Urteil des BVerwG vom 24.09.2013

Teilzeitbeschäftigung, Rückforderung, Entstehungsgeschichte, Bestandteil

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 C 52.11
OVG 4 B 70.09
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. September 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung und Dr. Kenntner
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Ober-
verwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 14. Juli 2011
wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin beansprucht den Familienzuschlag der Stufe 1 in der ihrem Teil-
zeitstatus entsprechenden Höhe.
Die 1950 geborene Klägerin ist Stadtoberinspektorin (Besoldungsgruppe A 10)
im Dienst des beklagten Landes und mit einem ebenfalls dort beschäftigten Be-
amten verheiratet. Sie war ab 1988 familienbedingt mit der Hälfte der regelmä-
ßigen Arbeitszeit in Teilzeit beschäftigt, seit Juni 2005 ist ihr Altersteilzeit im
Blockmodell mit einem Viertel der regelmäßigen Arbeitszeit bewilligt. Auch der
Ehemann der Klägerin, der zunächst in Vollzeit tätig war, nimmt seit Juni 2005
Altersteilzeit in Anspruch und ist seitdem mit der Hälfte der regelmäßigen Ar-
beitszeit beschäftigt. Der Beklagte zahlte der Klägerin bis März 2007 die Hälfte
des vollen Familienzuschlags der Stufe 1 (52,64 €/monatlich) weiter, danach
gewährte er nur noch ein Viertel der Hälfte des Zuschlags (13,16 €/monatlich).
Gleichzeitig forderte er den Differenzbetrag ab Juni 2005 zurück.
Nach erfolglosem Widerspruch hat das Verwaltungsgericht die Bescheide auf-
gehoben und den Beklagten verpflichtet, der Klägerin ab 1. Juni 2005 ein Viertel
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des vollen Familienzuschlags der Stufe 1 zu gewähren. Die Berufung des Be-
klagten hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen. In dem Berufungs-
urteil ist ausgeführt, die Kürzungsregelung des § 40 Abs. 4 Satz 1 BBesG kön-
ne bei verfassungskonformer Auslegung keine Anwendung auf die Klägerin und
ihren Ehemann finden. Sinn und Zweck der Vorschrift sei es, die familienbezo-
gene Leistung auch dann nur einmal zu gewähren, wenn beide Ehegatten zu-
schlagsberechtigt seien und zusammen mehr als die Arbeitszeit eines Vollzeit-
beschäftigten erreichten. Dies sei hier nicht der Fall, sodass der Klägerin der
Zuschlag anteilig im Verhältnis ihres Teilzeitanteils zur Regelarbeitszeit zu ge-
währen sei.
Mit der Revision beantragt der Beklagte,
die Urteile des Oberverwaltungsgerichts Berlin-
Brandenburg vom 14. Juli 2011 und des Verwaltungsge-
richts Berlin vom 14. Juli 2009 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die zulässige Revision des Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der
Beteiligten (§ 101 Abs. 2 VwGO) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist
unbegründet. Das Oberverwaltungsgericht hat den Beklagten zu Recht ver-
pflichtet, der Klägerin den Familienzuschlag der Stufe 1 aus § 40 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 BBesG entsprechend ihrer Teilzeitquote gemäß § 6 Abs. 1 BBesG in Hö-
he von einem Viertel zu gewähren. Die in § 40 Abs. 4 Satz 1 BBesG für verhei-
ratete Beamte angeordnete Sonderregelung findet nach dem Normzweck die-
ser Vorschrift keine Anwendung, solange beide Ehegatten zusammen die re-
gelmäßige Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten nicht überschreiten.
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1. Nach § 40 Abs. 4 Satz 1 BBesG in der Fassung der Bekanntmachung vom
6. August 2002 (BGBl. I S. 3020), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. Juli
2006 (BGBl. I S. 1466), erhält ein Beamter den Betrag der Stufe 1 des für ihn
maßgeblichen Familienzuschlags zur Hälfte, wenn sein Ehegatte auch Beamter
ist und ihm ebenfalls ein Familienzuschlag der Stufe 1 oder einer der folgenden
Stufen oder eine entsprechende Leistung in Höhe von mindestens der Hälfte
des Höchstbetrages der Stufe 1 des Familienzuschlages zustünde. Die Vor-
schrift galt für die Beamten des Beklagten auch nach dem Übergang der Ge-
setzgebungszuständigkeit für die Besoldung der Landesbeamten auf die Länder
nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des
Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl I S. 2034) seit dem 1. September
2006 zunächst nach Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG und § 86 BBesG fort. Seit In-
krafttreten des Zweiten Dienstrechtsänderungsgesetzes von Berlin vom 21. Juni
2011 (GVBl. S. 266) zum 1. Juli 2011 ist sie aufgrund der Verweisung in § 1b
Abs. 1 Nr. 1 LBesG Berlin anwendbar.
