Urteil des BVerwG vom 13.06.2006

Soldat, Neue Beweismittel, Psychotherapeutische Behandlung, Rechtskräftiges Urteil

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 1.06
TDG N 1 VL 9/04
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
gegen
…,
…,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 13. Juni 2006, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier als Vorsitzender,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Oberstleutnant Tillmann,
Stabsfeldwebel Kroschel
als ehrenamtliche Richter,
Leitender Regierungsdirektor …
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt …, …,
als Pflichtverteidiger,
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Berufungen des Soldaten und des Wehrdisziplinaran-
walts gegen das Urteil der 1. Kammer des Truppendienst-
gerichts Nord vom 10. August 2004 werden zurückgewie-
sen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden je zur Hälfte
dem Soldaten und dem Bund auferlegt, der auch die Hälf-
te der dem Soldaten darin erwachsenen notwendigen
Auslagen zu tragen hat.
G r ü n d e :
I
Nach dem 1969 erreichten Realschulabschluss absolvierte der am 30. Juli 1953
geborene Soldat eine Ausbildung in der Finanzverwaltung, die er 1971 mit der
Steuerassistentenprüfung mit Erfolg beendete. Bis zu seiner am 16. August
1973 erfolgten Einberufung zur Bundeswehr als Grundwehrdienstleistender war
er im mittleren Dienst beim Finanzamt F. beschäftigt. Am 31. Oktober 1973
wurde er in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Am 18. März
1980 wurde ihm die Eigenschaft eines Berufssoldaten verliehen.
Zum Hauptfeldwebel wurde er am 16. Juli 1986 ernannt. Durch rechtskräftiges
Urteil vom 21. Januar 2004 setzte ihn die 1. Kammer des Truppendienstgerichts
Nord wegen eines Dienstvergehens in den Dienstgrad eines Oberfeldwebels
herab. Seine Dienstzeit wird voraussichtlich zum 31. Juli 2006 enden.
Seit Januar 1986 wurde der Soldat zunächst im M… Amt in E. als Datenverar-
beitungs-Maschinenbedienungsfeldwebel verwendet. Am 1. November 1995
wurde er zum S…zentrum H. in E. versetzt und dort als Programmierfeldwebel
eingesetzt. Nach Auflösung dieser Dienststelle wurde er mit Wirkung ab
1. November 2002 zum …T-ZentrBw in E. versetzt und seitdem als Datenve-
rarbeitungs-Organisationsfeldwebel und Systemverwalter verwendet. Seit dem
1. April 2004 ist er im Hinblick auf die Vorfälle vom 1., 2., 4. und 5. März 2004,
die Gegenstand des vorliegenden Disziplinarverfahrens sind, nach § 126 WDO
vorläufig des Dienstes enthoben.
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Seit seiner Berufung in das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten wurde er
wiederholt planmäßig beurteilt, zuletzt am 18. August 2000 und am 17. Juli
2002. In der planmäßigen Beurteilung vom 18. August 2000 wurden seine
dienstlichen Leistungen bei zwei Einzelmerkmalen („Auffassungsgabe“ und
„Ausdruck“) mit „6“ („Leistungen übertreffen sehr deutlich die Anforderungen“),
viermal („Eigenständigkeit“, „Durchsetzungsverhalten“, „Planungsverhalten“ und
„Organisatorisches Können“) mit „5“ („Leistungen übertreffen erheblich die An-
forderungen“), fünfmal mit „4“ („Leistungen übertreffen erkennbar die Anforde-
rungen“) sowie einmal („Einsatzbereitschaft“) mit „3“ („Leistungen entsprechen
den Anforderungen“) bewertet. Seine „Eignung und Befähigung“ wurden in die-
ser Beurteilung einmal („Eignung zur Menschenführung/Teambefähigung“) mit
„B“ („Eignung und Befähigung sind vorhanden“), zweimal („Verantwortungsbe-
wusstsein“ und „Befähigung zur Einsatz- und Betriebsführung“) mit „C“ („Eig-
nung und Befähigung sind deutlich vorhanden“) sowie einmal („Geistige Befähi-
gung“) mit „D“ („Eignung und Befähigung sind besonders vorhanden“) beurteilt.
Unter „Herausragende charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches
Selbstverständnis, Bewährung im Einsatz und ergänzende Aussagen“ heißt es:
„Hauptfeldwebel … ist ein ruhiger, bescheidener und sehr
zurückhaltender Mensch. Innerhalb der kleinen Gruppe
des Dezernats pflegt er guten und kameradschaftlichen
Umgang, über diesen Kreis hinaus jedoch hat er in der
Dienststelle kaum Kontakte.
Nicht mehr zu beobachten waren im Beurteilungszeitraum
die bei ihm früher aufgetretenen Probleme eines unaus-
gewogenen Verhältnisses zwischen privaten Anforderun-
gen und dienstlichen Belangen. …“
In der letzten planmäßigen Beurteilung vom 17. Juli 2002 beurteilte der zustän-
dige Disziplinarvorgesetzte die dienstlichen Leistungen des Soldaten zweimal
(„Auffassungsgabe“ und „Ausdruck“) mit „6“, sechsmal mit „5“, dreimal („Belast-
barkeit“, „Fachwissen“ und „praktisches Können“) mit „4“ und einmal („Einsatz-
bereitschaft“) mit „3“. Sein „Verantwortungsbewusstsein“ und seine „Befähigung
zur Einsatz- und Betriebsführung“ wurden jeweils mit der Wertung „C“, seine
„geistige Befähigung“ sowie seine „Eignung zur Menschenführung/Teambe-
fähigung“ jeweils mit „D“ bewertet.
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Der nächsthöhere Vorgesetzte stimmte dieser Beurteilung zu. Ergänzend führte
er aus, der Soldat sei ein Unteroffizier, „der die ihm übertragenen Aufgaben mit
Sachverstand und selbständig anpackt und löst“. Seine Förderungswürdigkeit
beurteilte er mit „B“ („Eignung und Leistungen des Beurteilten entsprechen den
Anforderungen. Er ist förderungswürdig.“).
In der Sonderbeurteilung vom 21. Januar 2005 bewertete der Disziplinarvorge-
setzte (Fachgruppenleiter Oberst K.) die dienstlichen Leistungen des Soldaten
dreimal („Einsatzbereitschaft“, „Belastbarkeit“ und „Zusammenarbeit“) mit der
Stufe „1“ („Leistungen entsprechen nicht den Anforderungen“), siebenmal mit
„2“, einmal („Auffassungsgabe“) mit „3“, einmal („Ausdruck“) mit „5“ („Leistungen
übertreffen erheblich die Anforderungen“); die „Ausbildungsgestaltung“, die
„Dienstaufsicht“, das „Beurteilungsverhalten“ und das „Fürsorgeverhalten“ wur-
den nicht bewertet. Die „Eignung und Befähigung“ des Soldaten wurden in die-
ser Sonderbeurteilung dreimal („Verantwortungsbewusstsein“, „Eignung zu
Menschenführung/Teambefähigung“ sowie „Befähigung zur Einsatz- und Be-
triebsführung“) jeweils mit „A“ („Eignung und Befähigung sind mit Einschrän-
kungen vorhanden“) sowie einmal („geistige Befähigung“) mit „B“ („Eignung und
Befähigung sind vorhanden“) beurteilt. Hinsichtlich des „Verantwortungsbe-
wusstseins“ wird ausgeführt, der Soldat habe im Beurteilungszeitraum weder
die Fähigkeit noch den Willen gezeigt, „Verantwortung zu übernehmen“. Er ha-
be weder versucht, „seine mangelnde Befähigung für die übertragene Aufgabe
erkennbar zu verbessern noch die für die Fachaufgabe nachteilige Situation
durch andere Maßnahmen zu verändern.“
Unter „Herausragende charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches
Selbstverständnis, Bewährung im Einsatz und ergänzende Aussagen“ heißt es:
„HptFw … hat offensichtlich erhebliche Schwierigkeiten,
sich in den ihm zugewiesenen Tätigkeitsbereich einzuar-
beiten und in das Projektteam einzubringen. Nach Einwei-
sung und klarer Auftragsdefinition ist er in der Lage, Auf-
gaben abzuarbeiten, sofern dies kontrolliert wird …
Wiederholte Versuche u.a. des Dezernatsleiters und des
Fachgruppenleiters, HptFw … direkt im Gespräch oder un-
ter Einschaltung über Dritte (Sozialhelfer, Pfarrer) Unter-
stützung bzw. Hilfestellung zukommen zu lassen, um ge-
gebenenfalls im außerdienstlichen Umfeld liegende Ursa-
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chen der dienstlichen Situation zu identifizieren und
eventuell beseitigen helfen zu können, müssen als ge-
scheitert angesehen werden. Im Gespräch ergab sich der
Eindruck einer ‚wirklichkeitsfremden Wahrnehmung’ des
HptFw …; für ihn schienen alle angesprochenen Probleme
- sogar eigenes Fehlverhalten - fremdverschuldet und da-
mit die Situation aus seiner Sicht durch ihn nicht verbesse-
rungsfähig zu sein.
HptFw … hat nach Eindruck seiner Vorgesetzten in Bezug
auf die Bundeswehr eine ‚innere Aufgabe’ vollzogen, ein
positives berufliches Selbstverständnis ist nicht mehr zu
erkennen. Von Kameraden aller Dienstgradgruppen wird
er gemieden.“
In den Verwendungshinweisen wird in dieser Sonderbeurteilung hinsichtlich al-
ler Verwendungsmöglichkeiten (Fachverwendungen, Stabsverwendungen, Füh-
rungsverwendungen in der Truppe, allgemeine Führungsverwendungen, Ver-
wendungen mit besonderer Außenwirkung, Lehrverwendungen) dem Soldaten
attestiert, seine Eignung sei „nicht erkennbar“.
