Urteil des BVerwG vom 24.11.2011

Gesundheit, Körperschaft, Entstehungsgeschichte, Ausnahme

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 C 67.10
OVG 6 A 2109/08
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. November 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung und Dr. von der Weiden
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Ober-
verwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen
vom 1. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens,
mit Ausnahme etwaiger außergerichtlicher Kosten des
Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
G r ü n d e :
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Die Klägerin begehrt die Feststellung, weiterhin Beamtin des beklagten Landes
zu sein.
Mit Wirkung vom 1. Januar 2008 wurden durch das Gesetz zur Eingliederung
der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes Nordrhein-
Westfalen (im Folgenden: EingliederungsG), das als Artikel 1 des Zweiten Ge-
setzes zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen vom 30. Ok-
tober 2007 (GV. NRW 2007, 482) erlassen worden ist, die 11 nordrhein-
westfälischen Versorgungsämter aufgelöst und ihre Aufgaben auf 31 Kreise,
23 kreisfreie Städte, die beiden Landschaftsverbände und die 5 Bezirksregie-
rungen übertragen. Die in den Versorgungsämtern tätigen Beamten sollten zu
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diesem Zeitpunkt auf der Grundlage dieses Gesetzes und eines vom Ministe-
rium für Arbeit, Gesundheit und Soziales zu erstellenden Zuordnungsplans in
den Dienst einer kommunalen Körperschaft treten oder im Landesamt für Per-
sonaleinsatzmanagement verwendet werden. § 9 EingliederungsG lautet:
„(1) Die mit Aufgaben nach §§ 2 bis 5 und nach § 8 Abs. 2
betrauten Beamten der Versorgungsämter gehen kraft
Gesetzes nach Maßgabe der Absätze 3 und 4 und der
§§ 11 bis 21 mit Wirkung vom 1. Januar 2008 auf die dort
genannten kommunalen Körperschaften über. Die mit
Aufgaben nach §§ 6 und 8 Abs. 1 betrauten Beamten der
Versorgungsämter gehen kraft Gesetzes mit Wirkung vom
1. Januar 2008 nach Maßgabe des Absatzes 3 und des
§ 13 Abs. 4 auf die Bezirksregierung Münster über. Die mit
Aufgaben nach § 7 betrauten Beamten der Versorgungs-
ämter gehen kraft Gesetzes nach Maßgabe des Absat-
zes 3 und der §§ 11 bis 21 mit Wirkung vom 1. Januar
2008 auf die Bezirksregierungen über. Beamte der Ver-
sorgungsämter, die nicht unmittelbar mit Aufgaben nach
§§ 2 bis 8 betraut sind, gehen kraft Gesetzes nach Maß-
gabe der Absätze 3 und 4 mit Wirkung vom 1. Januar
2008 auf die neuen Aufgabenträger über.
(2) Die Beamten der Versorgungsämter, die nicht von den
Personalüberleitungsverträgen nach Absatz 4 erfasst sind
und nicht nach Absatz 1 auf die Bezirksregierungen über-
gehen, gehen kraft Gesetzes mit Wirkung vom 1. Januar
2008 in das Landesamt für Personaleinsatzmanagement
über.
(3) Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales
bereitet den Personalübergang nach den Absätzen 1
und 2 vor der Übertragung der Aufgaben auf der Grundla-
ge eines von ihm erstellten Zuordnungsplans vor. Der Zu-
ordnungsplan ist unter Berücksichtigung sozialer Kriterien
und dienstlicher Belange zu erstellen; eine angemessene
Mitwirkung der neuen Aufgabenträger ist zu gewährleis-
ten.
(4) Soweit die Beamten auf kommunale Körperschaften
übergehen, werden zwischen dem Land Nordrhein-
Westfalen, vertreten durch das Ministerium für Arbeit, Ge-
sundheit und Soziales, und den in §§ 11 bis 21 genannten
Körperschaften für jedes Versorgungsamt Personalüber-
leitungsverträge geschlossen.“
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Im November 2007 übersandte das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und So-
ziales den Versorgungsämtern den „endgültigen Zuordnungsplan“. Daraufhin
informierten die Versorgungsämter ihre Beamten darüber, bei welcher Körper-
schaft sie ab Januar 2008 ihren Dienst leisten sollten. Als neuer Dienstherr der
Klägerin war der Beigeladene vorgesehen.
