Urteil des BVerwG vom 25.05.2005

Teilzeitbeschäftigung, Dienstzeit, Gemeinschaftsrecht, Ruhegehalt

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 C 6.04
Verkündet
VG 9 E 707/00 (V)
am 25. Mai 2005
Hardtmann
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 25. Mai 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht A l b e r s und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. D a w i n , G r o e p p e r ,
Dr. B a y e r und Dr. H e i t z
für Recht erkannt:
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom
16. Januar 2004 wird geändert. Der Bescheid der Beklagten
vom 12. Juli 1999 und der Widerspruchsbescheid vom
4. Januar 2000 werden aufgehoben. Die Beklagte wird ver-
pflichtet, die Versorgungsbezüge der Klägerin mit einem Ruhe-
gehaltssatz von 70 v.H. festzusetzen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die weitergehende Re-
vision der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 1/7 und die
Beklagte zu 6/7.
G r ü n d e :
I.
Die am 12. Juli 1939 geborene Klägerin war seit 1966 zunächst Angestellte und ab
1. Januar 1984 Beamtin bei der Beklagten. Ab dem 1. Juli 1992 bis zu ihrer Verset-
zung in den Ruhestand mit Ablauf des 31. Juli 1999 war sie teilzeitbeschäftigt oder
beurlaubt. Die Versorgungsbezüge der Klägerin setzte die Beklagte unter Berück-
sichtigung des Versorgungsabschlags nach altem Recht mit 65,80 v.H. ihrer ruhege-
haltfähigen Dienstbezüge fest.
Nach erfolglosem Widerspruch hat die Klägerin Klage erhoben und geltend gemacht,
die Berücksichtigung des Versorgungsabschlags wegen Teilzeitbeschäftigung und
Beurlaubung verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG und gegen das Lohngleichheitsgebot
des Art. 119 Abs. 1 EGV; der Ruhegehaltssatz müsse auf mindestens 70,79 v.H.
festgesetzt werden.
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Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren ausgesetzt und die Frage der Vereinbar-
keit der beamtenversorgungsrechtlichen Vorschriften betreffend den Ruhegehalts-
satz bei Teilzeitbeschäftigung mit Gemeinschaftsrecht dem Europäischen Gerichts-
hof zur Vorabentscheidung vorgelegt. Mit Urteil vom 23. Oktober 2003 (Rs. C-4/02
und C-5/02) ist über die Vorlagefragen entschieden worden. Sodann hat das Verwal-
tungsgericht die Beklagte verpflichtet, für die Klägerin einen Ruhegehaltssatz von
70,79 v.H. festzusetzen, und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Die Regelungen über den so genannten Versorgungsabschlag bei Teilzeitbeschäftig-
ten nach der Übergangsvorschrift des § 85 Abs. 4 Satz 2 BeamtVG i.V.m. § 14
Abs. 1 Satz 1, 2. und 3. Halbsatz BeamtVG a.F. bewirkten eine unzulässige mittelba-
re Diskriminierung von Beamtinnen. Sie seien mit Art. 141 EG und der Richtlinie
75/117/EWG unvereinbar und müssten bei der Berechnung des Ruhegehaltssatzes
unberücksichtigt bleiben. Art. 141 EG sei eine in den Mitgliedsstaaten unmittelbar
anwendbare Rechtsvorschrift, hinter der nationales Recht in der Anwendung insoweit
zurücktreten müsse, wie es zur Realisierung des Verbotes jeder mittelbaren oder
unmittelbaren Diskriminierung im Bereich der Gewährung von Entgelt für geleistete
Arbeit erforderlich sei. Dies ergebe sich auch aus der Richtlinie 75/117/EWG. Nach
der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sei das System der Beamten-
versorgung in Deutschland dem Geltungsbereich des Art. 141 EG zuzuordnen. Von
dem so genannten Versorgungsabschlag seien prozentual weitaus mehr Frauen als
Männer betroffen, da diese prozentual weitaus häufiger teilzeitbeschäftigt seien.