Der nächsthöhere Vorgesetzte (Oberst i.G. P., Leiter …T-ZentrBw) stimmte
dieser Sonderbeurteilung des Fachgruppenleiters „in jeder Hinsicht“ zu. Ergän-
zend führte er aus:
„Aus einer ganzen Reihe von Begegnungen mit HptFw …
habe ich den Eindruck eines eloquenten und durchaus in-
telligenten Soldaten, der jedoch keine Anstrengungen un-
ternimmt, dies in dienstliche Leistungen umzusetzen. In
der Durchführung seiner Aufgaben bedarf er strenger
Dienstaufsicht. Im Falle stärkerer dienstlicher Belastun-
gen, insbesondere wenn sie ihn außerhalb der täglichen
Regeldienstzeit oder außerhalb des Standortes E. fordern,
konnte man 2003/2004 fast davon ausgehen, dass er
kurzfristig erkrankungsbedingt nicht verfügbar sein würde;
insofern konnte man sich kaum auf ihn verlassen. Im Ka-
meradenkreis ist HptFw Schnalke isoliert, da er sich nur
wenig öffnet und als unzuverlässig - mit wiederkehrend
nachteiligen Folgen für andere - empfunden wird.“
Hinsichtlich der Verwendungshinweise führte der nächsthöhere Vorgesetzte
aus:
„Ich sehe mich nicht in der Lage, Verwendungsvorschläge
für HptFw … zu machen, die seiner Dienstgradebene und
der damit verbundenen Verantwortung entsprechen. In
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meiner mehr als 34-jährigen Dienstzeit habe ich bisher
keinen Berufsunteroffizier kennen gelernt, bei dem ich in
derart geringem Maße auf den Willen zur dienstlichen An-
strengung und Kooperationsbereitschaft gestoßen bin wie
bei HptFw ... Eine Förderung kommt nach meiner Auffas-
sung angesichts des Beurteilungsbildes, in Verbindung mit
der kurzen Restdienstzeit, nicht in Betracht (insofern Ver-
zicht auf eine Einstufung der Förderungswürdigkeit).“
Der Soldat erhielt am 25. Oktober 1974 und am 14. März 1990 jeweils eine
förmliche Anerkennung wegen vorbildlicher Pflichterfüllung. Seit dem 23. Juni
1978 ist er berechtigt, das Abzeichen für Leistungen im Truppendienst und seit
dem 8. Dezember 1982 das Ehrenkreuz der Bundeswehr jeweils in Bronze, zu
tragen.
Die Auskunft aus dem Zentralregister enthält das mit dem vorliegenden Verfah-
ren im Anschuldigungspunkt 2 teilweise sachgleiche Urteil des Amtsgerichts E.
vom 16. Juni 2005 wegen Urkundenfälschung (Fälschung des Krankenmelde-
scheins am 4. März 2004) sowie wegen Betrugs in 13 Fällen, das seit dem
23. November 2005 rechtskräftig ist.
Disziplinarisch ist der Soldat durch Verstöße gegen seine Dienstleistungspflicht
und Gehorsamspflicht (im Zeitraum von Dezember 2002 bis März 2003) negativ
in Erscheinung getreten, was zu der Herabsetzung in den Dienstgrad eines
Oberfeldwebels durch das rechtskräftige Urteil der 1. Kammer des Truppen-
dienstgerichts Nord vom 21. Januar 2004 (Az.: N 1 VL 14/03) führte.
Der Soldat ist seit 1987 verheiratet und hat vier minderjährige Kinder. Ausweis-
lich der Mitteilung der Wehrbereichsverwaltung Süd - Gebührniswesen - vom
5. April 2004 stehen ihm Dienstbezüge nach der Besoldungsgruppe A 8 mit Zu-
lage, 11. Dienstaltersstufe, in Höhe von 3 431,11 € netto (einschließlich 641 €
Kindergeld) zu. Von seinen Nettobezügen werden 72,50 € aufgrund einer vor-
liegenden Abtretungserklärung abgezogen. Nach eigenen Angaben hat der
Soldat derzeit finanzielle Verbindlichkeiten von ca. 300 000 € zu erfüllen.
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In dem mit Verfügung des Amtschefs S…vom 29. März 2004 - nach zuvor am
8., 25. und 26. März 2004 erfolgter Anhörung - ordnungsgemäß eingeleiteten
gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der Wehrdisziplinaranwalt nach Gewäh-
rung der Gelegenheit zum Schlussgehör mit Anschuldigungsschrift vom 8. Juni
2004 dem Soldaten folgenden Sachverhalt als Dienstvergehen zur Last gelegt:
„Obwohl der Soldat am 21. Januar 2004 durch Urteil der
1. Kammer des Truppendienstgerichts Nord (Az.: N 1 VL
14/03, noch nicht rechtskräftig) wegen wiederholter Ver-
stöße gegen die Dienstleistungs- und Gehorsamspflicht in
den Dienstgrad eines Oberfeldwebels herabgesetzt wor-
den ist,
1. trat er am 01. März 2004 und am 02. März 2004 trotz
des für ihn festgelegten Dienstbeginns um 07.30 Uhr sei-
nen Dienst jeweils erst um 07.50 Uhr an;
2. meldete er sich am 04. März 2004 gegen 13.00 Uhr
nach Rückkehr von einer truppenärztlichen Untersuchung
im Sanitätsbereich M. bei seinem Fachgruppenleiter,
Oberst K., nach Hause ab, nachdem er diesem der Wahr-
heit zuwider mitgeteilt hatte, der Truppenarzt, Stabsarzt
M., habe ihn für zwei weitere Tage ‚krank zu Hause’ ge-
schrieben. Zuvor hatte er auf dem an Oberst K. überreich-
ten Krankmeldeschein zusätzlich zu der ärztlichen Emp-
fehlung einer Marsch-, Sport- und Geländedienstbefreiung
unter der Rubrik ‚Krank zu Hause’ das Feld ‚ja’ ange-
kreuzt, um seine wahrheitswidrige Behauptung zu unter-
mauern;
3. trat er am 05. März 2004 den Dienst erst um 07.58 Uhr
mit der Begründung an, dass er verschlafen habe, obwohl
ihm am 04. März 2004 zwischen 16.15 und 16.45 Uhr in
drei Telefonaten durch seinen nächsten Disziplinarvorge-
setzten, Oberst i.G. P., der Befehl erteilt worden war, sich
am 05. März 2004 um 07.30 Uhr bei seinem Fachgrup-
penleiter zum Dienst zu melden.“
In allen drei Anschuldigungspunkten habe der Soldat zumindest fahrlässig seine
Dienstpflichten aus §§ 7, 13 Abs. 1, § 11 Abs. 1 und § 17 Abs. 2 Satz 1, 2. Alt.
SG verletzt.
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Der dem Soldaten unter Anschuldigungspunkt 2 gemachte Tatvorwurf war auch
Gegenstand der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft B. vom 1. Juli 2004 (Az.:
332 Js 222/04) vor dem Amtsgericht E. In jenem Verfahren verurteilte das
Amtsgericht E. den Soldaten mit Urteil vom 16. Juni 2005 (Az.: 5 Ds 163/05)
wegen Urkundenfälschung (Fälschung des Krankenmeldescheins am 4. März
2004) sowie wegen Betrugs in 13 Fällen (Anklageschriften vom 15. Juni 2004
- Az.: 332 Js 211/04 -, vom 19. Juli 2004 - Az.: 332 Js 414/04 -, vom
18. November 2004 - Az.: 332 Js 568/04 - und vom 25. April 2005 - Az.: 338 Js
119/05 -) zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 40 €. Hinsicht-
lich des mit dem Anschuldigungspunkt 2 im vorliegenden gerichtlichen Diszipli-
narverfahren teilweise sachgleichen Tatvorwurfs werden in diesem Urteil des
Amtsgerichts E. vom 16. Juni 2005, das seit dem 23. November 2005 rechts-
kräftig ist, folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:
„Der Angeklagte leidet seit längerer Zeit an einer arteriel-
len Hypertonie. Ende Februar/Anfang März 2004 erfolgte
ärztlicherseits eine Umstellung auf ein neues Medikament.
Dies führte beim Angeklagten zu durchaus normalen Be-
schwerdebildern, wegen derer er bei den behandelnden
Ärzten des Sanitätsbereichs vorsprach.
Im Falle einer Krankmeldung erhält der Soldat einen
Krankenmeldeschein, der vom behandelnden Arzt ausge-
füllt und sodann der Einheit zur Kenntnisnahme vorgelegt
wird; anschließend gelangt der Krankenmeldeschein wie-
der zum Sanitätsbereich. Der Krankenmeldeschein ist so
gestaltet, dass er für acht Besuche beim Truppenarzt aus-
reicht.
Am 2. März 2004 suchte der Angeklagte wegen seiner
Beschwerden den Stabsarzt M. auf. Dieser füllte den
Krankenmeldeschein handschriftlich wie folgt aus:
Unter der Rubrik ‚von folgenden Dienstverrichtungen zu
befreien:’ ließ er die Ankreuzfelder ‚allen’ und ‚keine’ frei;
in das Leerfeld ‚einzelnen’ nahm er folgende Eintragungen
vor: ‚KzH (= Krank zu Hause) bis WV (= Wiedervorstel-
lung) für zwei Wochen, kein Kfz, kein Wachdienst, kein
Dienst mit der Waffe.’
Unter der Rubrik ‚Krank zu Hause’ kreuzte … (er das) Feld
‚Ja’ an.
In das Feld ‚wiederbestellt am’ setzte er das Datum
4.3.2004 ein. Die weiteren Felder ließ der Zeuge unausge-
füllt.
Diesen Krankenmeldeschein legte der Angeklagte sodann
seinem Disziplinarvorgesetzten, dem Zeugen P., vor. Der
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Zeuge P. folgte der nur eine Empfehlung darstellenden
Krankschreibung des Truppenarztes und befreite ihn bis
zum 4.3.2004 vom Dienst.
Am 4.3.2004 stellte der Angeklagte sich erneut beim Zeu-
gen M. vor. Der Zeuge M. vermerkte im Textfeld betref-
fend der Dienstverrichtungen: ‚Kein MSG (Marsch-, Sport-
und Geländedienst) f. 2 Wochen’. Darüber hinaus trug er
das Untersuchungsdatum ein und vermerkte im Feld ‚wie-
derbestellt am’ Folgendes: ‚bBed (= bei Bedarf).’
Die weiteren Felder ließ er erneut unausgefüllt.
