Urteil des BVerwG vom 26.09.2012

Vorbehalt des Gesetzes, Formelles Gesetz, Mindestalter, Zugang

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 C 74.10
OVG 1 A 156/10
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. September 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung und Dr. Kenntner
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes
vom 29. September 2010 und das Urteil des Verwaltungs-
gerichts des Saarlandes vom 11. August 2009 sowie der
Bescheid des Beklagten vom 6. Oktober 2008 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 3. De-
zember 2008 werden aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass die Nichtberücksichtigung der
Klägerin bei den unter dem 18. Juli 2008 ausgeschriebe-
nen Stellen wegen Nichterreichens der Altersgrenze
rechtswidrig war.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
G r ü n d e :
I
Die 1972 geborene Klägerin steht als Steuerhauptsekretärin (BesGr A 8
BBesO) im Dienste des Saarlandes. Sie bewarb sich um die Zulassung zum
Aufstieg in die Laufbahn des gehobenen Dienstes. Ihre Bewerbung wurde nicht
berücksichtigt, weil sie das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Ein hier-
gegen gerichtetes Eilverfahren blieb ebenso erfolglos wie das anschließende
Klageverfahren. Das Berufungsgericht hat zur Begründung im Wesentlichen
ausgeführt:
Die durch Gesetz in die Saarländische Laufbahnverordnung eingefügte Min-
destaltersregelung sei mit höherrangigem Recht vereinbar. Das Lebensalter
gehöre zu den für eine sachgerechte Personalplanung erheblichen Kriterien,
dessen Berücksichtigung durch die Verfassung nicht ausgeschlossen werde
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und insbesondere auch mit dem Leistungsgrundsatz vereinbar sei. Auch mit
den vorrangigen Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes
stehe die Regelung im Einklang. Die Aufsteiger sollten im gehobenen Dienst
Aufgaben mit Leitungsfunktionen wahrnehmen, die Führungsqualitäten erfor-
derten. Hierfür sei die Annahme gerechtfertigt, dass Lebensältere im Sinne von
„gestandenen“ Männern und Frauen mit einer verfestigten Persönlichkeit eher
als Vorgesetzte akzeptiert würden als Lebensjüngere. Insofern bewege sich der
Gesetzgeber durch die Festlegung eines Mindestalters von 40 Jahren im Rah-
men seines Gestaltungsspielraums. Zudem seien nur Regelaufsteiger - anders
als Verwendungsaufsteiger - umfassend einsetzbar.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom Berufungsgericht zugelasse-
nen Revision. Sie beantragt sinngemäß,
die Urteile des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes
vom 29. September 2010 und des Verwaltungsgerichts
des Saarlandes vom 11. August 2009 sowie den Bescheid
des Beklagten vom 6. Oktober 2008 in Gestalt des Wider-
spruchsbescheides des Beklagten vom 3. Dezember 2008
aufzuheben und festzustellen, dass ihre Nichtberücksich-
tigung bei den unter dem 18. Juli 2008 ausgeschriebenen
Stellen wegen Nichterreichens der Altersgrenze rechtswid-
rig war.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten
ohne mündliche Verhandlung entscheiden k
, ist begründet. Das Berufungsurteil ver-
letzt revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1, § 191 VwGO i.V.m. § 127 Nr. 2
BRRG) und stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144
Abs. 4 VwGO). Der Beklagte war nicht berechtigt, die Bewerbung der Klägerin
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um die Zulassung zur Ausbildung für den Verwendungsaufstieg in die Laufbahn
des gehobenen Dienstes nach § 28b Abs. 1 3. Spiegelstrich der Verordnung
über die Laufbahnen der Beamten im Saarland (Saarländische Laufbahnver-
ordnung - SLVO -) in der seinerzeit maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom
14. Mai 2008 (ABl S. 1062) wegen ihres zu geringen Alters abzulehnen. Das
dort als Voraussetzung für den Laufbahnwechsel verlangte Mindestalter von
40 Jahren verstößt ebenso wie die in § 28b Abs. 1 7. Spiegelstrich SLVO ge-
forderte Mindestdienstzeit in der Finanzverwaltung von zwölf Jahren gegen
Art. 33 Abs. 2 GG. Dies hat die Teilnichtigkeit des § 28b SLVO zur Folge.
