Urteil des BVerwG vom 28.07.2011

Pflicht zur Dienstleistung, Gleitzeit, Gleitende Arbeitszeit, Beamtenverhältnis

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 C 45.09
OVG 10 A 10171/09
Verkündet
am 28. Juli 2011
Stowasser
Obersekretär
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 28. Juli 2011
durch den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Maidowski,
Dr. Hartung und Dr. Fleuß
für Recht erkannt:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem
Arbeitszeitkonto des Klägers in die Gleitzeit fallende Zeiten
der Tätigkeit als ehrenamtlicher Richter gutzuschreiben,
soweit diese drei Stunden pro Kalenderwoche überschrei-
ten. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-
Pfalz vom 19. Juni 2009, das Urteil des Verwaltungsge-
richts Koblenz vom 4. November 2008 und der Bescheid
des Bundesamtes ... vom 23. Januar 2006 werden aufge-
hoben, soweit sie dem entgegenstehen.
Im Übrigen werden die Berufung des Klägers und die Revi-
sion der Beklagten zurückgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens tragen der Kläger drei Vier-
tel und die Beklagte ein Viertel.
G r ü n d e :
I
Der Kläger steht als Oberregierungsrat im Dienst der Beklagten; er ist beim
Bundesamt … tätig. Dort nimmt er an einer durch Dienstvereinbarung einge-
führten Regelung zur gleitenden Arbeitszeit teil. Danach ist die Kernarbeitszeit
auf die Zeit zwischen 9.00 Uhr und 15.00 Uhr, freitags zwischen 8.30 Uhr und
14.00 Uhr, die Gleitzeit jeweils auf die Zeit von 6.30 Uhr bis zum Beginn der
Kernarbeitszeit sowie vom Ende der Kernarbeitszeit bis 20.00 Uhr (Rahmenar-
beitszeit) festgelegt. Die Regelarbeitszeit beträgt 41 Stunden wöchentlich. Der
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Kläger ist zum Schöffen beim Landgericht … berufen worden. Zeiten, in denen
er während der Kernarbeitszeit als Schöffe in Anspruch genommen wird, wer-
den seinem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben.
Seinen Antrag auf Gutschrift der in die Gleitzeit fallenden Zeiten für die Jahre
2005 bis 2007 (27 Stunden und 21 Minuten) lehnte die Beklagte ab. Die nach
erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat in der Berufungsinstanz Erfolg
gehabt. Das Berufungsgericht hat außerdem festgestellt, dass die Beklagte ver-
pflichtet ist, dem Arbeitszeitkonto des Klägers künftig die Zeiten seiner Tätigkeit
als Schöffe auch außerhalb der Kernarbeitszeit, jedoch höchstens im Umfang
der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit gutzuschreiben. Zur Begründung hat es
im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger könne nach § 45 Abs. 1a Satz 2 DRiG
die Freistellung vom Dienst verlangen, soweit dies für die Wahrnehmung der
Schöffentätigkeit erforderlich sei. Mit dem Freistellungsanspruch gehe der An-
spruch auf Anrechnung dieser Zeiten als Arbeitszeit einher. Dies gelte auch für
Gleitzeitphasen, weil es auch hier zu einer zeitlichen Kollision mit der Dienst-
leistungspflicht kommen könne. Die Zeitgutschrift sei allerdings auf die tägliche
Regelarbeitszeit begrenzt, da eine weitergehende Anrechnung auch im Hinblick
auf das Benachteiligungsverbot des § 45a Abs. 1a Satz 1 DRiG nicht geboten
sei.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision. Sie beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz
vom 19. Juni 2009 aufzuheben und die Berufung des Klä-
gers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz
vom 4. November 2008 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt das Berufungsurteil.
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Der Vertreter des Bundesinteresses unterstützt die Revision der Beklagten.
II
Die Revision der Beklagten ist teilweise begründet. Sowohl die vom Berufungs-
gericht ausgesprochene Verpflichtung der Beklagten, dem Arbeitszeitkonto des
Klägers 27 Stunden und 21 Minuten gutzuschreiben, als auch dessen Feststel-
lung, soweit sie die Anrechnung von mehr als drei in die Gleitzeit fallenden
Stunden der Schöffentätigkeit pro Kalenderwoche umfasst, verletzen revisibles
Recht, nämlich § 45 Abs. 1a Satz 1 und 2 DRiG (§ 137 Abs. 1 VwGO).