Als der Angeklagte ihn bat, ihn für den 4.3. und den 5.3.
(= Donnerstag und Freitag) krank zu Hause zu schreiben,
lehnte der Zeuge dies entschieden ab. Er erklärte dem
Angeklagten, dass die medikamentöse Neueinstellung ei-
ne normale Belastungssituation voraussetze und es von
daher notwendig sei, die Wirkung der Medikamente im
Dienst und nicht etwa zu Hause im Ruhezustand zu tes-
ten. Der Angeklagte gab sich damit nach außen hin zu-
frieden. Nach Verlassen des Sanitätsbereichs kreuzte er
jedoch in der Rubrik ‚Krank zu Hause’ das Feld ‚Ja’ an;
dieses und die anderen von ihm nicht ausgefüllten Felder
hatte der Zeuge seiner Gewohnheit folgend vorher nicht
etwa durch Durchstreichen ‚entwertet’.
Den so verfälschten Krankenmeldeschein legte der Ange-
klagte sodann dem Zeugen K. vor, der ihn dem Dienstweg
folgend dem Zeugen P. vorlegte. Dem Zeugen P. fiel auf,
dass weder eine Befristung der Krankschreibung noch et-
wa genauer Wiedervorstellungstermin auf dem Kranken-
meldeschein vermerkt waren. Wegen dieser Ungereimt-
heiten sprach er sodann telefonisch mit dem Zeugen M.,
der ihm eindeutig mitteilen konnte, dass er den Angeklag-
ten keinesfalls krankgeschrieben habe. Daraufhin rief der
Zeuge P. den Angeklagten an und befahl ihm, sich am
nächsten Morgen pünktlich zum Dienst zu melden. Der
Angeklagte rief anschließend den Zeugen P. noch drei-
oder viermal an, weil er darauf bestand, vom Zeugen M.
krankgeschrieben worden zu sein; letztlich bat er darum,
den Krankenmeldeschein von seiner Frau abholen zu las-
sen, was vom Zeugen P. selbstverständlich verweigert
wurde.
Am nächsten Tag meldete der Angeklagte sich - wenn
auch verspätet - zum Dienst und meldete sich erneut
krank.“
Die 1. Kammer des Truppendienstgerichts Nord hat den Soldaten auf der
Grundlage der Anschuldigungsschrift vom 8. Juni 2004 wegen eines Dienstver-
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gehens mit Urteil vom 10. August 2004 in den Dienstgrad eines Feldwebels
herabgesetzt. Auf die Gründe des Urteils wird Bezug genommen.
Gegen dieses sowohl dem Soldaten als auch dem Wehrdisziplinaranwalt am
19. August 2004 zugestellte Urteil haben am 20. September 2004 der Soldat
eine volle und der Wehrdisziplinaranwalt eine auf die Maßnahmebemessung
beschränkte Berufung eingelegt.
Der Senat hat das Berufungsverfahren gemäß § 83 Abs. 1 WDO mit Beschluss
vom 2. März 2005 zunächst ausgesetzt und dann nach dem rechtskräftigen Ab-
schluss des teilweise sachgleichen Strafverfahrens vor dem Amtsgericht E. (Ur-
teil vom 16. Juni 2005 - Az.: 5 Ds 163/05 -) im Januar 2006 fortgeführt.
Mit seiner (vollen) Berufung begehrt der Soldat hinsichtlich des unter Anschul-
digungspunkt 2 erhobenen Vorwurfs (Fälschung des Krankenmeldescheins und
unberechtigtes Abmelden vom Dienst als „krank zu Hause“ am 4. März 2004 ab
13.00 Uhr) Freispruch sowie hinsichtlich der unter den Anschuldigungspunk-
ten 1 (verspäteter Dienstantritt am 1. und 2. März 2004) und 3 (verspäteter
Dienstantritt am 5. März 2004) erhobenen Vorwürfe eine mildere Disziplinar-
maßnahme.
Zum Anschuldigungspunkt 2 trägt er vor:
Die Truppendienstkammer sei zu Unrecht davon ausgegangen, er habe den
Krankenmeldeschein hinsichtlich der Eintragung „krank zu Hause“ gefälscht.
Die Feststellung im angefochtenen Urteil, es sei „unschwer ersichtlich“, dass
das auf dem Krankenmeldeschein vermerkte Kreuz sich deutlich von anderen
Eintragungen für den 4. März 2004 unterscheide, sei ohne Substanz und nicht
nachvollziehbar. Zudem habe der Zeuge M. sowohl in der Hauptverhandlung
vor dem Truppendienstgericht als auch vorher bei zwei Vernehmungen zum
Ausdruck gebracht, dass er eine konkrete Erinnerung daran, ob er selbst das
fragliche Kreuz gesetzt habe, nicht besitze und dass er lediglich Rückschlüsse
aus anderen Eintragungen ziehen könne. Der Zeuge habe sich auch nicht da-
ran erinnern können, ob er selbst am fraglichen Tage mit dem Zeugen P. ge-
sprochen habe und was er an diesem Tage an sonstigen Behandlungen durch-
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geführt habe. Selbst die Aussage des Zeugen P., der Zeuge M. habe ihm sei-
nerzeit bestätigt, dass er eine Krankschreibung nicht vorgenommen habe, kön-
ne keine ausreichende Sicherheit vermitteln. Denn es handele sich um ein Rou-
tinegeschehen, bei dem zwangsläufig Fehlerquellen nicht ausgeschlossen wer-
den könnten. Darüber hinaus habe im Sanitätsbereich am 4. März 2004 eine
betriebsame Situation geherrscht, während der der Zeuge M. ganz auf sich al-
lein gestellt gewesen sei; dabei sei u.a. auch ein Eintrag in der G-Karte verges-
sen worden. Die Vertragsärztin B., die am nächsten Tag die G-Karte und alle
sonstigen Einlegeblätter zur Verfügung gehabt habe, habe jedweden Eintrag
zum Vortag hinsichtlich der Behandlung des Soldaten vermisst. Die Truppen-
dienstkammer habe die Vernehmung der Zeugin B. unterlassen und zudem
auch kein Sachverständigengutachten zum Beweis dafür eingeholt, dass er, der
Soldat, das fragliche Kreuz auf dem Krankenmeldeschein nicht gemacht habe.
Dem gestellten Beweisantrag sei die Truppendienstkammer ohne sachlichen
Grund nicht gefolgt.
Hinsichtlich der Anschuldigungspunkte 1 und 3 sei zu beanstanden, dass die
Truppendienstkammer keinen Hinweis erteilt habe, dass auch eine Verurteilung
wegen vorsätzlicher Begehungsweise erfolgen könne.
Im Übrigen sei seine persönliche Situation insbesondere im Hinblick auf die
wirtschaftlichen Auswirkungen der Dienstgradherabsetzung nicht ausreichend
gewürdigt worden. So sei unbeachtet geblieben, dass seine Ehefrau über keine
eigenen Einkünfte verfüge. Auch das Ausmaß der zusätzlichen materiellen Be-
lastungen aufgrund der übergroßen Verschuldung in Verbindung mit den ge-
sundheitlichen Beeinträchtigungen sei nicht ausreichend gewürdigt worden.
Ebenso sei nicht hinreichend geprüft worden, welche medizinischen Auswirkun-
gen die erfolgte Umstellung auf ein neues Medikament zur Bekämpfung der bei
ihm vorliegenden „Bluthochdruckproblematik“ gehabt habe und habe. Wäre sei-
ne Ehefrau zu den persönlichen Verhältnissen angehört worden, hätte die
Schlussfolgerung nicht ausgeschlossen werden können, dass die Belastungen
durch seine Beteiligung an der Kinderversorgung nach Dienstschluss zusam-
men mit den Problemen der Medikamentenumstellung dazu geführt habe, ohne
Vorsatz den Dienstantritt zu verschlafen. Die Relation zwischen den verhältnis-
mäßig kurzen Verspätungen und den massiven materiellen Einbußen, die ihm
unter Berücksichtigung der beschriebenen familiären Verhältnisse und der ver-
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hältnismäßig kurzen Zeit vor seinem Gesamtdienstende im Jahre 2006 drohten,
erschiene nicht gewahrt.
Der Wehrdisziplinaranwalt hat zur Begründung seiner auf die Entfernung des
Soldaten aus dem Dienstverhältnis gerichteten (maßnahmebeschränkten) Beru-
fung im Wesentlichen vorgetragen:
Zutreffend sei die Truppendienstkammer davon ausgegangen, dass der Soldat
gegen zentrale soldatische Pflichten verstoßen und damit ein schwerwiegendes
Dienstvergehen begangen habe. Vor dem Hintergrund der gegen den Soldaten
bereits am 21. Januar 2004 - zwischenzeitlich rechtskräftig - verhängten Diszip-
linarmaßnahme einer Herabsetzung in den Dienstgrad eines Oberfeldwebels
könne das vorliegende Dienstvergehen nur noch mit einer Entfernung aus dem
Dienstverhältnis angemessen geahndet werden. Sofern die Truppendienst-
kammer dem Soldaten die jahrelang erbrachten ordentlichen dienstlichen Leis-
tungen, seine beiden förmlichen Anerkennungen sowie seine Auszeichnungen
zugute gehalten habe, lägen diese für den Soldaten sprechenden Umstände
erhebliche Zeit zurück und seien nicht geeignet, die sich seit mehreren Jahren
abzeichnenden Nachlässigkeiten in der Dienstausübung aufzuwiegen. Zudem
habe die Truppendienstkammer diese Umstände bereits in der früheren gericht-
lichen Disziplinarmaßnahme als Begründung für eine Dienstgradherabsetzung
um lediglich eine Stufe herangezogen. Schließlich könne der Truppendienst-
kammer auch nicht darin gefolgt werden, dass die familiären und wirtschaftli-
chen Verhältnisse es als angezeigt erscheinen ließen, von der gebotenen
Höchstmaßnahme abzusehen. Denn mit dem vorliegenden Dienstvergehen ha-
be der Soldat die Vertrauensgrundlage zum Dienstherrn endgültig zerstört. Es
seien keine in der Person des Soldaten liegenden Milderungsgründe ersichtlich,
die geeignet seien, ein Absehen von der Höchstmaßnahme zu rechtfertigen.