1. Das ursprüngliche Klagebegehren, über die Bewerbung für den Aufstieg in
den gehobenen Dienst erneut zu entscheiden, hat sich mit dem Beginn der spä-
teren praxisbegleitenden Aufstiegsausbildung erledigt (vgl. Urteil vom 25. Fe-
bruar 2010 - BVerwG 2 C 22.09 - BVerwGE 136, 140 <144 f.> = Buchholz 11
Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 45 jeweils Rn. 19). Die Klägerin war deshalb bereits in
den Vorinstanzen auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag übergegangen.
Die Klägerin hat - obwohl sie mittlerweile das 40. Lebensjahr überschritten hat -
weiterhin ein berechtigtes Interesse an der beantragten Feststellung entspre-
chend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO. An das Fortsetzungsfeststellungsinteresse
sind insoweit keine hohen Anforderungen zu stellen (vgl. Urteil vom 30. Juni
2011 - BVerwG 2 C 19.10 - BVerwGE 140, 83 = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG
Nr. 49 jeweils Rn. 12). Es folgt hier bereits aus dem Umstand, dass die Klägerin
Ansprüche auf Entschädigung nach § 15 Abs. 1 und 2 AGG, deren Verfolgung
nicht offensichtlich aussichtslos ist, geltend macht (vgl. § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG;
zu § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG vgl. auch Urteil vom 3. März 2011 - BVerwG 5 C
16.10 - BVerwGE 139, 135 = Buchholz 436.62 § 82 SGB IX Nr. 1).
2. Bei der 2008 nur für Steuerbeamte eingeführten Aufstiegsmöglichkeit nach
§ 28b SLVO handelt es sich um einen Verwendungsaufstieg für Beamte des
mittleren Dienstes (mittlerweile abgelöst durch § 29 der Saarländischen Lauf-
bahnverordnung in der Fassung vom 27. September 2011, ABl S. 312). Diese
können gemäß § 28b Abs. 1 SLVO zur Laufbahn des gehobenen Dienstes in
der Steuerverwaltung zugelassen werden, wenn sie - wie von der Norm in sie-
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ben mit Spiegelstrichen aufgelisteten Kriterien gefordert wird - an einem Aus-
wahlverfahren teilgenommen haben, nach ihren fachlichen Leistungen, ihren
Fähigkeiten und ihrer Persönlichkeit für den Aufstieg geeignet erscheinen, min-
destens das zweite Beförderungsamt inne haben, über eine überdurchschnittli-
che Beurteilung verfügen und in einer sechsmonatigen praxisbegleitenden Auf-
stiegsausbildung mit abschließender Prüfung die Befähigung zum gehobenen
Dienst in der Steuerverwaltung nachgewiesen haben. Außerdem ist Vorausset-
zung, dass sie das 40. Lebensjahr vollendet haben und eine Mindestdienstzeit
in der Finanzverwaltung von zwölf Jahren nachweisen können. Den Beamten
konnten anschließend Ämter bis zur BesGr A 12 BBesO verliehen werden
(§ 28b Abs. 2 SLVO).
a) Zwar ist § 286 SLVO durch Art. 3 Nr. 2 des Gesetzes Nr. 1646 zur Änderung
beamtenrechtlicher Vorschriften vom 14. Mai 2008 (ABl S. 1062) und damit
durch ein formelles Gesetz, das eine „Entsteinerungsklausel“ nicht enthält, in
die Saarländische Laufbahnverordnung eingefügt worden. Gleichwohl handelt
es sich entgegen der Annahme des Berufungsgerichts um Verordnungsrecht
und nicht etwa um Gesetzesrecht, sodass die Feststellung eines Verstoßes ge-
gen höherrangiges Recht vom Senat selbst getroffen werden kann (Art. 100
GG).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom
13. September 2005 - 2 BvF 2/03 - BVerfGE 114, 196 <240>) kommt einer Ent-
steinerungsklausel nur klarstellende Bedeutung zu. Aus Gründen der Normen-
wahrheit und damit der Rechtssicherheit handelt es sich auch bei den im Ver-
fahren förmlicher Gesetzgebung in eine Verordnung eingefügten Teilen um
Recht im Range einer Verordnung. Die Ermächtigung der Exekutive, den betref-
fenden Gegenstand selbst zu regeln, wird durch den Gesetzgeber nicht aufge-
hoben oder ausgesetzt. Es bedarf deshalb weder einer Herabstufung der durch
eine Änderung eingefügten Verordnungsteile noch einer besonderen, weiteren
Ermächtigung der Exekutive, diese Teile erneut zu ändern.
