Urteil des BVerwG vom 30.10.2014

Eugh, Beamtenverhältnis, Halle, Veröffentlichung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 C 5.13
OVG 1 L 190/11
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. Oktober 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden, Dr. Hartung,
Dr. Kenntner und Dollinger
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Die Urteile des Oberverwaltungsgerichts des Landes
Sachsen-Anhalt vom 11. Dezember 2012 und des Verwal-
tungsgerichts Halle vom 28. September 2011 werden auf-
gehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Revision des Klägers wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
G r ü n d e :
I
Der Kläger rügt, die besoldungsrechtliche Ersteinstufung nach dem Lebensalter
benachteilige ihn wegen seines Lebensalters. Zum Ausgleich beansprucht er
eine Besoldung nach der höchsten Stufe seiner Besoldungsgruppe A 12.
Der 1966 geborene Kläger wurde mit Wirkung vom 1. April 1995 durch die da-
malige Landesversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt in das Beamtenverhältnis
auf Probe übernommen. Diese setzte das Besoldungsdienstalter des Klägers
auf den 1. Dezember 1987 fest. Zum 30. September 2005 wurde die Landes-
versicherungsanstalt Sachsen-Anhalt mit den Landesversicherungsanstalten
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Sachsen und Thüringen zu einem neuen Regionalträger, der Beklagten, verei-
nigt.
Am 28. Dezember 2010 erhob der Kläger Widerspruch gegen die Höhe seiner
Besoldung und beantragte rückwirkend ab dem 1. Januar 2007 die Zahlung
seiner Bezüge nach der höchsten Dienstaltersstufe. Die Beklagte wies den Wi-
derspruch des Klägers zurück.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger rückwirkend ab
dem 1. Januar 2007 das Grundgehalt nach der höchsten Stufe seiner Besol-
dungsgruppe zu zahlen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwal-
tungsgericht das verwaltungsgerichtliche Urteil geändert und die Beklagte ver-
urteilt, den Kläger rückwirkend ab dem 1. Januar 2009 so zu stellen, als hätte er
im Zeitpunkt seiner Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe bereits das
35. Lebensjahr vollendet, wobei § 28 Abs. 2 BBesG in der Fassung der Be-
kanntmachung vom 6. August 2002 keine Anwendung finde.
Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt:
Die besoldungsrechtlichen Regelungen benachteiligten den Kläger ungerecht-
fertigt aufgrund seines Lebensalters. Zum Ausgleich dieser Diskriminierung
könne der Kläger aber nicht seine Besoldung aus der höchsten Dienstaltersstu-
fe beanspruchen. Für die Bestimmung der Vergleichsgruppe, in die der Kläger
einzustufen sei, sei vielmehr entscheidend, bis zu welchem Lebensalter Einstel-
lungen in ein Beamtenverhältnis des gehobenen allgemeinen Verwaltungs-
dienstes im Geschäftsbereich der Beklagten hätten erfolgen können. Ansprüche
für den Zeitraum vor dem 1. Januar 2009 seien ausgeschlossen, weil der Klä-
ger diese nicht zeitnah geltend gemacht habe.
Kläger und Beklagte haben die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revi-
sion eingelegt.
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Der Kläger beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sach-
sen-Anhalt vom 11. Dezember 2012 insoweit aufzuheben,
als die Klage des Klägers auf Verurteilung der Beklagten,
dem Kläger rückwirkend ab dem 1. Januar 2007 Grund-
gehalt nach der höchsten Stufe seiner jeweiligen Besol-
dungsgruppe zu zahlen und den sich hieraus ergebenden
Nachzahlungsbetrag mit fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 21. April 2011 zu verzinsen, abge-
wiesen worden ist und die Berufung der Beklagten gegen
das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle vom 28. Sep-
tember 2011 in vollem Umfang zurückzuweisen sowie
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Oberverwaltungsgerichts des Landes
Sachsen-Anhalt vom 11. Dezember 2012 sowie des Ver-
waltungsgerichts Halle vom 28. September 2011 abzuän-
dern und die Klage (vollumfänglich) abzuweisen und
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt
die Revision der Beklagten.
II
Der Senat entscheidet über die Revisionen im Einverständnis der Verfahrens-
beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 und § 101
Abs. 2 VwGO).
Die Revision des Klägers ist unbegründet, diejenige der Beklagten begründet.
