Urteil des BVerwG vom 26.01.2012

Beamtenverhältnis, Lebensversicherung, Rente, Ruhegehalt

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 C 49.10
VGH 3 BV 05.2876
Verkündet
am 26. Januar 2012
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 26. Januar 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Maidowski und Dr. Hartung
für Recht erkannt:
Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs
vom 27. Juli 2010 wird aufgehoben, soweit eine fünfjähri-
ge berufliche Praxis des Klägers als ruhegehaltfähige
Vordienstzeit berücksichtigt wurde. Insoweit wird die Sa-
che zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an
den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Revision des Beklagten zurückgewie-
sen.
Das Verfahren über die Anschlussrevision des Klägers
wird eingestellt.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussent-
scheidung vorbehalten.
G r ü n d e :
I
Der 1939 geborene Kläger stand als Professor an der Fachhochschule (Besol-
dungsgruppe C 3) im Dienst des Beklagten. Nach dem Studium von 1958
bis 1965 war er bis März 1970 als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Fa. A,
danach bei der B beschäftigt. Diese Tätigkeit behielt er bei, als er am
11. Januar 1991 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit mit
dem Land Nordrhein-Westfalen zum Professor an der Fachhochschule A. er-
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nannt wurde. Zugleich wurde er ohne Dienstbezüge im dienstlichen Interesse
beurlaubt, um seine Tätigkeit bei der B weiter ausüben zu können. Mit Wirkung
ab 31. Juli 1994 setzte der Kläger das Beamtenverhältnis mit dem Beklagten
fort. Er war zunächst als Gründungsrektor, seit 1998 bis zum Eintritt in den Ru-
hestand aus Altersgründen mit Ablauf des 30. September 2004 als Professor an
der Fachhochschule I. tätig.
Der Kläger erhält von der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder
(VBL) seit dem 1. Juni 2004 eine monatliche Betriebsrente von 640,72 Euro. Im
Jahr 1992 wurden ihm 291 275,77 DM aus einer befreienden Lebensversiche-
rung ausbezahlt.
Der Beklagte setzte den Ruhegehaltssatz des Klägers auf 38,72 v.H. fest, wo-
bei er lediglich die im Beamtenverhältnis verbrachten Zeiten (11. Januar 1991
bis 30. September 2004) als ruhegehaltfähig berücksichtigte.
Der Kläger macht geltend, die Studienzeit und die Zeiten als Mitarbeiter bei A
und der B bis Januar 1991 müssten als ruhegehaltfähige Vordienstzeiten bei
der Berechnung des Ruhegehaltssatzes berücksichtigt werden. Auf die nach
erfolglosem Widerspruch erhobene Klage ist der Beklagte vom Verwaltungsge-
richt zur Anrechnung der beruflichen Tätigkeit für die Dauer von fünf Jahren,
vom Verwaltungsgerichtshof zusätzlich zur Anrechnung einer Studienzeit von
acht Semestern sowie einer Prüfungszeit von sechs Monaten verpflichtet wor-
den. In dem Berufungsurteil heißt es im Wesentlichen:
Die Mindeststudien- und Prüfungszeiten seien als ruhegehaltfähig zu berück-
sichtigen, weil sie für die Ernennung zum Fachhochschulprofessor nach der am
31. Dezember 1991 geltenden Rechtslage vorgeschrieben gewesen seien und
der Kläger hierfür keine anderen Anwartschaften auf eine Altersversorgung er-
worben habe. Die Ruhegehaltfähigkeit der Berufszeiten bei A und der B ergebe
sich daraus, dass der Kläger besondere, für die Tätigkeit als Fachhochschulpro-
fessor förderliche Kenntnisse erworben habe. Ihrer Berücksichtigung stehe
nicht entgegen, dass der Kläger hierfür andere Versorgungsansprüche erwor-
ben habe, sodass die Summe seine Altersversorgung in der Summe die Ver-
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sorgung eines Laufbahnbeamten mit gleichen ruhegehaltfähigen Dienstzeiten
übersteige. Für beamtete Professoren gelte das die Anrechnungsvorschriften
ansonsten prägende Besserstellungsverbot gegenüber „Nur-Beamten“ im Re-
gelfall nicht.
Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der vom Berufungsgericht zugelasse-
nen Revision und beantragt,
den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs
vom 27. Juli 2010 sowie das Urteil des Verwaltungsge-
richts München vom 20. September 2005 aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, nachdem er seine Anschlussrevision zurückgenommen
hat,
die Revision zurückzuweisen.
Der Vertreter des Bundesinteresses vertritt in Übereinstimmung mit dem Bun-
desministerium des Innern die Auffassung, die Studien- und Prüfungszeit, nicht
aber die Berufszeiten stellten berücksichtigungsfähige Vordienstzeiten dar.
II
Die Revision ist unbegründet, soweit sich der Beklagte gegen die Anerkennung
der Mindeststudien- und Prüfungszeit als ruhegehaltfähige Vordienstzeit wendet
(1). Sie ist jedoch hinsichtlich der Anerkennung einer fünfjährigen beruflichen
Tätigkeit als ruhegehaltfähige Vordienstzeit mit der Maßgabe begründet, dass
der Beschluss des Berufungsgerichts aufzuheben und die Sache an das Beru-
fungsgericht zurückzuverweisen ist (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Insoweit
reichen die Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts für eine abschlie-
ßende Entscheidung des Senats nicht aus (2).
Das Ruhegehalt des Klägers ist nach § 85 BeamtVG in der Fassung der Be-
kanntmachung vom 16. März 1999 (BGBl I S. 322 <350>), zuletzt geändert
durch Art. 14 des Bundesbesoldungs- und Versorgungsanpassungsgesetzes
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2003/2004 vom 10. September 2003 (BGBl I S. 1798) zu bestimmen, weil der
Kläger bereits am Stichtag 31. Dezember 1991 Beamter war und seitdem bis
zum Eintritt in den Ruhestand mit Ablauf des 30. September 2004 ununterbro-
chen in einem Beamtenverhältnis stand. Danach ist über die Berücksichtigung
von Vordienstzeiten nach § 85 Abs. 1 BeamtVG als ruhegehaltfähig nach dem
bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Recht zu entscheiden, weil der sich da-
nach ergebende Ruhegehaltssatz höher ist als bei Zugrundelegung neuen
Rechts (§ 85 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG). Maßgebend sind deshalb die Anrech-
nungsvorschriften des Beamtenversorgungsgesetzes in der Fassung vom
12. Februar 1987 - BeamtVG a.F. - (BGBl I S. 570; vgl. Urteile vom 28. Oktober
2004 - BVerwG 2 C 38.03 - Buchholz 239.1 § 11 BeamtVG Nr. 9 S. 2, vom
28. Februar 2007 - BVerwG 2 C 18.06 - Buchholz 239.1 § 12 BeamtVG Nr. 16
Rn. 22 und vom 24. September 2009 - BVerwG 2 C 63.08 - BVerwGE 135, 14
<16> Rn. 14).
1. Das Berufungsgericht hat die Zeit des Hochschulstudiums im Umfang von
4 ½ Jahren (Mindeststudienzeit von acht Semestern sowie Prüfungszeit von
sechs Monaten) zutreffend nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG a.F. als ru-
hegehaltfähig angesehen.