§ 28b Abs. 1 3. Spiegelstrich SLVO verstößt nicht gegen den Vorbehalt des
Gesetzes. Nach diesem Verfassungsgrundsatz, der sich aus dem rechtsstaatli-
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chen und demokratischen System des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 1 und 3,
Art. 80 Abs. 1 GG) ergibt, sind die grundlegenden Entscheidungen in wesentli-
chen Regelungsbereichen durch Parlamentsgesetz zu treffen. Dies gilt auf-
grund des Homogenitätsgebots gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG auch für die
Landesgesetzgebung, für die Art. 80 Abs. 1 GG nicht unmittelbar anwendbar ist
(BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 1976 - 1 BvR 2325/73 - BVerfGE 41, 251
<266> und Urteil vom 22. Februar 1994 - 1 BvL 30/88 - BVerfGE 90, 60
<84 ff.>; vgl. zum Ganzen: Urteil vom 20. März 2008 - BVerwG 2 C 49.07 -
BVerwGE 131, 20 = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 5 GG Nr. 94, jeweils Rn. 10
m.w.N.).
Der Vorbehalt des Gesetzes gilt auch bei der Einfügung von Altersgrenzen und
sonstigen Wartezeiten für die Zulassung zu einem Verwendungsaufstieg in eine
höhere Laufbahn. Ebenso wie bei der Einstellung in die Beamtenlaufbahn (Ur-
teil vom 19. Februar 2009 - BVerwG 2 C 18.07 - BVerwGE 133, 143 <145> =
Buchholz 237.7 § 15 NWLBG Nr. 6 jeweils LS 1 und Rn. 9) schränken Alters-
grenzen und Wartezeiten auch bei einem Laufbahnwechsel den Leistungs-
grundsatz ein, dessen Geltung durch Art. 33 Abs. 2 GG für den Zugang zu je-
dem öffentlichen Amt unbeschränkt und vorbehaltlos gewährleistet wird.
Die Einfügung einer Mindestaltersgrenze in § 28b Abs. 1 3. Spiegelstrich SLVO
und einer Mindestdienstzeit von zwölf Jahren in der Finanzverwaltung in § 28b
Abs. 1 7. Spiegelstrich SLVO genügen dem Gesetzesvorbehalt, obwohl es sich
um Verordnungsrecht handelt. Denn der Gesetzgeber selbst hat für den Inhalt
der Vorschrift die volle Verantwortung übernommen. § 28b SLVO wurde durch
Art. 3 Nr. 2 des Gesetzes Nr. 1646 zur Änderung beamtenrechtlicher Vorschrif-
ten vom 14. Mai 2008 mit Wirkung vom 1. April 2008, und damit durch formelles
Gesetzesrecht, in die Saarländische Laufbahnverordnung eingefügt.
Auch sind die Voraussetzungen erfüllt, die sich aus dem Rechtsstaats- und dem
Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) für den Erlass
von Verordnungsrecht durch den Gesetzgeber ergeben (vgl. BVerfG, Beschluss
vom 13. September 2005 a.a.O. S. 238 f.; BVerwG, Urteil vom 20. März 2008
a.a.O. Rn. 16 ff.).
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Zum einen besteht der erforderliche sachliche Zusammenhang mit weiteren
gesetzgeberischen Maßnahmen. Hierfür genügt es, wenn der Gesetzgeber im
Rahmen einer Änderung eines Sachbereichs Verordnungsrecht schafft; er darf
dies nur nicht unabhängig von sonstigen gesetzgeberischen Maßnahmen tun
(vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. September 2005 a.a.O.). Die Artikel des Ge-
setzes Nr. 1646 zur Änderung beamtenrechtlicher Vorschriften vom 14. Mai
2008 dienten der Anpassung verschiedener dienstrechtlicher Vorschriften an
zwischenzeitlich eingetretene Rechtsänderungen.