Gegen den Soldaten ist gegenwärtig noch ein weiteres gerichtliches Disziplinar-
verfahren beim Truppendienstgericht Nord (Az.: N 1 VL 2/06) anhängig. Darin
werden dem Soldaten durch die Anschuldigungsschrift des Wehrdisziplinaran-
walts vom 21. Februar 2006 die Handlungen zur Last gelegt, die auf der Grund-
lage der Anklageschriften der Staatsanwaltschaft B. vom 18. November 2004
(Az.: 332 Js 568/04) und vom 25. April 2005 (Az.: 338 Js 119/05) Gegenstand
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des zwischenzeitlich rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts E. vom 16. Juni
2005 (Az.: 5 Ds 163/05) waren und vier über den Internet-Versteigerer ebay
abgewickelte betrügerische Rechtsgeschäfte betreffen.
Außerdem hat die Staatsanwaltschaft B. unter dem 2. Mai 2006 (Az.: 338 Js
75/06) beim Amtsgericht E. gegen den Soldaten eine weitere Anklage erhoben.
III
1. Die jeweils am 20. September 2004, einem Montag, eingegangenen Beru-
fungen des Soldaten und des Wehrdisziplinaranwalts gegen das ihnen jeweils
am 19. August 2004 zugestellte Urteil der Truppendienstkammer vom 10. Au-
gust 2004 sind zulässig. Sie sind statthaft; ihre Förmlichkeiten sind gewahrt
(§ 115 Abs. 1, § 116 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 WDO).
2. Die Berufung des Wehrdisziplinaranwalts ist auf die Bemessung der Diszipli-
narmaßnahme beschränkt. Dies hat der Wehrdisziplinaranwalt in seinem Beru-
fungsschriftsatz vom 20. September 2004 unmissverständlich zum Ausdruck
gebracht. Seine Ausführungen beschränken sich auch lediglich auf Gesichts-
punkte, die auf die Maßnahmebemessung bezogen sind.
Dagegen hat der Soldat durch seinen Verteidiger mit dem Berufungsschriftsatz
vom 20. September 2004 Berufung in vollem Umfang eingelegt. Denn er hat
beantragt, das Urteil der Truppendienstkammer „insoweit aufzuheben, als Herr
Hauptfeldwebel … wegen des Vorfalls am 4.3.2004 (Ziffer 2. der Anschuldi-
gungsschrift des Wehrdisziplinaranwaltes vom 8.6.2004) verurteilt wurde und
auf Freispruch zu erkennen, sowie hinsichtlich der Anschuldigungspunkte 1.
und 3. der Anschuldigungsschrift das angefochtene Urteil dahingehend abzu-
ändern, dass auf ein niedrigeres Strafmaß erkannt wird“. Auch wenn sich der
Soldat damit hinsichtlich der Anschuldigungspunkte 1 und 3 - anders als bei
Anschuldigungspunkt 2 - nicht gegen die Tat- und Schuldfeststellungen, son-
dern lediglich gegen die Bemessung der Disziplinarmaßnahme gewandt hat,
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- 14 -
liegt keine wirksame Beschränkung seiner
Berufung auf die
Maßnahmebemessung vor.
Denn eine Beschränkung der Berufung auf einzelne Anschuldigungspunkte ist
nicht zulässig (stRspr, vgl. u.a. Urteile vom 12. Mai 1971 - BVerwG 2 WD 2.69 -
und vom 10. Juni 1970 - BVerwG 2 WD 73.69 -; Dau, WDO, 4. Aufl. 2002,
§ 116 Rn. 16). Dies ergibt sich daraus, dass gemäß § 18 Abs. 2 WDO mehrere
Pflichtverletzungen eines Soldaten, über die gleichzeitig entschieden werden
kann, als ein Dienstvergehen zu ahnden sind. Hat ein Soldat in mehrfacher
Weise gegen seine Pflichten verstoßen, ist das Urteil darüber, ob und wie er
disziplinar zu maßregeln ist, nicht jeder einzelnen Pflichtverletzung in den ver-
schiedenen Anschuldigungspunkten zu entnehmen; vielmehr hat die disziplinar-
rechtliche Beurteilung auf der Grundlage aller Pflichtverletzungen, soweit sie
entscheidungsreif sind, zu erfolgen. Denn erst aus der Würdigung aller Pflicht-
verletzungen kann das Wehrdienstgericht die Beurteilungsgrundlage dafür ge-
winnen, welche Disziplinarmaßnahme erforderlich ist, um den Zweck des
Wehrdisziplinarrechts zu erfüllen, den ordnungsgemäßen Dienstbetrieb aufrecht
zu erhalten bzw. wiederherzustellen.
Als das weitergehende Rechtsmittel bestimmt die - volle - Berufung des Solda-
ten den Umfang der Nachprüfung der angegriffenen Entscheidung. Der Senat
hat daher im Rahmen der erfolgten Anschuldigung (§ 123 Satz 3 i.V.m. § 107
Abs. 1 WDO) eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen, sie rechtlich zu
würdigen und über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden.
3. Die Berufungen des Soldaten und des Wehrdisziplinaranwalts sind nicht be-
gründet.
a) In tatsächlicher Hinsicht ist von folgenden Feststellungen auszugehen:
aa) Hinsichtlich des Anschuldigungspunkts 2 ist der Senat an die tatsächlichen
Feststellungen des insoweit sachgleichen rechtskräftigen Urteils des Amtsge-
richts E. vom 16. Juni 2005 (Az.: 5 Ds 163/05) gebunden. Dies ergibt sich aus
§ 84 Abs. 1 Satz 1 WDO.
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- 15 -
Die Voraussetzungen für einen Lösungsbeschluss nach § 84 Abs. 1 Satz 2
WDO liegen nicht vor. Nur dann, wenn das sachgleiche rechtskräftige Strafurteil
in sich oder in Verbindung mit dem Protokoll der Hauptverhandlung geeignet ist,
erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des
Strafgerichts zu begründen, können sich die Wehrdienstgerichte nach Maßgabe
des § 84 Abs. 1 Satz 2 WDO davon lösen. Als Ausnahme von der in § 84
Abs. 1 Satz 1 WDO normierten Prozessregel der Bindung an die strafgerichtli-
chen Feststellungen ist ein Lösungsbeschluss nur unter engen Voraussetzun-
gen zulässig. Bei der Auslegung der tatbestandlichen Voraussetzungen muss
das gesetzlich normierte Regel-Ausnahme-Verhältnis beachtet werden. Aus-
nahmevorschriften sind einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich; das
Regel-Ausnahme-Verhältnis darf nicht in sein Gegenteil verkehrt werden. Aus
dem Sinn und Zweck der Regelung, im Interesse der Rechtssicherheit und des
Vertrauensschutzes unterschiedliche Feststellungen zu einem historischen Ge-
schehensablauf in verschiedenen rechtskräftigen Entscheidungen zu verhin-
dern, ergibt sich zudem, dass die Wehrdienstgerichte an die Beweiswürdigung
in dem sachgleichen rechtskräftigen Strafurteil grundsätzlich auch dann gebun-
den sein sollen, wenn sie aufgrund eigener Würdigung abweichende Feststel-
lungen für möglich halten. Anderenfalls wäre die Vorschrift des § 84 Abs. 1
Satz 1 WDO auf Fälle beschränkt, in denen das Wehrdienstgericht der Beweis-
würdigung des Strafgerichts ohnehin folgen würde. Das aber wäre weder mit
der in § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO normierten grundsätzlichen Bindung noch damit
vereinbar, dass die Wehrdienstgerichte nach ihrer Zuständigkeit und Funktion
keine (allgemeine) Überprüfungsinstanz für Strafurteile sind. Die Zulässigkeit
einer Lösung nach § 84 Abs. 1 Satz 2 WDO ist sonach auf Fälle beschränkt, in
denen das Wehrdienstgericht sonst gezwungen wäre, auf der Grundlage offen-
kundig unzureichender oder inzwischen als unzutreffend erkannter Feststellun-
gen zu entscheiden. Nur dies soll durch die Lösungsmöglichkeit verhindert wer-
den. Für einen Lösungsbeschluss ausreichende Zweifel an der Richtigkeit der
strafgerichtlichen Feststellungen liegen dann vor, wenn die strafgerichtlichen
Feststellungen in sich widersprüchlich oder sonst unschlüssig sind, im Wider-
spruch zu Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen stehen oder aus
sonstigen - vergleichbar gewichtigen - Gründen offenkundig unzureichend sind
(vgl. u.a. Urteile vom 12. Februar 2003 - BVerwG 2 WD 8.02 - BVerwGE 117,
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- 16 -
371 = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 48 = NZWehrr 2003, 214 und vom 28. April
2005 - BVerwG 2 WD 25.04 -).
Die Feststellungen im - zu Anschuldigungspunkt 2 - sachgleichen rechtskräfti-
gen Urteil des Amtsgerichts E. vom 16. Juni 2005 hinsichtlich der Tatumstände,
die den objektiven und subjektiven Tatbestand der in Rede stehenden Straftat
erfüllen und den strafgerichtlichen Urteilsausspruch nachvollziehbar tragen, sind
offenkundig weder widersprüchlich noch sonst unschlüssig. Der anwaltlich ver-
tretene Soldat hat dies zwar sinngemäß zunächst geltend gemacht, diesen Vor-
trag nach seiner im strafgerichtlichen Verfahren erfolgten Beschränkung seiner
Berufung auf die Maßnahmebemessung jedoch nicht mehr aufrechterhalten. Es
liegen ferner keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sie im Widerspruch zu Denk-
gesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen stehen oder aus sonstigen - ver-
gleichbar gewichtigen - Gründen offenkundig unzureichend sind. Es ist insbe-
sondere nicht ersichtlich, dass sie in einem entscheidungserheblichen Punkt
unter offenkundiger Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande
gekommen sind oder dass entscheidungserhebliche neue Beweismittel vorge-
legt worden sind, die dem Strafgericht noch nicht zur Verfügung standen. Die im
strafgerichtlichen Urteil vorgenommene Beweiswürdigung ist zudem auch nach-
vollziehbar, zumal der Soldat im Berufungsverfahren vor dem Landgericht B.
am 19. August 2005 seine ursprünglich volle Berufung selbst ausdrücklich „auf
den Rechtsfolgenausspruch" beschränkte und damit die Tatfeststellungen nicht
mehr in Zweifel zog. Daran muss er sich festhalten lassen. Soweit der Soldat im
vorliegenden Berufungsverfahren zunächst mit seinem Berufungsschriftsatz
vom 20. September 2004 hinsichtlich des Anschuldigungspunktes 2 einzelne
von der Truppendienstkammer in ihrem Urteil vom 10. August 2004 in Überein-
stimmung mit dem strafgerichtlichen Urteil getroffene tatsächliche Feststellun-
gen angegriffen hat, hat er an diesen Angriffen in der Berufungshauptverhand-
lung vor dem Senat - offenkundig angesichts seiner zwischenzeitlich am
19. August 2005 im strafgerichtlichen Berufungsverfahren erfolgten wirksamen
Berufungsbeschränkung und der damit verbundenen Hinnahme der sachglei-
chen tatsächlichen strafgerichtlichen Feststellungen - auch nicht mehr festge-
halten.
