Urteil des BVerwG vom 19.08.2010

Echte Rückwirkung, Ruhegehalt, Verkündung, Gesetzesänderung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 C 34.09
OVG 1 L 28/09
Verkündet
am 19. August 2010
Hardtmann
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 19. August 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Maidowski und Dr. Hartung
sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt
für Recht erkannt:
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Dem Bundesverfassungsgericht wird gemä
die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob
Art. 17 Abs. 1 des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes
(DNeuG) vom 5. Februar 2009 (BGBl I S. 160, 274 mit
Art. 20 Abs. 3, Art. 33 Abs. 5 und Art. 3 Abs. 1 GG unver-
einbar und nichtig ist.
G r ü n d e :
I
Der 1948 geborene Kläger stand seit 1992, zuletzt als Polizeihauptmeister, im
Dienst der Beklagten beim Bundesgrenzschutz. Er wurde nach Vollendung des
60. Lebensjahres mit Ablauf des Monats Februar 2008 in den Ruhestand ver-
setzt.
Auf seinen Antrag setzte die Beklagte mit Bescheid vom 12. Februar 2008 das
Ruhegehalt mit Wirkung ab dem 1. März 2008 auf 1 691,89 € fest. Dabei erhöh-
te sie den nacberechneten Ruhegehaltssatz in Höhe
von 32,64 v. H. gemävorübergehend um 24,58 v. H. auf ins-
gesamt 57,22 v. H.
Hiergegen wandte sich der Kläger und „beantragte“ einen - erhöhten - Ruhege-
haltssatz auf Basis des amtsabhängigen Mindestruhegehaltssatzes gem
(in Höhe von 35 v. H. auf 59,58 v. H.). Dies lehnte die
Beklagte mit Bescheid vom 26. März 2008 und Widerspruchsbescheid vom
17. Juni 2008 ab.
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Während das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben hat, hat das Beru-
fungsgericht nach der Änderung des § 14a Abs. 1 BeamtVG durch das Dienst-
rechtsneuordnungsgesetz - DNeuG - vom 5. Februar 2009 (BGBl I S. 160, 274;
dort Art. 4 Nr. 11 Buchst. a Doppelbuchst. aa in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1)
mit Wirkung zum 24. Juni 2005 die Klage mit im Wesentlichen folgender Be-
gründung abgewiesen:
Die Beklagte habe nach jetzt geltender Rechtslage das - weitergehende - Be-
gehren des Klägers zu Recht abgelehnt. Anders als nac
a.F. könne nach der Gesetzesänderung nicht mehr der amtsbezoge-
ne Ruhegehaltssatz nac sondern nur
noch der erdiente Ruhegehaltssatz nacBerechnungs-
grundlage für die vorübergehende Erhöhung des Mindestruhegehaltssatzes
sein. Die Neuregelung sei mit Wirkung vom 24. Juni 2005 in Kraft getreten. Da
der Kläger erst nach diesem Zeitpunkt in den Ruhestand getreten sei, sei sie
auf ihn anzuwenden.
In dem durch Art. 17 Abs. 1 DNeuG angeordneten rückwirkenden Inkrafttreten
von Art. 4 Nr. 11 Buchst. a Doppelbuchst. aa DNeuG liege kein Verstoß gegen
das Rückwirkungsverbot Die betroffenen Beamten bedürf-
ten keines Vertrauensschutzes, weil nicht ersichtlich sei, dass sie in Kenntnis
der rückwirkenden Änderung von bestimmten Aufwendungen abgesehen hät-
ten, zumal es hier um einen geringen Betrag gehe. Gegenteiliges lege der Klä-
ger nicht dar. Hinzu komme, dass sich die Rückwirkungsanordnung wegen § 52
Abs. 1 BeamtVG bei Ruhestandsbeamten, deren Versorgungsbezüge be-
standskräftig festgesetzt worden seien, tatsächlich erst in der Zukunft, begin-
nend mit dem Zahlungsmonat März 2009 auswirke. Von der Rückwirkung seien
im Übrigen nur die noch aktiven Beamten betroffen und Ruhestandsbeamte,
deren Versorgungsbezüge noch nicht oder noch nicht bestandskräftig festge-
setzt worden seien. Auch hier wirke sich die Neuregelung erst zukunftsbezogen
aus oder betreffe eine noch nicht endgültig gesicherte Rechtsposition. Insofern
könne nicht unberücksichtigt bleiben, dass eine unklare oder verworrene
Rechtslage bestanden habe, so dass der Gesetzgeber rückwirkend ein klarstel-
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lendes Gesetz habe erlassen dürfen. Etwaiges Vertrauen sei bereits beginnend
mit dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf im November
2007 (BTDrucks 16/7076) nicht mehr gerechtfertigt gewesen. Der Kläger sei
nach diesem Zeitpunkt in den Ruhestand versetzt worden. Ungeachtet dessen
sei es dem Gesetzgeber möglich, selbst Normen, die in erheblichem Umfang an
in der Vergangenheit liegende Tatbestände anknüpften, zu erlassen, unter Än-
derung der künftigen Rechtsfolgen dieser Tatbestände auf veränderte Gege-
benheiten mit einer Änderung seines Normenwerkes zu reagieren und durch
eine solche Änderung bestimmte soziale Gegebenheiten zu beeinflussen. Der
rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes garantiere nicht das Fort-
bestehen der Rechtslage, die der Betroffene beim Eintritt in das Beamten-
verhältnis vorgefunden habe. Beamte müssten damit rechnen, dass sich ihre
Gesamtbesoldung und -versorgung ändern könne. Dies gelte umso mehr, als
es sich beinicht um eine vgeforderte Be-
stimmung handele. Der Anspruch des Ruhestandsbeamten auf amtsangemes-
sene Versorgung stehe unter dem besonderen Schutz des
der die allgemeinen rechtsstaatlichen Prinzipien des Vertrauensschutzes, der
Rechtssicherheit, aber auch der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich einbeziehe,
so dass daneben dem allgemeinen rechtsstaatlichen Vertrauensschutz keine
selbstständige Bedeutung zukomme.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision. Er beantragt,
den Beschluss des
Oberverwaltungsgerichts des Landes
Sachsen-Anhalt vom 1. Juli 2009 aufzu-
heben und die Berufung der Beklagten
gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts
Magdeburg vom 26. Januar 2009
zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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II
Das Verfahren ist gemäß Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen, um dem Bundesver-
fassungsgericht die Frage vorzulegen, ob Art. 17 Abs. 1 des Dienstrechtsneu-
ordnungsgesetzes (DNeuG) vom 5. Februar 2009 (BGBl I S. 160, 274 mit
Art. 20 Abs. 3, Art. 33 Abs. 5 und Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig ist,
soweit Art. 4 Nr. 11 Buchst. a Doppelbuchst. aa mit Wirkung vom 24. Juni 2005
in Kraft tritt.
1. Gemäß § 14a Abs. 1 des Beamtenversorgungsgesetzes in der Fassung der
Bekanntmachung vom 16. März 1999 (BGBl I S. 322, 847, 2033), zuletzt geän-
dert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 29. Juli 2008 (BGBl I S. 1582)
- BeamtVG a.F. - erhöhte sich der nach den sonstigen Vorschriften berechnete
Ruhegehaltssatz vorübergehend - bis zur Erreichung der Regelaltersgrenze -
um 1 v.H. der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge für je 12 Kalendermonate der
anrechnungsfähigen Pflichtversicherungszeiten. Um einen derartigen, vorüber-
gehend zu erhöhenden Ruhegehaltssatz handelt es sich auch bei dem Mindest-
ruhegehaltssatz von 35 v.H. gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG. Dieses Er-
gebnis folgt aus einer Auslegung des § 14a Abs. 1 BeamtVG nach Wortlaut,
Systematik und Normzweck unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte
(Urteile vom 23. Juni 2005 - BVerwG 2 C 25.04 - BVerwGE 124, 19 = Buchholz
239.1 § 14a BeamtVG Nr. 4 und vom 12. November 2009 - BVerwG 2 C 29.08 -
Buchholz 239.1 § 14a BeamtVG Nr. 5). In der vor der Gesetzesänderung maß-
gebenden Fassung lautete § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. wie folgt:
(1) Der nach den sonstigen Vorschriften berechnete Ruhegehaltssatz erhöht
sich vorübergehend, wenn der Beamte vor der Vollendung des fünfund-
sechzigsten Lebensjahres in den Ruhestand getreten ist und er
1. bis zum Beginn des Ruhestandes die Wartezeit von sechzig Kalender-
monaten für eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt hat,
2. a) wegen Dienstunfähigkeit im Sinne desdes Bundesbeam-
tengesetzes oder entsprechenden Landesrechts in den Ruhestand
versetzt worden ist oder
b) wegen Erreichens einer besonderen Altersgrenze in den Ruhestand
getreten ist und das sechzigste Lebensjahr vollendet hat,
3. einen Ruhegehaltssatz von 66,97 vom Hundert noch nicht erreicht hat
und
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4. keine Einkünfte im Sinne desbezieht. Die Einkünfte bleiben
außer Betracht, soweit sie durchschnittlich im Monat 325 Euro nicht
überschreiten.
(2) Die Erhöhung des Ruhegehalts beträgt 0,95667 vom Hundert der ruhege-
haltfähigen Dienstbezüge für je zwölf Kalendermonate der für die Erfüllung
der Wartezeit (Absatz 1 Nr. 1) anrechnungsfähigen Pflichtbeitragszeiten,
soweit sie nicht verfasst werden, nach Vollendung des
17. Lebensjahres und vor Begründung des Beamtenverhältnisses zurück-
gelegt wurden und nicht als ruhegehaltfähig berücksichtigt sind. Der hier-
nach berechnete Ruhegehaltssatz darf 66,97 vom Hundert nicht überschrei-
ten. In den Fällen desist das Ruhegehalt, das sich nach An-
wendung der Sätze 1 und 2 ergibt, entsprechend zu vermindern. Für die
Berechnung nach Satz 1 sind verbleibende Kalendermonate unter Benut-
zung des Nenners 12 umzurechnen; § 14 Abs. 1 Satz 2 und 3 gilt entspre-
chend.
(3) Die Erhöhung fällt spätestens mit Ablauf des Monats weg, in dem der Ru-
hestandsbeamte das fünfundsechzigste Lebensjahr vollendet. Sie endet
vorher, wenn der Ruhestandsbeamte
1. eine Versichertenrente der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht, mit
Ablauf des Tages vor dem Beginn der Rente, oder
2. in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 Buchstabe a nicht mehr dienstunfähig
ist, mit Ablauf des Monats, in dem ihm der Wegfall der Erhöhung mitge-
teilt wird, oder
3. ein Erwerbseinkommen bezieht, mit Ablauf des Tages vor dem Beginn
der Erwerbstätigkeit.
§ 35 Abs. 3 Satz 2 gilt sinngemäß.
(4) Die Erhöhung des Ruhegehaltssatzes wird auf Antrag vorgenommen. An-
träge, die innerhalb von drei Monaten nach Eintritt des Beamten in den Ru-
hestand gestellt werden, gelten als zum Zeitpunkt des Ruhestandseintritts
gestellt. Wird der Antrag zu einem späteren Zeitpunkt gestellt, so tritt die
Erhöhung vom Beginn des Antragsmonats an ein.
Die zur Ausfüllung der Begriffs des „nach den sonstigen Vorschriften berechne-
ten Ruhegehaltssatzes“ in § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. insoweit heranzuziehen-
de Regelung des § 14 BeamtVG lautet in der maßgeblichen Fassung vom
20. Dezember 2001:
(1) Das Ruhegehalt beträgt für jedes Jahr ruhegehaltfähiger Dienstzeit 1,79375
vom Hundert der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge (§ 5), insgesamt jedoch
höchstens 71,75 vom Hundert. Der Ruhegehaltssatz ist auf zwei Dezimal-
stellen auszurechnen. Dabei ist die zweite Dezimalstelle um eins zu erhö-
hen, wenn in der dritten Stelle eine der Ziffern fünf bis neun verbleiben wür-
de. Zur Ermittlung der gesamten ruhegehaltfähigen Dienstjahre sind etwa
anfallende Tage unter Benutzung des Nenners dreihundertfünfundsechzig
umzurechnen; die Sätze 2 und 3 gelten entsprechend.
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(2) (weggefallen)
(3) Das Ruhegehalt vermindert sich um 3,6 vom Hundert für jedes Jahr, um
das der Beamte
1. vor Ablauf des Monats, in dem er das 63. Lebensjahr vollendet, nach
des Bundesbeamtengesetzes oder entsprechendem
Landesrecht in den Ruhestand versetzt wird,
2. vor Ablauf des Monats, in dem er die für ihn geltende gesetzliche Alters-
grenze erreicht, nacdes Bundesbeamtengesetzes
oder entsprechendem Landesrecht in den Ruhestand versetzt wird,
3. vor Ablauf des Monats, in dem er das 63. Lebensjahr vollendet, wegen
Dienstunfähigkeit, die nicht auf einem Dienstunfall beruht, in den Ruhe-
stand versetzt wird;
die Minderung des Ruhegehalts darf 10,8 vom Hundert nicht übersteigen.
Absatz 1 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend. Gilt für den Beamten eine vor der
Vollendung des 63. Lebensjahres liegende Altersgrenze, tritt sie in den Fäl-
len des Satzes 1 Nr. 1 und 3 an die Stelle des 63. Lebensjahres. Gilt für
den Beamten eine nach Vollendung des 65. Lebensjahres liegende Alters-
grenze, wird in den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 nur die Zeit bis zum Ablauf
des Monats berücksichtigt, in dem der Beamte das 65. Lebensjahr vollen-
det.
