Urteil des BVerwG vom 27.11.2003

Kostenbeteiligung, Beihilfe, Fürsorgepflicht, Besoldung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 C 37.02
Verkündet
OVG 5 LB 3648/01
am 27. November 2003
Schütz
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 27. November 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. S i l b e r k u h l und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. D a w i n , Dr. K u g e l e , G r o e p p e r und Dr. B a y e r
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des
Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 25. Juni
2002 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I.
Der Kläger ist Polizeibeamter des beklagten Landes. Seit dem 1. Februar 1999 wird
auf der Grundlage des § 224 Abs. 3 NBG in der Fassung des Haushaltsbegleitgeset-
zes 1999 von seinen Dienstbezügen 1,3 v.H. des Grundgehalts als Beitrag zu den
Kosten der Heilfürsorge einbehalten. Sein Antrag auf Auszahlung ungekürzter
Dienstbezüge und Nachzahlung der einbehaltenen Kürzungsbeträge blieb in den
Vorinstanzen erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht hat zur Begründung im Wesent-
lichen ausgeführt:
Die Abzüge vom Grundgehalt entsprächen der durch das Haushaltsbegleitgesetz
1999 geschaffenen Rechtslage, die mit höherrangigem Recht vereinbar sei. Der
Landesgesetzgeber habe durch die Wahrnehmung seiner Gesetzgebungskompetenz
nicht gegen formelles oder materielles Bundesverfassungsrecht verstoßen. Die freie
Heilfürsorge sei kein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums. Das Alimen-
tationsprinzip sei nicht verletzt. Die Kostenbeteiligung gefährde nicht den amtsange-
messenen Lebensunterhalt des Beamten. Auch die Fürsorgepflicht des Dienstherrn
verlange keinen vollständigen Ausgleich aller krankheitsbedingten Aufwendungen.
Es müsse nur sichergestellt sein, dass der Beamte nicht mit Aufwendungen belastet
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bleibe, die er über eine zumutbare Eigenvorsorge nicht abdecken könne. Dies sei
gewährleistet; denn der Kläger sei trotz der Eigenbeteiligung immer noch wesentlich
besser gestellt als beihilfeberechtigte Beamte. Deren Krankenversicherungsbeiträge,
die aus den Dienstbezügen zu entrichten seien, lägen deutlich über der Kostenbetei-
ligung des Heilfürsorgeberechtigten. Der Gleichheitssatz sei nicht verletzt. Die relati-
ve Belastung sei in allen Besoldungsgruppen gleich. Dem größeren Maß an körperli-
chem Einsatz und gesundheitlichen Gefährdungen im Polizeivollzugs- und Feuer-
wehrdienst trage die allgemeine Unfallfürsorge hinreichend Rechnung. Die Schlech-
terstellung gegenüber den Feuerwehrbeamten im Einsatzdienst sei nicht willkürlich.
Dieser Dienst weise Besonderheiten auf. Schließlich stehe § 10 Bundesbesoldungs-
gesetz der Kostenbeteiligung nicht entgegen.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision beantragt der Kläger,
das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 25. Juni
2002 aufzuheben und nach seinem Schlussantrag im zweiten Rechtszug
zu erkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist unbegründet. § 224 Abs. 3 NBG in der Fassung des Art. 14 Nr. 4
Buchst. a Haushaltsbegleitgesetz vom 21. Januar 1999 (Nds. GVBl S. 10) ist mit hö-
herrangigem Recht vereinbar.
Dem Land steht für die angegriffene Regelung die Gesetzgebungskompetenz zu.
Nach Art. 74 a Abs. 1 GG erstreckt sich die konkurrierende Gesetzgebung des Bun-
des auf die Besoldung im öffentlichen Dienst. Der Begriff der Besoldung im Sinne
dieser Vorschrift ist weit zu verstehen. Er umfasst die Beihilfe und die freie Heilfür-
sorge (vgl. BVerfGE 62, 354 <368>; 106, 225 <243>; Urteil vom 3. Juli 2003
- BVerwG 2 C 36.02 - DVBl 2003, 1554, vorgesehen zur Veröffentlichung in der Ent-
scheidungssammlung des Bundesverwaltungsgerichts). Mit dem Bundesbesol-
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dungsgesetz hat der Bundesgesetzgeber seine Gesetzgebungskompetenz nach
Art. 74 a Abs. 1 GG nur für den Bereich der Besoldung im engeren Sinne ausge-
schöpft. Soweit er von seinem vorrangigen Gesetzgebungsrecht (vgl. Art. 72 Abs. 1
GG) keinen Gebrauch gemacht hat, ist den Ländern das Recht zur Gesetzgebung
belassen (vgl. dazu auch Entscheidung vom 25. Juni 1987 - BVerwG 2 N 1.86 -
BVerwGE 77, 345 <351 f.>). Sie sind deswegen befugt, die durch die Fürsorgepflicht
gebotene Ergänzung der Regelalimentation durch Beihilfen für Krankheitsfälle mit
eigenen Vorschriften festzulegen (vgl. BVerfGE 62, 354 <368 f.>; 106, 225 <243>).
