tatsächlich immer wieder zu solchen „Feiern“ am 20. April gekommen
war. Dabei war ihm durchaus bewusst, dass dies im In- und Ausland zu hefti-
gen Irritationen über den Zustand der Bundeswehr geführt hatte. Ein solches
Äußerungsverhalten des Soldaten ist mit der sich aus § 10 Abs. 6 SG ergeben-
den Pflicht nicht vereinbar, als Offizier bei Äußerungen Zurückhaltung zu üben.
Seine Äußerung war jedenfalls weder sachlich noch besonnen. Angesichts ihrer
Brisanz war sie auch geeignet, durch andere Soldaten oder über die
Öffentlichkeit Untergebenen bekannt zu werden. Abgesehen davon war mit
dem Oberfähnrich K. zumindest ein Soldat mit einem niedrigeren Dienstgrad als
demjenigen des Soldaten und damit ein Untergebener anwesend.
Da der Soldat wusste, was er sagte und dies auch wollte, handelte er vorsätz-
lich.
(bb) Das von Anschuldigungspunkt 2 erfasste Verhalten des Soldaten inner-
halb dienstlicher Unterkünfte war auch mit seiner Pflicht zur Achtungs- und Ver-
trauenswahrung (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) nicht vereinbar. Wenn ein Soldat, der
als Leutnant jedenfalls kraft Dienstgrades (§ 4 VorgV) eine Vorgesetztenstel-
lung innehat und deshalb nach § 10 Abs. 1 SG verschärfter Haftung unterliegt,
objektiv den Eindruck erweckt, er wolle seine in „gemütlicher Runde“ bereits
Alkohol konsumierenden Kameraden zu einer Feier des Jahrestages des Ge-
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burtstages von Adolf Hitler animieren, erschüttert er angesichts der unzähligen
von dem zu feiernden „Jubilar“ verübten und zu verantwortenden Kriegs- und
anderen Massenverbrechen das Vertrauen in seine eigene persönliche Integri-
tät und seine charakterliche Eignung. Jedenfalls war sein Äußerungsverhalten
objektiv geeignet, diese Folgen auszulösen. Dies ist für jeden Soldaten der
Bundeswehr, der den Diensteid geleistet und sich damit ausdrücklich dazu ver-
pflichtet hat, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und
die Freiheit des Deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, so evident, dass er
dazu keiner ausdrücklichen Belehrung bedurfte. Da der Soldat wusste, was er
sagte und dies auch wollte, handelte er vorsätzlich.
(cc) Das Verhalten des Soldaten verletzte dagegen nicht seine Pflicht zum
treuen Dienen (§ 7 SG). Insbesondere stellte es keine Straftat nach § 130
Abs. 4 StGB dar. Eine Tatbestandsverwirklichung scheidet hier schon deshalb
aus, weil die Äußerung im Gemeinschaftsraum der Wohnebene ... der dienstli-
chen Unterkunft des Soldaten und damit aus den oben in anderem Zusam-
menhang dargelegten Gründen weder öffentlich noch in einer Versammlung
erfolgte. Außerdem bewirkte die Äußerung keine vollendete Störung des öffent-
lichen Friedens.
(dd) Mit seinem Äußerungsverhalten verletzte der Soldat auch nicht seine in
§ 8 SG normierte Pflicht, die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sin-
ne des Grundgesetzes anzuerkennen und durch sein gesamtes Verhalten für
ihre Erhaltung einzutreten. Wie bereits seine von Anschuldigungspunkt 1 er-
fasste (zweimal erfolgte) Äußerung zeigt, neigte der Soldat jedenfalls damals
offenkundig dazu, in seinen von ihm sehr geschätzten provokanten „Sprüchen“
auf Vorgänge im NS-Regime Bezug zu nehmen und dabei etwa durch Bagatel-
lisierung von Massenverbrechen und durch Verhöhnung von Opfern auch die
Grenzen des Erträglichen weit zu überschreiten. Das war in Ansätzen auch bei
seiner von Anschuldigungspunkt 2 erfassten Äußerung der Fall, mit der er an-
deutete, es liege nahe und er rege an, den Jahrestag des Geburtstages von
Adolf Hitler mit seinen Kameraden zu feiern. Eine solche Rede- und Aus-
druckspraxis, die er nach seinen Angaben heute offenbar selbst bedauert, ist
zwar objektiv geeignet, den Eindruck zu erwecken, bei dem so sich Äußernden
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handele es sich um einen Soldaten, der ein unkritisches oder gar positiv affir-
matives Verhältnis zum verbrecherischen NS-Regime hat und dieses verharm-
losen oder gar für dieses Propaganda machen will. Nach den vom Senat getrof-
fenen Feststellungen war und ist diese Schlussfolgerung jedoch im Ergebnis
nicht gerechtfertigt. Vielmehr handelte es sich bei diesen NS-bezogenen Äuße-
rungen des Soldaten um - angesichts seines guten Bildungsstandes überra-
schend - sehr unqualifizierte und von ihm letztlich nicht hinreichend bedachte
Redeweisen, mit denen der Soldat auffallen wollte. Offenbar brauchte und ge-
noss er die auf diese Art gewonnene Aufmerksamkeit seiner Zuhörer und
Kommunikationspartner. Möglicherweise handelte es sich auch um Kompensa-
tionshandlungen für bei sich selbst wahrgenommene Defizite und/oder um
missglückte Bemühungen, sein Selbstwertgefühl zu stärken oder sich zu bestä-
tigen.
Anschuldigungspunkt 3: Äußerung über angebliche Fesselung und Misshand-
lung einer drogenabhängigen Frau und anschließende entwürdigende Behand-
lung
(a) Der Soldat äußerte an einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt im
Zeitraum von September 2004 bis Mai 2005 in den Räumen der Wohnebene ...
der Bundeswehr-Universität ... im Beisein von Kameraden, jedenfalls der Zeu-
gen Leutnant R., Oberleutnant zur See Ra. und Leutnant G. sinngemäß, dass
er eine drogenabhängige Frau über Wochen im Keller an Heizungsrohre fesseln
würde, ihr nur Wasser und Brot geben würde und dass sie dann nach dieser
„Entziehungskur“ den Angehörigen der Wohnebene im Hinblick auf Putzdienste
und „sexuelle Gefälligkeiten“ gefügig sein müsste.
Der Soldat hat in der Berufungsverhandlung dieses ihm zur Last gelegte Ver-
halten uneingeschränkt eingeräumt und bedauernd sinngemäß zum Ausdruck
gebracht, er habe sich unbezweifelbar in der Wortwahl vergriffen. Zweifel an der
Richtigkeit dieses Geständnisses hat der Senat nicht. Die Zeugen R., Ra., G.,
H. und K. haben in Übereinstimmung mit ihren früheren Bekundungen während
ihrer Vernehmungen durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft und die Trup-
pendienstkammer in der Berufungshauptverhandlung glaubhaft bestätigt, dass
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sie die in Rede stehende Äußerung des Soldaten persönlich gehört und wahr-
genommen haben. Offenkundig habe der Soldat „aufschneiden“ wollen, um sich
im Rahmen einer lockeren Runde, in der „unter Männern“ auch anzügliche
Bemerkungen über Prostituierte von der Reeperbahn oder über eigene sexuelle
Erfahrungen gefallen seien, in Szene zu setzen.
(b) Mit seinem festgestellten, von Anschuldigungspunkt 3 erfassten Verhalten
verletzte der Soldat seine dienstlichen Pflichten nach § 10 Abs. 6 und § 17 Abs.
2 Satz 1 SG. Insoweit wird auf die nachfolgenden Gründe zu der gleichartigen,
von Anschuldigungspunkt 4 erfassten Äußerung verwiesen.