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt revisibles Recht. Für den Zeit-
raum ab dem 1. Januar 2007 stehen dem Kläger nach Maßgabe des Sächsi-
schen Dienstrechtsneuordnungsgesetzes vom 18. Dezember 2013 (SächsGVBl
S. 970) keine Ansprüche zu. Dieses für die Besoldung des Klägers maßgebli-
che Recht des Freistaats Sachsen (vgl. Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG) steht mit den
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Vorgaben der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur
Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbe-
handlung in Beschäftigung und Beruf (- RL 2000/78/EG -, ABl L 303 S. 16) in
Einklang. Mangels eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot des § 7
Abs. 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes vom 14. August 2006
(- AGG -, BGBl I S. 1897) ist damit auch der Anspruch aus § 15 Abs. 2 AGG
ausgeschlossen.
1. Für den Zeitraum ab dem 1. September 2006 richtet sich die Besoldung des
Klägers nach dem Besoldungsrecht des Freistaats Sachsen in der Fassung des
Sächsischen Dienstrechtsneuordnungsgesetzes vom 18. Dezember 2013. Dies
ergibt sich aus Folgendem:
a) Die Beklagte ist aufgrund von § 141 Abs. 1 SGB VI durch den Zusammen-
schluss mehrerer Landesversicherungsanstalten zu einem Regionalträger ent-
standen (vgl. Art. 87 Abs. 2 Satz 2 GG). Mit dem Wirksamwerden dieser Verei-
nigung am 30. September 2005 trat der Kläger kraft Gesetzes in den Dienst der
Beklagten über (§ 128 Abs. 4 Alt. 1 i.V.m. Abs. 1 BRRG). Da die Beklagte nach
§ 1 Nr. 2 ihrer Satzung ihren Sitz in Leipzig hat, untersteht sie der Aufsicht des
Freistaats Sachsen (vgl. Art. 1 Abs. 1 des Staatsvertrages über die Bestimmung
aufsichtsführender Länder nach Artikel 87 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes für
die Bundesrepublik Deutschland, Gesetz vom 20. Februar 1997, SächsGVBl
S. 106). Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 des Sächsischen Besoldungsgesetzes vom
18. Dezember 2013 (- SächsBesG -, SächsGVBl S. 970 <1005>) regelt dieses
Gesetz auch die Besoldung der Beamten der der Aufsicht des Freistaats unter-
stehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts.
Nach Art. 28 Abs. 3 des Sächsischen Dienstrechtsneuordnungsgesetzes sind
die Bestimmungen der §§ 27 bis 29 sowie § 80 SächsBesG, die die Besoldung
des Klägers als eines Beamten der Besoldungsordnung A regeln, mit Wirkung
vom 1. September 2006 in Kraft getreten. Obwohl diese Vorschriften danach
erst nach Erlass des Berufungsurteils in Kraft getreten sind, sind sie der Prü-
fung im Revisionsverfahren zugrunde zu legen. Denn Änderungen der Rechts-
lage im Revisionsverfahren, die sich nach Erlass des Berufungsurteils ergeben
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haben, sind für die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beachtlich,
wenn das Berufungsgericht, entschiede es nunmehr anstelle des Bundesver-
waltungsgerichts, die Rechtsänderung zu beachten hätte (stRspr, Urteile vom
1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276 <279 f.> = Buch-
holz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 15 S. 32, vom 23. Oktober 2007 - BVerwG 1 C
10.07 - BVerwGE 129, 367 = Buchholz 402.242 § 54 AufenthG Nr. 4, jeweils
Rn. 40 und vom 24. Juni 2010 - BVerwG 2 C 14.09 - Buchholz 239.1 § 52
BeamtVG Nr. 1 Rn. 8). Hätte das Berufungsgericht nunmehr zu entscheiden,
müsste es seinen rechtlichen Erwägungen zu einem Anspruch des Klägers auf
eine höhere Besoldung für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2007 die Vorschrif-
ten des Sächsischen Besoldungsgesetzes vom 18. Dezember 2013 zugrunde
legen.