Für die freie Heilfürsorge gilt nichts anderes als für die in der Zweckrichtung ver-
wandte Beihilfe (vgl. BVerfGE 62, 354 <368 f.>).
Der Landesgesetzgeber hat nicht gegen seine verfassungsrechtliche Pflicht zu bun-
desfreundlichem Verhalten in ihrer Bedeutung als Kompetenzausübungsschranke
verstoßen (vgl. BVerfGE 106, 225 <243 f.>). Es ist nicht erkennbar, dass das beklag-
te Land mit der Einführung der Kostenbeteiligung an der Heilfürsorge besoldungs-
rechtliche Ziele verfolgt oder die insoweit abschließende Gesetzgebung des Bundes
konterkariert hat. Die angegriffene Regelung hat keine rechtserheblichen - unmittel-
baren oder mittelbaren - Auswirkungen auf die den Beamten von Verfassungs wegen
geschuldete amtsangemessene Alimentation (vgl. BVerfGE 106, 225 <243>).
Die freie Heilfürsorge gehört wie die Beihilfe nicht zu den hergebrachten Grundsät-
zen des Berufsbeamtentums. Art. 33 Abs. 5 GG schützt nur einen Kernbestand von
Strukturprinzipien, die allgemein oder doch ganz überwiegend und während eines
längeren, traditionsbildenden Zeitraums, mindestens unter der Weimarer Reichsver-
fassung, als verbindlich anerkannt und gewahrt worden sind (stRspr; vgl. u.a.
BVerfGE 83, 89 <98>). Zwar wurde den Polizeivollzugsbeamten seit der Weimarer
Republik freie Heilfürsorge gewährt, doch bestand bis zum Zusammenbruch des
Deutschen Reichs kein Rechtsanspruch darauf (vgl. Urteil vom 17. September 1969
- BVerwG 6 C 4.66 - BVerwGE 34, 31 <33>).
Grundlage für die Gewährung der freien Heilfürsorge wie für die Gewährung von
Beihilfe ist die Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Diese gehört ebenso wie die Alimen-
tation zu den hergebrachten Grundsätzen (vgl. BVerfGE 83, 89 <98>; 106, 225
<232>). Aufgrund der Fürsorgepflicht hat der Dienstherr Vorkehrungen zu treffen,
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dass der amtsangemessene Lebensunterhalt des Beamten durch besondere finan-
zielle Belastungen bei Krankheits-, Geburts- und Todesfällen nicht gefährdet wird.
Ob er dieser Pflicht durch eine entsprechende Bemessung der Dienstbezüge, durch
Sachleistungen, Zuschüsse oder in sonstiger geeigneter Weise nachkommt, bleibt
von Verfassungs wegen seiner Entscheidung überlassen (vgl. BVerfGE 83, 89
<100>; 106, 225 <232>). Ebenso wie das gegenwärtige System der Beihilfe jederzeit
geändert werden kann (BVerfGE 83, 89 <98>; 106, 225 <232>), darf auch die freie
Heilfürsorge geändert werden, ohne dass Verfassungsrecht des Bundes entgegen-
steht. Ein Land kann im Rahmen der Konkretisierung der Fürsorgepflicht auch die
bisher gewährte freie Heilfürsorge durch die Gewährung von Beihilfen ersetzen,
wenn dabei die durch den Vertrauensschutz gezogenen Grenzen gewahrt bleiben.
Sichergestellt bleiben muss in jedem Fall, dass der Beamte nicht mit erheblichen
Aufwendungen belastet bleibt, die er auch über eine zumutbare Eigenvorsorge durch
Abschluss einer angemessenen Krankenversicherung nicht decken kann (vgl.
BVerfGE 83, 89 <101 f.>; 106, 225 <232 f.>). Die Fürsorgepflicht zwingt auch nicht
dazu, die freie Heilfürsorge wegen des erhöhten Dienstunfallrisikos der Vollzugspoli-
zei- und Feuerwehrbeamten unverändert beizubehalten. Dem tragen die Vorschriften
über die Unfallfürsorge, insbesondere über das unentgeltliche Heilverfahren (vgl.
§§ 30 ff. BeamtVG), in vollem Umfang Rechnung.
Wenn der Landesgesetzgeber die freie Heilfürsorge grundsätzlich durch das Beihil-
fesystem ersetzen darf, kann es ihm nicht verwehrt sein, dem Betroffenen die Wahl
zwischen Beihilfe und Heilfürsorge gegen Kostenbeteiligung zu eröffnen (vgl. § 224
Abs. 4 Satz 1 NBG). Wählt der Betroffene Heilfürsorge gegen Kostenerstattung, so
ist die Auszahlung eines geringeren Grundgehalts nicht das Ergebnis einer § 2
BBesG zuwiderlaufenden Besoldungskürzung, sondern das rechnerische Ergebnis
einer bloßen Einbehaltung des Betrages, den der Betroffene freiwillig für sein Recht
auf Heilfürsorge entrichtet.