1. Ein Anspruch auf Freistellung vom Dienst für die in die Gleitzeit fallende
Schöffentätigkeit folgt nicht aus § 45 Abs. 1a Satz 2 des Deutschen Richterge-
setzes - DRiG - i.d.F. des Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes vom 21. Dezember 2004
(BGBl I S. 3599). Danach kann daraus auch kein Anspruch auf Anrechnung
dieser Zeiten auf die Arbeitszeit (Gutschrift auf dem Arbeitszeitkonto) hergelei-
tet werden.
Nach § 45 Abs. 1a Satz 2 DRiG sind ehrenamtliche Richter für die Zeit ihrer
Amtstätigkeit von ihrem Arbeitgeber von der Arbeitsleistung freizustellen. Die
Vorschrift dient dem Schutz der Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung
(BTDrucks 14/9006 S. 12; vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. April 2000 - 1 BvL
2/00 - AP Nr. 2 zu § 26 ArbGG 1979). Sie setzt voraus, dass der ehrenamtliche
Richter in eine zeitliche Kollision zwischen dienstlichen und richterlichen Aufga-
ben gerät. Für den Fall, dass der ehrenamtliche Richter verpflichtet ist, während
der festgelegten Arbeitszeit bei Gericht tätig zu sein, räumt § 45 Abs. 1a Satz 2
DRiG der Schöffentätigkeit den Vorrang ein. Der Arbeitgeber hat dem Beamten
die Wahrnehmung des Ehrenamtes zu ermöglichen, indem er ihn von seiner
Dienstleistungspflicht im erforderlichen Umfang entbindet.
Die Freistellungsregelung trifft keine Aussage zu der Frage, ob der ehrenamtli-
che Richter die versäumte Arbeitszeit nachzuholen hat. Vielmehr ergibt sich
dies für Beamte aus dem Grundsatz, dass ausgefallener Dienst vom Beamten
nicht nachzuholen ist, sondern nur besoldungs- und disziplinarrechtliche Fol-
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gen, etwa nach § 9 BBesG bei verschuldetem Fernbleiben den Verlust der
Dienstbezüge, nach sich ziehen kann. Der vom Beamten geschuldete Dienst
besteht in der Pflicht, die dienstlichen Aufgaben während eines bestimmten
Zeitraums zu erfüllen. Für ein Nacharbeiten versäumter Arbeitszeit fehlt die
rechtliche Grundlage (stRspr, vgl. Urteil vom 1. April 2004 - BVerwG 2 C 14.03 -
Buchholz 232 § 72 BBG Nr. 40). Daher ist in den Fällen, in denen eine Freistel-
lung erforderlich wird, nach § 45 Abs. 1a Satz 2 DRiG versäumte Arbeitszeit ar-
beitszeitrechtlich als im Beamtenverhältnis geleistet zu behandeln und folglich
dem Arbeitszeitkonto des Beamten gutzuschreiben.
Aufgrund des Regelungsinhalts des § 45 Abs. 1a Satz 2 DRiG als Kollisions-
norm ist für eine Freistellung mit dem Ziel, die Ausübung des Ehrenamtes zeit-
lich zu ermöglichen, kein Raum, wenn es an einer Pflichtenkollision fehlt, weil
einer Pflicht zur Ausübung des Ehrenamtes keine zeitlich konkretisierte Pflicht
zur Dienstleistung im Beamtenverhältnis entgegensteht (Urteile vom 11. De-
zember 1985 - BVerwG 2 C 8.84 - BVerwGE 72, 289 <290 f.> = Buchholz 237.6
§ 108 LBG Niedersachsen Nr. 1 und vom 30. Juni 1988 - BVerwG 2 C 60.86 -
BVerwGE 79, 366 <368> = Buchholz 237.0 § 99 BaWüLBG Nr. 3 S. 3; vgl.
nunmehr für Arbeitnehmer BAG, Urteil vom 22. Januar 2009 - 6 AZR 78/08 -
BAGE 129, 170 <175 f. Rn. 19>).