(4) Das Ruhegehalt beträgt mindestens fünfunddreißig vom Hundert der ruhe-
gehaltfähigen Dienstbezüge (§ 5). An die Stelle des Ruhegehalts nach
Satz 1 treten, wenn dies günstiger ist, fünfundsechzig vom Hundert der je-
weils ruhegehaltfähigen Dienstbezüge aus der Endstufe der Besoldungs-
gruppe A 4. Die Mindestversorgung nach Satz 2 erhöht sich um sechzig
Deutsche Mark für den Ruhestandsbeamten und die Witwe; der Erhö-
hungsbetrag bleibt bei einer Kürzung nacaußer Betracht. Bleibt ein
Beamter allein wegen langer Freistellungszeiten (§ 5 Abs. 1 Satz 2) mit sei-
nem erdienten Ruhegehalt hinter der Mindestversorgung nach Satz 1 oder
2 zurück, wird nur das erdiente Ruhegehalt gezahlt; dies gilt nicht, wenn ein
Beamter wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand getreten ist.
(5) Übersteigt beim Zusammentreffen von Mindestversorgung nach Absatz 4
mit einer Rente nach Anwendung desdie Versorgung das nach Ab-
satz 1 erdiente Ruhegehalt, so ruht die Versorgung bis zur Höhe des Unter-
schieds zwischen dem erdienten Ruhegehalt und der Mindestversorgung; in
den verfassten Fällen gilt das nach dieser Vorschrift maßgebliche
Ruhegehalt als erdient. Der Erhöhungsbetrag nach Absatz 4 Satz 3 sowie
der Unterschiedsbetrag nach § 50 Abs. 1 bleiben bei der Berechnung außer
Betracht. Die Summe aus Versorgung und Rente darf nicht hinter dem Be-
trag der Mindestversorgung zuzüglich des Unterschiedsbetrages nach § 50
Abs. 1 zurückbleiben. Zahlbar bleibt mindestens das erdiente Ruhegehalt
zuzüglich des Unterschiedsbetrages nach § 50 Abs. 1. Die Sätze 1 bis 4
gelten entsprechend für Witwen und Waisen.
(6) Bei einem in den einstweiligen Ruhestand versetzten Beamten beträgt das
Ruhegehalt für die Dauer der Zeit, die der Beamte das Amt, aus dem er in
den einstweiligen Ruhestand versetzt worden ist, innehatte, mindestens für
die Dauer von sechs Monaten, längstens für die Dauer von drei Jahren,
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71,75 vom Hundert der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge aus der Endstufe
der Besoldungsgruppe, in der sich der Beamte zur Zeit seiner Versetzung in
den einstweiligen Ruhestand befunden hat. Das erhöhte Ruhegehalt darf
die Dienstbezüge, die dem Beamten in diesem Zeitpunkt zustanden, nicht
übersteigen; das nach sonstigen Vorschriften ermittelte Ruhegehalt darf
nicht unterschritten werden.
Die Vorschrift des § 14 BeamtVG ist in der Folgezeit ebenfalls durch das
Dienstrechtsneuordnungsgesetz (mit Wirkung vom 12. Februar 2009) und durch
das Gesetz vom 24. Februar 2010 geändert worden. Diese Änderungen betra-
fen insbesondere die Berechnung der Verminderung des Ruhegehalts in Ab-
satz 3. Im Übrigen blieb die Vorschrift weitgehend unverändert. Lediglich in Ab-
satz 4 wurden der Betrag von „sechzig Deutsche Mark“ auf „30,68 Euro“ umge-
stellt und in Absatz 5 Satz 1 Halbs. 1 die Worte „nach Absatz 1“ gestrichen.
Nach der Neufassung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. durch Art. 4 Nr. 11
Buchst. a Doppelbuchst. aa DNeuG gilt nun, dass nicht mehr der nach „den
sonstigen Vorschriften berechnete Ruhegehaltssatz“, sondern nur noch der
nach „§ 14 Abs. 1, § 36 Abs. 3 Satz 1, § 66 Abs. 2 und § 85 Abs. 4“ berechnete
Ruhegehaltssatz vorübergehend erhöht wird.
Die Änderung wurde durch Art. 17 Abs. 1 DNeuG rückwirkend mit Wirkung vom
24. Juni 2005 in Kraft gesetzt.
2. Der Erfolg der Revision hängt davon ab, ob Art. 17 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 4 Nr. 11 Buchst. a Doppelbuchst. aa DNeuG mit dem Grundgesetz verein-
bar und gültig oder mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig ist. Die Frage
ist entscheidungserheblich.
a) Ist Art. 17 Abs. 1 DNeuG verfassungswidrig und nichtig, hat die Revision des
Klägers Erfolg. Ihm stünde dann der mit der Klage geltend gemachte Anspruch
auf Berechnung des erhöhten Ruhegehaltssatzes auf Basis des amtsabhängi-
gen Mindestruhegehaltssatzes gemzu, weil
dann weiterhin § 14a Abs. 1 BeamtVG (a.F.) in der Fassung zum Zeitpunkt der
Zurruhesetzung des Klägers, dies ist die Fassung vor der Gesetzesänderung,
anzuwenden wäre.
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Nach § 4 Abs. 2 BeamtVG ist für die beantragte vorübergehende Erhöhung des
Ruhegehaltssatzes gemäß § 14a BeamtVG die Rechtslage im Zeitpunkt des
Eintritts in den Ruhestand maßgeblich. Dies ist beim Kläger der 1. März 2008.
Zu diesem Zeitpunkt galt das Beamtenversorgungsgesetz in der Fassung der
Bekanntmachung vom 16. März 1999 (BGBl I S. 322, 847, 2033), zuletzt geän-
dert durch § 22 Abs. 1 des Gesetzes vom 12. Dezember 2007 (BGBl I S. 2861).
Nachdem die vorher in zwei Vorschriften (§ 14a und § 14b BeamtVG) aufgeteil-
te Regelung durch Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Änderung des Beamtenver-
sorgungsgesetzes und sonstiger dienst- und versorgungsrechtlicher Vorschrif-
ten (BeamtVGÄndG vom 18. Dezember 1989, BGBl I S. 2218) mit Wirkung vom
1. Januar 1992 (im Beitrittsgebiet mit Wirkung vom 3. Oktober 1990) in einem
neuen § 14a BeamtVG zusammengefasst worden war, blieb die hier maßgebli-
che Regelung des § 14a Abs. 1 Halbs. 1 BeamtVG in der Folgezeit bis zur Än-
derung durch das Dienstrechtsneuordnungsgesetz vom 5. Februar 2009 unver-
ändert. Im Übrigen war § 14a BeamtVG vor der Änderung durch das Dienst-
rechtsneuordnungsgesetz zuletzt mit Wirkung vom 1. Januar 2002 und 1. Janu-
ar 2003 durch Art. 1 Nr. 12 des Versorgungsänderungsgesetzes 2001 (vom
20. Dezember 2001, BGBl I 3926) geändert worden. Dies bedeutet, dass sich
§ 14a BeamtVG in der zum Zeitpunkt der Zurruhesetzung des Klägers maßgeb-
lichen Fassung nicht von derjenigen Fassung unterschied, die Gegenstand der
dargestellten Änderung durch das Dienstrechtsneuordnungsgesetz war.
Vor der Gesetzesänderung durch das Dienstrechtsneuordnungsgesetz hatte
der Kläger einen Anspruch auf einen gemäß § 14a BeamtVG a.F. vorüberge-
hend erhöhten Ruhegehaltssatz von 59,58 v. H. (und somit auf Versorgungsbe-
züge in Höhe von monatlich brutto 1 761,68 €). Dabei war gemäß § 14a Abs. 1
BeamtVG a.F. der Mindestruhegehaltssatz von 35 v. H. (nach § 14 Abs. 4
Satz 1 BeamtVG) um den Betrag nach § 14a Abs. 2 BeamtVG vorübergehend
zu erhöhen. Der Erhöhungsbetrag nach § 14a Abs. 2 BeamtVG beträgt beim
Kläger 24,58 v. H. Auch die sonstigen Voraussetzungen des § 14a BeamtVG
sind und waren erfüllt (vgl. die insoweit zutreffenden Ausführungen im Bescheid
vom 12. Februar 2008 und im Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom
26. Januar 2009), so dass sich die angegriffenen Bescheide als rechtswidrig
erwiesen und auf die Revision des Klägers der Beschluss des Berufungsge-
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richts aufgehoben sowie das stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts wie-
derhergestellt werden müsste.
b) Ist Art. 17 Abs. 1 DNeuG hingegen gültig, kann die Revision des Klägers kei-
nen Erfolg haben.
Nach der Gesetzesänderung kommt allein eine Erhöhung des nach § 14 Abs. 1
BeamtVG berechneten Ruhegehaltssatzes in Betracht. Dieser beträgt beim
Kläger 32,64 v. H. Zuzüglich des Erhöhungssatzes gemäß § 14a Abs. 2 Be-
amtVG, der beim Kläger 24,58 v. H. beträgt, errechnet sich für den Kläger ein
gemäß § 14a BeamtVG vorübergehend erhöhter Ruhegehaltssatz von 57,22
v. H. (monatlich brutto 1 691,89 €). Zwar ist der Kläger nach der Gesetzesände-
rung in den Ruhestand getreten, jedoch findet die Gesetzesänderung auf ihn
aufgrund der Rückwirkungsanordnung des Art. 17 Abs. 1 DNeuG Anwendung.
Der Kläger ist nach dem in Art. 17 Abs. 1 DNeuG genannten Zeitpunkt - dem
24. Juni 2005 - in den Ruhestand getreten. Wäre diese Rückwirkungsanord-
nung verfassungsmäßig, so hätte dies zur Folge, dass die vom Kläger angegrif-
fenen Bescheide nachträglich rechtmäßig geworden wären und die Revision
gegen den Beschluss des Berufungsgerichts zurückzuweisen wäre.
3. Indes verstößt Art. 17 Abs. 1 DNeuG zur Überzeugung des Senats gegen
Art. 20 Abs. 3, Art. 33 Abs. 5 und Art. 3 Abs. 1 GG.
a) Die Rückwirkungsanordnung des Art. 17 Abs. 1 DNeuG führt beim Kläger für
den Zeitraum vor der Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes (vom
Eintritt in den Ruhestand am 1. März 2008 bis zum 28. Februar 2009
§ 49 Abs. 4 BeamtVG i. V. m. § 3 Abs. 5 BBesG und § 52 Abs. 1 BeamtVG ist
auf das Monatsende abzustellen>) zu einer nachträglichen Kürzung seines be-
stehenden Versorgungsanspruchs. Aufgrund der durch Art. 17 Abs. 1 DNeuG
ausgelösten Rückbewirkung von Rechtsfolgen in den vor der Verkündung lie-
genden Zeitraum entfaltet die Änderung für diesen Zeitraum „echte“ Rückwir-
kung (aa). Für den Zeitraum nach der Verkündung des Dienstrechtsneuord-
nungsgesetzes bis zum Erreichen des 65. Lebensjahres des Klägers und damit
dem Ende des Anspruchszeitraums nach § 14a Abs. 1 BeamtVG (vom 1. März
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2009 bis zum 28. Februar 2013) kürzt sie ebenfalls den bestehenden Versor-
gungsanspruch des Klägers, bezogen auf den Zeitpunkt der Verkündung des
Gesetzes jedoch erst mit Wirkung für die Zukunft. Für diesen Zeitraum stellt
sich die Rückwirkungsanordnung als tatbestandliche Rückanknüpfung („unech-
te“ Rückwirkung) dar (bb).
aa) Für diejenigen, die - wie der Kläger - in dem Zeitraum ab dem Rückwir-
kungszeitpunkt bis zum Inkrafttreten des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes in
den Ruhestand getreten sind (und noch keinen bestandskräftigen Versorgungs-
festsetzungsbescheid haben), ist die Versorgung nach dem Beamtenversor-
gungsgesetz in der Fassung der Änderungen durch das Dienstrechtsneuord-
nungsgesetz festzusetzen. Bei dieser Personengruppe greift Art. 4 Nr. 11
Buchst. a Doppelbuchst. aa in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 DNeuG rechts-
technisch-formal nachträglich ändernd in bereits abgewickelte, der Vergangen-
heit angehörende Tatbestände ein und wirkt nicht nur auf gegenwärtige, noch
nicht abgeschlossene Sachverhalte oder Rechtsbeziehungen für die Zukunft ein
(zu den Merkmalen einer echten Rückwirkung vgl. BVerfG, Beschlüsse vom
14. November 1961 - 2 BvL 15/59 - BVerfGE 13, 206 <212>, vom 5. Juli 1972
- 2 BvL 6/66 u.a. - BVerfGE 33, 265 <293>, vom 14. Mai 1986 - 2 BvL 2/83 -
BVerfGE 72, 200 <241 ff.> und vom 15. Oktober 1996 - 1 BvL 44/92 u.a. -
BVerfGE 95, 64 <86>; Urteil vom 23. November 1999 - 1 BvF 1/94 - BVerfGE
101, 239 <263>; Beschlüsse vom 8. September 2008 - 2 BvL 6/03 - juris Rn. 23
und vom 21. Juli 2010 - 1 BvL 11/06 u.a. - juris Rn. 71; stRspr). Die Regelung
soll auch materiell-rechtlich rückwirkend Geltung beanspruchen, und zwar ab
dem 24. Juni 2005. Entgegenstehende Verwaltungsakte werden rechtswidrig.
Bei dieser Personengruppe liegt eine echte Rückwirkung vor.