Anschuldigungspunkt 4: Äußerung über sexuelles Verhalten gegenüber Frauen
(a) Der Soldat äußerte an einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt im
Zeitraum von September 2004 bis Mai 2005 in den Räumen der Wohnebene ...
der Bundeswehr-Universität ... im Beisein von Kameraden, jedenfalls der Zeu-
gen Leutnant R., Oberleutnant zur See Ra. und Leutnant M. sinngemäß, dass
es das Beste sei, eine Frau „von hinten zu nehmen“, ihr kurz bevor man selbst
„komme“ in den Nacken zu schlagen, damit sie sich verkrampfe, und dass dies
die „beste Art“ sei „zu kommen“.
Auch diese Äußerung hat der Soldat in der Berufungsverhandlung uneinge-
schränkt eingeräumt und geltend gemacht, er habe sich insoweit in seiner
Wortwahl vergriffen. Zweifel an der Richtigkeit dieses Geständnisses hat der
Senat nicht. Die Zeugen R., Ra., G., H. und K. haben in Übereinstimmung mit
ihren früheren Bekundungen während ihrer Vernehmungen durch die Wehrdis-
ziplinaranwaltschaft und die Truppendienstkammer in der Berufungshauptver-
handlung glaubhaft bestätigt, dass sie die in Rede stehende Äußerung des
Soldaten persönlich gehört und wahrgenommen haben. Auch hierbei sei offen-
kundig gewesen, dass der Soldat habe „aufschneiden“ wollen, um sich gegen-
über seinen Kameraden in Szene zu setzen.
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(b) Mit seinem festgestellten, von Anschuldigungspunkt 4 erfassten Verhalten
verletzte der Soldat - ebenso wie mit seiner von Anschuldigungspunkt 3 erfass-
ten gleichartigen Äußerung - seine dienstlichen Pflichten nach § 10 Abs. 6 und
§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG.
Nach ihrem Sinn und Gehalt waren beide Äußerungen des Soldaten, wie er
auch selbst in der Berufungshauptverhandlung der Sache nach eingeräumt hat,
sexistisch. Der Soldat schwadronierte nicht nur bei den „Erlebnisberichten“ ei-
niger seiner Kameraden aus dem Rotlicht-Milieu der Hamburger Reeperbahn
mit. Insbesondere fällt darüber hinausgehend ins Gewicht, dass er im Verlaufe
seiner Äußerungen nach dem Wortlaut der von ihm gewählten Formulierungen
auch für einen bestimmten, letztlich menschenverachtenden Umgang mit einer
nicht näher bezeichneten Frau plädierte, die drogenabhängig sei. Er würde sie,
so der Soldat, über Wochen im Keller des Unterkunftsblocks bei Wasser und
Brot an den Heizungsrohren fesseln, so dass sie dann nach dieser „Entzie-
hungskur“ den Nutzern der Wohnebene im Hinblick auf Putzdienste und sexu-
elle „Gefälligkeiten“ gefügig sei. Auf den Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit,
die gemäß Art. 5 Abs. 2 GG u.a. durch die allgemeinen Gesetze und das Recht
der Ehre begrenzt wird, kann er sich dabei nicht berufen, jedenfalls nicht auf
dessen Vorrang gegenüber dem Anspruch auf Achtung der Würde seiner
Zuhörer, die er mit seiner in Rede stehenden Äußerung konfrontierte. Seine
Äußerungen waren ersichtlich kein Beitrag zur öffentlichen Meinungs- und Wil-
lensbildung in einem demokratischen Gemeinwesen. Nicht jede Entäußerung
eines Menschen, auch wenn sie in verbaler Form erfolgt, stellt eine Meinungs-
äußerung dar. Der Soldat macht selbst nicht geltend, mit dieser sexistischen
Äußerung eine persönliche Meinung zu einem bestimmten Umgang mit einer
konkreten Frau oder mehreren Frauen getätigt zu haben. Es handelte sich mit-
hin um eine verbale Entgleisung, die allerdings ungeachtet dessen objektive
Wirkungen auslöste, die sich der Soldat zurechnen lassen muss. Die Äußerung
überschritt nicht nur die Grenzen des „guten Geschmacks“. Vielmehr lässt sie
jede Achtung vor der Würde seiner Zuhörer sowie der Würde und dem sexuel-
len Selbstbestimmungsrecht der von ihm nicht näher bezeichneten Frau ver-
missen. Auch bei der von Anschuldigungspunkt 4 erfassten Äußerung wurden
seine Zuhörer von ihm mit verbalisierten sexuellen Gewaltfantasien konfron-
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tiert, deren Realisierung und praktische Umsetzung er nach dem objektiven
Erklärungsgehalt seiner Formulierungen propagierte oder jedenfalls als wün-
schenswert darstellte. Die von ihm gewählten Formulierungen und sexistischen
Bilder brachten eine frauen- und letztlich auch menschenfeindliche Vorstel-
lungswelt zum Ausdruck, die von Fantasien der Macht über Frauen geprägt ist
und die die Androhung und Anwendung von Gewalt gegen Frauen als legitim
herausstellt und einer entsprechenden Verrohung Vorschub leistet. Auch wenn
ihn seine Zuhörer mit seinen, wie es sein Verteidiger formulierte, „Schweine-
Igeleien“ möglicherweise nicht recht ernst nahmen, zeichnete und propagierte
er mit diesen Selbstoffenbarungen ein Bild von sich und seiner Vorstellungs-
welt, das im Sinne des § 10 Abs. 6 SG geeignet war, seine charakterliche Reife
und Eignung als Vorgesetzter in Frage zu stellen. Der Umstand, dass das Ge-
spräch mit seinen Kameraden, wie die dazu vernommenen Zeugen R., Ra. und
G. übereinstimmend bestätigt haben, im Gefolge seiner in Rede stehenden se-
xistischen Äußerungen gleichsam erstarrte und abrupt zu Ende kam, macht
deutlich, welche Reaktionen er mit seinen verbalisierten Gewaltfantasien bei
ihnen ausgelöst hatte. Sie wollten damit ungeachtet ihres vom Soldaten ange-
führten Johlens und Grinsens nichts zu tun haben und brachten dies durch ihr
letztlich distanzierendes Verhalten auch zum Ausdruck. Offenkundig hatte der
Soldat ihnen seine sexistischen Gewaltfantasien ungefragt gleichsam aufge-
drängt und dadurch eine für sie eher peinliche Situation hervorgerufen, mit der
sie nichts zu tun haben wollten. Die in Rede stehenden Äußerungen des Solda-
ten waren mithin ersichtlich weder sachlich noch besonnen und deshalb mit
dem Gebot zur Zurückhaltung nach § 10 Abs. 6 SG schlechthin nicht vereinbar.
Mit dem Zeugen K., der damals den Dienstgrad eines Oberfähnrichs hatte, war
auch zumindest ein Untergebener bei der Äußerung zugegen, so dass § 10
Abs. 6 SG verletzt worden ist.
Das in dem dienstlichen Unterkunftsgebäude erfolgte Äußerungsverhalten des
Soldaten verletzte auch in beiden Fällen (Anschuldigungspunkte 3 und 4) seine
Achtungs- und Vertrauenswahrungspflicht (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG). Er vermit-
telte für den maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont seinen Zuhörern den
Eindruck, dass er gedanklich mit solchen sexuellen Gewaltfantasien spiele und
propagiere, möglicherweise sogar erwäge, sie auszuleben. Dies war objektiv
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geeignet, das Vertrauen von Kameraden in seine charakterliche Reife und sei-
ne Eignung als Offizier der Bundeswehr gravierend in Frage zu stellen.
Da der Soldat wusste, was er sagte und dies auch wollte, handelte er vorsätz-
lich.