Gilt für den Beamten eine Gleitzeitregelung, ist zu unterscheiden: Eine zeitlich
konkretisierte Dienstleistungspflicht besteht nur im Rahmen der Kernarbeitszeit,
da der Beamte nur in diesem Zeitraum gehalten ist, seine dienstlichen Verrich-
tungen zu festgelegten Zeiten zu erfüllen. Demgegenüber steht der Anwesen-
heitspflicht des ehrenamtlichen Richters im Gericht während der Gleitzeitphase
regelmäßig keine zeitlich konkretisierte Pflicht zur Dienstleistung im Beamten-
verhältnis gegenüber. Gemäß § 3a Abs. 1 Satz 1 der Arbeitszeitverordnung
i.d.F. der Bekanntmachung vom 11. November 2004 (BGBl I S. 2844) - AZV
2004 - bzw. § 2 Nr. 5 der Arbeitszeitverordnung i.d.F. des Art. 1 der Verordnung
vom 23. Februar 2006 (BGBl I S. 427) - AZV 2006 - ist der Beamte berechtigt,
innerhalb des Gleitzeitrahmens Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit in
gewissen Grenzen selbst zu bestimmen, ohne insoweit dem Direktionsrecht des
Dienstherrn zu unterliegen. Gebieten dienstliche Belange keine abweichende
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Gestaltung, ist es grundsätzlich seiner freien Selbstbestimmung überlassen, wie
er über den Gleitzeitrahmen verfügt. Er selbst entscheidet, zu welcher Zeit er
sich in den Dienst versetzt, etwa um die über die Kernarbeitszeit hinaus ge-
schuldete Arbeitszeit zu erfüllen, und zu welcher Zeit er sich von der Dienstleis-
tung ausnimmt. Zeiten, in denen der Beamte Gleitzeitstunden ableisten könnte,
dies aber nicht getan hat, sind keine Arbeitszeit. Daher ist eine Freistellung, die
sicherstellen soll, dass der Beamte seinen Pflichten als ehrenamtlicher Richter
nachgehen kann, nicht erforderlich (vgl. für Arbeitnehmer: BAG, Urteil vom
22. Januar 2009 a.a.O. S. 176).
Für den vorliegenden Fall folgt hieraus, dass der Kläger für die streitgegen-
ständlichen, sämtlich in die Gleitzeit fallenden Zeiten der richterlichen Aufga-
benwahrnehmung eine Freistellung nach § 45 Abs. 1a Satz 2 DRiG nicht benö-
tigt, da es insoweit an einer Pflichtenkollision zwischen der Dienstleistungs-
pflicht als Schöffe und seiner Dienstleistungsverpflichtung im Beamtenverhältnis
fehlt. Der Kläger verliert durch die Schöffentätigkeit während der Gleitzeit die
Möglichkeit, über die Verwendung dieser Zeit frei zu entscheiden. Er hat aber
keine Arbeitszeit versäumt.
2. Der Kläger kann jedoch beanspruchen, dass die in die Rahmenarbeitszeit fal-
lenden, aber außerhalb der Kernarbeitszeit geleisteten Zeiten des Schöffenam-
tes seinem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben werden, soweit sie einen Umfang
von wöchentlich drei Stunden überschreiten.
Dies folgt aus § 45 Abs. 1a Satz 1 DRiG. Danach darf niemand in der Über-
nahme oder Ausübung des Amtes als ehrenamtlicher Richter beschränkt oder
wegen der Übernahme oder Ausübung des Amtes benachteiligt werden. Die im
Bundesgesetzblatt veröffentlichte Fassung, ausweislich derer Benachteiligun-
gen „wegen der Übernahme der Ausübung“ untersagt sind, beruht auf einem
Redaktionsversehen. Sowohl der § 45 Abs. 1a Satz 1 DRiG zugrunde liegende
Antrag der sächsischen Staatsregierung vom 22. Januar 2002 (BRDrucks 47/02
S. 5) als auch die Gesetzentwürfe des Bundesrates vom 8. Mai 2002
(BTDrucks 14/9006 S. 6) und 5. Februar 2003 (BTDrucks 15/411 S. 6) sahen
ein Verbot von Benachteiligungen „wegen der Übernahme oder Ausübung des
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Amtes“ vor (vgl. auch BTDrucks 15/4016 S. 2; der Rechtsausschuss des Deut-
schen Bundestages fasste den Beschluss, die Wörter „wegen der Übernahme
der Ausübung“ durch die Wörter „wegen der Übernahme oder der Ausübung“
zu ersetzen).