Das Berufungsgericht hat zwar angenommen, dass sich die Neuregelung beim
Kläger erst zukunftsbezogen auswirke und eine noch nicht endgültig gesicherte
Rechtsposition betreffe, weil der Anspruch auf vorübergehende Erhöhung des
Ruhegehaltssatzes erst mit Antragstellung, möglicherweise sogar erst mit Er-
lass des Festsetzungsbescheides entstehe. Dies ist jedoch unzutreffend. Bei
Normen, die Rechtsansprüche gewähren, bedeutet „abgewickelter Tatbestand“,
dass ein Sachverhalt abgeschlossen ist, der die materiell-rechtlichen Voraus-
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setzungen des bisher geltenden Anspruchstatbestandes erfüllt. Der Begriff „ab-
gewickelt“ ist nicht gleichbedeutend mit „zuerkannt durch Bescheid“, und es
kommt auch nicht auf behördliche Vollzugsakte an, sondern allein auf die Erfül-
lung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom
23. März 1971 - 2 BvL 2/66 u.a. - BVerfGE 30, 367 <387> und vom 21. Juli
2010 - 1 BvL 11/06 u.a. - juris Rn. 71; BVerwG, Urteil vom 3. Juli 2003
- BVerwG 2 C 36.02 - BVerwGE 118, 277 <287> = Buchholz 237.6 § 87c
NdsLBG Nr. 1 S. 9 f.).
Die vorübergehende Erhöhung des Ruhegehaltssatzes wird zwar nach § 14a
Abs. 4 Satz 1 BeamtVG nur auf Antrag gewährt. Wird der Antrag - wie hier - in-
nerhalb von drei Monaten nach dem Eintritt in den Ruhestand gestellt, gilt er als
zum Zeitpunkt des Ruhestandseintritts gestellt (Satz 2). Wird der Antrag später
gestellt, tritt die Erhöhung vom Beginn des Antragsmonats ein (Satz 3). Wird
also kein Antrag oder erst sehr spät ein solcher gestellt, so erlischt der
Anspruch (bis dahin). Der Rechtsanspruch auf Gewährung der vorübergehen-
den Erhöhung des Ruhegehaltssatzes entsteht jedoch nicht erst durch die An-
tragstellung und mit dieser, sondern mit dem Zeitpunkt, in dem der berechtigte
Beamte in den vorzeitigen Ruhestand tritt. Das Versorgungsrecht knüpft maß-
geblich an die Zurruhesetzung an; in diesem Zeitpunkt entsteht der Anspruch,
vgl. § 4 Abs. 2 BeamtVG. Die erforderliche Antragstellung stellt lediglich die
Geltendmachung des bereits mit der Zurruhesetzung entstandenen Erhöhungs-
anspruchs dar (vgl. für die Beihilfe: Urteile vom 23. März 1979 - BVerwG 6 C
49.77 - Buchholz 238.911 Nr. 14 BhV (F. 1972) Nr. 1 S. 2, und vom 3. Juli 2003
a.a.O. S. 9 f.). Liegen die anspruchsbegründenden tatbestandlichen Umstände
in der Vergangenheit, so dass sie dem Einfluss des Beamten entzogen sind, so
entfaltet eine Norm auch dann eine echte Rückwirkung, wenn einzelne zur Fäl-
ligkeit und Durchsetzbarkeit des Anspruchs erforderliche Elemente noch fehlen.
Der Festsetzungsbescheid nach § 49 BeamtVG ist ein feststellender (deklarato-
rischer) Bescheid, der die Grundlage für die Auszahlung der Versorgungsbezü-
ge bildet (Urteil vom 24. April 1959 - BVerwG 6 C 91.57 - BVerwGE 8, 261
<264 ff.> = Buchholz 232 § 87 BBG Nr. 1 S. 9 ff.); er ist nur dann konstitutiv,
wenn Versorgung nach Ermessen gewährt werden soll (vgl. § 49 Abs. 1 Satz 1
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- 13 -
letzter Halbs. BeamtVG
Abs. 2 Satz 2 BeamtVG>). Der Anspruch nach § 14a BeamtVG wird nicht nach
Ermessen gewährt (vgl. zur Bedeutung des Versorgungsfestsetzungsbeschei-
des: Urteil vom 24. April 1959 a.a.O. insbesondere S. 270 f. bzw. 16 f.). In die-
sen mit der Zurruhesetzung entstandenen Anspruch des Klägers auf vorüber-
gehende Erhöhung des Ruhegehaltssatzes, und zwar auch auf der Grundlage
des sogenannten amtsbezogenen Mindestruhegehaltssatzes von 35 v.H. (ge-
mäß § 14 Abs. 4 BeamtVG), greift Art. 4 Nr. 11 Buchst. a Doppelbuchst. aa in
Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 DNeuG rückwirkend ein und vernichtet ihn (vgl.
zum Ganzen für die Beihilfe, die ebenfalls nur auf Antrag gewährt wird, der zu-
dem binnen Jahresfrist ab Entstehen des Anspruchs gestellt sein muss: Urteil
vS. 9 f.).
Damit kommt Art. 17 Abs. 1 DNeuG schon deswegen echte Rückwirkung zu,
weil er dazu führt, dass § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. für diejenigen Beamten, die
seit dem 24. Juni 2005 in den Ruhestand getreten sind, nicht mehr anwendbar
ist und damit bewirkt, dass § 14a Abs. 1 BeamtVG in der Fassung durch das
Dienstrechtsneuordnungsgesetz auch für diejenigen Ruhestandsbeamten gilt,
die seit dem 24. Juni 2005 in den Ruhestand getreten sind, obwohl die Norm
erst mit der Verkündung am 11. Februar 2009 rechtlich existent geworden ist.
Für diesen Zeitraum, in dem eine Rück(be)wirkung von Rechtsfolgen (soge-
nannte echte Rückwirkung) vorliegt, stellt sich die Frage nach dem Schutz des
Vertrauens des Klägers in den Bestand der ursprünglich geltenden Rechtsfol-
genlage, welche nachträglich geändert worden ist. Dies ist vorrangig an den
allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen insbesondere des Vertrauensschut-
zes und der Rechtssicherheit zu messen, wobei in Verbindung mit diesen
Grundsätzen allerdings auch diejenigen Grundrechte zu berücksichtigen sind,
deren Schutzbereich von der nachträglich geänderten Rechtsfolge in belasten-
der Weise betroffen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1986 - 2 BvL 2/83 -
BVerfGE 72, 200 <242>; dazu nachfolgend b)).
bb) Für den Zeitraum nach der Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsge-
setzes bis zum Erreichen des 65. Lebensjahres des Klägers stellt sich die
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Rückwirkungsanordnung des Art. 17 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Nr. 11
Buchst. a Doppelbuchst. aa DNeuG als tatbestandliche Rückanknüpfung (un-
echte Rückwirkung) dar. Für diesen Zeitraum greift die Rückwirkungsanordnung
ebenfalls in einen bereits bestehenden Versorgungsanspruch des Klägers ein
und macht den Eintritt ihrer Rechtsfolgen von Gegebenheiten aus der Zeit vor
ihrer Verkündung abhängig. Der gemäß § 4 Abs. 2 BeamtVG im Zeitpunkt der
Zurruhesetzung entstandene Versorgungsanspruch wird - bezogen auf den
Zeitpunkt der Verkündung des Gesetzes - mit Wirkung für die Zukunft gekürzt.
Im Gegensatz zu dem Zeitraum, für den eine echte Rückwirkung vorliegt, kann
die tatbestandliche Rückanknüpfung (sogenannte unechte Rückwirkung) vor-
rangig Grundrechte berühren, die mit der Verwirklichung des jeweiligen Tatbe-
standsmerkmals vor Verkündung der Norm „ins Werk gesetzt“ worden sind. In
die damit erforderliche grundrechtliche Bewertung fließen die allgemeinen
rechtsstaatlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit,
aber auch der Verhältnismäßigkeit (hier beschränkt auf den Gesichtspunkt der
Vergangenheitsanknüpfung) in der Weise ein, wie dies allgemein bei der Ausle-
gung und Anwendung von Grundrechten im Hinblick auf die Fragen des mate-
riellen Rechts geschieht. Danach ist die Einwirkung auf gegenwärtige, noch
nicht abgeschlossene Sachverhalte bzw. Rechtsbeziehungen für die Zukunft
verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig; im Einzelfall können sich aber Ein-
schränkungen aus Vertrauensschutz- und Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten
ergeben (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14. Mai 1986 a.a.O. S. 242 f. und vom
30. September 1987 a.a.O. S. 346 f.;
BVerfGE 114, 258 <300 f.>; dazu nachfolgend c)).
cc) Auf die übrigen, vom Berufungsgericht genannten Fallgruppen kommt es in
diesem Zusammenhang nicht entscheidungserheblich an, weil der Kläger zu
keiner dieser Fallgruppen gehört. Weder gehört er zu den Ruhestandsbeamten
mit bestandskräftigem Versorgungsfestsetzungsbescheid noch ist er ein Ruhe-
standsbeamter, der erst nach der Verkündung des Dienstrechtsneuordnungs-
gesetzes in den Ruhestand getreten ist oder treten wird. Während bei der erst-
genannten Fallgruppe § 52 Abs. 1 BeamtVG materiell-rechtlich eine echte
Rückwirkung verhindert bzw. abmildert, greift bei der letztgenannten Fallgruppe
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die Rückwirkungsanordnung des Art. 17 Abs. 1 DNeuG - anders als beim Klä-
ger - nicht in einen bereits bestehenden Anspruch ein, sondern ändert lediglich
die Rechtslage, die die Betroffenen noch bei Eintritt in das Beamtenverhältnis
vorgefunden haben.
b) Die Rückwirkungsanordnung des Art. 17 Abs. 1 DNeuG verstößt für den Zeit-
raum, für den eine echte Rückwirkung vorliegt - dies ist der Zeitraum vor der
Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes -, gegen das Rückwir-
kungsverbot des Art. 20 Abs. 3 GG. Zugleich greift sie in den bestehenden und
von Art. 33 Abs. 5 GG besonders geschützten Versorgungsanspruch des Klä-
gers ein. Einer der anerkannten Ausnahmefälle, in denen eine Rückwirkung
ausnahmsweise zulässig ist, liegt nicht vor. Bereits aus diesem Grund erweist
sich die Rückwirkungsanordnung als verfassungswidrig. Zudem verstößt sie
gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG, weil sie sich nur in den Fällen
auswirkt, in denen sich der Dienstherr vor der Gesetzesänderung rechtswidrig
verhalten hat.
Das Rückwirkungsverbot folgt aus dem inverankerten
Rechtsstaatsprinzip, dem der Vertrauensgrundsatz innewohnt. In Verbindung
mit diesen Grundsätzen sind diejenigen Grundrechte und grundrechtsgleichen
Rechte zu berücksichtigen, deren Schutzbereich von der nachträglich geänder-
ten Rechtsfolge in belastender Weise betroffen ist, hier Art. 33 Abs. 5 GG. Liegt
- wie dies für den Zeitraum vor Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsge-
setzes der Fall ist - eine Rückbewirkung von Rechtsfolgen (sog. echte Rückwir-
kung) vor, weil der Beginn des zeitlichen Anwendungsbereichs einer Norm und
der Eintritt ihrer Rechtsfolgen auf einen Zeitpunkt festgelegt worden sind, der
vor demjenigen liegt, zu dem die Norm durch ihre Verkündung gültig geworden
ist, so hat der Gesetzgeber nachträglich ändernd in einen abgeschlossenen
Sachverhalt eingegriffen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14. Mai 1986 a.a.O.
S. 242, vom 30. September 1987 - 2 BvR 933/82 - BVerfGE 76, 256, 346 f. und
vom 3. Dezember 1997 - 2 BvL 882/97 - BVerwGE 97, 67 <78 f.>; Urteile vom
21. Oktober 2003 - 2 BvR 2029/01 - BVerfGE 109, 133 <180>
.a.O. S. 300; Beschlüsse vom 8. September 2008 - 2 BvL
6/03 - juris Rn. 23 und vom 21. Juli 2010 - 1 BvL 11/06 u.a. - juris Rn. 75
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m.w.N.). Dies ist grundsätzlich unzulässig. Abgesehen von einer Bagatellgrenze
(vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 23. März 1971 - 2 BvL 2/66 u.a. - BVerfGE 30,
367 <389>, vom 14. Mai 1986 a.a.O. S 258 f. und vom 15. Oktober 1996
- 1 BvL 44/92 u.a. - BVerfGE 95, 64 <86 f.>) tritt das Rückwirkungsverbot nur
dann ausnahmsweise zurück, wenn sich kein schützenswertes Vertrauen auf
den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte (vgl. BVerf
-
<263>; Beschluss vom 21. Juli 2010 a.a.O. Rn. 75). Entscheidend ist dabei, ob
die bisherige Regelung bei objektiver Betrachtung geeignet war, ein Vertrauen
der betroffenen Personengruppe auf ihren Fortbestand zu begründen (vgl.
BVerfG, Urteil vom 23. März 1971 a.a.O. S. 389; Beschlüsse vom 20. Oktober
1971 - 1 BvR 757/66 - BVerfGE 32, 111 <123> und vom 21. Juli 2010 a.a.O.
Rn. 75; BVerwG, Urteil vom 3. Juli 2003 - BVerwG 2 C 36.02 - BVerwGE 118,
277 <288> = Buchholz 237.7 § 87c NdsLBG Nr. 1 S. 10).
Die Fundierung im Vertrauensschutz zeichnet zugleich die Grenze des Rück-
wirkungsverbotes vor (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 20. Oktober 1971 a.a.O.