Nach früherem Recht werde die Teilzeitbeschäftigung nicht nur durch Kürzung der
ruhegehaltfähigen Dienstzeit entsprechend dem Umfang der verringerten Arbeitszeit,
sondern darüber hinaus durch einen Versorgungsabschlag berücksichtigt. Diese wei-
tere Kürzung könne nicht mit fiskalischen Erwägungen oder aus anderen Gründen
objektiv gerechtfertigt werden.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene und mit
Zustimmung der Klägerin eingelegte Sprungrevision der Beklagten. Sie rügt die Ver-
letzung materiellen Rechts und beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 16. Januar 2004
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin tritt der Revision entgegen und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die zulässige Revision ist nur teilweise begründet. Das Urteil des Verwaltungsge-
richts ist aufzuheben, soweit die Beklagte verpflichtet worden ist, bei der Festsetzung
der Versorgungsbezüge der Klägerin einen über 70 v.H. hinausgehenden Ruhege-
haltssatz zugrunde zu legen. Im Übrigen ist die Revision zurückzuweisen.
Die auf Erhöhung des für die Bemessung der Versorgungsbezüge der Klägerin
maßgebenden Ruhegehaltssatzes gerichtete Klage ist zulässig. Zwar ist mit Be-
scheid vom 5. Oktober 1999 der Ruhegehaltssatz gemäß § 14 a BeamtVG, hier an-
zuwenden in der bei Eintritt der Klägerin in den Ruhestand am 1. August 1999 gel-
tenden Fassung vom 16. März 1999 (BGBl I S. 322), erhöht worden. Dieser Be-
scheid bietet jedoch nur die Grundlage für eine vorübergehende Erhöhung des Ru-
hegehaltssatzes, solange die Voraussetzungen des § 14 a BeamtVG gegeben sind.
Er ergänzt den Festsetzungsbescheid gemäß § 49 Abs. 1 BeamtVG. Zu Recht hat
die Klägerin diesen Verwaltungsakt angegriffen, um die Festsetzung des Ruhegehal-
tes nach dem dort ausgewiesenen Ruhegehaltssatz nicht bestandskräftig werden zu
lassen.
Das Beamtenverhältnis, aus dem die Klägerin in den Ruhestand getreten ist, hatte
bereits am 31. Dezember 1991 bestanden. Die Klägerin ist vor dem 1. Januar 2002
antragsgemäß wegen Schwerbehinderung in den Ruhestand versetzt worden. Des-
halb ist der Ruhegehaltssatz nach der zum Zeitpunkt des Eintritts der Klägerin in den
Ruhestand geltenden, durch Art. 1 Nr. 34 des BeamtVGÄndG vom 18. Dezember
1989 (BGBl I S. 2218) eingefügten Übergangsregelung des § 85 BeamtVG zu ermit-
teln. Die Berechnung erfolgt auf Grund eines Vergleichs zwischen drei verschiede-
nen Rechengrößen, nämlich
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1.
Ruhegehaltssatz gemäß der linearen Ruhegehaltstabelle nach "neuem" (am
1. Februar 2000 geltendem) Recht:
ruhegehaltfähige Dienstzeit von 30,39 Jahren (unstreitig) x 1,875 v.H. = 56,99 v.H.;
2.
Ruhegehaltssatz gemäß der Mischberechnung nach § 85 Abs. 1 BeamtVG:
ruhegehaltfähige Dienstzeit bis 31. Dezember 1991 von (aufgerundet) 27 Jah-
ren:
erste 10 Jahre -
35 v.H.
weitere 15 Jahre x 2 v.H. -
30 v.H.
weitere 2 Jahre x 1 v.H. -
2 v.H.
67 v.H.
Dienstzeit ab 1. Januar 1992 - 3,79 Jahre (x 1 v.H.) = 3,79 v.H.
70,79 v.H.
3.