Die Klägerin und ihr Ehemann sind Beamte, die dem Grunde nach Anspruch
auf Gewährung eines Familienzuschlags der Stufe 1 gemäß § 39 Abs. 1, § 40
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBesG i.V.m. der Anlage V dieses Gesetzes haben. Die
Höhe bemisst sich nach § 40 Abs. 4 Satz 1 und 2 BBesG (vgl. Beschluss vom
25. September 2008 - BVerwG 2 B 104.07 - juris Rn. 8). Die Anordnung aus §
40 Abs. 4 Satz 1 BBesG gilt auch unabhängig davon, ob einem der Ehegatten
weniger als die Hälfte des Höchstbetrags der Stufe 1 des Familienzuschlags zu-
stünde. Das in § 40 Abs. 4 Satz 1 BBesG genannte Tatbestandsmerkmal „in
Höhe von mindestens der Hälfte des Höchstbetrages der Stufe 1 des Familien-
zuschlags“ bezieht sich ausschließlich auf die 3. Alternative der „entsprechen-
den Leistungen“ (ebenso etwa OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. Sep-
tember 2012 - 1 A 2699/10 - ZBR 2013, 91 <92> m.w.N.).
Dies folgt aus der Entstehungsgeschichte der Norm. Durch das Achte Gesetz
zur Änderung beamtenrechtlicher und besoldungsrechtlicher Vorschriften vom
26. Juni 1978 (BGBl. I S. 869) ist zusätzlich zu den bestehenden Varianten „und
stünde ihm ebenfalls der Ortszuschlag der Stufe 2 oder einer der folgenden
Stufen zu“ die neue 3. Alternative „oder eine entsprechende Leistung in Höhe
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von mindestens der Hälfte des Unterschiedsbetrags zwischen der Stufe 1 und
der Stufe 2 des Ortszuschlages der höchsten Tarifklasse“ eingefügt worden.
Die Einschränkung ist daher Bestandteil der neu eingefügten 3. Alternative und
bezieht sich ausschließlich auf diese. Anhaltspunkte dafür, dass die Beschrän-
kung auch auf die bereits zuvor gültigen Varianten erstreckt werden sollte, sind
nicht ersichtlich. Im Übrigen kommt der Bezugnahme auf den Höchstbetrag nur
bei der Eingrenzung der Berücksichtigung entsprechender tarifvertraglicher
Leistungen eine sinnvolle Begrenzungsfunktion zu (vgl. BAG, Urteil vom
27. April 2006 - 6 AZR 437/05 - BAGE 118, 123 Rn. 18), während sie im Falle
der dienstrechtlichen Zuschlagsberechtigung sachfremd wäre.
2. Der Anwendungsbereich der in § 40 Abs. 4 Satz 1 BBesG getroffenen Rege-
lung ist angesichts der Entstehungsgeschichte dieser Norm und im Hinblick auf
ihre Zweckbestimmung aber auf die Fälle einzuschränken, in denen die Ar-
beitszeit beider Ehegatten zusammen die regelmäßige Arbeitszeit eines Voll-
zeitbeschäftigten erreicht oder überschreitet.