Zum anderen beruhen die Einfügung einer Mindestaltersgrenze und einer Min-
destdienstzeit in § 28b Abs. 1 SLVO auf einer formellen gesetzlichen Grundla-
ge, nämlich auf § 20 Abs. 1 des Saarländischen Beamtengesetzes in der Fas-
sung der Bekanntmachung vom 27. Dezember 1996 (ABl 1997 S. 301). Danach
erlässt die Landesregierung durch Rechtsverordnung Vorschriften über die
Laufbahnen der Beamten nach Maßgabe näher bestimmter Grundsätze. Die
Verordnungsermächtigung muss die Befugnis zur Regelung von Altersgrenzen
oder sonstigen Wartezeitregelungen nicht ausdrücklich erwähnen, weil eine
Ermächtigung zum Erlass von Vorschriften über die Laufbahnen der Beamten
den Verordnungsgeber zum Erlass derjenigen Vorschriften befugt, durch die
herkömmlicherweise das Laufbahnwesen der Beamten gestaltet wird. Hierzu
gehören auch Altersgrenzen und sonstige Wartezeitregelungen (zum Ganzen:
Urteil vom 19. Februar 2009 a.a.O. Rn. 11).
b) Die Einfügung von Wartezeitregelungen, wie hier eines Mindestalters und
einer Mindestdienstzeit in § 28b Abs. 1 SLVO, muss sich am Leistungsgrund-
satz des Art. 33 Abs. 2 GG messen lassen. Mit Wartezeitregelungen wird Be-
werbern mit niedrigerem Lebensalter oder geringerer Dienstzeit der nach Maß-
gabe des Art. 33 Abs. 2 GG eröffnete Zugang zum Beamtenverhältnis verwehrt
(vgl. Urteil vom 25. Februar 2010 a.a.O. Rn. 13 und 16).
Art. 33 Abs. 2 GG beansprucht Geltung bereits für den Zugang zu einer Ausbil-
dung, deren erfolgreicher Abschluss (erst) die Voraussetzung für die Zulassung
von einem Laufbahnaufstieg ist. Bei dem Zugang zum Aufstieg in eine höhere
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Laufbahn geht es zwar nicht unmittelbar um die Vergabe eines Amtes im sta-
tusrechtlichen Sinn. Jedoch sind die Teilnahme an der Aufstiegsausbildung und
deren erfolgreicher Abschluss Voraussetzung dafür, dass ein Laufbahnbeamter
aufsteigen, d.h. Ämter erreichen kann, die einer höheren Laufbahn zugeordnet
sind. Erfüllt er die normativen Voraussetzungen für den Aufstieg nicht, ist seine
Bewerbung um ein statusrechtliches Amt der höheren Laufbahn von vornherein
aussichtslos (vgl. zur Besetzung von Beförderungsdienstposten, deren Inneha-
bung Voraussetzung für eine spätere Beförderung ist: BVerfG, Kammerbe-
schluss vom 2. Oktober 2007 - 2 BvR 2457/04 - BVerfGK 12, 265; BVerwG,
Urteil vom 16. Oktober 2008 - BVerwG 2 A 9.07 - BVerwGE 132, 110 <113>,
stRspr, vgl. zuletzt Beschluss vom 25. Oktober 2011 - BVerwG 2 VR 4.11 - IÖD
2012, 2 juris Rn. 11 f.; zur Veröffentlichung in Buchholz vorgesehen, juris Rn.
11 f.; sowie zur Einstellung in ein Beamtenverhältnis auf Probe, das laufbahn-
rechtliche Voraussetzung für die Verleihung des späteren Eingangsamtes ist:
Urteile vom 25. Februar 2010 a.a.O. Rn. 16 und zuletzt vom 23. Februar 2012
- BVerwG 2 C 76.10 - NVwZ 2012, 880 <881>, zum Abdruck in BVerwGE vor-
gesehen).