Ruhegehaltssatz gemäß der Berechnung nach altem Recht (§ 85 Abs. 3
BeamtVG):
65,80 v.H.
unter Berücksichtigung des Versorgungsabschlags alten Rechts nach § 14
Abs. 1 Satz 1 BeamtVG (vgl. Fassung vom 12. Februar 1987, BGBl I S. 570).
Gemäß § 85 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG wird der so ermittelte Ruhegehaltssatz zugrun-
de gelegt, wenn er höher ist als der Ruhegehaltssatz, der sich nach neuem Recht für
die gesamte ruhegehaltfähige Dienstzeit ergibt; allerdings darf dieser Ruhegehalts-
satz gemäß § 85 Abs. 4 Satz 2 BeamtVG den Ruhegehaltssatz, der sich nach dem
bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Recht ergäbe, nicht übersteigen. Danach
würde früheres Recht den Ruhegehaltssatz auf 65,80 v.H. begrenzen. Somit wäre
der so genannte Versorgungsabschlag nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG a.F. auf
Grund der Begrenzungswirkung alten Rechts eine maßgebende Rechengröße.
Nach den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts ist das Ruhegehalt der Klägerin je-
doch ohne Berücksichtigung des Versorgungsabschlags festzusetzen. In seinem
Urteil vom 23. Oktober 2003 - Rs. C-4/02, Schönheit, und Rs. C-5/02, Becker -
Slg. I - 2003, 12575, das auf den Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichts im vor-
liegenden Verfahren ergangen ist, hat der Gerichtshof der Europäischen Gemein-
schaften ausgeführt:
"73 Somit ist … festzustellen, dass Bestimmungen wie diejenigen, um die es im
Ausgangsverfahren geht, zu einer Diskriminierung weiblicher Arbeitnehmer gegen-
über männlichen Arbeitnehmern führen können, die gegen den Grundsatz des glei-
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chen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit verstößt, es sei denn, diese
Bestimmungen sind durch Faktoren objektiv gerechtfertigt, die nichts mit einer Dis-
kriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben …
84 In diesem Zusammenhang ist sogleich darauf hinzuweisen, dass der Zweck, die
öffentlichen Ausgaben zu begrenzen, auf den sich die Behörden dem vorlegenden
Gericht zufolge bei der Einführung des Versorgungsabschlags in das nationale Recht
berufen haben, nicht mit Erfolg zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung
aufgrund des Geschlechts angeführt werden kann …
89 Aus den Vorlagebeschlüssen geht hervor, dass nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts der Versorgungsabschlag in Fällen der Teilzeitbeschäfti-
gung und der Beurlaubung ohne Dienstbezüge zu einer proportionalen Kürzung des
Ruhegehalts führt und daher keine mittelbare Diskriminierung darstellt, die gegen
den vom Gemeinschaftsrecht gewährleisteten Grundsatz des gleichen Entgelts für
männliche und weibliche Arbeitnehmer verstößt. Eine solche Minderung sei vielmehr
insofern sachlich gerechtfertigt, als in diesem Fall die Versorgung einer geminderten
Dienstleistung entspreche.
90 Dazu ist zunächst zu sagen, dass das Gemeinschaftsrecht, wie der Generalan-
walt in Nummer 102 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, einer zeitanteiligen Be-
rechnung des Ruhegehalts bei Teilzeitbeschäftigung nicht entgegensteht …
93 Dagegen kann eine Maßnahme, die bewirkt, dass das Ruhegehalt eines Arbeit-
nehmers stärker als unter proportionaler Berücksichtigung seiner Zeiten der Teilzeit-
beschäftigung gekürzt wird, nicht dadurch als objektiv gerechtfertigt angesehen wer-
den, dass in diesem Fall das Ruhegehalt einer geminderten Arbeitsleistung entspre-
che …
95 Dieses Ergebnis kann keine Rechtfertigung in dem von der deutschen Regierung
angeführten Argument finden, dass ein solcher Versorgungsabschlag durch den
Zweck gerechtfertigt sei, im System der degressiven Ruhegehaltsskala eine Gleich-
behandlung der teilzeit- und der vollzeitbeschäftigten Beamten zu gewährleisten.