Anschuldigungspunkt 5: Äußerung über „hochmotivierte SA“
(a) An einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt im Zeitraum zwischen
Mitte November bis Ende Dezember 2004 äußerte der Soldat in einem Hörsaal
der Bundeswehr-Universität Hamburg im Beisein von Kameraden, jedenfalls
der Zeugen Oberleutnant Freiherr L. und Leutnant R., während einer Lehrver-
anstaltung über Personalmanagement im Rahmen einer dabei entstandenen
Diskussion über die Frage, warum hochmotivierte Mitarbeiter in einem Betrieb
trotz ihrer Motivation innerbetrieblichen Spannungen und Problemen unterwor-
fen sind, auf die Nachfrage eines Kameraden, dem die Problematik nicht be-
wusst geworden war, sinngemäß: „Mensch Junge, guck Dir mal die SA an - die
waren auch hoch motiviert und hatten trotzdem Konflikte.“
Der Soldat hat diese Äußerung eingeräumt, allerdings geltend gemacht, er ha-
be diese mit dem auf die SA bezogenen Zusatz „und das waren Verbrecher“
verbunden. Der Kontext seiner Äußerung sei dadurch bestimmt gewesen, dass
es ihm erkennbar nicht um eine positive Identifizierung mit der verbrecherischen
NS-Organisation SA, sondern gerade um eine Distanzierung gegangen sei. Er
habe sich nach dem Vortrag der Dozentin, in dem es u. a. um die Rolle und
Funktion von Begeisterung gegangen sei, kritisch an der aufgekommenen
Diskussion beteiligt, weil er Begeisterung von Menschen nicht uneingeschränkt
positiv sehe. Er halte Begeisterung wegen der immanent damit verbundenen
Verblendungsgefahr eher für etwas Negatives und habe mit seiner Äußerung
zum Nachdenken provozieren wollen. Dabei sei zu bedenken, dass seine Äu-
ßerung in einer Lehrveranstaltung gefallen sei, die er in der ersten Phase sei-
nes Studiums besucht habe. Damals habe er noch etwas naiv gedacht, ein
Bundeswehrsoldat müsse sich stets militärisch kurz und knapp äußern. Die
damit verbundene Gefahr der Verkürzung und Überspitzung des Gemeinten
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habe er vielleicht nicht hinreichend bedacht, was ihm dann auch durch die Re-
aktion des Zeugen L. deutlich geworden sei, der ihn wegen seiner provokanten
Äußerung sogleich kritisiert und zur Rede gestellt habe.
Ob der Soldat im Anschluss an seine von Anschuldigungspunkt 5 erfasste Äu-
ßerung tatsächlich noch den von ihm angeführten Zusatz („und das waren Ver-
brecher“) hinzugefügt hatte, hat der Senat nicht mehr feststellen können. Die
Zeugen L. und R. haben sich hieran in der Berufungshauptverhandlung nicht
erinnern können. Weitere Beweismittel sind nicht ersichtlich. Allerdings konnten
beide Zeugen eine solche ergänzende Bemerkung des Soldaten auch nicht mit
Gewissheit ausschließen. Dies entspricht ihren früheren Bekundungen bei ihren
Vernehmungen durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft und durch die Truppen-
dienstkammer. Die Zeugen haben im Übrigen den Kontext und die Zielrichtung
der Äußerung des Soldaten, wie er dies geltend gemacht hat, uneingeschränkt
bestätigt. Erkennbar sei es ihm darum gegangen, sich kritisch zu den mit der
Begeisterung hoch motivierter Menschen verbundenen Gefahren zu äußern.
Dafür habe er das Beispiel der NS-Organisation der SA herangezogen, weil
dies besonders evident sei. Seine Äußerung sei bei den anderen Mitstudenten
im Hörsaal überwiegend „angekommen“, weil sie problembezogen und erhel-
lend gewesen sei. Der Zeuge L. hat dabei bestätigt, dass er nach der in Rede
stehenden Äußerung des Soldaten diesen noch in der Lehrveranstaltung dafür
deutlich kritisiert habe. Er wolle heute jedoch relativierend einräumen, dass sei-
ne scharfe Reaktion gegenüber dem Soldaten vielleicht etwas überzogen und
vielleicht auch unangemessen gewesen sei. Es sei ihm dabei jedoch nicht um
den Inhalt und die Zielrichtung der Äußerung gegangen, sondern vielmehr dar-
um, Missverständnissen und Entgleisungen in der Diskussion vorzubeugen. Er
finde es prinzipiell als sehr problematisch, in einer Lehrveranstaltung einer
Bundeswehr-Universität Vergleiche mit Situationen aus der NS-Zeit zu wählen.
Dies könne leicht „abgleiten“ und zu missverständlichen Folgediskussionen füh-
ren, zumal das Thema „Rechtsradikalismus in der Bundeswehr“ hochsensibel
sei. Für ihn sei aber völlig eindeutig gewesen, dass sich der Soldat nicht etwa
positiv auf die SA und die hohe Motivation ihrer Angehörigen bezogen habe.
Vielmehr sei die Äußerung des Soldaten unzweifelhaft sarkastisch gemeint und
als solche für ihn und andere Anwesende eindeutig erkennbar gewesen. Auch
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der Zeuge R. hat glaubhaft bekundet, die Äußerung des Soldaten sei in der
konkreten Diskussionssituation aus seiner Sicht zwar sehr provokant, aber als
„treffendes Beispiel“ durchaus passend und erhellend gewesen. Er, der Zeuge,
habe sich damals sinngemäß gedacht: „Verdammt, den Spruch hättest du auch
gerne gebracht, denn er passt“.
Der Senat hat keine Veranlassung, an der Glaubhaftigkeit der Aussagen der
beiden Zeugen und deren Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Erkennbar ist es ihnen
insbesondere nicht darum gegangen, den Soldaten ungerechtfertigt zu entlas-
ten und sein Verhalten „schönzureden“. Beide Zeugen sind vielmehr ersichtlich
strikt darum bemüht gewesen, das von ihnen seinerzeit Wahrgenommene und
heute noch Erinnerte wahrheitsgemäß zu bekunden und dabei eigene beste-
hende Erinnerungslücken nicht zu verdecken. Sie waren darauf bedacht, nur
das zu bekunden, woran sie sich noch mit Bestimmtheit erinnern konnten. Ihre
Bekundungen waren konkret und anschaulich, in sich schlüssig und frei von Wi-
dersprüchen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sie die Unwahrheit gesagt
haben, sind nicht erkennbar.
(b) Das festgestellte Verhalten des Soldaten verstieß nicht gegen seine solda-
tischen Pflichten. Der Soldat war deshalb von dem in Anschuldigungspunkt 5
erhobenen Vorwurf freizustellen.
Seine Äußerung verletzte weder seine Pflicht zur Zurückhaltung (§ 10 Abs. 6
SG) noch das Achtungs- und Vertrauenswahrungsgebot im Dienst (§ 17 Abs. 2
Satz 1 SG) noch eine andere Dienstpflicht.
Es handelte sich vielmehr um einen pointierten Diskussionsbeitrag im Rahmen
einer dienstlichen Veranstaltung über die Motivation/Motivierung von Mitarbei-
tern. Ein solcher Diskussionsbeitrag ist jedenfalls von der Meinungsäußerungs-
freiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) gedeckt, die gerade auch Studenten im Rahmen von
akademischen Lehrveranstaltungen zusteht. Damit kann offen bleiben, ob dar-
über hinaus auch das Grundrecht der Freiheit der Wissenschaft (Art. 5 Abs. 3
GG) in einer wissenschaftlichen Lehrveranstaltung erfolgende kritische Stel-
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lungnahmen von Studenten zu Äußerungen des Hochschullehrers oder von
Mitstudenten schützt.
§ 10 Abs. 6 SG und § 17 Abs. 2 Satz 1 SG verdrängen diese grundrechtliche
Gewährleistung nicht. Ein an einer Bundeswehr-Universität studierender Soldat,
der in einer akademischen Lehrveranstaltung in der erfolgten Weise von seinem
Meinungsäußerungsrecht Gebrauch macht, ohne die in Art. 5 Abs. 2 GG
normierten Grenzen der allgemeinen Gesetze (vgl. dazu u.a. BVerfG, Urteil
vom 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - BVerfGE 7, 198 <209 f.>; Clemens, in:
Umbach/Clemens, GG, 2002, Bd. I, Art. 5 Rn. 125 ff. m.w.N.), des Rechts der
Ehre und der gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend zu über-
schreiten, handelt im Sinne des § 10 Abs. 6 SG weder unbesonnen, noch un-
sachlich noch untolerant. Er missachtet damit auch nicht die Rechte anderer.