S. 123 und vom 25. Mai 1993 - 1 BvR 1509/91 u.a. - BVerfGE 88, 384 <404>;
Urteil vom 23. November 1999 a.a.O. S. 266; Beschluss vom 21. Juli 2010
a.a.O. Rn. 75). Dieses greift unter anderem dann nicht ein, wenn sich kein
schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts für vergan-
gene Zeiträume bilden konnte (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 25. Mai 1993
a.a.O. S. 404 und vom 15. Oktober 1996 a.a.O. S. 86 f.; Urteil vom 23. Novem-
ber 1999 a.a.O. S. 263; Beschluss vom 21. Juli 2010 Rn. 75). Dies kommt in
Betracht, wenn die Betroffenen, bezogen auf den Zeitpunkt des (rückwirkenden)
Inkrafttretens des Gesetzes, mit der Regelung rechnen mussten oder wenn das
geltende Recht so unklar und verworren ist, dass die Betroffenen bei ihren Dis-
positionen darauf nicht vertrauen konnten (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. Dezem-
ber 1961 - 2 BvL 6/59 - BVerfGE 13, 261 <272>; Beschlüsse vom 25. Mai 1993
a.a.O. S. 404, vom 8. April 1998 - 1 BvR 1680/93 u.a. - BVerfGE 98, 17 <39>
und vom 21. Juli 2010 a.a.O. Rn. 75 m.w.N.); ferner können sich die Betroffe-
nen nicht immer auf den durch eine ungültige Norm erzeugten Rechtsschein
verlassen, weshalb der Gesetzgeber unter Umständen eine nichtige Bestim-
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- 17 -
mung rückwirkend durch eine rechtlich nicht zu beanstandende Norm ersetzen
kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. November 1967 - 2 BvL 7/64 u.a. -
<348>). Schließlich können überragende Belange des Ge-
meinwohls, die dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgehen, eine Rückwir-
kungsanordnung rechtfertigen (vgl. BVerfG, Urteile vom 19. Dezember 1961
a.a.O. S. 272 und vom 23. November 1999 a.a.O. S. 264; Beschluss vom
8. September 2008 a.a.O. Rn. 23). Indes ist hier entgegen der Auffassung des
Berufungsgerichts keiner dieser Ausnahmetatbestände gegeben.
aa) Das Berufungsgericht hat angenommen, dass die betroffenen Beamten -
und somit auch der Kläger - keines Vertrauensschutzes bedürften, weil nicht
ersichtlich sei, dass sie in Kenntnis der rückwirkenden Änderung von bestimm-
ten Aufwendungen abgesehen hätten, zumal es hier um einen geringen Betrag
gehe. Dem kann nicht gefolgt werden.
Das Verbot echter Rückwirkung findet im Gebot des Vertrauensschutzes nicht
nur seinen Grund, sondern auch seine Grenze. Das Vertrauen des Betroffenen
auf die geltende Rechtslage bedarf dann keines Schutzes gegenüber einer
sachlich begründeten rückwirkenden Gesetzesänderung, wenn dadurch kein
oder nur ganz unerheblicher Schaden verursacht worden ist. Schon dies ist
nicht der Fall. Es handelt sich bei einer Kürzung der Bruttoversorgung um 3,96
v.H. nicht um einen geringen Betrag, weder bezogen auf den Betrag für den
Gesamtzeitraum der Rückwirkung vom 24. Juni 2005 bis zum 11. Februar 2009
(ausgehend von den für den Kläger geltenden Beträgen: insgesamt ca. 3 140 €
bis zur Verkündung des Gesetzes) noch im konkreten Fall (beim Kläger für den
Zeitraum der Zurruhesetzung bis zur Verkündung: 837,48 €; für den Gesamt-
zeitraum <5 Jahre>: 4 187,40 €). Dabei darf zudem nicht unberücksichtigt blei-
ben, dass es hier um eine Erhöhung der amtsbezogenen Mindestversorgung
geht, also stets Empfänger niedriger Versorgungsbezüge (beim Kläger: brutto
1 691,89 €) mit relativ kurzen Dienstzeiten betroffen sind (allgemein zum Baga-
tellvorbehalt: BVerfG, Beschlüsse vom 23. März 1971 a.a.O. S. 389, vom
14. Mai 1986 a.a.O. S. 258 f. und vom 15. Oktober 1996 a.a.O. S. 86 f.). Ein
Bagatellfall liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn - wie hier - eine Differenz um
einen Betrag im deutlich zweistelligen Bereich bezogen auf laufende monatliche
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- 18 -
Bezüge in Rede steht.
Schutzwürdig ist von Verfassungs wegen zwar nur das betätigte Vertrauen, die
„Vertrauensinvestition“, die zur Erlangung einer Rechtsposition geführt hat (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 1987 - 1 BvR 724/81 u.a. - BVerfGE 75, 246
<280>). Um Vertrauensschutz zu begründen, muss die rückwirkend geänderte
gesetzliche Regelung generell geeignet sein, aus dem Vertrauen auf ihr Fortbe-
stehen heraus Entscheidungen und Dispositionen herbeizuführen oder zu be-
einflussen, die sich bei der Änderung der Rechtslage als nachteilig erweisen.
Der Betroffene soll in seinem Vertrauen darauf geschützt sein, dass der Ge-
setzgeber nicht nachträglich eine Regelung trifft, auf die er nicht mehr durch
eine Verhaltensänderung reagieren kann. Dies ist bei anspruchsbegründenden
Gesetzesnormen generell anzunehmen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 23. März
1971 a.a.O. S. 389, vom 20. Oktober 1971 a.a.O. S. 123 und vom 21. Juli 2010
a.a.O. Rn. 75; BVerwG, Urteil vom 3. Juli 2003 a.a.O. S. 288 bzw. 10).
Auch die Regelung des § 14a BeamtVG a.F. war generell geeignet, aus dem
Vertrauen auf ihr Fortbestehen heraus Entscheidungen und Dispositionen her-
beizuführen oder zu beeinflussen, die sich bei der Änderung der Rechtslage als
nachteilig erweisen. Insoweit ist ausreichend, dass die bisherige Regelung als
anspruchsbegründende Norm bei objektiver Betrachtung geeignet war, ein Ver-
trauen der betroffenen Versorgungsempfänger auf ihren Fortbestand zu be-
gründen. Das Berufungsgericht argumentiert umgekehrt, weil es von einem nur
geringfügigen Betrag ausgeht und meint, angesichts des Gesamteinkommens
sei hier letztlich nicht - weder relativ noch nach den absoluten Beträgen - davon
auszugehen, dass insoweit von bestimmten Aufwendungen, insbesondere in
höherer Größenordnung abgesehen worden wäre und Beamte in ihrer Disposi-
tion wesentlich beeinträchtigt worden wären. Jedoch wären schon eine gering-
fügig teurere Mietwohnung oder ein Ratenkredit, der in der Höhe von knapp
70 € im Monat zu bedienen ist, nur noch schwer wieder rückgängig zu machen.
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- 19 -
Da Art. 17 Abs. 1 DNeuG die im Gesetz festgelegte Höhe des bestehenden
Versorgungsanspruchs des Klägers nachträglich absenkt, muss der Kläger ent-
gegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht etwa darlegen, dass er
bestimmte Dispositionen getroffen hat, von denen er bei Kenntnis der nachträg-
lichen Gesetzesänderung abgesehen hätte. Selbst wenn man insoweit dem
Berufungsgericht folgt und eine rückwirkende Änderung eines gesetzlich festge-
legten Anspruchs unter solchen Umständen im Einzelfall für zulässig oder un-
beachtlich erachten würde, müssten wegen der generellen Eignung der Norm,
aus dem Vertrauen auf ihr Fortbestehen heraus Entscheidungen und Dispositi-
onen herbeizuführen oder zu beeinflussen, die sich bei der Änderung der
Rechtslage als nachteilig erweisen, schon konkrete Anhaltspunkte vorliegen,
dass dies beim Kläger nicht der Fall war. Dazu gibt es aber keine Feststellun-
gen des Berufungsgerichts.
bb) Weder handelte es sich bei § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. um eine ungültige
Norm noch war entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts das geltende
Recht etwa unklar oder gar so verworren, dass die Betroffenen bei ihren Dispo-
sitionen nicht darauf hätten vertrauen können.
Der Senat hat zuletzt noch einmal im Urteil vom 12. November 2009 - BVerwG
2 C 29.08 - (Buchholz 239.1 § 14a BeamtVG Nr. 5) sein Urteil vom 23. Juni
2005 - BVerwG 2 C 25.04 - (BVerwGE 124, 19 = Buchholz 239.1 § 14a
BeamtVG Nr. 4) bestätigt. Danach ergibt sich aus einer Auslegung des § 14a
Abs. 1 BeamtVG a.F. nach Wortlaut, Systematik und Normzweck unter Berück-
sichtigung der Entstehungsgeschichte, dass auch der Mindestruhegehaltssatz
von 35 v. H. gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG a.F. vorübergehend erhöht
werden kann. In diesem Zusammenhang hat der Senat zur Neufassung des
§ 14a Abs. 1 BeamtVG ausgeführt:
Der Umstand, dass der Bundesgesetzgeber § 14a Abs. 1
BeamtVG nun dahin neu gefasst hat, dass nicht mehr der
nach „den sonstigen Vorschriften berechnete Ruhege-
haltssatz“, sondern nur noch der nach „§ 14 Abs. 1, § 36
Abs. 3 Satz 1, § 66 Abs. 2 und § 85 Abs. 4“ berechnete
Ruhegehaltssatz vorübergehend erhöht wird, bestätigt
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- 20 -
dieses Ergebnis. Angesichts des Wortlauts der Fassungen
der Vorschrift vor und nach der Änderung durch das
Dienstrechtsneuordnungsgesetz und der Entstehungsge-
schichte der ursprünglichen Fassung der Vorschrift als
Reaktion auf Änderungen im Sozialversicherungsrecht
gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass bereits früher eine
solche Einschränkung gewollt oder von vornherein mitge-
dacht war. Die rechtliche Wertung des Gesetzgebers, es
handele sich bei der Neufassung um eine bloße Klarstel-
lung (vgl. BTDrucks 16/7076 S. 158, 186) und keine darü-
berhinausgehende inhaltliche Änderung, ist unbeachtlich.
Hieran ist festzuhalten. Die in der Begründung des Gesetzesentwurfs zu Art. 4
Nr. 11 Buchst. a Doppelbuchst. aa und zu Art. 17 Abs. 1 DNeuG in Anspruch
genommene Befugnis des Gesetzgebers zur authentischen Interpretation ist für
die Gerichte nicht verbindlich. Dies gilt auch für die Frage, ob eine Norm konsti-
tutiven oder deklaratorischen Charakter hat. Eine durch einen Interpretations-
konflikt zwischen Gesetzgeber und Rechtsprechung ausgelöste Normsetzung
ist nicht anders zu beurteilen als eine durch sonstige Gründe veranlasste rück-
wirkende Gesetzesänderung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2010 a.a.O.
Rn. 73 m.w.N.)
Entgegen der Einschätzung des Berufungsgerichts liegt hier keine Fallkonstella-
tion vor, in der wegen abweichender Auffassungen in der Kommentarliteratur
und divergierender Rechtsprechung der Instanzgerichte nicht schon ein Revisi-
onsurteil, sondern erst eine langjährige gefestigte Rechtsprechung des Revisi-
onsgerichts die unklare und verworrene Rechtslage beseitigt (vgl. zu dieser
Konstellation: BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2010 a.a.O. Rn. 73 m.w.N.).
Denn dies setzt voraus, dass der den Klarstellungsbedarf auslösende Geset-
zestext so lückenhaft, unsystematisch oder mehrdeutig ist, dass nach Anwen-
dung der hergebrachten Auslegungsmethoden mehrere mögliche Auslegungs-
ergebnisse mit gleicher Überzeugungskraft vertretbar nebeneinander stehen.
So liegt der Fall hier aber nicht. Es bleibt vielmehr festzuhalten, dass das Er-
gebnis des Senats, dass auch der Mindestruhegehaltssatz von 35 v.H. gemäß
§ 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG a.F. vorübergehend erhöht werden kann, aus ei-
ner Auslegung des § 14a Abs. 1 BeamtVG nach Wortlaut, Systematik und
Normzweck unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte folgt.
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Bereits der Wortlaut des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. sprach dafür, dass der
individuell ermittelte und festgesetzte Ruhegehaltssatz stets „berechnet“ ist,
auch wenn er auf der Basis der Vom-Hundert-Sätze des § 14 Abs. 4 BeamtVG
gewonnen worden ist. Im Gegensatz zu § 14 Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 1
BeamtVG forderte § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. nicht, dass das Ruhegehalt „er-
dient“ und ausschließlich nach § 14 Abs. 1 BeamtVG bestimmt ist. § 14a Abs. 1
BeamtVG a.F. kannte weder den Begriff „erdient“ noch enthielt die Regelung
einen Verweis auf § 14 Abs. 1 BeamtVG. Schon nach dieser im Wortlaut des
Gesetzes auszumachenden Differenzierung lag es fern, als den berechneten
Ruhegehaltssatz im Sinne von § 14a BeamtVG a.F. nur den erdienten Ruhege-
haltssatz anzusehen. Die vorübergehende Erhöhung erfolgte nach § 14a Abs. 1
BeamtVG auf der Grundlage des „nach den sonstigen Vorschriften berechneten
Ruhegehaltssatzes“. Nicht nur bei dem das „erdiente Ruhegehalt“ betreffenden
Ruhegehaltssatz nach § 14 Abs. 1 BeamtVG, sondern auch bei dem Ruhege-
haltssatz nach § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG handelt es sich um einen „berech-
neten“ Ruhegehaltssatz. Dies hat der Senat im Urteil vom 23. Juni 2005 (a.a.O.
S. 20 f. bzw. S. 8) im Einzelnen dargelegt:
Dem (Mindestruhegehaltssatz von 35 v.H.) … liegt ein
„berechneter Ruhegehaltssatz“ im Sinne des § 14a Abs. 1
BeamtVG zugrunde. „Ruhegehaltssatz“ ist der nach den
§§ 4 ff. BeamtVG (gegebenenfalls auch nach Sondervor-
schriften) ermittelte individuelle Vom-Hundert-Satz der ru-
hegehaltfähigen Dienstbezüge, der dem Ruhegehalt zu-
grunde gelegt wird. Der Ruhegehaltssatz knüpft an die ru-
hegehaltfähige Dienstzeit, die neben den ruhegehaltfähi-
gen Dienstbezügen der maßgebende Faktor für die Be-
rechnung des Ruhegehaltes ist (vgl. § 4 Abs. 3 BeamtVG);
er kann sich jedoch von der Dienstzeit lösen und abstrakt
oder nach zeitunabhängigen Umständen festgelegt sein
(vgl. § 36 Abs. 3, § 37 Abs. 1 BeamtVG). „Ruhegehalts-
satz“ ist auch der in § 14 Abs. 4 Satz 1 oder Satz 2
BeamtVG bestimmte Bruchteil der jeweiligen Bemes-
sungsgrundlage. Insoweit wird ebenfalls ein Vom-Hundert-
Satz bezeichnet, aus dem sich das Ruhegehalt ergibt.
