Urteil des BVerwG vom 03.11.2005

Evangelische Kirche, Staat Und Kirche, Ausbildung, Nhg

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 C 31.04
Verkündet
OVG 5 LB 344/03
am 3. November 2005
Weikinnis
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 3. November 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht A l b e r s und die
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. D a w i n , Dr. K u g e l e ,
G r o e p p e r und Dr. B a y e r
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Nieder-
sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. Juni 2004
wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I.
Der Kläger ist Professor (Besoldungsgruppe: C 4) an der beklagten Universität und
gehört ihrer Theologischen Fakultät an. Durch Einweisungserlass vom 4. März 1983
verpflichtete ihn der Niedersächsische Minister für Wissenschaft und Kunst, das Fach
"Neues Testament" in Lehre, Forschung und Weiterbildung zu vertreten und darüber
hinaus die ihm nach § 55 des Niedersächsischen Hochschulgesetzes (NHG)
obliegenden Aufgaben wahrzunehmen. Der Erlass enthält den Satz: "Eine Änderung
Ihres Aufgabenkreises nach Art und Umfang behalte ich mir vor (§ 55 Abs. 3 Satz 2
NHG)." Vor der Ernennung zum Professor hatte sich das Landeskirchenamt der
Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover gutachtlich positiv zu Bekenntnis
und Lehre des Klägers geäußert.
1998 veröffentlichte der Kläger ein Buch mit dem Titel "Der große Betrug - und was
Jesus wirklich sagte und tat". Die Konföderation evangelischer Kirchen in Nieder-
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sachsen nahm dies zum Anlass, den Kläger sowie das Professorenkollegium der
beklagten Universität anzuhören. Sie kam dabei - ebenso wie das Professorenkolle-
gium - zu dem Ergebnis, der Kläger sei für die Ausbildung der Theologen, die evan-
gelische Pfarrer werden oder evangelischen Unterricht erteilen wollten, nicht mehr
tragbar. Mit Schreiben vom 17. Dezember 1998 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er
verbleibe in der Theologischen Fakultät mit einem Sonderstatus. Unter Abänderung
der Einweisungsverfügung von 1983 verpflichte sie den Kläger mit sofortiger Wirkung
gemäß § 50 Abs. 3 NHG, das Fach "Geschichte und Literatur des frühen
Christentums" in Lehre, Forschung und Weiterbildung zu vertreten. Das Fach werde
dem Institut für Spezialforschungen zugeordnet. Die Lehrveranstaltungen würden im
Vorlesungsverzeichnis unter der Rubrik "außerhalb der Studiengänge zur Ausbildung
des theologischen Nachwuchses" angekündigt.
Nachdem der Kläger gegen diese Verfügung Widerspruch erhoben hatte, ordnete die
Beklagte durch Bescheid vom 3. Juni 1999 deren sofortige Vollziehung an.
Rechtsmittel des Klägers hiergegen blieben ebenso erfolglos (Beschluss des OVG
Lüneburg vom 14. Februar 2000 - NVwZ 2000, 954 = DÖV 2000, 513) wie der Wi-
derspruch selbst.
Mit seiner Klage hat der Kläger die Aufhebung der Maßnahme verlangt und zur Be-
gründung geltend gemacht, das Fach "Neues Testament" unterscheide sich von dem
Fach "Geschichte und Literatur des frühen Christentums" so erheblich, dass von ei-
ner bloßen Änderung von Art und Umfang der wahrzunehmenden Aufgabe nicht
mehr die Rede sein könne. Der Beklagten stehe kein Urteil über die Frage zu, ob der
Kläger in Lehre und Forschung den Anforderungen entspreche, die sich aus der Be-
kenntnisbindung des ihm übertragenen Staatsamtes ergäben. Im Rahmen dieses
Amtes sei die Freiheit von Forschung und Lehre durch Art. 5 Abs. 3 GG garantiert.