b) Die ursprünglich für die Besoldung des Klägers im Zeitraum ab dem 1. Sep-
tember 2006 maßgeblichen §§ 27 und 28 BBesG in der Fassung der Bekannt-
machung vom 6. August 2002 (- §§ 27 und 28 BBesG a.F. -, BGBl I S. 3020)
führten zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 2
Abs. 1 und 2 Buchst. a der RL 2000/78/EG. Denn die Regelung hatte zur Folge,
dass auch ein älterer Beamter ohne jede Berufserfahrung bei seiner erstmali-
gen Berufung in ein Beamtenverhältnis allein aufgrund seines höheren Lebens-
alters höher eingestuft wird (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2014 - Rs. C-501/12,
Specht - NVwZ 2014, 1294 Rn. 50 f.; vgl. dazu ausführlich die zur Veröffentli-
chung bestimmten Urteile vom 30. Oktober 2014 - BVerwG 2 C 3.13 - Rn. 15
und - BVerwG 2 C 6.13 - Rn. 16).
c) Demgegenüber ist das durch das Sächsische Besoldungsgesetz vom
18. Dezember 2013 eingeführte Besoldungssystem mit den Vorgaben der
RL 2000/78/EG vereinbar. Denn die Ersteinstufung des Beamten orientiert sich
nicht mehr am Lebensalter und der Aufstieg nach Stufen knüpft an die bisher
erlangte Berufserfahrung des Arbeitnehmers an (EuGH, Urteil vom 3. Oktober
2006 - Rs. C-17/05, Cadman - Slg. 2006, I-9583 Rn. 34 ff.).
Wird ein Beamtenverhältnis mit Anspruch auf Dienstbezüge begründet, so wird
der neu ernannte Beamte nach § 27 Abs. 1 SächsBesG der ersten mit einem
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Grundgehaltssatz ausgewiesenen Stufe der maßgeblichen Besoldungsgruppe
(Anfangsstufe) zugeordnet. Liegen berücksichtigungsfähige Zeiten nach § 28
Abs. 1 bis 3 SächsBesG vor (z.B. Zeiten einer hauptberuflichen Tätigkeit im
Dienst eines öffentlich-rechtlichen Dienstherrn; Zeiten des Wehrdienstes oder
des Zivildienstes), wird dieser Beamte einer höheren Stufe als der Anfangsstufe
zugeordnet. Bestimmte Zeiten (z.B. Zeiten einer Tätigkeit für das Ministerium
für Staatssicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik) sind
von vornherein nicht berücksichtigungsfähig (§ 29 SächsBesG). Gemäß § 27
Abs. 2 SächsBesG erfolgt der Aufstieg in eine nächsthöhere Stufe nach be-
stimmten Dienstzeiten (zwei, drei und schließlich vier Jahre). Für Beamte der
Besoldungsordnung A, denen im Zeitraum vom 1. September 2006 bis zum
31. März 2014 wegen dauerhaft herausragender Leistungen die nächsthöhere
Stufe als Grundgehalt vorweg festgesetzt worden war (Leistungsstufe), be-
stimmt § 80 Abs. 7 Satz 1 SächsBesG durch den Verweis auf § 27 Abs. 3
Satz 1 BBesG a.F., dass ihnen diese Vorteile aus Vertrauensschutzgründen
verbleiben. Das Entsprechende gilt für eine in diesem Zeitraum gegenüber ei-
nem Beamten ausgesprochene Hemmung des Aufstiegs in den Stufen des
Grundgehalts. Damit knüpft das neue Besoldungssystem anstelle des über-
kommenen Besoldungsdienstalters an die tatsächlich geleisteten Dienstzeiten
und die erbrachte Leistung an (Gesetzentwurf der Landesregierung zum Säch-
sischen Dienstrechtsneuordnungsgesetz, LTDrucks 5/12230 S. 338 zu § 27).
Zwar perpetuiert die Überleitungsregelung des § 80 SächsBesG für Beamte der
Besoldungsordnung A, die wie der Kläger am 31. August 2006 in einem Dienst-
verhältnis zum Freistaat Sachsen oder zu einer der Aufsicht des Freistaats un-
terstehenden Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts stan-
den, die unmittelbare Benachteiligung wegen des Lebensalters. Denn die Neu-
zuordnung der Stufe des Grundgehalts orientiert sich an der Grundgehaltsstufe,
die dem Beamten am 1. September 2006 nach dem früheren diskriminierenden
System nach Maßgabe der §§ 27 und 28 BBesG a.F. zugestanden hätte. Diese
Überleitungsregelung ist jedoch zur Wahrung des Besitzstands und zur Ver-
meidung eines übermäßigen Verwaltungsaufwands für die Regulierung der in
der Vergangenheit liegenden Zeiten nach der Rechtsprechung des EuGH ge-
rechtfertigt (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2014 a.a.O. Rn. 64 ff. und 78 ff.).