Die Inanspruchnahme eines Grundrechtes ist auch nicht geeignet, einen Ver-
stoß gegen die Achtungs- und Vertrauenswahrungspflicht (§ 17 Abs. 2 Satz 1
SG) zu begründen.
Anschuldigungspunkt 6: Vorwurf des Verwendens des Hitlergrußes
Der Senat hat - ebenso wie die Truppendienstkammer - nicht mit der erforderli-
chen Gewissheit feststellen können, dass der Soldat, wie ihm vorgeworfen wird,
zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Zeitraum von September 2004
bis Mai 2005 im Bereich der Bundeswehr-Universität ... einem Kameraden
gegenüber wortlos den ausgestreckten rechten Arm zum sogenannten Hitler-
gruß erhoben hat.
Der Soldat hat von Anfang an die inhaltliche Richtigkeit dieses Vorwurfs mit
Entschiedenheit bestritten. Dabei ist er auch während seiner Einlassungen vor
der Truppendienstkammer und in der Berufungshauptverhandlung geblieben.
Seine Einlassungen waren in sich schlüssig und frei von Widersprüchen. Sie
konnten ihm nicht widerlegt werden.
Die vom Senat in der Berufungshauptverhandlung dazu vernommenen Zeugen
G., Ra., Ru., R., H., M. und K. haben übereinstimmend bekundet, sie hätten nie
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gesehen, dass der Soldat seinen rechten Arm ausgestreckt zum so genannten
Hitlergruß erhoben habe. Sonstige Beweismittel sind dem Senat nicht vorgelegt
worden und - wie auch der Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts in der
Berufungshauptverhandlung dargelegt hat - nicht ersichtlich.
Ob der Soldat, wie der Zeuge K. bei seiner Vernehmung durch die Staatsan-
waltschaft am 6. Juli 2007 und damit übereinstimmend auch in der Berufungs-
hauptverhandlung bekundet hat, gegenüber Kameraden eine andere Grußform
mit seinem rechten Arm ausgeführt oder präsentiert hat („nicht mit ausgestreck-
tem Arm, sondern eher den Ellenbogen nach unten und die rechte Hand senk-
recht nach oben gehoben“ - sog. schlampiger Hitlergruß), bedarf im vorliegen-
den Verfahren keiner näheren Feststellung. Denn dem Soldaten ist das Grüßen
mit einem nicht ausgestreckten Arm in der Anschuldigungsschrift nicht vorge-
worfen worden. Der in der Anschuldigungsschrift erhobene Vorwurf geht allein
dahin, der Soldat habe gegenüber Kameraden wortlos „den ausgestreckten
rechten Arm zum so genannten Hitlergruß“ gehoben. Zum Gegenstand der Ur-
teilsfindung können nach § 107 Abs. 1 WDO nur solche Pflichtverletzungen
gemacht werden, die in der Anschuldigungsschrift und ihren Nachträgen dem
Soldaten als Dienstvergehen zur Last gelegt worden sind.
Der Soldat ist damit schon aus tatsächlichen Gründen von dem in Anschuldi-
gungspunkt 6 gegen ihn erhobenen Vorwurf in vollem Umfang freizustellen.
Anschuldigungspunkt 7: Äußerung über Folter-Vernehmungsmethoden (Messer
in Eis einfrieren und dem Opfer anal einführen)
(a) Der Soldat äußerte zu einem nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkt im
Zeitraum von September 2004 bis Mai 2005 in den Räumen der Wohnebene ...
der Bundeswehr-Universität ... im Beisein von Kameraden, jedenfalls des Zeu-
gen Ra., dass es Folterpraktiken gebe, bei denen man ein Messer in Eis einfrie-
re und dieses dem Opfer anal einführe, so dass das Opfer, wenn das Eis
schmelze, ein „Problem“ habe.
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Der Soldat hat eingeräumt, diese Äußerung getan zu haben. Er habe eine sol-
che Foltermethode „beschrieben“. Dagegen hat er bestritten, er habe die An-
wendung einer solchen Folterpraktik befürwortet oder „sich zu eigen gemacht“.
Es sei falsch, wenn man ihm vorwerfe, er habe gesagt, man „müsse“ einem
Opfer ein vereistes Messer anal einführen, um damit dem Opfer beim Schmel-
zen des Eises ein „Problem“ zu bereiten. Er habe über eine solche Folterme-
thode nur diskutieren wollen, um darzustellen, wozu es führen könne, wenn Fol-
ter staatlicherseits zugelassen würde. Diese Einlassung hat ihm nicht mit der
erforderlichen Gewissheit widerlegt werden können. Keiner der vom Senat ver-
nommenen Zeugen hat - auch nach Vorhalt der Niederschriften über ihre frühe-
ren Vernehmungen - eine hinreichend bestimmte Erinnerung daran erkennen
lassen, dass der Soldat sich in ihrer Gegenwart in dieser Weise geäußert hat.
Weitere Beweismittel, mit denen der Soldat im Sinne der Anschuldigung hätte
überführt werden können, liegen nicht vor.
Soweit der Soldat geltend gemacht hat, er habe bei seiner Äußerung sinnge-
mäß ein Zitat aus dem literarischen Werk des russischen Schriftstellers
Solschenyzin („Archipel Gulag“) verwendet, hat dies ebenfalls keiner der ver-
nommenen Zeugen bestätigen können. Die Zeugen Ru. und H. haben in der
Berufungshauptverhandlung übereinstimmend bekundet, sie könnten sich an
die dem Soldaten vorgeworfene Äußerung und erst recht an einen Hinweis auf
Solschenyzin oder den „Archipel Gulag“ überhaupt nicht erinnern. Dagegen
haben die Zeugen R., Ra. und G. glaubhaft ausgeführt, der Soldat habe sich
- wie von ihm auch selbst eingeräumt - in ihrer Gegenwart zu der in Rede ste-
henden Foltermethode geäußert. Allerdings haben sie den Kontext, in dem die-
se Äußerung fiel, nicht mehr mit der erforderlichen Sicherheit wiedergeben kön-
nen. Der Zeuge G. glaubte sich daran erinnern zu können, der Soldat habe
sinngemäß geäußert, früher sei in seiner Truppengattung bei den Panzerauf-
klärern die Gefahr des Folterns im Falle der Gefangennahme Thema der Aus-
bildung gewesen. Dabei seien Foltermethoden verbal vorgestellt worden, um
die Soldaten auf eine solche Eventualsituation vorzubereiten. Vermutlich vor
diesem Hintergrund und in diesem Zusammenhang sei dann die Äußerung des
Soldaten gefallen. Möglicherweise sei es dabei auch um den „Fall Daschner“
gegangen; er wolle und könne dies nicht ausschließen, habe aber daran und an
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einen vom Soldaten gegebenen Hinweis auf den Schriftsteller Solschenyzin
und/oder dessen Werk „Archipel Gulag“ keine präsente Erinnerung. Dem ent-
sprechen auch die Bekundungen der Zeugen R. und Ra., die sich an einen sol-
chen Zusammenhang nicht haben erinnern können. Sie haben aber auch nicht
ausschließen können, dass der Soldat bei seiner Äußerung einen Zusammen-
hang zum „Fall Daschner“ und/oder zum „Archipel Gulag“ hergestellt habe.
Übereinstimmend haben sie allerdings glaubhaft und in sich schlüssig bekun-
det, dass es dem Soldaten bei seiner Äußerung erkennbar nicht um eine Pro-
pagierung von Folter oder sonstiger unmenschlicher Gewaltanwendung gegan-
gen sei. Vielmehr habe er sich in seiner „bekannt schlagfertigen“ provokanten
Art nach dem erkennbaren Kontext kritisch und ablehnend zu solchen Folter-
methoden geäußert und habe davor warnen wollen. Erst recht sei es ihm, so
die Zeugen übereinstimmend, nicht um eine Gewaltverherrlichung gegangen,
auch wenn der Soldat mit seinen „Gewaltfantasien“, seiner „Protzerei“ und sei-
nem Anspruch, ein „überkorrekter Offizier“ sein zu wollen (so der Zeuge Ra.),
seine Mitkameraden schon mal „genervt“ habe.
Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die vorgenannten Zeugen dem
Soldaten durch geschönte und mithin unrichtige Aussagen ungerechtfertigt bei-
stehen wollten. Ihre Bekundungen sind glaubhaft. Sie waren, soweit sich die
Zeugen an den Vorfall noch haben erinnern können, anschaulich und in sich
widerspruchsfrei. Die Zeugen haben sich auch nicht zu eigenen früheren Aus-
sagen in einen unauflöslichen Widerspruch gesetzt. Auf Vorhaltungen und
Nachfragen sind sie konkret eingegangen und waren sichtlich darum bemüht,
real Erinnertes von nachträglichen Einschätzungen und Ex-post-Bewertungen
zu trennen. Dabei haben sie auch nicht mit durchaus kritischen Einschätzungen
der aus ihrer Sicht manchmal überzogen provokanten Sprechpraxis und dem
mitunter „übertrieben schneidigen“ Verhalten des Soldaten (so der Zeuge Ra.)
gespart.
(b) Das festgestellte Verhalten des Soldaten verstieß nicht gegen seine solda-
tischen Pflichten. Dabei ist davon auszugehen, dass dem Soldaten nicht wider-
legt werden konnte, dass seine Äußerung unter Kameraden in einem Diskussi-
onszusammenhang über Hintergründe und Erscheinungsformen von Folter so-
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wie über gängige Rechtfertigungsversuche fiel. Der Soldat machte dabei von
seiner Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) Gebrauch, ohne die in Art.
5 Abs. 2 GG normierten Grenzen der allgemeinen Gesetze, des Rechts der
Ehre und der gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend zu über-
schreiten. Es gibt keine Strafrechtsnorm, die es verbietet, in Gesprächen mit
erwachsenen Kommunikationspartnern über grausame Folterpraktiken zu spre-
chen. Dass der Soldat die Anwendung von Folter befürwortet oder gar propa-
giert hätte, hat der Senat nicht feststellen können. Auch die in § 10 Abs. 6 SG
normierte Pflicht von Vorgesetzten, bei Äußerungen gegenüber Untergebenen
Zurückhaltung zu üben, verbietet nicht, über grausame Folterpraktiken Meinun-
gen zu äußern und auszutauschen. Denn auch für Soldaten gilt, dass bei Bei-
trägen zur geistigen Auseinandersetzung in einer Soldaten oder die Öffentlich-
keit wesentlich berührenden Frage regelmäßig eine Vermutung zugunsten der
Meinungsfreiheit spricht. Die Grenze des rechtlich Zulässigen wird für Soldaten
als Vorgesetzte nach § 10 Abs. 6 SG erst dann überschritten, wenn die Art und
Weise der verbalen Auseinandersetzung über solche Folterpraktiken die Rechte
anderer missachtet (z.B. durch Verletzung der Ehrschutzbestimmungen) oder
nicht mehr als besonnen und tolerant qualifiziert werden kann. Dafür fehlt es
hier an hinreichenden Anhaltspunkten. Im vorliegenden Zusammenhang kommt
hinzu, dass die Diskussion über Folterpraktiken, an der der Soldat beteiligt war,
in dem unmittelbaren Wohnbereich der Beteiligten stattfand. Die Pflicht zur Zu-
rückhaltung im Sinne des § 10 Abs. 6 SG geht dort weniger weit als bei
Äußerungen von Vorgesetzten außerhalb dieses relativ abgeschirmten Be-
reichs. Denn das private Gespräch zwischen Studenten, auch wenn es sich
gleichzeitig um Soldaten handelt, muss grundsätzlich frei von tabuisierenden
Beschränkungen sein, sofern im Übrigen die Strafgesetze und die Rechte an-
derer nicht verletzt und die Mindestgebote der Toleranz eingehalten werden.
Anderenfalls wird eine freie und unbefangene Kommunikation im Wohnbereich
und dessen unmittelbaren Umfeld gefährdet, wenn nicht verhindert. Ein Stu-
dent, auch wenn er gleichzeitig Soldat in einer Vorgesetztenstellung ist, hat in
einer demokratischen Gesellschaft das Recht, sich im Wohnbereich und dessen
unmittelbaren Umfeld auch „ungeschützt“ zu äußern. Das gehört zu den
notwendigen Bedingungen der Herausbildung und Entfaltung einer freien Per-
sönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG).
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In der festgestellten Äußerung des Soldaten, mit der er von seiner Meinungs-
äußerungsfreiheit Gebrauch machte, liegt auch kein Verstoß gegen seine
Pflicht zur Achtungs- und Vertrauenswahrung (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG). Denn es
ist nicht ersichtlich, wie der Soldat durch das Ansprechen einer besonders
grausamen Folterpraktik im vorliegenden Kommunikationszusammenhang das
Ansehen der Bundeswehr hätte beeinträchtigen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 SG)
oder im Sinne von § 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG Zweifel an seiner Zuverlässig-
keit wecken oder seine dienstliche Verwendung in Frage stellen können. § 17
Abs. 2 Satz 1 SG normiert keine Tabuisierung solcher Gesprächsthemen.
Der Soldat war deshalb von dem in Anschuldigungspunkt 7 erhobenen Vorwurf
freizustellen.
b) Bemessung der Disziplinarmaßnahme
Das von den Anschuldigungspunkten 1, 2, 3 und 4 erfasste und vom Senat
festgestellte Fehlverhalten stellt ein vorsätzlich begangenes Dienstvergehen
gemäß § 23 Abs. 1 i.V.m. § 10 Abs. 6 und § 17 Abs. 2 Satz 2 SG dar, wobei der
frühere Soldat als Vorgesetzter gemäß § 10 Abs. 1 SG einer verschärften
Verantwortlichkeit unterliegt. Es war mit der Verhängung eines Beförderungs-
verbots von dreißig Monaten zu ahnden. Dieser gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m.
§ 60 Abs. 2 WDO zulässige Ausspruch einer Disziplinarmaßnahme ist ange-
messen und geboten. Das Urteil der Truppendienstkammer war insoweit im
Ausspruch über die Disziplinarmaßnahme zugunsten des Soldaten zu ändern.
Bei der Maßnahmebemessung ist von der von Verfassungs wegen (Art. 20
Abs. 1, Art. 103 Abs. 3 GG) allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdiszipli-
narrechts auszugehen. Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen,
einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb wiederherzustellen und aufrechtzuer-
halten („Wiederherstellung und Sicherung der Integrität, des Ansehens und der
Disziplin in der Bundeswehr“, vgl. dazu Urteil vom 5. August 2008 - BVerwG 2
WD 14.07 - m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58
Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens
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und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige
Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen.
(a) Das Dienstvergehen des Soldaten hat erhebliches Gewicht. Die „Eigenart
und Schwere“ eines Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Unrechtsge-
halt der Verfehlung, mithin also nach der Bedeutung der verletzten Pflichten.
