Urteil des BVerwG vom 27.11.2003

Vollzug, Abschiebungshaft, Zulage, Leiter

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 C 54.02
Verkündet
OVG 2 A 10556/02
am 27. November 2003
Schütz
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 27. November 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S i l b e r k u h l
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. D a w i n , Dr. K u g e l e ,
G r o e p p e r und Dr. B a y e r
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberverwal-
tungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. September 2002 wird
zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I.
Der Kläger war Leiter der Zentralabteilung (Abteilung I) der Landesunterkunft .... in I.
Diese bestand weiterhin aus der Abteilung "Landesunterkunft für Ausreisepflichti-
ge/Notunterkunft für Kommunen" sowie zwei Abteilungen "Gewahrsamseinrichtungen
für Abschiebehäftlinge", den Abteilungen III und IV. Die Abteilung IV war im rund
150 km entfernten Z. untergebracht. Das Häftlingsgebäude und das Verwaltungsge-
bäude lagen auf einem durch Mauer und Stacheldraht gesicherten Areal. Das
Dienstzimmer des Klägers war mit weiteren der Verwaltung dienenden Räumen im
Obergeschoss des Verwaltungsgebäudes untergebracht.
Der Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Gewährung einer Stellenzulage
nach Nr. 12 der Vorbemerkungen zu den Bundesbesoldungsordnungen A und B ab.
Mit seiner Klage hatte der Kläger vor dem Verwaltungsgericht Erfolg. Das Oberver-
waltungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewie-
sen. Es hat ausgeführt: Der Kläger nehme keine dem Zweck der Abschiebehaftein-
richtung entsprechenden Funktionen in herausgehobener Weise wahr. Sein Dienst-
posten sei nicht in den Funktionsbereich "Vollzug der Abschiebehaft" eingegliedert.
Mit der Dienstverrichtung der Abteilung III komme der Kläger lediglich infolge der
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räumlichen Nähe seines Büros zu den Räumlichkeiten dieser Abteilung in Berührung.
Das genüge für eine den Dienstposten prägende Eingliederung nicht.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger die vom Berufungsgericht zugelassene Revision
eingelegt, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt und bean-
tragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. September
2002 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Ver-
waltungsgerichts Mainz vom 20. Februar 2002 zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er macht sich die Gründe des angefochtenen Urteils zu Eigen.
Der Vertreter des Bundesinteresses tritt der Revision entgegen und weist ergänzend
auf die Entstehungsgeschichte der Nr. 12 der Vorbemerkungen zu den Bundesbe-
soldungsordnungen A und B hin, aus der sich die Notwendigkeit einer engen Ausle-
gung des Merkmals "Beamte in Abschiebehafteinrichtungen" ergebe.
II.
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zulage nach
Nr. 12 der Vorbemerkungen zu den Bundesbesoldungsordnungen A und B in der
Fassung nach der Änderung durch Art. 5 Nr. 22 Buchstabe k) aa) VReformG vom
29. Juni 1998 (BGBl I S. 1666).
Nach dieser Vorschrift erhalten Beamte der Bundesbesoldungsordnung A bei Justiz-
vollzugseinrichtungen, in abgeschlossenen Vorführbereichen der Gerichte sowie in
geschlossenen Abteilungen oder Stationen bei psychiatrischen Krankenanstalten, die
ausschließlich dem Vollzug von Maßregeln der Sicherung und Besserung dienen,
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und in Abschiebehafteinrichtungen eine Stellenzulage nach Anlage IX. Nach diesem
Wortlaut, der Systematik sowie dem Sinn und Zweck der Vorbemerkungen zu den
Bundesbesoldungsordnungen A und B sind Abschiebehafteinrichtungen Dienststel-
len oder Teile von Dienststellen, die unmittelbar mit der Durchführung der Abschie-
bungshaft nach § 57 AuslG befasst sind, d.h. mit dem Vollzug der Freiheitsentzie-
hung an ausreisepflichtigen Ausländern, die zur Vorbereitung der Ausweisung oder
Sicherung der Abschiebung in Gewahrsam gehalten werden. Die Tätigkeiten bei Jus-
tizvollzugseinrichtungen, in abgeschlossenen Vorführbereichen der Gerichte, in ge-
schlossenen Abteilungen oder Stationen der ausschließlich dem Maßregelvollzug
dienenden psychiatrischen Krankenanstalten und in Abschiebehafteinrichtungen hat
der Gesetzgeber als herausgehobene Funktionen im Sinne des § 42 BBesG zu-
sammengefasst (Urteil vom 23. April 1998 - BVerwG 2 C 1.97 - Buchholz 240.1
BBesO Nr. 20 S. 31). Herausgehoben im Sinne dieser Vorschrift sind diese Funktio-
nen wegen der für ihre Wahrnehmung zusätzlich zu erfüllenden Anforderungen, die
von der allgemeinen Ämterbewertung nicht erfasst werden und deshalb durch die
Zulage abgegolten werden sollen. Die gleiche besoldungsrechtliche Bewertung der
Bediensteten in den in Nr. 12 der Vorbemerkungen aufgeführten Einrichtungen hat
nach der Systematik des Gesetzes ihren Grund in den speziellen, über die Normal-
anforderungen der Laufbahn hinausgehenden Anforderungen (Urteil vom 23. April
1998, a.a.O. S. 31). Die nach Nr. 12 der Vorbemerkungen verwendeten Beamten
müssen ihren Dienst in abgeschlossenen Räumen, sozusagen "hinter Gittern" ver-
richten und haben ständigen Umgang mit Personen, die gegen ihren Willen fest-
gehalten werden und sich deshalb in einer Ausnahmesituation befinden. Die Beam-
ten sind zu dauernder Wachsamkeit angehalten, müssen notfalls Gefahr für Leib und
Leben auf sich nehmen, um Fluchtversuche, Übergriffe und Gewalttätigkeiten unter
den Häftlingen zu verhindern. Vor Anfeindungen wegen ihrer dienstlichen Tätigkeit
sind sie auch im privaten Bereich nicht sicher. Der Begriff "Abschiebehafteinrichtung"
in Nr. 12 der Vorbemerkungen weist auf diese typischen zusätzlichen Anforderungen
hin, die an Vollzugsbeamte gestellt werden und von der allgemeinen
Ämterbewertung nicht erfasst sind. Diese besonderen Anforderungen, die die Zula-
geberechtigung rechtfertigen, sind die "schwierigen äußeren und psychischen Be-
dingungen", unter denen die Tätigkeit ausgeübt wird. Diese Bedingungen sind die
"besonderen Belastungen des unmittelbaren dauernden Umgangs mit Anstaltsinsas-
sen" (BTDrucks 7/1906 S. 114 und 135). In diesem Sinne herausgehobene Funktio-
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nen sind mit einem Dienstposten nur verbunden, wenn er von ihnen geprägt ist
(stRspr, vgl. Urteile vom 5. Mai 1995 - BVerwG 2 C 13.94 - BVerwGE 98, 192 <194>
m.w.N. sowie vom 23. April 1998, a.a.O. S. 32).