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Die Neuzuordnung zu den Stufen des Grundgehalts erfolgt nach § 80 Abs. 1
Satz 1 und 2 SächsBesG bei Beamten der Besoldungsordnung A zu der Stufe,
die der Stufe entspricht, die dem Beamten am 1. September 2006 nach § 27
Abs. 1 und 2 BBesG a.F. zugestanden hätte. Diese Einstufung hängt aber vom
Besoldungsdienstalter, d.h. dem Lebensalter des betreffenden Beamten ab und
benachteiligt diesen deshalb unmittelbar wegen seines Lebensalters. Ist der
Beamte zu einer Stufe des Grundgehalts nach § 80 Abs. 1 SächsBesG zuge-
ordnet, bestimmt sich das weitere Aufsteigen nach § 27 Abs. 2 und 5 Sächs-
BesG (§ 80 Abs. 2 Satz 1 SächsBesG). Zeiten, die der Bestandsbeamte vor
dem 1. September 2006 in dieser Stufe verbracht hat, werden bei dem Aufstei-
gen nach Maßgabe des § 27 Abs. 2 SächsBesG angerechnet (§ 80 Abs. 2
Satz 2 SächsBesG).
Die mit dieser Neuzuordnung der Grundgehaltsstufe verbundene Ungleichbe-
handlung wegen des Lebensalters ist aber nach der Rechtsprechung des EuGH
gemäß Art. 6 Abs. 1 der RL 2000/78/EG gerechtfertigt. Die Neuregelung wird
durch die Prinzipien des Vertrauensschutzes und der Wahrung des am 1. Sep-
tember 2006 erreichten Status quo bestimmt. Denn die Zuordnung zu den Stu-
fen der neuen Grundgehaltstabelle orientiert sich an der bis zum 31. August
2006 erreichten Stufe (Gesetzentwurf der Landesregierung, LTDrucks 5/12230
S. 386 f. zu § 80). Die Ablösung der bisherigen, am Besoldungsdienstalter ori-
entierten Stufenzuordnung hat auch weder zu Änderungen an der Struktur der
Besoldungstabelle der Besoldungsordnung A geführt noch die leistungsbezo-
genen Elemente des Stufenaufstiegs (Stufenhemmung und Leistungsstufe)
substanziell geänderten materiellen Kriterien unterworfen (Gesetzentwurf der
Landesregierung, LTDrucks 5/12230 S. 478 zu Art. 31 des Entwurfs). Die Wah-
rung des Besitzstands einer Personengruppe ist ein zwingender Grund des All-
gemeininteresses, sodass mit dieser Regelung ein legitimes Ziel verfolgt wird
(EuGH, Urteile vom 6. Dezember 2007 - Rs. C-456/05, Kommission/Deutsch-
land - Slg. 2007, I-10517 Rn. 63 und vom 8. September 2011 - Rs. C- 297/10
und C-298/10, Hennigs und Mai - Slg. 2011, I-7965 Rn. 90).
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Die Neuregelung durch das Sächsische Dienstrechtsneuordnungsgesetz geht
auch nicht über das zur Erreichung des verfolgten Ziels Erforderliche hinaus.
Die mit der Anknüpfung an das bisherige Grundgehalt tatsächlich verbundenen
Nachteile sind begrenzt. Infolge der früher für den Kläger maßgeblichen Alters-
grenzen für die erstmalige Begründung eines Beamtenverhältnisses war si-
chergestellt, dass der Unterschied in der Besoldung nicht die Differenz zwi-
schen der ersten und der letzten Stufe einer Besoldungsgruppe erreichen konn-
te.
Zwar wäre es auch möglich gewesen, das neue Einstufungssystem im Interes-
se einer materiellen Beseitigung der Alterdiskriminierung rückwirkend auf sämt-
liche Bestandsbeamten anzuwenden oder hierfür eine Übergangsregelung zu
schaffen, die den bevorzugten Bestandsbeamten die Besoldung in der vorheri-
gen Höhe solange garantiert hätte, bis sie die nach dem neuen Besoldungssys-
tem für die Erreichung einer höheren Besoldungsstufe erforderliche Erfahrung
erworben hätten. Die vom Freistaat Sachsen gewählte Lösung ist nach der
Rechtsprechung des EuGH aber in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.