Die von Art. 33 Abs. 2 GG erfassten Auswahlentscheidungen können grund-
sätzlich nur auf Gesichtspunkte gestützt werden, die unmittelbar Eignung, Be-
fähigung und fachliche Leistung der Bewerber betreffen. Anderen Gesichts-
punkten darf nur Bedeutung beigemessen werden, wenn sie ihrerseits Verfas-
sungsrang haben oder aber sich aus dem Vergleich anhand von unmittelbar
leistungsbezogenen Gesichtspunkten kein Vorsprung von Bewerbern ergibt
(stRspr, vgl. nur Urteile vom 25. Februar 2010 a.a.O. jeweils Rn. 14, vom
19. Februar 2009 a.a.O. Rn. 9 m.w.N. und vom 28. Oktober 2004 - BVerwG 2 C
23.03 - BVerwGE 122, 147 <150> = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 30
S. 17).
Der Begriff der fachlichen Leistung im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG zielt auf die
Arbeitsergebnisse des Beamten bei Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufga-
ben, auf Fachwissen und Fachkönnen ab. Mit dem Begriff der Befähigung wer-
den die allgemein für die dienstliche Verwendung bedeutsamen Eigenschaften
wie Begabung, Allgemeinwissen, Lebenserfahrung und allgemeine Ausbildung
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umschrieben. Der Begriff der Eignung im engeren Sinne erfasst Persönlichkeit
und charakterliche Eigenschaften. Nur solche Merkmale weisen den von Art. 33
Abs. 2 GG geforderten Leistungsbezug auf, die darüber Aufschluss geben kön-
nen, in welchem Maße der Beamte den Anforderungen seines Amtes genügt
und sich in einem höheren Amt voraussichtlich bewähren wird. Die Gewichtung
der einzelnen Gesichtspunkte obliegt der - gerichtlich nur eingeschränkt nach-
prüfbaren - Beurteilung des Dienstherrn (stRspr, vgl. Urteil vom 28. Oktober
2004 a.a.O. S. 150 f.).
§ 28b Abs. 1 SLVO nennt neben dem Mindestalter und der Mindestdienstzeit
Kriterien, die für die Zulassung zur Aufstiegsausbildung eine unmittelbar leis-
tungsbezogene Auswahl im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG ermöglichen, indem
der Bewerber mindestens das zweite Beförderungsamt innehaben (4. Spiegel-
strich) sowie über eine überdurchschnittliche Beurteilung verfügen (5. Spiegel-
strich) muss; der so (vor)eingeschränkte Bewerberkreis wird einem Leistungs-
vergleich (Auswahlverfahren, 1. Spiegelstrich) unterzogen.
Die daneben aufgestellten Voraussetzungen eines Mindestalters von 40 Jahren
und einer Mindestdienstzeit von zwölf Jahren gehören hingegen nicht zu den
unmittelbar leistungsbezogenen Gesichtspunkten, die der Bewerberauswahl für
einen Laufbahnwechsel gemäß Art. 33 Abs. 2 GG zugrunde gelegt werden
können. Diese Voraussetzungen ermöglichen keine Rückschlüsse auf die Eig-
nung als Verwendungsaufsteiger. Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz
des Inhalts, dass von einem höheren Dienstalter - und erst recht nicht von ei-
nem höheren Lebensalter - auf einen höheren Leistungsstand und bessere Be-
währungsvoraussetzungen geschlossen werden kann (stRspr, vgl. Urteile vom
28. Oktober 2004 a.a.O. S. 151 m.w.N. und vom 19. Februar 2009 a.a.O.
Rn. 9).
An das Lebens- oder Dienstalter anknüpfende Wartezeitregelungen sind aber
nur dann mit dem Leistungsgrundsatz des Art. 33 Abs. 2 GG vereinbar, wenn
mit ihnen die praktische Bewährung des Bewerbers in der bisherigen Laufbahn
festgestellt werden soll. Dies setzt zugleich dem zeitlichen Umfang solcher Re-
gelungen Grenzen. Sie dürfen nicht länger bemessen sein, als es typischerwei-
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se erforderlich ist, um die tatsächlichen Grundlagen für eine Beurteilung und
Prognose der Bewährung in einem höheren Amt bzw. einer höheren Laufbahn
zu schaffen. Danach hängt die Dauer von Wartezeiten entscheidend vom Inhalt
der Ämter der jeweiligen Laufbahn ab. Der für eine Regelbeurteilung vorgese-
hene Zeitraum wird in aller Regel die Obergrenze darstellen (so für die Lauf-
bahn des mittleren Dienstes: Urteil vom 28. Oktober 2004 - BVerwG 2 C 23.03 -
BVerwGE 122, 147 <151 f.> = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 30 S. 18 und
Beschluss vom 25. Oktober 2011 - BVerwG 2 VR 4.11 - juris Rn. 35). Hieran
gemessen ist die in § 28b Abs. 1 7. Spiegelstrich SLVO vorausgesetzte Min-
destdienstzeit von zwölf Jahren deutlich zu lang. Ihr kann ebenso wie dem Min-
destalter neben den weiteren Kriterien des § 28b Abs. 1 SLVO keine Bedeutung
für eine Bewährungsfeststellung zukommen.