Dies gelte auch für seine Tätigkeit als Prüfer. Durch die Veränderung seiner Aufga-
ben werde dieses Grundrecht ebenso wie sein Anspruch auf amtsangemessene Be-
schäftigung verletzt.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung blieb erfolglos
(NordÖR 2004, 405). Das Berufungsgericht hat zur Begründung im Wesentlichen
ausgeführt:
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Nach § 50 Abs. 3 Satz 2 NHG müsse die Festlegung von Art und Umfang der vom
Professor wahrzunehmenden Aufgaben unter dem Vorbehalt einer Überprüfung in
angemessenen Abständen stehen. Damit räume die Vorschrift zugleich die Befugnis
ein, die Aufgaben zu ändern, falls die Überprüfung zu einem entsprechenden Ergeb-
nis führe. Ziel der Vorschrift sei es, die Aufgaben der Professoren der Fakultät so zu
gestalten, dass die Fakultät ihre Aufgaben funktionsgerecht wahrnehmen könne.
Hieraus folge die Befugnis des Dienstherrn, kraft seiner Organisationsgewalt den
dienstlichen Aufgabenbereich eines Professors zu ändern. Hierbei seien die Wis-
senschaftsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen angemessen im
Wege einer Güterabwägung mit dem Ziel eines schonenden Ausgleichs zu berück-
sichtigen.
Das dem Kläger ursprünglich verliehene Staatsamt eines Theologieprofessors an der
Theologischen Fakultät sei konfessionsgebunden gewesen. Der zuständigen
Kirchenbehörde sei das Recht eingeräumt, sich vor der Anstellung eines ordentlichen
oder außerordentlichen Professors an der Theologischen Fakultät gutachtlich zu
Lehre und Bekenntnis des Anzustellenden zu äußern. Damit sei staatlicherseits das
ureigene legitime Interesse der Kirchen anerkannt, Stellen in bekenntnisgebundenen
Studiengängen mit entsprechend qualifizierten Personen zu besetzen, welche die
Lehre der Kirche auf wissenschaftlichem Niveau repräsentieren. Die Theologische
Fakultät diene auch der Vertiefung und Übermittlung von Glaubenssätzen der
Bekenntnisgemeinschaft evangelische Kirche; die an ihr in Forschung und Lehre
tätigen Theologieprofessoren hätten auch eine kirchliche Aufgabe und Funktion. Der
Staat habe ein eigenes Interesse daran, dass die Ausbildung der Amtsträger einer
großen, einflussreichen Religionsgemeinschaft nicht in kirchlicher Absonderung ge-
schehe, sondern im Rahmen einer staatlichen Universität mit dem dort möglichen
Austausch wissenschaftlicher Erkenntnisse.
Die dem Kläger nunmehr zugewiesene Aufgabe, das Fach "Geschichte und Literatur
des frühen Christentums" zu vertreten, unterscheide sich von seiner bisherigen Auf-
gabe, das Fach "Neues Testament" zu vertreten, in erster Linie durch den Wegfall
der Bekenntnisgebundenheit. Inhaltliche Unterschiede, die dazu führten, dass der
Kläger bestimmte Forschungs- und Lehrgegenstände in seiner Arbeit nicht behan-
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deln könne, seien weder vom Kläger geltend gemacht worden noch erkennbar. Der
Wegfall der Bekenntnisgebundenheit verändere die Forschungs- und Lehrtätigkeit
nicht und verletze deshalb auch nicht das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit.
Dasselbe gelte von der Zuordnung des Faches zu dem Institut für Spezialforschun-
gen und der Ankündigung der Lehrveranstaltungen des Klägers "außerhalb der Stu-
diengänge zur Ausbildung des theologischen Nachwuchses". Aus beiden Maßnah-
men ergebe sich keinerlei Einflussnahme auf den Inhalt der Forschungs- und Lehrtä-
tigkeit des Klägers. Die Auswirkungen auf die Lehr- und Forschungstätigkeit seien
nur mittelbar und beträfen die sachliche und personelle Ausstattung des Lehrstuhls
und die wegen Fehlens der Prüfungsrelevanz des Faches verminderte Hörerzahl.