Die Klägerin, die vom beklagten Land während des Rechtsstreits an den Beige-
ladenen abgeordnet wurde, ist mit ihrem Klagebegehren auf Feststellung, dass
sie weiterhin in einem Beamtenverhältnis zum beklagten Land steht, in beiden
Instanzen erfolgreich gewesen. Das Berufungsgericht hat zur Begründung aus-
geführt, dass die beabsichtigte Überleitung nicht eingetreten sei. Das Eingliede-
rungsgesetz lege nicht selbst fest, welche bei den Versorgungsämtern tätigen
Beamten beim Land verbleiben und welche Beamten zu welcher Körperschaft
übergehen sollten. Auch bei einer Gesamtbetrachtung von Gesetz und Zuord-
nungsplan sei die Überleitung nicht herbeigeführt worden. Dem Gesetz könne
im Wege der Auslegung nicht entnommen werden, dass dem Zuordnungsplan
diese Rechtsfolge zukommen solle. Diese Auslegung sei im Übrigen auch ver-
fassungsrechtlich geboten.
Hiergegen richtet sich die Revision des beklagten Landes, mit der es beantragt,
die Urteile des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 1. Oktober 2010 sowie des Ver-
waltungsgerichts Düsseldorf vom 30. Mai 2008 aufzuhe-
ben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Die Revision des beklagten Landes ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat
ohne Verstoß gegen revisibles Recht entschieden, dass die Klägerin am 1. Ja-
nuar 2008 nicht Beamtin des Beigeladenen geworden, sondern Beamtin des
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beklagten Landes geblieben ist. Das Eingliederungsgesetz ist nicht geeignet
gewesen, einen Dienstherrnwechsel herbeizuführen. Dies ergibt die Auslegung
nach Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck sowie Entstehungsgeschichte.
Gemäß § 9 Abs. 1 EingliederungsG gehen die Beamten der Versorgungsver-
waltung zwar kraft Gesetzes mit Wirkung vom 1. Januar 2008 auf die neuen
Aufgabenträger über, allerdings nach Maßgabe der Absätze 3 und 4. Nach § 9
Abs. 3 bereitet das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales den Perso-
nalübergang auf der Grundlage eines von ihm erstellten Zuordnungsplans vor.
Dem Ministerium obliegt nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 3 EingliederungsG
eine vorbereitende Aufgabe, die ihrerseits auf der Grundlage des zuvor von ihm
erstellten Zuordnungsplans zu erfolgen hat. Das bedeutet zwingend, dass das
Eingliederungsgesetz die in seinem § 9 Abs. 1 gewollte gesetzliche Überleitung
nicht an den Zuordnungsplan oder an dort getroffene Festlegungen knüpft, son-
dern gemäß seinem § 9 Abs. 3 an einen weiteren ministeriellen Akt, der auf der
Grundlage des Zuordnungsplans zu ergehen hat. Worin dieser ministerielle Akt
bestehen soll, der dann die gesetzliche Überleitung auslösen würde, wird im
Eingliederungsgesetz nicht geregelt und erschließt sich auch nicht auf andere
Weise.
Auch die Auslegung nach Sinn und Zweck der Norm unter Berücksichtigung
ihrer Entstehungsgeschichte führt nicht zu einem anderen Ergebnis.