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bb) Hinsichtlich des Anschuldigungspunkts 1 hat der Senat folgenden Sachver-
halt festgestellt:
Da der Soldat in der Vergangenheit der wiederholt gegebenen Aufforderung
seiner Vorgesetzten, den Minus-Saldo auf seinem „Arbeitszeitkonto“ auszuglei-
chen, nicht nachgekommen war, entzog ihm der Leiter …T-ZentrBw mit Verfü-
gung vom 17. Januar 2003 die Berechtigung, sich an der „Arbeitsgleitzeit“ zu
beteiligen und befahl ihm zum Abbau der Fehlzeiten einen feststehenden, auf
7.30 Uhr angesetzten täglichen Dienstbeginn. Dieser Verpflichtung kam der
Soldat am 1. und 2. März 2004 nicht nach, weil er seinen Dienst in E., K. Straße
188, jeweils erst um 7.50 Uhr antrat. Der Soldat hat dies eingeräumt. Er hat zu-
dem auch bestätigt, dass er sich nach dem ihm erteilten Befehl zum Dienstbe-
ginn jeweils beim Zeugen Oberst K. zu melden hatte.
Die Gründe für das verspätete Erscheinen des Soldaten hat der Senat nicht mit
hinreichender Sicherheit festzustellen vermocht. Der Soldat hat vorgetragen,
nach der im Februar 2004 erfolgten Umstellung der gegen seinen Bluthoch-
druck verabreichten Medikamente habe er noch bis Mitte März 2004 regelmä-
ßig Kreislaufprobleme, vor allem Schwindelgefühle, gehabt. Abends habe er
kaum einschlafen können; oft habe er nachts über Stunden hin wach im Bett
gelegen. Morgens sei er dann wegen der „verschobenen Tiefschlafphase“ noch
so müde gewesen, dass er nicht richtig „in die Gänge“ gekommen sei, zumal
sein Blutdruck im Verlaufe der Nacht offenkundig deutlich abgesunken sei. In
diesem Zustand habe er offenbar am 1. und 2. März 2004 morgens den von
ihm gestellten Wecker überhört und sei erst verspätet aufgewacht, sodass er
nicht mehr rechtzeitig zum Dienstantritt habe erscheinen können. Diese Einlas-
sung kann dem Soldaten nicht widerlegt werden. Insbesondere hat der Senat
keinerlei Anhaltspunkte dafür feststellen können, dass der Soldat seinen Dienst
am 1. und 2. März 2004 - wie von der Truppendienstkammer angenommen -
„jeweils mit Wissen und Wollen“ verspätet angetreten hat. Der Umstand, dass
dem Soldaten der befohlene Dienstzeitbeginn „bestens bekannt“ war und er
„sich zum Dienstbeginn stets beim Zeugen K. zu melden hatte“, vermag entge-
gen der Auffassung der Truppendienstkammer die Einlassung des Soldaten
nicht zu widerlegen, dass er aus den von ihm angeführten Gründen jeweils un-
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beabsichtigt verschlief. Gleiches gilt hinsichtlich der von der Truppendienst-
kammer herangezogenen Erwägung, „bei einer Familie mit vier Kindern im Alter
von drei, sechs, zwölf und 15 Jahren“ sei dem Soldaten „nicht abzunehmen“,
verschlafen zu haben; sie ist nicht geeignet, die inhaltliche Richtigkeit der Ein-
lassung des Soldaten mit der erforderlichen Gewissheit auszuschließen. Um
zum Dienstantritt um 7.30 Uhr rechtzeitig erscheinen zu können, war es nach
den nachvollziehbaren Darlegungen des Soldaten in der Berufungshauptver-
handlung, denen auch der Bundeswehrdisziplinaranwalt nicht entgegengetreten
ist, notwendig, dass der Soldat spätestens um 6.45 Uhr - 6.50 Uhr aufstand.
Denn bei einer Entfernung zwischen seiner Wohnung und seiner Dienststelle
von ca. 20 „Autominuten“ musste der Soldat etwa um 7.05 Uhr bis 7.10 Uhr die
Wohnung verlassen. Seine nicht erwerbstätige Ehefrau stand seinen
unwiderlegten Angaben zufolge regelmäßig erst zusammen mit den schul-
pflichtigen Kindern auf, nämlich etwa um 7.10 Uhr bis 7.15 Uhr. Denn der
Schulbeginn lag für die Kinder jeweils zwischen 7.50 Uhr und 8.05 Uhr. Vor
7.10 Uhr bis 7.15 Uhr wurde der Soldat damit nach seiner unwiderlegten Ein-
lassung regelmäßig weder von seiner Ehefrau noch von seinen schulpflichtigen
Kindern (mit-)geweckt. Er war vielmehr, um rechtzeitig aufzuwachen, allein auf
den von ihm gestellten Wecker angewiesen.
Trotz seiner von ihm erkannten und eingeräumten Probleme beim rechtzeitigen
Aufwachen und Aufstehen hat es der Soldat allerdings - wie er in der Beru-
fungshauptverhandlung auf Befragen eingeräumt hat - jedenfalls unterlassen,
einen lautstärkeren Wecker oder einen Wecker mit Erinnerungsfunktion anzu-
schaffen oder andere Maßnahmen zu ergreifen, um das Risiko seines Verschla-
fens zu minimieren.
cc) Hinsichtlich des Anschuldigungspunktes 3 hat der Senat folgenden Sach-
verhalt festgestellt:
Am 4. März 2004 war dem Soldaten zwischen 16.15 Uhr und 16.45 Uhr in drei
Telefonaten durch seinen höheren Disziplinarvorgesetzten Oberst i.G. P. je-
weils der Befehl erteilt worden, sich am 5. März 2004 um 7.30 Uhr bei seinem
Fachgruppenleiter Oberst K. zum Dienst zu melden. Am 5. März 2004 rief der
Soldat um 7.08 Uhr bei seinem Vorgesetzten Oberst K. an und teilte diesem
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mit, dass er verschlafen habe. Erst um 7.58 Uhr desselben Tages trat er seinen
Dienst an und gab an, zum Sanitätszentrum B. fahren zu wollen. Dies wurde
ihm durch Oberst K. nach Rücksprache mit Oberst i.G. P. mit der Begründung
verwehrt, der Soldat verfüge über keine entsprechende Überweisung. Daraufhin
begab sich der Soldat in den für ihn zuständigen Sanitätsbereich nach M. Der
Soldat hat diesen Sachverhalt, der auch von dem Zeugen Oberst i.G. P. in der
Berufungshauptverhandlung ausdrücklich bestätigt worden ist, uneingeschränkt
eingeräumt.
b) Das festgestellte Verhalten des Soldaten verstieß hinsichtlich der Anschuldi-
gungspunkte 1 und 3 gegen die Pflichten zum Gehorsam gegenüber
- ausdrücklich auf den Beginn seiner Dienstzeit bezogenen - Befehlen seiner
Vorgesetzten (§ 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 SG), zum treuen Dienen (§ 7 SG) in
Gestalt der Anwesenheits- und Dienstleistungspflicht (vgl. dazu Urteile vom
24. April 1980 - BVerwG 2 C 26.77 - BVerwGE 60, 118, vom 29. Oktober 2003
- BVerwG 2 WD 9.03 - BVerwGE 119, 164 = Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002
Nr. 13 und vom 26. Januar 2006 - BVerwG 2 WD 2.05 - juris Rn. 2) sowie zu
achtungs- und vertrauenswahrendem Verhalten im dienstlichen Bereich (§ 17
Abs. 2 Satz 1 SG). Für die Feststellung eines Verstoßes gegen die Vorschrift
des § 17 Abs. 2 Satz 1 SG kommt es nicht darauf an, ob eine Ansehensschädi-
gung im konkreten Fall tatsächlich eingetreten ist. Es reicht vielmehr aus, dass
das Verhalten des Soldaten geeignet war, eine ansehensschädigende Wirkung
auszulösen (stRspr, u.a. Beschluss vom 12. Oktober 1993 - BVerwG 2 WDB
15.92 - BVerwGE 103, 12 = NZWehrr 1994, 27 und Urteil vom 26. Januar 2006
- BVerwG 2 WD 2.05 - m.w.N.). Die Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit eines
Soldaten können durch sein Verhalten schon dann Schaden nehmen, wenn
dieses Zweifel an seiner Zuverlässigkeit weckt oder seine Eignung für die jewei-
lige Verwendung in Frage stellt (vgl. u.a. Urteile vom 2. April 1974 - BVerwG
2 WD 5.74 - BVerwGE 46, 244 = NZWehrr 1975, 69 <71 f.> und vom
26. Januar 2006 - BVerwG 2 WD 2.05 -). Das war hier angesichts des mehrfach
wiederholten Fehlverhaltens des Soldaten der Fall und bedarf keiner näheren
Darlegung. Im Übrigen hat der Zeuge Oberst i.G P. in der Berufungshauptver-
handlung ausdrücklich bestätigt, dass das in Rede stehende Fehlverhalten des
Soldaten auch im konkreten Fall den bereits seit längerem bei den Vorgesetz-
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ten und Kameraden bestehenden Eindruck der Unzuverlässigkeit noch ver-
stärkte.