Nach dieser Anrechnungsregelung kann die erforderliche Mindestzeit der vor-
geschriebenen Hochschulausbildung sowie die übliche Prüfungszeit als ruhe-
gehaltfähig berücksichtigt werden. Vorgeschrieben ist eine Ausbildung, wenn
sie aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften zur Übertragung des
ersten statusrechtlichen Amtes erforderlich ist. Bei der Ausbildung muss es sich
um eine normative Einstellungsvoraussetzung handeln, die der Bewerber erfül-
len muss, um in das Beamtenverhältnis übernommen zu werden (Urteile vom
28. Februar 2007 a.a.O. Rn. 22 und vom 24. September 2009 a.a.O. Rn. 20).
Die besonderen Anrechnungsregelungen des § 67 Abs. 2 BeamtVG a.F. für
Professoren und andere Beamte an Hochschulen schließen die Anwendung der
§§ 10 bis 12 BeamtVG a.F. nicht aus, sondern eröffnen zusätzliche Anrech-
nungsmöglichkeiten (Urteile vom 11. November 1986 - BVerwG 2 C 4.84 -
Buchholz 232.5 § 10 BeamtVG Nr. 8 S. 14 und vom 24. September 2009 a.a.O.
Rn. 18 f.).
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Mindeststudien- und Prüfungszeit eines Hochschulstudiums stellen für Fach-
hochschulprofessoren eine vorgeschriebene Ausbildung dar, weil die Ernen-
nung ein abgeschlossenes Hochschulstudium voraussetzt (vgl. § 44 Abs. 1
Nr. 1 des Hochschulrahmengesetzes - HRG - in der Fassung der Bekanntma-
chung vom 9. April 1987; § 32 Abs. 1 Nr. 1 Fachhochschulgesetz NRW vom
20. November 1979 , zuletzt geändert durch Gesetz vom
15. März 1988 ; Art. 11 Abs. 1 Satz 1 des Bayerischen
Hochschullehrergesetzes - BayHSchLG - in der bis zum 31. Juli 1994 geltenden
Fassung der Bekanntmachung vom 27. Juni 1989>).
Vorgeschriebene Ausbildungszeiten im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
BeamtVG a.F. sind in dem gesetzlich vorgesehenen Umfang als ruhegehaltfä-
hig zu berücksichtigen, wenn der Beamte für die Ausbildungszeiten keine ande-
re Anwartschaft auf eine Altersversorgung erworben hat. Das nach dem Geset-
zeswortlaut eröffnete behördliche Ermessen ist dann auf Null reduziert. Dies
folgt, wie der Senat bereits wiederholt entschieden hat, aus dem Zweck des
§ 12 Abs. 1 BeamtVG a.F. Dieser besteht darin, Beamten, die eine für die Über-
nahme in das Beamtenverhältnis vorgeschriebene Ausbildung außerhalb eines
Beamtenverhältnisses durchlaufen haben, annähernd die Versorgung zu er-
möglichen, die sie erhalten würden, wenn sie die Ausbildung im Beamtenver-
hältnis auf Widerruf absolviert hätten. Das gesetzliche Gleichstellungsgebot
bezieht sich auf die vorgeschriebenen Ausbildungszeiten, nicht auf die Höhe
der Gesamtversorgung. Bei der Anrechnung nach § 12 Abs. 1 BeamtVG a.F.
geht es nicht um die Vermeidung einer Doppelversorgung aus öffentlichen Mit-
teln oder eine Begrenzung des Ruhegehalts, sondern ausschließlich um die
Schließung einer Versorgungslücke durch die Berücksichtigung von vorge-
schriebenen Ausbildungszeiten bei der Festsetzung der ruhegehaltfähigen
Dienstzeit. Daher kann die Anrechnung dieser Zeiten auch nicht mit der Be-
gründung abgelehnt werden, die dadurch bewirkte Besserstellung könne nicht
durch die Ruhensregelungen des § 55 BeamtVG beseitigt oder abgeschwächt
werden (Urteile vom 11. Dezember 2008 - BVerwG 2 C 9.08 - Buchholz 239.1
§ 12 BeamtVG Nr. 17 Rn. 15 m.w.N. und vom 27. Januar 2011 - BVerwG 2 C
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4.10 - Rn. 19
BeamtVG Nr. 20>).