Die Vorschrift statuiert ein allgemeines Beschränkungs- und Benachteiligungs-
verbot, das in § 45 Abs. 1a Satz 2 und 3 DRiG konkretisiert wird. Während das
über § 45 Abs. 1a Satz 2 DRiG nicht hinausgehende Beschränkungsverbot des
§ 45 Abs. 1a Satz 1 Alt. 1 DRiG die Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung si-
chert, soll § 45 Abs. 1a Satz 1 Alt. 2 DRiG den ehrenamtlichen Richter vor jeder
Art von Benachteiligung, insbesondere solcher beruflicher Art, schützen
(BRDrucks 47/02 S. 18; BTDrucks 14/9006 S. 8 f., 12, 14; BTDrucks 15/411
S. 8 f.). Damit sollen die Motivation zur Übernahme und Beibehaltung des Am-
tes des ehrenamtlichen Richters und sein Ansehen in der Öffentlichkeit im Hin-
blick auf die Bedeutung dieses Amtes für die Rechtsprechung gestärkt werden.
Die Tätigkeit eines Beamten als ehrenamtlicher Richter ist der außerdienstli-
chen Sphäre zuzuordnen. Er hat die aus dem Ehrenamt resultierenden Pflich-
ten nicht gegenüber seinem Dienstherrn, sondern gegenüber dem Land zu er-
füllen, an dessen Gericht er Dienst leistet. Die Festlegung der Regelarbeitszeit
konkretisiert allein die Dienstleistungspflicht aus dem Beamtenverhältnis. Die
Arbeitszeit dient ausschließlich der Erfüllung der dienstlichen Aufgaben.
Der Begriff „Benachteiligung“ erfasst jeden Nachteil, den der ehrenamtliche
Richter gerade aufgrund des Ehrenamtes hinzunehmen hat; auf eine Benach-
teiligungsabsicht kommt es nicht an (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. Februar
2010 - BVerwG 6 PB 36.09 - Buchholz 251.92 § 8 SAPersVG Nr. 1 S. 1 f.
Rn. 4 - 6 m.w.N. und BAG, Urteil vom 7. November 2007 - 7 AZR 820/06 -
BAGE 124, 356 <363 Rn. 24>, jeweils zum Personalvertretungsrecht). Danach
stellt es eine Benachteiligung dar, wenn der Beamte infolge der Ausübung des
richterlichen Ehrenamtes faktisch in seiner Befugnis beschränkt wird, innerhalb
der Gleitzeitphase (Rahmenarbeitszeit außerhalb der Kernarbeitszeit) Beginn
und Ende der täglichen Arbeitszeit in gewissen Grenzen selbst zu bestimmen.
Insoweit steht er schlechter da als andere Beamte, weil er Teile der Gleitzeit für
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die Erfüllung der Dienstpflichten aus dem richterlichen Ehrenamt einsetzen
muss. Diese Zeit steht ihm nicht zur Verfügung, um das Arbeitszeitsoll zu erfül-
len.
§ 45 Abs. 1a Satz 1 Alt. 2 DRiG untersagt eine Schlechterstellung aufgrund des
Ehrenamtes ohne sachlichen Grund (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. Februar
2010 a.a.O. und BAG, Urteil vom 7. November 2007 a.a.O.). Grundsätzlich ist
es dem Beamten allerdings zuzumuten, einen Teil des zeitlichen Rahmens, der
ihm für die Ableistung von Gleitzeitstunden zur Verfügung steht, für die Aus-
übung des öffentlichen Ehrenamtes einzusetzen. Ein Rechtssatz, dass die
Wahrnehmung eines öffentlichen Ehrenamtes - auch eines solchen, dessen
Übernahme nur aus wichtigem Grund abgelehnt werden kann (vgl. § 35 GVG,
§ 23 VwGO, § 18 SGG, § 20 FGO, § 24 ArbGG) - nicht auf Kosten der Freizeit
des Amtsträgers gehen darf, besteht nicht. Vielmehr ist jedes Ehrenamt
zwangsläufig mit einem zeitlichen Aufwand verbunden, der zu Lasten der Frei-
zeit des Amtsinhabers geht. Dies rechtfertigt grundsätzlich, ehrenamtliche Rich-
ter gegenüber anderen Beamten in Bezug auf die Dispositionsmöglichkeiten
schlechter zu stellen.