Der Soldat handelte hinsichtlich der zu den Anschuldigungspunkten 1 und 3
getroffenen Feststellungen jeweils grob fahrlässig.
Er hätte erkennen können und müssen, dass er nach den von ihm selbst fest-
gestellten und mit dem behandelnden Arzt auch besprochenen Auswirkungen
des im Februar 2004 erfolgten Medikamentenwechsels auf sein Schlafverhalten
geeignete Vorkehrungen treffen musste, um sicherzustellen, dass er so zeitge-
recht aufwachte, dass er rechtzeitig zum befohlenen Dienstbeginn um 7.30 Uhr
in seiner Dienststelle erscheinen konnte. Sofern er - wie er in der Berufungs-
hauptverhandlung bekundet hat - dabei nicht auf die diesbezügliche Hilfe und
Unterstützung seiner Ehefrau setzen konnte, war er gehalten, z.B. einen We-
cker mit einer lautstärkeren akustischen Weckvorrichtung und gegebenenfalls
auch einen solchen mit einer effektiven Erinnerungsfunktion anzuschaffen. Dies
hat er - wie er in der Berufungshauptverhandlung erklärt hat - nicht getan. Der
Soldat hat eingeräumt, dass er sich hierüber nicht einmal Gedanken gemacht
und keinerlei Überlegungen angestellt hatte, welche Möglichkeiten bestanden
sicherzustellen, dass er rechtzeitig und zuverlässig geweckt werden konnte.
Diese grobe Sorg- und Nachlässigkeit muss er sich zurechnen lassen.
Hinsichtlich des zu Anschuldigungspunkt 2 festgestellten Verhaltens hat der
Soldat mit der erfolgten Verfälschung des Krankenmeldescheins eine Straftat
nach § 267 Abs. 1 StBG begangen und damit gegen seine Pflicht zum treuen
Dienen (§ 7 SG) verstoßen (vgl. zur Dienstpflichtwidrigkeit strafbarer Handlun-
gen im dienstlichen Bereich nach § 7 SG u.a. Urteile vom 26. November 2003
- BVerwG 2 WD 7.03 - Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 14 = NVwZ 2004,
884 und vom 16. Mai 2006 - BVerwG 2 WD 3.05 - m.w.N.). Soweit der Soldat
am 4. März 2004 seinem Fachgruppenleiter, Oberst K., nach Rückkehr von der
truppenärztlichen Untersuchung wahrheitswidrig mitteilte, der Truppenarzt,
Stabsarzt M., habe ihn für zwei weitere Tage „krank zu Hause“ geschrieben,
und soweit er diesbezüglich auf den von ihm verfälschten Krankenmeldeschein
verwies, hat er zudem seine Pflicht zur Wahrheit in dienstlichen Angelegenhei-
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ten (§ 13 Abs. 1 SG) verletzt. Weiter hat er damit insgesamt auch seine Pflicht
zu achtungs- und vertrauenswahrendem Verhalten im dienstlichen Bereich
(§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) verletzt. Denn sein Verhalten war geeignet, eine anse-
hensschädigende Wirkung auszulösen. Es weckte und vertiefte Zweifel an sei-
ner Zuverlässigkeit und stellte seine Eignung für weitere dienstliche Verwen-
dungen in Frage.
Hinsichtlich des von Anschuldigungspunkt 2 erfassten Fehlverhaltens handelte
der Soldat vorsätzlich. Angesichts der den Senat bindenden tatsächlichen Fest-
stellungen im rechtskräftigen strafgerichtlichen Urteil bedarf dies keiner näheren
Darlegung.
Insgesamt hat der Soldat damit durch die schuldhaften Dienstpflichtverletzun-
gen ein Dienstvergehen im Sinne des § 23 Abs. 1 SG begangen.
c) Die Truppendienstkammer hat mit dem angefochtenen Urteil den Soldaten im
Ergebnis zu Recht in den Dienstgrad eines Feldwebels herabgesetzt.
Nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO sind bei Art und Maß der Diszipli-
narmaßnahme Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie seine Aus-
wirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und
die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen.
aa) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens
Die Eigenart und Schwere eines Dienstvergehens bestimmen sich nach dem
Unrechtsgehalt der Verfehlung, mithin also nach der Bedeutung der verletzten
Dienstpflichten.
Der Schwerpunkt der festgestellten Dienstpflichtverletzungen des Soldaten liegt
bei dem von Anschuldigungspunkt 2 erfassten Fehlverhalten. Die vorsätzliche
Verfälschung des Krankenmeldescheins stellt kriminelles Unrecht dar. Die darin
zugleich liegende Verletzung seiner Treuepflicht (§ 7 SG) wiegt schwer, da die-
se zu den Kernpflichten jedes Soldaten gehört. Auch die Verletzung seiner
Wahrheitspflicht hat erhebliches Gewicht. Der Wahrheitspflicht kommt gerade
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für das Soldatenverhältnis besondere Bedeutung zu, was auch ihre ausdrückli-
che Normierung in § 13 SG demonstriert. Eine militärische Einheit kann nur
schwer geführt werden, wenn die Führung sich nicht auf die Richtigkeit abge-
gebener Meldungen, Erklärungen und Aussagen verlassen kann. Denn auf ihrer
Grundlage müssen im Frieden und erst recht im Einsatz gegebenenfalls Ent-
schlüsse von erheblicher Tragweite gefasst werden. Ein Soldat, der gegenüber
Vorgesetzten unwahre Erklärungen abgibt, büßt hierdurch in gravierendem Ma-
ße an Glaubwürdigkeit ein (stRspr, vgl. u.a. Urteile vom 28. Oktober 2003
- BVerwG 2 WD 10.03 - DokBer 2004, 193 und vom 21. September 2005
- BVerwG 2 WD 24.04 - DokBer 2006, 113).
Gewicht haben auch die zu den Anschuldigungspunkten 1 und 2 festgestellten
Verstöße gegen die dem Soldaten erteilten Befehle zum pünktlichen Dienstbe-
ginn. Die Pflicht zum Gehorsam gehört zu den zentralen Dienstpflichten eines
jeden Soldaten (stRspr, vgl. u.a. Urteile vom 14. November 1991 - BVerwG
2 WD 12.91 - BVerwGE 93, 196 <198> und vom 21. Juni 2005 - BVerwG 2 WD
12.04 - NJW 2006, 77 <80> = EuGRZ 2005, 636 <646> m.w.N.). Allerdings ist
zu berücksichtigen, dass die durch die Pflichtenverstöße bewirkten Verspätun-
gen beim Dienstantritt zwar mehrfach erfolgten, jedoch jeweils nur von relativ
kurzer Dauer waren.
Die in § 17 Abs. 2 Satz 1 SG normierte und vom Soldaten (in allen drei An-
schuldigungspunkten) verletzte Pflicht, dem Vertrauen und der Achtung gerecht
zu werden, die sein Dienst als Soldat erfordert, stellt keine bloße Nebenpflicht
dar, sondern hat wegen ihres funktionalen Bezugs auf den militärischen Dienst-
betrieb ebenfalls erhebliche Bedeutung (stRspr, vgl. u.a. Urteile vom 24. No-
vember 2005 - BVerwG 2 WD 32.04 - NVwZ 2006, 608 m.w.N. und vom 16. Mai
2006 - BVerwG 2 WD 3.05 -)
Zu Lasten des Soldaten ist zu berücksichtigen, dass er als Oberfeldwebel kraft
Dienstgrades eine Vorgesetztenstellung innehatte. Mit seinem Fehlverhalten
hat er entgegen § 10 Abs. 1 SG ein schlechtes Beispiel in Haltung und Pflichter-
füllung gegeben.
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bb) Auswirkungen des Dienstvergehens
Die konkreten Auswirkungen des von den Anschuldigungspunkten 1 und 3 er-
fassten Fehlverhaltens des Soldaten waren, wie der Zeuge Oberst i.G. P. in der
Berufungshauptverhandlung ausdrücklich bekundet hat, relativ gering. Das ver-
spätete Erscheinen zum Dienst am 1., 2. und 5. März 2004 hatte jeweils keine
feststellbaren negativen dienstlichen Auswirkungen. Es hatte auch keine nega-
tive „Vorbild“-Funktion für andere Soldaten, was der Zeuge ausdrücklich bestä-
tigt hat.
Negative Auswirkungen des von Anschuldigungspunkt 2 erfassten Fehlverhal-
tens des Soldaten ergaben sich jedoch durch die dadurch notwendige Einlei-
tung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens. Das Bekanntwerden der Ver-
fehlungen des Soldaten bei der Polizei und den sonstigen mit der Strafverfol-
gung und Durchführung des Strafverfahrens befassten Organen war geeignet,
den guten Ruf der Bundeswehr und ihrer Angehörigen zu belasten. Dies muss
sich der Soldat zurechnen lassen (stRspr, vgl. u.a Urteile vom 13. März 2003
- BVerwG 1 WD 2.03 - Buchholz 235.01 § 84 WDO 2002 Nr. 2 [insoweit nicht
veröffentlicht], vom 6. Mai 2003 - BVerwG 2 WD 29.02 - BVerwGE 118, 161 =
Buchholz 235.01 § 107 WDO 2002 Nr. 1 [jeweils insoweit nicht veröffentlicht]
und vom 26. November 2003 - BVerwG 2 WD 7.03 - a.a.O.), weil dadurch nicht
nur der Soldat, sondern auch die Angehörigen der Einheit, in der solches mög-
lich war, in ein schlechtes Licht gerückt wurden.
cc) Maß der Schuld
Der Soldat handelte nach den getroffenen Feststellungen bei seinem von An-
schuldigungspunkt 2 erfassten Fehlverhalten mit Vorsatz, im Übrigen (Anschul-
digungspunkte 1 und 3) grob fahrlässig.
Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass er zum Zeitpunkt des Dienstvergehens in
seiner Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB eingeschränkt oder gar im Sinne
des § 20 StGB schuldunfähig war, sind nicht ersichtlich.