96 Mit dem Versorgungsabschlag kann dieses Ziel nämlich nicht erreicht werden.
Wie sich aus den Nummern 60 bis 63 und 100 der Schlussanträge des Generalan-
walts ergibt, kann in einem Fall, in dem ein teilzeitbeschäftigter und ein vollzeitbe-
schäftigter Beamter während ihrer gesamten Laufbahn insgesamt die gleiche Zahl
Dienststunden abgeleistet haben, die Anwendung der Versorgungsabschlagsrege-
lung auf Ersteren zur Zuweisung eines niedrigeren Ruhegehaltssatzes führen, als
Letzterem nach § 14 BeamtVG a. F. zugewiesen würde. Tatsächlich hatte die Ein-
führung des Versorgungsabschlags zur Folge, dass für einen solchen teilzeitbeschäf-
tigten Beamten die Vorteile aus der degressiven Ruhegehaltsskala verringert wur-
den, während vollzeitbeschäftigte Beamte weiterhin in den Genuss dieser Vorteile
kamen, insbesondere wenn sie das Ruhegehalt nach den ersten Zeiten ihres Diens-
tes, die zu höheren jährlichen Ruhegehaltsansprüchen als in den folgenden Jahren
führten, in Anspruch nahmen …"
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Diese Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs bindet den erkennenden Senat.
Nach ständiger Rechtsprechung kommt den Rechtsakten des Gemeinschaftsrechts
im Falle eines Widerspruchs zu innerstaatlichem Gesetzesrecht auch vor deutschen
Gerichten der Anwendungsvorrang zu (vgl. BVerfGE 75, 223, 244 f.; BVerfGE 85,
191, 204). Kollidiert also Gemeinschaftsrecht mit nationalem Recht, so muss das
nationale Gericht den Normenkonflikt lösen und dabei den Vorrang des Gemein-
schaftsrechts beachten. Dies gilt sowohl für das primäre als auch für das sekundäre
Gemeinschaftsrecht (vgl. BVerfGE 85, 191, 205). Ein Widerspruch zwischen Ge-
meinschaftsrecht und nationalem Recht durch die mangelhafte Umsetzung einer
Richtlinie führt dazu, dass sich der Betroffene gegenüber den Gerichten der Bundes-
republik Deutschland unmittelbar auf die Richtlinie berufen kann, sofern diese klar
und unbedingt ist und zu ihrer Anwendung keines Ausführungsaktes mehr bedarf
(vgl. BVerfGE 75, 223, 237 ff.; BVerfGE 85, 191, 205). Die Autorität, das Gemein-
schaftsrecht authentisch und abschließend zu interpretieren, kommt ausschließlich
dem Europäischen Gerichtshof zu. Der Normenkonflikt zwischen Art. 141 EG sowie
der Richtlinie 75/117/EWG einerseits und § 14 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG a.F., den der
Europäische Gerichtshof aufgezeigt hat, kann nur so gelöst werden, dass die frühe-
re, noch übergangsweise geltende Regelung über den Versorgungsabschlag bei
Teilzeitbeschäftigung unberücksichtigt bleibt.
Die durch den Versorgungsabschlag bewirkte mittelbare Diskriminierung ist nicht
deshalb zulässig, weil sie durch objektive Faktoren bzw. Gründe gerechtfertigt ist, die
nichts mit einer Diskriminierung auf Grund des Geschlechts zu tun haben. Solche
Rechtfertigungsgründe liegen vor, wenn die gewählten Mittel einem legitimen Ziel der
Sozialpolitik des Mitgliedsstaates dienen und zur Erreichung dieses Zieles geeignet
und erforderlich sind. Dies festzustellen, ist Sache des nationalen Gerichts, das für
die Beurteilung des Sachverhalts und die Auslegung des innerstaatlichen Rechts
allein zuständig ist.