Der Bescheid vom 17. Dezember 1998 bewirke lediglich mittelbar, dass der Kläger
Doktoranden und Habilitanden der Theologischen Fakultät nicht mehr betreuen und
an Prüfungen nicht mehr teilnehmen könne, weil dies die Vertretung eines bekennt-
nisgebundenen Faches voraussetze. Eine Verletzung des individuellen Rechts auf
freie wissenschaftliche Betätigung sei zu verneinen, solange gewährleistet sei, dass
der Kernbereich wissenschaftlicher Betätigung vorbehalten bleibe und der Selbstbe-
stimmung des Klägers unterliege, was hier der Fall sei.
Das von der Verfassung garantierte Recht der Kirchen, ihre Angelegenheiten selb-
ständig zu ordnen und zu verwalten, betreffe auch die universitäre Ausbildung der
Theologen; ihre Organisation sei eine gemeinsame Angelegenheit von Staat, Uni-
versität und Kirche. Dies rechtfertige es, den Aufgabenbereich des bekenntnisge-
bundenen Professorenamtes zu ändern, wenn das vom Amtsinhaber in Anspruch
genommene und kirchlich bestätigte Bekenntnis nicht mehr bestehe. So sei es hier:
Der Kläger sei nach den tatsächlichen Feststellungen der Theologischen Fakultät der
Beklagten und der Konföderation Evangelischer Kirchen in Niedersachsen nicht mehr
tragbar. Er habe öffentlich erklärt, er sei nicht mehr Christ und glaube nicht mehr an
Christus. Dieser sei nicht ohne Sünde gewesen und nicht Gottes Sohn, habe das
Sakrament des Abendmahls nicht eingesetzt, sei nicht den Sühnetod gestorben,
nicht auferstanden und werde nicht zum jüngsten Gericht wiederkehren. Dabei habe
sich der Kläger teilweise provozierender und verletzender Ausdrucksweisen bedient,
wenn er schreibe, die Auferstehung Jesu sei "Humbug" und in Evangelisch-
Theologischen Fakultäten würden Studenten zur Hörigkeit gegenüber einem alten
Aberglauben verleitet. Damit und mit seinen übrigen Publikationen habe der Kläger
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deutlich gemacht, dass ihm das auf den christlichen Glauben bezogene Anliegen des
Faches "Neues Testament" fremd geworden sei und er Theologie nicht mehr als
Gegenstand glaubensgebundener Wissenschaft betreibe. Ihm fehle das wissen-
schaftstheoretische Einverständnis mit der Bemühung der bekenntnisgebundenen
Theologie insgesamt. Das von dem Inhaber eines konfessionsgebundenen
Staatsamtes zu betreuende Fach "Neues Testament" könne vom Kläger nicht glaub-
haft vertreten werden, wenn er außerhalb der Lehrveranstaltungen in Vorträgen und
Publikationen das evangelische Bekenntnis und die maßgeblichen Glaubenssätze in
der beschriebenen Weise in Frage stelle.
Die angegriffene Maßnahme stelle den nach den Umständen schonendsten Aus-
gleich zwischen den widerstreitenden Verfassungsprinzipien der Wissenschaftsfrei-
heit und des Gebots amtsangemessener Beschäftigung einerseits und der kirchli-
chen Organisationshoheit andererseits dar. Die Forschungs- und Lehrtätigkeit des
Klägers werde hinsichtlich der Prüfungstätigkeit und der Betreuung von Doktoranden
und Habilitanden nur in geringem Maße beeinträchtigt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers, mit der er die Verletzung
materiellen Rechts rügt. Er beantragt,
die Urteile des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts
vom 8. Juni 2004 und des Verwaltungsgerichts Göttingen vom
15. Mai 2002 sowie die Bescheide der Beklagten vom 17. De-
zember 1998 und vom 28. März 2000 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hält das ange-
II.
Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsurteil verletzt kein revisibles Recht.
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1. Das Berufungsgericht hat der Vorschrift des § 50 Abs. 3 des Niedersächsischen
Hochschulgesetzes - NHG - in der hier anzuwendenden Fassung vom 24. März 1998
(Nds. GVBl S. 301) die Befugnis der Beklagten entnommen, die Denomination des
dem Kläger durch Verfügung des Ministers für Kultur vom 4. März 1983 übertrage-
nen Lehrstuhls zu ändern. Nach dieser Vorschrift richten sich Art und Umfang der
wahrzunehmenden Aufgaben unter Beachtung der Absätze 1 und 2 nach der Aus-
gestaltung des Dienstverhältnisses und der Funktionsbeschreibung der Stelle; die
Festlegung muss unter dem Vorbehalt einer Überprüfung in angemessenen Abstän-
den stehen.
Ungeachtet der darin verwendeten Begriffe des Dienstverhältnisses und der Funkti-
onsbeschreibung der Stelle handelt es sich bei dieser Vorschrift um eine hochschul-
rechtliche Bestimmung, die nicht dem Beamtenrecht zuzurechnen ist und deshalb
nicht dem gemäß § 127 Nr. 2 BRRG revisiblen Recht angehört, selbst wenn sich aus
ihrer Auslegung und Anwendung Auswirkungen auf beamtenrechtliche Rechtsver-
hältnisse ergeben (vgl. Beschluss vom 13. Februar 1985 - BVerwG 2 C 20.83 -
Buchholz 310 § 134 VwGO Nr. 28, S. 14). Die Auslegung des § 50 Abs. 3 NHG
durch das Berufungsgericht ist daher revisionsrechtlich nicht zu beanstanden und für
den erkennenden Senat bindend.
2. Für die auf der genannten Grundlage zu treffenden Entscheidungen war die Be-
klagte und nicht der Minister für Wissenschaft und Kunst sachlich zuständig. Dies
ergibt sich aus dem Inhalt der Maßnahme, die den Status und das abstrakt-
funktionelle Amt des Klägers (Professor der Besoldungsgruppe C 4 an der Theologi-
schen Fakultät der Beklagten) unberührt lässt und lediglich den konkreten Aufga-
benbereich des Klägers betrifft; ihn zu regeln ist Sache der Hochschule und nicht des
Ministers für Wissenschaft und Kunst (vgl. Urteil vom 23. September 2004 - BVerwG
2 C 27.03 - BVerwGE 122, 53 <55>), wie sich auch aus dessen Runderlass vom
5. Mai 1995 (Nds. MBl S. 623) ergibt, demzufolge eine Änderung des Auf-
gabenkreises (nach Art und Umfang) nach der Ernennung nicht von ihm zu verfügen
ist, sondern lediglich seiner Zustimmung bedarf.
3. Zu der Änderung des Aufgabenkreises war die Beklagte materiell berechtigt. Der
Kläger hat dadurch, dass er sich vom christlichen Glauben im Verständnis der Evan-
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gelischen Kirchen Niedersachsens gelöst hat, eine Lage geschaffen, die den Eingriff
der Beklagten in die durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Rechte an seinem
Lehrstuhl erforderlich machte und rechtfertigte.
Die beamteten Hochschullehrer der Theologischen Fakultät der beklagten Universität
üben ein konfessionsgebundenes Amt aus, dessen Bindung sich aus der ebenfalls
konfessionsgebundenen Stellung dieser Fakultät ergibt. Die Fakultät ist einerseits in
den wissenschaftlichen Betrieb der Hochschule eingebunden und befasst sich mit
ihrem fachlichen Bereich im Schutze der allgemeinen Lehr- und Forschungsfreiheit
als Wissenschaft und mit wissenschaftlichen Methoden. Andererseits ist ihr
Lehrgegenstand "Theologie" nur als glaubensgebundenes, konfessionell ausgerich-
tetes Fach denkbar. Im Unterschied zu den Lehrgegenständen anderer Fakultäten ist
der konfessionell ausgerichtete Glaube für die Theologie nicht nur Gegenstand,
sondern auch Voraussetzung, Fundament und Ziel ihrer Erkenntnisbemühungen
(Kasper, Stichwort: Theologie, in: Staatslexikon, 7. Aufl. 1989, Band 5, Sp. 454).