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Bei der Gewichtung des gegen den Soldaten zu erhebenden Schuldvorwurfs ist
seine damalige persönliche Situation zu berücksichtigen. Seine familiäre Situa-
tion war durch die Epilepsie-Erkrankung seines Sohnes seit Jahren belastet und
angespannt. Der Sohn bedurfte besonderer Fürsorge und Betreuung, an der
auch der Soldat nach seiner unwiderlegten Einlassung maßgeblich beteiligt war.
Besonders belastend empfand der Soldat nach seinen glaubhaften Aussagen in
der Berufungshauptverhandlung vor allem auch die empfundene Stigmatisie-
rung seines Sohnes durch andere sowie die dem zugrunde liegenden negativen
Voreinstellungen und Vorurteile des familiären Umfeldes. Hinzu kamen die be-
sonderen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die aus den gravierenden Proble-
men des Soldaten mit einem Bauträger im Zusammenhang mit dem Erwerb des
Eigenheimes resultierten. Der Soldat hat diese nachvollziehbar und glaubhaft in
der Berufungshauptverhandlung dargelegt. Zweifel an der tatsächlichen Rich-
tigkeit seiner diesbezüglichen Einlassungen sind nicht ersichtlich geworden.
Diese besonderen Belastungen des Soldaten ergaben sich nicht nur aus den
Streitigkeiten mit dem Bauträger, sondern auch aus den langjährigen aufwändi-
gen Gerichtsverfahren, die der Kläger und seine Ehefrau zur Durchsetzung ih-
rer Ansprüche einleiteten und führten. Hieraus ergaben sich, nachdem sich die
Zahlungsunfähigkeit des Bauträgers herausgestellt hatte, große finanzielle Be-
lastungen, die sich noch heute in einem Schuldenstand von ca. 300 000 € nie-
derschlagen. Auch die eigenen gesundheitlichen Belastungen des Soldaten im
Zusammenhang mit seinem behandlungsbedürftigen Bluthochdruck wirkten sich
nach einem im Februar 2004 erfolgten Medikamentenwechsel nachteilig auf die
körperliche und seelische Belastbarkeit des Soldaten aus. Der als Zeuge in der
Berufungshauptverhandlung vernommene Stationsarzt M. hat dies der Sache
nach bestätigt, auch wenn er sich - verständlicherweise - an genaue Einzelhei-
ten nicht mehr hat erinnern können. „All dies zusammen“ führte nach den
glaubhaften Bekundungen des Soldaten dazu, dass er im Februar/März 2004
offenkundig nicht mehr in der Lage war, planvoll zu agieren. Er hatte, wie er in
der Berufungshauptverhandlung glaubhaft dargelegt hat, damals „den tiefsten
Punkt erreicht, den man erreichen kann“; über ihm sei „alles zusammengebro-
chen“; er habe einen „absoluten Durchhänger“ gehabt. Dazu trug nach den
Feststellungen des Senats nicht unwesentlich bei, dass er im Kameradenkreis
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weithin isoliert war, zumal er sich - wie es in der Sonderbeurteilung vom
21. Januar 2005 heißt - anderen gegenüber im dienstlichen Umfeld „nur wenig
öffnete“ und bei seinen Vorgesetzten und Kameraden als „unzuverlässig - mit
wiederkehrenden nachteiligen Folgen für andere - empfunden“ wurde. Nach
dem Eindruck seiner Vorgesetzten hatte der Soldat „in Bezug auf die Bundes-
wehr eine ‚innere Aufgabe’“ vollzogen. Er vermittelte den Eindruck einer „wirk-
lichkeitsfremden Wahrnehmung“. Für ihn schienen alle angesprochenen Prob-
leme fremdverschuldet und damit die Situation aus seiner Sicht durch ihn nicht
verbesserungsfähig zu sein. Eine nachhaltige fachtherapeutische Behandlung
wurde ihm ungeachtet dessen im dienstlichen Bereich nicht zuteil. Die im au-
ßerdienstlichen Umfeld liegenden Ursachen für seine gravierenden Schwierig-
keiten im dienstlichen Bereich konnten so nicht hinreichend identifiziert werden,
sodass der Soldat mit seinen gesundheitlichen und persönlichen Problemen auf
sich allein gestellt blieb. Damit war er letztlich überfordert. Die Situation, in der
der Soldat versagt hat, war mithin von außergewöhnlichen Besonderheiten ge-
kennzeichnet.
Allerdings hat der Senat nicht feststellen können, dass die schwierige wirt-
schaftliche, familiäre und gesundheitliche Situation von solchem Gewicht war,
dass vom Soldaten ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht
mehr erwartet und daher auch nicht vorausgesetzt werden konnte (vgl. zu die-
sem in der ständigen Rechtsprechung des Senats anerkannten „Tatmilde-
rungsgrund“ u.a. Urteile vom 1. September 1997 - BVerwG 2 WD 13.97 -
BVerwGE 113, 128 <129 f.> = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 16 = NZWehrr 1998,
83 [insoweit nicht veröffentlicht], vom 1. Juli 2003 - BVerwG 2 WD 51.02 -
m.w.N. und vom 26. Januar 2006 - BVerwG 2 WD 2.05 -). Denn der Soldat hat
jedenfalls nicht alle ihm zu Gebote stehenden Schritte unternommen, um Hilfe
und Unterstützung von anderen zu erhalten. Wie sich aus der Sonderbeurtei-
lung durch seinen Disziplinarvorgesetzten und aus der Aussage des Zeugen
Oberst i.G. P. ergibt, war es für seine Vorgesetzten in seinem dienstlichen Um-
feld schwierig, in näheren Kontakt mit ihm zu treten und herauszufinden, was
ihn belastete und bedrückte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Soldat mit
dem gebotenen Nachdruck bei dem Truppenarzt und seinen Vorgesetzten auf
eine intensive fachärztliche Abklärung seiner psychischen Probleme gedrängt
60
- 26 -
hat. Dass er selbst seine Hilfebedürftigkeit erkannte, ergibt sich nicht zuletzt aus
seinem - außerdienstlichen - Bemühen um eine psychotherapeutische Behand-
lung. Ungeachtet seiner von ihm wahrgenommenen gravierenden Schwierigkei-
ten im dienstlichen Umfeld ließ er aber „die Dinge treiben“ und „steckte den
Kopf in den Sand“. Das muss sich der Soldat letztlich zurechnen lassen.
Das Maß der Schuld des Soldaten wird im Hinblick auf die Umstände seines
Dienstvergehens auch dadurch gemindert, dass sowohl im Tatzeitraum als
auch bereits in der davor liegenden Zeit nicht unerhebliche Defizite bei der
Wahrnehmung der Dienstaufsicht durch seine Vorgesetzten ihm gegenüber
bestanden (vgl. zu diesem Tatmilderungsgrund u.a. Urteile vom 19. September
2001 - BVerwG 2 WD 9.01 - Buchholz 236.1 § 10 SG Nr. 48 [insoweit nicht ver-
öffentlicht], vom 17. Oktober 2002 - BVerwG 2 WD 14.02 - Buchholz 236.1 § 12
SG Nr. 19 = NVwZ-RR 2003, 366, vom 27. November 2003 - BVerwG 2 WD
6.03 -, vom 27. Januar 2004 - BVerwG 2 WD 2.04 - Buchholz 236.1 § 10 SG
Nr. 52 = NZWehrr 2005, 79 und vom 26. Januar 2006 - BVerwG 2 WD 2.05 -
juris Rn. 6). Die Dienstaufsicht umfasst dabei nicht nur Kontrolle, sondern „vor
allem Hilfe in Form von Erklärung, Anleitung und Unterstützung“ (Nr. 355 ZDv
10/1). Obwohl seine zuständigen Vorgesetzten - wie sich namentlich aus der
Sonderbeurteilung vom 21. Januar 2005 mittelbar ergibt - erkannt hatten, dass
der Soldat in Belastungssituationen „den Ausweg über Neukrankmeldungen (53
Krankmeldungen 2003 und 14 Krankmeldungen im Zeitraum bis zum 31. März
2004)“ suchte und obwohl sie festgestellt hatten, dass bei ihm „Durchstehver-
mögen und -wille … im dienstlichen Bereich nicht erkennbar“ waren, wurde we-
der von ihnen noch vom Truppenarzt veranlasst, dass der Soldat im Hinblick
auf seine festgestellte fehlende „Belastbarkeit“ einer entsprechenden fachärztli-
chen diagnostischen und therapeutischen Behandlung zugeführt wurde. Es
blieb dem damit ersichtlich überforderten Soldaten überlassen, mit seiner gra-
vierend beeinträchtigten gesundheitlichen Situation selbst fertig zu werden. Die
Ursachen für seine Schwierigkeiten und mangelnden dienstlichen Leistungen
wurden letztlich, wie es in der Sonderbeurteilung heißt, allein seinem - nicht nä-
her hinterfragten - mangelnden „Durchstehvermögen und -wille(n)“ zugeschrie-
ben, ohne dass dem entsprechende fachärztliche/fachtherapeutische Beurtei-
lungen und Abklärungen zugrunde lagen.
61
- 27 -
dd) Beweggrund
Die festgestellten Pflichtverletzungen des Soldaten hinsichtlich der Anschuldi-
gungspunkte 1 und 3 beruhten nach den vom Senat getroffenen Feststellungen
auf groben Nachlässigkeiten des Soldaten, der nicht dafür sorgte und sicher-
stellte, dass er mit Hilfe geeigneter Weckvorrichtungen rechtzeitig aufwachte
und zum befohlenen Dienstbeginn seinen Dienst aufnahm. Die Pflichtverletzun-
gen hinsichtlich des Anschuldigungspunktes 2 resultierten aus dem Bestreben
des Soldaten, am 4. März 2004 „krank zu Hause“ geschrieben zu werden, um
nicht Dienst leisten zu müssen. Er hatte dabei keine Skrupel, zur Erreichung
dieses Zieles den Krankenmeldeschein zu fälschen und gegenüber seinem
Fachgruppenleiter Oberst K. wahrheitswidrige Angaben zu machen.
ee) Bisherige Führung, Persönlichkeit
Zum Nachteil des Soldaten wirkt sich aus, dass er seine Pflichtverletzungen am
1., 2., 4. und 5. März 2004 beging, obwohl er bereits kurz zuvor mit
- zwischenzeitlich rechtskräftigem - Urteil der 1. Kammer des Truppendienstge-
richts Nord vom 21. Januar 2004 (Az.: N 1 VL 14/03) wegen wiederholter Ver-
stöße gegen die Dienstleistungs- und Gehorsamspflicht in den Dienstgrad eines
Oberfeldwebels herabgesetzt worden war. Dies offenbart ein relativ geringes
Maß an Einsichtsfähigkeit und an Bereitschaft, sich mit seinem gezeigten Fehl-
verhalten auseinanderzusetzen.