Ziel des § 9 EingliederungsG war, die ordnungsgemäße Wahrnehmung der
übertragenen Aufgaben durch die kommunalen Körperschaften ohne zeitliche
Verzögerung sicherzustellen. Das sollte durch die Überleitung der mit den Auf-
gaben bislang betrauten Beamten erreicht werden. Dieses Ziel besagt aber
nichts über den dabei einzuschlagenden Weg. Die erforderlichen Dienstherrn-
wechsel hätten auch auf gesetzlicher Grundlage durch Verwaltungsakt ange-
ordnet werden können (vgl. §§ 128 ff. BRRG i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 2 Be-
amtStG). Diese Vorgehensweise ist verfassungsrechtlich unbedenklich, weil die
rechtsstaatlich gebotenen Verfahrensrechte der betroffenen Beamten hätten
beachtet und deren schutzwürdige Belange in die Entscheidungsfindung im
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Einzelfall hätten einfließen können. In den Fällen der Anfechtung von Verwal-
tungsakten hätte die Wahrnehmung der versorgungsrechtlichen Aufgaben bei
dem neuen Dienstherrn durch Abordnungen sichergestellt werden können, wie
dies auch geschehen ist.
Das Eingliederungsgesetz enthält auch deshalb keine gesetzliche Überleitung,
weil wesentliche im Zusammenhang mit einer solchen Überleitung zu regelnde
Fragen nicht normiert sind. Das betrifft insbesondere die Frage, wann die Ver-
bindlichkeit der Zuordnungspläne im Sinne ihrer „Endgültigkeit“ eintritt, also ab
wann die Zuordnungspläne nicht mehr vom Ministerium geändert werden konn-
ten, so dass danach abweichende Regelungen nur über die Maßnahmen Ver-
setzung und Abordnung durch den neuen Dienstherrn zu treffen wären.
In Anbetracht des eindeutigen Wortlauts des Eingliederungsgesetzes führen die
Gesetzesmaterialien nicht zu einem anderen Ergebnis. Zwar hat der Gesetzge-
ber im parlamentarischen Verfahren seinen Willen zum Ausdruck gebracht,
dass die Überleitung kraft Gesetzes erfolgen soll. So wurde in § 9 Abs. 1 Ein-
gliederungsG mehrfach die Formulierung „kraft Gesetzes“ eingefügt. Diese Än-
derung erfolgte ausweislich des Berichts des zuständigen Ausschusses
(LTDrucks 14/5208 S. 35), „um keine Zweifel aufkommen zu lassen, dass es
sich um eine gesetzliche Personalüberleitung handelt. Die Beamten der Ver-
sorgungsämter werden unmittelbar kraft Gesetzes mit Wirkung vom 1. Januar
2008 auf die neuen Aufgabenträger übergeleitet. Personalrechtlicher Einzel-
maßnahmen bedarf es daher nicht mehr.“ Auch in der Begründung zur Ände-
rung des § 9 Abs. 3 (LTDrucks a.a.O.) heißt es: „§ 9 Abs. 3 enthält Rahmenre-
gelungen für das Verfahren und die Kriterien der Personalauswahl. Aus dem
vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales vor der Übertragung der
jeweiligen Aufgabe erstellten Zuordnungsplan geht hervor, welche Beamten zu
welchen neuen Aufgabenträgern und in das Landesamt für Personaleinsatzma-
nagement übergeleitet werden.“
Allerdings hat dieser Wille keinen Niederschlag im Gesetz gefunden und ist
deshalb unbeachtlich. Zum einen lässt, wie dargelegt, § 9 Abs. 3
EingliederungsG auch in der Gesetz gewordenen Fassung nur den Schluss zu,
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dass zum Zuordnungsplan noch etwas hinzukommen muss, um die Überleitung
kraft Gesetzes auszulösen, ohne dass das Eingliederungsgesetz dieses „etwas“
regelt. Und zum anderen wird die erforderliche Eindeutigkeit auch nicht mit Hilfe
anderer Bestimmungen des Eingliederungsgesetzes - also ohne Rückgriff auf
den Zuordnungsplan - hergestellt.