Dementsprechend ist es Aufgabe der Theologischen Fakultät, den Glauben nicht nur
mit wissenschaftlichen Mitteln zu durchdringen, sondern auch ihn zu entfalten und an
seiner Verkündigung mitzuwirken. Sofern die Theologie sich von dieser Vorausset-
zung löst, ist sie nicht mehr Theologie, sondern Religionswissenschaft.
Als glaubensgebundene Einrichtung ist die Theologische Fakultät der beklagten Uni-
versität selbst Teil und Funktion der evangelischen Kirche (vgl. Huber, Stichwort:
Wissenschaftsfreiheit, in: Evangelisches Staatslexikon, 3. Aufl. 1987, Band 2
Sp. 4092). Ihr Auftrag und gleichzeitig ihr Zweck sind die theologische Vorbildung
des geistlichen Nachwuchses der Evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen
(Art. 3 Abs. 1 des Vertrages des Landes Niedersachsen mit den Evangelischen Lan-
deskirchen in Niedersachsen vom 19. März 1955 - Nds. GVBl S. 159 - "Loccumer
Vertrag"). Dieser Bindung unterliegen auch die an ihr tätigen Theologieprofessoren;
auch wenn sich unter ihren Hörern solche finden, die weder ein kirchliches Amt noch
den Beruf des Religionslehrers anstreben, müssen sie persönlich geeignet sein, die
Vorbildung der Geistlichen zu gewährleisten. Dies erfordert als Eignungsmerkmal
nicht nur ihre objektive Konfessionsbindung, sondern auch ihre subjektive Bekennt-
nistreue.
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Konfessionsbindung und Bekenntnistreue liegen nicht bereits dann vor - wie der Klä-
ger meint -, wenn der Hochschullehrer formal einer der evangelischen Landeskirchen
angehört und im Übrigen das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen achtet, indem er
sein Fach in objektiver Übereinstimmung mit dem evangelischen Glauben lehrt. Die
Bekenntnistreue ist dann nicht mehr gegeben, wenn der Hochschullehrer an die
Wahrheit der von ihm vermittelten Lehrinhalte nicht glaubt und sie daher nicht vom
Boden einer eigenen glaubensgebundenen Überzeugung aus vertreten kann. Denn
Gegenstand des Bekenntnisses in diesem Sinne kann nur die Wissensvermittlung
auf der Grundlage der eigenen Überzeugung sein, nicht die einer ihm fremd gewor-
denen Kirche, deren Lehrmeinungen der Hochschullehrer als Ergebnis seiner wis-
senschaftlichen Erkenntnisse auch unter Berücksichtigung vertretbarer Bandbreiten
im Kern für unwahr hält.