Zugunsten des Soldaten ist dagegen zu berücksichtigen, dass er mehr als 30
Jahre seinen Dienst ordnungsgemäß versah und dass er am 25. Oktober 1974
und am 14. März 1990 sogar jeweils eine förmliche Anerkennung wegen vor-
bildlicher Pflichterfüllung erhielt und dass er außerdem seit Jahren berechtigt
ist, das Abzeichen für Leistungen im Truppendienst und das Ehrenkreuz der
Bundeswehr jeweils in Bronze zu tragen. Allerdings liegen diese Auszeichnun-
gen schon viele Jahre zurück. Zugunsten des Soldaten spricht auch, dass er
ausweislich der vorliegenden dienstlichen Beurteilungen über Jahre hinweg an-
sprechende dienstliche Leistungen erbrachte. Noch in den beiden letzten plan-
mäßigen Beurteilungen vor dem Dienstvergehen wurden ihm im Wesentlichen
ansprechende dienstliche Leistungen bescheinigt. Selbst in der letzten planmä-
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- 28 -
ßigen Beurteilung vom 17. Juli 2002 wurden seine dienstlichen Leistungen u.a.
zweimal mit der Wertung „6“ („Leistungen übertreffen sehr deutlich die Anforde-
rungen“) und sechsmal mit „5“ („Leistungen übertreffen erheblich die Anforde-
rungen“) bewertet. Allerdings ist festzustellen, dass die „Belastbarkeit“ und die
„Einsatzbereitschaft“ des Soldaten gegenüber früheren Beurteilungen weniger
positiv bewertet wurden. Augenscheinlich wirkten sich die vom Senat in der Be-
rufungshauptverhandlung festgestellten besonderen persönlichen und wirt-
schaftlichen Schwierigkeiten des Soldaten, die sich nach seinen glaubhaften
Angaben seit dem Jahre 2000 deutlich verschärft hatten, bereits negativ auf
sein Leistungsbild aus.
ff) Gesamtwürdigung
Bei der danach gebotenen Gesamtwürdigung des schuldhaften Fehlverhaltens
des Soldaten und der dafür erforderlichen Abwägung aller be- und entlastenden
Umstände erscheint die von der Truppendienstkammer verhängte Disziplinar-
maßnahme der Herabsetzung in den Dienstgrad eines Feldwebels als ange-
messen und ausreichend. Zwar hat der Zeuge Oberst i.G. P., der frühere Dis-
ziplinarvorgesetzte des Soldaten, in der Berufungshauptverhandlung bekundet,
der Soldat könne aufgrund seiner fehlenden Belastbarkeit und Leistungsbereit-
schaft im dienstlichen Bereich heute kaum noch eingesetzt werden. Diese stark
eingeschränkte Verwendungsfähigkeit des Soldaten trägt jedoch - gerade auch
im Hinblick auf das unmittelbar bevorstehende Ende seiner Dienstzeit - nicht die
Schlussfolgerung, die Fortsetzung des Dienstverhältnisses sei dem Dienstherrn
wegen des hier in Rede stehenden Dienstvergehens (für den verbleibenden
Rest der Dienstzeit) nicht mehr zumutbar. Dabei ist insbesondere zu berück-
sichtigen, dass die Ursachen der eingetretenen Entwicklung der dienstlichen
Eignung und Fähigkeiten des Soldaten nicht zuletzt infolge der bislang von den
zuständigen Stellen nicht rechtzeitig veranlassten und bis heute unterbliebenen
diagnostischen/therapeutischen Maßnahmen nicht im erforderlichen Maße ab-
geklärt worden sind. In dieser Situation wäre es verfehlt, der in den letzten Jah-
ren offenbar gewordenen nur stark eingeschränkten oder gar mangelnden
dienstlichen Verwendbarkeit des Soldaten mit disziplinarrechtlichen Mitteln da-
durch entgegen zu treten, dass der Soldat aus dem Dienstverhältnis entfernt
wird. Dies entspräche nicht dem Zweck des Wehrdisziplinarrechts, das - auf
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den Vorwurf individuellen Verschuldens gestütztes - Dienstordnungsrecht ist
und die Aufrechterhaltung und Wiederherstellung eines geordneten Dienstbe-
triebs sichern soll, damit die Streitkräfte ihren verfassungsmäßigen Auftrag er-
füllen können (vgl. dazu u.a. Urteile vom 14. Dezember 2004 - BVerwG 2 WD
21.04 - und vom 27. Januar 2004 - BVerwG 2 WD 2.04 - a.a.O.). Bestehen
konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Leistungsbereitschaft und Leistungsfä-
higkeit eines Soldaten durch schwerwiegende persönliche und/oder gesundheit-
liche Umstände beeinträchtigt werden, sind die zuständigen Vorgesetzten ge-
halten, die geeigneten und erforderlichen Schritte einzuleiten, damit die not-
wendigen fachärztlichen und/oder fachtherapeutischen Maßnahmen in diagnos-
tischer und gegebenenfalls therapeutischer Hinsicht durchgeführt werden kön-
nen. Dies gilt auch dann, wenn es der betroffene Soldat - wie im vorliegenden
Falle - seinen Vorgesetzten schwer gemacht hat, die Ursachen seiner offen-
kundigen Probleme im Dienst und seine (mögliche) Behandlungsbedürftigkeit
zu erkennen und wenn er es an der gebotenen Offenheit hat fehlen lassen, sei-
nen Vorgesetzten hinreichenden Einblick in seine persönlichen und familiären
Schwierigkeiten zu gewähren.
Angesichts des dargelegten Gewichts des Dienstvergehens, das sich - anders
als die dem rechtskräftigen Strafurteil des Amtsgerichts E. vom 16. Juni 2005
(des weiteren) zugrunde liegenden Betrugshandlungen im Zusammenhang mit
außerdienstlichen e-bay-Versteigerungen - im dienstlichen Bereich ereignete,
hielt der Senat jedoch eine Dienstgradherabsetzung für erforderlich. Dafür war
insbesondere maßgebend, dass der Soldat durch die - kurze Zeit vor seinem
hier in Rede stehenden erneuten Fehlverhalten erfolgte - Verurteilung durch
das Truppendienstgericht vom 21. Januar 2004 bereits wegen Verletzung sei-
ner Dienstleistungs- und Gehorsamspflicht eine nachdrückliche Pflichtenmah-
nung in Gestalt einer Herabsetzung in den Dienstgrad eines Oberfeldwebels
erhalten hatte, die ihn jedoch offenkundig nicht dazu veranlassen konnte, künf-
tig seine Dienstpflichten ordnungsgemäß zu erfüllen. Gerade aus generalprä-
ventiven Gründen kann auf eine (in Form einer Herabsetzung in einen niedrige-
ren Dienstgrad) für das dienstliche Umfeld des Soldaten sichtbare Reaktion
nicht verzichtet werden. Denn das Fehlverhalten war nach den vom Senat ge-
troffenen Feststellungen im dienstlichen Umfeld des Soldaten bekannt gewor-
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- 30 -
den und aufmerksam zur Kenntnis genommen worden. Auch wenn der Soldat
in Kürze in den Ruhestand treten wird, bedarf es der ausdrücklichen und un-
missverständlichen Klarstellung, dass (auch) ein kurz vor dem Ende seiner
Dienstzeit stehender Berufssoldat zur uneingeschränkten Erfüllung seiner
Dienst- und Gehorsamspflicht(en) verpflichtet ist und dass schuldhafte Dienst-
pflichtverletzungen der hier in Rede stehenden Art nicht hingenommen werden
können. Jede Bagatellisierung eines solchen schuldhaften Fehlverhaltens muss
vermieden werden.
Die dargelegten außergewöhnlichen Umstände, die zum schuldhaften Fehlver-
halten des Soldaten maßgeblich beitrugen, sowie die festgestellte unzureichen-
de Dienstaufsicht rechtfertigen es jedoch, es bei der Herabsetzung um einen
Dienstgrad zu belassen. Denn sie mildern den Grad der Schuld des Soldaten
ungeachtet seiner disziplinarrechtlichen „Vorbelastung“.
Gegenüber den mit der verhängten gerichtlichen Disziplinarmaßnahme für ihn
verbundenen erheblichen nachteiligen wirtschaftlichen Folgen kann sich der
Soldat nicht auf seine seit Jahren bestehende schwierige finanzielle Situation
sowie seine Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seiner Ehefrau und seinen
vier Kindern berufen. Die für ihn durch die ausgesprochene Dienstgradherab-
setzung eintretenden faktischen Auswirkungen sind schon deshalb nicht unan-
gemessen hart, weil sie im Risikobereich eines für sein Handeln verantwortli-
chen Soldaten liegen, der sich bewusst sein muss, dass er durch sein schuld-
haftes Fehlverhalten auch das Wohl seiner Familie beeinträchtigen kann (vgl.
dazu allgemein Urteil vom 6. Mai 2003 - BVerwG 2 WD 29.02 - a.a.O.).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 139 Abs. 2 WDO. Da sowohl die Beru-
fung des Soldaten als auch die Berufung des Wehrdisziplinaranwaltes erfolglos
geblieben ist, sind die Kosten je zur Hälfte dem Soldaten und dem Bund aufzu-
erlegen, der gemäß § 140 Abs. 2 Satz 1 WDO auch die Hälfte der dem Solda-
ten darin erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen hat.
Prof. Dr. Widmaier Dr. Frentz Dr. Deiseroth
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