a) Dem Familienzuschlag kommt eine soziale, nämlich ehe- und familienbezo-
gene Ausgleichsfunktion zu. Er tritt zu den leistungsbezogenen Besoldungsbe-
standteilen hinzu, um diejenigen Mehraufwendungen auszugleichen, die typi-
scherweise durch Ehe und Familie entstehen. Dadurch erfüllt der Gesetzgeber
die sich aus dem Alimentationsgrundsatz gemäß Art. 33 Abs. 5 GG ergebende
Verpflichtung, die dem Beamten obliegenden Unterhaltspflichten gegenüber
Ehegatten und Kindern realitätsgerecht zu berücksichtigen. Zugleich kommt er
der durch Art. 6 Abs. 1 GG begründeten Pflicht nach, Ehe und Familie durch
geeignete Maßnahmen zu fördern (Urteil vom 3. November 2005 - BVerwG 2 C
16.04 - Buchholz 240 § 40 BBesG Nr. 35 Rn. 21 f.; vgl. auch BVerfG, Beschluss
vom 19. Juni 2012 - 2 BvR 1397/09 - BVerfGE 131, 239 <262>).
Der Zweck des Familienzuschlags der Stufe 1 rechtfertigt es, dass der an-
spruchsbegründende Tatbestand der Ehe nur einmal berücksichtigt wird, auch
wenn beide Ehegatten besoldungsberechtigt sind (Urteil vom 1. September
2005 - BVerwG 2 C 24.04 - Buchholz 240 § 40 BBesG Nr. 33 Rn. 15). Dies wird
dadurch erreicht, dass dieser Zuschlag jeweils halbiert wird (§ 40 Abs. 4 Satz 1
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BBesG). Besoldungsempfänger, die miteinander verheiratet sind, können da-
nach nicht mehr als jeweils die Hälfte des für sie maßgebenden Familienzu-
schlags der Stufe 1 erhalten. Der Zuschlag soll den Ehegatten auch nur dann
insgesamt einmal zugute kommen, wenn sie aufgrund ihrer Arbeitszeiten nach
§ 6 Abs. 1 BBesG zusammen höhere Zahlungsansprüche hätten. § 40 Abs. 4
Satz 1 BBesG statuiert eine Kappungsgrenze, die nicht überschritten werden
darf (Urteil vom 29. September 2005 - BVerwG 2 C 44.04 - BVerwGE 124, 227
= Buchholz 240 § 40 BBesG Nr. 34 Rn. 8).
Aus dieser Zweckbestimmung der Vorschrift folgt zugleich, dass die Obergren-
ze nicht unterschritten werden darf, wenn beide Ehegatten zusammen die Ar-
beitszeit eines Vollzeitbeschäftigten erreichen oder überschreiten (Urteil vom
29. September 2005 a.a.O. Rn. 20 f.). Entsprechendes gilt auch für Teilzeitbe-
schäftigungen, die nicht den Umfang einer Vollzeitbeschäftigung erreichen.
Auch hier liegt kein Grund für die durch § 40 Abs. 4 Satz 1 BBesG vorgesehene
Kürzung vor, weil die Kappungsgrenze nicht erreicht ist.
Das dem Zweck des Familienzuschlags entsprechende Verständnis des Sat-
zes 1 des § 40 Abs. 4 BBesG wird durch Satz 2 bestätigt: Danach wird der nach
Satz 1 halbierte Zuschlag teilzeitbeschäftigter Beamten nicht zeitanteilig nach
§ 6 Abs. 1 BBesG gekürzt. Dies verdeutlicht, dass es für die Höhe des An-
spruchs auf den Familienzuschlag der Stufe 1 nicht auf den Umfang der Ar-
beitszeiten der Ehegatten ankommt, solange deren Summe die Regelarbeitszeit
zumindest erreicht. Die gesetzliche Kappungsgrenze kann ihren Zweck nur er-
füllen, wenn den Ehegatten ansonsten mehr als 100 v.H. des Familienzu-
schlags der Stufe 1 zustünde. Sie macht keinen Sinn, wenn die Ansprüche bei
Anwendung des § 6 Abs. 1 BBesG darunter liegen. Erreicht die Summe der
Teilzeitbeschäftigungen beider Ehegatten die Regelarbeitszeit nicht, bedarf es
keiner Kappungsgrenze, um dem familienpolitischen Zweck des Zuschlags
Rechnung zu tragen. Denn bei Anwendung des § 6 Abs. 1 BBesG, d.h. bei
zeitanteiliger Gewährung des Zuschlags, wird insgesamt weniger als ein voller
Familienzuschlag der Stufe 1 ausgezahlt.