4. Die Beklagte hat die Beanstandungen zu Recht aufgegriffen, die von Seiten der
Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen und der Professorenschaft
der Theologischen Fakultät der Beklagten gegen die Auffassungen des Klägers er-
hoben worden sind. Dabei bedarf es weder der Entscheidung, ob den Evangelischen
Landeskirchen in Niedersachsen ein formelles Beanstandungsrecht zusteht, noch, ob
eine Beanstandung gegebenenfalls von der Amtskirche oder der Fakultät geltend zu
machen ist, noch, inwieweit die Beklagte an eine kirchliche Beanstandung gebunden
ist. Im Falle des Klägers ist zwischen sämtlichen Beteiligten unstreitig, dass der
Kläger die Glaubensinhalte der Evangelischen Kirchen nicht mehr als wahr und für
sich verbindlich anerkennt und dass er im Sinne einer konfessionellen Bindung "nicht
mehr Glaubender" ist. Jedenfalls unter diesen vom Berufungsgericht festgestellten
und vom Kläger nicht in Zweifel gezogenen Umständen war die Beklagte befugt, den
beim Kläger offenkundig gewordenen Eignungsmangel aufzugreifen und Maßnah-
men zu ergreifen, die geeignet und erforderlich waren, um die an ihrer Theologischen
Fakultät vertretene Lehre auch hinsichtlich der bekenntnismäßigen Bindung des
Hochschullehrers in Übereinstimmung mit dem sich aus dem Loccumer Vertrag
ergebenden Auftrag zu halten. Hierzu war es zumindest nötig, den Kläger aus der
Ausbildung des theologischen Nachwuchses der evangelischen Landeskirchen he-
rauszunehmen und ihm die Vertretung seines Faches zu entziehen, soweit es für
angehende Geistliche und Religionslehrer zentrales und verpflichtendes Prüfungs-
fach ist. Hierbei ist von Bedeutung, dass die Evangelischen Landeskirchen in Nie-
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dersachsen die Theologische Fakultät der Beklagten als Ausbildungsstätte für ihren
theologischen Nachwuchs benutzen und die dort abgelegten Prüfungen und Examina
als Eingangsvoraussetzung für die Verleihung kirchlicher Ämter und die Bestellung
ihrer Religionslehrer anerkennen. Aus diesem Verständnis der Rechtsstellung der
Theologischen Fakultät, wie sie sich aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1
WRV und dem Loccumer Vertrag ergibt, folgt die Befugnis - und in Evidenzfällen wie
hier sogar die Verpflichtung - der Beklagten, kirchlichen Bedenken Rechnung zu
tragen.
5. Die Beklagte hat dabei nicht verkannt, dass sie hinsichtlich der Art und Weise nicht
gebunden war, wie sie dem evidenten Missstand abzuhelfen hatte. Sie hat dabei den
Weg gewählt, dem Kläger ohne Beeinträchtigung seines Status als beamteter
Professor mit der Vertretung des Faches "Geschichte und Literatur des frühen
Christentums" ein Aufgabengebiet zuzuweisen, in welchem er seine Kenntnisse in
nahezu gleicher Weise verwerten kann wie in seinem bisherigen Fachgebiet. Auch
seine neue Aufgabe betrifft zumindest schwerpunktmäßig das Neue Testament und
seine Rezeption; hier kann auch der geistige Entfaltungsprozess des Glaubens als
historisches Phänomen dargestellt werden. Freilich kann der Kläger nicht erwarten,
auch zukünftig an der konfessionsgebundenen Ausbildung des theologischen Nach-
wuchses der Evangelischen Kirchen Niedersachsens teilzuhaben. Das aber ist die
zwangsläufige Folge seiner freien Entscheidung, sich von den glaubensmäßigen
Bindungen an das Christentum loszusagen.
6. Die Entscheidung der Beklagten ist mit höherrangigem Recht vereinbar.
In ihrer beschriebenen Doppelfunktion als staatliche wissenschaftliche Einrichtung
einerseits und als konfessionsgebundene Einrichtung des kirchlichen Lehr- und Aus-
bildungsbetriebes andererseits ist die Theologische Fakultät der Beklagten eine
"gemeinsame Angelegenheit" zwischen Staat und Kirche. Bei den die Fakultät und
ihre Angehörigen betreffenden Entscheidungen haben beide Seiten zusammenzu-
wirken, wobei der Staat das Recht hat, die laufbahnrechtlichen Voraussetzungen des
Personals festzulegen, während der Kirche das alleinige Recht zusteht, ihre Maßstä-
be bei der inhaltlichen Festlegung der Lehre, bei der Auswahl des Lehrpersonals und
bei der Ausgestaltung und Abnahme der auch von ihr anerkannten Prüfungen durch-
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zusetzen (vgl. hierzu Weber NVwZ 2000, 848 <852>). Es liegt im ureigenen legitimen
Interesse der Kirche, Stellen in bekenntnisgebundenen Studiengängen mit ent-
sprechend qualifizierten Personen zu besetzen, die die Lehre der Kirche auf wissen-
schaftlichem Niveau repräsentieren (vgl. Urteil vom 18. Juli 1996 - BVerwG 6 C
10.94 - BVerwGE 101, 309 <314>). Das kirchliche Recht ist Ausfluss des durch
Art. 140 GG i.V.m. Art 137 Abs. 3 WRV gewährleisteten kirchlichen Selbstbestim-
mungsrechts, das auch die Organisation der an ihr Bekenntnis gebundenen Theolo-
genausbildung umfasst (vgl. Urteil vom 18. Juli 1996 - a.a.O. S. 313).
