Urteil des BVerwG vom 25.03.2010

Anspruch auf Bewilligung, Beihilfe, Bvo, Fürsorgepflicht

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 C 48.08
OVG 1 A 1208/06
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. März 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Groepper,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Burmeister und Dr. Maidowski
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen den Beschluss des Ober-
verwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen
vom 16. Juli 2007 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Der Kläger stand als Beamter der Besoldungsgruppe A 9 im Dienst des Beklag-
ten. Auf seinen Antrag, ihm für während der Jahre 1998 und 1999 entstandene
krankheitsbedingte Aufwendungen Beihilfen zu gewähren, setzte der Beklagte
unter Abzug der jährlichen Selbstbeteiligung des Klägers für das Jahr 1999 von
200 DM (102,26 €) eine Beihilfe in Höhe von 2 504,17 DM (1 280,36 €) fest.
Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren ausgesetzt und gemäß Art. 100
Abs. 1 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfas-
sungsmäßigkeit des § 12a BVO NRW eingeholt, das Bundesverfassungsgericht
hat diese Vorlage durch Beschluss vom 27. September 2005 als unzulässig
verworfen. Durch Urteil vom 3. März 2006 hat das Verwaltungsgericht den Be-
klagten unter Änderung des Ausgangsbescheids und Aufhebung des Wider-
spruchsbescheids zur Gewährung einer weiteren Beihilfe in Höhe von 102,26 €
(200 DM) verpflichtet. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwal-
tungsgericht das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage im Wesentli-
chen aus folgenden Gründen abgewiesen:
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§ 12a BVO NRW in der für 1999 maßgeblichen Fassung sei formell und mate-
riell rechtmäßig. Die Vorschrift beruhe auf einer hinreichenden Rechtsgrundla-
ge; es sei auch nicht zu beanstanden, dass sie durch ein Parlamentsgesetz in
die BVO NRW eingefügt worden sei. Sie verstoße weder gegen das Alimentati-
onsprinzip noch die Fürsorgepflicht des Dienstherrn, weil die Selbstbeteiligung
der Beamten an den Krankheitskosten auf maßvolle Beträge beschränkt sei.
Auch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 GG liege nicht vor.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision. Er beantragt,
den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 16. Juli 2007 zu ändern und die
Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwal-
tungsgerichts Gelsenkirchen vom 3. März 2006 zurückzu-
weisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
II
Die Revision des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten
gemäß § 101 Abs. 2, § 125 Abs. 1, § 141 Satz 1 VwGO ohne mündliche Ver-
handlung entscheiden kann, ist unbegründet. Das Urteil des Berufungsgerichts
ist nicht zu beanstanden. Der Beklagte war berechtigt, die Beihilfe des Klägers
für das Jahr 1999 um die Kostendämpfungspauschale gemäß § 12a der nord-
rhein-westfälischen Beihilfenverordnung - BVO NRW - zu kürzen (dazu 1.). Ein
Begehren des Klägers festzustellen, dass seine Alimentation die Grenze der
Amtsangemessenheit in einem bestimmten Zeitraum unterschritten habe, ist
nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden (dazu 2.).
1. Gemäß § 12a Abs. 1 BVO NRW in der hier maßgebenden Fassung des
Art. II Nr. 8 des Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes
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Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 1999 und zur Sicherung des Haus-
halts vom 17. Dezember 1998 (GV. NRW S. 750 <757>) wird die Beihilfe je
Kalenderjahr, in dem ein Beihilfeantrag gestellt wird, um eine gestaffelte Kos-
tendämpfungspauschale von 200 bis 1 000 DM (102,26 bis 511,29 €) gekürzt.
Beamte mit einem Amt der Besoldungsgruppe A 9 sind der Stufe 1 (200 DM
bzw. 102,26 €) zugeordnet. Für jedes berücksichtigungsfähige Kind verringert
sich die Kostendämpfungspauschale nach § 12a Abs. 5 BVO NRW um 50 DM
(25,56 €).