Der Schwerpunkt des Dienstvergehens des Soldaten liegt bei der von Anschul-
digungspunkt 1 erfassten vorsätzlichen Pflichtverletzung. Seine zweimal erfolg-
te Äußerung über die millionenfachen Opfer („zufriedene Kunden“) des Einsat-
zes des Giftgases Zyklon B in den NS-Vernichtungslagern erfüllte den objekti-
ven Tatbestand einer Straftat (§ 189 StGB) und warf ein verheerendes Licht auf
das Selbstverständnis, die charakterliche Reife und das Verantwortungsbe-
wusstsein des Soldaten, dem die Massenverbrechen des NS-Regimes auf-
grund seiner guten Allgemeinbildung und seines geschichtlichen Interesses
hinreichend bekannt sind und die er auch nicht in Zweifel zieht. Von erhebli-
chem Gewicht ist auch das von Anschuldigungspunkt 2 („Führergeburtstag“)
erfasste Äußerungsverhalten, mit dem der Soldat erneut für einen objektiven
Empfängerhorizont den Eindruck einer spezifischen positiven Nähe zum NS-
Regime hervorrief, auch wenn er offenkundig damit „nur“ einen „Scherz“ ma-
chen wollte, um sich vor seinen Kameraden in Szene zu setzen. Das von den
Anschuldigungspunkten 3 und 4 erfasste weitere Äußerungsverhalten war zwar
nicht in dieser Weise auf das NS-Regime bezogen. Es war aber von verbalen
sexistischen Gewaltfantasien gegenüber Frauen geprägt und begründete so
ebenfalls erhebliche Zweifel an der charakterlichen Reife und am Verantwor-
tungsbewusstsein des Soldaten. Insgesamt stellte der Soldat mit seinem fest-
gestellten Äußerungsverhalten seine Eignung als Offizier der Bundeswehr gra-
vierend in Frage. Denn bei den Dienstpflichten nach § 10 Abs. 6 und § 17
Abs. 2 Satz 1 SG geht es nicht um bloße Nebenpflichten. Sie haben wegen
ihres funktionellen Bezugs zur Erfüllung des grundgesetzmäßigen Auftrages der
Streitkräfte und zur Gewährleistung des militärischen Dienstbetriebs erhebliche
Bedeutung. Ein Soldat, insbesondere ein Vorgesetzter, bedarf der Achtung
seiner Kameraden und Untergebenen sowie des Vertrauens seiner militärischen
Vorgesetzten, um seine Aufgabe so zu erfüllen, dass der geordnete Ablauf des
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militärischen Dienstes gewährleistet ist (u.a. Urteile vom 16. Dezember 2004
- BVerwG 2 WD 15.04 - und vom 24. April 2007 - BVerwG 2 WD 9.06 -
Nr. 57>).
Zu Lasten des Soldaten fällt im Hinblick auf die Eigenart seines
Dienstvergehens ferner ins Gewicht, dass er sich nicht nur einmal pflichtwidrig
verhielt. Seine skandalöse Äußerung über die Opfer des Einsatzes des
Giftgases Zyklon B konnte ihm zumindest in zwei Fällen nachgewiesen werden.
Hinzu kommen noch die beiden sexistischen Äußerungen bei unterschiedlichen
Gelegenheiten. Von einem einmaligen „Ausrutscher“ kann deshalb insgesamt
nicht die Rede sein.
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die schuldhaften Pflichtverletzungen in
Gestalt der jeweils gegen § 10 Abs. 6 und § 17 Abs. 2 Satz 1 SG verstoßenden
Äußerungen des Soldaten nicht während des Dienstes und auch nicht in der
Öffentlichkeit erfolgten. Vielmehr fielen sie in Gegenwart von Kameraden bei
geselligen außerdienstlichen Treffen oder Zusammenkünften im Gemein-
schaftsraum des dienstlichen Unterkunftsgebäudes. Insofern hatten sie aber
auch keinen rein außerdienstlichen oder - wie der Soldat meint - gleichsam
privaten Charakter. Bundeswehrangehörige waren zugegen und mussten
erleben, wie der Soldat im Dienstrang eines Leutnants durch sein Verhalten
Zweifel daran begründete, dass er charakterlich zum Offizier der Bundeswehr
geeignet ist. In einem Fall war zudem mit der Zeugin P. eine Frau betroffen, die
nicht der Bundeswehr angehörte und dadurch einen verheerenden Eindruck
von der Situation in der Bundeswehr erhielt.
(b) Negative Auswirkungen des Dienstvergehens des Soldaten auf den Dienst-
betrieb hat der Senat nicht feststellen können. Allerdings sind die aus den Vor-
fällen resultierenden Vorwürfe gegen den Soldaten zumindest teilweise in der
Öffentlichkeit bekannt geworden und waren Gegenstand der öffentlichen Be-
richterstattung in den Medien. Dadurch fiel ein schlechtes Licht auf die Zustän-
de an der Bundeswehr-Universität ... Das muss sich der Soldat zurechnen las-
sen.
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(c) Die bei der Maßnahmebemessung zu berücksichtigende Schuld des Solda-
ten ist vor allem durch die vorsätzliche Begehungsweise der von den Anschul-
digungspunkten 1 bis 4 erfassten Pflichtverletzungen gekennzeichnet. Hinrei-
chende Anhaltspunkte dafür, dass seine Schuldfähigkeit im Sinne des § 21
StGB vermindert war, sind nicht vorhanden und werden auch nicht geltend ge-
macht.
Milderungsgründe in den Umständen der Tat, die die Schuld des Soldaten min-
dern würden, liegen nicht vor. Sie sind nach der ständigen Rechtsprechung des
Senats (vgl. u.a. Urteile vom 1. Juli 2003 - BVerwG 2 WD 51.02 - und vom
24. November 2005 - BVerwG 2 WD 32.04 -
NZWehrr 2006, 127 m.w.N.>) dann gegeben, wenn die Situation, in der der Sol-
dat versagt hat, von so außergewöhnlichen Besonderheiten gekennzeichnet
war, dass ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwar-
tet und daher auch nicht vorausgesetzt werden konnte. Daran fehlt es hier.
Insbesondere handelte es sich um keine unbedachte, im Grunde persönlich-
keitsfremde Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und im Dienst bewähr-
ten Soldaten. Dies ergibt sich schon aus dem Umstand, dass der Soldat mehr-
fach gefehlt hat und dass seine schuldhaften Pflichtverletzungen nach den vom
Senat getroffenen Feststellungen nicht persönlichkeitsfremd, sondern gerade
Ausdruck einer mangelnden charakterlichen Reife waren.
(d) Die konkreten Beweggründe für sein Fehlverhalten hat der Soldat nicht of-
fengelegt. Für ihn sind seine Pflichtverletzungen ausweislich seiner Angaben in
der Berufungshauptverhandlung unerklärlich. Aus den Bekundungen der ver-
nommenen Zeugen ist jedoch für den Senat erkennbar geworden, dass der
Soldat trotz seines guten Bildungsstandes, seiner beruflichen Erfolge und sei-
ner fachlichen Wertschätzung, die ihm insbesondere auch durch Vorgesetzte
attestiert wurde, Selbstwertprobleme sowie aufgrund seiner Erziehung und So-
zialisation auch Probleme im Umgang mit dem weiblichen Geschlecht hat(te),
die er offenbar durch besonders schneidiges und forsches Auftreten sowie
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durch provokante Äußerungen, mit denen er meinte, Aufmerksamkeit erregen
und sich ins Gespräch bringen zu können, zu kompensieren versucht hat.