Das Berufungsgericht hat nach § 137 Abs. 2 VwGO bindend festgestellt, dass
der Kläger für die Zeit des Hochschulstudiums keine Versorgungsanwartschaf-
ten erworben hat. Der Umstand, dass diese Ausbildungszeiten in der gesetzli-
chen Rentenversicherung Berücksichtigung gefunden hätten (vgl. § 58 Abs. 1
Satz 1 Nr. 4 SGB VI), ist versorgungsrechtlich ohne Belang, da der Kläger nach
Art. 2 § 1 AnVG in den bis zum 31. Dezember 1991 gültigen Fassungen von der
Versicherungspflicht befreit war (vgl. Urteil vom 12. Februar 1971 - BVerwG 6 C
126.67 - Buchholz 232 § 116 BBG Nr. 14 S. 2, 5 f.). Der Berücksichtigung kann
auch nicht entgegengehalten werden, die Zahlung aus der befreienden Lebens-
versicherung führe - anders als eine gesetzliche Rente - nicht nach § 55
BeamtVG zu einem teilweisen Ruhen der Versorgungsbezüge des Klägers.
2. Der Senat kann nicht abschließend darüber entscheiden, ob die Zeiten der
Berufstätigkeit des Klägers vor Beginn des Beamtenverhältnisses im Umfang
von fünf Jahren als ruhegehaltfähig anzuerkennen sind.
Nach § 67 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG a.F. kann die nach erfolgreichem Abschluss
eines Hochschulstudiums bis zur Ernennung zum Professor liegende Zeit einer
hauptberuflichen Tätigkeit als ruhegehaltfähig berücksichtigt werden, wenn in
dieser Zeit besondere Fachkenntnisse erworben wurden, die für die Wahrneh-
mung des Amtes förderlich sind. Förderlich in diesem Sinne sind Fachkenntnis-
se, die dem späteren Beamten bei der Ausübung des ersten übertragenen Am-
tes von Nutzen sein können, ohne dass es sich um eine Einstellungsvorausset-
zung handeln muss (Urteile vom 14. März 2002 - BVerwG 2 C 4.01 - Buchholz
239.1 § 10 BeamtVG Nr. 14 S. 5, vom 28. Februar 2007 a.a.O Rn. 22 und vom
24. September 2009 a.a.O. Rn. 16). Kenntnisse, die außerdem normativ als
Einstellungsvoraussetzung gefordert sind, sind stets als förderlich einzustufen
(Urteil vom 28. Februar 2007 a.a.O. Rn. 22).
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Soweit Zeiten im vorstehenden Sinne zugleich nach § 44 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b
HRG Einstellungsvoraussetzung für das Amt des Professors sind, sollen sie
nach § 67 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 1 BeamtVG a.F. als ruhegehaltfähig berücksich-
tigt werden. Dies ist dann der Fall, wenn es sich um Zeiten handelt, in denen
besondere Leistungen bei der Anwendung oder Entwicklung wissenschaftlicher
Erkenntnisse und Methoden in einer mindestens fünfjährigen beruflichen Praxis
erbracht worden sind; drei Jahre dieses Zeitraums müssen zudem außerhalb
der Hochschule erbracht worden sein. Liegen diese Voraussetzungen des § 44
Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b HRG vor, erstarkt die Ermessensregelung des § 67
Abs. 2 Satz 3 BeamtVG a.F. zu einer Sollvorschrift, sodass die von der Rege-
lung erfassten Vordienstzeiten in aller Regel als ruhegehaltfähig zu berücksich-
tigen sind. Maßgeblich sind diejenigen Zeiten, in denen die Voraussetzungen
des § 44 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b HRG vor der Ernennung zum Fachhochschul-
professor jeweils zuletzt erfüllt wurden (hier: 11. Januar 1986 bis 10. Januar
1991).
