Urteil des BVerwG vom 25.11.2004

Ärztliche Behandlung, Angemessenheit, Honorarforderung, Zivilgericht

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 C 30.03
Verkündet
OVG 5 LC 275/02
am 25. November 2004
Hardtmann
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 25. November 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht A l b e r s
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. D a w i n , G r o e p p e r ,
Dr. B a y e r und Dr. H e i t z
für Recht erkannt:
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Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Niedersächsi-
schen Oberverwaltungsgerichts vom 25. März 2003 wird zu-
rückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I.
Die Ehefrau des klagenden Beamten unterzog sich im Jahre 1999 einer zahnärztli-
chen Behandlung. In der Rechnung setzte der Zahnarzt für einige der Behandlungs-
schritte das 3,0- bzw. 3,5-fache des Gebührensatzes an. Als Begründung für den er-
höhten Steigerungssatz ist auf der Rechnung u.a. vermerkt: "extrem erhöhter Zeit-
aufwand durch Binocoularpräparation; Individualisierung der Abdrucklöffel und mehr-
fache hydrokolloidale Abformung" sowie "erhöhter Zeitaufwand bei Kunststoffaufbau-
ten mit Core-Paste und Syntac-Adhäsiv-Technik".
Der Beklagte erkannte in seinem Beihilfebescheid als beihilfefähig die Aufwendungen
zur Vergütung der zahnärztlichen Leistungen nur insoweit an, als sie zur Begleichung
eines maximal nach dem 2,3-fachen Steigerungssatz errechneten Honorars
erforderlich waren. Darüber hinausgehende Aufwendungen seien nicht angemessen,
weil dem Zahnarzt kein höheres Honorar zustehe. Der Kläger hat die Begleichung
des Honorars, soweit es nach einem höheren als dem 2,3-fachen Steigerungssatz
berechnet worden ist, verweigert, ist aber vom Amtsgericht rechtskräftig zur Zahlung
verurteilt worden.
Wegen der versagten Beihilfe hat der Kläger nach erfolglosem Widerspruchsverfah-
ren Klage erhoben. Im Verlaufe des erstinstanzlichen Verfahrens hat der Beklagte ei-
nige der nach dem erhöhten Steigerungssatz errechneten Positionen als beihilfefähig
anerkannt. Insoweit haben die Parteien den Rechtsstreit für erledigt erklärt. Im
Übrigen hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.
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Das Oberverwaltungsgericht hat der Berufung des Klägers entsprochen. Es hat aus-
geführt: Der Höhe nach angemessen seien Aufwendungen bei einem das 2,3-fache
übersteigenden Gebührensatz, wenn die Schwierigkeit der einzelnen Leistung, der
Zeitaufwand oder Umstände in der Ausführung dies rechtfertigen. Diese Besonder-
heiten müssten gerade bei der Behandlung des betroffenen Patienten, abweichend
von der großen Mehrzahl der Behandlungsfälle, aufgetreten sein. Aber auch wenn
die Überschreitung des Schwellenwertes bei der Honorarforderung nicht gerechtfer-
tigt werden könnte, sei die gezahlte Vergütung beihilfefähig. Angesichts der Unklar-
heit der gebührenrechtlichen Regelung über die Zulässigkeit eines erhöhten Gebüh-
rensatzes hätte der Beklagte erläuternde Hinweise geben müssen, an denen sich der
Beamte hätte orientieren können. Schlechthin unvertretbar sei die Auffassung des
Zahnarztes nicht.
Gegen dieses Urteil hat der Beklagte die vom Senat zugelassene Revision eingelegt.
Er rügt die Verletzung materiellen Rechts und beantragt,
das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 25. März 2003
hinsichtlich des Verpflichtungsausspruchs und der ihm entsprechenden Teilauf-
hebung der Bescheide des Beklagten vom 17. November 1999 und 7. Februar
2000 aufzuheben und insoweit die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungs-
gerichts Oldenburg vom 25. September 2002 zurückzuweisen.
Der Kläger stellt den Antrag,
die Revision zurückzuweisen.
Er macht sich die Ausführungen im angefochtenen Urteil zu Eigen.
II.
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass der Be-
klagte auch die Beträge, die der Kläger dem Zahnarzt zur Begleichung des nach dem
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3,0- und 3,5-fachen Gebührensatz berechneten Honorars gezahlt hat, als beihil-
fefähig anerkennt.
Die Regelung des Beihilferechts der niedersächsischen Beamten durch Verwaltungs-
vorschrift ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Wie der Senat in dem Urteil vom
17. Juni 2004 - BVerwG 2 C 50.02 - (zur Veröffentlichung in der Entscheidungs-
sammlung vorgesehen) für die Beihilfevorschriften des Bundes ausgeführt hat, ge-
nügen diese als Verwaltungsvorschriften nicht den verfassungsrechtlichen Anforde-
rungen des Gesetzesvorbehalts. Dies gilt auch, soweit die Beihilfevorschriften des
Bundes - wie hier - durch Landesgesetz als Landesrecht inkorporiert worden sind.