Wie das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf das angeführte Urteil des Euro-
päischen Gerichtshofs bereits zutreffend ausgeführt hat, vermögen fiskalische Erwä-
gungen eine mittelbare Diskriminierung nicht zu rechtfertigen. Damit ist die Begrün-
dung des Bundesrats, die für die Einführung des Versorgungsabschlags angeführt
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worden ist, nicht geeignet, die weitere Minderung der ruhegehaltfähigen Dienstzeit zu
rechtfertigen. Danach sollten nämlich die durch Erweiterung der Beurlaubungs- und
Teilzeitbeschäftigungsmöglichkeiten unmittelbar entstehenden Mehrkosten durch die
Einführung von Abschlägen bei der Versorgung für alle Fälle einer verminderten
Dienstleistung aufgefangen werden (vgl. BTDrucks 10/930 S. 2).
Die Erwägung des erkennenden Senats, dass der Versorgungsabschlag einen dem
Versorgungssystem immanenten Korrekturmechanismus darstellt, mit dem eine auf
der früheren degressiven Ruhegehaltstabelle beruhende vergleichsweise Besserstel-
lung der teilzeitbeschäftigten Beamten habe vermieden werden sollen (vgl. Urteile
vom 23. April 1998 - BVerwG 2 C 2.98 - Buchholz 239.1 § 14 BeamtVG Nr. 4; vom
11. März 1999 - BVerwG 2 C 18.98 - Buchholz 239.1 § 14 BeamtVG Nr. 5 und vom
22. Juli 1999 - BVerwG 2 C 19.98 - Buchholz 239.1 § 14 BeamtVG Nr. 6), hat der
Europäische Gerichtshof ebenfalls nicht als Rechtfertigungsgrund anerkannt. Nach
der für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts allein maßgebenden Auffassung des
Europäischen Gerichtshofs kommt es im Hinblick auf die ruhegehaltfähige Dienstzeit
nur auf den Vergleich der Arbeitszeit an. Danach ist unerheblich, dass ein teilzeitbe-
schäftigter Beamter von dem hohen Ruhegehaltssatz für die ersten 10 Jahre
(35 v.H.) weitaus häufiger profitiert hat als ein vollzeitbeschäftigter Beamter, der die
dreifache Arbeitszeit (30 Jahre) bewältigen musste, um einen doppelt so hohen Ru-
hegehaltssatz zu erreichen.
Eine Rechtfertigung der mittelbaren Diskriminierung ergäbe sich ebenfalls dann nicht,
wenn der Versorgungsabschlag früheren Rechts einer Kürzung des Ruhege-
haltssatzes nach dem gleichen Verhältniswert entspräche, nach dem das neue Ver-
sorgungsrecht die Teilzeitbeschäftigung im Verhältnis zur Vollzeitbeschäftigung be-
wertet. Eine Versorgungsregelung, die das Diskriminierungsverbot verletzt, ist nicht
schon deshalb gerechtfertigt, weil sie als solche mit sonstigem höherrangigem Recht
im Einklang steht. Die frühere Ungleichbehandlung wird auch nicht durch die präsen-
te Gleichbehandlung der Teilzeitbeschäftigung und der Vollzeitbeschäftigung auf
Grund der linearen Versorgungstabelle neuen Rechts nachträglich legitimiert. Dass
das neue Recht die proportionale Schlechterstellung der Teilzeitbeschäftigten nach
altem Recht im Ergebnis - wenn auch nicht mittels eines "Versorgungsabschlags" -
perpetuiert und dieses "System" nunmehr ebenfalls auf die Vollzeitbeschäftigten er-
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streckt, so dass beide Gruppen im Vergleich zum früheren Recht in gleicher Weise
schlechter gestellt sind, verschafft der (vormaligen) Diskriminierung keinen legitimie-
renden Grund. Der Vergleich zwischen den Gruppen der Teilzeit- und der Vollzeitbe-
schäftigten kann zeitlich nur aus horizontaler Sicht angestellt werden. Die Ungleich-
behandlung in der Vergangenheit wird nicht dadurch beseitigt, dass der Gesetzgeber
für spätere Zeiträume Regelungen schafft, die dem Gleichbehandlungsgebot ent-
sprechen, ohne für die Vergangenheit die Ungleichbehandlung zu kompensieren.