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Eine Schlechterstellung der im öffentlichen Dienst teilzeitbeschäftigten Ehepaa-
re, die insgesamt nicht die regelmäßige Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten
erreichen, gegenüber denjenigen, deren Arbeitszeit diese Schwelle überschrei-
tet, wäre mit Art. 3 Abs. 1 GG daher nicht vereinbar. Dem Anliegen, den Fami-
lienzuschlag der Stufe 1 nur entsprechend dem tatsächlich geleisteten Arbeits-
zeitanteil zu gewähren, trägt bereits § 6 Abs. 1 BBesG Rechnung.
b) Diese einschränkende Auslegung entspricht auch der Entstehungsgeschich-
te der Norm. Die Anordnung des § 40 Abs. 4 Satz 1 BBesG ist durch das Ge-
setz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur vom 18. Dezember 1975 (BGBl. I
S. 3091) als damaliger § 40 Abs. 5 Satz 1 BBesG eingefügt worden, um die
doppelte Abgeltung desselben Tatbestandes (Heirat bzw. Kinderbetreuung) aus
öffentlichen Kassen zu vermeiden (BTDrucks 7/4127, S. 40). In diesem Zeit-
punkt kannte das Dienstrecht des Bundes und der Länder eine unterhälftige
Teilzeitbeschäftigung noch nicht. Die im Tatbestand vorausgesetzte Situation,
dass beide Ehegatten zuschlagsberechtigt sind, konnte daher nur bei einer Ge-
samtarbeitszeit eintreten, die mindestens derjenigen eines Vollzeitbeschäftigten
entsprach. Der eingeführten Regelung lag somit stets die Konstellation zugrun-
de, dass die Arbeitszeit der Ehegatten zusammen mindestens diejenige eines
Vollzeitbeschäftigen erreicht. Dem entspricht die angeordnete Rechtsfolge, die
das Erdienen eines vollen Familienzuschlags voraussetzt.
Eine Abweichung von dieser Grundannahme ist erst durch Einführung der un-
terhälftigen Teilzeitbeschäftigung durch das Gesetz zur Reform des öffentlichen
Dienstrechts vom 24. Februar 1997 (BGBl. I S. 322) möglich geworden. Hier-
durch konnte es geschehen, dass trotz zweifacher Zuschlagsberechtigung ins-
gesamt die regelmäßige Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigen unterschritten
wurde. Die Anpassung des Familienzuschlagrechts an diese Flexibilisierung
des Arbeitszeitrechts und die Möglichkeit einer unterhälftigen Teilzeitbeschäfti-
gung hat der Gesetzgeber unterlassen. Es spricht jedoch nichts dafür, dass der
Gesetzgeber der von ihm selbst eingeleiteten Entwicklung des Arbeitszeitrechts
entgegensteuern wollte, indem die unterhälftige gegenüber der mindestens hälf-
tigen Teilzeitbeschäftigung finanziell überproportional schlechter gestellt werden
sollte (vgl. Urteil vom 29. September 2005 a.a.O. Rn. 16).
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c) Schließlich folgt das einschränkende Verständnis des Anwendungsbereichs
der Norm auch aus dem systematischen Zusammenspiel der als Regelungs-
einheit konzipierten Sätze 1 und 2 des § 40 Abs. 4 BBesG.
§ 40 Abs. 4 Satz 2 BBesG bezieht sich auf die vorangegangene Anordnung in
Satz 1 und enthält eine Sonderregelung für teilzeitbeschäftigte Beamte. Die An-
wendung der zeitanteiligen Kürzungsregelung aus § 6 Abs. 1 BBesG wird aus-
geschlossen. Damit wird verhindert, dass der halbierte Familienzuschlag der
Stufe 1 zusätzlich gequotelt wird. Ein derartiges Ergebnis wäre sachwidrig, weil
der von den Ehegatten zusammen erdiente volle Familienzuschlag ohne sachli-
chen Grund geschmälert würde. Entsprechendes gilt indes auch für die Fälle, in
denen die Ehegatten zusammen die Kappungsgrenze bereits nicht erreichen.
Hier wird indes nicht die Anwendung des § 6 Abs. 1 BBesG ausgesetzt, son-
dern bereits die Halbierungsanordnung aus § 40 Abs. 4 Satz 1 BBesG.