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Nicht nur bei dem das „erdiente Ruhegehalt“ betreffenden
Ruhegehaltssatz nach § 14 Abs. 1 BeamtVG, sondern
auch bei dem Ruhegehaltssatz nach § 14 Abs. 4 Satz 1
BeamtVG handelt es sich um einen „berechneten“ Ruhe-
gehaltssatz. Bereits der Wortlaut des § 14a BeamtVG
spricht dafür, dass der individuell ermittelte und festge-
setzte Ruhegehaltssatz stets „berechnet“ ist, auch wenn
er auf der Basis der Vom-Hundert-Sätze des § 14 Abs. 4
BeamtVG gewonnen worden ist. Der Festsetzung des Ru-
hegehalts liegt nach § 14 BeamtVG ein mehrfacher Ver-
gleich zugrunde: Zunächst ist das Ruhegehalt gemäß § 14
Abs. 1 BeamtVG auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen
Dienstzeit und dem sich daraus ergebenden Ruhegehalts-
satz „exakt“ zu berechnen. Sodann ist das amtsbezogene
Mindestruhegehalt gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG
auf der Grundlage des feststehenden Ruhegehaltssatzes
von 35 v.H. zu bestimmen. Da die Bemessungsgrundla-
gen nach § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 BeamtVG
identisch sind, ergibt sich bereits aus einem Vergleich der
beiden Ruhegehaltssätze, welcher für die Festsetzung des
Ruhegehalts maßgebend sein soll. Sodann ist das sog.
amtsunabhängige Mindestruhegehalt nach § 14 Abs. 4
Satz 2 BeamtVG zu berechnen. Da diesem eine andere
Bemessungsgrundlage zugrunde liegt, wird das Ruhege-
halt nach den Vorgaben dieser Bestimmung ausgerech-
net. Übersteigt es den zuvor ermittelten Wert, ist der (Ru-
hegehalts-) Satz in Höhe von 65 v.H. nach dieser Bestim-
mung der gemäß § 14 a Abs. 1 BeamtVG „berechnete“
Ruhegehaltssatz, wobei gemäß der in § 14 a Abs. 1 Nr. 3
BeamtVG bestimmten Obergrenze nur ein geringer Spiel-
raum für eine vorübergehende Erhöhung verbleibt.
Das „Berechnen“ nach § 14a Abs. 1 BeamtVG muss sich
dem Wortsinn nach nicht auf die vier Grundrechenarten
beschränken, sondern kann auch weitere mathematische
Verfahren umfassen. Zu diesen Operationen nach den
Regeln der Algebra gehören die von § 14 BeamtVG ge-
forderten Vergleiche mehrerer Zahlenwerte. Der sich da-
bei ergebende Ruhegehaltssatz ist im Sinne des § 14 a
Abs. 1 BeamtVG ebenfalls „berechnet“. § 14a BeamtVG
fordert eben nicht, dass das Ruhegehalt „erdient“ und
ausschließlich nach § 14 Abs. 1 BeamtVG bestimmt ist.
Anders als in § 14 Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 1
BeamtVG wird in § 14a Abs. 1 BeamtVG auf diesen Be-
- 23 -
griff nicht abgestellt. § 14a Abs. 1 BeamtVG kennt weder
den Begriff „erdient“ noch enthält die Regelung einen Ver-
weis auf § 14 Abs. 1 BeamtVG. Schon diese im Wortlaut
des Gesetzes auszumachende Differenzierung spricht für
das Auslegungsergebnis.
Das Versorgungsrecht ist wie das Besoldungsrecht ein Rechtsgebiet, in wel-
chem dem Wortlaut des Gesetzes wegen der strikten Gesetzesbindung (§ 2
BBesG, § 3 BeamtVG) besondere Bedeutung zukommt. Vorschriften, die die
gesetzlich vorgesehene Versorgung des Beamten begrenzen oder erhöhen,
sind grundsätzlich einer ausdehnenden Anwendung nicht zugänglich (stRspr,
vgl. Urteile vom 2. April 1971 - BVerwG 6 C 82.67 - Buchholz 235 § 48a BBesG
Nr. 2 S. 8 und vom 27. März 2008 - BVerwG 2 C 30.06 - BVerwGE 131, 29
= Buchholz 239.1 § 56 BeamtVG Nr. 6, jeweils Rn. 25). Abgesehen davon, dass
die vom Gesetzgeber vorgenommene „klarstellende“ einschränkende Ausle-
gung weder selbstverständlich ist noch sich aus dem Gesetzeszweck oder der
Entstehungsgeschichte ergibt, fehlt es an jeglichem greifbaren Anhaltspunkt im
Gesetzeswortlaut für eine solche einschränkende Auslegung. Weder die Ver-
waltung noch das Gericht dürfen über den der Auslegung zugänglichen Wort-
laut des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. hinaus den Gesetzgeber korrigieren (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 1983 - 2 BvR 200/81 - BVerfGE 64, 389 <393>,
Urteil vom 11. November 1986 - 1 BvR 713/83 u.a. - BVerfGE 73, 206 <236>
und Beschluss vom 23. Oktober 1985 - 1 BvR 1053/82 - BVerfGE 71, 108
<115>; BVerwG, Urteil vom 27. März 2008 a.a.O. Rn. 28; zum Ganzen:
BVerwG, Urteil vom 12. November 2009 - BVerwG 2 C 29.08 – Buchholz 239.1
§ 14a BeamtVG Nr. 5 Rn. 12).
Ungeachtet dessen bestätigt die Entstehungsgeschichte des § 14a Abs. 1
BeamtVG a.F. das anhand des Wortlauts gefundene Auslegungsergebnis. In-
soweit hat der Senat in seinem Urteil vom 23. Juni 2005 (a.a.O.) ausgeführt:
Dass der amtsbezogene Mindestruhegehaltssatz im Wort-
sinne des § 14a BeamtVG „berechnet“ ist, entspricht im
Übrigen der Entstehungsgeschichte der Norm. § 14 Abs. 4
Satz 1 BeamtVG ist gemeinsam mit der Umstellung der
degressiven Ruhegehaltsskala auf die lineare Ruhege-
45
46
- 24 -
haltstabelle durch Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Änderung
des Beamtenversorgungsgesetzes und sonstiger dienst-
und versorgungsrechtlicher Vorschriften (BeamtVGÄndG)
vom 18. Dezember 1989 (BGBl I S. 2218) eingefügt wor-
den. Der Mindestsatz ist an die Stelle des früheren So-
ckelruhegehaltssatzes von 35 v.H. für die ersten zehn
Jahre ruhegehaltfähiger Dienstzeit getreten. Insoweit ist
im Ergebnis die bis zum 31. Dezember 1991 geltende
Rechtslage übernommen worden (vgl. GKÖD, Stand: Mai
2005, O § 14 Rn. 57). Nach zu jener Zeit einhelliger Auf-
fassung war der Sockelruhegehaltssatz in Höhe von 35
v.H. „berechnet“ im Sinne des § 14a BeamtVG (vgl. z.B.
Ziff. 2.1 Buchst. a des Rundschreibens des Bundesminis-
teriums des Innern vom 27. Januar 1986; abgedruckt bei
Plog/ Wiedow/ Bayer, BBG/BeamtVG, Stand: April 2005,
zu § 14a BeamtVG). Dass dieses dem Gesetzgeber be-
kannte Begriffsverständnis durch die „gesetzessystemati-
sche Verschiebung“ korrigiert werden sollte oder aus
sonstigen Gründen in das Gegenteil verkehrt worden sein
könnte, ist nicht erkennbar.
Vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte des § 14a BeamtVG a.F. las-
sen sich Sinn und Zweck der Regelung und der systematische Zusammenhang,
in dem die Vorschrift steht, verstehen. § 14a BeamtVG ursprünglicher Fassung
ist durch Art. 2 Nr. 2 des Vierten Gesetzes zur Änderung besoldungsrechtlicher
Vorschriften vom 20. Dezember 1985 (BGBl I S. 2466) vor dem Hintergrund
vorangegangener Einschränkungen im Recht der Rentenversicherung eingefügt
worden. Da aufgrund des Haushaltsbegleitgesetzes vom 22. Dezember 1983
(BGBl I S. 1532) eine Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit grundsätz-
lich nur noch dann beansprucht werden konnte, wenn von den letzten
60 Kalendermonaten vor Eintritt der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit mindes-
tens 36 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen belegt waren, blieben Beamte vor
Vollendung des 65. Lebensjahres bis zum Bezug der Altersrente in aller Regel
ausschließlich auf Versorgungsbezüge angewiesen. Dem sollte durch die neue
Vorschrift „entgegengewirkt“ werden (vgl. BTDrucks 10/4225 S. 21). § 14a
BeamtVG a.F. greift über das System der Beamtenversorgung hinaus. Die Vor-
schrift schafft im Beamtenversorgungsgesetz eine Ausgleichsregelung für eine
Anspruchsminderung in der Sozialversicherung (Urteil vom 23. Juni 2005 a.a.O.
S. 23 bzw. S. 10 f.). Hierzu hat der Senat in seinem Urteil vom 23. Juni 2005
47
- 25 -
(a.a.O.) ausgeführt:
Die Gesetzessystematik sowie Sinn und Zweck des § 14a
BeamtVG gebieten es, auch das nach § 14 Abs. 4
BeamtVG berechnete Mindestruhegehalt vorübergehend
zu erhöhen, wenn die gesetzliche Rente noch nicht ge-
zahlt wird. Wie der erkennende Senat bereits in seinem
Urteil vom 6. April 2000 - BVerwG 2 C 25.99 - (BVerwGE
111, 93 <96 f.>) ausgeführt hat, erhöhen gemäß § 14a
BeamtVG solche Zeiten vorübergehend den Ruhegehalts-
satz, für die auf einer Versicherungspflicht beruhende An-
sprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung be-
gründet worden sind, ohne dass der Träger der Renten-
versicherung zeitgleich zu dem Ruhegehalt zu leisten hat.
§ 14a BeamtVG ursprünglicher Fassung ist durch Art. 2
Nr. 2 des Vierten Gesetzes zur Änderung besoldungs-
rechtlicher Vorschriften vom 20. Dezember 1985 (BGBl I
S. 2466) vor dem Hintergrund vorangegangener Ein-
schränkungen im Recht der Rentenversicherung eingefügt
worden. Da nach dem Haushaltsbegleitgesetz vom
22. Dezember 1983 (BGBl I S. 1532) eine Rente wegen
Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit grundsätzlich nur noch
dann beansprucht werden konnte, wenn von den letzten
60 Kalendermonaten vor Eintritt der Berufs- oder Er-
werbsunfähigkeit mindestens 36 Kalendermonate mit
Pflichtbeiträgen belegt waren, blieben Beamte vor Vollen-
dung des 65. Lebensjahres bis zum Bezug der Altersrente
in aller Regel ausschließlich auf Versorgungsbezüge an-
gewiesen. Diese waren häufig deshalb geringer, weil
durch die späte Übernahme in ein Beamtenverhältnis und
den vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand nur wenige
Dienstjahre berücksichtigt werden konnten. Dem sollte
durch die neue Vorschrift „entgegengewirkt“ werden (vgl.
BTDrucks 10/4225 S. 21).
§ 14a BeamtVG greift über das System der Beamtenver-
sorgung hinaus und gleicht versorgungsrechtlich Nachteile
aus, die wegen der unterschiedlichen Voraussetzungen
von Ansprüchen aus der Rentenversicherung und aus der
Beamtenversorgung für die Zeit eintreten können, wäh-
rend der ein Besoldungsanspruch nicht mehr besteht, die
beamtenrechtlichen Versorgungsansprüche wegen der
außerhalb des öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses
- 26 -
verbrachten Zeiten einer Erwerbstätigkeit gering sind und
die für Invalidität und Alter vorgesehenen Leistungen ent-
sprechend den erworbenen Anwartschaften in der Sozial-
versicherung noch nicht ausgeschöpft werden können.
Danach soll § 14a BeamtVG solchen Einbußen entge-
genwirken, die durch einen „Statuswechsel“ und den da-
durch bedingten Wechsel des Systems der Alterssiche-
rung eintreten. Die „Versorgungslücke“, die sich aus dem
niedrigeren Ruhegehalt und dem vorübergehenden Aus-
schluss des Beamten von einer gesetzlichen Rente bei
vorzeitigem Eintritt in den Ruhestand ergibt, wird dadurch
geschlossen, dass für jeweils 12 Kalendermonate einer
Pflichtversicherung der Ruhegehaltssatz vorübergehend
- in der Regel bis zum Bezug der Altersrente - um einen
bestimmten Vom-Hundert-Satz erhöht wird.