Daraus folgt, dass die Ruhegehaltfähigkeit dieser Zeiten nur dann ermessens-
fehlerfrei abgelehnt werden darf, wenn ihre Anrechnung dem Zweck des § 67
Abs. 2 BeamtVG a.F. widerspräche. Dieser besteht in Übereinstimmung mit
dem Zweck der §§ 10 und 11 BeamtVG a.F. darin, Beamten, die erst im vorge-
rückten Lebensalter in das Beamtenverhältnis übernommen worden sind, an-
nähernd diejenige Altersversorgung zu ermöglichen, die sie erhalten hätten,
wenn sie die Vordienstzeiten im Beamtenverhältnis verbracht hätten. Die zu-
sätzliche Anrechnungsvorschrift des § 67 Abs. 2 BeamtVG a.F. trägt den Be-
sonderheiten des Hochschuldienstes Rechnung, indem sie die Berücksichti-
gungsfähigkeit von förderlichen Vordienstzeiten gegenüber den allgemeinen
Vorschriften erweitert (Urteil vom 24. September 2009 a.a.O. Rn. 25).
Darin erschöpft sich die Anreizfunktion des § 67 Abs. 2 BeamtVG a.F. Der
Zweck, geeignete Bewerber als Fachhochschulprofessoren zu gewinnen, recht-
fertigt nicht, die berücksichtigungsfähigen Vordienstzeiten auch als ruhegehalt-
fähig anzurechnen, wenn und soweit sie nicht zu einer annähernden oder voll-
ständigen Gleichstellung, sondern zu einer Besserstellung gegenüber „Nur-
Beamten“ führen. Dies wäre der Fall, wenn die Altersversorgung eines beamte-
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ten Professors oder eines anderen Hochschulangehörigen durch die Anrech-
nung sogenannter förderlicher Vordienstzeiten in ihrer Gesamtheit über das
Ruhegehalt hinausginge, das der Beamte erreicht hätte, wenn er die Zeiten im
Beamtenverhältnis verbracht hätte (Urteile vom 16. Juli 2009 - BVerwG 2 C
43.08 - Buchholz 239.1 § 11 BeamtVG Nr. 13 Rn. 21 und vom 24. September
2009 a.a.O. Rn. 26).
Es lässt sich weder dem Wortlaut noch der Entstehungsgeschichte des § 67
Abs. 2 BeamtVG a.F. entnehmen, dass diese Anrechnungsvorschrift einem da-
rüber hinausgehenden Zweck dienen soll:
Das Anfang 1976 in seiner ersten Fassung (vom 26. Januar 1976, BGBl I
S. 185) in Kraft getretene Hochschulrahmengesetz enthielt in seinem damaligen
§ 52 Abs. 2 die mit dem Inkrafttreten des Beamtenversorgungsgesetzes (vom
24. August 1974, BGBl I S. 2485) in § 67 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG übernomme-
ne Vorgängervorschrift. In der Gesetzesbegründung (BTDrucks 7/1328 S. 70)
wird hervorgehoben, dass die Berücksichtigung zusätzlicher Zeiten bei der Be-
amtenversorgung der Gewinnung qualifizierten Nachwuchses für die Forschung
und Lehre an den Hochschulen dient. Zur Sollvorschrift heißt es:
Im Fall des § 47 Abs. 1 Nr. 2a, Halbsatz 2 ist es folgerich-
tig, die Anrechnung entsprechender Zeiten als Sollvor-
schrift vorzusehen; denn in diesem Fall handelt es sich
nicht nur um den Erwerb von Fachkenntnissen, die für das
Hochschullehreramt förderlich sind, sondern auch um ei-
nen vom Gesetz selbst vorgesehenen Qualifikationsweg
für das Hochschullehreramt.
Diese Formulierung deutet lediglich darauf hin, dass die Berücksichtigungsfä-
higkeit von förderlichen Vordienstzeiten erweitert werden sollte.