Unzutreffend ist das Verwaltungsgericht jedoch davon ausgegangen, dass die Un-
vereinbarkeit des Versorgungsabschlags mit dem gemeinschaftsrechtlichen Gleich-
behandlungsgebot dazu führt, dass die Begrenzung des Ruhegehaltssatzes nach
§ 85 Abs. 4 Satz 2 BeamtVG vollständig entfällt. Dafür enthält das höherrangige
Recht keinen Anhaltspunkt. Insbesondere die Entscheidung des Europäischen Ge-
richtshofs liefert keine Begründung dafür, früheres Recht auch dann außer Acht zu
lassen, wenn es unter dem Gesichtspunkt des gemeinschaftsrechtlichen Gleichbe-
handlungsgebots nicht in Frage zu stellen ist. § 85 Abs. 4 Satz 2 BeamtVG verpflich-
tet den Dienstherrn bei der Berechnung des Ruhegehaltssatzes zu einer Vergleichs-
berechnung auf der Grundlage des bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Rechts.
Diese Verweisung erstreckt sich nicht nur auf die mit Art. 141 EG unvereinbaren Re-
gelungen über den Versorgungsabschlag bei Teilzeitbeschäftigung und Beurlaubung,
sondern auch auf sämtliche seinerzeit geltenden Vorschriften. Andernfalls würden
Teilzeitbeschäftigte gegenüber Vollzeitbeschäftigten privilegiert, auf die § 85 Abs. 4
Satz 2 BeamtVG uneingeschränkt anzuwenden ist.
Zu den somit Geltung beanspruchenden Bestimmungen gehört die Rundungsrege-
lung des § 14 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG a.F. Danach gilt nur ein Rest der ruhegehalt-
fähigen Dienstzeit von mehr als 182 Tagen als vollendetes Dienstjahr. Da die Kläge-
rin nach Umrechnung ihrer gesamten Arbeitszeit auf die Arbeitszeit eines vollzeitig
beschäftigten Beamten eine ruhegehaltfähige Dienstzeit von 30 Jahren und
142,5 Tagen erreicht, können nur 30 Jahre als ruhegehaltfähige Dienstzeit berück-
sichtigt werden. Daraus errechnet sich ein Ruhegehaltssatz von 70 v.H.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Da die Klägerin mit ihrem
Verlangen, den Ruhegehaltssatz um 4,99 v.H. zu erhöhen, nicht in vollem Umfang
durchdringt, ist sie im Umfang von 1/7 unterlegen.
Albers Prof. Dawin Groepper
Dr. Bayer Dr. Heitz
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Revisionsverfahren auf 4 415 € festge-
setzt (§ 13 Abs. 1 Satz 1 GKG a.F., § 72 GKG n.F.; zweifacher Jahresbetrag der Dif-
ferenz zwischen den festgesetzten und den begehrten Versorgungsbezügen).
Albers Dr. Bayer Dr. Heitz
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Beamtenversorgungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
EG
Art. 141
Richtlinie
75/117/EWG
BeamtVG
§ 14 Abs. 1 Satz 1 Fassung 1987, § 14 a, § 85 Abs. 1, Abs. 3
Stichworte:
Versorgungsabschlag; Teilzeitbeschäftigung; Diskriminierungsverbot.
Leitsatz:
Auf Grund des gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbots entfällt der Ver-
sorgungsabschlag alten Rechts für Zeiten ab dem 17. Mai 1990 bei Anwendung der
degressiven Ruhegehaltstabelle auf teilzeitbeschäftigte Beamte (wie Urteil vom heu-
tigen Tage BVerwG 2 C 14.04).
Urteil des 2. Senats vom 25. Mai 2005 - BVerwG 2 C 6.04
I. VG Frankfurt a.M. vom 16.01.2004 - Az.: VG 9 E 707/00(V) -