Soweit danach die Kirche befugt ist, auf den Inhalt der an der Theologischen Fakultät
der Beklagten vertretenen Lehren Einfluss zu nehmen, treten entgegenstehende
Grundrechte des Lehrstuhlinhabers zurück. Dies betrifft das Recht auf die freie
Verbreitung seiner Meinung, auf seine Wissenschaftsfreiheit, seine Glaubensfreiheit
und seinen Anspruch, dass ihm aus seinem Bekenntnis weder allgemein noch beim
Zugang zu einem öffentlichen Amt ein Nachteil entsteht (Art. 3 Abs. 3, Art. 4 Abs. 1,
Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1, Art. 33 Abs. 3 GG). Der bei der Kollision ein-
ander widersprechender Grundrechtspositionen erforderliche schonende Ausgleich
im Wege praktischer Konkordanz (stRspr, vgl. BVerfGE 93, 1 <21>) greift erst im
Verhältnis zwischen Staat und Hochschullehrer. Er wird dadurch erzielt, dass der in
weltanschaulicher Hinsicht neutrale Staat - hier vertreten durch die Beklagte - darauf
verzichtet, aus dem Wegfall eines aus den spezifischen kirchlichen Belangen er-
wachsenden Eignungsmerkmals auch statusrechtliche Konsequenzen zu ziehen. Der
Kläger bleibt somit weiterhin Professor an der Hochschule, hier sogar - im Ein-
vernehmen mit derselben - an der Theologischen Fakultät der Beklagten, und als
solcher befugt, seine religiösen und weltanschaulichen Ansichten ebenso wie seine
wissenschaftlichen Lehren und Erkenntnisse ohne Zensur und ohne Nachteil für sei-
nen Status als Hochschullehrer zu vertreten und zu verbreiten. Die Beklagte nimmt
keinen Einfluss auf den Inhalt und die Ergebnisse seiner Forschung. Sie hat lediglich
festgelegt, dass der Kläger zur Wahrung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts
seine Tätigkeit nicht mehr im Rahmen eines bekenntnisgebundenen, für die ange-
henden Geistlichen und Religionslehrer der Evangelischen Kirchen obligaten Faches
ausüben und seine Auffassungen nicht mehr als Bestandteil "der Studiengänge zur
Ausbildung des theologischen Nachwuchses" ankündigen kann.
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7. Auch aus einfachem Recht kann der Kläger die Aufhebung der angegriffenen
Maßnahme nicht verlangen.
Zu Unrecht beruft sich der Kläger auf den Wortlaut des § 50 Abs. 1 Satz 2 NHG, in
dem es heißt, zu den hauptamtlichen und hauptberuflichen Aufgaben des Professo-
renamtes gehöre es auch, sich an der Ausgestaltung der Studiengänge und an der
Studienberatung zu beteiligen, Prüfungen abzunehmen und Aufgaben nach § 3
wahrzunehmen. Die Vorschrift beschreibt die hauptamtlichen und hauptberuflichen
Tätigkeiten. Die Vorschrift besagt nicht, wie der Kläger meint, dass der Inhaber eines
Professorenamtes Anspruch darauf habe, diese Tätigkeiten auszuüben. Sie besagt
lediglich, dass derartige Tätigkeiten, wenn sie denn anfallen, zum Hauptberuf und
Hauptamt gehören und demgemäß weder einer Nebentätigkeitsgenehmigung bedür-
fen noch einen gesonderten Vergütungsanspruch auslösen. Der Kläger kann sich
deshalb nicht darauf berufen, dass er nunmehr nicht mehr an Prüfungen angehender
Theologen teilnehmen darf.