Dies schließt es aus, die auf das Ehrenamt verwandte Zeit in vollem Umfang
auf die Arbeitszeit anzurechnen, d.h. die beamtenrechtliche Dienstleistungs-
pflicht um die Zeit der Ausübung des Ehrenamtes zu verringern (vgl. Urteil vom
11. Dezember 1985 - BVerwG 2 C 8.84 - BVerwGE 72, 289 <290> = Buchholz
237.6 § 108 LBG Niedersachsen Nr. 1 S. 1 f.). Die mit dem Ehrenamt verbun-
dene Einbuße in seiner Lebensgestaltung muss der Beamte hinnehmen, solan-
ge die Grenze des vernünftigerweise Zumutbaren nicht überschritten wird. Dies
ist erst dann der Fall, wenn der Beamte die Möglichkeit, über die Gleitzeit ei-
genverantwortlich zu disponieren, aufgrund der zeitlichen Belastungen des Eh-
renamtes weitgehend verliert. Davon geht der Senat aus, wenn der ehrenamtli-
che Richter in einer Kalenderwoche mehr als drei Stunden der für Gleitzeitstun-
den zur Verfügung stehenden Rahmenarbeitszeit für die Ausübung des Ehren-
amtes einsetzen muss. Hierbei hat sich der Senat von folgenden Überlegungen
leiten lassen:
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Nach der gesetzgeberischen Wertung des richterlichen Ehrenamtes als staats-
bürgerliche Pflicht ist der Bürger grundsätzlich zur Übernahme und Ausübung
der damit einhergehenden Aufgaben verpflichtet. Dies hebt das Amt des ehren-
amtlichen Richters von anderen öffentlichen und privaten Ehrenämtern ab.
Nachteiligen Konsequenzen hieraus begegnet der Gesetzgeber mit einem weit-
reichenden Schutzgebot, das insbesondere berufliche Nachteile verhindern und
„zugleich das Ansehen der ehrenamtlichen Richter in der Öffentlichkeit“ stärken
soll (BTDrucks 14/9006 S. 8 und BTDrucks 15/411 S. 8; vgl. ferner BRDrucks
47/02 S. 18). Auch wenn der Beamte die mit seinem Amt als ehrenamtlicher
Richter verbundene Einschränkung der Dispositionsbefugnis über die Nutzung
der Gleitzeit grundsätzlich hinzunehmen hat, muss er sein Gleitzeitstundenkon-
tingent nicht bis zum Erreichen der maximalen täglichen Arbeitszeit i.S.v. § 3
AZV 2004 bzw. § 4 Satz 2 AZV 2006 einsetzen. Es muss ihm möglich bleiben,
seine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit zu leisten, ohne die erforderlichen
Gleitzeitstunden später nachzuarbeiten.
Deshalb bedarf es einer Anrechnungsregel, die übermäßige, weil vernünftiger-
weise nicht mehr zumutbare zeitliche Belastungen durch das Ehrenamt aus-
gleicht. Dem Beamten darf die Dispositionsmöglichkeit über die wöchentliche
Gleitzeit nicht weitgehend oder vollständig genommen werden. Danach er-
scheint eine Belastung von bis zu drei in die Gleitzeit fallende Stunden pro Ka-
lenderwoche durch das Ehrenamt angemessen. Damit wird dem Beamten zu-
gemutet, für die Tätigkeit als ehrenamtlicher Richter an einem Arbeitstag pro
Kalenderwoche über die Kernarbeitszeit hinaus Gleitzeit bis zur Grenze einer
durchschnittlichen täglichen Regelarbeitszeit in Anspruch zu nehmen. Dies
schränkt zwar seine Dispositionsmöglichkeit über den wöchentlichen Gleitzeit-
anteil ein, beraubt sie aber nicht ihrer Funktion.