Die Annahme des Berufungsgerichts, das Mindestalter sei gerechtfertigt, weil
„gestandene Männer und Frauen mit Führungsqualitäten“ gesucht worden sei-
en, ist nicht mit Art. 33 Abs. 2 GG vereinbar. Zum einen werden aus dem Zu-
schnitt bestimmter Dienstposten Anforderungen an den Zugang zum Statusamt
hergeleitet, obwohl das höhere Statusamt nach dem Laufbahnprinzip grund-
sätzlich dazu befähigt, jeden Dienstposten wahrzunehmen, der diesem höheren
Amt zugeordnet ist. Zum anderen ist ein Schluss von einem höheren Lebens-
alter auf eine Vorgesetzteneignung nicht möglich. Dies gilt selbst dann, wenn in
den dienstlichen Beurteilungen von Beamten des mittleren Finanzdienstes kei-
ne Aussagen über die Vorgesetzteneignung getroffen sein sollten. Das Amt des
Steuerinspektors kann bei anderer Ausbildung - ggf. auch bei einem Aufstieg
nach § 28 SLVO - von anderen Bewerbern in der Regel deutlich vor Vollendung
des 40. Lebensjahres erreicht werden. Der Umstand, dass die Aufsteiger Vor-
gesetzte ehemals gleichrangiger Beamter werden können, führt zu keinem an-
deren Ergebnis. Dies ist auch bei Beförderungen nach dem Leistungsgrundsatz
vielfach der Fall.
Auch das vom Berufungsgericht angeführte Argument, dass die Mindestalters-
grenze sich in die bestehenden Aufstiegsmöglichkeiten konsequent einfüge,
vermag diese Regelung nicht im Hinblick auf Art. 33 Abs. 2 GG zu rechtfertigen.
Aus der Kohärenz von Verordnungsregelungen lässt sich nicht auf deren Ver-
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fassungsmäßigkeit schließen. Dies gilt erst recht, wenn die anderen - hier nicht
zu beurteilenden - Vorschriften ebenso Zweifeln an ihrer Verfassungsmäßigkeit
unterliegen, weil sie ebenfalls Altersgrenzen enthalten.
Die Mindestaltersgrenze lässt sich auch nicht mit dem weiteren Argument des
Berufungsgerichts rechtfertigen, jüngere und leistungsstarke Steuerbeamte des
mittleren Dienstes bis zu einem bestimmten Alter auf die Möglichkeit des Re-
gelaufstiegs zu beschränken, da Verwendungsaufsteiger nicht umfassend ein-
setzbar seien. Diese Argumentation steht nicht nur im Widerspruch zu Art. 33
Abs. 2 GG, sondern auch zur Gesetzesbegründung. Danach wurde § 28b
SLVO gerade eingefügt, um möglichst schnell Verwendungsaufsteiger zur Lei-
tung der neuen Großbezirke zu erhalten (vgl. LTDrucks 13/1890 S. 2). Im Übri-
gen enthält die Neufassung der Saarländischen Laufbahnverordnung vom
27. September 2011 (ABl S. 312) nicht mehr die früher in § 28b Abs. 2 SLVO
enthaltene Einschränkung, dass den Verwendungsaufsteigern nur Ämter bis zur
BesGr A 12 BBesO verliehen werden dürfen (vgl. § 29 Abs. 3 in der Neufas-
sung).
c) Die Verfassungswidrigkeit der Altersgrenze in § 28b Abs. 1 3. Spiegelstrich
SLVO führt nicht dazu, dass die Vorschrift insgesamt nichtig wäre und es des-
halb an einer Grundlage für eine Zulassung der Klägerin zu einem Aufstiegs-
lehrgang fehlte.