Daher bietet die Ermessensausübung im Rahmen des § 67 Abs. 2 BeamtVG
a.F. eine Handhabe zu verhindern, dass Beamte aufgrund der Berücksichtigung
von Vordienstzeiten als ruhegehaltfähig und deren zusätzlicher Anrechnung in
einem anderen System der Alterssicherung eine höhere Gesamtversorgung aus
öffentlichen Mitteln erhalten, als wenn sie diese Zeiten im Beamtenverhältnis
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abgeleistet hätten. Umgekehrt überschreitet die Versorgungsbehörde den ge-
setzlich eröffneten Ermessensspielraum, wenn sie eine Berücksichtigung ab-
lehnt, obwohl der Beamte dadurch schlechter gestellt wird, als wenn er die Zei-
ten im Beamtenverhältnis verbracht hätte.
Um dem Gesetzeszweck der Gleichstellung Rechnung zu tragen, muss die
Versorgungsbehörde eine Vergleichsberechnung anstellen: Das Ermessen wird
im Regelfall rechtsfehlerfrei ausgeübt, wenn die Berücksichtigung der Vor-
dienstzeiten abgelehnt wird, soweit in dieser Zeit erworbene andere Versor-
gungsleistung die Ruhegehaltseinbuße ausgleicht. Die Gesamtversorgung aus
Ruhegehalt und anderer Versorgungsleistung darf nicht niedriger ausfallen als
das Ruhegehalt bei Berücksichtigung der Vordienstzeiten. Handelt es sich bei
der anderen Versorgung um eine Rente im Sinne von § 55 Abs. 1 Satz 2 und
Abs. 3 BeamtVG, so muss die Behörde das Ermessen so ausüben, dass die
Summe aus auszuzahlendem Ruhegehalt und Rente die Höchstgrenze gemäß
§ 55 Abs. 2 BeamtVG nicht unterschreitet. Die Nichtberücksichtigung von Vor-
dienstzeiten wird ermessensfehlerhaft, wenn sie dazu führt, dass dem Beamten
ein Ruhegehalt unterhalb der gesetzlichen Höchstgrenze ausgezahlt und die
Differenz nicht durch eine andere Versorgung ausgeglichen wird (Urteile vom
16. Juli 2009 a.a.O. Rn. 21 und vom 24. September 2009 a.a.O. Rn. 27
m.w.N.).
Die Ermessensausübung im Rahmen der §§ 10, 11 und § 67 Abs. 2 BeamtVG
hat die in § 55 BeamtVG zum Ausdruck kommende gesetzliche Wertung zu
berücksichtigen. Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen dürfen Leistun-
gen der Altersversorgung, die von der Ruhensvorschrift des § 55 BeamtVG
nicht erfasst werden, auch nicht zu Lasten des Beamten in die Ermessensaus-
übung bei den Anrechnungsvorschriften einbezogen werden. Dies gilt allerdings
nicht für Leistungen, die - wie die befreiende Lebensversicherung - an die Stelle
der gesetzlichen Rente treten.
Daher muss im vorliegenden Fall aufgeklärt werden, ob der Kläger mit der
VBL-Rente und der befreienden Lebensversicherung einen (zumindest) gleich-
wertigen Versorgungsanteil erworben hat, wie er ihn erworben hätte, wenn er in
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dem maßgeblichen Zeitraum in einem Beamtenverhältnis gestanden hätte. Die
Betrachtung hat isoliert auf diesen Zeitraum (11. Januar 1986 bis 10. Januar
1991) zu erfolgen. Nur soweit die anderweitige Versorgung des Klägers hinter
dem zurück bleibt, was er in dieser Zeit in einem Beamtenverhältnis erdient hät-
te, ist eine Anrechnung gem. § 67 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG gerechtfertigt.