Allerdings wird der Beamte nicht so gestellt, als hätte er
Anspruch auf eine Rente. Er erhält keinen Zuschlag zum
Ruhegehalt in Höhe dieses Betrages; vielmehr erfolgt der
Ausgleich durch Erhöhung des Ruhegehaltssatzes - nach
der früheren hier noch maßgebenden Fassung des § 14a
Abs. 2 Satz 1 BeamtVG - um 1 v.H. für ein Jahr der an-
rechnungsfähigen Pflichtversicherungszeiten. Dieses „Ent-
gegenwirken“ nach den Strukturprinzipien des Beamten-
versorgungsrechts schließt in der Regel einen vollständi-
gen Ausgleich aus. Stattdessen hat der Gesetzgeber für
ein Pflichtbeitragsjahr bei der vorübergehenden Erhöhung
des Ruhegehaltssatzes normativ typisierend einen maß-
vollen Steigerungssatz in Höhe von 1 v.H. der ruhegehalt-
fähigen Dienstbezüge festgelegt. Die Erhöhung des Ru-
hegehaltssatzes um 1 v.H. pro anno bleibt deutlich hinter
dem Steigerungssatz gemäß § 14 Abs. 1 BeamtVG
(1,875 v.H. nach früherem Recht) zurück. Schon nach
dem gesetzessystematischen Standort des § 14a
BeamtVG im Anschluss an die Berechnungsregelungen
des § 14 BeamtVG geht es nicht um eine Erweiterung der
ruhegehaltfähigen Dienstzeit, die in §§ 6 bis 13 BeamtVG
geregelt ist. Vielmehr wird entsprechend dem ausdrückli-
chen Wortlaut der nach „sonstigen“ Vorschriften berechne-
te Ruhegehaltssatz erhöht, um diejenigen zu schützen, die
aus einer rentenversicherungspflichtigen Tätigkeit in eine
versorgungsberechtigende Tätigkeit gewechselt sind und
vorzeitig aus dem Arbeitsleben ausscheiden müssen.
- 27 -
Die Ausgleichsfunktion der vorübergehenden Erhöhung
des Ruhegehaltssatzes nach § 14a BeamtVG entfällt nur
dann, wenn die Obergrenze des Abs. 2 Satz 2 (70 v.H.
nach früherem Recht) überschritten wird. Eine Untergren-
ze ist nicht vorgegeben. § 14a BeamtVG begünstigt auch
und gerade diejenigen, die Versorgungsbezüge nach dem
Mindestsatz erhalten. Diese Gruppe muss bis zum Errei-
chen des Renteneintrittsalters ebenfalls auf (Renten-) Be-
züge verzichten, die sie nach Erreichen der Altersgrenze
neben ihren ungeschmälert weitergezahlten Versorgungs-
bezügen erhält. Würden diese Beamten auf den nach § 14
Abs. 1 BeamtVG ermittelten Ruhegehaltssatz verwiesen,
liefe die Erhöhung nach § 14a BeamtVG ganz oder teil-
weise leer. Dies stünde in deutlichem Widerspruch zu der
Zielsetzung der vorübergehenden Erhöhung des Ruhege-
haltssatzes nach § 14a BeamtVG und zu der verfassungs-
rechtlichen Bedeutung des Mindestruhegehaltssatzes ge-
mäß § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG.
Die amtsbezogene Mindestversorgung in Höhe von
35 v.H. der jeweiligen ruhegehaltfähigen Dienstbezüge
gemäß § 5 BeamtVG dient der Sicherstellung einer nach
verfassungsrechtlichen Grundsätzen amtsangemessenen
Mindestalimentation (vgl. BTDrucks 11/5136 S. 23). Mit
diesem Sinngehalt des § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG wie
auch mit der versorgungsrechtlichen Bedeutung des § 14a
BeamtVG ist die Auffassung (…) unvereinbar, beide Vor-
schriften dienten „der Konkretisierung der allgemeinen
Fürsorgepflicht des Dienstherrn“ und es sei ausgeschlos-
sen, „einen Beamten mit nur sehr geringer aktiver Dienst-
zeit zweimal fürsorgerechtlich zu begünstigen …“. Die
Mindestversorgung nach § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG ist
weder Sozialleistung noch Fürsorgeleistung. Aus dem Ali-
mentationscharakter der Mindestversorgung folgt viel-
mehr, dass auch sie im Beamtenstatus „erdient“ ist. Aller-
dings setzt sie keine genau bestimmte Dienstzeit voraus,
sondern kennzeichnet den geringsten Umfang der Versor-
gung, wenn - wie im Regelfalle - die Mindestdienstzeit des
§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG von fünf Jahren absol-
viert und nach § 14 Abs. 1 BeamtVG noch keine ruhege-
haltfähige Dienstzeit erreicht worden ist, die einen Ruhe-
gehaltssatz von mehr als 35 v.H. ermöglicht. Die amtsbe-
zogene Mindestversorgung folgt unmittelbar aus der Ali-
mentationspflicht des Dienstherrn, die als hergebrachter
- 28 -
Grundsatz des Berufsbeamtentums durch Art. 33 Abs. 5
GG gewährleistet ist (vgl. z.B. BVerfGE 3, 58 <160>;
BVerfGE 46, 97 <117>; BVerfGE 70, 69 <79>). Sie bringt
die verfassungsrechtlichen Anforderungen der amtsge-
mäßen (BVerfGE 61, 43 <58>; BVerfGE 76, 256 <324 f.>;
Urteil vom 19. Februar 2004 - BVerwG 2 C 20.03 - Buch-
holz 239.1 § 14 BeamtVG Nr. 8) sowie der (bedarfs-)-
angemessenen Versorgung (vgl. BVerfGE 44, 249 <263>;
BVerfGE 81, 363 <383 ff.>; BVerfGE 99, 300 <314 ff.>)
zur Geltung.
Das Gebot, den Mindestruhegehaltssatz des § 14 Abs. 4
Satz 1 BeamtVG vorübergehend zu erhöhen, gibt den
Pflichtversicherungszeiten nach § 14a BeamtVG in aller
Regel auch kein höheres Gewicht als den ruhegehaltfähi-
gen Dienstzeiten gemäß § 6 BeamtVG. Zwar könnte der
amtsbezogene Mindestruhegehaltssatz nicht wegen Zei-
ten nach §§ 6 ff. BeamtVG erhöht werden. Die erheblich
abweichende Staffelung der Sätze nach § 14 Abs. 1
BeamtVG und nach § 14a Abs. 2 BeamtVG hat jedoch zur
Konsequenz, dass selbst bei einer deutlich längeren
Pflichtversicherungszeit und einer geringeren ruhegehalt-
fähigen Dienstzeit die Aufstockung des Mindestruhege-
haltssatzes gemäß § 14a BeamtVG allenfalls in besonde-
ren Ausnahmefällen einen Anspruch auf ein höheres Ru-
hegehalt verleiht, als dies bei einer (fiktiven) Einbeziehung
der Zeit nach § 14a BeamtVG in die ruhegehaltfähige
Dienstzeit der Fall wäre.
Soweit hiergegen eingewandt wird, dies führe zu einer nicht zu rechtfertigenden
Besserstellung von Beamten mit Rentenanwartschaften in der gesetzlichen So-
zialversicherung gegenüber „Nur-Beamten" sowie zu einer systemwidrigen Be-
vorzugung von Beamten mit Mindestversorgung für den Zeitraum vor Erreichen
der Altersgrenze gegenüber dem Zeitraum danach, haben diese Vergleichs-
gruppen für den Gesetzgeber bei der Schaffung des § 14a BeamtVG a.F. keine
Rolle gespielt. Es ging einzig darum, durch diese Regelung für diejenigen Be-
amten, die infolge der 1981 vorgenommenen Änderung bei der Berufs- und Er-
werbsunfähigkeitsrente keine Möglichkeit mehr hatten, ihren vormaligen sozial-
versicherungsrechtlichen Anspruch zu erhalten, einen Ausgleich im Versor-
gungsrecht zu schaffen. Zu vergleichen ist daher allein die Situation dieser
48
- 29 -
Beamtengruppe vor und nach der Gesetzesänderung im Sozialversicherungs-
recht. Zu einem anderen Ergebnis kam man vor der Gesetzesänderung auch
nicht über die den § 55 BeamtVG ergänzende Ruhensvorschrift bei Bezug der
Mindestversorgung des § 14 Abs. 5 BeamtVG, da diese Vorschrift erst wesent-
lich später, nämlich mit Wirkung vom 1. Oktober 1994 durch Art. 1 Nr. 10 des
Gesetzes zur Änderung des Beamtenversorgungsgesetzes, des Soldatenver-
sorgungsgesetzes sowie sonstiger versorgungsrechtlicher Vorschriften
(BeamtVGÄndG 1993) vom 20. September 1994 (BGBl I S. 2442) in das Ge-
setz eingefügt wurde (zum Ganzen auch: Urteil vom 12. November 2009
- BVerwG 2 C 29.08 - Buchholz 239.1 § 14a BeamtVG Nr. 5 Rn.17 und 18).
cc) Schließlich können zwar überragende Belange des Gemeinwohls, die dem
Prinzip der Rechtssicherheit vorgehen, eine Rückwirkungsanordnung rechtferti-
gen (vgl. BVerfG, Urteile vom 19. Dezember 1961 - 2 BvL 6/59 -
<272> und vom 23. November 1999 - 1 BvF 1/94 - BVerfG
<264>; Beschluss vom 8. September 2008 - 2 BvL 6/03 - juris Rn. 23), solche
sind indes nicht zu erkennen. Im Gegenteil, es fehlt bereits an einem sachlichen
Grund für die rückwirkende Rechtsänderung, so dass sich schon nicht mehr die
Frage nach dessen Gewichtigkeit stellt.
Aus der Gesetzesbegründung (BTDrucks 16/7076) lässt sich lediglich entneh-
men, dass die Regelung klarstellend im Hinblick auf höchstrichterliche Recht-
sprechung rückwirkend erfolgen sollte. Allgemein war es Ziel des Gesetzes,
weitere Maßnahmen zur langfristigen Stabilisierung der Alterssicherung zu er-
greifen, und zwar auch bezogen auf das Beamtenversorgungsrecht, wozu Än-
derungen im Rentenversicherungsrecht wirkungsgleich übertragen werden soll-
ten.
Es ist dem Gesetzgeber unbenommen, mit einer Gesetzesänderung auf die
Rechtsprechung zu reagieren oder seine ursprüngliche, noch bei der Schaffung
einer Vorschrift vertretene Auffassung zu ändern. Ohne weiteres möglich ist
eine solche Änderung mit Wirkung für die Zukunft, soweit kein verfassungs-
rechtlich verankerter Vertrauensschutz entgegensteht; strengeren Anforderun-
gen unterliegt demgegenüber eine auch in die Vergangenheit zurückwirkende
49
50
51
- 30 -
Regelung (vgl. hierzu: Landesverfassungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt,
Urteil vom 15. Januar 2002 - LVG 3/01 u.a. - juris Rn. 60).
Bedarf hiernach die „klarstellende“ Änderung durch den Gesetzgeber für den
Fall einer Rückwirkung einer Rechtfertigung, dann kann das gesetzgeberische
Ziel einer solchen Klarstellung nicht schon für sich genommen ein rechtferti-
gender Grund für den rückwirkenden Eingriff in die Rechtspositionen der betrof-
fenen Versorgungsempfänger sein.
Die rückwirkende Änderung lässt sich auch nicht mit den allgemeinen Zielen
des Gesetzentwurfs (wirkungsgleiche Übertragung der Änderungen im Renten-
versicherungsrecht wegen der desolaten Haushaltssituation) in Einklang brin-
gen. Geringe Einspareffekte rechtfertigen noch nicht eine echte Rückwirkung,
insbesondere keine einschneidenden Eingriffe in bereits entstandene Ansprü-
che auf Versorgung.
Selbst wenn sich jedoch allgemeine finanzielle Erwägungen vorbringen ließen
und man solche Erwägungen sogar für eine Rückbewirkung von Rechtsfolgen
ausreichen ließe, kann jedenfalls im Beamtenrecht das Bemühen, Ausgaben zu
sparen, in aller Regel für sich genommen nicht als ausreichende Legitimation
für eine Kürzung der Altersversorgung angesehen werden. Namentlich im
Beamtenversorgungsrecht wird ein besonderes, durch Art. 33 Abs. 5 GG ge-
schütztes Vertrauen darauf begründet, dass gesetzliche Leistungsregelungen
fortbestehen. Wesentliche und grundlegende Änderungen, die zu einer erhebli-
chen Verschlechterung zu Lasten der Beamten führen, müssen durch gewichti-
ge und bedeutende Gründe gerechtfertigt sein (vgl. BVerfG, Beschluss vom
30. September 1987 - 2 BvR 933/82 -<346 f., 349>; BVerwG,
Urteil vom 19. Dezember 2002 - BVerwG 2 C 34.01 - BVerwGE 117, 305 <312>
= Buchholz 240 § 14a BBesG Nr. 1 S. 7). Hinzukommen müssen also stets wei-
tere Gründe, die im Bereich des Systems der Altersversorgung liegen und die
Kürzung von Versorgungsbezügen als sachlich gerechtfertigt erscheinen las-
sen. Daran fehlt es hier ebenfalls; insbesondere diente die rückwirkende Ände-
rung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. weder der wirkungsgleichen Übertragung
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- 31 -
von Änderungen im Rentenversicherungsrecht noch der Wiederherstellung ei-
ner Systemgerechtigkeit.
Auch außerhalb der Gesetzesbegründung lassen sich keine sachlichen Gründe
für eine rückwirkende Verschlechterung der materiellen Situation der von der
Rückwirkungsanordnung des Art. 17 Abs. 1 DNeuG betroffenen Versorgungs-
empfänger erkennen.
Ein sachgerechter Grund muss sich in das System des Versorgungsrechts ein-
fügen. Die bisherige Regelung stand in einem in sich geschlossenen, wider-
spruchsfreien System; sie dürfte sogar verfassungsrechtlich geboten sein.
§ 14a BeamtVG a.F. diente der Schaffung eines Ausgleiches für vorangegan-
gene Einschränkungen im Recht der Rentenversicherung, die zu einer Einbuße
bei denjenigen Versorgungsempfängern geführt hat, die vor Vollendung des
65. Lebensjahres in den Ruhestand getreten sind und infolge eines „Status-
wechsels“ neben Rentenversicherungszeiten nur relativ wenige Dienstjahre auf-
zuweisen hatten. Dem sollte durch die Vorschrift „entgegengewirkt“ werden (vgl.