(e) Die dienstlichen Leistungen des Soldaten wurden in den vorliegenden Be-
urteilungen ansprechend bewertet. In der planmäßigen Beurteilung vom 14. Mai
2004 wurden seine Leistungen von dem Inspektionschef einmal („Pla-
nungsverhalten“) mit der Stufe „4“ („Leistungen übertreffen erkennbar die An-
forderungen“), achtmal mit der Stufe „5“ („Leistungen übertreffen erheblich die
Anforderungen“) und siebenmal („Einsatzbereitschaft“, „Eigenständigkeit“,
„Durchsetzungsverhalten“, „Auffassungsgabe“, „Ausbildungsgestaltung“, „Beur-
teilungsverhalten“, „Fürsorgeverhalten“) mit der Stufe „6“ („Leistungen übertref-
fen sehr deutlich die Anforderungen“) bewertet. Seine „Eignung und Befähi-
gung“ beurteilte der Disziplinarvorgesetzte einmal („Eignung zur Menschenfüh-
rung/Teambefähigung“) mit der Wertung „C“, zweimal („Verantwortungsbe-
wusstsein“, „Befähigung zur Einsatz- und Betriebsführung“) mit „D“ sowie ein-
mal („Geistige Befähigung“) mit „E“. Unter „Eignung zur Menschenfüh-
rung/Teambefähigung“ wird ausgeführt:
„Oberfähnrich ... ist ein sehr schwungvoller und dynamischer
Führer, der keinen Zweifel an seinem Führungsanspruch auf-
kommen lässt und ohne Probleme in der Lage ist, sich auch
gegen Widerstände durchzusetzen. Aus seiner festen Über-
zeugung richtig und vorschriftenkonform zu handeln vergisst er
manchmal, dass er abseits der Vorschriften mit Menschen um-
geht. Hier sollte er manchmal einen Befehl oder eine Wertung
noch einmal überdenken. Obwohl er über ein ausgeprägtes
Fürsorgeverhalten gegenüber seinen Soldaten verfügt, birgt
diese Sichtweise die Gefahr, nach außen hin unnahbar zu wir-
ken. Da er offen und unvoreingenommen auf Menschen zugeht,
ist er im Kameradenkreis geachtet und akzeptiert.“
Der nächsthöhere Vorgesetzte stimmte dieser Beurteilung zu. Die Förderungs-
würdigkeit beurteilte er mit „D“. In der Sonderbeurteilung vom 6. Februar 2008
wurde die „Aufgabenerfüllung auf dem/den Dienstposten“ mit dem Durch-
schnittswert 5,3 beurteilt. Ergänzend heißt es in der von der Zeugin Korvetten-
kapitän und Leiterin der Studentenfachbereichsgruppe ... H. erstellten Beurtei-
lung:
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„Leutnant ... absolvierte sein Studium bisher zielstrebig und er-
langte das Vordiplom in einer Zeit von einem Jahr und sieben
Monaten mit einer Note von 2,9. Trotz erheblicher Belastungen,
die der Soldat zu tragen hatte, konnte er seinen Notendurch-
schnitt bei den Zulassungsscheinen für die Diplomprüfungen
auf einen Notendurchschnitt von 1,8 erhöhen. Auf der Grundla-
ge des bislang gezeigten Leistungsbildes wird sich die Diplom-
note im Vergleich zur Vordiplomnote voraussichtlich um eine
Note verbessern. Damit liegt der Soldat mit seinen akademi-
schen Leistungen im ersten Drittel seiner Studentenfachbe-
reichsgruppe. Das akademische, eigenverantwortliche Arbeiten
bereitet Leutnant ... Freude. Mit seinen breit angelegten Kennt-
nissen und Interessen tauscht er sich gerne mit anderen
- sowohl mit Professoren als auch mit Kameraden - aus und
kann sich in Diskussionen behaupten. Als Mitglied der Beru-
fungskommission für W 3 Statistik und Ökonometrie und W 2
rechnergestützte Statistik engagierte er sich überdurchschnitt-
lich auch im akademischen Bereich. Der Soldat sucht und for-
dert anspruchsvolle Tätigkeiten, in denen er seine besonders
ausgeprägten intellektuellen Fähigkeiten unter Beweis stellen
kann. Künftigen militärischen Herausforderungen wird er aus
meiner Sicht motiviert und engagiert begegnen und diese mit
hoher Einsatzbereitschaft bewältigen. Leutnant ... ist als studie-
render Offizier an der Universität der Bundeswehr präsent, ver-
tritt seine Standpunkte teilweise vehement und scheut auch
nicht den Kontakt zu seinen Vorgesetzten.
Leutnant ... verhielt sich, auch während der für ihn durchaus
belastenden Zeit, jederzeit offen und verlässlich und zeigte ein
hohes Maß an Verhaltensstabilität.“
Das Persönlichkeitsprofil des Soldaten wurde hinsichtlich seiner „konzeptionel-
len Kompetenz“ als „weniger ausgeprägt“, hinsichtlich seiner „sozialen Kompe-
tenz“ und seiner „Kompetenz in Menschenführung“ jeweils mit „ausgeprägt“
sowie hinsichtlich seiner „geistigen Kompetenz“ und „funktionalen Kompetenz“
jeweils als „stärker ausgeprägt“ beurteilt. Der nächsthöhere Vorgesetzte, der
Leiter Studentenfachbereich C, stimmte dieser Beurteilung zu und führte er-
gänzend aus:
„Die Beschreibung und Charakterisierung von Lt ... ist der Beur-
teilenden sehr gut gelungen. Dies ist aber vor allem dem Beur-
teilten selbst zuzuschreiben, der bereits in jungen Jahren sich
als exponierter, facettenreicher und leistungsstarker Offizier
präsentiert.
Die Leistungen von Lt ... sind vor dem Hintergrund der zeitwei-
se extremen gesundheitlichen Belastungen sowohl in physi-
scher Hinsicht als Folge des Verkehrsunfalls im Sommer 2006
115
- 56 -
als auch im besonderen der psychischen Belastungen, die auf-
grund der dienstrechtlichen disziplinaren Situation auf ihn ein-
wirken, bemerkenswert. Insbesondere in Anbetracht seiner
emotional großen Bandbreite hat es Lt ... viel Kraft und Einsatz-
willen gekostet, die Dinge mit Ruhe und Gelassenheit anzuge-
hen und sich auf die zzt. wesentlichen Ziele, nämlich die Wie-
derherstellung seiner Gesundheit und gleichzeitig den erfolgrei-
chen Studienabschluss zu konzentrieren. Er hat diese Heraus-
forderungen aber mit Bravour gemeistert. Insgesamt gehört Lt
... für mich ohne Zweifel zu den leistungsstarken Offizieren sei-
nes Studentenjahrgangs. Lt ... lässt bereits heute die wesentli-
chen Merkmale eines militärischen Führers erkennen. Er trägt
gerne Verantwortung, handelt eigenständig und zielorientiert,
auf ihn ist Verlass, er kann Härten ertragen und artikuliert sei-
nen Führungsanspruch.
Dabei ist er ein Offizier mit ‚Ecken und Kanten’, der Konflikten
selten aus dem Wege geht. Jedoch muss er noch lernen, von
seinem häufig kategorischen Urteil bisweilen abzurücken und
die Vorteile zu erkennen, die in einer konsensualen Lösung im
Team liegen können. Wenn er zukünftig dieses Fingerspitzen-
gefühl mit zunehmender Erfahrung und Reife sicherlich entwi-
ckeln wird, erkenne ich in ihm eindeutig das Potenzial, im An-
schluss an das Studium an der Universität der Bundeswehr
binnen kurzer Zeit zu einem Kompaniechef heranzuwachsen.
Eine Eignung, die nur selten einem Offizier im Studium zuge-
sprochen wird.“
In der Verhandlung vor der Truppendienstkammer hat Frau Korvettenkapitän H.
als Leumundszeugin den Soldaten als sehr intelligent bezeichnet. Er verfüge
über ein hohes Maß an geschichtlichem Wissen und sei auch tagespolitisch
interessiert. Dementsprechend sei er sehr diskussionsfreudig und gehe dabei
keinen Kontroversen aus dem Weg. Aufgrund seines hohen intellektuellen Ni-
veaus sei er sehr fordernd sowohl gegenüber Vorgesetzten als auch gegenüber
seinem Umfeld. Ihm erteilte Aufträge führe er stets korrekt aus. Die Vorwürfe,
die Gegenstand des vorliegenden Disziplinarverfahrens seien, hätten den Sol-
daten mitgenommen und bewegt.