In Bezug auf die befreiende Lebensversicherung ist zudem zu ermitteln, ob und
in welcher Höhe der Arbeitgeber Zuschüsse gezahlt hat. Es handelt sich um
eine vom Kläger abgeschlossene private Altersvorsorge, die nicht zu berück-
sichtigen ist, wenn der Kläger sie ausschließlich oder weit überwiegend aus
eigenen Mitteln finanziert hat (Urteil vom 24. September 2009 a.a.O. Rn. 28
m.w.N., Rn. 31). Dies bedeutet, dass bei einer zu mehr als 10 v.H. vom Arbeit-
geber finanzierten befreienden Lebensversicherung nur der vom Arbeitgeber
finanzierte Anteil Auswirkungen auf die Höhe des Ruhegehalts haben kann. Der
Senat zieht insoweit den Rechtsgedanken des § 10 Abs. 2 BeamtVG a.F. he-
ran, der eine anteilige Berücksichtigung der Zeiten im Verhältnis zum vom Be-
amten gezahlten Anteil nahe legt. Es darf dem Kläger nicht zum Nachteil gerei-
chen, wenn und soweit er mit eigenen Mitteln Altersvorsorge betrieben hat (vgl.
Urteil vom 24. September 2009 a.a.O. Rn. 28 m.w.N).
Soweit der Kläger seine Anschlussrevision zurückgenommen hat, ist das Ver-
fahren nach § 92 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO
mit der Kostenfolge aus § 155 Abs. 2 VwGO einzustellen. Ein Kostenausspruch
erfolgt gleichwohl nicht, da dieser der einheitlichen Kostenentscheidung in der
Schlussentscheidung vorbehalten ist.
VRiBVerwG Herbert
Dr. von der Weiden
Thomsen
ist wegen Urlaubs verhindert
zu unterschreiben.
Dr. von der Weiden
Dr. Maidowski
Dr. Hartung
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B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf
31 422,72 € festgesetzt.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Der
Wert des Streitgegenstandes für das Revisionsverfahren beträgt bis zur Rück-
nahme der Anschlussrevision 31 422,72 € sowie danach 11 648,40 €. Da ein
einheitlicher Streitwert festzusetzen ist, ist der höhere maßgeblich.
VRiBVerwG Herbert
Dr. von der Weiden
Thomsen
ist wegen Urlaubs verhindert
zu unterschreiben.
Dr. von der Weiden
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Beamtenversorgungsrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
BeamtVG 1991
§§ 12, 55, 67
BeamtVG
§ 85
HRG 1991
§ 44
Stichworte:
Ruhestandsbeamter; Fachhochschulprofessor; Ruhegehaltssatz; Bestands-
schutz für den am 31. Dezember 1991 erreichten Versorgungsstand; ruhege-
haltfähige Dienstzeit; Vordienstzeiten; Kannvorschrift; Sollvorschrift; abge-
schlossenes Hochschulstudium; berufspraktische Zeit; Verwaltungspraxis der
Ermessensausübung; Versorgungsanspruch aus einem anderen Alterssiche-
rungssystem; versorgungsrechtliche Gleichstellung mit „Nur-Beamten“; be-
freiende Lebensversicherung; Rente der Versorgungsanstalt des Bundes und
der Länder.
Leitsätze:
1. Die Ermessensentscheidungen nach § 67 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 1 BeamtVG
a.F. über die Berücksichtigung einer für Fachhochschulprofessoren vorge-
schriebenen berufspraktischen Tätigkeit haben sich daran zu orientieren, ob
und in welcher Höhe der Beamte aufgrund dieser Zeiten anderweitige Versor-
gungsansprüche erworben hat.
2. Die nach § 67 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 1 BeamtVG a.F. zu berücksichtigenden
Zeiten sind diejenigen, in denen die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Nr. 4
Buchst. b HRG vor der Ernennung zum Fachhochschulprofessor jeweils zuletzt
erfüllt wurden.
Urteil des 2. Senats vom 26. Januar 2012 - BVerwG 2 C 49.10
I. VG München vom 20.09.2005 - VG M 5 K 05.34 -
II. VGH München vom 27.07.2010 - VGH 3 BV 05.2876 -