BTDrucks 10/4225 S. 21). Deshalb begünstigte § 14a BeamtVG a.F. auch und
gerade diejenigen, die Versorgungsbezüge nach dem Mindestsatz erhielten.
Diese Gruppe musste bis zum Erreichen des Renteneintrittsalters auf (Renten-)
Bezüge verzichten, die ihr nach Erreichen der Altersgrenze neben ihren unge-
schmälert weitergezahlten Versorgungsbezügen zustanden. Werden diese Be-
amten - wie dies durch Art. 4 Nr.1 Buchst. a Doppelbuchst. aa DNeuG gesche-
hen ist - auf den nach § 14 Abs. 1 BeamtVG ermittelten Ruhegehaltssatz ver-
wiesen, läuft die Erhöhung nach § 14a BeamtVG ganz oder teilweise leer. Dies
steht in deutlichem Widerspruch zu der - ursprünglichen - Zielsetzung der vorü-
bergehenden Erhöhung des Ruhegehaltssatzes nach § 14a BeamtVG a.F. und
zu der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Mindestruhegehaltssatzes ge-
mäß § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG (vgl. zum Ganzen: Urteil vom 23. Juni 2005
- BVerwG 2 C 25.04 - BVerwGE 124, 19 <24> = Buchholz 239.1 § 14a
BeamtVG Nr. 4 S. 11 f.).
Dass sich die - tatsächlich und rechtlich die Rechtsanwendung ändernde -
„Klarstellung“ des Gesetzgebers ohne Bruch in dieses Regelungssystem ein-
55
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57
58
- 32 -
fügt, ist weder der Gesetzesbegründung zu entnehmen noch sonst erkennbar.
Gibt es aber schon keinen sachlichen Grund für die Rechtsänderung, stellt sich
auch nicht mehr die Frage nach der Gewichtigkeit des Rechtfertigungsgrundes.
dd) Das Berufungsgericht meint, dass der Kläger sich auf eine Änderung der
Berechnung der vorübergehenden Erhöhung des Ruhegehaltssatzes hätte ein-
stellen müssen. Hierzu verweist es darauf, dass zum Zeitpunkt des Eintritts des
Klägers in den Ruhestand am 1. März 2008 die Bundesregierung ihren Gesetz-
entwurf zum Dienstrechtsneuordnungsgesetz bereits in den Deutschen Bundes-
tag eingebracht (am 12. November 2007, BTDrucks 16/7076) hatte und der
Kläger keinen entsprechenden Versorgungsfestsetzungsbescheid in Händen
hielt. Auch mit dieser Argumentation kann die Rückwirkungsanordnung des Art.
17 Abs. 1 DNeuG keinen verfassungsrechtlichen Bestand haben.
Zwar kann eine echte Rückwirkung dann zulässig sein, wenn der Betroffene mit
der Regelung rechnen konnte (BVerfG, Beschlüsse vom 25. Mai 1993 - 1 BvR
1509/91 u.a. - BVerfGE 88, 384 <404>, vom 15. Oktober 1996 - 1 BvL 44/92
u.a. - BVerfGE 95, 64 <87> und vom 24. Mai 2001 - 1 BvL 4/96 - BVerfGE 103,
392 <404>). Allerdings kann eine rückwirkende Änderung verfassungsrechtlich
grundsätzlich nur insoweit hingenommen werden, als sich ihr zeitlicher Anwen-
dungsbereich auf die Zeit zwischen dem endgültigen Gesetzesbeschluss des
Bundestags und der Verkündung des ändernden Gesetzes erstreckt, so dass
eine Rückwirkungsanordnung - zumindest - für den Zeitraum davor verfas-
sungswidrig ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. Dezember 1961 - 2 BvL 6/59 -
BVerfGE 13, 261 <273>; Beschlüsse vom 11. Oktober 1962 - 1 BvL 22/57 -
BVerfGE 14, 288 <298>, vom 29. Oktober 1969 - 1 BvL 19/69 - BVerfGE 27,
167 <173 f.>, vom 10. März 1971 - 2 BvL 3/68 - BVerfGE 30, 272 <287>, vom
22. Juni 1971 - 2 BvL 6/70 - BVerfGE 31, 222 <227>, vom 14. Mai 1986 - 2 BvL
2/83 - BVerfGE 72, 200 <251 f., 257, 260 f., 264, 271, vom 15. Oktober 1996
a.a.O. S. 87, vom 3. Dezember 1997 - 2 BvR 882/97 - BVerfGE 97, 67 <79>,
vom 18. Februar 1998 - 1 BvR 1318/86 u.a. - BVerfGE 97, 271 <290>, vom
24. März 1998 - 1 BvL 6/92 - BVerfGE 97, 378 <389> und vom 21. Juli 2010
- 1 BvL 11/06 u.a. - juris Rn. 81). Deshalb kommt es entscheidend auf den Zeit-
punkt des Gesetzesbeschlusses des Bundestags an. Dieser datiert (nach
59
60
- 33 -
3. Lesung) vom 12. November 2008. Ab diesem Zeitpunkt musste ein künftiger
Versorgungsempfänger mit der Verkündung und dem Inkrafttreten der Neurege-
lung rechnen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 3. Dezember 1997 a.a.O. S. 79 und
vom 21. Juli 2010 a.a.O. Rn. 81). Dieser Zeitpunkt datiert aber nach dem - zur
Bestimmung der Höhe des Versorgungsanspruchs nach § 4 Abs. 2 BeamtVG
maßgeblichen - Zeitpunkt des Eintritts des Klägers in den Ruhestand.
Selbst wenn man insoweit mit dem Berufungsgericht auf einen früheren Zeit-
punkt abstellen wollte, bedarf es dann, wenn der Gesetzgeber einen früheren
Zeitpunkt wählt, stets zusätzlich einer der oben genannten Gründe (Bagatell-
grenze, nichtiges Gesetz, verworrene Rechtslage oder überragende Belange
des Gemeinwohls), woran es hier fehlt. Insbesondere wird ein besonderer
Grund für eine solch weitergehende Rückwirkungsanordnung im Sinne eines
überragenden Gemeinwohls weder vom Berufungsgericht aufgezeigt noch ist
ein solcher auch nur im Ansatz ersichtlich. Insoweit ist auf die bisherigen Aus-
führungen zu cc) zu verweisen.
Der Umstand allein, dass ein Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht
worden ist, vermag grundsätzlich das Vertrauen in eine bestehende Gesetzes-
lage nicht zu erschüttern. So hat das Bundesverfassungsgericht zwar im Be-
schluss vom 3. Dezember 1997 - 2 BvR 882/97 - (BVerfGE 97, 67 ff.) offen ge-
lassen, ob ein Gesetz nach den Maßstäben der echten Rückwirkung zu beurtei-
len ist, weil zwingende Gründe des gemeinen Wohls eine Durchbrechung des
rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbots rechtfertigten. Der Betroffene habe sich
ab Ankündigung der Bundesregierung, es sei eine Gesetzesänderung beab-
sichtigt (d.h. noch vor Einbringung eines Gesetzentwurfs in den Bundestag),
nicht mehr auf ein Fortbestehen der Rechtslage verlassen können. Dies dürfe
aber nicht zu Ergebnissen führen, die den grundrechtlichen Schutz des Le-
benssachverhaltes verletzten, der von dem Eingriff - durch die nachträgliche
Änderung der Rechtsfolgen - betroffen sei; solche hatte das Gericht in dem ent-
schiedenen Fall jedoch nicht zu erkennen vermocht. Auch in seinen jüngsten
Beschlüssen zum Steuerrecht vom 7. Juli 2010 - 2 BvL 14/02 u.a. -, - 2 BvR
748/05 u.a. - sowie - 2 BvL 1/03 u.a. - (alle in juris) hat das Bundesverfas-
sungsgericht zwar an den Zeitpunkt der Einbringung der Gesetzesänderungen
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62
- 34 -
in den Bundestag angeknüpft, dies aber nur für die unechte Rückwirkung. Es
hat aber auch dann daran festgehalten, dass eine unechte Rückwirkung mit den
Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes nur
vereinbar ist, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erfor-
derlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des
enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die
Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt
bleibt, also hinreichend gewichtige Gründe für die Rückwirkung vorliegen
(BVerfG, Beschlüsse vom 7. Juli 2010 - 2 BvL 14/02 u.a. - juris Rn. 58, 73 ff.,
- 2 BvR 748/05 u.a. - juris Rn. 47, 58 ff. und - 2 BvL 1/03 u.a. - juris Rn. 69,
81 ff.). Ähnlich ist im Versorgungsrecht für eine tatbestandliche Rückanknüp-
fung (unechte Rückwirkung) das Allgemeininteresse, Mehrfachversorgungen,
die unter bestimmten Bedingungen zu einer sachlich nicht zu rechtfertigenden
Doppelbelastung öffentlicher Mittel und zu einer sachwidrig empfundenen
Überversorgung der rentenbeziehenden Versorgungsempfänger führen können,
zu vermeiden, als ausreichend angesehen worden. Diesen Zielsetzungen ist
eine überragende Bedeutung zugebilligt worden (BVerfG, Beschluss vom
30. September 1987 - 2 BvR 933/82 - BVerfGE 76, 256 <357 f.>).
Dies bedeutet, dass auch dann, wenn ab Einbringung des Gesetzentwurfs kein
Vertrauen mehr hätte entstehen können, der Gesetzgeber gleichwohl zumin-
dest einen sachlichen und gewichtigen Grund für die rückwirkende Änderung
haben muss. Hieran fehlt es, wie bereits unter cc) dargestellt.
ee) Die Rückwirkungsanordnung des Art. 17 Abs. 1 DNeuG kann schließlich
auch nicht mit der Argumentation des Berufungsgerichts verfassungsrechtlich
gerechtfertigt werden, dem allgemeinen rechtsstaatlichen Vertrauensschutz
komme dann keine selbstständige Bedeutung zu, wenn es um den Anspruch
des Ruhestandsbeamten auf amtsangemessene Versorgung gehe; dieser sei
nicht verletzt, weil es sich beia.F. nicht um eine von
geforderte Bestimmung handele.
Grundsätzlich sind neben dem ausfolgenden Rückwirkungs-
verbot diejenigen Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte zu berücksich-
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- 35 -
tigen, deren Schutzbereich von der nachträglich geänderten Rechtsfolge in be-
lastender Weise betroffen ist, hier also Art. 33 Abs. 5 GG. Der Bedeutungsge-
halt des Art. 33 Abs. 5 GG im Beamten(versorgungs-)recht umfasst aber nicht
allein den Schutz der amtsangemessenen Alimentation, sondern auch einen
Vertrauensschutz, der gerade im Bereich des Beamtenversorgungsrechts durch
Art. 33 Abs. 5 GG seine besondere Ausprägung erfahren hat. Dieser schützt
insbesondere vorhandene Versorgungsempfänger in ihrem Vertrauen auf einen
unveränderten Fortbestand ihrer bestehenden Versorgungsansprüche und ver-
pflichtet den Gesetzgeber, Eingriffe in bestehende versorgungsrechtliche
Rechtspositionen grundsätzlich durch angemessene Übergangsregelungen
auszugleichen oder abzumildern (vgl. BVerfG, Beschlu
.a.O. S. 359). Denn Versorgungsempfänger können nur schwer auf Än-
derungen reagieren und etwaige Dispositionen wieder rückgängig machen.
Wesentliche und grundlegende Änderungen, die zu einer erheblichen Ver-
schlechterung zu Lasten der Beamten führen, müssen durch gewichtige und
bedeutende Gründe gerechtfertigt sein (vgl. BVerfG, Beschlu
.a.O. S. 346 f., 349, 357 f.; BVerwG, Urteil vom 19. Dezember
2002 - BVerwG 2 C 34.01 - BVerwGE 117, 305 <312> = Buchholz 240 § 14a
BBesG Nr. 1 S. 7), woran es - wie bereits dargestellt - fehlt. Der Ansatz des Be-
rufungsgerichts übersieht, dass der Vertrauensschutz des Art. 33 Abs. 5 GG
gerade die vorhandenen Versorgungsempfänger vor Änderungen ihrer beste-
henden Versorgungsansprüche besonders schützt, also ein Mehr und nicht ein
Weniger an Schutz gewährt. Dieser besondere Schutz wird in den Fällen rele-
vant, in denen der Gesetzgeber in bestehende Versorgungsansprüche mit tat-
bestandlicher Rückanknüpfung mit Wirkung für die Zukunft eingreift (sogenann-
te unechte Rückwirkung; vgl. BVerfG, Beschlu
a.a.O. S. 257, 345; BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2002 a.a.O. S. 312
bzw. 7).
ff) Schließlich verstößt die Rückwirkungsanordnung des Art. 17 Abs. 1 DNeuG
auch gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Sie knüpft nämlich in ihrer Wirkung an ein ur-
sprünglich rechtswidriges Verhalten der Behörden an, das im Lichte des Art. 3
Abs. 1 GG unter keinen Umständen ein zulässiger Grund für eine Rückwir-
kungsanordnung sein kann.
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- 36 -
Selbst wenn man eine echte Rückwirkung für ausnahmsweise zulässig erachte-
te, würde diese wegen § 52 Abs. 1 BeamtVG nur in den Fällen relevant, in de-
nen sich der Dienstherr rechtswidrig verhalten hat. Denn die betroffenen Beam-
ten hatten gemäß § 4 Abs. 2 in Verbindung mit § 14a BeamtVG a.F. zunächst
ab Eintritt in den Ruhestand einen Anspruch auf die vorübergehende Erhöhung
des amtsbezogenen Mindestruhegehaltssatzes. Dieser wurde nur aufgrund des
rechtswidrigen Verhaltens des Dienstherrn nicht realisiert.