Denn sie verlieren dadurch nicht den Charakter von Verwaltungsvorschriften (vgl. Ur-
teile vom 28. Oktober 2004 - BVerwG 2 C 34.03 - und vom heutigen Tage - BVerwG
2 C 24.03 - ; Bay VerfGH, Entscheidung
vom 13. Dezember 1995 - Vf.17-V-92 -, VerfGHE Bay 48, 149 <156 f.>). Auch bei
Übernahme in das Landesrecht fehlt ihnen die erforderliche gesetzliche Grundlage.
Deshalb hat das Land Niedersachsen ebenso wie der Bund die Regelungen über die
Fürsorge zu Gunsten seiner Beamten in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen für
den eigenen Rechtskreis den grundsätzlichen Erfordernissen anzupassen. Für eine
Übergangszeit ist allerdings von der Weitergeltung der Beihilfevorschriften als Ver-
waltungsvorschriften auch im Landesbereich auszugehen, wenn hierauf durch Be-
stimmungen des Landes verwiesen wird. Damit ist gewährleistet, dass die Leistun-
gen im Falle von Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Geburt nach einem einheitlichen
Handlungsprogramm erbracht werden.
Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften des Bundes für
Beihilfen in Krankheits-, Pflege-, Geburts- und Todesfällen (Beihilfevorschriften
- BhV) in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung in Verbindung mit
§ 87 c Abs. 1 Satz 1 des Niedersächsischen Beamtengesetzes sind beihilfefähig
Aufwendungen, wenn sie dem Grunde nach notwendig und soweit sie der Höhe nach
angemessen sind. Die Angemessenheit der Aufwendungen beurteilt sich gemäß § 5
Abs. 1 Satz 2 BhV u.a. bei zahnärztlichen Leistungen ausschließlich nach dem
Gebührenrahmen der Gebührenordnung für Zahnärzte. Soweit keine begründeten
besonderen Umstände vorliegen, kann nur eine Gebühr, die den Schwellenwert des
Gebührenrahmens nicht überschreitet, als angemessen angesehen werden.
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Von dieser Ausnahme in § 5 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BhV abgesehen umschreiben
die Beihilfevorschriften den Begriff der Angemessenheit nicht, sondern verweisen auf
die Vorschriften der ärztlichen und zahnärztlichen Gebührenordnungen. Danach setzt
die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für eine ärztliche Behandlung grundsätzlich
voraus, dass der Arzt oder Zahnarzt die Rechnungsbeträge auf der Basis einer
zutreffenden Auslegung der Gebührenordnung in Rechnung gestellt hat (vgl. Urteil
vom 24. November 1988 - BVerwG 2 C 39.87 - Buchholz 270 § 5 Nr. 1 und vom
17. Februar 1994 - BVerwG 2 C 10.92 - BVerwGE 95, 117 <118>), das geforderte
Honorar ihm also von Rechts wegen zusteht.
Ob die Honorarforderung eines Arztes oder Zahnarztes gerechtfertigt ist, beantwortet
sich nach bürgerlichem Recht und ist im Streitfall letztverbindlich von den Zivilgerich-
ten zu entscheiden. Die Verwaltungsgerichte und im behördlichen Verwaltungsver-
fahren die Beihilfestelle entscheiden über die Berechtigung der Honorarforderung
des Arztes lediglich inzident im Rahmen der Prüfung, ob das beihilferechtliche Erfor-
dernis der Angemessenheit erfüllt ist. Hat jedoch bereits ein Zivilgericht in einem
Rechtsstreit zwischen dem Arzt und dem Beamten über die Berechtigung der Hono-
rarforderung entschieden, ist dessen Beurteilung auch maßgeblich für das beihilfe-
rechtliche Tatbestandsmerkmal der Angemessenheit der Aufwendungen (vgl. Urteil
vom 28. Oktober 2004 - BVerwG 2 C 34.03 - ).
Ein Betrag, den das Zivilgericht in einem rechtskräftigen Urteil als nach der ärztlichen
oder zahnärztlichen Gebührenordnung geschuldet erklärt, ist der Höhe nach grund-
sätzlich auch angemessen im Sinne des Beihilferechts.