In beiden Fällen ist damit sichergestellt, dass der Familienzuschlag der Stufe 1
den im öffentlichen Dienst beschäftigten Ehegatten entsprechend dem Zeitan-
teil ihrer Beschäftigung, aber maximal in Höhe von 100 v.H. des vollen Zu-
schlags gewährt wird. Sofern die Ehegatten in Teilzeit beschäftigt sind und zu-
sammen nicht mehr als die regelmäßige Arbeitszeit bei Vollzeitbeschäftigung
erreichen, werden die jeweiligen Familienzuschläge gemäß § 6 Abs. 1 BBesG
entsprechend dem Arbeitszeitanteil gekürzt. Übersteigt der Beschäftigungsan-
teil der Ehegatten insgesamt die regelmäßige Arbeitszeit bei Vollbeschäftigung,
erhält jeder Ehegatte die Hälfte seines Familienzuschlags.
3. Die zeitanteilige Gewährung des Familienzuschlags der Stufe 1 nach § 6
Abs. 1 BBesG ohne vorherige Anwendung der Halbierungsregelung des § 40
Abs. 4 Satz 1 BBesG trägt dem unionsrechtlichen Grundsatz „pro rata temporis“
Rechnung.
Nach § 4 Nr. 2 des Anhangs der Richtlinie Nr. 97/81/EG des Rates vom 15. De-
zember 1997 zur der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenver-
einbarung über Teilzeitarbeit (ABl EG Nr. L 14 vom 20. Januar 1998 S. 9, ber.
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ABl EG Nr. L 128 vom 30. April 1998 S. 71) gilt dieser Grundsatz für Teilzeitbe-
schäftigte, wo dies angemessen ist.
Der genannte Anhang enthält die von der Union der europäischen Industrie-
und Arbeitgeberverbände, dem Europäischen Gewerkschaftsbund und dem
europäischen Zentralverband der öffentlichen Wirtschaft geschlossene Rah-
menvereinbarung über Teilzeitarbeit. Aufgrund der Übernahme als Anhang in
die Richtlinie Nr. 97/81/EG stellt diese Vereinbarung einen Bestandteil der
Richtlinie dar und nimmt an deren Bindungswirkung für die Mitgliedstaaten teil.
Diese sind verpflichtet, ihr Recht den inhaltlichen Vorgaben der Rahmenverein-
barung anzupassen (Urteil vom 25. März 2010 - BVerwG 2 C 72.08 - BVerwGE
136, 165 = Buchholz 239.1 § 6 BeamtVG Nr. 6 jeweils Rn. 17 f.).
Nach der Präambel des Anhangs der Richtlinie 97/81/EG verfolgt die Rahmen-
vereinbarung den Zweck, Benachteiligungen von Teilzeitbeschäftigten zu besei-
tigen und einen Beitrag zur Entwicklung der Teilzeitarbeitsmöglichkeiten zu leis-
ten. Dementsprechend schreibt § 4 Nr. 1 vor, dass Teilzeitbeschäftigte in ihren
Beschäftigungsbedingungen nicht nur deswegen gegenüber vergleichbaren
Vollzeitbeschäftigten schlechter behandelt werden dürfen, weil sie teilzeitbe-
schäftigt sind, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus objektiven
Gründen gerechtfertigt. Nach § 4 Nr. 2 gilt, wo dies angemessen ist, der „pro-
rata-temporis“-Grundsatz. Daraus folgt, dass sich Teilzeitbeschäftigung nur in
quantitativer, nicht aber in qualitativer Hinsicht von gleicher oder gleichwertiger
Vollzeitbeschäftigung unterscheiden darf.
Folglich sind ungleiche Beschäftigungsbedingungen nur insoweit zulässig, als
die Ungleichbehandlung dem unterschiedlichen zeitlichen Arbeitsumfang Rech-
nung trägt. Nach dem Zweck des Anhangs umfasst der in § 4 verwendete Be-
griff der Beschäftigungsbedingungen die Gesamtheit der Rechte und Pflichten
aus dem Beschäftigungsverhältnis und damit insbesondere auch das Entgelt für
die Arbeitsleistung. Nach § 4 Nr. 1 und 2 des Anhangs sind derartige Leistun-
gen Teilzeitbeschäftigten entsprechend dem zeitlichen Verhältnis der Teilzeit
zur Vollzeit, d.h. strikt zeitanteilig zu gewähren (Urteile vom 29. September
2005 a.a.O. S. 238 und vom 25. März 2010 a.a.O. Rn. 19).