Trotz der Nichtigkeit der Altersgrenzenregelung des § 28b Abs. 1 3. Spiegel-
strich SLVO sind die verbleibenden Regelungen des § 28 Abs. 1 SLVO rechts-
wirksam, weil sie in ihrer Gesamtheit ein inhaltlich sinnvolles, anwendbares Re-
gelungswerk darstellen, der Verordnungsgeber dieses Regelwerk ohne den
nichtigen Teil erlassen hätte und er schließlich das verbleibende Regelwerk
auch ohne den nichtigen Teil hätte erlassen können (vgl. BVerfG, Beschluss
vom 7. September 2010 - 2 BvF 1/09 - BVerfGE 127, 165 <223>). Zwar ist auch
§ 28b Abs. 1 7. Spiegelstrich SLVO mit höherrangigem Recht unvereinbar.
Dies führt aber aus denselben Gründen ebenfalls nur zur Nichtigkeit auch die-
ser Voraussetzung.
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Die Nichtigkeit der Altersregelung im dritten Spiegelstrich und der Mindest-
dienstzeit im siebten Spiegelstrich erfassen zwei von mehreren Zulassungsvo-
raussetzungen und damit abgrenzbare Teile des Regelwerks des § 28b SLVO.
Entfallen diese beiden Anforderungen, so bleiben genügend Zulassungskrite-
rien in § 28b SLVO für eine sinnvolle und zuverlässige Auswahlentscheidung
erhalten. Angesichts des starken Interesses des Beklagten an einer vereinfach-
ten Aufstiegsmöglichkeit für Steuerbeamte des mittleren Dienstes (vgl.
LTDrucks 13/1890 S. 2) ist nicht anzunehmen, dass auf diese Möglichkeit ins-
gesamt verzichtet worden wäre, nur weil ein pauschaler Schluss vom Lebens-
alter auf die persönliche Eignung als Vorgesetzter nicht möglich ist und auch
bereits deutlich vor Ableistung der Mindestdienstzeit von zwölf Jahren eine ge-
sicherte Prognose für die Bewährung in der Laufbahn des gehobenen Dienstes
möglich ist.
d) Aufgrund des Verstoßes der Mindestaltersregelung gegen Art. 33 Abs. 2 GG
kommt es nicht mehr darauf an, ob diese Regelung mit den Vorschriften des
Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) im Einklang steht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Domgörgen
Thomsen
Dr. von der Weiden
Dr. Hartung
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B e s c h l u s s
vom 6. November 2012
Der Streitwert wird gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG auf
5 000 € festgesetzt.
Domgörgen
Thomsen
Dr. Hartung
Sachgebiet:
BVerwGE: ja
Beamtenrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
GG
Art. 33 Abs. 2
SLVO a.F.
§ 28b Abs. 1 3. und 7. Spiegelstrich
Stichworte:
Verwendungsaufstieg; mittlerer Dienst; gehobener Dienst; Steuerbeamter; Lauf-
bahnverordnung; Änderung von Verordnungsrecht durch Gesetz; Entsteine-
rungsklausel; Leistungsgrundsatz; Zulassung zur Aufstiegsausbildung; Min-
destalter; Vorgesetzteneignung; Alter als Eignungskriterium; Bewährungszeit;
Mindestdienstalter; Mindestdienstzeit; Mindestverweildauer.
Leitsätze:
1. Der Leistungsgrundsatz des Art. 33 Abs. 2 GG beansprucht Geltung bereits
für den Zugang zu einer Ausbildung, deren erfolgreicher Abschluss (erst) die
Voraussetzung für die Zulassung zu einem Laufbahnaufstieg ist.
2. Es verstößt gegen Art. 33 Abs. 2 GG, Aufstiegsmöglichkeiten zur Laufbahn
des gehobenen Dienstes von einem Mindestalter von 40 Jahren oder einer Min-
destverweildauer von zwölf Jahren in dem Verwaltungszweig abhängig zu ma-
chen.
Urteil des 2. Senats vom 26. September 2012 - BVerwG 2 C 74.10
I. VG Saarlouis vom 11.08.2009 - Az.: VG 2 K 1920/08 -
II. OVG Saarlouis vom 29.09.2010 - Az.: OVG 1 A 156/10 -