Diese Beurteilung hat die Zeugin H. in der Berufungshauptverhandlung bestätigt
und bekräftigt. Auch der Zeuge Ro., der seit dem 1. Mai 2008 Disziplinar-
vorgesetzter des Soldaten ist, hat ein positives Bild von ihm gezeichnet. Der
Soldat sei im Dienst flexibel, belastbar und hoch motiviert. Besonders positiv
seien seine analytischen Fähigkeiten zu bewerten. Er sei sehr belesen und ver-
füge über eine gute Allgemeinbildung, gerade auch im geschichtlichen und ge-
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sellschaftswissenschaftlichen Bereich. Er erfülle alle ihm erteilten dienstlichen
Aufträge zur vollen Zufriedenheit der Vorgesetzten. Dabei nutze er Spielräume
und verharre nicht im „Kleinklein-Denken“, sondern verfüge stets über ein kriti-
sches eigenständiges Urteilsvermögen und nutze dieses. Der Soldat genieße
sein volles Vertrauen, sei voll integriert und anerkannt und habe sich gut be-
währt. Er pflege einen fürsorglichen Umgang mit Untergebenen und verhalte
sich in jeder Hinsicht kameradschaftlich. Insgesamt habe er den Eindruck, dass
der Soldat aus seinen Fehlern „die nötigen Lektionen gelernt“ habe und dass er
sich bewusst sei, dass er in unangenehmen Situationen, die ihm nicht gefielen,
sich „auch mal auf die Lippen beißen“ und die Schwierigkeiten durchstehen
müsse. Für gute Argumente sei der Soldat jederzeit zugänglich. Er sei ein for-
dernder Untergebener. Sexistische oder neonazistische Äußerungen oder Ver-
haltensweisen habe er bei ihm zu keiner Zeit feststellen können.
Der Senat hat keine Veranlassung, diese insgesamt positiven Beurteilungen
des Persönlichkeit und der dienstlichen Leistungen des Soldaten durch seine
Vorgesetzten und die Leumundszeugen in Zweifel zu ziehen.
f) Bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände
des Fehlverhaltens des Soldaten war - auch aus generalpräventiven Erwägun-
gen - eine disziplinargerichtliche Maßnahme als notwendige und angemessene
Ahndung des Dienstvergehens unumgänglich.
Das Gewicht der schuldhaften Pflichtverletzungen, insbesondere das von An-
schuldigungspunkt 1 erfasste Verhalten hinsichtlich der millionenfachen Opfer
(„über 6 Millionen zufriedene Kunden“) des Einsatzes des Giftgases Zyklon B in
den NS-Vernichtungslagern, erfordert eine deutliche Pflichtenmahnung, da der
Soldat damit seine charakterliche Eignung zum Offizier der Bundeswehr gravie-
rend in Frage gestellt hatte. Offenbar war der Soldat sowohl zum Tatzeitpunkt
als auch in der Folgezeit nicht willens oder nicht fähig, die Tragweite seiner Äu-
ßerungen und deren Auswirkungen auf seine dienstliche Verwendbarkeit zu
erkennen. Noch lange Zeit danach versuchte er, seine skandalösen Formulie-
rungen als „Joke“, „flotten Spruch“ oder „Scherz“ zu bagatellisieren. Erst in sei-
nem "letzten Wort" in der Berufungshauptverhandlung hat er eingeräumt, er
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habe sich bei seinen Äußerungen „gründlich vergriffen“. Sie seien ihm heute
„peinlich“. „Für einige“ schäme er sich „zutiefst“. Zwischenzeitlich sei er aller-
dings „gereift“ und „sehr gealtert, vor allem geistig“.
Ein Offizier, der wie der Soldat durch mehrfache neonazistische Äußerungen
der vorliegenden Art für einen objektiven Empfängerhorizont den Eindruck er-
weckt hat, er wolle Massenverbrechen des NS-Regimes bagatellisieren und
verharmlosen sowie dazu animieren, an „Führers Geburtstag“ zu „feiern“ und
der zudem gegenüber anderen Soldaten in dienstlichen Unterkünften mehrfach
auf Frauen bezogene eigene sexuelle Gewaltfantasien „zum Besten gibt“ und
propagiert, um sich hervorzutun und Aufmerksamkeit zu erregen, begründet
- auch wenn er dies insgeheim offenbar nicht „ernst gemeint“ hat - solche Zwei-
fel an seiner charakterlichen Reife, dass seine Eignung als Offizier insgesamt in
Frage steht. Um abzuklären, ob er willens und in der Lage ist, aus solchen
schuldhaften Verletzungen seiner Dienstpflichten nach § 10 Abs. 6 und § 17
Abs. 2 Satz 1 SG die notwendigen Konsequenzen für sein künftiges Verhalten
zu ziehen, bedarf es einer längeren Nachbewährungszeit. Während dieser Zeit
erscheint es jedenfalls verfehlt, dem Soldaten im Wege einer Beförderung einen
höheren Dienstgrad zu verleihen. Die Frage, ob im vorliegenden Fall darüber
hinausgehende disziplinargerichtliche Konsequenzen geboten wären, stellt sich
im Hinblick auf das Verschlechterungsverbot nicht, da allein der Soldat
Berufung eingelegt hat. Das mithin unverzichtbare und von der Truppendienst-
kammer zu Recht ausgesprochene längere Beförderungsverbot ist auch gebo-
ten, um seinem dienstlichen Umfeld aus generalpräventiven Gründen unmiss-
verständlich deutlich zu machen, dass solche gewichtigen schuldhaften Pflicht-
verletzungen in der Bundeswehr keinesfalls hingenommen werden können und
in jedem Falle erhebliche dienstliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Andererseits war vorliegend zu berücksichtigen, dass sich die Vorfälle im Zeit-
raum von September 2004 bis Mai 2005 ereignet haben und dass bereits die
langjährige Dauer des gerichtlichen Disziplinarverfahrens als solche für den
Soldaten erhebliche Belastungen und Nachteile mit sich gebracht hat, auch
wenn er durch sein schuldhaftes Fehlverhalten die Ursache für die notwendigen
und aufgrund seiner Einlassungen und der Vielzahl der beteiligten Soldaten
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aufwändigen und umfangreichen Ermittlungen gesetzt hat, wobei zusätzlich
weitere Verzögerungen im Gefolge des Verkehrsunfalls und der dadurch be-
wirkten Terminverschiebungen in Rechnung zu stellen sind. Zu Gunsten des
Soldaten hat der Senat neben den attestierten sehr ansprechenden dienstlichen
Leistungen und der Nachbewährung auch die in der Berufungshauptver-
handlung erkennbar gewordene glaubhafte Einsicht in das Fehlverhalten ge-
würdigt, auch wenn der Soldat nach wie vor Schwierigkeiten hat zu verstehen,
dass bei der rechtlichen Würdigung seines Verhaltens nicht allein auf seine
subjektive Motivation, sondern entscheidend auf den objektiven Empfängerho-
rizont abzustellen ist.
Soweit der Soldat und sein Verteidiger beantragt haben, eine mildere Maß-
nahme als ein Beförderungsverbot auszusprechen und dazu auf das Urteil des
Senats vom 28. August 2001 - BVerwG 2 WD 27.01 - (Buchholz 236.1 § 10 SG
Nr. 47) verwiesen haben, hat der Senat dem nicht zu folgen vermocht. Eine
Gehaltskürzung erschien angesichts des Unrechtsgehalts und der Vielzahl der
Verfehlungen sowie der langjährigen Uneinsichtigkeit des Soldaten keinesfalls
angemessen und ausreichend. Vielmehr war deshalb gegen den Soldaten ein
Beförderungsverbot im oberen in § 60 Abs. 2 Satz 1 WDO vorgesehenen Be-
reich („höchstens vier Jahre“) zu verhängen. Dessen Dauer hat der Senat je-
doch aus den zuvor dargelegten Gründen auf insgesamt dreißig Monate herab-
gesetzt.
6. Da die Berufung des Soldaten teilweise Erfolg hatte, waren die Kosten des
Berufungsverfahrens gemäß § 139 Abs. 3 WDO zu einem Drittel dem Bund, der
gemäß § 140 Abs. 5 Satz 1 WDO auch ein Drittel der dem Soldaten ent-
standenen notwendigen Auslagen zu ersetzen hat, und im Übrigen dem Solda-
ten aufzuerlegen.
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Umstände, die es rechtfertigen würden, aus Billigkeitsgründen die Kosten des
Berufungsverfahrens sowie die außergerichtlichen Aufwendungen des Soldaten
ganz dem Bund aufzuerlegen, sind nicht ersichtlich.
Golze
Dr. Müller
Dr. Deiseroth
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