Denn die nachträgliche individuelle Feststellung von Vordienstzeiten wäre in
Anbetracht der hohen Zahl von Beamten (ca. 27 000), der Länge des betroffe-
nen Zeitraums, der Verschiedenheit der jeweiligen Laufbahnen und der Schwie-
rigkeiten, die sich bei der Bestimmung der Vordienstzeiten ergeben könnten,
übermäßig kompliziert und in erhöhtem Maß fehleranfällig gewesen (Gesetz-
entwurf der Landesregierung, LTDrucks 5/12230 S. 478 zu Art. 31 des Ent-
wurfs). Der EuGH hat diese besonderen administrativen Schwierigkeiten hier
ausnahmsweise für einen Übergangszeitraum als ausreichend gewichtig ange-
sehen (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2014 a.a.O. Rn. 78 ff.). Entgegen dem Vor-
bringen des Klägers setzt die Rechtmäßigkeit der Übergangsregelung nach
Auffassung des EuGH auch nicht voraus, dass die Besoldungsdifferenz zwi-
schen den diskriminierten und den nicht diskriminierten Beamtengruppen
schrittweise verkleinert wird.
2. Die rückwirkende Inkraftsetzung der hier maßgeblichen Vorschriften der
§§ 27 bis 29 sowie § 80 SächsBesG zum 1. September 2006 durch Art. 28
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Abs. 3 des Sächsischen Dienstrechtsneuordnungsgesetzes ist nicht zu bean-
standen.
a) Diese Rückwirkung ist verfassungsrechtlich selbst dann zulässig, wenn zu
Gunsten des Klägers angenommen wird, dass hier der Fall einer echten Rück-
wirkung vorliegt.
Die verfassungsrechtliche Problematik der echten Rückwirkung folgt aus den
Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Bis zur Verkün-
dung einer rechtlichen Norm muss der Bürger grundsätzlich darauf vertrauen
können, dass seine auf das bisherige Recht gegründete Rechtsposition nicht
durch eine zeitlich rückwirkende Änderung der Rechtsfolgenanordnung nachtei-
lig verändert wird (BVerfG, Beschluss vom 3. Dezember 1997 - 2 BvR 882/97 -
BVerfGE 97, 67 <78 f.> und Urteil vom 27. September 2005 - 2 BvR 1387/02 -
BVerfGE 114, 258 <300>). Verfassungsrechtlich unzulässig ist danach die be-
lastende Tendenz eines rückwirkenden Gesetzes (BVerfG, Beschluss vom
17. Januar 1979 - 1 BvR 446/77, 1 BvR 1174/77 - BVerfGE 50, 177 <193>
m.w.N.). An einer solchen belastenden Wirkung für bereits am 31. August 2006
ernannte Beamte der Besoldungsordnung A fehlt es hier aber, weil die zum
1. September 2006 in Kraft gesetzte landesrechtliche Regelung weder nach
dem früheren Recht begründete Besoldungsansprüche beseitigt noch ihre Gel-
tendmachung erschwert.
Die Zuordnung dieser Bestandsbeamten zu den neuen Stufen des Grundge-
halts zum 1. September 2006 orientiert sich nach § 80 Abs. 1 SächsBesG an
den nach dem bisherigen Recht erreichten Stufen. Der anschließende Stufen-
aufstieg nach § 80 Abs. 2 und § 27 Abs. 2 SächsBesG entspricht hinsichtlich
der Zahl der Stufen sowie des Rhythmus des Aufstiegs der früher maßgebli-
chen Vorschrift des Bundesrechts. Die Gewährung von Leistungsstufen oder
der Ausspruch einer Hemmung des Aufstiegs in den Stufen des Grundgehalts
im Zeitraum bis zum 31. März 2014 bleiben nach § 80 Abs. 7 SächsBesG wirk-
sam. Auch sind die Grundgehaltssätze für Besoldungsempfänger der Besol-
dungsordnung A für den Zeitraum vom 1. September 2006 bis Ende März 2014
nachträglich nicht abgeändert worden. Eine belastende Wirkung der rückwir-
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kenden Regelung durch das Sächsische Dienstrechtsneuordnungsgesetz ergibt
sich auch nicht daraus, dass dem Kläger rückwirkend ein etwa zuvor bestehen-
der Anspruch auf höhere Besoldung entzogen worden sei. Denn mangels eines
gültigen Bezugssystems hatte der Kläger aufgrund der RL 2000/78/EG zu kei-
nem Zeitpunkt einen Anspruch auf eine höhere als die gesetzliche Besoldung
(vgl. dazu ausführlich die zur Veröffentlichung bestimmten Urteile vom 30. Okto-
ber 2014 - BVerwG 2 C 3.13 - Rn. 17 bis 20 sowie 77 und - BVerwG 2 C 6.13 -
Rn. 18 bis 21).
b) Selbst wenn man von einer belastenden Wirkung der rückwirkenden Inkraft-
setzung der Neuregelung ausginge, ergäbe sich daraus für deren verfassungs-
rechtliche Beurteilung nichts anderes.