Bei rechtmäßigem Verhalten des Dienstherrn wären die Beamten über § 52
Abs. 1 BeamtVG und aufgrund des entsprechenden Festsetzungsbescheides
vor der Rückwirkung geschützt gewesen. Wenn ein Versorgungsberechtigter
durch eine gesetzliche Änderung seiner Versorgungsbezüge mit rückwirkender
Kraft schlechter gestellt wird, sind nach § 52 Abs. 1 BeamtVG die Unter-
schiedsbeträge nicht zu erstatten. Diese Vorschrift erfasst alle Versorgungsbe-
züge, die bis zur Verkündung der verschlechternden Rechtsvorschrift fällig wa-
ren und ausgezahlt worden sind. Die nacfestge-
setzten Versorgungsbezüge sind gemin Verbindung
mitmonatlich im Voraus auszuzahlen. Da das Dienstrechts-
neuordnungsgesetz am 11. Februar 2009 im Bundesgesetzblatt verkündet wur-
de, schließtdie Erstattung etwaiger Unterschiedsbeträge
bis einschließlich Februar 2009 aus.bewirkt daher im
Ergebnis, dass die Versorgungsempfänger, deren Versorgungsbezüge bereits
unter vorübergehender Erhöhung des Ruhegehaltssatzes gem
a.F. in Verbindung mit- höher - festgesetzt
wurden, lediglich zukunftsgerichtet (ab 1. März 2009) von Art. 17 Abs. 1 in Ver-
bindung mit Art. 4 Nr. 11 Buchst. a Doppelbuchst. aa DNeuG betroffen sind. Bei
diesen Personen müsste zudem zunächst einmal der Festsetzungsbescheid
widerrufen oder zurückgenommen werden, was für die Vergangenheit aus
Gründen des Vertrauensschutzes nicht ohne weiteres zulässig ist; bis dahin
bildet der rechtswidrig gewordene Festsetzungsbescheid (weiterhin) einen
Rechtsgrund für die Zahlung der Versorgung (vgl. Urteile vom 24. April 1959
- BVerwG 6 C 91.57 - BVerwGE 8, 261 <261, 264, 267 ff.> = Buchholz 232 § 87
BBG Nr. 1 S. 1, 4, 7 ff.), und zwar neben § 52 Abs. 1 BeamtVG. Gegenüber
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- 37 -
dieser Personengruppe werden Versorgungsempfänger wie der Kläger nur des-
wegen schlechter behandelt, weil die zuständige Behörde zu Unrecht von ei-
nem Festsetzungsbescheid abgesehen hat. Das ist mit Art. 3 Abs. 1 GG unver-
einbar.
e) Für den Zeitraum nach der Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgeset-
zes wird in den vormals bestehenden Versorgungsanspruch des Klägers durch
Art. 17 Abs. 1 DNeuG über eine tatbestandliche Rückanknüpfung eingegriffen
und dieser für die Zukunft verändert. Die Zulässigkeit einer solchen Änderung
ist an Art. 33 Abs. 5 GG zu messen, im Rahmen dessen der bestehende Ver-
sorgungsanspruch einen besonderen Vertrauensschutz genießt. Weder gibt es
für den rückwirkenden Eingriff in den bestehenden Versorgungsanspruch eine
Rechtfertigung, noch hat der Gesetzgeber gesehen, dass er eine angemessene
Übergangsregelung zu schaffen hat.
aa) Dem Gesetzgeber ist es grundsätzlich möglich, auf veränderte soziale Ge-
gebenheiten mit einer Änderung seines Normenwerks zu reagieren oder durch
eine solche Änderung erst bestimmte soziale Gegebenheiten in einem be-
stimmten Sinne zu beeinflussen. Geschieht dies durch tatbestandliche Rückan-
knüpfungen (sogenannte unechte Rückwirkung), so kann eine solche Regelung
vorrangig Grundrechte berühren, die mit der Verwirklichung des jeweiligen Tat-
bestandsmerkmals vor Verkündung der Norm „ins Werk gesetzt“ worden sind.
In die damit erforderliche grundrechtliche Bewertung fließen die allgemeinen
rechtsstaatlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit,
aber auch der Verhältnismäßigkeit (hier beschränkt auf den Gesichtspunkt der
Vergangenheitsanknüpfung) in der Weise ein, wie dies allgemein bei der Ausle-
gung und Anwendung von Grundrechten im Hinblick auf die Fragen des mate-
riellen Rechts geschieht. Danach ist die Einwirkung auf gegenwärtige, noch
nicht abgeschlossene Sachverhalte bzw. Rechtsbeziehungen für die Zukunft
verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig; im Einzelfall können sich aber Ein-
schränkungen aus Vertrauensschutz- und Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten
ergeben. Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden,
und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage sind ab-
zuwägen (vgl.
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70
- 38 -
30, 392 <404>, vom 13. März 1979 - 2 BvR 72/76 - BVerfG<395>,
vom 10. April 1984 - 2 BvL 19/82 - BVerfG<15>, vom 5. Mai 1987
- 1 BvR 724/81 u.a. - BVerfG<280> und vom 5. Februar 2002 - 2 BvR
305/93 u.a. - BVerfG<37>; Urteil vom 27. September 2005 - 2 BvR
1387/02 - BVerfG<300>). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
muss gewahrt sein (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14. Mai 1986 - 2 BvL 2/83 -
<242 f.> und vom 15. Oktober 1996 - 1 BvL 44/92 u.a. -
BVerfG<86>; Urteil vom 23. November 1999 - 1 BvF 1/94 - BVerfGE
<263>; Beschluss vom 13. Juni 2006 - 1 BvL 9/00 u.a. - BVerfG
<132>; Urteil vom 10. Juni 2009 - 1 BvR 706/08 u.a. - BVerfGE
<257>). Eine unechte Rückwirkung ist mit den Grundsätzen grundrechtlichen
und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes daher nur vereinbar, wenn sie zur
Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei ei-
ner Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und
dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden
Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt (vgl. BVerfG, Beschlüsse
vom 14. Mai 1986 a.a.O. S. 242 f. und vom 30. September 1987 - 2 BvR
933/82 - BVerfGE 76, 256 <356 f.>.a.O.
S. 300).
Der bestehende Versorgungsanspruch genießt über Art. 33 Abs. 5 GG einen
besonderen Vertrauensschutz, so dass dem allgemeinen rechtsstaatlichen Ver-
trauensschutz neben der Garantie zugunsten der hergebrachten Grundsätze
des Berufsbeamtentums keine selbstständige Bedeutung zukommt (BVerfG,
Beschluss vom 30. September 1987 a.a.O. S. 347). Dieser besondere Vertrau-
ensschutz enthält zwar keine Garantie, dass die bei Eintritt in den Ruhestand
geltenden versorgungsrechtlichen Bestimmungen nicht mit Wirkung für die Zu-
kunft zum Nachteil der Ruhestandsbeamten geändert werden. Jedoch verpflich-
tet der durch Art. 33 Abs. 5 GG gewährte Vertrauensschutz im Bereich des
Beamtenversorgungsrechts den Gesetzgeber, Eingriffe in versorgungsrechtli-
che Rechtspositionen durch angemessene Übergangsregelungen auszuglei-
chen oder abzumildern. Der ihm für die inhaltliche Ausgestaltung zustehende
Spielraum ist aber erst überschritten, wenn sich die Übergangsregelung bei ei-
ner Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs einerseits und dem
71
- 39 -
Gewicht und der Dringlichkeit der rechtfertigenden Gründe andererseits allge-
mein oder für bestimmte Gruppen von Beamten als unzumutbar erweist (zum
Ganzen: BVerfG, Beschluss vom 30. September 1987 a.a.O. S. 347, 359 ff.;
BVerwG, Urteil vom 27. Januar 2005 - BVerwG 2 C 39.03 - Buchholz 239.1
§ 53 BeamtVG Nr. 13 S. 5 f.).
bb) Wie bereits oben (d) cc)) ausgeführt, ist keine Rechtfertigung für die Rück-
wirkungsanordnung ersichtlich. Für den Zeitraum nach der Verkündung des
Dienstrechtsneuordnungsgesetzes gilt insoweit nichts Abweichendes. Denn bei
der Änderung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. handelt es sich nicht um eine
bloße Klarstellung, sondern um eine schlichte Änderung der Rechtslage für die
davon betroffenen Versorgungsempfänger. Eine solche Änderung ist für die
Zukunft dann jederzeit zulässig, wenn sie nicht in bereits bestehende Versor-
gungsansprüche ändernd eingreift. Da die Änderung aber zugleich eine Kür-
zung bereits bestehender Versorgungsansprüche bewirkt, bedarf es dafür eines
zusätzlichen Grundes, anhand dessen eine Abwägung zwischen dem Einzelin-
teresse der Betroffenen und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens
für das Wohl der Allgemeinheit erfolgen kann. Denn auch der mit Blick auf das
Vertrauensschutzprinzip an sich verfassungsrechtlich zulässige rückwirkende
Eingriff ist an dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu mes-
sen, der im Bereich des öffentlichen Dienstes bei Kürzung von Versorgungsbe-
zügen für die Zukunft einen über den bloßen Änderungswillen des Gesetzge-
bers hinausgehenden Grund im Sinne des Wohls der Allgemeinheit erfordert.
Danach müssen wesentliche und grundlegende Änderungen, die zu einer er-
heblichen Verschlechterung zu Lasten der Beamten führen, durch gewichtige
und bedeutende Gründe gerechtfertigt sein (vgl. BVerfG, Beschluss vom
30. September 1987 a.a.O S. 346
f.,
349; BVerwG, Urteil vom 19. Dezember
2002 - BVerwG 2 C 34.01 - BVerwGE 117, 305 <312> = Buchholz 240 § 14a
BBesG Nr. 1 S. 7). Ein solcher Grund lässt sich weder den Gesetzesmaterialien
entnehmen noch wird er vom Berufungsgericht aufgezeigt oder wäre ansonsten
ersichtlich.
cc) Selbst wenn es eine solche Rechtfertigung für den Eingriff in bestehende
Versorgungsansprüche geben sollte, wäre nach der Rechtsprechung des Bun-
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- 40 -
desverfassungsgerichts grundsätzlich eine angemessene Übergangsregelung
zu verlangen. Dem Gesetzgeber steht für eine Übergangsregelung ein weiter
Gestaltungsspielraum zu, der von der sofortigen, übergangslosen Inkraftset-
zung des neuen Rechts bis hin zum ungeschmälerten Fortbestand begründeter
subjektiver Rechtspositionen reicht. Zu überprüfen ist, ob der Gesetzgeber bei
einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs einerseits und dem
Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe andererseits un-
ter Berücksichtigung aller Umstände die Grenze der Zumutbarkeit allgemein
oder für bestimmte Gruppen von Beamten überschritten hat (vgl. BVerfG, Be-
schluss vom 30. September 1987 a.a.O. S. 346 f., 349; BVerwG, Urteil vom
27. Januar 2005 a.a.O. S. 6). Da der Gesetzgeber sich offenbar nicht einmal
bewusst war, dass er insoweit in bestehende Versorgungsansprüche rückwir-
kend eingreift, hat er seinen Gestaltungsspielraum weder erkannt noch genutzt.
Auch aus diesem Grunde erweist sich die Rückwirkungsanordnung des Art. 17
Abs. 1 DNeuG - betrachtet man nur ihre künftige Wirkung auf den bestehenden
Versorgungsanspruch des Klägers - als verfassungswidrig.
d) Nach alldem fehlt es Art. 17 Abs. 1 DNeuG an einer tragfähigen Begründung,
die die mit der Anwendung der Vorschrift verbundene Verletzung des Rückwir-
kungsverbots zu rechtfertigen vermöchte. Angesichts des klaren Wortlauts der
Vorschrift scheidet eine verfassungskonforme Auslegung aus. Die Vorschrift ist
damit als mit Art. 20 Abs. 3, Art. 33 Abs. 5 und Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar
und nichtig anzusehen.
Herbert
Thomsen
Dr. Maidowski
Dr. Hartung
Dr. Eppelt
74
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Beamtenrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
GG
Art. 20 Abs. 3, Art. 33 Abs. 5, Art. 3 Abs. 1
BeamtVG
§§ 14, 14a
BeamtVG a.F.
§ 14a Abs. 1
DNeuG
Art. 4 Nr. 11 Buchst a Doppelbuchst. aa, Art. 17 Abs. 1
Stichworte:
Vorübergehende Erhöhung des Ruhegehaltssatzes; amtsbezogener Mindestru-
hegehaltssatz; amtsabhängiger Mindestruhegehaltssatz; Beamter; Ruhestand;
hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums; Nichtigkeit; Verfassungs-
mäßigkeit; Verhältnismäßigkeit; Vertrauensschutz; Dienstrechtsneuordnungs-
gesetz; Rückwirkungsanordnung; echte Rückwirkung; unechte Rückwirkung;
tatbestandliche Rückanknüpfung; Rückbewirkung von Rechtsfolgen; Antragstel-
lung; Zeitpunkt der Zurruhesetzung.
Leitsatz:
Die Rückwirkungsanordnung des Art. 17 Abs. 1 DNeuG bewirkt eine verfas-
sungswidrige Kürzung des Anspruchs auf vorübergehende Erhöhung des Ru-
hegehaltssatzes bei denjenigen Beamten, deren Versorgung auf der Grundlage
des amtsbezogenen Mindestruhegehalts bemessen wird. Der rückwirkende Ein-
griff in deren bestehenden Versorgungsanspruch nach § 14a Abs.1 BeamtVG
a.F. ist mit Art. 20 Abs. 3, Art. 33 Abs. 5 und Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar.
Beschluss des 2. Senats vom 19. August 2010 - BVerwG 2 C 34.09
I. VG Magdeburg vom 26.01.2009 - Az.: VG 5 A 248/08 -
II.OVG Magdeburg vom 01.07.2009 - Az.:
OVG 1 L 28/09 -