Nach dem Urteil des Zivilgerichts steht fest, dass der Beamte die Forderung des Arz-
tes zu erfüllen hat. Diese finanzielle Belastung tritt ohne Rücksicht darauf ein, ob eine
Unklarheit des Gebührenrechts (vgl. dazu Urteil vom 30. Mai 1996 - BVerwG 2 C
10.95 - Buchholz 270 § 5 Nr. 12) bestand, ob der Dienstherr seinen Rechts-
standpunkt zu einer umstrittenen Frage klargestellt hat und ob die zivilgerichtliche
Entscheidung dem materiellen Recht entspricht. Die danach unabwendbaren Kosten
braucht der Beamte nicht in einem Umfang zu tragen, der über das hinausgeht, was
ihm als Eigenvorsorge zuzumuten ist. Vielmehr hat er einen Anspruch auf ergänzen-
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de Beihilfe, die sich nach den Aufwendungen bemisst, die nach dem ärztlichen Ge-
bührenrecht geschuldet werden.
Diese Grundsätze gelten auch, wenn dem Beamten Gebühren in Rechnung gestellt
werden, die den Schwellenwert des Gebührenrahmens überschreiten. Die Beihilfe-
stelle darf die Angemessenheit des über den Schwellenwert hinausgehenden Betra-
ges nicht mit der Begründung verneinen, es lägen keine begründeten besonderen
Umstände i.S. von § 5 Abs. 1 Satz 2 BhV vor.
Letztlich kann für den Beamten, der vom Zivilgericht in Anwendung einer - wie hier -
nicht eindeutigen, zu seinen Ungunsten ausgelegten Vorschrift des Gebührenrechts
zur Zahlung des Arzthonorars verurteilt worden ist, nichts anderes gelten als das,
was nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 30. Mai 1996 - BVerwG 2 C
10.95 - Buchholz 270 § 5 Nr. 12) bei Unklarheiten der gebührenrechtlichen Regelung
generell für den Beihilfeanspruch des Beamten gilt: Die Angemessenheit des Betra-
ges, den er in Höhe des geforderten Honorars gezahlt hat, darf nicht verneint wer-
den, denn sonst würde die Unklarheit zulasten des Beamten gehen. Dieser wäre vor
die Wahl gestellt, entweder auf sein Risiko eine rechtliche Auseinandersetzung über
die objektiv zweifelhafte Rechtsposition zu führen oder den an sich auf die Beihilfe
entfallenden Anteil des zweifelhaften Rechnungsbetrages selbst zu tragen. Wenn der
Dienstherr aber die Beihilfefähigkeit anerkennen muss, um den Beamten vor einem
Prozess, dessen Ausgang wegen der unklaren Fassung der Gebührenordnung
unsicher ist, zu bewahren, kann er von der Pflicht zur Anerkennung nicht dadurch frei
werden, dass der Beamte den Prozess geführt hat und rechtskräftig verurteilt worden
ist.
Dass und warum der Beklagte dem zivilrechtlichen Rechtsstreit wegen der Honorar-
forderung nicht beigetreten ist, ist für die Frage seiner Pflicht zur Anerkennung der
Beihilfefähigkeit grundsätzlich unerheblich. Eine etwaige Nebenintervention des Be-
klagten hätte nur insoweit Bedeutung gehabt, als es um die Frage ging, ob der Be-
klagte im Verhältnis zum Kläger mit der Behauptung gehört wird, der Zivilrechtsstreit
sei unrichtig entschieden worden. Für die Angemessenheit des gezahlten Honorars
ist aber nicht entscheidend, ob das Urteil des Amtsgerichts richtig ist. Maßgebend ist,
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dass der Kläger das Honorar schuldet und diese Schuld nicht auf treuwidrigem Ver-
halten beruht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Albers Prof. Dawin Gröpper
Dr. Bayer Dr. Heitz
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 167,32 € fest-
gesetzt (§ 13 Abs. 2 GKG in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Dezember
1975 mit späteren Änderungen; diese Regelung ist gemäß § 71
Abs. 1, § 72 Nr. 1 GKG in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Modernisie-
rung des Kostenrechts vom 5. Mai 2004 noch anzuwenden, weil die
Revision vor dem 1. Juli 2004 eingelegt worden ist).
Albers Prof. Dawin Dr. Bayer
Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Beamtenrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
BhV
§ 5 Abs. 1 S. 1 und 2
GOZ
§ 5
Stichworte:
Angemessenheit der Aufwendungen für zahnärztliche Leistungen; Verurteilung des
Beamten zur Honorarzahlung durch Zivilgericht.
Leitsatz:
Ist der Beamte vom Zivilgericht rechtskräftig zur Begleichung der Honorarforderung
eines Arztes verurteilt worden, ist die Vergütung regelmäßig angemessen i.S. des
Beihilferechts.
Urteil des 2. Senats vom 25. November 2004 - BVerwG 2 C 30.03
I. VG Oldenburg vom 25.09.2002 - Az.: VG 6 A 930/00 -
II. OVG Lüneburg vom 25.03.2003 - Az.: OVG 5 LC 275/02 -