Hat eine rückwirkende Norm eine belastende Wirkung, so ist diese nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht in jedem Fall unzulässig.
Denn das Rückwirkungsverbot findet im Grundsatz des Vertrauensschutzes
nicht nur seinen Grund, sondern auch seine Grenze. Es gilt nicht, soweit sich
kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte (BVerfG,
Beschlüsse vom 15. Oktober 1996 - 1 BvL 44/92, 1 BvL 48/92 - BVerfGE 95, 64
<86 f.> und vom 18. Februar 2009 - 1 BvR 3076/08 - BVerfGE 122, 374 <394>)
oder ein Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt
und daher nicht schutzwürdig war (BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 1979
a.a.O. S. 193 f.). Bei den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
richts anerkannten, nicht abschließend definierten Fallgruppen handelt es sich
um Typisierungen ausnahmsweise fehlenden Vertrauens in eine bestehende
Gesetzeslage. Für die Frage, ob mit einer rückwirkenden Änderung der Rechts-
lage zu rechnen war, ist von Bedeutung, ob die bisherige Regelung bei objekti-
ver Betrachtung geeignet war, ein Vertrauen der betroffenen Personengruppe
auf ihren Fortbestand zu begründen (BVerfG, Beschlüsse vom 20. Oktober
1971 - 1 BvR 757/66 - BVerfGE 32, 111 <123> und vom 17. Dezember 2013
- 1 BvL 5/08 - NVwZ 2014, 577 Rn. 65).
Eine Ausnahme vom Grundsatz der Unzulässigkeit einer echten Rückwirkung
ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegeben, wenn
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die Betroffenen schon im Zeitpunkt, auf den die Rückwirkung bezogen wird,
nicht auf den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung vertrauen durften, son-
dern mit deren Änderung rechnen mussten (Beschlüsse vom 18. Februar 2009
a.a.O. und vom 17. Dezember 2013 a.a.O.).
An der Schutzwürdigkeit des Vertrauens eines Betroffenen in den Fortbestand
der bisherigen Vorschriften fehlt es auch im hier vorliegenden Fall, in der ein
kompetenz- und unionsrechtskonformes Landesgesetz rückwirkend an die Stel-
le eines unionsrechtswidrigen Bundesgesetzes getreten ist. Der Kläger ist nicht
schutzwürdig, weil er selbst zutreffend geltend gemacht hatte, die Bestimmun-
gen der §§ 27 und 28 BBesG a.F. diskriminierten ihn ungerechtfertigt wegen
seines Lebensalters. Er musste dementsprechend damit rechnen, dass der
hierfür zuständige Gesetzgeber die mit Ablauf der Umsetzungsfrist wegen des
Verstoßes gegen das Unionsrecht unanwendbaren Bestimmungen der §§ 27
und 28 BBesG a.F. durch solche Vorschriften ersetzen wird, die den Vorgaben
der RL 2000/78/EG genügen.
Das Urteil des EuGH vom 19. Juni 2014 (Rs. C-501/12, Specht - NVwZ 2014,
1294) hat die vom Kläger bereits in seinem Widerspruch vom 28. Dezember
2010 geäußerte Rechtsansicht bestätigt, dass die §§ 27 und 28 BBesG a.F. zu
einer nicht gerechtfertigten unmittelbaren Diskriminierung wegen des Lebensal-
ters führen. Damit waren diese für die Besoldung des Klägers maßgeblichen
gesetzlichen Vorschriften wegen eines Verstoßes gegen das Unionsrecht un-
anwendbar. Diese Anknüpfung an das Lebensalter eines Beamten erfasste po-
tenziell sämtliche Beamte und damit die gesamte Tabelle der Grundgehaltssät-
ze der Besoldungsordnung A. Da auch keine Kategorie bevorzugter Beamter
benannt werden kann, ist es nach der Rechtsprechung des EuGH insbesondere
auch nicht möglich, Beamte in die höchste Dienstaltersstufe einzuordnen und
danach zu besolden (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2014 a.a.O. Rn. 95 bis 97).