Nach diesen Grundsätzen ist der Kläger in den Jahren 2005 bis 2007 nicht in
unzuträglicher Weise belastet worden. Die Belastungsschwelle von drei Stun-
den wöchentlich ist innerhalb dieses Zeitraums in keinem Fall überschritten
worden. Der Kläger kann jedoch die Feststellung beanspruchen, dass ihm bei
Überschreitung der Belastungsschwelle von drei Stunden wöchentlich ein An-
spruch auf Zeitgutschrift zusteht. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben,
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soweit es die Beklagte zu einer Gutschrift der vom Kläger innerhalb der Gleitzeit
geleisteten Stunden der Schöffentätigkeit verurteilt hat; insoweit ist das erstin-
stanzliche Urteil wiederherzustellen und die Berufung des Klägers zurückzuwei-
sen. Soweit das Berufungsgericht die Feststellung, dass in die Gleitzeit fallende
Schöffentätigkeit dem Arbeitszeitkonto des Klägers gutzuschreiben sei, auch
unterhalb der Belastungsschwelle von drei Stunden pro Kalenderwoche ausge-
sprochen hat, ist es ebenfalls aufzuheben; im Übrigen ist die Revision der Be-
klagten zurückzuweisen.
Einen weitergehenden Anrechnungsanspruch vermitteln weder § 1 Abs. 1 Nr. 3
SUrlV noch Art. 59 Abs. 1 der Verfassung für Rheinland-Pfalz. Zutreffend hat
das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass jener - ebenso wie § 45 Abs. 1a
Satz 2 DRiG - allein der Auflösung einer im Bereich der Gleitzeit nicht beste-
henden Pflichtenkollision dient. Dem aus Art. 59 Abs. 1 der Verfassung für
Rheinland-Pfalz folgenden Gebot, dem Beamten die zur Ausübung ihm über-
tragener öffentlicher Ehrenämter benötigte Freizeit zu gewähren, ist durch § 45
Abs. 1a DRiG und § 1 Abs. 1 Nr. 3 SUrlV Rechnung getragen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Dr. Heitz Thomsen Dr. Maidowski
Dr. Hartung Richter am BVerwG Dr. Fleuß
ist wegen Urlaubs an der Unter-
schrift gehindert.
B e s c h l u s s
vom 18. August 2011
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 5 000 €
festgesetzt (§ 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG).
Dr. Heitz Thomsen Dr. Maidowski
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Sachgebiet:
BVerwGE: ja
Beamtenrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
ArbGG
§ 26 Abs. 1
AzV
§ 3 Abs. 1, § 3a Abs. 1, § 4 Satz 2
BBesG
§ 9
DRiG
§ 45 Abs. 1a
SUrlV
§ 1 Abs. 1
Verf RP
Art. 59
Stichworte:
Arbeitszeit; Arbeitszeitkonto; Kernarbeitszeit; Regelarbeitszeit; Gleitzeit; glei-
tende Arbeitszeit; regelmäßige tägliche Arbeitszeit; regelmäßige wöchentliche
Arbeitszeit; Anrechnung; Gutschrift; ehrenamtlicher Richter; Ehrenrichterver-
hältnis; Schöffe; Schöffenamt; Beamter; Beamtenverhältnis; Amtstätigkeit; Ar-
beitgeber; Freistellung; Dienstleistungspflicht; Beschränkungsverbot; Benachtei-
ligungsverbot; Funktionsfähigkeit; Vorrangregelung; Kollisionsnorm; Pflichten-
kollision; Zeitversäumnis; Nachholung; Dienstvereinbarung; Redaktionsverse-
hen; Schlechterstellung; Benachteiligungsabsicht; Dispositionsbefugnis; staats-
bürgerliche Rechte; staatsbürgerliche Pflichten; dienstliche Sphäre; außer-
dienstliche Sphäre; Dienstbefreiung; Belastungsgrenze; allgemeine Handlungs-
freiheit; Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
Leitsätze:
1. Für die Freistellung eines ehrenamtlichen Richters von seiner Dienstleis-
tungspflicht als Beamter (§ 45 Abs. 1a Satz 2 DRiG) ist mangels konkreter
Pflichtenkollision kein Raum, wenn die Richtertätigkeit innerhalb der Gleitzeit-
stunden anfällt.
2. Zeiten der Tätigkeit als ehrenamtlicher Richter, die während der Gleitzeit an-
gefallen sind, müssen dem Arbeitszeitkonto des Beamten gutgeschrieben wer-
den, wenn sie mehr als drei Stunden pro Kalenderwoche betragen.
Urteil des 2. Senats vom 28. Juli 2011 - BVerwG 2 C 45.09
I. VG Koblenz vom 04.11.2008 - Az.: VG 2 K 356/08.KO -
II. OVG Koblenz vom 19.06.2009 - Az.: OVG 10 A 10171/09 -