§ 12a Abs. 1 BVO NRW unterliegt nach der gefestigten Rechtsprechung des
Senats weder hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalts noch
im Hinblick auf Art. 33 Abs. 5 GG und Art. 3 Abs. 1 GG Bedenken. Insbesonde-
re verlangen weder die Alimentations- noch die Fürsorgepflicht, dass Aufwen-
dungen im Krankheitsfall durch Leistungen einer beihilfekonformen Kranken-
versicherung und ergänzende Beihilfeleistungen lückenlos gedeckt werden. Der
Rechtsauffassung, es sei systemwidrig und deshalb verfassungswidrig, das
geltende Mischsystem der Beihilfe dahin zu modifizieren, dass dem Beamten
ein nicht versicherbarer Selbstbehalt auferlegt werde, ist der Senat in seinem
Urteil vom 20. März 2008 (BVerwG 2 C 49.07, BVerwGE 131, 20) entgegenge-
treten. Auf dieses Urteil wird Bezug genommen. Der Revisionsvortrag des Klä-
gers bietet keinen Anlass zu weitergehenden Ausführungen.
2. Soweit der Kläger ergänzend vorträgt, zu seinen Lasten liege „eher eine Un-
teralimentation“ vor, verhilft auch dies der Revision nicht zum Erfolg. Denn
selbst wenn das Gebot amtsangemessener Alimentation als Folge von Kürzun-
gen bei unterschiedlichen Besoldungs- oder Fürsorgeleistungen verletzt wäre,
würde daraus kein Anspruch auf Bewilligung einer höheren Beihilfe folgen,
sondern ein Anspruch auf Anhebung des Alimentationsniveaus. Ein solcher
Anspruch wäre mit Hilfe einer Klage auf Feststellung durchzusetzen, dass und
ab wann der Dienstherr seine Alimentationspflicht verletzt hat.
Dem Gesetzgeber kommt bei der Ausgestaltung eines den Vorgaben des
Art. 33 Abs. 5 GG entsprechenden Systems von Alimentation und Fürsorgeleis-
tungen, insbesondere bei der Entscheidung darüber, ob und in welchem Um-
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fang Beihilfeleistungen gewährt werden, ein erheblicher Spielraum zu. Das Bei-
hilfensystem als solches ist nicht verfassungsrechtlich verankert, da es nicht zu
den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG)
gehört. Ob die Fürsorge in Krankheits- und Pflegefällen durch Beihilfeleistun-
gen, durch Mittel der Regelalimentation zur Finanzierung einer Krankenversi-
cherung oder nicht versicherbarer Belastungen oder durch eine Kombination
aus diesen Elementen unter Wahrung der Amtsangemessenheit der Alimenta-
tion sichergestellt wird, ist dem Gesetzgeber überlassen (BVerfG, Beschluss
vom 7. November 2002 - 2 BvR 1053/98 - BVerfGE 106, 225 <232 f.>;
Kammerbeschluss vom 2. Oktober 2007 – 2 BvR 1715/03 u.a. - DVBl 2007,
1493 <1495>; BVerwG, Urteil vom 3. Juli 2003 - BVerwG 2 C 36.02 - BVerwGE
118, 277 <279 f.>). Der Spielraum des Gesetzgebers bei der Gestaltung des
Besoldungsrechts wird grundsätzlich erst durch Maßnahmen überschritten, die
sich als evident sachwidrig erweisen (BVerfG, Beschlüsse vom 4. April 2001
- 2 BvL 7/98 - BVerfGE 103, 310 <320> und vom 6. Mai 2004 - 2 BvL 16/02 -
BVerfGE 110, 353 <364>; stRspr). Deshalb kann der Gesetzgeber das Alimen-
tationsniveau sowohl dadurch anheben, dass er die Dienstbezüge erhöht, als
auch dadurch, dass er besoldungsrelevante Einschnitte rückgängig macht oder
Fürsorgeleistungen gewährt. Selbst wenn das Beihilfensystem so ausgestaltet
sein sollte, dass die Beamten in Krankheits- und Pflegefällen unter Verstoß ge-
gen das Gebot amtsangemessener Alimentation mit unzumutbaren Kosten be-
lastet werden, würde daraus nicht die Nichtigkeit der entsprechenden beihilfe-
rechtlichen Vorschriften folgen, sondern die Notwendigkeit einer Anpassung des
Alimentationsniveaus etwa durch Änderung des Besoldungsgesetzes.