Der Dienstposten des Klägers wird nicht durch die zusätzlichen Anforderungen ge-
prägt, denen ein beim Vollzug der Abschiebungshaft verwendeter Beamter genügen
muss. Sein Dienstposten war in die Funktionsabläufe der unmittelbar mit dem Voll-
zug der Abschiebungshaft befassten organisatorischen Teileinheiten der Landesun-
terkunft nicht einbezogen. Der Kläger verrichtete keinerlei Tätigkeit, durch die der
gegen die Anstaltsinsassen angeordnete Freiheitsentzug unmittelbar realisiert und
aufrechterhalten wurde. Der ständige unmittelbare Umgang mit den Häftlingen wäh-
rend ihres Tagesablaufs gehörte nicht zu seinen Dienstpflichten. Mit den Häftlingen
kam er in persönlichen Kontakt nur, wenn er sich entschied, sie in ihrem Zellentrakt
aufzusuchen oder sie in sein Dienstzimmer führen zu lassen. Ohne Mitwirkung der
Bediensteten der Landesunterkunft konnten die Häftlinge nicht in den Gebäudeteil
gelangen, in dem sich der Kläger regelmäßig aufhielt. Durch die bloße Lage des
Dienstzimmers in einem durch elektronische Zugangssperren gesicherten Bereich in
einem Gebäude, das seinerseits durch eine stacheldrahtbewehrte Mauer umgeben
war, wurde die Aufgabenwahrnehmung des Klägers nicht geprägt.
Eine derartige Prägung bewirkte auch nicht die Tatsache, dass der Kläger Leiter der
mit Verwaltungsangelegenheiten befassten Abteilung einer Behörde war, deren Zu-
ständigkeit auch den Vollzug der Abschiebungshaft umfasste. Für den Kläger als
Behördenleiter galten nicht die typischen zusätzlichen Anforderungen, die an die Be-
diensteten in Abschiebehafteinrichtungen gestellt werden. Zwischen der Funktions-
ebene, auf der sich die Tätigkeit des Klägers entfaltete, und der Ebene der Dienst-
verrichtungen, mittels derer bei den Ausreisepflichtigen der Freiheitsentzug realisiert
wurde, bestand eine Distanz, die den Abteilungsleiter von den besonderen, die Zula-
geberechtigung nach Nr. 12 der Vorbemerkungen begründenden Anforderungen
freistellte. Am Vollzug der Abschiebungshaft wirkte der Kläger nicht unmittelbar,
sondern nur - indirekt - durch Befassung mit den Personal-, Organisations- und
Sachausstattungsangelegenheiten der Dienststelle mit.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Dr. Silberkuhl
Prof. Dawin
Dr. Kugele
Groepper
Dr. Bayer
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 2 480 € fest-
gesetzt (§ 13 Abs. 1 Satz 1 GKG; pauschalierter Zwei-Jahres-Betrag der begehrten
Zulage).
Dr. Silberkuhl
Groepper
Dr. Bayer
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Besoldungsrecht
Fachpresse:
nein
Rechtsquellen:
BBesG § 42,
Vorbemerkungen zu den Bundesbesoldungsordnungen A und B Nr. 12
Stichworte:
Stellenzulage für Beamte in Abschiebehafteinrichtungen; Voraussetzung für die Ge-
währung einer -; herausgehobene Funktion; - wegen besonderer Anforderungen an
den Dienstposteninhaber; Prägung des Dienstpostens durch -.
Leitsatz:
Die Stellenzulage für Beamte in Abschiebehafteinrichtungen erhält nur derjenige,
dessen Dienstposten durch den ständigen Umgang mit Abschiebehäftlingen und die
sich daraus ergebenden besonderen, über die Normalanforderungen der Laufbahn
hinausgehenden zusätzlichen Anforderungen geprägt ist (wie Urteil vom heutigen
Tage - BVerwG 2 C 55.02 -).
Urteil des 2. Senats vom 27. November 2003 - BVerwG 2 C 54.02
I. VG Mainz vom 20.02.2002 - Az.: VG 7 K 1037/01 -
II. OVG Koblenz vom 23.09.2002 - Az.: OVG 2 A 10556/02 -