Durch die rückwirkende Regelung zum 1. September 2006 hat der Gesetzgeber
des Freistaats Sachsen, soweit ihm dies aus kompetenzrechtlichen Gründen
möglich war, d.h. für den Zeitraum ab dem 1. September 2006, für die Besol-
dung des Klägers eine unionsrechtskonforme gesetzliche Regelung geschaffen.
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c) Die Rückwirkung scheitert auch nicht daran, dass hierdurch dem Kläger der
zumindest ab dem 8. September 2011 bestehende unionsrechtliche Haftungs-
anspruch (vgl. dazu ausführlich die zur Veröffentlichung bestimmten Urteile vom
30. Oktober 2014 - BVerwG 2 C 3.13 - Rn. 25 bis 30 und - BVerwG 2 C 6.13 -
Rn. 25 bis 30) entzogen worden ist.
Nach der Rechtsprechung des EuGH ermöglicht die rückwirkende Anwendung
von Maßnahmen des Mitgliedstaates zur vollständigen Durchführung einer
Richtlinie die Behebung des Schadens, der durch die unzureichende Umset-
zung der Richtlinie entstanden ist. Denn hierdurch werden den von der Richtli-
nie Begünstigten diejenigen Rechte garantiert, die ihnen zugestanden hätten,
wenn die Richtlinie fristgerecht umgesetzt worden wäre. Danach ist die rückwir-
kende Inkraftsetzung unionsrechtskonformer Gesetze eine zulässige Form der
Wiedergutmachung und lässt einen etwaigen unionsrechtlichen Haftungsan-
spruch entfallen (EuGH, Urteile vom 10. Juli 1997 - Rs. C-94/95 und C-95/95,
Bonifaci u.a. - Slg. 1997, I-3969 Rn. 51 ff. und - Rs. C-373/95, Maso - Slg.
1997, I-4051 Rn. 39 ff.).
Für den ursprünglich ab dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehand-
lungsgesetzes am 18. August 2006 bestehenden Entschädigungsanspruch
nach § 15 Abs. 2 AGG (vgl. auch hierzu die Urteile vom 30. Oktober 2014
- BVerwG 2 C 3.13 - Rn. 31 bis 39 und Rn. 44 bis 62 und - BVerwG 2 C 6.13 -
Rn. 31 bis 39 und Rn. 44 bis 62) gilt dies entsprechend. Auch insoweit steht im
Vordergrund, dass erst durch das rückwirkend in Kraft gesetzte Landesgesetz
die für die Besoldung der Beamten der Besoldungsordnung A erforderliche uni-
onsrechtskonforme gesetzliche Grundlage geschaffen worden ist. Auch in der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Amtshaftungsanspruch ist aner-
kannt, dass eine rückwirkende Rechtsänderung einen ursprünglich bestehen-
den Haftungsanspruch wieder beseitigen kann (BGH, Urteil vom 13. Oktober
1994 - III ZR 24/94 - BGHZ 127, 223 <227 f.> und Beschluss vom 19. März
2008 - III ZR 49/07 - NVwZ 2008, 815 f.).
3. Ergänzend und vorsorglich merkt der Senat an, dass das Urteil des EuGH
vom 11. November 2014 (Rs. C-530/13, Schmitzer - NVwZ-RR 2015, 43, er-
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gangen in einem Fall aus Österreich) an der vorstehenden Beurteilung nichts
ändert. Diese Entscheidung betrifft eine andere, mit dem vorliegenden Streitfall
nicht vergleichbare Fallkonstellation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die
dort Betroffenen durch eine Verlängerung des für eine „Vorrückung“ erforderli-
chen Zeitraums zusätzlich benachteiligt wurden (EuGH, Urteil vom 11. Novem-
ber 2014 a.a.O. Rn. 31 und Ziff. 1 des Tenors). Letzteres hat der EuGH als
nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung beanstandet.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Domgörgen Dr. von der Weiden Dr. Hartung
Dr. Kenntner Dollinger
Beschluss
vom 30. Oktober 2014
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren gemäß § 47
Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG auf 8 401,92 € festgesetzt.
Domgörgen Dr. Hartung Dr. Kenntner
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