Auch das Alimentationsprinzip wird nicht verletzt, wenn die Heilfürsorge nicht mehr
unentgeltlich gewährt wird. Die Kostenbeteiligung tritt - wirtschaftlich gesehen - an
die Stelle des vom beihilfeberechtigten Beamten aus seiner Besoldung aufzubrin-
genden Beitrages zu einer privaten Krankenversicherung, die dieser zur Absicherung
desjenigen Vorsorgerisikos abschließt, das nicht aufgrund der Fürsorgepflicht durch
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Leistung des Dienstherrn ausgeglichen wird (vgl. BVerfGE 83, 89 <98> m.w.N.; 106,
225 <233>). Der Höhe nach bleibt die Kostenbeteiligung hinter einer Versicherungs-
prämie weit zurück. Letztlich bietet der Dienstherr dem Beamten also eine kosten-
günstigere Vorsorge als dem beihilfeberechtigten Beamten an.
Der Grundsatz der Vorsorgefreiheit (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 25. Septem-
ber 2001 - 2
BvR
2442/94 - DVBl 2002, 114 m.w.N.) ist nicht berührt. Der Beamte ist
in der Wahl seiner Krankenvorsorge nach wie vor frei. Er kann in eigener Verantwor-
tung entscheiden, ob er statt der Heilfürsorge die Beihilfe wählen und bei welchem
Versicherungsunternehmen und zu welchen Konditionen er sich beihilfeergänzend
versichern will.
Auch der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ist nicht verletzt. Die vom
Dienstherrn mit der angegriffenen Regelung verfolgten Ziele sind verfassungsrecht-
lich unbedenklich und die Differenzierungen der Kostenbeiträge für die Heilfürsorge
nach Besoldungsgruppen entsprechend der finanziellen Leistungsfähigkeit sachlich
gerechtfertigt.
Die Grenzen des verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutzes sind nicht ü-
berschritten. Der Vertrauensschutz hat im Beamtenrecht seine eigene Ausprägung
erfahren (vgl. BVerfGE 106, 225 <241 f.> m.w.N.). Danach darf der Beamte nicht
ohne weiteres auf den unveränderten Fortbestand einer ihm günstigen Regelung ver-
trauen. Das gilt insbesondere im Beihilferecht, das in der Vergangenheit bereits
mehrfach zum Nachteil des Beamten geändert worden ist (vgl. BVerfGE 106, 225
<242>). Für die freie Heilfürsorge kann mit Blick auf die Zweckverwandtschaft zur
Beihilfe und auf die Kostensteigerung im Gesundheitswesen grundsätzlich nichts an-
deres gelten. Der Landesgesetzgeber durfte deshalb dem Interesse an der zu erwar-
tenden Haushaltsersparnis bei der Abwägung mit dem Vertrauensinteresse am Fort-
bestand der bisherigen Regelung der freien Heilfürsorge, in das nur verhältnismäßig
geringfügig eingegriffen worden ist, den Vorrang einräumen (vgl. BVerfGE 106, 225
<242>).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Dr. Silberkuhl
Prof. Dawin
Dr. Kugele
Groepper
Dr. Bayer
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 1 190 € fest-
gesetzt (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG; 1,3 v.H. des zweifachen Jahresbetrages des
Endgrundgehalts nach Besoldungsgruppe A 12).
Dr. Silberkuhl
Prof. Dawin
Dr. Kugele
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Verfassungsrecht
Fachpresse:
ja
Beamtenrecht
freie Heilfürsorge
Rechtsquellen:
GG
Art. 74 a Abs. 1, Art. 33 Abs. 5, Art. 3 Abs. 1
NBG § 224 Abs. 3, Abs. 4 Satz 1
Stichworte:
Polizeivollzugsbeamter; freie Heilfürsorge; Kostenbeteiligung; prozentualer Abzug
vom Grundgehalt.
Leitsatz:
Die Heranziehung der heilfürsorgeberechtigten Beamten zu den Kosten der Heilfür-
sorge durch Auszahlung eines geringfügig gekürzten Grundgehalts verstößt jeden-
falls dann nicht gegen höherrangiges Recht, wenn diese Beamten zwischen Heilfür-
sorge- und Beihilfeberechtigung wählen können.
Urteil des 2. Senats vom 27. November 2003 - BVerwG 2 C 37.02
I. VG Osnabrück vom 16.05.2001 - Az.: VG 3 A 144/99 -
II. OVG Lüneburg vom 25.06.2002 - Az.: OVG 5 LB 3648/01 -