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Dieses Ergebnis kann bei im öffentlichen Dienst beschäftigten Ehegatten, die
zusammen nicht die Regelarbeitszeit erreichen, nur gewährleistet werden,
wenn § 40 Abs. 4 Satz 1 BBesG nicht zur Anwendung gelangt.
4. Auch soweit die Rückforderung dem Grunde nach berechtigt ist, weil der Be-
klagte mehr als den der Klägerin zustehenden Anteil von ein Viertel des Fami-
lienzuschlags der Stufe 1 ausbezahlt hat, ist der Rückforderungsbescheid
rechtswidrig. Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht die fehlende Billigkeits-
entscheidung des Beklagten beanstandet.
Nach § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG kann aus Billigkeitsgründen ganz oder teilwei-
se von der Rückforderung abgesehen werden. Damit soll eine allen Umständen
des Einzelfalles gerecht werdende, für die Behörde zumutbare und für den Be-
amten tragbare Lösung ermöglicht werden. Eine Billigkeitsentscheidung zu-
gunsten des Schuldners modifiziert den Rückzahlungsanspruch. Sie betrifft
nicht lediglich die Vollziehung oder Vollstreckung des Rückforderungsbe-
scheids, sondern den materiellen Bestand des Rückforderungsanspruchs und
ist deshalb zwingend vor der Rückforderung zu treffen. Ein Rückforderungsbe-
scheid darf nicht ergehen, ohne dass eine Billigkeitsentscheidung getroffen
worden ist. Die Festlegungen sind im Bescheid selbst zu treffen; eine bloße Be-
reitschaft, dem Beamten später entgegen zu kommen und etwa Ratenzahlung
zu vereinbaren, genügt nicht (vgl. Urteile vom 26. April 2012 - BVerwG 2 C
15.10 - Buchholz 240 § 12 BBesG Nr. 35 Rn. 23 ff. sowie - BVerwG 2 C 4.11 -
Rn. 17 ff.). Die Auffassung des Beklagten, dass eine Billigkeitsentscheidung
nach Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse nachträglich - nach Abschluss
des gerichtlichen Verfahrens - ergehen könne, trifft daher nicht zu.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Domgörgen
Dr. Heitz
Thomsen
Dr. Hartung
Dr. Kenntner
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B e s c h l u s s
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird gemäß §§ 39 Abs. 1, 47 Abs. 1
Satz 1, 52 Abs. 1 und 3 GKG auf 755,82 € festgesetzt.
Domgörgen
Dr. Heitz
Dr. Kenntner
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Beamtenrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
GG
Art. 3 Abs. 1
RL 97/81/EG
Anhang § 4 Nr. 2
BBesG
§ 6 Abs. 1, § 12 Abs. 2 Satz 3, § 40 Abs. 4
Stichworte:
Altersteilzeit; Anwendungsvorrang; Arbeitszeit; Billigkeitsentscheidung; Fami-
lienzuschlag; Kappungsgrenze; pro-rata-temporis-Grundsatz; Rückforderung;
Teilzeit; unterhälftige Teilzeitbeschäftigung; verheiratete Beamte.
Leitsatz:
Verheiratete Besoldungsempfänger, deren Arbeitszeit zusammen die regelmä-
ßige Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten nicht übersteigt, erhalten den Fami-
lienzuschlag der Stufe 1 jeweils entsprechend ihrem Teilzeitbeschäftigungsver-
hältnis gemäß § 6 Abs. 1 BBesG. Die in § 40 Abs. 4 Satz 1 BBesG enthaltene
Kappungsgrenze findet nur Anwendung, wenn die Arbeitszeit der Ehegatten
insgesamt diejenige eines Vollzeitbeschäftigten übersteigt.
Urteil des 2. Senats vom 24. September 2013 - BVerwG 2 C 52.11
I. VG Berlin vom 14.07.2009 - Az.: VG 28 A 144.07 -
II. OVG Berlin-Brandenburg vom 14.07.2011 - Az.: OVG 4 B 70.09 -