Der neue Aufgabenbereich ist amtsangemessen. Der Kläger kann sein theologisches
Fachwissen nutzen und seine Forschung und Lehre fortsetzen. Er ist weiterhin
berechtigt, Doktoranden und Habilitanden anzunehmen. Dass sich Personen, die
eine Tätigkeit als Geistliche oder Religionslehrer der Evangelischen Kirche anstre-
ben, nicht mehr beim Kläger melden werden, um bei ihm zu promovieren oder sich
bei ihm zu habilitieren, liegt an der freigewählten Entscheidung des Klägers, sich aus
dem Christentum "zu verabschieden". Der Kläger kann nicht ernsthaft erwarten, die
Evangelische Kirche werde die Ausbildung ihres für kirchliche Ämter bestimmten
Nachwuchses in die Hände eines Hochschullehrers legen, der von der Unrichtigkeit
ihrer Lehre überzeugt ist und dies auch öffentlich verkündet. Gleichwohl hat die Be-
klagte zuletzt in der mündlichen Verhandlung ihre Bereitschaft wiederholt, mit dem
Kläger eine Regelung zu treffen, die ihm in diesem Punkt noch weiter entgegen-
kommt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Albers Prof. Dawin Dr. Kugele
Groepper Dr. Bayer
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 40 125 € fest-
gesetzt (§ 52 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 1 Ziff. 1 GKG).
Albers Dr. Kugele Groepper
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Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Beamtenrecht
Fachpresse:
ja
Hochschulrecht
Staatskirchenrecht
Rechtsquellen:
GG
Art. 3 Abs. 3, Art. 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3, Art. 33 Abs. 3,
Art. 140
WRV
Art. 137 Abs. 3
NHG
§ 50 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3
Art. 3
"Loccumer Vertrag"
Stichworte:
Amt im abstrakt-funktionalen Sinn; Amt im statusrechtlichen Sinn; amtsangemessene
Tätigkeit; amtsgemäßer Aufgabenbereich; Aufgabenbereich; Bekenntnis;
Bekenntnistreue, Denomination; Eignung; Eignungsmangel, Eignungsmerkmal; Fa-
kultät; Geistliche; gemeinsame Angelegenheit; Glauben; Evangelische Kirchen;
Hochschullehrer; kirchliches Selbstbestimmungsrecht; konfessionsgebundenes Amt;
Lehrstuhl; Neues Testament; Professor; Prüfungsfach; Religionslehrer; Religions-
wissenschaft, Theologie; Theologische Fakultät; Wissenschaftsfreiheit.
Leitsatz:
Ein Professor an der Evangelischen Theologischen Fakultät einer staatlichen Hoch-
schule übt ein konfessionsgebundenes Amt aus. Sagt er sich öffentlich vom Chris-
tentum los, muss er es hinnehmen, wenn ihm auf Anregung der Landeskirche und
der Fakultät anstelle des ursprünglichen konfessionsgebundenen Faches (Neues
Testament) das dem bisherigen entsprechende religionswissenschaftliche Fach (Ge-
schichte und Literatur des frühen Christentums) übertragen und er aus der Theolo-
genausbildung ausgeschlossen wird.
Urteil des 2. Senats vom 3. November 2005 - BVerwG 2 C 31.04
I. VG Göttingen vom 15.05.2002 - Az.: VG 3 A 3193/00 -
II. OVG Lüneburg vom 08.06.2004 - Az.: OVG 5 LB 344/03 -