In den §§ 11 bis 21 EingliederungsG finden sich zwar Konkretisierungen hin-
sichtlich der Überleitung. Diese Konkretisierungen gehen aber nicht so weit,
dass mit ihrer Hilfe für die jeweiligen Beamten der Versorgungsämter das Ob
und Wohin der Überleitung bestimmbar wäre. Dies ergibt sich für einen Teil die-
ser Beamten aus den einschränkenden Formulierungen „soweit es für die Auf-
gabenerfüllung erforderlich ist“ und „anteilig“ (jeweils in Absatz 1) bzw. „soweit
es für die Aufgabenerfüllung erforderlich ist“ (jeweils in Absatz 2). Für alle Be-
amten ergibt sich dies aus § 9 Abs. 3 EingliederungsG, weil die Überleitung
„nach Maßgabe des Absatzes 3“ (§ 9 Abs. 1 EingliederungsG) erfolgt. Damit
überlässt es der Gesetzgeber dem Ministerium, die konkrete Auswahl zu tref-
fen, welcher Beamte übergeleitet wird und welcher Beamte - unter Berücksich-
tigung sozialer Kriterien und dienstlicher Belange - beim Land verbleibt. Dem-
entsprechend wurde auch bei der Anwendung des Gesetzes verfahren.
Nach alledem bedarf es keiner Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Überlei-
tungsregelungen des Eingliederungsgesetzes, so dass sich schon deshalb die
Frage einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1
GG nicht stellt. Allerdings unterläge ein Regelungsmodell, das den Dienstherrn-
wechsel an einen verwaltungsinternen, nicht auf unmittelbare Rechtswirkungen
im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG gerichteten Plan knüpft, wegen der damit ver-
bundenen Verkürzung der Verfahrensrechte der betroffenen Beamten und de-
ren Recht auf effektiven Rechtsschutz schwerwiegenden Bedenken.
Es kann auch dahingestellt bleiben, ob dem Land die Gesetzgebungskompe-
tenz für den sogenannten landesinternen Dienstherrnwechsel und damit für den
Erlass der Überleitungsregelungen des Eingliederungsgesetzes zustand. Dies
hängt vom Bedeutungsgehalt des Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG ab, der durch das
Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl I
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S. 2034) mit Wirkung vom 1. September 2006 eingeführt wurde. Nach Art. 74
Abs. 1 Nr. 27 GG erstreckt sich die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes
auf die Statusrechte und -pflichten der Beamten der Länder (und der anderen
dienstherrnfähigen Körperschaften) mit Ausnahme der Laufbahnen, Besoldung
und Versorgung. Dieser Wortlaut deutet darauf hin, dass statusändernde Maß-
nahmen, zu denen der Dienstherrnwechsel gehört, erfasst werden. Anderer-
seits entspricht dies wohl nicht den Vorstellungen des verfassungsändernden
Gesetzgebers, der die Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf grundlegen-
de Statusangelegenheiten beschränken wollte (vgl. BTDrucks 16/813 S. 14;
Bericht der Föderalismuskommission, in: Bundestag/Bundesrat, Dokumentation
der Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bun-
desstaatlichen Ordnung, 2005, S. 210 ff.).
Schließlich bedarf es auch keiner Anrufung des Gemeinsamen Senats im Hin-
blick auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Juli 2010 - 10 AZR
182/09 - (AP GG Art. 12 Nr. 143) zur Überleitung der nordrhein-westfälischen
Tarifbeschäftigten. Denn in diesem Urteil wurden andere Normen zugrunde ge-
legt als die für die Überleitung von Beamten maßgeblichen (insbesondere § 10
EingliederungsG statt § 9 EingliederungsG). Außerdem sieht das Eingliede-
rungsgesetz für Tarifbeschäftigte keinen Arbeitgeberwechsel, sondern lediglich
eine Personalgestellung durch das Land vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Beigeladene trägt
etwaige außergerichtliche Kosten selbst, weil er keinen Antrag gestellt und sich
deshalb keinem Kostenrisiko gestellt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO), so dass auch
eine Kostenerstattung aus Billigkeitsgründen nicht in Betracht kommt (§ 162
Abs. 3 VwGO).
Herbert Dr. Heitz Thomsen
Dr. Hartung Dr. von der Weiden
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B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 35 034 €
festgesetzt (§ 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 GKG).
Herbert Dr. Heitz Dr. von der Weiden
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