Der Beamte, der sein grundrechtsgleiches Recht auf amtsangemessene Ali-
mentation geltend machen will, kann dieses Ziel deshalb nicht durch eine Klage
auf Gewährung von Fürsorgeleistungen erreichen. Es ist Sache des Gesetzge-
bers zu entscheiden, in welcher Weise die amtsangemessene Alimentation si-
chergestellt wird. Dieser Gestaltungsspielraum kann nur dadurch gewahrt wer-
den, dass betroffene Beamte ihren auf eine höhere Alimentation zielenden An-
spruch prozessual durch eine Feststellungsklage geltend machen (stRspr; Ur-
teile vom 20. März 2008 a.a.O., vom 28. Mai 2009 - BVerwG 2 C 23.07 - Buch-
holz 11 Art. 57 GG Nr. 1 und vom 6. November 2009 - BVerwG 2 C 60.08 -; vgl.
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auch Urteil vom 20. Juni 1996 - BVerwG 2 C 7.95 - Buchholz 240 § 2 BBesG
Nr. 8 und BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Oktober 2009 - 2 BvL 13/08 u.a. -
juris). Dieser Weg ist ihnen auch im Hinblick auf das Gebot effektiven
Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) zuzumuten, da davon auszugehen ist, dass
der Gesetzgeber die Konsequenzen aus einer entsprechenden gerichtlichen
Feststellung ziehen wird. In wirtschaftlichen Notlagen kommen unter dem
Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht vorläufige Zahlungen in Betracht (Urteil vom
20. Juni 1996, a.a.O.).
Ein auf die Feststellung einer verfassungswidrig unzureichenden Alimentation
gerichtetes Begehren ist im vorliegenden Fall jedoch nicht Gegenstand des Re-
visionsverfahrens. Ein solches Begehren lässt sich dem Vortrag des Klägers in
erster und zweiter Instanz nach den Feststellungen des Berufungsgerichts we-
der ausdrücklich noch konkludent entnehmen; im Revisionsverfahren wäre eine
entsprechende Klageänderung im Übrigen gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 VwGO
unzulässig.
Der Streitgegenstand im verwaltungsgerichtlichen Verfahren wird nicht nur
durch den Klageantrag, sondern auch durch den Klagegrund bestimmt. Neben
der angestrebten Rechtsfolge ist deshalb auch der Sachverhalt, aus dem sich
diese Rechtsfolge ergeben soll, für den Streitgegenstand bestimmend (Be-
schluss vom 9. August 2000 - BVerwG 8 B 72.00 - Buchholz 310 § 121 VwGO
Nr. 80). Das Gericht ist bei der Ermittlung des Begehrens zwar nicht an die Fas-
sung der Anträge gebunden, darf aber über das Klagebegehren nicht hinaus-
gehen (§ 88 VwGO). Im vorliegenden Fall hat der Kläger sich nach den in erster
und zweiter Instanz gestellten Anträgen auf die Anfechtung des Beihilfebe-
scheids vom 21. und 29. Januar 1999 und des Widerspruchsbescheids vom
11. Februar 1999 sowie auf die Erhebung einer Verpflichtungsklage auf Ge-
währung einer weiteren Beihilfe in Höhe von 102,26 € für das Jahr 1999 be-
schränkt. Damit hat er den zur Entscheidung des Gerichts gestellten Sachver-
halt auf das Beihilferecht beschränkt; alleiniges Ziel des Verfahrens ist - wie
sich nicht zuletzt in dem vom Berufungsgericht festgesetzten Streitwert wider-
spiegelt - die Durchsetzung eines bezifferten Anspruchs auf höhere Beihilfeleis-
tungen. Zwar ist der Kläger zur Begründung des geltend gemachten Leistungs-
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begehrens auch auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit seiner Besoldung im
Jahr 1999 eingegangen. Diesen Ausführungen kommt für das angestrebte
Rechtsschutzziel jedoch lediglich die Funktion eines Begründungselements zu,
das die Voraussetzungen für die Gewährung weiterer Fürsorgeleistungen bele-
gen soll. Ein auf die allgemeine und dauerhafte Erhöhung der Bezüge durch
Tätigwerden des Gesetzgebers gerichtetes Klagebegehren hat der Kläger we-
der formuliert noch ist es als nachrangiges Begehren in dem streitgegenständli-
chen Leistungsantrag auf Gewährung einer weiteren Beihilfe enthalten, weil die
Rechtsschutzziele beider Begehren nicht identisch sind (vgl. Urteil vom 28. April
2005 - BVerwG 2 C 1.04 - BVerwGE 123, 308 <312>).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Herbert
Groepper
Thomsen
Dr. Burmeister
Dr. Maidowski
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes für das Revisionsverfahren wird auf 103 €
festgesetzt.
Herbert
Thomsen
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